TRAUMA: POSTTRAUMATISCHE BELASTUNGSSTÖRUNG (PTBS)

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TRAUMA: POSTTRAUMATISCHE BELASTUNGSSTÖRUNG (PTBS)
9jähriges Pflegekind wird jahrelang misshandelt. Lkw-Fahrer übersieht junge Radfahrerin. Vier 18
bis 24jährige überleben Autounfall schwer verletzt. Wir gedenken der Opfer des Tsunami von
2004. Vater von zwei Kindern ersticht seine Frau im Affekt. Das Zugunglück von Eschede fordert
ein weiteres Opfer. Weitere Nachbeben auf Haiti zu erwarten. Mit 10 zur Prostitution gezwungen.
Jugendliches Mobbing Opfer begeht Selbstmord. Es vergeht kein Tag an dem nicht von
Schreckensnachrichten wie diesen berichtet wird. Es wird unterstellt, dass ein großer Teil der
Betroffenen ohne weitere Schäden diese Traumata überwinden. Nicht berichtet wird, wie die
Betroffenen mit solch traumatisierenden Lebensereignissen umgehen, ob sie Heilung finden oder
ob sie vielleicht ihr Leben lang unter den Folgestörungen dieser Traumata leiden.
Der Inhalt dieses Artikels befasst sich mit der Definition und Diagnostik von Posttraumatischen
Belastungsstörungen (PTBS) und Komplexen Posttraumatischen Belastungsstörungen nach den
gängigen klinisch-diagnostischen Leitlinien des ICD-10 und des DSM-IV. Des Weiteren wird der
Unterschied zwischen Ätiologie (Ursache) und Pathogenese (Entstehung und Entwicklung)
erarbeitet, um ein Verständnis für die Entstehung, Auswirkungen und die Schwere der
Konsequenzen von Traumata für Kinder und Jugendliche verständlich zu machen. Im Mittelpunkt
dieses Artikels stehen aber auch die Folgestörungen durch Traumata in der Kindheit, die anhand
aktueller Forschungsergebnisse aus den USA eine neue Sichtweise auf Traumata in der Kindheit
eröffnen sollen. Traumata können eine Stresswältigungsstörung zur Folge haben, die durch
Traumatherapie behandelt werden sollten.
DEFINITION VON TRAUMATA
Ein Trauma begreift sich als ein Ereignis und als eine Reaktion. Ein traumatisches Ereignis ist
gekennzeichnet durch eine aktuelle oder angedrohte ernsthafte Verletzung oder Tod. Beispiele
von traumatischen Ereignissen sind Kriegserlebnisse, sexuelle Übergriffe und Missbrauch,
interpersonelle emotionale und körperliche Angriffe, natürliche und von Menschen verursachte
Katastrophen, Angriffe von Terroristen und Verkehrsunfälle (APA, 2000). Diese Differenzierungen
von verschiedenen Arten von Traumata betreffen Kinder- und Jugendliche genauso wie
Erwachsene.
Ein Trauma ist nicht nur ein Ereignis, denn darüber hinaus kann ein Trauma auch eine Reaktion
sein. Die Reaktion einer Person auf ein traumatisches Ereignis beinhaltet intensive Gefühle wie
Angst, Hilflosigkeit, Schrecken, Schuld und Scham. Die individuelle gefühlsmäßige Reaktion und
subjektive Bewertung der Situation sind ein integraler Teil der Definition eines Traumas. Des
Weiteren werden auch Ereignisse als traumatisch bezeichnet, bei denen Personen Zeugen von
schweren Unfällen sind oder wenn jemand vom gewaltsamen Tod eines Freundes oder
Familienmitgliedes erfährt (APA, 2000).
Traumatische Ereignisse kommen nicht nur einzeln vor; Traumata können auch chronisch sein.
Zum Beispiel wenn Kinder prolongiert psychisch und physisch missbraucht werden, unter der
Armutsgrenze oder in gefährlichen Gegenden leben müssen. Traumata sind
Stressbewältigungsstörungen und diese Stressbewältigungsstörungen sind besonders verbreitet
in Gegenden wo viele Menschen chronischem Stress ausgesetzt sind wie zum Beispiel in
Kriegsgebieten wie Bosnien oder in gewalttätigen Milieus wie Neukölln oder Marzahn – oder in
dysfunktionalen Familien. Als schwächstes Glied in der Kette, sind Kinder in erhöhtem Maße
gefährdet chronisch oder komplex traumatisiert zu werden. Ein Trauma wird umso schlimmer
erlebt, je näher der Verursacher des Traumas dem Kind steht. Ein Beispiel für diese Art Trauma
ist der intrafamiliäre körperliche, emotionale oder sexuelle Missbrauch (Typ-II Trauma) oder der
sequenzielle über viele Jahre andauernde Missbrauch (Typ-III Trauma). Als Folge von Traumata
kann eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) oder sogar eine Komplexe
Posttraumatische Belastungsstörung entstehen.
ÄTIOLOGIE (URSACHE) DER POSTTRAUMATISCHEN BELASTUNGSSTÖRUNG (PTBS)
Das Wort Ätiologie kommt aus dem griechischen und definiert sich als die Lehre von der Ursache
von Krankheiten. In der klinischen Psychologie verweist die Ätiologie auf die Ursache einer
psychischen Störung, in diesem Falle auf die Ursache einer Posttraumatischen
Belastungsstörung (PTBS). Eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), nach DSM-IV
auch post traumatic stress disorder (PTSD) genannt, ist eine verzögerte und lang anhaltende
Reaktion auf ein traumatisches Erlebnis. Dieses belastende Ereignis ist in der Regel mit einer
extremen Bedrohung verbunden, wie dies bei emotionaler, sexueller und körperlicher Gewalt,
Naturkatastrophen oder Krieg der Fall ist. Dabei spielt es keine Rolle wie lange das traumatische
Ereignis angehalten hat. Auch Kinder und Jugendliche, die nicht unmittelbar bedroht waren, die
aber Augenzeuge der Situation waren, können eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
entwickeln. Zum Beispiel, wenn Kinder mit ansehen müssen wie der Vater die Mutter
misshandelt. Die betroffenen Kinder durchleben diese traumatischen Geschehnisse immer
wieder, so zum Beispiel in Form von Schreckreaktionen, sich aufdrängenden Erinnerungen,
Albträumen oder Flashbacks. Die Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS)
sind kausal. Das bedeutet sie stehen im engen Zusammenhang zwischen einem traumatischen
Ereignisse und deren Folgen (WHO, 2005).
DIAGNOSTISCHE KRITERIEN DER POSTTRAUMATISCHEN BELASTUNGSSTÖRUNG
(PTBS)
Die verschiedenen Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) treten
normalerweise mit einer Verzögerung von einigen Wochen bis zu mehreren Monaten nach einem
traumatischen Geschehen auf. Es gibt aber auch Fälle bei denen sogar nach Jahren nach dem
traumatischen Ereignis erst Symptome auftraten. Das betroffene Kind durchlebt die traumatische
Situation dabei immer wieder in Form von sich aufdrängenden Gedanken und Bildern auch
Intrusionen genannt. Diese sind aber nicht zusammenhängend sondern können
Erinnerungslücken aufweisen. Auch Flashbacks in Form von Bildern sind ein Symptom einer
Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), in denen plötzlich albtraumartige Eindrücke oder
Erlebnisse des Traumas sich aufdrängen. Weitere Symptome sind Ängste, Albträume oder auch
Tagträume. Vollständige oder partielle Erinnerungslücken werden als sehr belastend
wahrgenommen (WHO, 2005).
Die drei Leitsymptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung für Erwachsene nach ICD-10
sind:
Intrusionen in Form von Flashbacks, Albträume oder sich aufdrängende Gedanken oder
Erinnerungen.
Konstriktionen sind ein Vermeidungsverhalten bei denen die Person Situationen und Reize
vermeidet, die an das Trauma erinnern. Hierbei kann auch eine emotionale Taubheit (numbing)
auftreten. Die Person zieht sich aus dem sozialen Leben zurück und zeigt kein Interesse mehr an
Dingen, die ihr oder ihm vorher Freude bereitet haben. Die traumatisierte Person wirkt lustlos,
teilnahmslos oder gleichgültig.
Autonomes Hyperarousal: Dieses Syndrom beschreibt Symptome einer Übererregung wie
Schlafstörungen, Reizbarkeit, Schreckhaftigkeit, Überempfindlichkeit,
Konzentrationsschwierigkeiten oder Ängste (WHO, 2005).
Weitere charakteristische Symptome für eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
können Müdigkeit und leichte Erschöpfbarkeit sein. Es besteht eine erhöhte Komorbidität zu
Depressionen und Süchten. Die Gefahr Suizidgedanken zu entwickeln ist erhöht. Weitere
mögliche Symptome können Gefühle von Entfremdung sein. Ein Auftreten von körperlichen
Beschwerden oder die Verstärkung bereits vorhandenen körperlicher Symptome ist oft ein
weiteres Symptom einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Diese Symptome wurden
für Erwachsene ermittelt, gelten aber auch für Kinder und Jugendliche. Bei Kindern und
Jugendlichen kann sich eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) auch durch
Verhaltensauffälligkeiten bemerkbar machen. Aggressives Verhalten oder das wiederholte
Nachspielen der traumatischen Situation sind Beispiele für solche Verhaltensänderungen. Kinder
und Jugendliche variieren in der Art und Weise wie sie auf ein traumatisches Ereignis reagieren
(WHO, 2005).
Die Reaktion von Kindern ist stark beeinflusst von ihrem individuellen Entwicklungsstand, von
ethnischen und kulturellen Faktoren, ob ein vorhergehendes Trauma vorhanden ist, von
vorhandenen Ressourcen, oder vorher vorhandenen Problemen des Kindes oder der Familie. Es
ist jedoch erwiesen, dass fast alle Kinder und Jugendlichen in der akuten Phase der Erholung
von einem traumatischen Ereignis auf irgendeine Art und Weise Stress oder
Verhaltensänderungen zeigen. Nicht alle kurzzeitigen Verhaltensweisen bedingt durch ein
Trauma sind problematisch, denn einige Verhaltensveränderungen mögen der adaptive Versuch
sein mit dem traumatischen Ereignis umzugehen. Beispiele für diese Verhaltensveränderungen
sind:
-
die Entwicklung von neuen Ängsten
-
Trennungsangst insbesondere bei jüngeren Kindern
-
Traurigkeit
-
der Verlust an dem Interesse von zuvor bevorzugten Aktivitäten
-
mangelnde Konzentration
-
Verschlechterung in der Schule
-
Wut
-
somatische Beschwerden wie Bauchschmerzen
-
Reizbarkeit und Überempfindlichkeit (APA, 2000).
DIAGNOSTIK DER KOMPLEXEN POSTTRAUMATISCHEN BELASTUNGSSTÖRUNG
Erste seit 1992 wird der Begriff Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung im
amerikanischen Sprachraum verwendet. Die Namensgeberin Judith Herman definiert eine
Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung als Stressbewältigungsstörung bedingt durch
lang anhaltende und existentiell bedrohliche Lebensumstände wie emotionaler, körperlicher oder
sexueller Missbrauch durch Bindungspersonen. Der Unterschied zur Posttraumatischen
Belastungsstörung liegt im weiten Spektrum der Symptome die sich durch affektive, kognitive und
psychosoziale Beeinträchtigungen bemerkbar machen und dadurch über einen längeren
Zeitraum auftreten (Herman, 2003). Darunter zu verstehen sind „Störungen von Affekten und
Impulsen, dissoziative Störungen, Störungen der Selbstwahrnehmung, Störungen in der
Beziehung zu anderen Menschen, Somatisierungsstörungen, und Veränderungen von
Lebenseinstellungen“ (Huber, 2005, S. 3). Michaela Huber beschreibt, dass bis zu 60 % der
Patientinnen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung primär komplex traumatisiert sind (Huber,
2005).
HÄUFIGKEIT DER POSTTRAUMATISCHEN BELASTUNGSSTÖRUNG (PTBS)
Über die Häufigkeit der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) bei Kindern und
Jugendlichen gibt es unterschiedliche Angaben. Bei Stichproben in den USA fand man heraus,
dass ungefähr 2/3 aller Kinder und Jugendlichen bis zu ihrem 16. Lebensjahr mindestens einmal
ein traumatisches Erlebnis hatten. Die geschätzte Rate, dass Kinder oder Jugendliche
Augenzeuge von Gewalt in der Gesellschaft sind, liegt zwischen 39 % und 85 % und das Sie
selbst zum Opfer werden liegen bei 66 %. Die Rate von sexuellem Missbrauch liegt zwischen 25
% und 43 %. Die Rate für traumatische Ereignisse in Form von Katastrophen ist geringer als für
andere Geschehnisse, aber wenn eine Katastrophe geschieht, dann ist meist eine große Anzahl
von Kinder und Jugendlichen betroffen, so zum Beispiel bei dem Erdbeben auf Haiti (APA, 2008).
In Fällen von Missbrauch innerhalb von Familien muss zudem mit einer erhöhten Dunkelziffer
gerechnet werden.
Im letzten Jahrzehnt wurden ca. 2,5 Milliarden Menschen weltweit von Katastrophen
heimgesucht, ein großer Anteil davon waren Kinder und Jugendliche. Andere akute und potentiell
traumatische Ereignisse ereilen viele Kinder, wie zum Beispiel durch Autounfälle, Stürze, Feuer,
Hundeattacken, Beinah-Ertrinken oder durch Einwirkung von Gewalt durch Menschenhand. Die
Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe, der ökonomische Status, und das Geschlecht haben
einen Einfluss auf das Risiko als Kind oder Jugendlicher traumatisiert zu werden. Zum Beispiel ist
bewiesen, dass mehr Jungs als Mädchen körperlicher Gewalt ausgesetzt sind und gefährliche
Verletzungen davontragen, vor allem wenn der soziale Status geringer ist. Dafür ist die
Wahrscheinlichkeit höher als Mädchen sexuell missbraucht zu werden. Es wird geschätzt, dass
etwa jedes 4. bis 5. Mädchen im Laufe Ihres Lebens Opfer von sexueller Gewalt wird (APA,
2008).
Die Wahrscheinlichkeit im Laufe der Kindheit mindestens einmal Opfer eines traumatischen
Ereignisses zu werden ist relativ groß und Kinder und Jugendliche die chronisch und lang
anhaltend traumatisiert werden sind besonders gefährdet eine Komplexe Posttraumatische
Belastungsstörung zu entwickeln (APA, 2008).
PATHOGENESE (ENTWICKLUNG) DER POSTTRAUMATISCHEN BELASTUNGSSTÖRUNG
(PTBS)
Während sich die Ätiologie mit der Ursache einer psychischen Krankheit beschäftigt, so definiert
sich Pathogenese als die Lehre der Entstehung und Entwicklung einer psychischen Krankheit
unter Berücksichtigung aller möglichen Faktoren. Das bedeutet, eine Posttraumatische
Belastungsstörung (PTBS) und besonders eine Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung
ist multifaktoral. Bei der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) wären dies die Art und
Schwere des Traumas, wie zum Beispiel Monotrauma (Typ-I Trauma) wie Unfall oder multiple
Traumata wie zum Bespiel langjähriger Missbrauch (Typ-II Trauma).
Neben der Art und Schwere des Traumas sind noch die biologischen, psychologischen und
sozialen Faktoren des Betroffenen für die Entwicklung einer Posttraumatischen
Belastungsstörung (PTBS) oder Komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung von
Bedeutung. Mit biologischen Faktoren sind genetische Dispositionen der betroffenen Person
gemeint. Darunter fallen Persönlichkeitsmerkmale wie angeborener Optimismus, Introversion,
familiär bedingte Affektstörungen oder eine sehr stabile Natur (hardy personality). Als psychische
Faktoren verstehen sich der jeweilige psychologische Entwicklungsstand, kognitive
Wahrnehmungen, die Interpretation, Attribution und Antizipation von Ereignissen – sozusagen
den Blick auf und in die Welt.
Die sozialen Faktoren wie eine stabile Familie, eine nun sichere Umgebung, die gesellschaftliche
Unterstützung während und nach dem Trauma, die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe
und die wirtschaftlichen Umstände in der die Person sich befindet, haben ebenso einen großen
Einfluss auf die Entwicklung, den Verlauf und die Heilung einer Posttraumatischen
Belastungsstörung (PTBS). Diese Faktoren können protektiv sein und als Ressourcen dienen;
und damit einer chronischen Traumatisierung vorbeugen. Das Fehlen all dieser oder einzelner
Faktoren kann auch dazu beitragen, dass eine Heilung erst verspätet oder gar nicht möglich wird.
Physische und psychische Folgestörungen können das Resultat sein.
In Bezug auf die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und der Komplexen
Posttraumatischen Belastungsstörung bei Kindern und Jugendlichen ist ein Trauma die Ursache.
Sie stellt ätiologisch den Ausgangspunkt der Pathogenese dar und bringt sozusagen die
Krankheitsentstehung ins Rollen. Für Kinder und Jugendliche birgt dies einen Eingriff in ihren
neuronalen Entwicklungsprozess und damit in das zukünftige kognitive, emotionale, motorische
und soziale Verhalten. Neueste Untersuchungen zeigen, dass Folgestörungen welche durch
Traumata verursacht werden, bislang unterschätzt bzw. nicht in Betracht gezogen wurden, wenn
es darum geht Kindern und Jugendlichen den bestmöglichen Start in ein gesundes
Erwachsenenleben zu geben. Im folgenden Abschnitt werden einige dieser Untersuchungen
zusammengefasst, um die Wichtigkeit und vor allem die Dringlichkeit aufzuzeigen, damit Kinder
und Jugendliche vor Folgeschäden von Traumata bewahrt werden können.
FOLGESTÖRUNGEN VON PTBS UND KOMPLEXER PTBS
Lebensbedrohliche Ereignisse und andauernde Traumatisierung durch Bindungspersonen
verändern die komplexen biochemischen Abläufe und damit die zukünftige kognitive Verarbeitung
von Sinnesreizen. Das weitere Leben der betroffen Kinder wird durch die Traumatisierung tief
greifend und nachhaltig beeinflusst. Die mittlerweile fundierten Erkenntnisse der Plastizität
unseres Gehirns und die damit veränderten Denk- und Verhaltensmuster, emotionale Zustände
und somatischen Reaktionen durch Traumata erklären heute eine Vielzahl von möglich
auftretenden Folgestörungen. Zum Beispiel ist bewiesen, dass das Aufwachsen in einer
dysfunktionalen Familie eine Reduktion der Lebenserwartung bedingen kann oder zu einer
Ansammlung von Gesundheitsproblemen führt. Dies verdeutlichen die folgenden
Forschungsergebnisse.
Janice Kiecolt-Glaser von der Ohio State University of Medicine erklärt, das Kinderheitstraumata
das Leben um 7 bis 15 Jahre verkürzen kann. Kiecolt-Glaser und ihre wissenschaftlichen
Kollegen können aufzeigen, dass stressvolle Kindheitserlebnisse messbare und lang anhaltende
Konsequenzen haben. Traumata in der Kindheit wie zum Beispiel seine Eltern zu verlieren,
sequenziell missbraucht zu werden, aber auch der permanente Streit zwischen den Eltern kann
zu Entzündungen und Zellalterung führen, welche Kinder die nicht derartigem chronischen Stress
ausgesetzt sind nicht haben. Bei dieser wissenschaftlichen Arbeit wurden 132 gesunde ältere
Erwachsene untersucht und befragt, um herauszufinden wie negative Emotionen und
traumatische Erfahrungen in der Kindheit den biochemischen Marker von Stress beeinflussen
(Kiecolt-Glaser & Glaser, 2010).
Der Psychologe Seth Pollak von der University of Wisconsin-Madison untersuchte in einer groß
angelegten Studie die Verbindung zwischen Kindheitsstress durch Missbrauch, Vernachlässigung
und Armut und Veränderungen der Hormone und Gehirnaktivität. Er erklärt, das wir heute
ziemlich viel wissen über die Korrelation zwischen Kindheitstraumata und Probleme und
Störungen im späteren Leben, aber was wir nicht wissen ist warum das so ist. Was im Gehirn von
missbrauchten Kindern passiert und was sich dabei in dem sich entwickelnden Gehirn abspielt
und es so beeinflusst, dass es später zu sozialen, zwischenmenschlichen und
Gesundheitsproblem kommt, weiß man noch nicht. Was man aber herausgefunden hat, ist die
Tatsache dass Kindheitstraumata die Art und Weise verändert wie unser Gehirn Emotionen
erkennt und lernt (Pollak, 2010).
Ein weiteres Team von Wissenschaftler von der University of Toledo of Medicine hat
herausgefunden, dass eine Korrelation zwischen schwierigen Kindheitserlebnissen und schweren
Kopfschmerzen im Erwachsenenalter besteht. In Anlehnung an diese Forschung hat die
wissenschaftliche Gruppe von Gretchen Tietjen bestätigt, dass Kinder die emotionalen,
körperlichen oder sexuellen Missbrauch ausgesetzt sind zu einer höheren Wahrscheinlichkeit
unter häufigen Kopfschmerz oder Anfällen von Migräne als Erwachsene leiden. Gretchen Tietjen
und ihre Kollegen benutzten die Informationen einer umfangreichen Befragungsaktion von 17.337
Erwachsenen, die Mitglieder einer Krankenversicherung sind und die Fragen zum Thema
Missbrauch in der Kindheit beantworteten. Die Fragen bezogen sich auf 8 verschiedene Arten
von schwierigen Kindheitserlebnissen wie emotionaler, körperlicher, oder sexueller Missbrauch,
Zeuge von häuslicher Gewalt sein, das Aufwachsen in einer Familien mit psychischen Störungen,
der Gebrauch von Drogen oder Alkohol durch die Bindungspersonen, Gefängnisaufenthalt einer
Bindungsperson oder die Trennung der Eltern. Die Forscher fanden heraus, dass jeder Art von
Missbrauch oder Vernachlässigung die Wahrscheinlichkeit von häufigen Kopfschmerzen im
Erwachsenenalter erhöht. Nimmt die Zahl der verschiedenen Arten von Traumata während der
Kindheit zu, so erhöht sich auch das Risiko schwere Kopfschmerzen oder Migräne im
Erwachsenenalter zu entwickeln (Nauert, 2010).
Neben der erhöhten Gefahr von schweren Kopfschmerzen im Erwachsenenalter und der Gefahr
einer verkürzten Lebenserwartung, zählen auch eine weitere Anzahl von psychischen und
somatischen Krankheiten zu den Folgestörungen von nicht behandelten Traumatisierungen in der
Kindheit. Vor allem Affektstörungen wie Depressionen und Ängste aber auch suchtbedingte
psychische Krankheiten zählen zu den Folgestörungen von Traumata. Diese Traumata gefährden
die normale Entwicklung des Gehirns und des Nervensystems von Kindern. Es ist äußerst wichtig
zu verstehen, dass die Konsequenzen von Traumata in der Kindheit einen extremen Einfluss auf
die psychische und physische Gesundheit dieser Kinder haben. Da der Mensch ständig in
Wechselwirkung mit seiner Umwelt steht, leiden auch die innerfamiliären und sozialen
Beziehungen unter den Folgen von Kindheitstraumata, denn ein ehemals traumatisiertes Kind mit
Bindungsstörung läuft Gefahr dies an die nächste Generation weiterzugeben.
ZUSAMMENFASSUNG
Die weit verbreitete Kurzdefinition in der modernen Psychologie für ein Trauma lautet, dass ein
Trauma eine extreme psychische Erschütterung ist, die im Unterbewusstsein einer Person noch
lange nachwirkt. Die auslösende Situation überfordert die normalen Bewältigungsmechanismen
dieser betroffenen Person in besonderen Maßen. Viele neuere Forschungsergebnisse weisen
darauf hin, dass nicht behandelte Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) die psychische
und physische Entwicklung eines Kindes mehr beeinflussen als ehemals angenommen. Es wird
sogar davon ausgegangen dass die Lebenserwartung von traumatisierten Kindern um 7 bis 15
Jahre reduziert wird und dass Gesundheitsprobleme die Qualität und Funktionalität drastische
reduzieren.
Meine Hoffnung liegt darin, dass die Ergebnisse all der Studien zum Thema Traumata in der
Kindheit einen Paradigmen Wechsel bringen und dass traumatischer Stress, dem Kinder sehr oft
ausgesetzt sind, in all seinen Formen als Gesundheitsproblem anerkannt wird. Damit könnte
erreicht werden, dass ehemals traumatisierten Kindern schneller geholfen wird, um weiteres
Leiden zu vermeiden und ihre Lebensqualität zu erhöhen. Ein gesundes Kind hat zudem die
Chance zu einem gesunden Erwachsenen heranzureifen, der wiederum seinen Kindern ein
harmonisches und stabiles Umfeld bieten kann.
Zusammenfassend möchte ich deswegen auf die Wichtigkeit von öffentlicher Information zum
Thema Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) von Kindern und Jugendlichen und
kindlicher Entwicklung hinweisen. Wenn wir den U-Bahnschlägern, den Jugendlichen mit einer
Borderline-Persönlichkeitsstörung, die zunehmende Anhäufung von Magersucht und suizidalen
Jugendlichen von morgen helfen wollen, sollten wir heute hinsehen. Denn das Weiterleben einer
gesunden Gesellschaft, nämlich unserer Gesellschaft, hängt auch von der psychischen
Gesundheit seiner Kinder ab – von den humanitären Gründen ganz zu schweigen.
LITERATURVERZEICHNIS
American Psychiatric Association. (2000). Diagnostic and statistical manual of mental disorders
(4th ed.). Washington, D.C.: American Psychiatric Association.
American Psychiatric Association. (2008). Trauma. Abgerufen am
26.07.2010, http://www.apa.org.
Herman, J. (2003). Narben der Gewalt. Traumatische Erfahrungen verstehen und überwinden.
Paderborn: Junfermann Verlag.
Huber, M. (2005). Trauma und die Folgen Bd. 1 und 2. Paderborn: JunfermannVerlag.
Kiecolt-Glaser, J. & Glaser, R. (2010). Psychological stress, telomeres, and telomerase. Brain,
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Nauert, R. (2010). Childhood abuse linked to headaches in adulthood. Abgerufen am 26.10.2010
von www.apa.org.
Pollak, S. (2005). Early adversity and the mechanism of plasticity: Integrating affective
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WHO (2005). Internationale Klassifikation psychischer Störungen. Bern: Hans Huber Verlag.
Beate Landgraf
http://www.praxis-landgraf.de/2011/01/trauma-posttraumatische-belastungsstoerungen-ptbs/
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