Herbert Jochum/Heinz Kremers (Hrsg.) Juden, Judentum und Staat Israel im christlichen Religionsunterricht in der Bundesrepublik Deutschland Untersuchungen im Rahmen des Forschungsschwerpunkts „Geschichte und Religion des Judentums" an der Universität Duisburg - Gesamthochschule. - FERDINAND SCHÖNINGH Paderborn • M ü n c h e n • W i e n • Zürich Michael Brocke/Herbert Jochum Das Judentum in Schulbüchern für den katholischen Religionsunterricht heute - eine Problemanzeige 1. Theologische Defizite Ein positives Interesse katholischer Christen in Deutschland an Volk und Religion der Juden und am Staat Israel erwachte vor drei Jahrzehnten und nahm seitdem sehr langsam zu. Es war zum einen mitbeeinflußt von dem allgemeinen Interesse am Judentum und am Staat Israel innerhalb und außerhalb dieses Landes; zum anderen aber auch von dem eher vagen Eindruck der deutschen und europäischen „Katastrophe", die in den Bemühungen des nationalsozialistischen Deutschland gipfelte, das jüdische Volk mitsamt seiner Religion zu vernichten (Holocaust, bzw. hebräisch: Scho'a). Ein Gefühl des Versagens der Kirche(n) in wichtigen Bereichen (das in nichtkatholischen Kreisen wohl häufiger anzutreffen ist) rief Unsicherheit und Desorientierung hervor, zugleich aber auch den Wunsch, zu den Quellen und Wurzeln zurückzukehren. Dies mag einer der Gründe dafür sein, daß sich auch i m katholischen Raum ein nicht mehr allein von der Absetzung gegenüber dem Judentum bestimmtes Interesse findet, sondern daß auch und wohl zum ersten Mal der Wunsch lebendig geworden ist, den Anderen wirklich kennenzulernen und dabei auch sich selbst zu finden. Ein weiterer Grund für diesen neuen Zugang mag in den großen inneren Veränderungen, Entrümpelungen, aggiornamentos sowie i n der notwendigen Relativierung von universalen bzw. absoluten Ansprüchen und in der Erneuerung liegen, die der Katholizismus während dieser drei Jahrzehnte erfahren hat. Die ersten zwei Jahrzehnte waren durch zaghafte Gesprächsversuche von Christen und Juden gekennzeichnet, die allerdings noch eines ausgeprägten Interesses seitens der Amtskirche ermangelten. Darum institutionalisierte sich der Dialog anfänglich nur in den Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Es bedurfte des Zweiten Vatikanischen Konzils und der berühmt gewordenen „Erklärung über die Juden" (Nostra Aetate), sowie der Ausführungsbestimmungen dazu von Januar 1975 und der „Pastoralen Handreichung" der französischen bischöflichen Kommission für die Beziehungen zum Judentum aus dem Jahr 1973 , sowie wohl auch des Beispiels nicht weniger führender evangelischer Theologen in Deutschland (u. a. K. Barth, M . Barth, H . Gollwitzer, B. Klappert, H . J. Kraus, 1 2 3 1 Bei den 46 Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit in der B R D und Westberlin fällt auf, daß nicht wenige Gesellschaften Schwierigkeiten haben, katholische Interessenten in einer einigermaßen dem „Proporz" entsprechenden Zahl zu gewinnen. 2 Richtlinien und Hinweise für die Durchführung der Konzilserklärung ,Nostra Aetate', Art. 4, in: Herder-Korrespondenz Heft 2 (1975) S. 65-68. 3 Die Haltung der Christen zum Judentum vom 16 . 4. 1973. Abgedruckt in F R (25) 1973, 15-18; Orientierung 37 Nr. 9, 15. Mai 1973; Arbeitshilfe für den evgl. R U an Gymnasien . . . in Bayern, Themenfolge 25 „Christen und Juden" Heft 1, 1976 u. öfter. Eine deutschsprachige Zusammenstellung wichtiger christlicher Dokumente der Beziehungen zum Judentum soll demnächst erscheinen. Bislang siehe H . Croner (Hrsg.) Stepping Stones to Further Jewish Christian Relations. A n Unabridged Collection of Christian Documents. Stimulus Books, London und New York, 1977, 157 S. F. W. Marquardt, J. Moltmann, P. v. d. Osten-Sacken, W. Pannenberg, R. Rendtorff), damit sich auf der kirchlichen und wissenschaftlich-theologischen Ebene erste Ansätze eines neuen Denkens und Kommunikationsversuche abzeichnen konnten. Man gewinnt jedoch inzwischen den Eindruck, als hätten die genannten und andere kirchliche Verlautbarungen kaum Früchte getragen. Ganz allgemein ist festzustellen, daß die katholische Theologie in allen ihren jeweils unterschiedlich betroffenen Disziplinen so gut wie nicht wahrnimmt, was die Beständigkeit jüdischer Existenz für sie bedeutet - sei dies positiv oder negativ - , was an jüdischer Schriftauslegung und Lebenspraxis, was an jüdischer Theologie und theologischer Reflexion, was an jüdischem Selbstverständnis vorhanden ist. Judaistischer Wissenserwerb und judentumskundliche Studien haben keinen Eingang in universitätstheologische Curricula oder in Ausbildungsverordnungen für Priesteramtskandidaten gefunden. Wiewohl von den „Ausführungsbestimmungen 1975" gefordert, sind an theologischen Abteilungen, Fakultäten oder Hochschulen keine Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter oder Professoren der Judaistik eingerichtet worden. Auch die Formen, Probleme und Ergebnisse des bereits außerhalb Deutschlands länger geführten jüdisch-christlichen Dialogs (USA, Israel, Niederlande usw.) sind nicht bekannt gemacht oder aufgegriffen worden. Fragt man sich nun nach den Gründen dieser Fehlanzeige, so liegen sie primär im Fehlen einer theologisch verantwortbaren und zugleich das Selbstverständnis des Judentums beachtenden neuen christlichen Theologie des Judentums. Es gibt in der katholischen Theologie nicht nur der letzten Jahrhunderte wohl nichts und niemanden, bei dem man wieder ansetzen, weiterführen könnte. Ein systematischer Traktat „Von Israel" oder auch „Von den Juden" fehlt - das hat Norbert Lohfink schon vor 14 Jahren festgestellt. Für die heute verbreiteten und z. T. gewiß bedeutenden systematisch-theologischen Entwürfe und Glaubensbücher gilt fast ausnahmslos, daß in ihnen jedweder Versuch einer näheren theologischen Befassung mit dem Judentum oder gar einer theologischen Verhältnisbestimmung von Christentum und Judentum, also eine katholische,,Theologie des Judentums" völlig fehlt. 4 5 6 7 4 Wie: „ F ü r ein neues Verhältnis zur Glaubensgeschichte des jüdischen Volkes". Erklärung der gemeinsamen Synode der Bistümer in der B R D , Würzburg, 22. Nov. 1975, in „Synode", Bonn 4/1976. Auch F R 27 (1975), 5. Eine ausgeführte Verlautbarung der deutschen katholischen Bischöfe zur Verhältnisbestimmung von katholischer Kirche und jüdischem Volk steht aus. 5 Die Deutschen Bischöfe: „Rahmenrichtlinien für die Priesterordnung" Hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 1978; verabschiedet von der Deutschen Bischofskonferenz im Februar 1978. (Schriftenreihe N r . 15). 6 N . Lohfink, Methoden der Schriftauslegung unter besonderer Berücksichtigung der das Judentum betreffenden Schriftstellen, in: C . Thoma (Hrsg.), Judentum und christlicher Glaube, Wien 1965. Und N . Lohfink, Das heutige Verständnis der Schriftinterpretation in der katholischen Theologie, in: W. P. Eckert/N. P. Levinson/M. Stöhr (Hrsg.) Antijudaismus im Neuen Testament? (Abhandlungen zum christlich-jüdischen Dialog 2), München 1967, S. 15-26. F . Mußner, Traktat über die Juden, München 1979, konnte nicht mehr berücksichtigt werden. 7 Vgl. etwa J . Ratzinger, Einführung in das Christentum, München 1968; H . Küng, Christ sein, München 1974 (mit positiven Ansätzen); K . Rahner, Grundkurs des Glaubens. Einführung in den Begriff des Christentums, Freiburg, 1976; E . Schillebeeckx, Jesus. Die Geschichte von einem Lebenden, Freiburg 1975; W. Kasper, Einführung in den Glauben, Mainz 1972. gibt es heute einige Bücher, die in ihrem Titel die Formulierung tragen „christliche Theologie des Judentums" (vgl. P. Lapide, F. Mußner, C. Thoma z. B . ) , die dann aber sachlich nicht halten können, was ihr Titel verspricht. Gregory Baum dürfte recht haben, wenn er die ausbleibende Wirkung der kirchlichen Erklärungen zum Judentum so erklärt: Wohl 8 9 „ D i e konziliaren Direktiven, das Judentum als Religion eigenen Rechts z u respektieren, die fortdauernde Erwählung des jüdischen V o l k e s anzuerkennen u n d die gemeinschaftliche H o f f n u n g von C h r i s t e n u n d Juden z u betonen, können nicht erfolgreich in die christliche E r z i e h u n g eingebracht werden, weil sie wesentlicheren P unkten in der Darstellung des Evangeliums z u widersprechen scheinen . . . Einige christliche Theologen (sind) . . . willens, der Möglichkeit ins Auge z u sehen, daß die antijüdischen T e n d e n z e n i m Christentum nicht einfach peripher und zufällig, sondern ins Z e n t r u m der Botschaft verwoben sind. . . . D a s zentrale christliche Bekenntnis scheint die Möglichkeit eines lebendigen J u d e n tums z u verneinen . . . W e n n die K i r c h e ihre christologischen u n d ekklesiologischen Lehren ohne Reflexion auf ihren B e z u g z u Israel ausführt und erst i m N a c h h i n e i n , w e n n ihre Grundlehren bereits definiert sind, die A n e r k e n n u n g beibringt, daß die Juden Gottes erwähltes V o l k bleiben und darum ihre Religion dauerhafte Bedeutung v o r G o t t hat, dann kann diese späte A n e r k e n n u n g nicht mehr in die zentralen christlichen L e h r e n integriert werden - sie w i r d marginal und wirkungslos b l e i b e n . " 10 Fundamentale Unwissenheit und krasses Fehl- bzw. Mißverstehen des Judentums kennzeichnen auch gegenwärtig die deutschsprachige Standardliteratur des Theologiestudenten, des Religionslehrers, des späteren Schulbuchautors. Hauptsächliche Quelle von Informationen über das Judentum sind nur wenige ältere Werke deutscher evangelischer Neutestamentier der letzten 100 Jahre, die ihrerseits wieder Einfluß auf wissenschaftliche und populärwissenschaftliche theologische Literatur ausgeübt haben und weiter - wenngleich indirekt und breit gestreut - ausüben. Auch den meisten theologischen Wissenschaftlern bleibt weiterhin nur ein 11 12 8 C . Thoma, Christliche Theologie des Judentums, (Christ in der Welt) Aschaffenburg, 1978. P. Lapide, Eine jüdische Theologie des Christentums; F . Mußner, Eine christliche Theologie des Judentums, beide in: P. Lapide/F. Mußner/K. Wilckens, Was Juden und Christen voneinander denken (Kleine ökumenische Schriften N r . 9) Freiburg 1978. 9 Man wird auch solche Werke katholischer Theologen mehr beachten, die unter anderen oder bescheideneren Vorzeichen Neuansätze schaffen wie z. B. jüngste Arbeiten von J . B. Metz, Ökumene nach Auschwitz - zum Verhältnis von Christen und Juden in Deutschland, in: Gott nach Auschwitz. D i mensionen des Massenmordes am jüdischen Volk mit Beiträgen von E . Kogon, E . Wiesel, L . S. Davidovicz, D . Rabinowicz, R. MacAfee Brown, Freiburg, 1979. auch in: Freiburger Rundbrief, Jg. 30 (1978) Nr. 113/116, S. 7-13. 10 G . Baum, Einleitung zu Rosemary Ruether, Nächstenliebe und Brudermord. Die theologischen Wurzeln des Antisemitismus, München 1978, S. 12 f. 11 S. C h . Klein, Theologie und AntiJudaismus. Eine Studie zur deutschen theologischen Literatur der Gegenwart (Abhandlungen zum christlich-jüdischen Dialog 6), München 1975. Siehe auch die Arbeiten von George F . Moore, Christian Writers on Judaism, Harvard Theological Review 14 (1921) 197-254; Jochanan Blochs. A . , Das anstößige Volk. Uber die weltliche Glaubensgemeinschaft der Juden. 2. Teil: Volk und Gemeinde. Zu den Problemen des Zweiten Tempels und der deutschen ad. Wissenschaft, 95-161; und die Kritik von E . P. Sanders in der Einleitung („The persistence of the view of Rabbinic religion as one of legalistic works-righteousness") von: Paul and Palestinian Judaism, London 1977, 33-59. S. jetzt auch K . Hoheisel, Das antike Judentum in christlicher Sicht. Ein Beitrag zur neueren Forschungsgeschichte, Wiesbaden 1978. 12 P. Billerbeck; W. Bousset; R. Bultmann; E . Schürer; P. Volz; F . Weber und viele jüngere. Zugang zum rabbinischen Judentum, ja zum Judentum insgesamt und überhaupt, nämlich durch die bequem zugängliche monumentale Stellensammlung zum N T : „Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch" von ( H . Strack) P. Billerbeck, München 1974/75, 6. Auflage. Methodisch längst obsolet und in seiner Einseitigkeit und allerorts durchscheinenden ideologischen Befangenheit seit langem erkannt, werden seine Voreingenommenheiten und das Zerreißen der Kontexte, aus denen die Billerbeckschen Zitate genommen sind, in der Praxis aber nicht beachtet, sondern hingenommen und stillschweigend fortgesetzt. In keinem anderen Bereich wissenschaftlicher Arbeit kann man sich, ohne Gefahr lächerlich gemacht zu werden, solche Unwissenschaftlichkeit und Fehlerquoten leisten wie im Reden über jüdische Fakten bzw. in der Zitierung jüdischer Quellen aus x-ter Hand. 13 Das Fehlen einer theologisch fundierten Verhältnisbestimmung zum Judentum verursacht ein quantitativ nicht mehr erfaßbares Vorkommen von beiläufigen k l i scheehaften Bezugnahmen auf Jüdisches in zeitgenössischer theologischer Literatur aller Gattungen und schließt auch mündliche Formen - wie etwa die Predigt ein. So werden diese Bezugnahmen auch dort hergestellt, wo es nicht um das Judentum und/oder Jesus in seiner Zeit geht, sondern z. B. um aktuelle Kirchenbzw. Gesellschaftskritik. Wenn nun angesprochen worden ist, daß in allen Gattungen theologischer und religiöser Literatur in mehr oder minderyerfestigter K l i scheehaftigkeit vom Judentum geredet w i r d , so gilt dies auch für sehr viele Religionsbücher. Was die Theologie als Bezugswissenschaft des Religionsunterrichts nicht leistet, macht sich später in der religiösen Erziehung und Bildung negativ bemerkbar. So sind in einem und demselben Schulbuch verschiedene, ja diametral entgegengesetzte Aussagen über das Judentum zu finden, ohne daß diese Ratlosigkeit den Verfassern aufgefallen zu sein scheint. W i r haben unter 3.2.2. ein Beispiel aufgeführt, wie der Streit um die Tora in unterschiedlichsten, ja widersprüchlichen Aussagen in einem Schulbuch dargestellt w i r d . N u r die Erarbeitung einer christlichen Theologie des Judentums wird es möglich machen, daß das religionspädagogische Dilemma in der Behandlung Israels beendet werden k a n n . Doch schon ein weniger anspruchsvolles Programm, etwa das 14 13 Zwei nahezu beliebige Beispiele aus jüngster Zeit: ein gutmeinender Vortrag von Louis Bouyer, Von der jüdischen zur christlichen Liturgie, Internationale katholische Zeitschrift ,Communio', 7(1978) 509-519, der viele sachliche Irrtümer und verballhornte hebräische Begriffe enthält; und ein Beitrag eines jungen katholischen Systematikers, Arno Schilson, Jesus Christus - Gottes Sohn, Bibel und Kirche 34, Heft 1,1979,12-17, indem, wie eben in vielen anderen ähnlichen Aufsätzen und Büchern auch, „der einzigartige Anspruch der Verkündigung Jesu" wortreich mit allerlei unbewiesenen Behauptungen über die Zeit Jesu gestützt wird. Vgl. auch die ausgeführten Beispiele in diesem Band bei H . Kremers, Die Juden in Schulbüchern . . . S. 36ff. 14 Siehe J. J. Petuchowski: „Wir müssen zur theologischen Dimension zurückkehren, sofern wir uns der Gefahren, die sie in der Vergangenheit angerichtet hat, voll bewußt sind und uns davor hüten. Was uns also nottut, ist eine jüdische Theologie des Christentums und eine christliche Theologie des Judentums . . . Ich möchte, daß er (der Christ) die Bedeutung Jerusalems für mein Leben begreifen lernt, so wie ich mich darum bemühe zu verstehen, was Bethlehem für ihn bedeutet. Dieses gegenseitige Verstehen ist, so scheint mir, das Ziel einer christlichen Theologie des Judentums und einer jüdischen Theologie des Christentums." aus Rom 9-11 erneuerte theologische Reden von Israel käme dem Religionsunterricht zur Hilfe. 2. Die religionspädagogische Situation heute Unter dem Eindruck der europäischen Katastrophe (Zweiter Weltkrieg und H o l o caust) trafen sich Theologen und Religionspädagogen 1947 i n Seelisberg zu einem internationalen Kongreß, der die Notwendigkeit eines neuen Redens von den Juden aussprach. Die sogen. „10 Punkte von Seelisberg" wurden als Grundlage für die dringend erforderliche Neuorientierung verabschiedet. Diese „10 Punkte" wurden 1950 biblisch besser fundiert und zu den „Schwalbacher Thesen" u m formuliert. Ihre endgültige Fassung erhielten sie 1955 i n der sogen. „Münchner Revision". Sie haben zusammen mit dem „Wiener Memorandum" die Konzilserklärung „Nostra Aetate" des Zweiten Vaticanums beeinflußt. Diese Thesen sind verfaßt auf dem Hintergrund eines Jahrhunderte alten christlichen Redens von den Juden, das Jules Isaac als „Lehre der Verachtung" bezeichnete und das als „Verwerfungstheologie" gekennzeichnet werden kann, obwohl beide Begriffe nur unzureichend die Tragweite dessen wiedergeben können, was von Kanzel und Katheder wirklich gelehrt wurde. Die „Verwerfungstheologie" i n der ausgeprägten Form der konventionellen Katechese findet sich i m katholischen R U der Gegenwart nicht mehr, doch machen sozialpsychologische Untersuchungen darauf aufmerksam, daß auch heute noch der R U bei vielen Schülern antijüdische Vorurteile w e c k t . Die Analyse der Schulbücher weist ebenfalls auf noch erhebliche Defizite hin. 15 16 17 18 Die religionspädagogische Situation ist heute weitgehend durch Unsicherheit gekennzeichnet. Die selbstgefällige Sicherheit der Vergangenheit i m „heilsgeschichtlichen Umgang" mit dem Judentum verbietet sich heute, eine neue Sprache aber ist noch nicht gefunden. Das Reden von den Juden ist i n der Krise. Geleitwort zu J. Oesterreicher, Die Wiederentdeckung des Judentums durch die Kirche, Meitingen-Freising 1971, 17, 18. 15 Die „10 Seelisberger Thesen" finden sich u. a. in: Judaica 4 (1948) 79-80; Freiburger Rundbrief 8/9 (1949/50) 5f.; G . Baum, Die Juden und das Evangelium, Einsiedeln 1963, 381 f.; W. Trutwin/G. Wischmann, Juden und Christen (Theologisches Forum 7), Düsseldorf 1971 bzw. (Befragter Glaube), Göttingen 1971, 44f. und hier bei H . Kremers. 16. Freiburger Rundbrief, a.a.O., 9-11. 17 J. Hasenfuß, Thesen der christlichen Lehrverkündigung hinsichtlich des alttestamentlichen Gottesvolkes, in: Bayerische Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit (Hrsg.), Im Geiste der Brüderlichkeit, München 1965, 146-153. 148. Die ebenfalls bekannten „Bergneustädter Thesen" finden sich in: E . Krippendorff/D. Bielenstein (Hrsg.), Erziehungswesen und Judentum. Die Darstellung des Judentums in der Lehrerbildung und im Schulunterricht (Herausgegeben vom Verband Deutscher Studentenschaften) München 1960, 81 f.. Vgl. zuletzt L . Dequeker, Der jüdisch-christliche Dialog eine Herausforderung für die Theologie? Freiburger Rundbrief 28 (1976), 13-16, wobei es sich um die Ubersetzung von 18 Thesen handelt, die eine belgische Theologenkommission im Anschluß an „Nostra Aetate" formulierte. Siehe auch in diesem Band bei H . Kremers, Die historische Entwicklung . . . S. 23 18 Vgl. die Literaturliste in: H . Kallenbach/W. Schemel (Hrsg.) Judentum im christlichen Religionsunterricht. (Schriften der Evangelischen Akademie in Hessen und Nassau 93), Frankfurt 1972, S. 46. 2.1 Zur Legitimationsfrage 1 Die Unsicherheit zeigt sich bereits in der Frage der religionspädagogischen Legitimation, das Judentum im katholischen R U zu behandeln. Drei verschiedene didaktische Ansätze lassen sich feststellen: a) Der erste begründet das Thema Judentum von der in der Schule zu thematisierenden Vorurteilsproblematik her. Dieser in der Curriculum-Determinanten „Gesellschaft" verankerte Ansatz verkürzt jedoch die Thematik „Judentum" auf die Vorurteilsproblematik und vertauscht sie mit der ganz anderen Frage nach dem Antisemitismus. b) Der zweite Ansatz stellt in einer mehr religionskundlichen Betrachtung das Judentum zu den Weltreligionen. Dieser Ansatz allein w i r d der besonderen I n terdependenz - nenne man dies „gespaltenes Gottesvolk" oder „heilsgeschichtliche Arbeitsteilung" - , nicht gerecht, sollte aber dennoch beachtet werden, da er einer vorschnellen Einvernahme des Judentums ins Christentum wehrt und so die Eigenständigkeit des Judentums wahrt. c) Der dritte Begründungsansatz liegt i n einem meist noch vage angedeuteten besonderen Verhältnis von Judentum und Christentum. Dieser von der Curriculum-Determinanten „Fachwissenschaft" her legitimierte Weg ist nicht ohne Gefahr, wie die Substitutionstheorie der Vergangenheit gezeigt hat, muß aber der sachlichen Angemessenheit wegen gesucht werden. 20 21 2.2 Themenfelder 22 Die Themenfelder, i n denen sich Ausführungen zum Judentum finden, sind: Altes Testament, Neues Testament, besonders im Leben Jesu, Kirchengeschichte und in verschiedenen problemorientierten Lehrgängen zu „Gesetz", „Freiheit", „Leistung", „Unterprivilegierte", „Strafrechtsreform" und viele mehr, sowie als expliziter Lerngegenstand allein oder auch i m Verhältnis zum Christentum. 23 19 Vgl. auch dazu in diesem Band H . Jochum, Jesusgestalt . . . S. 20 ff. und H . Kremers, Die historische Entwicklung . . . S. 31 ff. 20 Vgl. dazu etwa H . Patsch, Geschichte des Antisemitismus, Arbeitshilfe für den Evgl. Religionsunterricht an Gymnasien, Erlangen o. J . (Teil I : Von den Anfängen bis Luther, für die Klasse 10 liegt vor); vgl. ders., Das Judenproblem. Eine Unterrichtsstrategie für die Sekundarstufe I (6./7. Schulj.): Informationen zum Religionsunterricht 8 (1976) Heft 2, 1-10. 21 Vgl. etwa das sehr informative „Biblische Arbeitsbuch": D . Ptassek, Auf drei Säulen steht die Welt. Das Judentum zur Zeit Jesu, Lahr-Göttingen 1973, und zuletzt: P. Freimark/H. Grothaus/H. Kittel u. a. (Hrsg.), Große fremde Religionen. Grundlagen für einen Dialog, Dortmund 1977; die sehr umfassende, material- und informationsreiche Darstellung des Judentums (P. Freimark), die das Verhältnis zum Christentum nicht ausklammert, findet sich auf den Seiten 5-60. 22 Vgl. dazu in diesem Band H . Caspers, Analyse . . . S. 134 ff. 23 In mehr katechetisch/hermeneutischen Buchkapiteln findet sich wiederholt das Klischee vom bedingungslos liebenden Vatergott und dem Sünderfreund Jesus, die auf ein „gesetzlich erstarrtes" und „hartherziges" Judentum stoßen. In mehr problemorientierten Lehrgängen entspricht dem Außenseiter, dem Norm und Konvention sprengenden und wahren Menschen Jesus auf der anderen Seite das gesetzlich stark eingeengte, letztlich unmenschliche jüdische Establishment. Der Problemorientierte Religionsunterricht im Kontexttypus hat im Verein mit einem theologiefreien, faden soziologistischen Jesus-Bild das zwei Jahrtausende alte religiöse mit Gottesmord begründete christliche Verwerfungsurteil über die Juden durch ein vorchristlich, sozial begründetes antijü- 2.2.1 Altes Testament Die Beobachtung, daß mit der Behandlung des biblischen Israel (Altes Testament und Neutestamentliche Zeitgeschichte) auch schon das Judentum abgedeckt sei, ist die übliche. Die Katechese des Alten Testaments erfolgt nach drei verschiedenen M u s t e r n : - Entweder sieht man im A T kontinuierlich das heilspädagogische Mühen Gottes am Werk, das zwar durch Schwächen und Unvollkommenheiten seines Volkes erschwert, doch alles in allem nicht ohne Wert war, da es den Aufstieg zur wahren Humanität in Christus brachte (typologische Schrifterklärung, christologische Deutung), oder man stellt in den Mittelpunkt der Arbeit am Alten Testament prophetische Texte, deren Schelte dem Judentum zur Zeit Jesu von neuem und endgültig galten. - Es mehren sich allerdings die Versuche, das eigene W o r t des A T zur Geltung kommen zu lassen, es als Glaubensdokument des Volkes Israel in seinem bleibenden Anspruch für die Christen, auch ohne christologische Auslegung, zu betrachten. Allerdings wird bei einer solchen Betrachtung wenig für eine sachgerechte Darstellung des Judentums getan, denn selten wird die Verlängerung der alttestamentlichen Perikopen bis in die Gegenwart des Judentums in den Blick genommen, sondern sie werden bibelkundlich mißbraucht. - In dem Maße, in dem die religionsunterrichtliche Konzeption um den Aufweis der gesellschaftlichen Relevanz von Religion bemüht ist, dient das A T in ausgewählten Texten der Sensibilisierung, Problematisierung, Artikulation und L ö sung heutiger, meist gesellschaftspolitischer Fragen. Dieses theologisch wie auch erkenntnistheoretisch äußerst fragwürdige Unternehmen blendet die Frage nach dem Judentum aus. Geradezu marcionitische Tendenzen lassen sich dort feststellen, wo jene alttestamentlichen Gesetzesvorschriften - die unserem heutigen Verständnishorizont nicht mehr zugänglich zu sein scheinen - dem Judentum zugeordnet werden, gleichzeitig aber alles andere - unter den Termini „Israel" oder „ A T " — dem Christentum. Eine solche „christlich/jüdische" Spaltung des A T ist wiederum geeignet, das Judentum als eine nicht nur überholte, sondern geradezu rätselhaft exotische Religion („die des A T " ) zu disqualifizieren. 24 „ M a n c h e jüdische Vorschriften, (wie die angeführten Beispiele) sind für Menschen, die nicht aus der Tradition des Judentums leben, kaum z u v e r s t e h e n . " (Suchen und G l a u b e n 5/6 T e i l I I . V g l . das Textblatt I I I A 5 mit B e i s p i e l e n ) . 25 disches Vorurteil (unbewußt und sicher ungewollt) ersetzt. Auf die eigenständige Darstellung problemorientierter Lehrgänge darf hier verzichtet werden. Wir verweisen auf die ausdrückliche Behandlung in: Friedel Kriechbaum, Das Thema Judentum in einem heutigen Religionsbuch. Ein Beitrag zum jüdisch-christlichen Gespräch. I n : Wissenschaft und Praxis in Kirche und Gesellschaft 67 (1978) Heft 3, 123-134; und H . Jochum, Jesusgestalt und Judentum . . . in diesem Band S. 13 ff. 24 Siehe ausführlicher in diesem Band bei H . Jochum, Jesusgestalt . . . S. 9f. 25 Vgl. auch im Teil I „Umwelt Jesu" V A 4 ( o . S.) „Im Buch Leviticus steht genau verzeichnet, was die Juden essen dürfen oder wie sie sich kleiden oder verhalten müssen. Wenn sie etwas Unreines gegessen oder berührt haben, müssen sie sich einer Reinigung unterziehen." I m Schülerteil I I I A 5 findet sich die folgende kleine Sammlung „jüdischer Vorschriften", nach denen dann der Schüler sein Bild vom (wohl auch heutigen) Judentum aufbauen kann: W e n n ein M a n n einen störrischen und widerspenstigen Sohn hat, der nicht auf die Stimme seines Vaters u n d seiner Mutter hört, u n d w e n n sie ihn züchtigen und er trotzdem nicht auf sie hört, dann sollen Vater und Mutter ihn packen, vor die Ältesten der Stadt und die Torversammlung des Ortes führen und z u den Ältesten der Stadt sagen: „ U n s e r Sohn hier ist störrisch und widerspenstig, er h ö r t nicht auf unsere Stimme, er ist ein Verschwender und T r i n k e r " . D a n n sollen alle M ä n n e r der Stadt Steine auf ihn hinabstürzen, und er soll sterben. D t n 21,18-21 D u sollst für deine K l e i d u n g kein Mischgewebe aus Wolle und Flachs verwenden. D t n 22,11 Jeder M a n n aus dem H a u s Israel oder der Fremde in eurer Mitte, der irgendwie Blut genießt, gegen einen solchen werde ich mein Angesicht wenden und ihn aus der Mitte seines Volkes ausrotten. L e v . 17,10 Ihr sollt euer Kopfhaar nicht r u n d u m abschneiden. D u sollst deinen Bart nicht stutzen. Lev. 19,27 E i n anderes Schulbuch weiß: „ D a s A T enthält zahlreiche Vorschriften über Speisen, die Juden essen dürfen, über die Gottesdienstordnung und über den wöchentlichen Feiertag, den Sabbat. E s gibt Juden, die sich bis auf den heutigen T a g streng an diese Vorschriften h a l t e n . " (Zielfelder r u 5/6 S. 90) Diese zitierten Passagen scheinen den Anspruch des Christen auf das (überholte) A T aufzugeben, ein gefährlicher, didaktisch bedingter religionspädagogischer Marcionismus. 2.2.2 Neues Testament In den Religionsbüchern finden sich zunehmend Informationen aus dem Judentum und Versuche unpolemischer Darstellung der jüdischen Zeitgenossen Jesu in eigenständigen Kapiteln. Diese wohlwollenden Versuche sind wie weggeblasen, wenn die Auseinandersetzung Jesu mit seinen „Feinden" thematisiert wird. Das Judentum wird schnell wieder zur düsteren Hintergrundfolie, von der sich Jesus umso strahlender abheben läßt. Jesusbild und Judenbild werden so zu komplementären Größen. Man vermag nicht das Eigene, das Besondere des Christentums zu sagen, ohne daß man auf das als überholt, zurückgeblieben oder irgendwie geringer apostrophierte Judentum verweist. 26 2.2.3 Das Neue des Evangeliums 27 Worin besteht das „ N e u e " gegenüber dem Judentum, das Jesus bringt? In den katholischen Religionsbüchern finden sich unterschiedliche Versuche, das „Neue" gegenüber dem „Alten" zur Sprache zu bringen: 26 Vgl. etwa,,Suchen und Glauben" 5/6 Teil 1 „Umwelt Jesu"; W. Trutwin, Evangelium Jesu Christi, Düsseldorf 1969. 27 Vgl. dazu eine ausführliche Darstellung von H . Jochum, Juden und Judentum im christlichen Religionsunterricht. Eine religionspädagogische Grundsatzreflexion als Versuch einer Zwischenbilanz, in: H . H . Henrix/M. Stöhr (Hrsg.) Exodus und Kreuz im ökumenischen Dialog zwischen Juden und Christen. Diskussionsbeiträge für Religionsunterricht und Erwachsenenbildung (Aachener Beiträge zu Pastoral- und Bildungsfragen 8) Aachen 1978, S. 12-29, bes. S. 17ff. - Jesu unerhörte Souveränität des Auftretens, die letztlich in der Identifikation Gottes mit seinem Sohn ihre eigentliche Ursache habe. (Die Vokabel „unerhört" als Kennzeichnung des Neuen gehört zu den religionspädagogischen Spitzenreitern, nur wird man selten über die theologische Dichte dieses Begriffs aufgeklärt.) - Das Novum bestehe außerdem in der radikalen, alle „rassischen", religiösen und gesellschaftlichen Schranken überwindenden Liebe. Jesu Hang nach unten sei gerade das „Unjüdische" an i h m . - Die Vereinfachung und Zentralisierung auf dem Gebiet der gesetzlichen Vorschriften. Letztendlich gelte nur noch ein einziges Gebot, das der Liebe, eine Reduktion von „empörender Kühnheit". - Das sich in der Verwendung des aramäischen „ A b b a " zeigende besondere Gottesverhältnis Jesu gegenüber dem „fernen G o t t " des Judentums, das als Ursache eines ganz und gar verschiedenen Glaubenssystems gesehen w i r d . Das Neue bestehe im Glauben, daß alles Gnade sei, während die „Gesetzesmoral" des Judentums in die Nähe der „Selbsterlösung" gerückt w i r d . Ein Beispiel soll verdeutlichen, auf wie simple und einlinige Weise das Neue des Evangeliums als befreiende Humanität im Gegenüber des „inhumanen" Gesetzes zu gewinnen ist. 28 29 30 31 „ I n der Lerneinheit geht es zunächst darum, die Schüler auf die unterschiedliche G e w i c h tigkeit von Vorschriften, Anordnungen und Gesetzen aufmerksam z u machen. Sie sollen dabei bewußter reflektieren, daß die Mitmenschlichkeit in unserer verwalteten Welt häufig z u k u r z kommt. E r s t Jesu Worte und Taten zeigen einen A u s w e g , den Teufelskreis von Angst, Z w a n g und U n t e r d r ü c k u n g z u durchbrechen. D a ß Jesus nichts v o n V o r schriften und Gesetzen hielt, die den Menschen versklaven, ist einmalig neu. E r stellt mit allen Konsequenzen - die Liebe über das Gesetz. Bei i h m hat der M e n s c h immer V o r rang. Die „ G u t e N a c h r i c h t " Jesu ist mithin eine Botschaft, die uns und die Welt glücklicher z u machen vermag. Themen Befehl ist Befehl - Gesetz ist Gesetz Immer streng nach Vor- schrift? G u t e Nachrichten . . . Mensch oder Gesetz? D i e Liebe steht über dem Gesetz 28 E . Käsemann, Das Problem des historischen Jesus, in: ders., Exegetische Versuche und Besinnungen. Band I, Göttingen 1954, 187-214, 208. 29 Pöhlmann verweist auf H . Braun, Jesus, 1973, 89 ff. und auf E . Stauffer, Die Botschaft Jesu, 1959, 119 ff. 30 E . Lohmeyer, Das Evangelium nach Markus, 1957, 261, zitiert nach H . G . Pöhlmann, Wer war Jesus von Nazareth? (Gütersloher Taschenbücher 109), Gütersloh 1976, S. 29. 31 Vgl. B. Blasius/K. H . Ohlig, Jesuskurs. Ein Sachbuch für 8 bis 12jährige, München-Düsseldorf 1973, 37; dort sagte Jesus: „Gott ist doch ganz anders . . . E r braucht doch eure erbärmlichen guten Intentionen D i e Schüler sollen wissen, daß es ungerechte Befehle gibt u n d daß Menschen, die sich gedankenlos danach richten, z u U n m e n s c h e n werden. D i e Schüler sollen die unterschiedliche Gewichtigkeit von Vorschriften erkennen und an exemplarischen B e i spielen erfahren, daß Menschen wichtiger sind als V o r schriften u n d Gesetze. D i e Schüler sollen darauf aufmerksam werden, daß gute N a c h r i c h t e n froh machen u n d daß auch das E v a n gelium eine gute N a c h r i c h t ist, die froh machen kann. D i e Schüler sollen wissen, daß die Gesetze für die M e n schen da sind u n d nicht die Menschen für die Gesetze. D i e Schüler sollen wissen, daß Jesus um des Menschen willen die L i e b e über das Gesetz stellt. (Suchen u n d G l a u b e n 5/6, T e i l I , Lerneinheit: „ D a s N e u e des E v a n g e l i u m s " , Lehrerteil 1. Seite + Schülerteil V I I A 12) 32 Diesen Versuchen, das „ N e u e " des Evangeliums zur Sprache zu bringen, liegen ganz bestimmte, immer wiederkehrende traditionelle Modelle des Verhältnisses von Christentum und Judentum zugrunde: a) Das Substitutions- oder Ablösungsmodell: Das Judentum ist schlecht (alt, vorläufig, anachronistisch, degeneriert u. a.) das Christentum ist gut (neu, echt, wahr, endgültig u. a.). Einst waren die Juden Gottes Volk, jetzt sind es die Christen, die als Erben mit allen Privilegien des auserwählten Gottesvolks heilsgeschichtlich an die Stelle des am Gesetz gescheiterten Israel getreten sind, als das wahre Israel. b) Das Überbietungsmodell: Das Judentum ist gut, das Christentum ist besser. Dieses Modell versucht ein differenziertes, eher positives Bild des Judentums zur Zeit Jesu zu zeichnen, das 33 Werke nicht. E r ist doch kein Buchhalter, der genau aufschreibt, was jeder Gutes und Schlechtes tut. Was macht ihr denn aus Gott?"; vgl. auch W. Trutwin (Hrsg.), Religion - Sekundarstufe II. Ein Arbeitsbuch für den Kursunterricht, Düsseldorf 1974, 97: „Jesu Gott ist nicht ein kleinlicher (kursiv gedruckt), der darauf achtet, daß bestimmte Tabus eingehalten werden (Speise- und Sabbatgebote, Bestimmungen über rein und unrein, Berührung mit Zöllnern und Sündern etc.)." 32 Die fatale Tragweite der sachlich völlig abwegigen Gegenüberstellung von „Liebe" und „Gesetz" wird erst deutlich und für den Schüler fruchtbar durch den affektgeladenen biblischen und profanen Textvergleich: E i n Arzt ohne Lizenz verstößt gegen das „Gesetz" und rettet dadurch das Leben eines Kindes ( V I I A 13: Gerichtsverhandlung in New York). Der biblische Text Mt 12, 10b—14 (entsprechend frisiert)! ( V I I A 12). Der profane Text findet sich auch unter der Uberschrift „Das höhere Gesetz" in: Zielfelder ru 7/8, S. 78-80. 33 Es handelt sich um das Modell der traditionellen Theologie (Kirchenväter, Luther u. v. a.) und Katechese, das — wie der problemorientierte Religionsunterricht zeigt - nicht überwunden ist. Vgl. etwa G . Weber, Wie wir Menschen leben 2-4, Freiburg, 1972-1974 und Schalom. Ein Arbeitsbuch für den Religionsunterricht im 3. und 4. Schuljahr, Frankfurt 1974. 2 2 aber in einigen wesentlichen Zügen vom historischen Jesus überboten w i r d . Oder bei durchaus positiver Sicht des Judentums grenzt sich Jesus gegenüber einigen wenigen Ausfällen innerhalb des Judentums ab oder gegenüber Fehlentwicklungen innerhalb einer oder mehrerer religiös-politischer Gruppierungen. c) Das Integrationsmodell: Was am Judentum gut ist, ist ins Christentum übergegangen. Alle positiven Züge des Judentums werden dort, wo sie konzediert sind, Züge auch des historischen Jesus. Das Christentum wird gesehen als „konsequentes Judentum". Damit bleibt das Judentum insgesamt, d . h . erneut als Ganzes - eine sublime Form der Globalisierung - zurück, der bessere Teil seiner selbst ist in Jesus aufgehoben, durchaus im Hegeischen Sinne gemeint. Es wird deutlich, daß die Abgrenzungsmodelle, die die Differenz zwischen Christentum und Judentum religiös qualifizieren wollen, höchst fragwürdig sind. Ebenso deutlich w i r d , daß trotz dieses Versuchs der Eintragung religiös-theologischer Konturen die eine Religion im Verhältnis zur anderen nicht deskriptiv als eine bloß andere gesehen w i r d , sondern als eine höhere, neuere, wesentlichere, richtigere oder umgekehrt gewertet w i r d . U n d ein drittes wird deutlich: daß nämlich das Neue als die entscheidende Differenz zwischen Christentum und Judentum ganz und ausschließlich und fraglos an dem historischen Menschen Jesus von Nazaret festgemacht w i r d . Da das Jude-Sein Jesu zum unveräußerlichen Besitz der religionspädagogischen Gegenwart geworden ist, wird Jesus so zum letzten Juden, zum wahren Juden, zu dem Juden, zum „Schlußstein des Judentums". Jesus ist weder Anti-Jude, noch nur Jude. U n d „das Christentum ist im Grunde nichts anderes als ein konsequentes J u d e n t u m . " 34 35 36 Es dürfte klar sein, daß das Bewußtsein von Jesu Jude-Sein, die „Rejudaisierung" Jesu, im Grunde nichts gebessert hat. Auf der via eminentiae ist wieder der entsprechende Abstand zwischen Jesus und dem Judentum seiner Zeit und entsprechend automatisch zwischen Christentum und Judentum gewahrt. Es bleibt - nur auf einer anderen Stufe - beim alten. 37 2.2.4 Kirchengeschichte In sehr wenigen kirchengeschichtlichen Lehrgängen bzw. problemorientierten Lerneinheiten mit kirchengeschichtlichen Anteilen werden Juden erwähnt. Eine Besserung brachten die neuesten Bücher zur Kirchengeschichte. Doch ist es i m großen und ganzen bei gelegentlichen Erwähnungen etwa der Judenverfolgungen während der Kreuzzugs- oder der Pestzeit geblieben. 34 Vgl. Exodus. UnterrichtswerkBand3,96: Auch Jesus forderte seine Zuhörer auf, Frieden zuhalten, barmherzig zu sein und einander zu verzeihen. Aber Jesus wußte: Menschen bringen das nicht immer fertig . . . Trotzdem, so sagte er, liebt Gott die Menschen . . . " 35 Vgl. H . G . Pöhlmann, a.a.O. S. 27: „Das Christentum ist im Grunde nichts anderes als ein konsequentes Judentum." Die Auch-Aber-Kennzeichnung (vgl. Anm. 30) des christlich-jüdischen Verhältnisses hat die Tendenz zur Integration. Ganz allgemein zu den Verhältnismodellen vgl. A . Oepke, Das neue Gottesvolk, Gütersloh, 1950, 471-477; M. Barth, Das Volk Gottes. Juden und Christen in der Botschaft des Paulus, in: Paulus Apostat oder Apostel? Jüdische und christliche Antworten, Regensburg, 1977, 45-134, bes. 62-73. 36 H . G . Pöhlmann, a.a.O., S. 27 5 Juden, Judentum . . . (74235) „ M i t den vielerorts ausbrechenden Judenverfolgungen Schuld auf s i c h . " lud die Christenheit schwere 3 8 Differenzierte Information, abgedruckte Quellen und abschließende Arbeitsaufträge an die Schüler finden sich in einem anderen Werk, das eine wirkliche Ausnahme darstellt. Punktuell findet man Hinweise zur Emanzipation der Juden, zur Entstehung des politischen Antisemitismus und des Zionismus als Ursachen-Bewegungen zur Gründung des Staates Israel. Erwähnungen von Juden und Judentum in „Drittes-Reich"-Kapiteln sind noch erschreckend dürftig. 39 40 2.2.5 Israel Hinweise auf den Staat Israel in Form bloßer Erwähnung finden sich zunehmend in katholischen Religionsbüchern meist als Instrument der Veranschaulichung in einleitenden Kapiteln zur Heilig-Land-Geographie. Dem Staat Israel kommt jedoch keine Bedeutung - weder für Juden noch für Christen - zu. Es scheint so, daß die Anerkennung des Landes und Staates Israel für den „universalistisch" denkenden Christen geradezu der Rückzug in die „Partikularität" bedeutet. Diese darf aber seit dem universellen Aufbruch der jungen Christengemeinde keine mögliche theologische Kategorie mehr sein, weil an der geographischen (staatlichen und volkhaften) Partikularität der Ruch von Exklusivität, Heilsegoismus, Gruppendenken, Interessengemeinschaft hängt, (vgl. hierzu 3.2.3) Eine bis heute nicht abgetragene Hypothek des Christentums zeigt sich im U m gang mit allem Leiblichen, Körperlichen, Sarkischem. Spiritualistische Tendenzen entstehen dort, wo das Körperliche als das Uneigentliche abgewertet oder verdrängt w i r d . Vielleicht liegt darin eine weitere Ursache begründet, die es dem Christen so schwer macht, eine jüdische Theologie des Landes, einen Staat Israel, auch über das bloße Staatsgebilde hinaus als einen Lebens-Raum wahrzunehmen, auf den rechtes Handeln aus dem Glauben geradezu angewiesen ist. Ein himmlisches Jerusalem ist dem Christen allemal näher gewesen als das irdische Jerusalem. Daß aber die Existenz des neuen Staates Israel auch eine Herausforderung für die Christen mit ihrer fast zwei Jahrtausende alten Verwerfungstheologie darstellt, kommt (noch) nicht in den B l i c k . 41 42 43 37 38 39 40 41 Siehe Anm. 21 W. Brüggeboes/R. Mensing, Kirchengeschichte, Düsseldorf, 1977, 78. H . Gutschera/J. Thierfelder, Brennpunkte der Kirchengeschichte, Paderborn, 1976, 93 f. Am besten auch hier Gutschera/Thierfelder, a.a.O., S. 232f. Vgl. Zielfelder ru 5/6, hrsg. vom Deutschen Katecheten-Verein, München 1975: „Seit 1948 gibt es nach fast 1900jähriger Zerstreuung dieses Volkes wieder einen Staat Israel auf dem Boden Palästinas" (!) (S. 88) oder: „Nach der Errichtung des neuen Staates Israel 1948 wurde ein Teil Jerusalems wieder Hauptstadt. 1967 kam es ganz in israelische H a n d . " (88) 42 Vgl. Exodus, hrsg. vom Deutschen Katecheten-Verein, Band 3, München 1974, 36 43 Ausnahme der Text von Helmut Gollwitzer, Die Christenheit und der Staat Israel, in: W. Trutw i n / G . Wischmann, Juden und Christen (Theologisches Forum 7) Düsseldorf, 1971, 57ff. 3. Didaktische Probleme 3.1 Positive Ansätze Anerkennenswert ist das vielfach anzutreffende sprachliche Bemühen, antijüdische Vorurteile zu vermeiden: in der Wortwahl, durch weitgehenden Verzicht auf Verallgemeinerungen, im Versuch zur Differenzierung. Wer das emotionalisierte Reden der traditionellen Katechese über die Juden kennt, weiß diese Neuerung zu schätzen. Allerdings dürfen dort, wo es sich um bloße äußerliche Sprachschönungen handelt, keine weitreichenderen Konsequenzen erwartet werden. Bemerkenswert ist auch der Versuch, das Judentum in authentischen Quellen selbst zu Wort kommen zu lassen. Die christliche Religionspädagogik erlebt gerade eine Hochkonjunktur chassidischer Geschichten. Es dürfte jedoch zutreffen, daß die Beliebtheit dieser Geschichten sich nicht ihrer jüdischen Herkunft, sondern eher ihrer literarischen Qualität (Bubers Bearbeitung) und ihrer didaktischen Praktikabilität verdankt. Außerdem dienen sie i n der Regel der Illustration allgemeinmenschlicher Phänomene, schlagen also dem Judentum nur am Rande zu Buche. Der religionspädagogische Büchermarkt bietet dem Interessenten eine nie dagewesene Auswahl an Büchern, Handbüchern, Materialien, Textheften und sonstigen Unterrichtshilfen für alle Schulstufen. Ebenso reichhaltig ist das Angebot an audiovisuellen Hilfsmitteln. 44 45 46 Bedauerlich dabei sind allerdings die Unsicherheit und gelegentliche Ungeschicklichkeit in der Auswahl der Texte und die Verstöße gegen das Prinzip der literarischen und zeitlichen Passung: verschiedene literarische Gattungen (Juridisches, Gleichnisse, Sprüche, Chassidisches u . a.) werden christlich-jüdisch, beliebig miteinander verglichen. Die Auswahlkriterien sind einseitig von christlichen Interessen bestimmt. Jüdische Phänomene einer bestimmten Zeit werden vorschnell zu Wesensmerkmalen des Judentums schlechthin stilisiert. 3.2 Neuralgische Punkte Die positiven Ansätze finden ihre Grenze an didaktischen Stukturproblemen, die fast ausnahmslos mit dem lerntheoretischen Instrument der Kontrastierung z u sammenhängen. A u f drei solcher neuralgischer Punkte, die durchgängig die didaktische Präsentation des christlich-jüdischen Verhältnisses steuern, soll i n diesem Zusammenhang hingewiesen werden. 44 Waren es früher „alle", sind es heute „viele"; waren es früher „die Juden", sind es heute „seine Gegner" oder „Feinde"; war es früher „das ganze jüdische V o l k " , ist es heute „die jüdische Menge". Vgl. nur Deutscher Katecheten-Verein (Hrsg.), Exodus. Unterrichtswerk für den katholischen Religionsunterricht in der Grundschule, München 1974 und im dazugehörigen Lehrerkommentar: 164, 167, 168, 169. 45 Vgl. die chassidischen Geschichten in Zielfelder ru 7/8, S. 151. Das gilt auch von den Texten jüdischer Autoren wie z. B. Joseph Roth (ebda. S. 150) und Manes Sperber (ebda. S. 63). 46 Vgl. die neueren Publikationen B. Uhde (Hrsg.), Judentum im Religionsunterricht. Sekundarstufe II. Einführung, Texte, Unterrichtsmodelle, Arbeitsmaterial, München 1978; J . Czech, H . J . Loth u. a., Judentum (Weltreligionen - Geschichte, Quellen, Materialien), Frankfurt/München 1978; I. Kleinen, D . Pohlmann u. a., Judentum (Werte und Normen 4), Göttingen 1978; zu AV-Medien vgl. die kommentierte Zusammenstellung von H . H . Henrix/W. Wirth, in: W.-P. Eckert/H. H . Henrix, Jesu Jude-Sein als Zugang zum Judentum. Eine Handreichung für Religionsunterricht und Erwachsenenbildung (Aachener Beiträge zu Pastoral- und Bildungsfragen 6) Aachen 1976,140-176. Vgl. dazu die Bibliographien am Ende dieses Bandes S. 156 ff. 3.2.1 „Die bösen Juden" oder Rückfall in die Psychologie Es gibt in der Katechese der jüngsten Zeit Bemühungen, insbesondere den Konflikt Jesu mit Juden seiner Zeit religiös zu qualifizieren, religiöse Motive auch im Handeln der Gegner Jesu zu suchen, den Gegenstand des Streites als einen rein religiösen Gegenstand darzustellen. Es gibt Versuche, selbst den Pharisäern - in der konventionellen Katechese stets als Ausgeburt hämischsten Menschentums diffamiert - guten Willen in der Gestaltung ihres Lebens zuzugestehen. Dies geschieht dann problemlos, wenn die Pharisäer als religiös-politische Partei noch ohne „Feindberührung" vorgestellt werden. Treten sie aber in der Nähe Jesu auf, ändert sich schnell das Bild. Ein Beispiel aus dem neuesten Katechismus: „ D i e Pharisäer ( = die Ausgesonderten) waren eine religiös-nationale Partei, die die Uberlieferungen der Väter, deren K e r n das Gesetz des Mose war, aufs peinlichste beachten wollten. Sie betrachteten sich als die religiöse E l i t e . Ihre Frömmigkeit war ernstgemeint und i n vielen ihrer Vertreter achtungserweckend und sympathisch, wie auch Jesus und Paulus es anerkannt haben. A b e r ihre F r ö m m i g k e i t stand in der Gefahr der Selbstgerechtigkeit, und ihr Grundfehler w a r der G e d a n k e , daß G o t t durch geleistete gute Werke z u m w i r k l i c h e n Schuldner des Menschen gemacht werden könnte. Viele v o n ihnen w u r den aus religösen Gründen unerbittliche Feinde Jesu. D e n n Jesus verwarf das Gesetzesdenken der Pharisäer und betonte, daß man G o t t nicht durch bloß äußere Werke dienen k a n n . V i e l m e h r müssen die guten Worte u n d Taten aus einer inneren Haltung k o m m e n , die sich an der L i e b e Gottes orientiert. (Katechismus „ B o t s c h a f t des G l a u b e n s " , S. 87) Der gute Wille reicht nicht aus, die anfänglich gutmeinende Konzeption durchzuhalten. Nach anfänglichem Versuch der freundlichen Kennzeichnung, der differenzierenden Unterscheidung, der positiven Bewertung durch Jesus und Paulus schleicht sich bald wieder karikierende Verallgemeinerung, bösartige Verzeichnung und primitive Kontrastierung ein. Sah es zunächst aus, als ob Jesus Mißstände nur einzelner Pharisäer aufs Korn nehme, so trifft sein verurteilendes Wort bald den „Pharisäismus" als Ganzes. Das ist auch ohne weiteres einsichtig. Wenn Jesus lediglich Anstoß an irgendwelchen Auswüchsen - und das nur einzelner Pharisäer bzw. Pharisäergruppen nähme - dann wäre der „Pharisäismus" im Kern durchaus eine akzeptable Lehre, womöglich gar ein zulässiger Weg zum Heil, was er ja doch nicht sein darf. (Es wäre doch auch kein Christ dahin zu bringen, in den mittelalterlichen Entgleisungen der Christenheit eine veritable Gefahr für die letztlich trotzdem wahre Lehre des Christentums zu sehen). Deshalb führt die feststehende A b lehnung der Lehre eigentlich wie von selbst zur Kennzeichnung des Anhängers dieser Lehre als eines irgendwie defizienten Menschentums. Denn überzeugend läßt sich ja falsche Lehre und wahres Menschentum nicht zusammenbringen. Die christliche Identität läßt sich nun offensichtlich leichter in Abgrenzung zu defizient gezeichnetem Menschentum als in theologisch qualifizierten Glaubens- und Lehrunterschieden finden. Somit verschiebt sich die Problematik von der religiös-theologischen Ebene auf die menschlich-psychologische. Der noch religiös qualifizierende Beginn des Textes geht in der weitergehenden redundanten Paraphrasierung unaufhaltsam über auf die Ebene menschlicher Verkehrtheiten: Die anfänglich religiöse Differenz wird zur „Feindseligkeit", letztlich regiert „abgrundtiefer Haß" (131), das Verhalten seiner „unerbittlichen Feinde" (87) ist das Ergebnis utilitaristischer Berechnungen: „ D i e das L e i d e n Jesu verursacht haben - Judas, Kajafas, Pilatus - haben davon nichts gewonnen. E s hat sich für sie nicht gelohnt: Judas verzweifelte, Kajafas konnte nicht verhindern, daß nach wenigen Jahrzehnten der jüdische Staat unterging und die Stadt Jerusalem von den R ö m e r n zerstört w u r d e ; Pilatus hatte keinen bleibenden V o r t e i l davon, daß er den Juden nachgegeben hatte; er wurde später abgesetzt. Was hat das L e i d e n Jesu für ihn selbst bedeutet, und was bedeutet es für u n s ? " (Katechismus „ B o t s c h a f t des G l a u b e n s " S. 130) Damit erhält der Konflikt seine überzeugende konkrete und einsehbare Einfachheit zurück. „Sie ertrugen es nicht, daß er am Sabbat heilte, und seine J ü n g e r am Sabbat Ä h r e n sammeln und Getreidekörner essen ließ. Sie hielten es für ein W e r k der F r ö m m i g k e i t , Jesus z u beseitigen, weil sie nicht glauben wollten ..." (Katechismus „ B o t s c h a f t des G l a u b e n s " S. 123) Deshalb „wollte (man) ihn z u m T o d e verurteilen u n d suchte nach einer Begründung dafür, fand aber keine trotz vieler Aussagen gegen i h n . " (Katechismus „ B o t s c h a f t des G l a u b e n s " S. 123) So kann der Schüler für sein „Leben" lernen: „ V o n einem pharisäischen G e w i s s e n spricht man, w e n n einer kleine Pflichten genau nimmt und große vernachlässigt." (S. 313) oder „ W o immer solche Haltung vorherrscht, die eine religiöse Leistung bloß deshalb erbringt, u m dadurch Gott z u m Schuldner z u machen, da ist P h a r i s ä i s m u s . " 47 Die Komplexität der Wirklichkeit erfährt eine starke Reduktion auf einfache, ja primitive Beziehungsmuster: „ S o verachteten die Pharisäer fast alle anderen Menschen, die nicht Pharisäer w a r e n ; aber alle Israeliten verachteten ihrerseits die Samariter, o b w o h l dieses N a c h b a r v o l k ebenfalls an Jahwe, den G o t t Israels glaubte. Israeliten und Samariter verachteten gleichermaßen die R ö m e r . " (Katechismus „ B o t s c h a f t des G l a u b e n s " (S. 102) Die Pharisäer „verübelten ihm seine Haltung gegenüber den Sabbatgeboten und anderen Kultgesetzen" (ebda. S. 91). Daß er Zöllner und Sünder in seine Gemeinschaft aufnahm, „verübelten ihm die Pharisäer und Schriftgelehrten" (S. 354). Hier kapituliert die Theologie vor der Psychologie. U m Gründe, Motive im Handeln bzw. in den Reaktionen der „Gegner" braucht man sich nicht zu kümmern. Auch hier wird menschliche Beziehungskomplexität reduziert auf eine einzige simple Beziehung zwischen eigentlich unwirklichen Menschentypen. Von dieser Ebene des vorstellbaren historisierenden und psychologisierenden Konflikts gelingt kein Ubergang zur abstrakt wirkenden Theologie vom Kreuzestod Jesu als der Erlösungstat für die sündige Menschheit. Die Soteriologie ist aufgesetzt, bloß additiv 47 Christus gefragt, hrsg. von N . Hofer, Freiburg 1974,47. Vgl. auch,.Suchen und glauben" 5/6 Teil I. Lehrerinformation „Pharisäer". und überzeugt nicht schon wegen der überfließenden Verwendung traditionellen Vokabulars („Loskauf", „Lösegeld", „Wiedergutmachung" u . a.) (S. 134). Der Wirklichkeitsverlust dieser Darstellung hat etwas mit Wirkungslosigkeit des U n terrichts zu tun. Hier finden die historischen Ergebnisse der historisch-kritischen Exegese, nach der die ntl. Texte nicht als historische Texte mißzuverstehen sind, keine Anwendung. Daß die Texte „Kampfäußerungen" in einer bestimmten polemischen, aber innerjüdischen Situation formulieren und in die christliche Gemeinde gesprochen sind, bleibt sträflich unberücksichtigt. 48 3.2.2 Die Unscharferelation: Der Streit um die Tora Wie unkritisch das Reden heute noch entlang der alten Sprachformeln verläuft, zeigt etwa die Darstellung der Auseinandersetzung Jesu mit seinen Zeitgenossen um die Bedeutung der Tora. In einem einzigen Buch z. B . kann man ziemlich alle Denkmodelle unreflektiert nebeneinander finden, die in der Theologiegeschichte entwickelt wurden. Die grundsätzliche Bemerkung, daß in der Literatur fast ausnahmslos von „Gesetz" die Rede ist und daß der Leser nichts von der überaus großen Bedeutung der Tora als Schöpfungsrhythmus und Gnadengeschenk Gottes sowie als Weisung zum „Schalom" erfährt, ist ein Gemeinplatz, muß aber erneut wiederholt werden. Diese von außen kommende Betrachtungsweise, die den Gegenstand unter dem eigenen erkenntnisleitenden Interesse zum „Gesetz", d. h . zum äußerlichen Buchstaben, zum Paragraphen, konstituiert, desavouiert den Gegenstand bereits so stark, daß in der Auseinandersetzung Jesu mit Zeitgenossen eine Parteinahme nicht mehr schwer fällt. Umso erstaunlicher ist die religionspädagogische Palette des Torakonflikts. 49 50 „Jesus verwarf das Gesetzesdenken der Pharisäer". (87) „Für sie (Pharisäer) wird das Gebot Gottes also zu einem Mittel, um sich selbst für gut - für gerecht zu halten." (100) „Jesus hat diese Auffassung von Heiligkeit, Reinheit und Unreinheit offensichtlich nicht gelten lassen." (115) „Diese verübelten ihm (Jesus) seine Haltung gegenüber den Sabbatgeboten und anderen Kultgesetzen." (91) „Sie (Pharisäer) nahmen Anstoß an seiner Freiheit im Umgang mit dem überlieferten Gesetzeswerk . . . (sie wollten nicht glauben), daß die Freiheit Jesu gegenüber ihren Anschauungen aus seiner Einheit mit Gott stammte." (123) 48 E s stellt auch einen Verstoß gegen die Vatikanischen Ausführungsbestimmungen zu „Nostra Aetate" dar. 49 Alle Zitate sind dem Katechismus „Botschaft des Glaubens". Ein katholischer Katechismus im Auftrag der Bischöfe von Augsburg und Essen, hrsg. von A . Baur und W. Plöger, Donauwörth und E s sen 1978 entnommen. Zur Darstellung des Judentums in diesem Katechismus siehe H . Jochum, „Botschaft des Glaubens" oder Zurück zu den „bösen Juden"? in: Freiburger Rundbrief, Jg. 30 (1978) N r . 113/116 S. 47-51 50 Vgl. die abwertende Auswahl dessen, was man dem Schüler als Gesetz vorstellt (im Kapitel Altes Testament), nach der er sich dann sein Bild nicht nur von der Tora, sondern auch von der Torafrömmigkeit des Judentums macht. Von da bis zur Einschätzung der Gesetze als der Gegeninstanz zur Humanität ist nicht weit. Vgl. Religionsbuch 6, S. 73. „Sie (Pharisäer) sahen in ihm einen Menschen, der die Religion des Mose und der Väter auflöste." (123) „Mit dem letzten Satz (Gal. 5,18) wollte Paulus die Galater daraufhinweisen, daß der Geist Gottes die Christen frei macht von den jüdischen Gesetzesvorschriften, frei für die Werke des Geistes". (167) „Im Hauptgebot der Gottes- und Nächstenliebe sind alle anderen Gebote und Gesetze zusammengefaßt". (317) Der Gegenstand des Konflikts variiert also von „Gesetz", „Gesetzeswerk" über „jüdische Gebotsvorschriften", „Gesetze und Gebote", „Gesetzesdenken", „göttliches Gesetz" (93), „Gebot Gottes", „Sabbatgebote und Kultgesetze" bis zu „Gesetzesauffassungen". Ebenso variiert die Einstellung zum Gegenstand: Hat Jesus grundsätzlich das Gesetz akzeptiert, die, ,Tora Gottes" anerkannt oder hat er sie aufgelöst, ihre Anhänger befreit? Hat er sich bei grundsätzlicher Bejahung der Tora für eine Abtrennung kultischer Teile ausgesprochen, also einen Teil der Tora bejaht? Ist er frei, geradezu willkürlich („souverän") mit der Tora umgegangen? Setzte er sie außer Kraft, wo und wann immer er es wollte? Hat er durch die (schon vor ihm bekannte) Zusammenfassung von Tora eine praktikable, einfache „Kurzformel" des jüdischen Lebens gefunden? Ärgerte ihn lediglich das vermeintliche i n strumentalisierte Gesetzesdenken der Phariäser, „Sie (die Pharisäer) hatten dieses Gebot (Sabbatgebot) jedoch so ausgelegt, daß nur noch Leute in wirtschaftlich guten Verhältnissen es halten konnten . . . Für sie wird das Gebot Gottes also zu einem Mittel, um sich selbst für gut - für gerecht zu halten", oder provozierte ihn eine falsche Auslegung, eine bestimmte Auslegungstradition? Alle diese Fragen, die eigentlich fundamental sind für die Bestimmung des Verhältnisses Jesu (und seiner späteren Gemeinde) innerhalb des jüdischen Volkes und zum Judentum, können textlich belegt werden. 51 Die Terminologie, ihre Färbung, die Sache selbst ist abhängig vom situativen K o n text. Da Jesu Stellung zur Tora nicht im Sinne eines eindeutigen Befundes geklärt i s t , verändert sich die Position i n jeder veränderten Situation. Ist die Situation eine alttestamentliche, also quasi innerjüdische, so vermag man von „göttlichem Gesetz" sprechen; die Pharisäer mißbrauchen das „Gebot Gottes", während der Geist Gottes i m Christentum von den „jüdischen Gesetzesvorschriften" frei macht. Ähnliche Unscharfen lassen sich finden etwa in der Frage, wer die Gegner Jesu waren, welche die Anklagen vor Gericht gegen ihn waren, aus welchen Gründen seine Kreuzigung erfolgte. Sachliche Ungenauigkeit öffnet aber der Beliebigkeit die Tür, die sich i n unverantwortbarem Sprechen aus Gründen der Abgrenzung leicht gegen die Juden wendet. Da die Situation sachlich nicht festgemacht worden ist, w i r d sie aus der Perspektive 52 53 51 Vgl. auch „Suchen und glauben" I I I A 3 , wo es nicht nur um die „wortwörtliche" und „buchstäbliche" Befolgung des Gesetzes geht, sondern auch um den Vorwurf der konventionellen Katechese: „Ihr wollt nicht verstehen, was damit gemeint ist." 52 An dieser Stelle wird noch einmal deutlich, wie stark die Religionspädagogik abhängig ist von der neutestamentlichen Exegese. 53 Vgl. Botschaft des Glaubens, S. 130; Religionsbuch 5, S. 75, 85, 88, 92; Religionsbuch 6, S. 89; Religionsbuch 9/10, S. 78, 141; glauben - leben - handeln, S. 47, 59, 85, 115. vorgefaßter Kriterien konstituiert. Judentum wird so' zum didaktischen Konstrukt. 3.2.3 Von der Dialektik zum Dualismus: Universalismus und Partikularismus. Der Gang des christlichen Glaubens zu den Völkern hat schwerwiegende Folgen gezeitigt. Was einstmals im biblisch-jüdischen Denken aufeinander bezogen war, wurde nun dualistisch auseinandergenommen und verteilt: dem Christentum der „Universalismus", dem Judentum der „Partikularismus". Da die dialektische Bezogenheit der beiden sachlich, nicht zeitlich bedingt war, verursachte die Auflösung der Dialektik auch ein Nacheinander auf der geschichtlichen Ebene. Die A n erkennung der Partikularität wäre nicht nur die Anerkennung des Teils, sondern auch die Anerkennung des Früher. Hier sind enorme Schwierigkeiten des Christen verborgen, die nicht i m Ermessen seines guten Willens liegen, sondern in einer durch eine lange Geschichte geformten Wahrnehmungsorganisation. Eine mit der Partikularität mitgegebene wichtige theologische Seinskategorie des Judentums, nämlich Volk, bereitet den Christen ungemeine Schwierigkeiten, derer man durch verschiedene Abwertungsschemata Herr zu werden versucht. Der Begriff des Volkes wird in die Nähe des Biologischen, ja des Rassischen gerückt. Jude ist, wer als Jude geboren w i r d . Man gehört also durch (biologische) Abstammung zum Volk der Erwählung. Das führt einen bedeutenden katholischen Theologen, im Hinblick auf Israel als dem einzelnen irdischen Volk und der „Rasse" zur grundsätzlich nicht neuen Entgleisung ( „ ,Blut und Boden' ist eine typisch jüdische Parole, vom heutigen Staat Israel genuin gelebt und bestätigt"). Wenn Gott den Sinaibund mit allen, auch den kommenden Geschlechtern eines Volkes schließt, dann reiht sich in der Tat jeder Jude durch Abstammung in die Bundesgeschichte ein. Die Aussage, daß derjenige Jude ist, der als Jude geboren w i r d , ist dann eine „religiöse", keine „biologische" Aussage. Eine andere A b wertung erfährt das Partikulare, indem man es als Exklusivität, als elitäre Abgeschlossenheit definiert. I n dem Kapitel „Gott w i l l das Heil aller Menschen" wird egoistisches Gruppendenken als eine abzulehnende „Eigenart menschlichen Verhaltens" vorgestellt und ausgeführt: 54 55 56 57 „Selbstverständlich fand Jesus i m V o l k Israel ebenfalls solches D e n k e n vor. Schlimm w i r d diese Denkgewohnheit, w e n n Menschen auch G o t t für die eigene Gemeinschaft in A n s p r u c h nehmen . . . Jesus macht klar, daß G o t t nicht an die G r e n z e n , die die Menschen ihm setzen wollen, gebunden ist. E r ist nicht Parteigänger einer G r u p p e , die sich selbst für auserwählt hält. Sein W i l l e , Menschen z u retten, geht über alle G r e n z e n h i n a u s . " 58 54 Siehe auch Sh. Talmon, Partikularismus und Universalismus aus jüdischer Sicht, Freiburger Rundbrief 28 (1976) 33-36. 55 H . U . v. Balthasar, Zugänge zu Jesus Christus, in: Wer ist Jesus Christus? Freiburg 1977, 15. 56 Vgl. dazu: Judentum im Gespräch. Ein Interview mit Prof. Jakob J. Petuchowski über Perspektiven des christlich-jüdischen Dialogs, in: Herder Korrespondenz 32. Jg. Heft 10 (1978), 498-507 57 Zielfelder ru 5/6, S. 101 (Pharisäer) 58 Botschaft des Glaubens, S. 102. Und etwas weiter wird dann das partikularistische Denken als zurückgebliebenes, befangenes, heilsegoistisches Denken bezeichnet: „ E s ist für Menschen offenbar nicht leicht z u begreifen, daß G o t t das H e i l aller Menschen will und sein Heilswille nicht menschlichen Maßstäben unterliegt. A u c h die J ü n g e r Jesu haben erst nach und nach verstanden, daß Gottes Angebot nicht bei einer auserwählten Gruppe von Menschen, auch nicht bei der Zugehörigkeit z u einem V o l k H a l t macht. E s ist ein weiter Weg, bis Petrus angesichts des Glaubens von R ö m e r n , also Nicht-Israeliten, aus voller Uberzeugung sagt: .Wahrhaftig, jetzt begreife i c h , daß G o t t nicht auf die Person sieht, sondern daß i h m in jedem V o l k w i l l k o m m e n ist, wer ihn fürchtet und tut, was recht ist. ( A p g . 10, 3 4 b - 3 5 ) " ' 59 Es ist gute jüdische Tradition, die i m zitierten Vers der Apg zum Vorschein kommt. Das Denken als Partikularität stand jüdischerseits immer in Balance zum universal handelnden Gott, der das Heil aller w i l l und sich gerade zu diesem Zweck ein Volk erwählt hat. Ein Denken, daß die Dialektik von Partikularismus und U n i versalismus aufgegeben hat, kann i m Partikularen nur den sich begrenzenden Teil, den begrenzten Gott, das begrenzte Heil sehen. Proselyten galten dem Judentum als Söhne Abrahams, und das Institut der „sieben Gebote der Söhne Noachs" erlaubt es dem Judentum sich zu entgrenzen, den „Gerechten unter den Weltvölkern" ihre eigene Tora, ihren je eigenen Weg zum Heil zu belassen. Der losgelöste Universalismus muß notwendigerweise Gedanken der Erwählung zum selbsterwählten Heilsegoismus pervertieren. („Sich selbst für auserwählt hält" [102]). Eine Menschheit, die im wahrsten Sinne des Wortes anfängt kosmopolitisch zu denken, findet „nationales" oder irgendwie partikular geartetes Denken obsolet. „ W i e das Judentum als abzulehnender Partikularismus z u sehen ist, der v o m C h r i s t l i c h e n Universalismus hinter sich gelassen w i r d , so w i r d es auch z u dem, was zeitlich, moralisch und ontologisch transzendiert ist. D a s C h r i s t e n t u m ist das „ N e u e " demgegenüber das Judentum das „ A l t e " . D a s Christentum ist endgültig das N e u e , so kann es selbst niemals veralten . . . D a s Christentum ist das Innere und E c h t e gegenüber jüdischer H e u c h e l e i und Äußerlichkeit. D a das C h r i s t e n t u m sich selbst im Besitz der Inkarnation des vollendeten Seins sieht, gegen das Judentum, das nur Schatten und Antizipation ist, w i r d das Judentum in gewissem Sinn auch bloßer „ S c h e i n " gegenüber dem „ w a h r e n S e i n " . E s ist „ d a s äußere Bild der guten D i n g e , die noch k o m m e n " , die jetzt in C h r i s t u s „ s i n d " . D i e s e Denkweise vereinigt den messianischen Dualismus der Sekten (der z w e i Zeiten) mit dem griechischen von K ö r p e r u n d G e i s t , Werden u n d Sein, E r s c h e i n u n g u n d W e s e n . D a s J u dentum w i r d als der „ a l t e " wie als der „fleischliche" M e n s c h gesehen. A u ß e r d e m soll dieses U r t e i l nicht nur für die Vergangenheit gelten, als U r t e i l über einen angeblich schlechten Zustand des offiziellen Judentums z u r Zeit des N e u e n Testaments. E s w i r d z u r w e i tergehenden historischen Identität des Judentums bis z u m E n d e der Zeit. D i e Juden w e r den in die Vergangenheit u n d auf eine moralisch u n d ontologisch minderwertige E x i stenzweise verwiesen, die ihre andauernde Identität von der Zeit Jesu bis z u m E n d e der Geschichte w i r d (und dann noch zurückprojiziert w i r d als ihre Identität in biblischer Zeit). D a s Christentum überwindet das Judentum historisch, moralisch u n d endgültig-" 60 59 Botschaft des Glaubens, S. 103; vgl. auch Albert Höfer, Religionsbuch 6, Donauwörth, 1974, 40 f. 60 Rosemary Ruether, Nächstenliebe und Brudermord. Die theologischen Wurzeln des Antisemitismus, München 1978, S. 223. 3 Auch die immer wiederkehrenden Hinweise darauf, daß Israel seinen Messias nicht erkannt habe, weil es einen politischen, weltlichen, nationalen Befreier erwartet hat, und nicht den religiösen Weltenheiland, arbeiten mit der dualistischen Spaltung von religiös und profan, Universum und Pars als Volk, Nation. Da sich die dialektische Spannung schon früh in Dualismus auflöste, wurde aus der „Kirche aus Juden und Heiden" sehr bald die „Kirche Jesu Christi" und die „Synagoge des Satans". Wenn es der Kirche heute gelänge, ihre eigene Partikularität zu erkennen und trotzdem nicht ihre eschatologische Ausrichtung auf das Universale aufzugeben, sondern neu zu gewinnen, hätte sie sich eines alten parallaktischen Sehfehlers entledigt und vermöchte den anderen partikularen Bruder in eben seiner gleichen eschatologischen Ausrichtung auf das Universale eher zu sehen.