Vortrag am 26.09.2007 in Wetzlar Projekt Schnecke Bildung beginnt mit der Sinneswahrnehmung Unsere Sinne: Die Fenster zur Welt Sinnesorgane sind die Schnittstellen zur Umwelt Auge - visuelles System: Überblick über einen weiten Raum, Informationen über kleine Details, viele Informationen sind durch Schriftzeichen kodiert Ohr – auditives System: Kontrolle über die Umwelt, Kommunikationsorgan Gleichgewichtsorgan – vestibuläres System: Kontrolle über die eigene Position in der Umwelt, hilft sich in der Welt zu bewegen und die Welt zu bewegen (Motorik) 1 Vortrag am 26.09.2007 in Wetzlar Die Sinnesorgane im Lernprozess Ein Kind kann nur das aufnehmen und lernen, was es durch seine Sinnesorgane wahrnimmt. Beispiel: Auge – Tafelanschrieb Ohr – Diktat, Sprachentwicklung Verluste an der Schnittstelle führen zu nicht zu unterschätzenden Defiziten. Gerade beim Lernprozess ist die unbeeinträchtigte Wahrnehmung von Details entscheidend. (Haus – Maus) Interpretation setzt Wissen voraus Schwerhörige kombinieren und ergänzen Interpretation ist ein Top-down-Prozess und funktioniert, solange ausreichend Informationsbestandteile vorhanden sind. Das Wissen um die möglichen Deutungsalternativen der Information muss vorher schon vorhanden sein. Lernen grundständiger Informationen: Bottom-up-Prozess 2 Vortrag am 26.09.2007 in Wetzlar Schäden erkennen – Folgen mindern Die Erkennung von Beeinträchtigungen des sensorischen Systems ist notwendig, um Kindern die Chance zu geben, den Lernstoff ohne Schnittstellenverluste aufzunehmen. Geeignete Maßnahmen helfen, die Folgen einer Beeinträchtigung zu mindern: - med. Therapie - Hilfsmittelversorgung: Brille, Hörgerät - Platzierung im Klassenraum - raumakustische Maßnahmen - Sensibilität gegenüber Schäden Sozial benachteiligte Kinder sind besonders betroffen, da Schäden oft erst spät erkannt und nur suboptimal versorgt werden. Früherkennung und gute Versorgung sind wichtige Bausteine für die Entwicklung des Kindes und für eine faire Chance im Bildungssystem. Prävention – Schäden vermeiden Schädigungsursachen erkennen Programme zur Vermeidung von Schäden durch attraktive und zielgruppengerechte Präventionsprogramme Gestaltung einer sinnesfreundlichen Umgebung, die Lernen erleichtert und vor Schäden schützt 3 Vortrag am 26.09.2007 in Wetzlar Das Projekt Schnecke Frühjahr/Sommer 2007: Hör- Seh- und Gleichgewichtsprüfungen bei 3126 Schülerinnen und Schülern an 10 hessischen Schulen (+ 1 Pretest bei einer weiteren Schule), schriftliche Befragung zu Hör- und Sehgewohnheiten und bekannten Sinnesbeeinträchtigungen, Schallpegelmessungen, raumakustische Messungen Mitarbeit und Unterstützung Projektbüro Schule&Gesundheit, Staatliches Schulamt für den Lahn-Dill-Kreis und den Landkreis Limburg-Weilburg Hessischen Kultusministerium, Arbeitsgebiet Schule&Gesundheit Hessisches Ministerium für Umwelt, ländlichen Raum und Verbraucherschutz Hessisches Landesamt für Umwelt und Ökologie Hochschule Aalen, Studiengang Augenoptik und Hörakustik Dr. J. Silberzahn, HNO-Arzt, Aßlar Dr. J. Geisz, Kinder- und Jugendarzt, Wetzlar Dr. K. Schayan, Augenarzt, Dillenburg BKK Hessen, Landesverband Frankfurt Christian Kochniss, Augenoptiker am Dom, Wetzlar Gert und Ina Espig, Hörgeräte, Wetzlar Markus Teige, Hörgeräte Sedelmayr, Aßlar Ortwin Kraft und Horst-Ingo Heinemann, Heinemann Optik u. Akustik, Wetzlar Hans-Peter und Laura Triller, Optik Hauf, Wetzlar 4 Vortrag am 26.09.2007 in Wetzlar Mitarbeit und Unterstüzung Thomas Tafelski, Augenoptik GMBH, Herborn Andrea Junker, Planert Optik, Dillenburg Marion Fischer, Praxis für Ergotherapie, Krefeld Dieter Arntz, Schöner Hören, Wiesbaden Rita und Rainer Kirchhübel, Fa. Oculus, Dutenhofen Isabell Schäfer, Architektin Darmstadt Stadt Wetzlar Kreisverwaltung des Lahn-Dill-Kreises GWAB, Druckerei Wetzlar Lärmscouts der Schulen Motopädagoginnen und Motopädagogen der Schulen Freiherr-von-Schütz-Schule, Bad Camberg Die Schulleitungen der beteiligten Schulen Hörtest Otoskopie Screening mit 15 dB HL bei 0,5; 1; 2, 4 und 6 kHz Hörschwellenmessung bei Hörverlusten > 15 dB 5 Vortrag am 26.09.2007 in Wetzlar Sehtest Langtest zur Prüfung des Stereosehens Visusbestimmung mit Einzelsehzeichen (Landoltringe) mit Korrektion (mit Brille) monokular und binokular Visusbestimmung mit Reihensehzeichen monokular und binokular Tests zur Prüfung des Gleichgewichts Stehversuch nach Romberg (Stand mit geschlossenen Augen) Einbeinstand Balancieren 6 Vortrag am 26.09.2007 in Wetzlar Fragestellungen Wie häufig sind Störungen des Seh- Hör- und Gleichgewichtssystems bei hessischen Schülern? Welche Faktoren begünstigen Störungen der Sinnesorgane? (medizinische Aspekte, soziale Faktoren, Umwelteinflüsse…) Welche Konsequenzen haben Beeinträchtigungen des sensorischen Systems auf Schulleistungen? Wie ist das akustische Umfeld in den Schulen? Präventiver Ansatz: Hessischer Wahrnehmungspass, Sensibilisierung durch Lärmscouts und Schallmessungen Außenohr Mittelohr Innenohr Ohrmuschel Gehörgang Trommelfell Hammer Amboß Steigbügel Hammer Schnecke (= Cochlea) Gleichgewichtsorgan Gleichgewichtsorgan Schnecke Tuba auditiva Trommelfell Gehörgang 7 Vortrag am 26.09.2007 in Wetzlar Das Trommelfell Incus Stapes Malleus Membrana tympani Gehörgang Innenohr rundes Fenster Paukenhöhle Die Gehörknöchelchen Amboss Incus Stapes Steigbügel Malleus Membrana tympani Gehörgang Hammer Innenohr rundes Fenster Paukenhöhle 8 Vortrag am 26.09.2007 in Wetzlar Außenohr Mittelohr Innenohr Ohrmuschel Gehörgang Trommelfell Hammer Amboß Steigbügel Hammer Schnecke (= Cochlea) Gleichgewichtsorgan Gleichgewichtsorgan Schnecke Tuba auditiva Trommelfell Gehörgang Gleichgewichtsorgan und Schnecke Cochlea 9 Vortrag am 26.09.2007 in Wetzlar Blick von oben auf die Haarzellen Der Hörtest und seine Interpretation tiefe Töne 0,25 -10 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 0,25 Frequenz [kHz] 0,5 1 1,5 2 3 4 6 8 10 Hör u st rl Hörverlust [dB HL] Frequenz [kHz] 0,5 1 1,5 2 3 4 6 8 10 ve -10 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 hohe Töne 10 Vortrag am 26.09.2007 in Wetzlar Die Häufigkeit von Hörverlusten 9,2% der getesteten Schüler im Alter von 5 bis 18 Jahren haben einen Hörverlust von mindestens 20 dB HL bei mind. einer Frequenz (Jungen: 8,9% (N = 1408), Mädchen 9,4% (N=1503) 46% einseitige Hörstörungen, 54% beidseitige Hörstörungen 18% isolierter Hörverlust im Hochtonbereich (4 kHz und 6 kHz) 38% der 5 – 11-jährigen Schüler und 59% der 12 – 18-jährigen Schüler hatten schon einmal Ohrgeräusche (Tinnitus). Ausgeprägte Hörverluste tiefe Töne 0,25 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 u st rl Hörverlust [dB HL] Hör ve -10 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 hohe Töne 3% weisen einen Hörverlust von mind. 40 dB auf.Frequenz [kHz] Frequenz [kHz] 0,5 0,25 0,5 2 3 nichts 4 6 von 8 10 1 1,5 2 3 4 6 8 10 86% 1 1,5wissen der Betroffenen ihrem Hörverlust (Selbsteinschätzung -10 0 Note 1 – 3) 6% der Betroffenen tragen Hörgeräte 10 11 Vortrag am 26.09.2007 in Wetzlar Hörschäden in einzelnen Schulen S1, S3, S5 (856 Schüler): 13% Schule mit hohem Ausländer- und Migrantenanteil, Schule mit vielen Kindern aus sozialen Brennpunkten, „unauffällige“ Dorfschule S7, S8, S10 (928 Schüler): 5% Stadtschule und Dorfschule mit geringem Ausländeranteil, begehrte weiterführende Schule mit relativ hohem Ausländeranteil 15% 10% 5% 0% S1, S3, S5 S10, S7, S8 Gesamtdurchschnitt Anteil der Schüler mit Hörverlust von mind. 20 dB bei mind. einer Frequenz (N=2970) Sozialindikator Instrument Schüler im Alter von 5 – 12 J: Hörverluste in Abhängigkeit von der Angabe im Fragebogen, ob ein Instrument gespielt wird 15% 10% 6% Hörverlust bei Schülern, die ein Instrument spielen (474 Schüler) 12% bei Schülern, die kein Instrument spielen (1049 Schüler) 5% 0% Instrument: Ja Nein Gesamtgruppe Anteil der Schüler mit Hörverlust von mind. 20 dB bei mind. einer Frequenz (N=1506) 12 r re ug ) (1 11 Tr ) om pe te (1 Ke 4) yb oa rd (6 4) Sa xo ph on (8 Ak ) ko rd eo n (7 ) C ho r( 65 So ) ns tig es (5 4) (5 3 ) 89 ) (1 3 r( (1 41 ) e e ze Fl öt Sc hl ag G ei g Kl av ie G ita Vortrag am 26.09.2007 in Wetzlar Hörverluste bei musizierenden Schülern 15% 10% 5% 0% Wo kommen die Hörverluste her? 13 Vortrag am 26.09.2007 in Wetzlar MP3-Player: Musikhörgewohnheiten 82% der 12 – 18-jährigen Schüler besitzen einen MP3-Player Durchschnittliche Nutzungsdauer pro Tag: 59% bis 1 Stunde 25% 1 bis 2 Stunden 17% mehr als 2 Stunden Lautstärke des Musikhörens: 1 (ganz leise) bis 6 (sehr laut) 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% 1: ganz leise 2 3 4 5 6: sehr laut Fragebogen: Wie laut hörst Du normalerweise Deine Musik? 1 = ganz leise, 6 = sehr laut Musiklautstärke und Hörschäden 10% 9% 8% 7% 6% 5% 4% 3% 2% 1% 0% kein Player 1: ganz leise (179) (54) 2 (68) 3 (253) 4 (184) 5 (102) 6: sehr laut (156) Anteil der Schüler(12 – 18 J.) mit Hörverlust von mind. 20 dB bei mind. einer Frequenz (N=996) 14 Vortrag am 26.09.2007 in Wetzlar Silvesterböller Knalltrauma Hattest Du mal nach einem lauten Knall (Silvesterböller, Spielzeugpistole) ein taubes Gefühl oder ein Pfeifen im Ohr? Ja: 27% 10% 9% 8% 7% 6% 5% 4% 3% 2% 1% 0% Ja (275) Weiß nicht (245) Nein (497) Anteil der Schüler(12 – 18 J.) mit Hörverlust von mind. 20 dB bei mind. einer Frequenz (N=1017) 15 Vortrag am 26.09.2007 in Wetzlar Hörschaden durch Silvesterböller 250 500 750 1000 1500 2000 3000 4000 6000 8000 Hörverlust [dB HL] - 20 -10 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 Rechtes Ohr 9000 10000 11250 12500 14000 16000 Frequenz [Hz] -30 250 500 750 1000 1500 2000 3000 4000 6000 8000 Frequenz [Hz] - 30 9000 10000 11250 12500 14000 16000 Männlich, 21 Jahre, Knalltrauma liegt einige Jahre zurück -20 -10 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 Luftleitung 100 Knochenleitung 110 120 Luftleitung Knochenleitung Linkes Ohr Knallmessungen mittels Kunstkopf 16 Vortrag am 26.09.2007 in Wetzlar Schalldruck [kPa] Der Druck-Zeit-Verlauf von Knallen 50 50 40 40 30 30 20 20 10 10 0 0 -10 -10 -20 -20 0 2 4 Zeit [ms] 6 Spielzeugpistole VIP Maximaler Peak: 186 dB worst case, Pistole in Ohrnähe 8 0 2 4 Zeit [ms] 6 8 Gewehr G3 Maximaler Peak: 168 dB Kunstkopf an Position des Schützen Haarzellen eines Meerschweinchen 17 Vortrag am 26.09.2007 in Wetzlar Haarzellen nach einmaligem Knall Knalle können in einer tausendstel Sekunde einen lebenslangen Hörschaden verursachen Es trifft mehr, als man denkt! 18 Vortrag am 26.09.2007 in Wetzlar Zusammenfassung der Ergebnisse Die Sinnesorgane bilden die Schnittstelle zwischen Schüler und Umwelt Die Reihenuntersuchungen im Projekt Schnecke wiesen zahlreiche Beeinträchtigungen bei Schülern nach: - 9% der getesteten Schüler im Alter von 5 bis 18 Jahren haben einen Hörverlust von mindestens 20 dB HL bei mind. einer Frequenz - Ein Augenarztbesuch wurde bei 8% der Schüler empfohlen - 4% der Kinder waren beim Gleichgewichtstest auffällig oder stark auffällig Es gibt deutliche Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen dem Sozialstatus und der Häufigkeit von Hörschäden Bildungschancen wahren heißt Schäden erkennen und vermeiden. Wichtig ist eine frühzeitige Diagnose von Beeinträchtigungen und eine breit angelegte Prävention vermeidbarer Schäden → Screening Kindliche Hörschäden sind eine Hypothek für das gesamte Leben! Gestaltung einer sinnesfreundlichen Lernumgebung Benachteiligte Kinder sollten beim Screening und der Prävention besonders ins Blickfeld rücken, da diese oft an mehreren Fronten benachteiligt sind. Bildung braucht Gesundheit 19