Der Islam zwischen Religion und Ideologie

Werbung
Liebe Genossinnen und Genossen,
anbei sende ich Euch einen ebenso umfangreichen wie hochinteressanten Vortrag über den Islam als Religion
und Ideologie, gehalten von einem erstklassigen Kenner. Macht Euch die Mühe, das lange Schriftstück zu lesen,
ich meine es lohnt sich.
Der Text ist mit 20676 Zeichen (einschließlich Leerzeichen) für einen Abdruck im Herzblatt viel zu lang. Ich bitte
Euch aber sehr herzlich
- zu veranlassen, dass meine Ausarbeitung in die Leseecke gestellt wird
- und im Herzblatt selbst einen knalligen Hinweis darauf unterzubringen.
Dafür danke ich Euch schon jetzt.
Die Organisatoren dieser Veranstaltung: Stadt- und Regionalbibliothek, Volkshochschule und Friedrich-EbertStiftung, wollen diesen Referenten nochmal holen, was wegen seiner beruflichen Pflichten (Landeskriminalamt
Rheinland Pfalz, wissenschaftlicher Mitarbeiter) und der Entfernung nicht sicher gelingen kann. Wenn er aber
kommen sollte und ich davon erfahre, will ich Nachricht geben.
Herzliche Grüße, alle guten Advents- und Weihnachtswünsche
und ein friedliches Jahr 2017
Dietrich Loeff
Der Islam zwischen Religion und Ideologie
Ein Vortrag von Dr. Marwan Abou Taam am 13.12.2016
in der Stadt- und Regionalbücherei Cottbus
Bericht von Dietrich Loeff
Der Referent
Dr. Marwan Abou Taam, geboren 1975 in Beirut, ist Muslim, lebt in Deutschland, ist assoziiertes Mitglied des Berliner Institutes für empirische Integrations- und Migrationsforschung;
Themenbereich internationaler Terrorismus, innere Sicherheit und Salafismus und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz für wissenschaftliche Analyse/Strategische Auswertung, Konzeption und Fortbildungsmaßnahmen. Er ist Referent an
mehreren Universitäten. Sein Dissertationsthema: „Deutsche Sicherheit im Spannungsfeld des
internationalen Terrorismus und der Weltordnungspolitik, Hamburg/Münster 2007.“ Er
spricht hervorragend Deutsch.
Die Organisatoren
Der Referent wurde von der Stadt- und Regionalbücherei Cottbus, der dort mit beheimateten
Volkshochschule und der Friedrich-Ebert-Stiftung eingeladen.
Das Publikum
Der Vortragsraum der Bücherei war gut gefüllt, vorwiegend mit mittleren und älteren Zuhörer, Jugendliche kaum. Der Referent fand sehr guten Anklang!
Meine Wiedergabe
Teilweise sind Definitionen und nicht allgemein bekannte Einzelheiten erläutert und mit Internet-Zitaten durch Fußnoten ergänzt oder als meine Anmerkungen gekennzeichnet. Zur
Länge dieses Berichtes ein Satz des Referenten: „Es ist kompliziert, ich kann es nicht kurz
machen.“
Ziel des Vortrages war es, das teils verzerrte Bild über den Islam richtig zu stellen.
Drei verwandte Weltreligionen
Die drei weltweit verbreiteten Religionen: Judentum (28 Millionen Anhänger), Christentum
(2,0 Milliarden Anhänger) und Islam (1) (1,9 Milliarden Anhänger) haben bedeutende Gemeinsamkeiten. Diese Religionen stammen alle aus Nahost, sehen alle in Abraham (bzw. Abram) (2) ihren Stammvater, glauben alle an jeweils nur einen einzigen Gott (monotheistische
Religionen). Durch Offenbarungen über Propheten (Juden = Mose, Muslime = Mohammed)
oder durch den Gottessohn Jesus (Christen) teilte Gott sich den Menschen als allmächtig und
seinen Willen mit.
Auch der Muslim glaubt, wie die Christen, an eine Vertreibung aus dem Paradies, dessen Ort
er in Mekka annimmt. Die den Muslimen vorgeschriebene Pilgerfahrt dorthin ist daher eine
Rückkehr ins Paradies.
Der Islam bezeichnet Christen und Juden meist nicht als Ungläubige, sondern nennt sie (im
Unterschied zu allen übrigen Glaubensformen oder Nichtglaubenden) Andersgläubige =
„Gläubige des Buches“. Er betrachtet Mose und Christus als Vorläuferpropheten Mohammeds, glaubt zwar nicht an die Kreuzigung Christi, erwartet ihn jedoch als endzeitlichen Erlöser. Johannes der Täufer (3), der auch Christus taufte, ist in einer wichtigen Moschee, der
Umayyaden-Moschee in Damaskus, beigesetzt. Sein Grab wird von den Muslimen respektiert.
Glaubensgrundlagen des Islam
Für alle Muslime ist der (heilige) Koran wichtigste Glaubensgrundlage (4). Sein Inhalt wurde
Mohammed (5) im Verlaufe von 22 Jahren vom Erzengel Gabriel als Botschaften von Allah
(6) versförmig mündlich überbracht, auswendig gelernt und baldmöglichst notiert.
Über Allah darf nicht philosophiert werden, die Auseinandersetzung mit Texten darf sich nur
auf die Erforschung seines Willens richten. Der Koran enthält jedoch sowohl rein zeitbedingte
Aussagen, wie auch logische Widersprüche (7). Er bedarf daher der kenntnisreichen Auslegung unter Berücksichtigung aller Umstände und in eigener Verantwortung. Bereits durch
muslimische Religionsgelehrte geschah und geschieht das unterschiedlich, insbesondere,
wenn moderne Erscheinungen eingeordnet werden sollen.
Dafür ein Beispiel: der Koran fordert, die muslimische Gemeinschaft zu stärken. Daraus folgern Geistliche, das Verbot der Antibabypille, um Kinderreichtum herbeizuführen. Andere
Gelehrte stellen dafür die gute Kindererziehung als Hauptsache hin und meinen, dass diese
bei zu vielen Kindern leide. Sie empfehlen daher die Pille. Die Entscheidung bleibt dem oder
der Einzelnen überlassen, denn „Keine Seele trägt die Last einer anderen.“
Ein zweites, hübsches Beispiel: Anfangs wurde im Koran geschrieben, Alkohol sei nützlich,
später heißt es, er sei weniger nützlich als schädlich. Beide Aussagen sind rein zeitgebunden.
Als die erste Aussage erfolgte, taten die Wüstennomaden Datteln in ihre Wasservorräte, um
sie durch Gärung mittels des entstehenden Alkohols vor Fauligwerden zu bewahren. Zu dieser
Zeit wurde nur ein Gebet pro Tag gesprochen. Später wurden fünf Gebete pro Tag verrichtet.
Dadurch bestand Gefahr, alkoholisiert zu beten. Und nun galt der Alkohol als schädlich, weil
Gebete stets bei voller geistiger Klarheit, also nüchtern, verrichtet werden sollen.
1) Das Wort Islam bedeutet völlige Hingabe an Gott.
2) Bibel, Erste Buch Mose, 11, 10-25,10
3) Bibel, Markusevangelium 1,2-8)
4
) Deutsch z.B. unter http://www.koran-auf-deutsch.de/1-die-%C3%B6ffnung-al-f%C3%A1tihah. Die einzig
verbindliche Glaubensgrundlage ist jedoch in der hocharabischen Sprache der Zeit Mohammeds.
5) Geboren 570 unserer Zeitrechnung in Mekka, gestorben 632 ebenda. Floh 622 nach Medina, weil seine Lehre in Mekka Repressionen ausgesetzt war. Dieses Datum ist der Beginn der islamischen Zeitrechnung, weil ab
da der Islam rasch und leichter ausgebreitet werden konnte. (Nach Wikipedia)
6) Allah = arab. „Der eine, der es würdig ist angebetet zu werden„ d.h. Gott
(http://www.fragenzumislam.de/?p=89)
7) Die Bibel auch, siehe schon den mittelalterlichen Theologen Abaelard (* 1079, † 1142). Er propagierte innerhalb der Scholastik die eigenverantwortliche, die Rahmenbedingungen der Textentstehung einbeziehende
Auslegung anstatt streng wörtlicher Befolgung. (https://de.wikipedia.org/wiki/Petrus_Abaelardus)
Hinzu kommen noch die sprachlichen Schwierigkeiten: der Koran ist im Hocharabisch seiner
Zeit verfasst, d.h. um 630 unserer Zeitrechnung. Dies ist die einzig verbindliche Version des
Textes. Die arabische Sprache hat sich aber indessen gewandelt, was jetzt meist Auto genannt
wird, hieß früher Karawane. Und zusätzlich hat das Arabische im Verbreitungsgebiet des Islam stark ausgeprägte regionale Dialekte angenommen. Dadurch weichen die Meinungen der
weniger gebildeten Muslime noch stärker voneinander ab, als die der Gelehrten der verschiedenen Glaubensrichtungen und ihrer jeweils noch differenzierteren mehreren Rechtsschulen.
Daher sind Meinungen über den Islam, die sich ohne diese Vorkenntnisse nur auf einzelne
Koranstellen gründen, fast immer falsch. Damit kann man Gesellschaften sowohl zivilisieren,
wie auch barbarisieren! Der von den Schiiten verehrte Ali (siehe Seite 3) sagte dazu: „Nicht
ihr lest den Koran, sondern der Koran liest, was in euch ist.“
Die zweite Glaubensgrundlage sind die Hadithe, d.h. „die Überlieferungen der Aussprüche
und Handlungen des Propheten Mohammed sowie der Aussprüche und Handlungen Dritter,
die er stillschweigend gebilligt hat. Der Begriff Hadith wird für eine einzelne solche Überlieferung verwendet. Ihre Gesamtheit wird mit dem Plural Hadithe bezeichnet. Sie gelten als das
Mittel, über das sich die nachkommenden Generationen über diese Handlungsweise informieren können. Darum wird das Studium der Hadithe noch heute als einer der wichtigsten Zweige der islamischen religiösen Wissenschaften angesehen.“ (Wikipedia)
Der Islam hat fünf sogenannte Säulen, Regeln die der Gläubige zu befolgen hat: das Glaubensbekenntnis ("Es gibt keinen Gott außer Allah und Mohammed ist sein Prophet"), das Gebet (fünf Mal täglich), das Fasten (tagsüber im Monat Ramadan), die (in der Höhe nach Vermögen festgelegte) soziale Pflichtabgabe und die Pilgerfahrt nach Mekka (mindestens einmal
im Leben).
Islamische Herrschaft
Mohammed hinterließ bei seinem Tode keine männlichen Nachfolger und kein Testament.
Da seine Familie überzeugt war, dass nur mit Mohammed verwandte Männer seine Lehre
richtig tradieren könnten, entstand über seine religiöse Nachfolge Streit, in dessen Ergebnis
der Verwandte Abu Bakr dominierte. Seiner religiösen Richtung folgen heute 85% der Muslime – die Sunniten (8). Ein kleinerer Teil der Verwandten war jedoch von der Rechtmäßigkeit des Verwandten Ali überzeugt. Sie bildeten die „Partei Alis“ (9), d.h. Schiiten, die gegenwärtig weltweit ca. 15% der Muslime umfasst.
Die sunnitischen Gebiete sind auf folgender Karte grün dargestellt, die schiitischen rot,
(Ibaditen-Gebiete blau; dazu sagte der Referent nichts). Die Intensität der Farbgebung symbolisiert den Anteil an der Bevölkerung. Sunniten und Schiiten befehdeten sich und befehden
sich bis heute.
8) Sunna ist das normbildende Verhalten des Propheten.
9) Schia = Anhängerschaft, Partei, Gruppe.
Verbreitung von Sunniten und Schiiten weltweit.
Die Mohammed zuteil gewordenen Offenbarungen waren, wie bei allen Religionen, ursprünglich nur ein spirituell aufgefasster Glaube. Es gibt darin keine nationale Einteilung der Menschen und keinen Nationalismus, sondern nur die Gemeinschaft der Gläubigen, die Umma.
Aus dem Koran wurden Verhaltensnormen, d.h. Gesetze, abgeleitet. Gegenüber der vorherigen Willkürherrschaft war das ein Fortschritt, der aber Folgen hatte. Denn die rasche Verbreitung des Islam, dem hundert Jahre nach 622 (10) von Südspanien bis Indonesien gehuldigt
wurde, erforderte eine Organisation dieser riesigen Menschenmassen und Territorien. (Der
Islam, ebenso das Judentum begründeten eine spezifische Zivilisation, das Christentum nicht,
weil es die göttliche Endzeit in kürzester Zeit nach seiner Entstehung erwartete und bis dahin
weltlichen Fragen keine Bedeutung mehr beimaß.) Damit stellte sich dem Islam die Frage der
Macht, um dem Willen Allahs organisatorisch den Weg zu ebnen. Dadurch politisierte sich
der Islam. Das tritt erfahrungsgemäß bei Religionen innerhalb von drei Generationen, d.h. ca.
100 Jahre nach ihrer Entstehung ein. Nun wurden die Nachkommen der Verwandten Mohammeds (Abu Bakr bzw. Ali) und deren weitere Nachkommen zu mächtigen Richtern in
Glaubensfragen, den sog. Kalifen (11) mit weitreichenden Kompetenzen.
Der Referent bejahte die Eingangsfrage des Vortrages, ob der Islam eine Ideologie sei, wies
jedoch warnend darauf hin, dass eine Ideologie nie nach materieller Macht streben soll.
Genau hier liegt der Unterschied zwischen dem einfachen muslimischen Gläubigen und den
Islamisten, die nach materieller Macht streben.
Die Frau im Islam
Auch bei den arabischen Stämmen, vielfach Nomaden, herrschte, wie in vielen Weltgegenden
das Patriarchat, in dem die Frau keinerlei Rechte hatte. Demgegenüber bedeuteten einige Regeln des Koran, die Frauen betrafen (12), einen gewissen Fortschritt, da die Frau z.B. – wenn
auch gegenüber Männern nur halbierte - Erbansprüche hatte und die übliche Vielweiberei, je
nach den Möglichkeiten des Mannes auf maximal vier Frauen begrenzte. Von öffentlichen
Angelegenheiten war sie ausgeschlossen.
Heute sind diese mageren Rechte der Frau inakzeptabel. Fortschritte sind dringend wünschenswert, wie dem Islam überhaupt eine Periode, vergleichbar der europäischen christlichen
Reformation bisher fehlt.
Der Koran sagt zur Kleidung der Frau nur, dass sie ihre Reize nicht zeigen soll, speziell ihre
Brüste sind mit einem Tuch zu bedecken. Welche anderen Reize noch gemeint sind, bleibt
undefiniert. Daher kann weder das Kopftuch, noch eine Verschleierung und Verhüllung mit
dem Koran begründet werden. Diese Männerforderungen sollen einzig und allein sichern,
dass die Frau keine Ehebrüche begeht, damit entstehende Kinder nicht von ihm ernährt und
ihnen nichts vererbt werden muss. Die Töchter sollen nicht in den Ruf sexueller Freizügigkeit
geraten, weil sie dann schwerer zu verheiraten sind.
10 ) Zu diesem Zeitpunkt verließ Mohammed Mekka, um seinen Glauben ungehindert zu verkünden.
11) Als Kalifat bezeichnet man die Herrschaft eines Kalifen, also eines „Nachfolgers“ oder „Stellvertreters Mohammeds“. Es ist eine islamische Regierungsform, bei der die weltliche und die geistliche Führerschaft in der
Person des Kalifen vereint sind und existiert seit der ab 661 regierenden Umayyaden-Dynastie. Nach sehr
wechselvoller Geschichte schaffte die strikt laizistische türkische Regierung unter Kemal Atatürk im März 1924,
das Kalifat vollständig ab. Alle Protagonisten wurden des Landes verwiesen - Wikipedia.
12) http://www.koran-auf-deutsch.de/4-die-frauen-nis%C3%A1
Der Islam heute
Nach Auffassung monotheistischer Religionen ist Gott bzw. Allah souverän. In Europa gilt
seit dem Westfälischen Frieden (1648) der Landesherrscher als souverän und seit der Großen
Französischen Revolution ist das Volk der Souverän (jedenfalls laut Verfassung – Dietrich
Loeff).
Mit dem 19. – 20. Jahrhundert dehnte Westeuropa seine Machtinteressen auch auf Nah- und
Mittelost aus. Die betroffenen Völker erlebten das überwiegend als Kolonialherrschaft und
Ausplünderung (13). Die Islamisten entstanden als Gegenbewegung, ca. ab 1928 (Muslimbrüder) und weisen heute darauf hin, dass in sehr reichen Ländern eine sehr arme Bevölkerung lebt. Ihre Hauptfeinde sehen sie in den USA, in Israel, den Nachfahren der Kreuzritter
(also West- und Mitteleuropa) und prowestlichen Regierungen ihrer eigenen Heimatländer.
Der Islam erkennt zwar die Menschenrechte und so auch die Grundrechte laut BRDVerfassung an, weil sie den Religionsgeboten ähneln. Nicht jedoch wird die säkuläre Grundidee des Staates mit Trennung von Staat und Kirche (Religion) akzeptiert.
Der Islam orientiert sich auch nicht am Nationalstaat, sondern wie oben schon gesagt, an der
weltweiten Gemeinschaft aller Gläubigen. Erst die Kolonialmächte des 19. Jahrhunderts und
danach trugen den Nationalbegriff diktatorisch und nur zur Durchsetzung eigener Interessen
hinein. Ein demütigendes Beispiel ist das Abkommen zwischen dem britischen Außenminister
Sykes und dem französischen Außenminister Picot (14). Die nicht gefragten arabischen Völker spotteten über diese Absprache, sie sei wohl bei einem feucht-fröhlichen Frühstück entstanden, bei dem die Politiker zum Schluss keine geraden Linien mehr ziehen konnten.
13 ) Siehe sehr ausführlich Peter Frankopan: Licht aus dem Osten – eine neue Geschichte der Welt, Rowohlt
Berlin Verlag GmbH, Berlin 2016, Seite 419 ff.
14) Das Sykes-Picot-Abkommen vom 16. Mai 1916 war eine geheime Übereinkunft zwischen den Regierungen Großbritanniens und Frankreichs, durch die deren koloniale Interessengebiete im Nahen Osten nach der
Zerschlagung des Osmanischen Reiches im Ersten Weltkrieg festgelegt wurden.
Einfluss- und Herrschaftsgebiete in Nahost nach dem Sykes-Picot-Abkommen. Rot = britischer Herrschaftsbereich, blau = französischer Herrschaftsbereich, lila = gemeinsame Verwaltung, blassere Farbgebung jeweils =
nur Einflussgebiet.
Heute begegnet uns der politische Islam als Antithese der westlich dominierten Zivilisation
und veröffentlichten Meinung. An seiner Entstehung haben jedoch westliche Regierungen
großen Anteil. Sie spannten die Taliban vor ihren Karren, um die in Afghanistan eingefallene
Sowjetarmee zu bekämpfen. Westliche Mächte unterhalten beste Beziehungen zu SaudiArabien, dem Land mit der dogmatischsten Auslegung des Islam. Saudi-Arabien nimmt wahr,
dass rund um dieses Königreich, alle Herrscher in muslimischen Ländern, unter starkem westlichen Einfluss gestürzt wurden. Als Reaktion verteidigen die saudischen Herrscher ihre
Macht im Lande umso härter und unterstützen international alle antiwestlichen Bestrebungen,
auch militante. „Der Westen bekommt den Geist, den er rief nicht mehr in die Flasche“(Referent).
Westeuropa, speziell auch die BRD warb ab den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts intensiv türkische Arbeitskräfte, fälschlich „Gastarbeiter“ genannt, für meist körperliche Arbeiten
an. Sie wurden daraufhin untersucht und die Fittesten bevorzugt genommen. Das aber waren
Männer, jung, tatendurstig und prall voller Testosteron. Die jungen Leute nutzen die sich bietenden Gelegenheiten daher auch für Alkoholgenuss, Sex und Drogen. Darüber berichteten sie
begeistert ihren in der Türkei zurückgebliebenen Freunden, sodass diese gern nachkamen.
Irgendwann reisten dann auch die Eltern ein und Konflikte zwischen deren Anschauungen
und den erworbenen Gewohnheiten ihrer Kinder folgten. Aber auch die Menschen der Aufnahmegesellschaft lehnten die Fremden oft ab. Die islamischen Kulturvereine trugen wenig
zur kulturellen Verständigung bei. So standen die jungen Leute isoliert da. Sie fanden nur
Trost bei den Salafisten. Das ist primär überwiegend eine Jugendbewegung, die in der gesamten Umma wirkt und durch Rückkehr zum „wahren Glauben“ und Aktivismus auch ihren
Mitgliedern persönliche Bedeutung und besondere Anerkennung suggeriert. Der „wahre
Glaube“ der früher (angeblich) gelebt wurde, löst nach salafistischer Meinung viele Probleme.
So führt diese Bewegung die blitzschnelle Niederlage der Araberstaaten im 1967 stattgefundenen Sechstagekrieg gegen Israel auf den Abfall vom „wahren Glauben“ zurück und sah sich
in ihrer Kritik an der religiösen Nachlässigkeit bestätigt.
Islam, Islamismus und Terror
Spektakuläre Terrorattentate, oft durch Selbstmordattentäter verübt, beschäftigen unsere Medien stark und sind einprägsam. Deshalb hier einige Fakten:
▪ In Westeuropa leben proportional zur Einwohnerzahl die meisten Muslime in Frankreich,
etwas weniger leben in Großbritannien und der Bundesrepublik.
▪ In der Bundesrepublik leben ca. 4,5 Millionen Muslime. Davon sind 40 000 Islamisten,
darunter 8 000 Salafisten. Diese erfüllen alle negativen Klischees der Aufnahmegesellschaften und dominieren zunehmend den Islam. Längst nicht alle Salafisten sind gewaltbereit, auch bei ihnen gibt es Legalisten und nur etwa 1 000 Terroristen. Wenig, aber ernst
zu nehmen!
▪ Islamisten streben – wie seinerzeit auch Leo Trotzki – die permanente Revolution für den
Weltfrieden an. Sie meinen, dieser sei durch universelle Islamisierung erreichbar. Dabei
ist der Gedanke der Revolution keine koranische Idee, sondern eine europäische.
Die Konflikte in Nahost
Wie auch immer bemäntelt, ob als Religionskonflikt, als Menschenrechtsfrage oder Demokratisierungsschub von außen: es geht um Einfluss, besonders um Macht über die profitablen
Erdöl- und Erdgasfelder. Mit Lieferung und Preis der begehrten Energieträger wollen viele
Staaten die Weltwirtschaft und Weltpolitik in ihrem Sinne lenken.
Dabei ringen in Nahost Ägypten, Iran, Israel, Saudi-Arabien und die Türkei um den Status
einer Regionalmacht, doch hat keines der Länder die Fähigkeit, dieses Ziel zu erreichen.
In diese durch Armut noch verschärften Auseinandersetzungen mischen sich zahlreiche fernliegende Mächte ein, voran die USA, aber auch Russland und westeuropäische Länder.
Iran kann sich gegen Aggressionen auch starker Mächte, bisher verteidigen. Seine Militärdoktrin beruht darauf, bei Angriffen auf sein Land jederzeit den Persischen Golf an seiner
engsten Stelle, der Straße von Hormus, für die zahlreichen Öltanker (15) aus aller Welt militärisch zu sperren (16). Die unweigerlich eintretende weltweite Ölverknappung würde jedem,
der Iran angriffe, den unwiderstehlichen Zorn aller Industrienationen zuziehen. Nun aber wird
eine Pipeline vorbereitet, die es ermöglicht, das Erdöl aus der Umgebung des Golfes nicht
über den Seeweg zu verschiffen, sondern es per Rohrleitung durch Nahost, speziell durch Syrien, bis in die Türkei und nach Europa zu transportieren. Damit verlöre Iran sein Druckmittel
auf die Weltpolitik. Um das zu verhindern, heizt Iran den Krieg in Syrien mit eigenen Kräften
und der mit ihm sympathisierenden libanesischen Hisbollah-Miliz an.
Über die weiteren Verflechtungen von Interessen, Macht und Ohnmacht sprach der Referent
nicht. Er zitierte aber Osama bin Laden, der Nahost mit einem Topf voll Wasser verglich. In
diesem Bild ist das Volk das Wasser, die Staatlichkeit der Topf, der Deckel die Regierung(en). Die starke Hand, die den Deckel auf diesen Topf presst, sind die USA. Wenn nun
starkes Feuer unter den Topf kommt, sind die Folgen absehbar. Soweit dieser Mörder.
Mein persönliches Fazit
15 ) 2011 wurden 35 Prozent des weltweiten Erdöls durch jene Straße transportiert - Internet
16 ) Bei Google-Earth ist erkennbar, dass die Gegend auf iranischen, fast menschenleeren kleinen Inseln vor
Flugplätzen strotzt – Dietrich Loeff.
Die Probleme in Nahost, wie auch in anderen Weltteilen, lassen sich durch Kriege mit vorgeschobenen, erheuchelten Begründungen nicht lösen. So klar mir das schon vor der Veranstaltung war, so habe ich doch eine reiche Fülle an weiteren Fakten bekommen.
Es muss alles getan werden, um diese Konflikte politisch zu entschärfen. Um die durch den
Vortrag erhaltenen Fakten bekannt zu machen, werde ich diese ausführliche Mitschrift weit
verbreiten und bitte darum das ebenfalls zu tun.
16.12.2016
Dietrich Loeff
Herunterladen