Wirtschaftsprüfung | 39 HANDELSZEITUNG | Nr. 6 | 9. Februar 2017 Neue Informationen gewinnen Digital Enterprise Risk Management Digitale Technologien ermöglichen einen Qualitätssprung in der Risikoerfassung. D SEBASTIAN NEUFANG as Enterprise Risk Mana­ gement (ERM) bezeichnet die unternehmensbezogene Ordnung, wie Risiken ge­ samtheitlich erfasst, bewer­ tet, eingegangen und gesteuert werden ­sollen. Das ERM entstammt dem ursprüng­ lichen Anliegen des Committee of Sponso­ ring Organizations of the Treadway Com­ mission (COSO) aus den frühen 1990er Jahren, die Finanzberichterstattung von Unternehmen mithilfe eines internen Kon­ trollsystems belastbarer und verlässlicher auszugestalten. Erst 2004 führte das COSO das ERM-Konzept ein und beschreibt es in seinem «Thought Paper Developing Key Risk Indicators to Strenghten ERM» von 2011: «Enterprise risk management is a process, effected by an entity’s board of ­directors, management, and other person­ nel, applied in strategy setting and across the enterprise, designed to identify potential events that may effect the entity, and ­manage risk to be within the risk appetite, to provide reasonable assurance regarding the achievement of entity objectives.» Fast immer Bewertungsfragen Digital Enterprise Risk Management (D-ERM) wird oft dahingehend missver­ standen, es gehe darum, risikobezogene Informationen zu visualisieren. Als Stan­ dardbeispiele dienen mobile Manage­ ment Cockpits. Das mag daran liegen, dass bisweilen kaum funktionierende ­digitale Systeme existieren, welche Risi­ ken g­ esamtheitlich-kognitiv erfassen und präzise vorhersagen können. Selten hin­ terfragt wird, wie Risiken identifiziert und bewertet werden. Die quantitative Risiko­ analyse versucht sich dem mit dynami­ sierten Modellen zu nähern, kann bis heute zukünftige Volatilitäten aber nicht ver­ lässlich vorhersagen. Zudem werden von ERM-Modellen selbst ausgehende neue und deren schadengeneigte Verdichtung können daher oft nicht erkannt werden. Lücke geschlossen Diese Lücke schliesst das Digital Enter­ prise Risk Management. Mithilfe digitaler Technologien können grosse Datenmen­ gen und vermeintlich irrelevante Daten­ punkte unterschiedlichster Risikodimen­ sionen verknüpft werden. Im jeweiligen Kontext und in Echtzeit geben diese Daten völlig neue Informationen preis. Selbstler­ nende Algorithmen und darauf aufbauen­ de Systeme künstlicher Intelligenz können Muster erkennen, selbstständig weiter­ entwickeln und zukünftige Szenarien ­präziser bestimmen. Auch diese Techno­ logien bauen auf historischen Daten und statistischen Modellen auf; bei der Para­ metrisierung können Unschärfen ent­ stehen. Allerdings können heute grosse ­Datenmengen mehrdimensional, kognitiv sowie kontextbezogen vernetzt analysiert und Vorhersagen getroffen werden. Nichts anderes vollzieht sich bei der Steuerungs­ technologie selbstfahrender Autos: Inner­ halb von ­ Sekundenbruchteilen werden komplexe Echtzeit-Datenmengen risiko­ basiert (wie Gegenverkehr, Kurven, Wetter) in die relevanten Informationen zerlegt. Risikogewichtet werden diese priorisiert und dynamisch in den Kontext eingebettet (etwa vorausfahrendes Auto), dann in einen Steuerungsbefehl übersetzt, der ­ wiederum durch ein D-ERM gepuffert ist. Im Bereich von Cybercrime lassen sich zum Beispiel in Echtzeit vermeintlich irre­ levante Datenspuren aggregieren und in einem realen Kontext analysieren. Aus sich aufbauenden Angriffsmustern, einge­ buchten Handelspositionen oder Block­ chain-basierten offenen Risikopositionen lassen sich Vorhersagen über das Risiko und dessen Eintrittswahrscheinlichkeit und Eintrittszeit treffen. Auf der Grundlage von Predictive-Analytics-Konzepten kann etwa atypisches Verhalten von Marktteil­ nehmern entschlüsselt werden. Aufbau oder Abbau von Handelspositionen kön­ nen im Umfeld des Hochfrequenzhandels kontextbezogen unter Einbezug aller Marktbedingungen und -daten bewertet werden. Basierend auf digitalen Entschei­ dungsketten im Aktien- oder Derivate­ handel und dem Abgleich verschiedener intern systembasierter und extern unstruk­ turierter Daten lassen sich operationell r­elevante Verhaltens- oder Systemrisiken vorhersehen und etwa die Handelslimite oder das Sicherheitenmanagement effi­ zient steuern. Das voll integrierte kognitive Digital Enterprise Risk Management ermöglicht einen deutlichen Qualitäts­ sprung in der materiellen Risikoerfassung, Vorhersage und der passgenauen Risiko­ behandlung. D-ERM-Prozesse können mit Controlling-, Legal & Compliance- oder Strategieprozessen verknüpft werden und unterstützen dabei, qualitativ bessere ­Entscheidungen in kürzerer Zeit treffen zu können, wobei der operationelle Aufwand umfassend vermindert und substanzielle Kosten eingespart werden können. Dr. Sebastian Neufang, Executive Director, Grant Thornton, Schweiz/Liechtenstein. ANZEIGE «Ihre Prüfungs-Anliegen sind bei uns in besten Händen.» BDO Wirtschaftsprüfung Mithilfe digitaler Technologien können grosse Datenmengen miteinander verknüpft werden. Risiken seit Jahren diskutiert. Zu sehen ist dies auch in dem Kontext, dass COSO schon immer auf die funktional-organisa­ torische Bedeutung des ERM und damit auf die Verantwortlichkeit des Manage­ ments hingewiesen hat. Haftungsrechtlich ist es problematisch, wenn ERM-Systeme Risiken nicht vollständig erfassen, neue Risiken erzeugen oder technologische Möglichkeiten nicht ausschöpfen. Die Finanzkrise hat die Fehlerhaftigkeit vieler Bewertungs- und Risikomodelle ­offenbart. Juristische Streitfälle bei OTCDerivaten werden bis heute ausgefochten. Fast immer geht es dabei um Bewertungs­ fragen. Es zeigen sich gravierende tech­ nische Schwächen bei sicher geglaubten ­Bewertungsmethoden. Das Risiko der in der Finanzkrise 2008 entstandenen kurz­ fristigen, erheblichen Liquiditätsengpässe war im ERM der meisten Banken ungenü­ gend oder gar nicht erfasst. Kumu­lierte Margin Calls und darauf folgende ­Early Terminations von OTC-Derivaten ver­ schärften das Liquiditätsproblem mit dem bekannten Ausgang der Insolvenz von Lehman Brothers. Die Entwicklung der Prämien für Credit Default Swaps auf ­Lehman Brothers machte ein drohendes ­Insolvenzrisiko zwar einige Zeit vor dem Konkurseintritt deutlich, war bisweilen aber auch indifferent. Infolge damals feh­ lender Predictive-Analytics-Technologien konnten diese Anzeichen womöglich nicht rechtzeitig gedeutet werden. Verwunderlich ist das letztlich nicht. Denn sämtlichen bisherigen ERM- und Risiko-Modellen ist es gemein, dass sie nur auf historischen Daten aufbauen. ­Extremwert-Theorien beziehen sich auf statistisch generierte Daten. Diese sind nur in einem simulierten Kontext einge­ bettet. Hervorzuheben ist, dass nicht die quantitative Risikoanalyse und deren Mo­ delle per se fragwürdig sind (wobei auch hier fehlerhafte Ausrichtungen diskutiert werden). Problematisch ist vielmehr, dass historische, statische und qualitativ für Zukunftsaussagen nur beschränkt rele­ vante Datenfragmente verwendet werden. Die Kumulation von Risikoparametern Kontaktieren Sie unsere Experten: BDO AG Fabrikstrasse 50, 8005 Zürich, Tel. 044 444 35 55 www.bdo.ch Prüfung | Treuhand | Steuern | Beratung 232x300_fbg_Key Visual_ZH_WP.indd 1 22.01.16 13:31