Erfolgreiche Simulations-Modelle reduzieren Nebenwirkungen

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Junge Ärzte
der niedergelassene arzt 12/2013
Forschung am Computer für eine bessere Schmerztherapie
Erfolgreiche Simulations-Modelle reduzieren Nebenwirkungen
Die Forschung nach neuen Wirkstoffen
oder Wirkstoff-Modifikationen kann
­zeitintensiv und teuer sein. Modellgestützte Computer­simulationen könnten eine zeitaufwendige Wirkstofffahndung mit Labor­langfristig ersetzen. Der
Arbeitsgruppe von PD Dr. Marcus Weber
vom Computational Molecular Design
Zuse Institute Berlin (ZIB) ist es gelungen, mit dieser Methode in kurzer Zeit
ein Opioid zu kreieren, dass nur lokal im
entzündetem Gewebe s­eine Wirkung
entfaltet und somit im übrigen Organismus keine (Neben)-Wirkungen erzeugt.
Bisherige präklinische Untersuchungen
im Labor bestätigen die errechneten
Eigenschaften des Moleküls.
W
ebers Forschungstätigkeit im Bereich
der Wirkstoffforschung ist im DFGForschungsprojekt MATHEON angesiedelt. MATHEON entwickelt Mathematik
für Schlüsseltechnologien und unterstützt
Partner in Industrie und Wissenschaft. Für
das Schmerzmittel-Projekt kam es zu einer
Kooperation zwischen der C
­ harité und den
MATHEON-Wissenschaftlern. Hier
beginnt die Erfolgs­geschichte, die durch die
Expertise von M
­ edizinern und Mathematikern eine Wirkstoff-Modifi­
k ation am
Computer ­ermöglichte.
Geteilte Expertise zwischen
­Medizinern und Mathematikern
Christoph Stein, Anästhesiologe am Campus Benjamin Franklin der Berliner ­Charité
schilderte den Mathematikern vom ZIB im
Vorfeld die Wirkungsweise von Opioiden.
Opioidrezeptoren sind nahezu überall im
Organismus vertreten, unter anderem auch
im Zentralen Nervensystem. Bei der Therapie von starken Schmerzen können Opioide eine effektive Hilfe darstellen. Sie können bekanntlich aber auch starke
Nebenwirkungen hervorrufen wie Abhängigkeit, Verdauungsstörungen oder Atem-
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depression. Ideal wäre es, wenn diese
Schmerzmittel ein geringeres Nebenwirkungspotenzial h
­ ätten, so Stein.
Simulations-Model für den
­Opioid-Rezeptor gesucht
Die Mathematiker nahmen sich dieser Herausforderung an. Zu Beginn ihrer Forschung gab es aber kein originalgetreues
Simulations-Model von dem OpioidRezeptor für den Computer. Etwa ein halbes Jahr lang suchten Weber und seine Kollegen nach einem passenden Äquivalent
und entschieden sich für einen RhodopsinRezeptor-Modell. Die Mathematiker vermuteten, dass das Rhodopsin-Modell dem
Opioid-Rezeptor an den relevanten Bindungsstellen ähnelt.
Erst nachdem die Modelluntersuchungen am Rechner schon stattgefunden hatten, wurde im Jahr 2012 eine Röntgenstrukturanalyse zu dem ­
Opioid-Rezeptor
veröffentlicht. „Wir mussten zwar am
Anfang eine Vorhersage treffen, wie diese
Struktur aussehen könnte. Jetzt wissen wir,
dass wir mit unseren mathematischen Vorhersagen und der Röntgenstrukturanalyse
aus dem Labor sehr gut übereinstimmen“,
so Weber.
Was wie ein Glückstreffer klingt, lässt
sich einfach erklären: Die Aktivierung des
Opioid-Rezeptors ist eine lokale Angelegenheit. „Für unser Mathematisches Modell
war es nicht wichtig zu wissen, wie das
­gesamte Rezeptor-Protein im Detail aussieht. Uns interessierte einzig und allein die
Bindungs­stelle des Rezeptors. Diese lokale
Stelle, wo der Wirkstoff bindet, sollte in der
­Simulation allerdings so exakt wie möglich
dargestellt sein und dabei hatten wir Glück“,
führt Weber aus.
Andere pH-Werte in gesundem
und krankem Gewebe
Eine Begebenheit aus der Umgebung des
Rezeptors war jedoch innerhalb der Modellrechnungen wichtig: Entzündetes, Schmerz
verursachendes Gewebe hat einen niedrigeren pH-Wert als die „gesunde“ Umgebung.
Sie suchten deshalb innerhalb der Simulationen nach einen Wirkstoff, der pH-Wert
abhängig seine Aktivität einstellen oder
aktivieren kann. Bei einem pH-Wert von
circa 5,5 sollte der Wirkstoffkandidat an
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dem Rezeptor binden können, bei einem
pH-Wert von 7,0 dagegen nicht. Als all
­diese Voraussetzungen im Modell implementiert waren, konnte die Simulation
beginnen.
Die reinen Simulationsberechnungen
nahmen nicht viel Zeit in Anspruch. Innerhalb von einer Woche entschied sich Webers
Mitarbeiterin, Frau Olga Scharkoi, für
einen Wirkstoffkandidaten: das Fluor-Fentanyl. „Laut unserem Modell setzt sich der
neue Stoff nur an die Rezeptoren, die sich in
einem peripheren entzündeten Gewebe
befinden. Alle anderen Rezeptoren ignoriert es“, sagt Marcus Weber. Gedacht ist der
neue Wirkstoff für ­Entzündungsschmerzen,
so zum Beispiel bei Entzündungen, nach
operativen Eingriffen, Verletzungen,
Tumoren oder Arthritis. In der Theorie war
alles soweit perfekt, nun fehlte noch der
Praxistest.
Wirkstoffkandidat gelangt aus
dem Rechner ins Labor
Dazu musste der neue Kandidat zuerst synthetisiert werden. Was nicht einfach war
und deshalb mehr Zeit in Anspruch nahm
als vermutet. Denn die angesprochenen
Synthesefirmen empfanden den Auftrag als
ungewöhnlich. Weber wollte nur eine ganz
bestimmte Abwandlung eines Moleküls
und kein einziges seiner Derivate. „Da
mussten wir etwas Überzeugungsarbeit
leisten“, sagt Weber. Es zeigte sich, dass eine
Synthetisierung von Fluor-Fentanyl letztendlich mit geringem Aufwand und Kosten
möglich war.
So gelangte der Wirkstoffkandidat aus
dem Rechner des ZIB ins Labor der Charité:
Die ersten Tierversuche in der präklinischen Phase haben gezeigt, dass der Wirkstoff als Schmerzmittel Wirkung zeigt und
alle Versuchstiere die Wirkstoffgabe überlebt haben, ohne schädliche Nebeneffekte.
Auch eine 400-fache Dosis wurde vertragen, die bei den bekannten Schmerzmitteln
bereits den Tod der Tiere bedeutet hätte.
Nach der Gabe bestimmter Antimittel
konnte die normale Schmerzempfindlichkeit bei den Tieren fast vollkommen wieder
hergestellt werden.
„Es fehlen aber noch viele andere pharmakologisch wichtige Parameter, zum Beispiel wie der Wirkstoff verstoffwechselt wird
oder ob es uns noch unbekannte Nebenwirkungen hat“, gibt Weber zu bedenken. Die
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vorläufigen Labortests reichten den Wissenschaftlern aber aus, um ein weltweites
Patent anzustreben. „Zunächst haben wir
den Wirkstoff in Europa zur Patentierung
gemeldet, uns dann aber entschlossen, ein
internationales Patent anzustreben. Das
wird noch etwa eineinhalb Jahre dauern. In
dieser Zeit wollen wir das nötige Geld auftreiben, um diese sehr teure Patentierung
bezahlen zu können“, erzählt Marcus Weber.
Im Prinzip geht es um zwei Patente, einmal
um den neuen Wirkstoff, das Fluor-Fentanyl, und um das Simulations-Modell, welches für die Berechnungen am Computer
verwendet wurde.
Bekannte Moleküle – ein w
­ enig
­modifiziert
Weber und seine Arbeitskollegen forschen
derzeit an neuen Wirkstoff­kandidaten, um
ihnen den letzten Schliff zu verpassen. Sie
wollen durch Statistik und Simulation
bekannte Moleküle so „designen“, dass sie
ihre Wirkungen ohne schädliche Neben­
effekte auslösen. Die computerbasierte
Optimierung von bivalenten und tetravalenten Wirkstoffverbindungen am Rezeptor, wie es zum Beispiel für Diabetes-Präparate der Fall sein kann, ist bereits auf diese
Art und Weise erfolgreich gewesen.
Diese Herangehensweise ist im Prinzip
für ein breites Spektrum von Wirkstoffklassen interessant: „Dieser rationale Wirkstoff­
entwurf gewinnt auch für die Forschung an
antiviralen Mitteln, Membran-Transpor-
tern oder Nanopartikeln immer mehr an
Bedeutung “, sagt Weber. Ein weiters interessantes Forschungsfeld für die Zukunft ist
die Optimierung des so genannten Re-Binding-Effekts. „Wenn ein Wirkstoff seinen
Rezeptor verlässt, wäre es gut, wenn es
erneut binden kann. Der Mensch ist aber
kein gut geschütteltes ­Reagenzglas in dem
chemische Verbindungen kontrolliert
ablaufen, sondern sehr viel komplexer“ sagt
Weber. Verschiedene Wechselwirkungen
können den Re-Binding-Effekt verhindern,
dieses gilt es zu optimieren.
Zielgerichtetere und effektivere
Forschung möglich
In der Wirkstoffentwicklung werden neue
Wege gegangen. B
­ isher war es üblich, neue
Medikamente durch Ausprobieren im
Labor herauszufiltern. Dieser Weg erscheint
aber nicht mehr zeitgemäß, wie das Beispiel
vom Fluor-Fentanyl zeigt. Etwa 80 Prozent
der Fortschritte, wenn es darum geht die
Schnelligkeit und Leist­ungsfähigkeit eines
Wirkstoffs zu optimieren, sind mittlerweile
mit solchen Simulationen und neuen
Algorithmen erreicht worden. Mit der
­
Computer-Methode kann man sehr zielgerichtet und effektiv Forschung betreiben,
ohne dabei die Forschungs­kosten wesentlich in die Höhe zu t­ reiben.
Dr. Christine Willen
Quelle: DFG Forschungszentrum MATHEON,
Mathematik für Schlüsseltechnologien
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