2. September 2016 GrauSchumacher Piano Duo Manoury: Le temps, mode d‘emploi Isabelle Faust Nono: La lontananza Berliner Festspiele in Zusammenarbeit mit der Stiftung Berliner Philharmoniker Berliner Festspiele 1 Berliner Festspiele in Zusammenarbeit mit der Stiftung Berliner Philharmoniker Bildnachweise Titel:Caspar David Friedrich, „Wanderer über dem Nebelmeer“, 1818 S. 8Philippe Manoury, „Le temps, mode d’emploi“, Ausschnitt aus der Partitur © Philippe Manoury und Durand, Salabert, Eschig S. 11Venedig 1975, Foto: Paolo Monti, Wikimedia Commons S. 17 Bodenstruktur © Dieter Wendland S. 22Philippe Manoury © Philippe Stirnweiss S. 23Luigi Nono 1979, Niederländisches Nationalarchiv, Foto: Fernando Peirera, Wikimedia Commons S. 24Isabelle Faust © Felix Broede S. 26GrauSchumacher Piano Duo © Dietmar Scholz S. 27 André Richard © Klaus Fröhlich Musikfest Berlin 2016 Freitag, 2. September, 19:00 Uhr und 21:30 Uhr 5 Konzertprogramm 6 Thomas Meyer: Zeit-Spiel-Räume (Manoury) Luigi Nono: La lontananza 14 Lydia Jeschke: Momente von Unmittelbarkeit (Nono) 20 Interview mit Isabelle Faust 22 Komponisten 24 Interpreten 32 Musikfest Berlin 2016 im Radio und Internet 34 Musikfest Berlin 2016 Programmübersicht 36 Impressum 3 12 Weitere Texte und Beiträge zum Musikfest Berlin lesen Sie im Blog der Berliner Festspiele: blog.berlinerfestspiele.de 4 Bitte schalten Sie Ihr Mobiltelefon vor Beginn des Konzerts aus. Bitte beachten Sie, dass Mitschnitte und Fotografieren während des Konzerts nicht erlaubt sind. Programm Freitag, 2. September 19:00 Uhr Kammermusiksaal Dauer: ca. 50 Minuten Philippe Manoury (* 1952) Le temps, mode d’emploi für zwei Klaviere und Live-Elektronik (2013/14) GrauSchumacher Piano Duo Andreas Grau / Götz Schumacher Klaviere Philippe Manoury / Thomas Goepfer Live-elektronische Realisierung Eine Veranstaltung der Berliner Festspiele / Musikfest Berlin Freitag, 2. September 21:30 Uhr Kammermusiksaal Dauer: ca. 50 Minuten Luigi Nono (1924 –1990) La lontananza nostalgica utopica futura für Solovioline und Tonbänder (1988) Isabelle Faust Violine André Richard Klangregie Entstehungszeit: 1988 Auftraggeber: Berliner Festwochen 1988 Uraufführung: 3. September 1988 im Rahmen der Berliner Festwochen mit Gidon Kremer (Violine), dem Experimentalstudio der Heinrich Strobel Stiftung des Südwestfunks, Hans-Peter Haller und Luigi Nono (Klang­regie) sowie Bernd Noll, André Richard, Rudolf Strauss, Alvise Vidolin. Widmungsträger: Salvatore Sciarrino („A Salvatore Sciarrino ‚caminante’ esemplare”) Eine Veranstaltung der Berliner Festspiele / Musikfest Berlin 5 Entstehungszeit: 2014 Auftraggeber: Kompositionsauftrag des Experimentalstudios des SWR, des WDR, der Wigmore Hall London, des Wiener Konzerthaus und der Stadt Witten, finanziert durch die Ernst von Siemens Musikstiftung mit Unterstützung des Deutsch-französischen Fonds für zeitgenössische Musik / Impuls neue Musik. Uraufführung: 11. Mai 2014 in Witten, Wittener Tage für neue Kammermusik, GrauSchumacher Piano Duo und Experimentalstudio des SWR Widmungsträger: GrauSchumacher Piano Duo Essay Zeit-Spiel-Räume 6 Philippe Manoury Le temps, mode d’emploi für zwei Klaviere und Live-Elektronik Gebrauchsanweisungen sind nützlich, aber auch etwas lästig, denn sie nehmen uns den Stolz, selbst mit etwas fertig zu werden. Glücklich also, wer ohne auskommt. Wenn nun ein Künstler sein Werk als eine Gebrauchsanweisung bezeichnet, kann eigentlich nur Ironie dahinter stecken. Der Schriftsteller Georges Perec etwa, ein Meister aus der experimentierfreudigen Oulipo-Gruppe, verwendete das Wort, als er 1979 ein Buch „La vie, mode d’emploi“ („Das Leben. Gebrauchsanweisung“) betitelte und darin kapitelweise und äußerlich recht schematisch ein Haus, seine Zimmer und seine Bewohner an einer fiktiven Pariser Adresse beschrieb. Er fügte dem Text verschiedene „erklärende“ Register als (Des-) Orientierungshilfe bei. Das wird man nun bei diesem Werk des französischen Komponisten Philippe Manoury vermissen. „Le temps, mode d’emploi“ kennt keine Orientierungshilfen, allenfalls ist der Titel eine, insofern er darauf hinweist, dass die Zeit hier anders verwendet wird. Wer die Besetzung – zwei Klaviere mitsamt Live-Elektronik – sieht, wird sich vielleicht an ein epochales Werk von Karlheinz Stockhausen erinnert fühlen: „Mantra“ für zwei Klaviere und Ringmodulation aus dem Jahr 1970. Tatsächlich gibt da mehr als nur eine fundamentale Übereinstimmung, wobei wir freilich in die Jugendzeit Manourys zurückkehren müssen. Philippe Manoury, geboren 1952 in Tulle (Limousin), also in der Provinz, war zunächst begeistert von spätromantischer Orchestermusik, von Richard Wagner, Richard Strauss und Gustav Mahler. Langsam nur näherte er sich als Jugend­ licher der Moderne an und entdeckte unter der Anleitung des SchönbergSchülers Max Deutsch in Paris die Musik der Wiener Schule. Zu seinem persön­ lichen „Woodstock“, wie er sagt, wurden Stockhausens allwinterliche Pariser Konzerte zu einem Ort der inneren Befreiung, gerade auch im Umgang mit elektronischer Musik, die ihn als Komponisten, Forscher und Dozenten sein weiteres Leben begleitete. Karlheinz Stockhausen, so pflegt er zu sagen, sei für die elektronische Musik, was Claudio Monteverdi für die Oper war. Er habe sie nicht erfunden, aber als erster eine Vision entwickelt. Damals, in den frühen 70ern, entdeckte Manoury eben „Mantra“, dieses Schlüsselwerk für die live-elektronische Musik (etwa auch für die Arbeit des Experimentalstudios des SWR). Im Vergleich mit der heutigen Technik mag es „rudimentär“ wirken, wie hier der Klavierklang über zwei Sinusgenerationen und Ringmodulation verändert wurde – und doch war es eine Initialzündung, denn seine Auffassung der elektronischen Musik, so Manoury, sei sehr eng mit dem Interpreten verbunden. Seine ersten Versuche mit Elektronik in den 70er Jahren Essay „Le temps, mode d’emploi“ ist also mit dem Hinweis auf Stockhausens „Mantra“ auch eine Gebrauchsanweisung für den Umgang mit Zeit. Das Ohr muss ständig zwischen unterschiedlichen, manchmal parallel ablaufenden „Zeitlichkeiten“ hin und her switchen. Das Stück, so Manoury, sei „ein großes musikalisches Fresko über verschiedene Arten, Zeit auszudrücken: kontemplative und aktive 7 hatten ihn enttäuscht, er fand es traurig, dass man bei den Tonbandkonzerten nur die Lautsprecher sehen konnte. Bei „Mantra“ hingegen agierten die Musiker, das Ergebnis lebte. Von dort ausgehend experimentierte er mit der Interaktion zwischen Elektronik und Live-Performance. „Für mich drückt sich Musik durch ein Medium, durch den Interpreten, aus.“ Und so finden sich in seinem Werkverzeichnis auch kaum rein elektronische Stücke. Er glaubt an das Konzert­erlebnis. „Mantra“ wurde so zur Offenbarung bzw. zum Schock; „une onde de choc“, wie Manoury sagt. Zum einen wurden so neue Klänge möglich – der „natürliche“ Klang wird über die Elektronik ja transformiert, verfremdet, zum Beispiel hin zum Glockenähnlichen. Zum anderen wird der Klang verräumlicht – bei „Le temps, mode d’emploi“ sind die sechs Lautsprecher rund ums Publikum postiert. Die Elektronik kombiniert die beiden Klaviere mit vier weiteren virtuellen In­ strumenten und einem „sehr ausgeklügelten System von Synthesen, Klangverarbeitung und Klangaufspaltungen“, so dass ein Ensemble von sechs Klavieren entsteht. Als wesentliches Drittes aber – und von daher rührt der Titel – kommt ein neues Zeitverständnis hinzu, dadurch, dass die Elektronik die transformierten Töne live bzw. gleichzeitig, en temps réel/in Echtzeit wiedergibt. Damit kann man nun zu spielen und zu gestalten beginnen, über Verzögerungen etwa, Beschleunigungen und Verlangsamungen. Die Zufallsoperationen des Computers bringen eine gewisse Unvorhersehbarkeit mit sich. In „Le temps, mode d’emploi“ setzt Manoury zum Beispiel an bestimmten Stellen sogenannte Markow-Ketten ein, stochastische, auf Wahrscheinlichkeitskalkülen basierende Prozesse. Die Ergebnisse seien dadurch zwar weitgehend kontrollier- und wiedererkennbar, aber doch jedes Mal anders. Solches Arbeiten mit Live-Elektronik ist im wahrsten Sinne experimentell. „Wichtig ist, das Experiment zu akzeptieren.“ erklärte Manoury einmal im Gespräch: „Man kann diese Musik nicht wie ein normales Instrumentalstück komponieren. Wenn ich ein Orchesterwerk schreibe, brauche ich nur Papier, Bleistift, Radiergummi und mein Gedächtnis, denn ich weiß, wie das Orchester klingt. Bei der Elektronik aber kann ich mich nicht auf mein Gedächtnis verlassen, hier muss ich am Klang selbst experimentell arbeiten.“ 8 Essay Gewiss braucht es dafür keine weitere Hörhilfe, aber gute Gebrauchsanweisungen zeigen uns ja auch noch weitere Möglichkeiten im Umgang mit Geräten auf – sie fordern auf, Weiteres zu entdecken. „Le temps, mode d’emploi“, 2013/14 komponiert und 2014 in Witten uraufgeführt, ist „in acht Abschnitte gegliedert, die innerhalb einer Großform direkt aufeinander folgen und reagieren“. Jeder Abschnitt verlangt einen etwas veränderten Hörzugang. Einige sind durch starke Gesten (akkordische Blöcke, dahinrasende Passagen, Glissandostürme) geprägt, aber im ruhigeren zweiten Teil erscheinen etwa auch kurze Dreiklangmotive, denen das Ohr folgt, ohne sie freilich je fixieren zu können. In späteren Abschnitten werden Verläufe, die sich allmählich ausgedehnt haben, auf einmal durch harte Interventionen beschnitten, gekappt, aufgebrochen, so dass das Ohr im Zeiterleben, in dem es sich einmal niedergelassen hatte, aufgestört wird. Die Störelemente nehmen vielleicht sogar einen immer größeren Platz ein. Und schließlich: Was lässt uns spüren, dass etwas zu Ende gehen wird? Das Nachlassen der zuvor so enormen Spannkraft, das Abstürzen, das Sich-Auflösen der Musik, das Loslassen der Zeit …? So werden in den acht Teilen Prozesse initiiert, variiert, umgebogen. In dieses Zeitstück spielt auch eine dramatische Ebene hinein. Die Konstruktionen drohen manchmal zu explodieren. Strenge und Chaos stehen nebeneinander. Anhand seines Orchesterstücks „Sound and Fury“ („Klang und Wut“) beschrieb er die 9 Zeit, verzögerte und echte Zeit, kontinuierliche und unterbrochene, heterogene oder homogene, geglättete oder gerippelte, pulsierende, aufgehobene, wiederaufgenommene, zirkuläre, gekrümmte Zeit …“ Darin agieren / reagieren auch die Musiker – Echtzeit also nicht nur in der Live-Elektronik, sondern auch im Spiel der Musiker. Die Zeit oder besser: der Umgang mit ihr wird wesentlich, wie ein Blick in die Partitur zeigt: Da gibt es nicht nur die üblichen Takt-, sondern auch ständige Tempowechsel mit manchmal unterschiedlichen Metronomzahlen für die beiden Klaviere. Außerdem wechseln Passagen, die exakt im Takt gespielt werden sollen, mit sogenannt taktlosen („non mesuré“) ab, die dem Interpreten eine mehr oder weniger große Freiheit im Rubato und in der Gestaltung lassen. Dadurch kann sich die Zeit ausdehnen oder zusammenziehen, kann sie sich öffnen oder strukturieren oder perforieren (rippeln), wenn Löcher entstehen. Die Elektronik folgt dem Spiel der Interpreten, beeinflusst es aber auch. Aus dem Moment heraus entsteht ein Dialog, was die Lebendigkeit der Aufführung ausmacht. Auf elastische und gut durchhörbare Weise werden kontinuierliche und diskontinuierliche, fragmentierte und freie, gedrängte und entspannte Zeit­ formen übereinandergelegt, wobei Manoury die Wahrnehmungsweisen unterscheidet: „Die physische oder musikalische Zeit, aber auch die psychische Zeit. Zeit ist nicht nur ein Gefäß, das unser Leben sowie unsere Taten und Wahrnehmungen umfasst; sie kann ihre eigene Struktur haben, eine Art Umhüllung, die ihren Ausdruck auf uns hinterlässt.“ Und die Musik könne das eben seit jeher viel besser ausdrücken als irgendein anderes Medium. An diesen zeitlichen Organisationen arbeitet Manoury. 10 Essay Grundvaleurs seiner Musik: Zum einen ein Gespür für die Sinnlichkeit der Klänge, auch in ihrer Raumwirkung; zum anderen eine zuweilen sehr heftige Expressivität. Das Stück, so schreibt der Komponist, entwickle sich in einem Prozess „hin zu heftigeren, erregteren Strukturen voller Wut, die momenteweise durch eine immer ‚wildere‘ musikalische Übersättigung geprägt seien. Diese Heftigkeit ist indessen, wie immer bei mir, völlig durchorganisiert, sei es ausgehend von einem Wachsen oder Wuchern eines klar strukturierten Grundmaterials, sei es durch das plötzliche Einbrechen eines Elements, dessen Auftritt nichts in diesem Kontext zuvor erahnen ließ. Es ist, so hoffe ich, eine auskomponierte Gewalt­ tätigkeit.” Das gilt auch für „Le temps, mode de emploi“, ein Stück, das wie einige historische Vorbilder im Genre für zwei Klaviere, zum Beispiel Ludwig van Beethovens Bearbeitung der „Großen Fuge“, Max Regers „Variationen und Fuge“ über ein Thema von Beethoven, Ferruccio Busonis „Fantasia contrappuntistica“, Pierre Boulez‘ „Structures I und II“ oder eben „Mantra“, einen Zug zur monumentalen Architektur, aber auch zum allesverschlingenden Ausbrechen hat. Mit Gebrauchsanweisungen ist da nicht mehr viel auszurichten, es geht Manoury gerade um die Grundfrage (immer wieder), wie aus einer sehr rationalen Konstruktion etwas Irrationales entstehen könne, das chaotisch und heterogen ist? Er vergleicht diesen Kontrast mit dem zwischen den beiden Philosophen Hegel und Nietzsche: Der eine gehe vom System aus, der andere vom Rausch, obwohl das System seinerseits rauschhaft sei. So lasse sich das Delirium konstruieren. Gerade dieses Stück für zwei Klaviere, eine weite, über fünfzigminütige Klangarchitektur, ist dank der Live-Elektronik auch ein gewaltiger Klangrausch, ein faszinierendes Geläute. Thomas Meyer 11 Gedicht La lontananza nostalgica utopica futura mi è amica e disperante in continua inquietudine. Le rare qualità dei suoni inventati da Gidon fanno suonare i vari spazi della Kleine Philharmonie. Come gli articolati spazi Voci di tanti „Caminantes”. 12 della Kleine Philharmonie offrono altri spazi per i suoni originali di Gidon: lontani – vicini – incontri – scontri – silenzi – interni – esterni – confilitti sovrapposti. Nastri magnetici come voci di madrigali si accompagnano al violino solista e al live electronics. Nessuna elaborazione o trasformazione: i suoni di Gidon sono originali. tre giorni di registrazione pura allo Studio Sperimentale S.W.F. di Freiburg. Ascolti infiniti – tentativi di scelte per affinità elettive vari sentimenti compositivi voce per voce. come gli antichi fiamminghi immaginifici. E Gidon si abbandona ai vari spazi con altra scrittura-invenzione. E li abbandona. Luigi Nono Venezia, 25.7.88 Text Luigi Nonos anlässlich der Uraufführung des Werks am 3. September 1988 im Kammermusiksaal der Phiharmonie. Auftragswerk der Berliner Festwochen Gedicht Die nostalgisch-utopische zukünftige Ferne ist mir Freundin und Verzweifelnde zugleich In fortwährender Unruhe. Die seltene Qualität der von Gidon erfundenen Klänge. Sie lassen die verschiedenen Räume der Kleinen Philharmonie erklingen. Stimmen so vieler „Wanderer“. Tonbänder gesellen sich den Stimmen der Madrigale gleich zu Solovioline und Live-Elektronik Keine Verarbeitung oder Transformation: Die Klänge von Gidon sind original. Drei Tage lang nichts als Aufnahmen Im Experimentalstudio des SWF in Freiburg. Hören ohne Ende – Versuche durch Wahlverwandtschaften auszuwählen– Manigfaltige kompositorische Gefühle Stimme für Stimme Wie die imaginativen alten Niederländer. Und Gidon verliert sich in diesen verschiedenen Räumen mit anderer Schrift, „Erfindung“. Und er verlässt sie. Übertragung: Helga von Kügelken für die Uraufführung des Werks am 3. September 1988 im Kammermusiksaal der Philharmonie, Auftragswerk der Berliner Festwochen 13 Wie die gegliederten Räume der Kleinen Philharmonie den originalen Klängen von Gidon andere Räume eröffnen: der Ferne – der Nähe – der Begegnungen – der Zusammenstöße – der Stille des Innen – des Außen der sich überlagernden Konflikte. Essay Momente von Unmittelbarkeit Luigi Nonos „La lontananza nostalgica utopica futura“ 14 Hörmoment I: Venedig, ein vernebelt dunkler Januarabend Mitte der 1990er. Wenige Jahre nach dem Tod des Komponisten ist das Archivio Luigi Nono, das seinen künstlerischen Nachlass verwalten soll, noch im Aufbau. Wenn es nicht regnet, sind wir mit der Sackkarre über den Giudecca-Kanal und dann quer durch die Stadt zum Banktresor unterwegs – Nuria Schoenberg Nono, Erika Schaller und ich, mit unserer überschaubaren Muskelkraft und schwerer Fracht stets etwas abschätzig beäugt von den umstehenden, vor allem männlichen Venezianern – , um nach und nach die zu Paketen verschnürten Skizzen in die Archivräume zu bringen, sie zu sortieren, zu studieren und zu erfassen. Jede neue Paketladung bringt neue Entdeckungen, gibt neue Rätsel auf, stellt Fragen und beantwortet andere. Luigi Nono, das wird schnell klar, war kein Vorordner des Eigenen, keiner, der schon zu Lebzeiten an die spätere Forschung zu seinem Œuvre gedacht oder sie schon in bestimmte, möglichst fehlerresistente Bahnen gelenkt hätte. Und so ist es eine Art Entdeckungsreise mit nur sehr ungefähren Haltepunkten, auf der wir deutschen und italienischen Musikwissenschaftlerinnen uns damals, in dieser frühen Phase der Archivierung befinden. Die Tage im Archiv sind entsprechend: ruhig-konzentriert und aufregend zugleich, sie sind meistens lang und vergehen doch wie im Flug. Aus dem Abend dieses speziellen Tages im Januar aber ist Nacht geworden. ­ uria Nono, Erika, die spätere langjährige wissenschaftliche Leiterin des Archivs, N und weitere Besucher des Archivio Nono haben sich verabschiedet. Ich bin, während vor dem Fenster noch die Lichter einzelner größerer Schiffe kon­tem­plativ-unscharf den Hafen durch den Kanal verlassen, noch in eine Recherche vergraben. Und so ist die Entdeckung dieses Tages, dieser Nacht, eine ebenso zufällige wie intensive, denn auf der Suche nach Klangmaterial zum zentralen Werk in Nonos spätem Schaffen, zur Hörtragödie „Prometeo“, finde ich eine Dat-Kassette mit dem Mitschnitt einer frühen Aufführung von Nonos spätestem Spätwerk: „La lontananza nostalgica utopica futura“. Gidon Kremer und Luigi Nono sind die Interpreten an Violine und Mischpult, viel mehr gibt die Beschriftung nicht preis. Ist es die Berliner Uraufführung von 1988 oder die kurz später revidierte Version? Ich aktiviere die Lautsprecher. Vielleicht liefert die winternächtliche Dunkelheit auf der schlafenden Giudecca-Insel den richtigen Rahmen, vielleicht spielt auch die Überraschung der Sinne eine Rolle, darüber, dass in die große Stille des Archivs plötzlich überhaupt etwas klingt – jedenfalls scheinen sich,in der nun folgenden Stunde Musik, verschiedene Räume und Zeiten einander zu überlagern, zu kommentieren, zu verdichten und gelegentlich Essay Überlagerung und Wanderung „La lontananza nostalgica utopica futura“ basiert auf Klängen, die Nono im Februar 1988 im Freiburger Experimentalstudio des SWR aufzeichnete: Er bat den Geiger Gidon Kremer, den er wenige Monate zuvor kennengelernt hatte, vor den Mikrofonen zu improvisieren. Aber es gibt auch einen Berliner Zu­ sammenhang in der Entstehung des Stücks: Zwischen 1986 und 1988 hat Luigi Nono größtenteils in Berlin gelebt. Er war nicht nur Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD (1986/87), sondern auch Fellow am Wissenschaftskolleg und hat an der damaligen Hochschule der Künste Isang Yun als Gastprofessor vertreten. Die Frage des räumlichen Hörens, die Beziehung zwischen Komposition, Rezeption und den architektonischen Gegebenheiten der konventionellen Konzertsäle, haben ihn zu dieser Zeit sehr beschäftigt. Überlegungen dazu, aber auch zur Ortsspezifik des Kammermusiksaals der Philharmonie sind in die Raum-Konzeption von „La lontananza“ eingeflossen, das als Auftragswerk der Berliner Festwochen dort 1988 im Rahmen der Komponistenportraits der Berli­ ner Festwochen uraufgeführt wurde. 15 auszuhebeln. Es entsteht einer dieser seltenen Momente von Unmittelbarkeit, in denen Vergangenes und Zukünftiges präsent (eben: Präsenz) werden. Nonos Musik wandert beredt zwischen seinen aufgeschlagenen Skizzen und Büchern – oder ist es der Geiger, der in der Aufnahme hörbar die Richtung und Entfernung wechselt? Was geschieht wo? Studio, Aufführungsraum und Abspielstätte, Klang­archiv und Forschungsort, aufgezeichnete, verarbeitete und aktuelle Klänge und Geräusche werden bald so ununterscheidbar, dass ich mich (als einzige Person im Raum) unwillkürlich angesprochen fühle, als in der Aufnahme plötzlich jemand redet. Was geschieht wann? Die Musik erinnert, fern, an weit zurück liegende Zeiten, kommt gleich darauf in fast beängstigende Nähe, akustisch und stilistisch. Sie überblendet beides in einer mehrfachen, mehrdeutigen Perspektive, so als wäre auch die Hörerin einer anderen Zeit, an einem anderen Ort, schon miteinkomponiert. Ein besonderer Musik-Moment sicherlich. Das alles aber hat nicht nur mit der damaligen venezianischen Nacht und dem persönlichen Hörerlebnis zwischen dem noch unsortierten und daher beinahe undistanzierten Nachlass zu tun. Sondern auch sehr viel mit der Struktur und dem Aufbau dieser Komposition. Überlagerung, Korrespondenz und Variabilität sind darin wichtige Stichworte. 16 Essay Das Material aus der mehrtätigen Session mit Gidon Kremer: Fragmente aus traditionellem Repertoire, einzelne Geigentöne, Phrasen, Klangexperimente, aber auch Arbeitsgeräusche, Schritte, Poltern, Gesprächsfetzen, wurde später mit elektronischen Mitteln verarbeitet. Tonhöhen wurden verändert, Klänge gefiltert oder verzögert, mit anderem Nachhall versehen, räumlich neu verteilt. So entstanden insgesamt acht Zuspiel-Spuren, deren Texturen André Richard grob klassifiziert in: „sehr dicht überlagertes harmonisches Material“ (1 und 2), „Originalklänge verschiedener Spielweisen, einzelne Töne und Quinten“ (3 und 4), „Stimmen, Worte, Geräusche von Türen, Stühlen usw., auch Violinklänge“ (5 und 6) und „melodisches Material hoch klingend, Flageolettmelodien, schnelle Tremoli, springender und geworfener Bogen“ (7 und 8). Die damals von Gidon Kremer eingespielten Klänge sind also durch Nonos Verarbeitung im Studio einander überlagert worden, zugleich neu kombiniert und gruppiert. Die daraus entstandenen Zuspiele (alle acht Spuren sind so lang wie die maximale Aufführungsdauer des Stücks: gut eine Stunde) sind aber selbst wiederum Material, das den aktuell im Konzertsaal gespielten Geigenklängen überlagert werden kann. Die Kombinationsmöglichkeiten sind unzählig: Welche Spur(en) wir in welcher Dynamik an welcher Stelle hören, bleibt der Entscheidung des Klang­ regisseurs überlassen, auch: aus welchen Lautsprechern im Saal sie klingen. Wann die live gespielte Violine in den verschiedenen Abschnitten hinzutritt, ist Sache des Geigers oder der Geigerin. Die Geigenstimme verteilt sich auf insgesamt sechs Abschnitte. Nono bezeichnet sie in den Noten als sechs „leggii“, also „Lesepulte“ oder „Notenständer“, nicht einfach „Teile“ oder „Sätze“. Damit verweist er auf die Grunddisposition des Violinparts als im Raum wandernd. „Madrigale per piú ‚caminantes‘ con Gidon Kremer“ lautet der Untertitel des Stücks – Madrigal also für mehr ‚Wanderer‘. Auf Nonos Faszination für das Umherwandern, die mehr oder weniger alle seine Werke in den 1980er Jahren beeinflusst, ist oft hingewiesen worden. Das spanische Wort „caminante“ weist direkt auf die Verse des Dichters Antonio Machado, die Nono auf einer Mauer in Toledo entdeckte: „Caminante, son tus huellas el camino, y nada más (...)“ – „Wanderer, deine Spuren sind der Weg, sonst nichts (...)“ und die zu Titelworten mehrerer Kompositionen werden. Der zentrale Aspekt, den Nono von Machado übernimmt (zunächst offenbar, ohne den Autor der Zeilen zu kennen), ist der der nicht zielgerichteten Bewegung, der wandernden Bewegung als Zweck und Aussage selbst. Und so ist auch die Violinist*in in Nonos beiden letzten Werken, „La lontananza nostalgica utopica futura“ und dem daraus hervorgehenden Violinduo „Hay que caminar sognando“, angewiesen, sich während der Aufführung umherzubewegen, nicht zielsicher, sondern suchend, tastend, den Weg zwischen den Stationen der Notenpulte als Teil des Geschehens zelebrierend. Konkret heißt es in der Geigenstimme zu „La lontananza am Ende des ersten Abschnitts: „cammina lentamente con improvvise fermate come e cercando e andando verso il II. leggio“ („wandere langsam mit plötzlichen Halten wie suchend und gehend zum Essay 17 II. Notenpult“, Hervorhebung im Original). „Quasi incerto“ („gleichsam unsicher“) heißt es an späterer Stelle, und der letzte Ortswechsel nach Abschnitt fünf soll (nunmehr ohne „als ob“-Einschränkung) tatsächlich „vagando incerto“ („unsicher umherirrend“) geschehen. Die Notenpulte mit den sechs Abschnitten werden im Raum verteilt, die Abstände zwischen ihnen sind in jedem Aufführungsraum neu zu definieren. Damit die Wege nicht doch allzu vorhersehbar werden, wählt der Solist nicht die kürzesten Verbindungen, die ihn alle Pulte erreichen lassen, sondern kreuzt den Raum möglichst mehrmals. Zusätzlich sieht Nono zwei bis vier weitere Notenpulte vor, die aufgestellt, aber letztlich vom Spieler nicht genutzt werden – als unausgeschöpfte Richtungen und Haltepunkte der Wanderungen sozusagen. Sollte sich der Solist tatsächlich in dieser unübersichtlichen Disposition verirren, wäre es Teil des Spiels. Essay 18 Variabilität und Korrespondenzen „Il suono va e viene“ („der Klang geht und kommt“), heißt es in „leggio II“, am zweiten Notenpult der Komposition. „Interrotto“ soll das Spiel der Geiger*in sein, „unterbrochen“, und „niemals statisch“ („mai statico“). Der räumlichen Vagheit des Klangs steht dort die der Tongebung gegenüber. Auch in den Tonhöhen: in mehreren Abschnitten findet sich die Aufforderung, den Ton zu variieren: um Mikrointervalle, die kleiner als ein Sechzehntelton sind. Häufig wechselnde Bogentechniken zwischen Spiel mit Bogenhaaren oder -holz, zwischen Strich an „normaler“ Stelle oder auf dem Steg erreichen einen ähnlichen Effekt. Oft irisieren die Klänge in Flageolett-Höhen oder sie hauchen mehr, als dass sie klingen, im vielfachen pianissimo („leggio III“). Kommen und Gehen bestimmen die Ak­tionen der Solist*in, die sich nacheinander den verschiedenen Notenpulten nähert. Tempo und Wegstrecke beeinflussen jeweils die Abstände zwischen den live gespielten Abschnitten. Auch innerhalb dieser Abschnitte gibt es flexibel zu gestaltende Fermaten und Pausen. Das alles trifft sich mit den Gestaltungsmöglichkeiten des Klangregisseurs, der zwar das Zuspiel nicht anhält, aber die gesamte Aufführung hindurch bestimmt, welche Spur wann wo klingt – und auch, ob überhaupt etwas zu hören ist. Wie in der Violine ist auch im Zuspiel Schweigen möglich. „La lontananza nostalgica utopica futura“ für Violine und Elektronik ist Kammermusik. Damit sie gelingt, müssen die beiden Interpreten an den Reglern und der Geige in ein sehr sensi­ bles Wechselspiel eintreten, müssen auf die spontanen Entscheidungen des jeweils Anderen musikalisch reagieren. Wenn das gelingt, ergeben sich faszinierende Korrespondenzen in verschiedenen Schichten: Die aufgezeichnete Violine korrespondiert mit der live gespielten, der Aufführungsraum mit dem der Studioproduktion, die damalige Situation mit all ihren „Nebengeräuschen“ mit der des Konzerts (mit seinen eigenen unvorhergese­henen Nebenklängen). Hörmoment II: Amsterdam, der laue Abend eines strahlenden Frühsommertages im Juni 2014. In einem umgebauten Gashouder findet im Rahmen des Hollandfestivals ein Schwerpunktwochenende mit Werken Luigi Nonos statt. Vier große Konzerte und ein Nono-Kongress liegen bereits hinter uns, nun wartet auf die etwas erschöpften Hörer noch ein Nachtkonzert mit dem Geiger Irvine Arditti und dem Klangregisseur André Richard. Die Probe zu „La lontananza ...“, zeitlich gedrängt wenige Stunden zuvor, ist mehr eine letzte Sondierung des riesigen runden Saals, ein Verifizieren der geplanten Standorte und Wanderwege. Die Lautsprecher sind eingerichtet, die Interpreten aufeinander eingespielt, bereits 1992 erschien eine CD-Produktion mit Arditti / Richard und diesem Werk, zahlreiche Aufführungen folgten. Essay Lydia Jeschke 2016 19 Routine? Das Gegenteil ist der Fall. Was folgt, im dunklen Rund des atmosphärisch besonderen Ambientes, ist eine Begegnung als Grenzgang. Hörbarkeitsschwellen werden erreicht und überschritten, die Positionen der Lautsprecher und des Geigers nicht nur an verschiedenen Seiten des Saals, sondern durch Gerüstkonstruktionen mit Podesten auch auf verschiedenen Höhenebenen in der riesigen Kuppel, lassen die Versuche einer Ortung der Klänge ins Imaginär-Visionäre übergehen: „utopica“ hatte Nono nach der Uraufführung als zusätzlichen Begriff in seinen Werktitel eingefügt. Wieder ist es ein besonderer Moment des Hörens, sommernächtlich in Amsterdam. Aber es ist, verglichen mit demjenigen zwanzig Jahre zuvor, zugleich auch die Dokumentation eines Paradigmenwechsels. Aus dem intimen Dialog des Komponisten mit dem Geiger der Uraufführung und dem dieser beiden mit sich selbst ist ein Musikstück geworden, das sich interpretieren und zwischen Nono / Kremer und den aktuellen Interpreten wieder neue Korrespondenzen entstehen lässt. Interpret*innen wie Isabelle Faust werden wiederum eigene und andere Zugänge finden. Intim ist das Werk immer noch, und jedes Mal anders – ein Stück für den Zauber des Moments. Man möchte ihn festhalten. Als kennte sie diesen Wunsch, greift die Elektronik ein einziges Mal im Stück direkt auf den live gespielten Geigenklang zu. Dann nämlich, wenn die Solistin, ihren letzten Ton spielend, den Raum verlassen hat und dieser feine Ton uns im Saal doch scheinbar noch erhalten bleibt: utopica. Interview La lontananza nostalgica utopica futura Isabelle Faust über Luigi Nonos Werk für Solovioline und Tonbänder 20 B: Ist Luigi Nonos „La Lontananza nostalgica utopica futura“ Ihre erste Begegnung mit der Musik Nonos? Faust: Ich habe Luigi Nonos Musik erstmals ganz bewusst mit dem LaSalle Quartet erlebt. Damals war ich 11 oder 12 Jahre alt und nahm mit meinem Streichquartett an den Meisterkursen in Basel teil. Die Interpretation des LaSalle Quartets von Luigi Nonos Streichquartett „Stille, an Diotima“ war spektakulär, und das hat mich damals schon sehr beeindruckt. Später habe ich dann Nonos „Varianti“ für Violine und Orchester sehr gerne gespielt. B: Wie geht Nono in diesem Stück mit der Geige um? Gibt es da Momente, die ganz besonders sind, die Sie besonders anziehen? Faust: Die Violine tritt in diesem Stück in einen Dialog mit der Musik von den Tonbändern. Diese werden vom Klangregisseur spontan ein­ gesetzt, je nachdem, welche der acht Tonspuren zu welcher Art von Geigenspiel im jeweiligen Moment besonders gut passt. Die Violine erfüllt dabei eine deklamierende, dia­logisierende, monologisierende und reagierende Rolle. Und obwohl sie einem vollständig ausnotierten Notentext folgt, kommt sie nicht umhin, die die Tonbandklänge und das, was sich um sie herum ereignet, auf sich wirken zu lassen, davon brüskiert oder geschmeichelt zu werden, in Einklang oder Zwiespalt damit, reflektierend oder konstruktiv damit umzugehen. Es geht hier um echte Kammermusik, und nicht um einen Solopart und „8 Tutti-Spieler“. Geiger und Tonbandmusik beein­ flussen sich gegenseitig, manchmal sind sie sogar nicht mehr vollständig auseinander zu halten. Trotzdem folgt die Solovioline ihrem vorgegebenen, einsamen Weg, ohne sich davon abbringen zu lassen und entschwindet am Ende den Raum­klängen, in denen der Geiger auf das hört, was im Raum um ihn herum passiert und den richtigen Moment abwartet, um darauf zu antworten, während der Klang­regisseur scheinbar genauso in „Lauerstellung“ verharrt, um einen unerhörten Moment der Einheit zu kreieren. B: „La lontananza nostalgica utopica futura“ – Welchen Assoziationsraum eröffnet dieser Titel für Sie? Faust: Für mich steht dieser Titel für eine unerfüllte Suche nach dem Weg in eine un­erreichbare, bessere Welt. Bei der Aufführung dieses Werkes wird das Unerreichbare dieser Suche meiner Ansicht nach sehr spürbar gemacht, ebenso die subtilsten unterschied­lichen Zustände, in die die Inter­preten und auch das Publikum geraten: Zwischenwelten, psy- Interview chologische „Aggregatzustände“. In „Lontananza“ ver­körpert die Musik Aufbruch, Suche, Ziellosigkeit. Der Widmungsträger Salvatore Sciarrino, Schüler Nonos, interpretiert den Titel als ästhetische Metapher: „Indem die Vergangenheit durch die Gegenwart reflektiert wird (nostalgica), bringt sie eine kreative Utopie hervor (utopica); die Sehnsucht nach dem Bekannten wird zum Vehikel für das Mögliche (futura) durch das Medium der Entfernung (lontananza).“ B: Wie treten Sie in Interaktion mit diesen Klängen vom Tonband, die ja geprägt sind vom Spiel Gidon Kremers und natürlich von der Handschrift Nonos? Faust: Ich finde es extrem spannend, den Raum in allen akustischen Varianten zu erforschen und zu erkunden. Zudem kommt die LiveElektronik ja auch ständig aus an­ deren Ecken des Raumes, was die Geigerin oder den Geiger unablässig in andere Relationen setzt, der Wanderer muss sich permanent in Frage stellen und neu orientieren. Für das Publikum ist es nicht anders, es hört den Solisten immer wieder aus einer anderen Perspektive, manchmal nah, manchmal entfernter, manchmal von der Elektronik fast erschlagen. Ich bin sehr neugierig darauf, wie dieses Werk in dem Saal, in dem es am 3. September 1988 uraufgeführt wurde, funktionieren wird, welche Raumerfahrung hier möglich sein wird. Ich liebe diesen Konzertsaal sehr, er klingt fantastisch und ich fühle mich immer ganz besonders wohl hier. Sicher bringt er durch seine offene, runde Anordnung besondere Vorteile mit für ein Stück, das den Raum gänzlich ins Hör­ erlebnis mit einbezieht. Die Fragen stellte Barbara Barthelmes 21 Faust: Wie schon beschrieben gibt die Solovioline viele Anstöße bei diesem Werk, auf die die Live-Elektronik bzw. der Klangregisseur reagiert und wiederum die Violine beeinflusst. Anfang und Schluss gehören der Elektronik, die „Wander-Violine“ taucht erst nach einer Weile in das Meer der Klänge und Geräusche ein. Am Ende vermischt sich der Geigenton mit der Elektronik und die Geige blendet sich aus, der Wanderer geht von dannen. Kremers aufgenommenes Spiel wurde von Nono minutiös elektronisch bearbeitet, er benutzte dabei unter anderem Harmonizer, Nachhall, Filter oder Verzögerung. Dadurch ist enormes re-komponiertes Material entstanden, das einen großen Teil dieses Stückes ausmacht. Aber das wirklich Entscheidende für die jeweilige Aufführung ist, in welcher Art und zu welchem Zeitpunkt was wo eingesetzt wird. B: Ein zentrales Thema von Nonos kompositorischer Arbeit war die Auseinandersetzung mit dem Raum / der Architektur und dem räumlichen Hören. So ist „La lontananza“ in Bezug auf den Kammermusiksaal entstanden. Welche Erfahrungen machen Sie in Bezug auf den Raum als Solistin des Stücks? Biografien / Komponisten 22 Philippe Manoury Der 1952 geborene Philippe Manoury gilt als einer der wichtigsten französischen Komponisten und Forscher wie Wegbereiter auf dem Gebiet der Musik mit Live-Elektronik. Trotz seiner intensiven Ausbildung als Pianist und Komponist (er besuchte die École Normale de Musique de Paris sowie das Pariser Konservatorium und studierte unter anderem beim Schönberg-Schüler Max Deutsch, bei Gérard Condé, Michel Philippot und Ivo Malec) sieht er sich als Autodidakt. Entsprechend beginnt er auf eigene Faust mit kompositorischen Versuchen parallel zu seinen ersten musikalischen Lektionen, und schon im Alter von 19 Jahren ist er mit eigenen Werken auf wichtigen Festivals für neue Musik vertreten. Die Uraufführung seines Klavierwerkes „Cryptophonos“ durch Claude Helffer verhilft ihm 1974 zum Durchbruch. Die in die gleiche Zeit fallende Begegnung mit der Musik Karlheinz Stockhausens beschreibt er als wegweisend für sein kompositorisches Denken, das sich nun immer mehr mathematischen Modellen ver­schreibt. Dieses Interesse bringt ihn, nach einer zweijährigen Lehrtätigkeit an brasilianischen Universitäten, ans Pariser Institut de Recherche et Coordination Acoustique / Musique (IRCAM): Hier arbeitet er ab 1981 gemeinsam mit dem Mathematiker Miller Puckette an MAX, einer Programmier­ sprache für interaktive Live-Elektronik. Aus dieser Forschung heraus komponiert er zwischen 1987 und 1991 einen Zyklus mit vier Stücken, „Sonus ex machina“, der sich der Interaktion zwischen akustischen In­ strumenten und computergenerierten Klängen in Echtzeit widmet: „Jupiter“, „Pluton“, „La Partition du ciel et de l’enfer“ und „Neptune“. Neben seiner Arbeit als Komponist führt er seither seine Forschungstätigkeiten fort. In verschiedenen pädagogischen und künstlerischen Positionen arbeitet er unter anderem mit dem Ensemble intercontemporain (1983 bis 1987), am Konservatorium in Lyon (1987 bis 1997), mit dem Orchestre de Paris (1995 bis 2001), beim Festival d’Aix-en-Provence (1998 bis 2000) sowie an der Scène Nationale d’Orléans (2001 bis 2003). Er ist emeritierter Professor der University of California San Diego, wo er von 2004 bis 2012 unterrichtete. Anfang 2013 verlegt er seinen Wohnsitz wieder vollständig in sein Heimatland nach Straßburg, wo er an der Académie Supérieure de la Haute École des Arts du Rhin zum Kompositionsprofessor berufen wurde. Seit 2015 findet im Rahmen des Straßburger Festivals Musica seine eigene Akademie für junge Komponisten statt. Für seine Werke ist Philippe Manoury mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden, unter anderem von der Stadt Paris und der SACEM und zuletzt bei den Victoires de la musique classique als Komponist des Jahres 2012. Das französische Kulturministe­- Biografien / Komponisten rium ernannte ihn 2014 zum Officier des Arts et des Lettres. Philippe Manoury ist Mitglied des Ehrenkomitees des Deutschfranzösischen Fonds für zeitgenössische Musik / Impuls neue Musik. Seit Sommer 2015 ist er Mitglied der Akademie der Künste zu Berlin. Luigi Nono 23 Luigi Nono wurde 1924 in eine venezianische Familie von Künstlern und Juristen geboren und empfing eine humanistische Bildung. Weit gespannte künstlerische, literarische und philosophische Interessen sollten später auch für den reifen Komponisten charakteristisch sein. Nonos Vater war mit Gian Francesco Malipiero befreundet, dem Direktor des Konservatoriums von Venedig, und dieser sorgte für die Förderung der kompositorischen Talente des Heranwachsenden. Insbesondere brachte er Nono mit dem ein wenig älteren Kom­ ponisten und Dirigenten Bruno Maderna zusammen. Zwischen beiden entwickelte sich eine dauerhafte und künstlerisch hoch produktive Freundschaft. Von 1946 an beschäftigten sie sich mit der unter dem Faschismus unterdrückten neuen Musik, zumal mit der Schönbergschule. Malipiero regte Maderna und Nono auch an, im Sommer 1948 einen Dirigierkurs bei Hermann Scherchen zu besuchen, eine Begegnung, die für Nono musikalisch und politisch immens wichtig wurde. Scherchen förderte Nono und Maderna für einige Jahre wie ein Mentor und empfahl Nono bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik. 1950 nahm Nono erstmals an diesen Kursen teil, in deren Rahmen seine „Variazioni canoniche“ uraufgeführt wurden, die eine heftige Kontroverse auslösten. Wenn die musikalische Avantgarde der 1950er Jahre überhaupt ein Zentrum hatte, dann waren es die Darmstädter Ferienkurse und rasch entwickelte sich Nono hier zu einer der Schlüsselfiguren neben Pierre Boulez und Karlheinz Stockhausen. Bis 1959 nahm er jedes Jahr an den Ferienkursen teil, ab 1957 als Dozent. Die 50er Jahre brachten weitere Veränderungen in Nonos Leben. 1955 heiratete er die Tochter Arnold Schönbergs, Nuria. Drei Jahre zuvor war er in die Kommunistische Partei Italiens (KPI) eingetreten, in der er aktiv und tatkräftig mitarbeitete. Nono stand mit seinem Engagement für die KPI nicht allein da, Künstler und Akademiker waren in der von Intellektuellen geführten Partei hoch willkommen. Anders als die kommunistischen Parteien in anderen westeuropäischen Ländern war die KPI keine marginale Splittergruppe, sondern eine ernst zu nehmende politische Kraft, die 1976 die zweitstärkste Fraktion im ita­ lienischen Parlament stellte. Nono nahm seine Parteimitgliedschaft sehr ernst, 24 Biografien / Interpreten intensivierte seinen Einsatz von den 60er Jahren an erheblich und ließ sich 1975 sogar ins Zentralkomitee der KPI wählen. Den internationalen Durchbruch als Komponist brachte 1956 die Uraufführung der Kantate „Il canto sospeso“, in der Nono Briefe zum Tode verurteilter europäischer Widerstandskämpfer vertonte. In diesem Werk wie in seinem ganzen Schaffen dieser Phase vereinigt Nono eine kompromisslos avantgardistische Musik mit konkreten politischen Aussagen. Von 1960 an machte er sich die Möglichkeiten der elektronischen Musik zu Nutze. Beinahe alle der bis 1975 geschriebenen Kompositionen verwenden in vielfältiger Weise im Studio hergestellte Tonbänder, die oft auf Alltags­geräuschen von Industrielärm bis zu politischen Parolen basieren. Mit dem schwer in Gattungszusammenhänge einzuordnenden Bühnenwerk „Al gran sole carico d’amore“ (UA 1975) zog er eine vorläufige Summe seines Schaffens. Danach verstummte der Komponist für einige Jahre und stellte sich und sein Künstlertum radikal in Frage. Das Ergebnis dieses Reflexionsprozesses war das Spätwerk der 1980er Jahre, das in der 1985 uraufgeführten Oper „Prometeo“ kulminierte. Die Jahre 1986 bis 1988 verbrachte Nono als Gast des DAAD und Mitglied des Wissenschaftskollegs in Berlin. 1988 widmeten die Berliner Fest­wochen Luigi Nono ein Komponistenportrait. „La lontananza utopica nostalgica futura“ ist noch im Auftrag der Berliner Festwochen entstanden und von Gidon Kremer im Kammermusiksaal der Philharmonie uraufgeführt worden. Im Sommer 1989 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand rapide. Luigi Nono starb am 8. Mai 1990 in seiner Heimatstadt Venedig, wo er auch beigesetzt wurde. Isabelle Faust „Ihr Klang hat Leidenschaft, er hat Biss und er elektrisiert, aber er ist auch von einer entwaffnenden Wärme und Süße, die den verborgenen Lyrismus der Musik sichtbar werden lässt …“ („The New York Times“) Ihr unmittelbarer Zugang zur Musik lässt Isabelle Faust zum Wesentlichen der Werke vordringen. Das Publikum spürt ihre natürliche Musikalität ebenso wie den Drang, die Kenntnis des Repertoires durch ein genaues Studium der Partituren und musikhistorische Recherchen zu vertiefen. Als Preisträgerin des Leopold-Mozart-Wettbewerbs in Augsburg und des Paganini-­ Wettbewerbs in Genua musizierte sie bereits in jungen Jahren mit bedeutenden Orchestern in aller Welt, wie den Berliner Biografien / Interpreten 25 konzert und dem Klaviertrio Nr. 2 op. 63. Philharmonikern, dem Boston Symphony Die dritte und letzte Einspielung setzt Orchestra, dem NHK Symphony Orchestra Tokyo, dem Freiburger Barockorchester sich mit Schumanns Cellokonzert und das oder dem Chamber Orchestra of Europe. Klaviertrio Nr. 1 aus­einander – sie wird im Isabelle Faust spielt ein Repertoire, das von Frühjahr 2016 er­scheinen. Johann Sebastian Bach bis hin zu Werken Isabelle Faust spielt die „Dornröschen“zeitgenössischer Komponisten wie György Stradivari von 1704, eine Leihgabe der Ligeti, Helmut Lachenmann oder Jörg L-Bank Baden-Württemberg. Widmann reicht. Ihre künstlerische Aufgeschlossenheit eröffnet ihr Wege zu vielfäl­ tigen musikalischen Partnerschaften. Neben den großen symphonischen Violin­GrauSchumacher Piano Duo kon­zerten führt sie beispielsweise mit der Sopranistin Christine Schäfer György „Mit diesen klanglich-sublimen wie hinreiKurtágs „Kafka Fragmente“ oder auch ßend-fulminanten Einspielungen haben sich Andreas Grau und Götz Schumacher Johannes Brahms’ und Wofgang Amadeus Mozarts Klarinettenquintette mit historiendgültig als das führende Klavierduo etaschen Instrumenten auf. Regelmäßig arbliert, das nur noch mit den legendären beitet sie mit Dirigenten wie Frans Brüggen, Gebrüdern Kontarsky verglichen werden Mariss Jansons, Giovanni Antonini, Philippe kann – und in solchem Vergleich sogar Herreweghe, Daniel Harding und Bernard noch die Interpretationskunst des BrüderHaitink zusammen. Eine besonders enge paares verblassen lässt.“ („Fonoforum“) Beziehung verband sie in den letzten Jahren mit Claudio Abbado, mit dem sie in Klug zusammengestellte Programme sind mehreren Ländern konzertierte und für das Markenzeichen, mit dem sich Andreas harmonia mundi eine mehrfach preisgeGrau und Götz Schumacher als eines der international renommiertesten Klavierduos krönte CD mit den Violinkonzerten Ludwig van Beethovens und Alban Bergs einspielte. profiliert haben. Ihr Miteinander am Klavier lässt sie als künstlerische Seelenverwandte Die Aufnahme mit dem Orchestra Mozart erscheinen. wurde mit dem Diapason d’or, einem ECHO Mit ihrem weit reichenden Spektrum an Klassik, dem Gramophone Award 2012 und Ausdrucksmöglichkeiten waren sie Gast dem japanischen Record Academy Award ausgezeichnet. bei diversen Festivals und Konzerthäusern, Mit ihrem Kammermusikpartner Alexander unter anderem der Kölner Philharmonie, Melnikov hat sie für harmonia mundi zahlder Berliner Philharmonie, der Cité de la Musique Paris, den Schwetzinger Festspiereiche Alben eingespielt, wie die letzte Aufnahme des Duos mit Sonaten für Violen, den Salzburger Festspielen, dem Lucerne Festival, der Tonhalle Zürich und line und Klavier von Brahms, die im Sepdem Klavierfestival La Roque d’Anthéron. tember 2015 erschien. Im August 2015 Sie arbeiteten mit Dirigenten wie Michael wurde außerdem die zweite Folge der Gielen, Lothar Zagrosek, Emanuel Krivine, Schumann-Trilogie mit Alexander Melnikov, Heinz Holliger, Kent Nagano, Bertrand de Jean-Guihen Queyras, dem Freiburger Billy, Andrej Boreyko, Georges Prêtre und Barockorchester und Pablo Heras-Casado Zubin Mehta zusammen. veröffentlicht, mit Schumanns Klavier­ Biografien / Interpreten 26 Zu den jüngeren Projekten gehören Konzerte mit dem Deutschen SymphonieOrches­ter Berlin, den Rundfunkorchestern des BR, WDR, HR, NDR und SWR, dem Bayerischen Staatsorchester München, dem Radiosymphonieorchester Wien und dem Orchestre Philharmonique de Radio France sowie Auftritte beim Rheingau Musik Fes­ tival, beim Klarafestival Brüssel, an der Wigmore Hall London, im Gewandhaus Leipzig, am Wiener Konzerthaus, am Mozarteum Salzburg, am De Doelen Rotterdam, der Handelsbeurs Gent und im Concertgebouw Brügge. Über ihre Aufführungen bekannter Orchesterkonzerte von Komponisten wie Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart, Felix Mendelssohn Bartholdy, Béla Bartók oder Francis Poulenc hinaus ist das Grau­Schumacher Piano Duo stets auf der Suche nach neuen Ideen, um das Repertoire für zwei Klaviere und Orchester zu erweitern. So initiierte es unter anderem ein Arrangement von Franz Liszts berühmtem „Concerto Pathétique“ (Originalfassung für zwei Klaviere) für zwei Klaviere und Orchester durch Stefan Heucke. Angeregt durch das virtuose und feinfühlige Spiel des Duos haben einige der wichtigsten zeitgenössischen Komponisten neue Konzerte für Andreas Grau und Götz Schumacher geschrieben, zuletzt Peter Eötvös, Philippe Manoury, Jan Müller-­ Wieland und Luca Francesconi. Auch im Rezitalbereich bringt das Duo laufend Werke zur Uraufführung, zuletzt von Hanspeter Kyburz, Bernd Richard Deutsch, Brigitta Muntendorf und Philipp Manoury. Den Hang zu ausgefeilten Programmkonzepten dokumentieren auch die zahlreichen CDEinspielungen des Duos, die unter anderem in einer eigenen Reihe beim Label Neos erscheinen. Die Aufnahme von Karlheinz Stockhausens „Mantra“ wurde von „Le monde de la musique“ und „Dia­ pason“ ausgezeichnet, „The Gramophone“ kürte die CD „Visions de l’Amen“ mit Werken von Olivier Messiaen und Heinrich Schütz / György Kurtág zur Editor’s Choice. Produktionen mit Orchesterwerken von Luciano Berio und Igor Strawinskys „Sacre du Printemps“ wurden von der Kritik euphorisch aufgenommen. Die mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin eingespielte Serie „Concerti I“ (Mozart, Bartók, Liszt) und „Concerti II“ (Liszt / Heucke, Bach, Strawinsky) wird nun mit der „Concerti III“ Produktion komplettiert. Die neue CD mit Werken von Francis ­Poulenc, Colin McPhee und John Adams erscheint in der laufenden Saison. Biografien / Interpreten André Richard 27 André Richard ist Interpret von live-elek­ tronischer Musik, Dirigent und Komponist. Er studierte in Genf Gesang, Musiktheorie und Komposition sowie bei Klaus Huber und Brian Ferneyhough in Freiburg i. Br. Komposition. Bei Hans Peter Haller, im Experimentalstudio des SWR Freiburg und am IRCAM in Paris vertiefte er seine Studien der elektronischen Musik. Neben Lehrverpflichtungen in Genf und Freiburg war Richard langjähriger Ge­­schäfts­führer des Freiburger Instituts für Neue Musik und Organisator der Horizonte-Konzert­ reihe. Von 1984 bis 2005 war er künstle­ rischer Leiter des Solistenchors Freiburg. Seine Einspielungen mit dem Solistenchor, Solisten und dem Experimentalstudio von „Das atmende Klarsein“ und “Io, frammen­to da Prometeo“ von Luigi Nono erhielten 2004 den Jahrespreis der Deutschen Schall­platten­kritik. In den 1980er Jahren arbeitete Richard eng mit Nono für die Aufführungen von dessen Spätwerk sowohl als Dirigent als auch als Klang­ regisseur zusammen. Von 1989 bis 2005 stand Richard als künstlerischer Leiter dem Experimentalstudio der Heinrich-Strobel-Stiftung des SWR Freiburg vor, dessen technologische Weiterentwicklung er engagiert vorantrieb. Mit Komponisten, Interpreten und dem Team des Studios war er an der Erarbeitung zahlreicher bedeutender neuer Werke mit integrierten live-elektronischen Mitteln beteiligt. 1993 bzw. 1995 realisierte er in Salzburg das Raumklangkonzept und die Klangregie für die von Ingo Metzmacher dirigierten Aufführungen von Nonos „Prometeo“ und „Caminantes … Ayacucho“. Spätere künstlerische Mitwirkungen fanden zum Beispiel bei Helmut Lachenmanns „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ (2002) und Stockhausens „Helikopter-Streichquartett“ (2003) und „Mixtur“ (2006) statt. 2010 arbeitete er für die Oper „…22,13…“ von Mark Andre in Berlin und in Hamburg und realisierte den live elektronischen Part für „Erinnere Dich an Golgatha“ von Klaus Huber. 2011 fand die Uraufführung seines Werkes „y al volver la vista atras se ve …“ durch das ensemble recherche beim Ultraschall Festival Berlin statt. Mit dem Arditti Quartet eröffnete er mit dem „Heli­kopter-Streichquartett“ von Karlheinz Stock­hausen die Biennale di Venezia 2013. Eine völlig neue Raumklanginstallation realisierte er für die „Prometeo“-Aufführungen beim Holland Festival 2014, bei der Ruhrtriennale 2015 und leitete im Dezember 2015 ebenfalls die Klangregie für die Aufführung in der neuen Philharmonie von Paris. André Richard ist Träger des ReinholdSchneider-Preises (1990), des Preises der Christoph-und Stephan-Kaske-Stiftung (1994), des Europäischen Kulturpreises für Neue Musik (1998) sowie des Jahrespreises der Deutschen Schallplattenkritik (2004). 2017 DORNRÖSCHEN Sonntag, 22. Januar SCHWANENSEE Sonntag, 5. Februar A CONTEMPORARY EVENING Sonntag, 19. März EIN HELD UNSERER ZEIT Sonntag, 9. April 2016 DAS GOLDENE ZEITALTER Sonntag, 16. Oktober im Delphi Filmpalast und Filmtheater am Friedrichshain DER HELLE BACH Sonntag, 06. November DER NUSSKNACKER Sonntag, 18. Dezember YORCK.DE 128 DAS MAGAZIN DER BERLINER PHILHARMONIKER ABO ✆ BESTELLEN SIE JETZ T! Te l e f o n: 040 / 468 605 117 @ E - M a i l: [email protected] O n l i n e: www.berliner-philharmoniker.de/128 LESEANREGUNG In neue Richtungen denken CICERO Illustration: Martin Haake 30 n probelese Das Magazin für ungezähmte Gedanken. Mit Essays, Reportagen und Bildern, die den Horizont erweitern. Jeden Monat neu am Kiosk oder unter shop.cicero.de probelesen. RBB-ONLINE.DE DAS VOLLE PROGRAMM KULTUR STILBRUCH DONNERSTAGS, 22:15 UHR Das Musikfest Berlin 2016 im Radio und Internet 32 Deutschlandradio Kultur Die Sendetermine Sa 3.9. 19:05 Uhr Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks Live-Übertragung Mi 7.9. 20:03 Uhr „Quartett der Kritiker“ Aufzeichnung vom 6.9. Do 8.9. 20:03 Uhr Münchner Philharmoniker Aufzeichnung vom 6.9. So 11.9. 20:03 Uhr Deutsches Symphonie-Orchester Berlin Live-Übertragung Mi 14.9. 20:03 Uhr F. Busoni zum 150. Geburtstag: GrauSchumacher Piano Duo Aufzeichnung vom Do 15.9. 20:03 Uhr Berliner Philharmoniker Live-Übertragung Fr 16.9. 20:03 Uhr Bayerisches Staatsorchester Aufzeichnung vom 14.9. Sa 17.9. 21:30 Uhr Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin „Die besondere Aufnahme“ Aufzeichnung vom 16.9. Di 20.9. 20:03 Uhr Staatskapelle Berlin Live-Übertragung Do 22.9. 20:03 Uhr Junge Deutsche Philharmonie Aufzeichnung vom 11.9. Di 27.9. 20:03 Uhr IPPNW-Benefizkonzert Aufzeichnung vom 10.9. Di 4.10. 20:03 Uhr Hommage à Pierre Boulez Pierre-Laurent Aimard Tamara Stefanovich Aufzeichnung vom 12.9. Deutschlandradio Kultur ist in Berlin über 89,6 MHz, Kabel 97,50, digital und über Livestream auf www.dradio.de zu empfangen. Neu beim Musikfest Berlin Ausgewählte Einführungsveranstaltungen finden Sie zum Nachhören auf: www.berlinerfestspiele.de/einfuehrungen 4.9. kulturradio vom rbb Die Sendetermine Do 8.9. 20:04 Uhr Konzerthausorchester Berlin Live-Übertragung im Rahmen des ARD Radiofestival Do 8.9. 20:04 Uhr Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin Aufzeichnung vom in Ausschnitten im Anschluss an die Live-Übertragung des Konzerthausorchesters Berlin vom 7.9. 8.9. So 25.9. 20:04 Uhr Berliner Philharmoniker „Berliner Philharmoniker“ Aufzeichnung vom 9.9. Sa 1.10. 20:04 Uhr Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin „Konzert am Samstagabend“ Aufzeichnung vom 7.9. Sa 15.10. 18:04 Uhr Hommage à Artur Schnabel Szymanowski Quartett Aufzeichnung vom 11.9. 33 kulturradio vom rbb ist in Berlin über 92,4 MHz, Kabel 95,35, digital und über Livestream auf www.kulturradio.de zu empfangen. Digital Concert Hall Die Sendetermine Sa 3.9. 19:00 Uhr Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks Digital Concert Hall Live-Übertragung So 4.9. 19:00 Uhr The John Wilson Orchestra Digital Concert Hall Live-Übertragung Di 6.9. 20:00 Uhr Münchner Philharmoniker Digital Concert Hall Live-Übertragung Do 8.9. 20:00 Uhr Konzerthausorchester Berlin Digital Concert Hall Live-Übertragung Sa 10.9. 19:00 Uhr Berliner Philharmoniker Digital Concert Hall Live-Übertragung So 11.9. 11:00 Uhr Junge Deutsche Philharmonie Digital Concert Hall Live-Übertragung Di 13.9. 20:00 Uhr Orquesta Sinfónica Simón Bolívar de Venezuela Digital Concert Hall Live-Übertragung Mi 14.9. 20:00 Uhr Bayerisches Staatsorchester Digital Concert Hall Live-Übertragung Sa 17.9. 19:00 Uhr Berliner Philharmoniker Digital Concert Hall Live-Übertragung www.digitalconcerthall.com Veranstaltungsübersicht 2.9. 19:00 Kammermusiksaal GrauSchumacher Piano Duo Fr 2.9. 21:30 Kammermusiksaal Isabelle Faust Sa 3.9. 19:00 Eröffnungskonzert Philharmonie Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks Daniel Harding So 4.9. 11:00 Kammermusiksaal F. Busoni zum 150. Geburtstag: GrauSchumacher Piano Duo So 4.9 13:00 Kunstbibliothek am Kulturforum Ausstellungseröffnung „BUSONI: Freiheit für die Tonkunst!” So 4.9 19:00 Philharmonie The John Wilson Orchestra John Wilson Mo 5.9. 19:00 21:30 Kammermusiksaal The Danish String Quartet Late Night: Folk Tunes Di 6.9. 18:00 Ausstellungsfoyer des Kammermusiksaals „Quartett der Kritiker“ Di 6.9. 20:00 Philharmonie Münchner Philharmoniker Valery Gergiev Mi 7.9. 20:00 Philharmonie Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin Donald Runnicles Do 8.9. 20:00 Philharmonie Konzerthausorchester Berlin Iván Fischer Fr 9.9. 20:00 Haus der Berliner Festspiele Ensemble intercontemporain Matthias Pintscher Fr Sa 9.9. 10.9. 20:00: 19:00 Philharmonie Berliner Philharmoniker Andris Nelsons Sa 10.9. 20:00 Kammermusiksaal IPPNW-Benefizkonzert 34 Fr 11.9. 11:00 Philharmonie Junge Deutsche Philharmonie Jonathan Nott So 11.9. 17:00 Haus des Rundfunks Hommage à Artur Schnabel So 11.9. 20:00 Philharmonie Deutsches Symphonie-Orchester Berlin Jakub Hrůša Mo 12.9. 19:00 Kammermusiksaal Hommage à Pierre Boulez: Pierre-Laurent Aimard Tamara Stefanovich Di 13.9. 20:00 Philharmonie Orquesta Sinfónica Simón Bolívar de Venezuela Gustavo Dudamel Mi 14.9. 20:00 Philharmonie Bayerisches Staatsorchester Kirill Petrenko Do Fr Sa 15.9. 16.9. 17.9. 20:00 20:00 19:00 Philharmonie Berliner Philharmoniker John Adams Fr 16.9. 18:30 Konzerthaus Berlin Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin Rundfunkchor Berlin Frank Strobel Sa 17.9. 19:00 Kammermusiksaal Tabea Zimmermann & Ensemble Resonanz So 18.9. 20:00 Haus der Berliner Festspiele Varèse & Zappa: Ensemble Musikfabrik Mo Di 19.9. 20.9. 20:00 20:00 Philharmonie Staatskapelle Berlin Daniel Barenboim 35 So Impressum Musikfest Berlin Veranstaltet von den Berliner Festspielen in Zusammenarbeit mit der Stiftung Berliner Philharmoniker Künstlerischer Leiter: Dr. Winrich Hopp Organisation: Anke Buckentin (Ltg.), Kathrin Müller, Thalia Hertel, Ina Steffan Presse: Patricia Hofmann, Jennifer Wilkens 36 Programmheft Herausgeber: Berliner Festspiele Redaktion: Dr. Barbara Barthelmes Mitarbeit: Anke Buckentin Komponistenbiografien: Dr. Volker Rülke Gestaltung: Ta-Trung, Berlin Grafik: Christine Berkenhoff und Fleck · Zimmermann | Visuelle Kommunikation, Berlin Herstellung: enka-druck GmbH, Berlin Stand: August 2016. Programm- und Besetzungsänderungen vorbehalten. Copyright: 2016 Berliner Festspiele, Autoren und Fotografen Berliner Festspiele Ein Geschäftsbereich der Kulturveranstaltungen des Bundes GmbH Gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien In Zusammenarbeit mit der Stiftung Berliner Philharmoniker Intendant: Dr. Thomas Oberender Kaufmännische Geschäftsführerin: Charlotte Sieben Presse: Claudia Nola (Ltg.), Sara Franke, Patricia Hofmann, Jennifer Wilkens Redaktion: Christina Tilmann (Ltg.), Dr. Barbara Barthelmes, Jochen Werner, Anne Philipps Krug Internet: Frank Giesker, Jan Köhler Marketing: Stefan Wollmann (Ltg.), Gerlind Fichte, Christian Kawalla Grafik: Christine Berkenhoff Vertrieb: Uwe Krey, Florian Schinagl Ticket Office: Ingo Franke (Ltg.), Simone Erlein, Frano Ivic, Gabriele Mielke, Marika Recknagel, Torsten Sommer, Alexa Stümpke Hotelbüro: Heinz Bernd Kleinpaß (Ltg.), Frauke Nissen Protokoll: Gerhild Heyder Technik: Andreas Weidmann (Ltg.) 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