Manuskript zum Vortrag „Islam – Konflikt oder Koexistenz“ am 24. 11. 2010 im Jakobitreff „Kirche und Welt“ in Rheine ES GILT DAS GESPROCHENE WORT ! Einleitung „Es ist ein Trommler im Osten, wenn der die Trommel rührt, dann erheben sich die Völker vom Atlas bis zum Hindukusch.“ Mit dieser düsteren Prophezeiung verschreckt vor über 100 Jahre der französische Gouverneur von Algerien, General Lyautey, ganz Europa. Einhundert Jahre später lesen wir von Peter Scholl-Latour etwa das Buch „Allah ist mit den Standhaften“. Dort heißt es auf S. 277: „Der Islam hat eine endgültige und unauslöschliche Trennungslinie zwischen Nord und Süd, zwischen Christus und Mohammed gezogen.“ Spätestens seit dem 11. September 2001 fühlen sich alle die bestätigt, die die These vertreten: Der Islam ist auf dem Vormarsch in Richtung Amerika und Europa mit dem Ziel, die westliche Welt zu unterwerfen. Nicht nur auf Buchcovern, sondern auch in Fernsehberichten und Nachrichtensendungen erscheinen uns Muslime als dumpfe, dem Mittelalter verhaftete fanatische Massen. Hinzu kommt die Angst vieler Zeitgenossen, dass etwa durch die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union und durch die hohe Geburtenrate in muslimischen Familien die eigene, sprich europäische oder deutsche Bevölkerung, bald schon allein zahlenmäßig ins Hintertreffen geraten und somit den Muslimen bzw. dem Islam unterliegen wird. In der Tat kann es einen ängstigen, dass die Zahl der Kinder in Deutschland immer stärker zurück geht. Dies hat vielerlei Gründe, ist aber keine Schuld der Muslime. Im Übrigen ist die Behauptung, dass die Zahl der Muslime bald die Zahl der Christen in Europa übersteigen werde, reine Propaganda. Mit der letzten EU-Erweiterung am 01.01.2007 gehören zur Europäischen Union 27 Staaten mit 480 Mio. Einwohnern. Davon sind etwa 72 % Christen und 5 % Muslime. Bei einem eventuellen Beitritt der Türkei hätte Europa heute 550 Mio. Einwohner, von denen dann 63 % Christen und ca. 15 % Muslime wären. Und wenn wir dann noch einen weiteren Ausblick wagen, stellen wir fest, dass bis zum Jahr 2050 der Anteil der Muslime in der Europäischen Union bei 25 % liegen würde. Der Islam wird also auf Dauer die religiöse Landschaft und das politische Erscheinungsbild in Europa mitbestimmen und C:\Users\Karl\Documents\Kirche\Islam - Konflikt oder Koexistenz.doc –2– mitprägen, aber auf keinen Fall, zumindestens was die Bevölkerungszahlen angeht, dominieren. Vor-Urteile Wir werden uns also in Zukunft als Christen oder auch als Mehrheitsgesellschaft mit dem Islam und mit den Muslimen beschäftigen und - wo nötig – auch auseinander setzen müssen. Dabei gibt es zum Dialog der Kulturen und Religionen keine Alternative. Allerdings muss man Dialoge auch führen können. Dazu gehört die Klärung der Frage: Was denken wir eigentlich von einander? Christen von Muslimen und Muslime von Christen? Dabei ist das kollektive Unterbewusstsein oder auch das, was wir gelegentlich das „Gedächtnis der Völker“ nennen, bei Christen und Muslimen gleichermaßen außerordentlich stark von negativen Emotionen besetzt. Fragt man Muslime danach, was ihnen als Erstes zum Stichwort „Christen“ einfällt, werden viele antworten: Kreuzzüge. Und dann wird das ganze Szenarium der Grausamkeiten der christlichen Kreuzfahrerheere geschildert. Fragt man Christen nach ihrer ersten Assoziation zum Thema „Islam“, werden viele mit den Stichworten wie Dschihad oder Selbstmordattentäter antworten. Also, was denken wir von einander? Welche Vor-Urteile haben wir? Bei den meisten NichtMuslimen in Deutschland erweckt das Stichwort „Islam“ in der Regel ambivalente Gefühle. Der politisch interessierte Zeitgenosse nimmt wahr, dass in den 22 Staaten der sogenannten Arabischen Welt von Marokko bis zum Irak etwa 280 Mio. Menschen leben, die bis auf wenige Ausnahmen, etwa auf der Arabischen Halbinsel, kein solides Wirtschaftswachstum kennen, eine hohe Analphabetenrate haben und oft in politisch und religiös hoch explosiven Gesellschaften leben. Nirgendwo, abgesehen einmal von der Türkei, gibt es einigermaßen funktionierende Demokratien nach westlichem Verständnis. Viele Staaten der arabischen Welt verbreiten innen- und außenpolitisch Angst und Schrecken. Dazu kommt, dass vor allem viele junge Muslime gerne in den USA oder in einem westeuropäischen Land leben würden, lieber in Manhattan also als in Mekka. Auf sie ist die Anziehungskraft unserer Länder außerordentlich stark, da sie für ihr Leben hier bessere Perspektiven erwarten als in ihren Heimatländern. Sie wollen zu uns kommen und spüren: Die wollen uns nicht haben. Wie sieht es nun mit den Vor-Urteilen auf muslimischer Seite aus? Dem muslimischen Betrachter aus der Türkei fällt in Europa als erstes ein wirtschaftliches Ungleichgewicht gegenüber seinem Heimatland auf. Das weckt bekanntlich Neidgefühle. Er sieht mit –3– Befremden eine gewisse Uniformierung der westlichen, sprich christlichen Gesellschaft unter amerikanischer Führung. Er hat das Gefühl, dass der Kolonialismus irgendwie noch nicht beendet ist. Hinzu kommt ein besonders gravierendes Problem: Konnte ein Moslem mit einer Karawane im Mittelalter ohne Probleme etwa von Marokko nach Indien reisen, sind die meisten Muslime heute zwangsweise ausgesprochen wenig mobil. Ein Türke z.B. etwa kann ohne Visum nur nach Ägypten, in den Iran oder nach Malaysia reisen. Sollte es ihm dennoch gelingen, etwa nach Deutschland zu kommen, empfindet er dieses Land nun ganz und gar nicht als säkular und sieht Religion und Staat nicht von einander getrennt, ganz im Gegensatz zu einer Forderung, die ständig gegenüber der Türkei erhoben wird. Die Kirchen sind für ihn in der Öffentlichkeit unübersehbar und unüberhörbar. Bei einem Blick in den Kalender sieht er, dass wir in Deutschland fast ausschließlich religiöse Feiertag haben. Und von der Königin in England hat er sogar gehört, dass sie Oberhaupt der anglikanischen Kirche ist. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch auf einen Umstand hinweisen, der oft übersehen wird. Während der Christ zumindest theoretisch betrachtet dem Islam völlig ohne Vorurteile begegnen kann, da der Islam ja bekanntlich nach dem Christentum entstanden ist, hat der Moslem immer schon ein wie auch immer geartetes Bild vom Christentum, das er durch den Koran vermittelt bekommt. Er findet hier eine hohe Achtung vor dem Propheten Jesus und liest etwa in Sure 5, Vers 82: „Und du wirst sicher finden, dass diejenigen, die den Gläubigen in Liebe am nächsten stehen, die sind, welche sagen, wir sind Christen.“ Es gibt aber auch Muslime, die stärker auf den Vers 51 in Sure 5 hören, in dem es heißt: „Ihr Gläubigen, nehmt euch nicht Juden und Christen zu Freunden bzw. Vertrauten.“ Der Vorsprung des Christentums Eine Sprache zu beherrschen bedeutet mehr als Vokabeln zu können. Um eine fremde Sprache wirklich sprechen und verstehen zu können, muss ich auch etwas wissen von der Kultur eines Landes. Und je besser ich eine Sprache verstehe, umso mehr verstehe ich die dazugehörende Kultur, die Religion, die bildende Kunst und die Musik. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von einem Prozess der Akulturation, d.h. der Übernahme kultureller Werte beim Lernen einer Sprache. Es ist darum sehr erstaunlich, dass in vielen muslimischen Ländern nach wie vor eine ganze Reihe von Schulen und Universitäten arbeiten, die in einer westlichen Sprache unterrichten und lehren, vorzugsweise in Englisch und Französisch - und das heißt für Muslime in einer –4– Sprache der Christen. Für Studenten in muslimischen Ländern ist ein Studium der Sozialoder Naturwissenschaften ohne das Beherrschen der englischen Sprache nicht möglich. In Marokko soll noch immer etwa ein Drittel der Universitätsprofessoren Franzosen sein. Die Stadt Istanbul in der Türkei hat eine ganze Reihe Gymnasien, in denen Französisch, Deutsch oder Englisch Unterrichtssprachen sind. Dies liegt zum Einen an einer langen Tradition der ausländischen Bildungsarbeit in muslimisch geprägten Ländern. Es liegt aber auch daran, dass sich viele muslimische Staaten schwer tun, das Arabische wieder als Wissenschaftssprache zu installieren. Diese Aussage gilt natürlich nur insofern dort, wo Arabisch auch alltägliche Umgangssprache ist, bezieht sich also in diesem Falle nicht auf die Türkei. Dabei ist das Arabische über viele Jahrhunderte eine hochdifferenzierte Wissenschaftssprache gewesen, mit der sich muslimische Rechtsgelehrte, Philosophen, Mediziner, Chemiker, Astronomen und Mathematiker von Andalusien über Nordafrika und Vorderasien bis nach Indien über alle kulturellen und ethnischen Unterschiede hinweg verständigen konnten. Das Arabische war eine globale Sprache, die an internationaler Bedeutung das Latein des christlichen Mittelalters bei Weitem übertraf. Das Arabisch von heute ist vielleicht deshalb nicht mehr ausdrucksfähig genug, nicht mehr in der Lage, moderne Bildungsinhalte zu verarbeiten und zu vermitteln, weil es für viele Muslime die Sprache des unveränderlichen, abgeschlossenen Koran ist. Konservativen muslimischen Autoritäten ist es gelungen, im Verlauf der Jahrhunderte zunehmend alle Versuche zu unterbinden, das Arabisch des Koran dem gesellschaftlichen Wandel anzupassen und weiter zu entwickeln. Das Arabische stagnierte und damit auch die Möglichkeiten arabisch-muslimischer Länder, an den technischen und naturwissenschaftlichen Entwicklungen der Welt angemessen teilzunehmen. Der Vorsprung der Muslime Wer einmal nach Damaskus kommt, sollte einmal den Bimaristan Nuri besuchen. Der Begriff ist Persisch und bedeutet so viel wie „Krankenhaus des Nuri.“ Nuri war ein berühmter Bauherr und baute dieses Spital im Jahr 1154. Es hatte eine große Zahl von Ärzten, eine reichhaltige Bibliothek, eine chirurgische und orthopädische Abteilungen, einen besonderen Bereich, wo Geisteskrankheiten behandelt wurden. In Europa sahen damals Krankenhäuser ganz anders aus. Hier waren die Krankenhäuser eher Siechenhäuser, in denen die vornehmste Aufgabe der meist dort arbeitenden Klosterbrüder und -schwestern darin bestand, die Kranken –5– auf das Jenseits vorzubereiten. Eine Behandlung, wie sie etwa in Syrien des 12. Jahrhunderts Kranke erfahren konnten, erlebten Menschen in Europa erst dreihundert Jahre später. Auch was den Umgang mit der Literatur betrifft, war das frühe und mittelalterliche Christentum eher rabiat. Im Jahr 391 zerstören christliche Fanatiker die Bibliothek von Alexandria und somit einen großen Teil unersetzlicher Werke der griechisch-römischen Antike. Dies war erst der Anfang eine groß angelegten literarischen Vernichtungsaktion. Zum Abschluss kam sie erst im Jahre 600. Damals zerstörten Christen die letzte der großen herausragenden Bibliotheken in Europa, nämlich die Palatina von Rom. Ganz anders gingen die Muslime vor. Im Zuge ihrer Eroberungen ab dem 7. Jahrhundert gingen sie daran, Bücher griechischer Wissenschaftlicher ins Arabische zu übersetzen. Bereits im Jahre 900 waren alle wichtigen Werke Platons und des Aristoteles ins Arabische übertragen und so ist es zu der paradoxen Situation gekommen – wer weiß das schon noch – dass griechische Philosophie und Naturwissenschaft nicht von Griechen und Römern unter christlicher Herrschaft an die Nachwelt weitergegeben wurden, sondern von muslimischen Arabern und Persern. Nach einer Überlieferung eines der Worte Mohammeds soll dieser gesagt haben: „Beim Jüngsten Gericht werden die Tinte der Gelehrten und das Blut der Glaubenskämpfer gewogen – und die Tinte der Gelehrten wird mehr wiegen, als das Blut der Glaubenskämpfer.“ Diese Grundhaltung hatte für die Frühzeit des Islam einschneidende Folgen. Überall in den islamischen Metropolen entstanden Schulen, Bibliotheken und Akademien. Begünstigt wurde diese Entwicklung durch die Tatsache, dass ja Arabisch als „heilige Sprache“ des Koran wie die der Wissenschaften zugleich auch Volkssprache war, zumindestens im Vorderen Orient. Ganz anders war die Situation im Christentum. Die Bibel wurde von den Wissenschaftlern in Griechisch und Hebräisch und vom Klerus in Latein gelesen. Keine dieser Sprachen war in Europa auch Umgangs- und Volkssprache. Während des 14. und 15. Jahrhunderts verengten sich Religion und Kultur in der islamischen Welt entscheidend. Während in islamischen Ländern die geistlichen Institutionen das Bildungsmonopol übernahmen, lösten sich in einer gegenläufigen Bewegung im christlichen Abendland Philosophie und Wissenschaft aus der Bevormundung der Kirche. Endlich 1276 entstand in Italien die erste Papiermühle, 500 Jahre nach ihrer Einführung in Bagdad. Das christliche Abendland hatte begonnen, den islamischen Orient zu überholen. –6– Muslime in Deutschland Dass innerhalb von nur vier Jahrzehnten mit den Muslimen in Deutschland die zweitgrößte Religionsgemeinschaft entstehen würde, ahnte zu Beginn der 60er Jahre niemand. Man rechnete damit, dass Arbeitskräfte ständig kommen und gehen würden und sich damit das Problem der Integration überhaupt nicht stellen würde. Hier haben sich alle Beteiligten gründlich getäuscht. Heute leben in Deutschland etwa 3,2 Millionen Muslime, davon 2,6 Millionen Menschen aus der Türkei oder mit „türkischem Migrationshintergrund“. Durch türkische Geschäfte, durch Moscheen, durch Menschen, die sich bei uns genauso kleiden, wie sie es etwa in ihren anatolischen Dörfern gewohnt waren, hat sich das Gesicht unserer Städte bzw. das Gesicht mancher Stadtviertel verändert. Dies löst immer wieder bei der Mehrheitsgesellschaft Angst und auch Aggression aus. Wir tun gut daran, diese Ängste wahrzunehmen und sie nicht sofort als rechtsradikales Gehabe ab zu geißeln. Es gibt eine Angst vor Überfremdung und es gibt auch eine ganz reale Angst etwa vor dem Wertverlust von Immobilien, wenn etwa Pläne zum Bau einer Moschee bekannt werden. Jeder ist natürlich dafür, dass Moscheen gebaut werden dürfen, aber bitte nicht in der eigenen Nachbarschaft. Bei allem Verständnis für vorhandene Ängste, eins muss uns allen ganz klar sein: In unserem Land leben Muslime und sie werden auf Dauer bei uns leben, und wir sollten alles daran setzen, diese Tatsache als ein Zeichen der Bereicherung in unserem Land zu begreifen. Wir, die sogenannte Mehrheitsgesellschaft. Wobei ich sehr skeptisch bei diesem Begriff bin. Denn die Mehrheiten wechseln. Ich selber etwa bin evangelisch und gehöre damit zur Christenheit, die die Mehrheit in Deutschland stellt. Ich gehe jedoch jeden Sonntag zur Kirche und gehöre damit schon wieder zu einer Minderheit. Die allermeisten Muslime halten sich genauso wie der Rest der Bevölkerung an die Gesetze, sind also somit Teil der Mehrheitsgesellschaft. Gehen sie aber in die Moschee und bekennen sie ihren Glauben, sind sie wieder in der Minderheit. Was also haben sie zu tun, die sogenannte Mehrheit und die sogenannte Minderheit, um Ängste abzubauen und ein gemeinsames Leben in Frieden zu ermöglichen? Die Mehrheit Zwei Ratschläge, die ich der Mehrheit geben würde – wobei ich weiß, dass das meistens nichts nützt – wären diese: Üben Sie Gelassenheit, und bemühen Sie sich immer wieder, Probleme differenziert wahrzunehmen. Gelassen zu sein heißt für mich vor allen Dingen, tolerant zu sein, wobei Toleranz nicht mit Gleichgültigkeit verwechselt werden darf. Toleranz bedeutet nicht, alles und jedes hinzunehmen. Aber Toleranz bedeutet, und dies im wahrsten –7– Sinne des Wortes, zu ertragen, dass andere Menschen andere Lebensentwürfe haben als ich, dass andere Menschen etwas anderes glauben als ich, etwas anderes hoffen als ich und ihr Leben anders gestalten, als ich es vielleicht für richtig halte. Das verlangt mir viel ab, aber anders lässt sich ein Leben in einem immer komplizierter werdenden Gemeinwesen nicht gestalten. Die Mehrheitsgesellschaft in unserem Land muss um ihrer Selbst willen und um ihrer eigenen Zukunft willen ein großes Interesse daran haben, Minderheiten, in diesem Fall Muslime, zu integrieren. Dabei reicht es nicht nur, dass wir miteinander sprechen, obwohl das schon viel ist. Wir müssen uns vielmehr überlegen, wie wir möglichst bald Wege finden, Muslime genauso wie andere Minderheiten an der Gestaltung unseres Landes, unserer Gesellschaft zu beteiligen, das heißt, wir müssen uns darauf einrichten, Macht abzugeben. Ich bejahe nicht nur, dass Muslime in unserem Land dieselbe Religionsfreiheit genießen können wie wir Christen, wobei ich mir wünschen würde, dass dies in muslimischen Ländern auch der Fall wäre, ich bejahe auch den muslimischen Religionsunterricht in deutscher Sprache an unseren Schulen. Ich bin dafür, dass muslimische Gemeinden auch Kindergärten, Krankenhäuser, Sozialstationen und Beratungsstellen einrichten können. Freilich, wer sich einsetzt, setzt sich auch aus. Wer selber Kindergärten und Schulen verantwortlich führen will, muss sich genau wie die anderen, die auch solche Einrichtungen betreiben, der Kritik aussetzen. Da reicht es nicht, wie ich es gelegentlich vor allem Dingen bei muslimischen Verbänden beobachte, ständig nur beleidigt zu sein. Da ist Engagement und Einsatz gefordert. Zur Gelassenheit gehört die Toleranz, zur Gelassenheit gehört auch die Geduld. Wieviel hat sich bei uns in den letzten 40 Jahren, was die Einstellung der Bevölkerung betrifft, verändert. Vor 40 Jahren gab es noch einen Kuppeleiparagrafen. Heutzutage weiß kein Jugendlicher mehr, was das war. Schwule und lesbische Lebensgemeinschaften, die in der rechtlichen Stellung einer Ehe nahezu gleich kommen, waren unvorstellbar. Dass Rentner unverheiratet zusammen leben, war unbekannt. Müssen alle so schnell umdenken wie wir es getan haben? Wir reden so gerne davon, dass wir eine Wertegemeinschaft sind und Muslime diese Werte nicht teilen. Ich habe da an manchen Stellen meine Bedenken. Wenn bei uns jede dritte Ehe auseinander geht, wenn bei uns in den Stadien bei Fußballspielen oder vielmehr noch danach, alkoholisierte Massen randalieren, so sprechen diese Dinge nicht gerade für unsere Wertegemeinschaft. Darauf komme ich aber später noch einmal zurück. Neben der Gelassenheit wünsche ich der Mehrheitsgesellschaft auch die Fähigkeit, zu differenzieren. Das fängt bei den Begriffen an. Islam und Islamismus werden ständig verwechselt. Bei den Muslimen gibt es Sunniten, Schiiten, Aleviten, Wahabiten, um nur die –8– größten Gruppen zu nennen. Sie unterscheiden sich genauso voneinander wie eine katholische Sizilianerin von einem protestantischen Norweger oder ein griechisch-orthodoxer Mönch von einem erweckten evangelikalen Christen in den USA. Wir müssen dies zur Kenntnis nehmen. In unserer Gesellschaft leben viele Muslime, vor allem etwa die Aleviten , die uns etwa in ihrem äußeren Erscheinungsbild überhaupt gar nicht mehr als Muslime auffallen. Wir haben auch in unserem Land eine ganze Reihe muslimischer Unternehmer und selbstständige Handwerker, alle diese Menschen tragen bei zum Wohlstand unseres Landes. Ich weiß, dass es auch ganz andere Muslime gibt, an dieser Stelle plädiere ich jedoch für ein differenziertes Hinsehen. Die Minderheit Von der Minderheit, sei sie nun muslimisch oder nicht, wünsche ich mir vor allem Selbstvertrauen und die Bereitschaft, die Zukunft unseres Landes mitzugestalten. Es ist das Recht der muslimischen Minderheit, andere Vorstellungen hinsichtlich der Ehe oder des Sexualverhaltens zu haben, aber hier gilt das alte Wort von Rosa Luxemburg, dass Freiheit vor allen Dingen immer die Freiheit des anderen ist. Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Respekt, Rücksichtnahme, Toleranz kann ich nicht nur selber für mich erwarten, sondern muss sie auch anderen gewähren. Ich würde mir darum auch von Muslimen an manchen Stellen eine größere Gelassenheit wünschen. Es ist für mich eine große Frage, ob es dem Rechtsfrieden in unserem Land dient, wenn etwa Probleme wie die des Kopftuchs, der Bau von Moscheen, die Höhe von Minoretten, der Ruf des Muezzin, durch alle Instanzen unserer Gerichte gejagt werden. Ich würde mir gelegentlich von muslimischer Seite etwas mehr Einfühlungsvermögen wünschen, etwa dann, wenn man einer Moschee den Namen FathiMoschee gibt und damit an den muslimischen Eroberer des christlichen Konstantinopel erinnert. Für jeden in unserem Land, gehöre er zur Mehrheit oder zur Minderheit, sei er Moslem, Christ oder Atheist, gilt: Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gilt für alle Menschen. Das heißt, es gibt für niemanden Sonderrechte, denn wenn es die gäbe, wären wir auf dem Weg, Parallelgesellschaften zu etablieren. Hier ist deutlich davor zu warnen, die Tatsache, dass der eine mit Vorliebe Döner-Kebab isst und der andere den bunten Abend der Volksmusik im Fernsehen gerne anschaut, als Ausbildung von Parallelgesellschaften zu deuten. Das ist völlig falsch. Eine Parallelgesellschaft entsteht erst dann, wenn bestimmte Gruppen Sonderrechte für sich in Anspruch nehmen. Wenn etwa muslimische Gruppierungen –9– fordern, für sie ein eigenes Ehe-, Familien- und Erbrecht einzuführen, oder wenn fromme Baptisten meinen, dass ihre Kinder nicht zur Schule gehen müssten. Hier muss sich eine Gesellschaft unmissverständlich darauf verständigen, was sie von all ihren Bürgerinnen und Bürgern erwartet und wozu alle bereit sein müssen. Dazu gehört es auch, dass in der Öffentlichkeit und in öffentlichen Einrichtungen, wie etwa in der Schule, konsequent die deutsche Sprache benutzt wird. Allerdings sollte man sich davon nicht das ganze Heil erwarten. In Frankreich und in England, wo es zu schweren Krawallen und schrecklichen Anschlägen gekommen ist, an denen Muslime beteiligt waren, konnten die Täter jeweils hervorragend die Landessprache sprechen. In unserem Lande gilt auch die Regel, dass nur Gleiches gleich behandelt werden kann und Ungleiches ungleich behandelt werden muss. Aus diesem Grunde hat etwa die Scientology„Kirche“ nicht dieselben Rechte wie die Evangelische Kirche, weil es sich in dem einen Fall um ein dubioses Unternehmen und in dem anderen Fall um eine Glaubensgemeinschaft handelt, mit der der Staat seit über sechzig Jahren kooperiert. Die Forderung, alle Religionen in unserem Land gleich zu behandeln, ist darum falsch. Der Staat und auch unsere Gesellschaft hat das Recht, stärker mit denen zu kooperieren, die sein Grundanliegen unterstützen und fördern, die Sorge um die Schwachen, der Einsatz in der Bildung, die Betreuung von Kranken und die die Ziele des Grundgesetzes unterstützen. Ich bin davon überzeugt, dass die meisten Muslime in unserem Land die Ordnung und Ziele unseres Grundgesetzes bejahen. Mit diesen Menschen haben wir naturgemäß keine Probleme. Probleme gibt es mit den anderen, deren Lebensentwürfe dem Grundgesetz und den Gesetzen unseres Landes entgegenstehen. Angst überwinden – Zukunft gestalten Christen und Muslime müssen die Zukunft unseres Landes gemeinsam gestalten. Dabei verbindet sie vieles. Etwa das Wissen, dass es in ihrem Leben nicht nur allein auf sie ankommt, sondern sie sich jeweils durch ihre Religion Gott verbunden und verpflichtet wissen. Für unsere gemeinsame Zukunft sehe ich kurz und mittelfristig folgende Aufgaben, die wir gemeinsam bewältigen müssen: – 10 – 1. Mehrheit und Minderheit müssen sich darauf verständigen, wie sie Macht miteinander teilen. 2. Wir müssen dringend die ethnische Bildungsschere schließen. Es geht nicht an, dass Kinder aus Migrantenfamilien schlechtere Schulchancen haben als deutsche Kinder. 3. Wir müssen uns gegenseitig differenzierter wahrnehmen. 4. Christen müssen etwas vom Islam und Muslime müssen etwas vom Christentum wissen. 5. Christen müssen sich ihres eigenen Glaubens versichern und auskunftsfähig sein über Grundfragen ihres christlichen Glaubens. 6. Es entspricht der Religionsfreiheit in diesem Land, dass jeder seine Religionszugehörigkeit behalten, wechseln oder aufgeben kann. Der Dialog der Religionen, also auch der christlich-islamische Dialog, ist Voraussetzung für ein friedliches Miteinander von Menschen unterschiedlicher Überzeugungen. Dieser Dialog vollzieht sich dabei immer in der Spannung von Identität und Verständigung. Mit sich selber identisch zu sein und sich mit anderen zu verständigen, sind auch Grundformen demokratischen Lebens in einem Staat. Der Dialog der Religionen braucht auf beiden Seiten starke Positionen. Die starken Positionen schaffen jedoch keine Konfrontationen und keine Ängste. Ganz im Gegenteil. Sie schaffen gegenseitiges Vertrauen, weil die Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner sich kennen und die jeweils anderen Positionen einschätzen können. Der christlich-islamische Dialog braucht in Kirche und Staat selbstbewusste Partnerinnen und Partner, Menschen, die selber etwas von sich wissen und darum offen sind für andere. Der christlich-islamische Dialog braucht Menschen, die bereit sind, miteinander das „europäische Haus“ zu bauen, für eine glückliche Zukunft unserer Kinder und zum Wohl aller Menschen, für die wir Sorge tragen. Gerhard Duncker Kirchenrat Evangelische Kirche von Westfalen Das Landeskirchenamt Telefon-Nr.: 0521/594-391