Angst vor dem Islam - Evangelische Kirchengemeinde Jakobi zu

Werbung
Manuskript zum Vortrag „Islam – Konflikt oder Koexistenz“ am
24. 11. 2010 im Jakobitreff „Kirche und Welt“ in Rheine
ES GILT DAS GESPROCHENE WORT !
Einleitung
„Es ist ein Trommler im Osten, wenn der die Trommel rührt, dann erheben sich die Völker
vom Atlas bis zum Hindukusch.“ Mit dieser düsteren Prophezeiung verschreckt vor über 100
Jahre der französische Gouverneur von Algerien, General Lyautey, ganz Europa. Einhundert
Jahre später lesen wir von Peter Scholl-Latour etwa das Buch „Allah ist mit den Standhaften“.
Dort heißt es auf S. 277: „Der Islam hat eine endgültige und unauslöschliche Trennungslinie
zwischen Nord und Süd, zwischen Christus und Mohammed gezogen.“ Spätestens seit dem
11. September 2001 fühlen sich alle die bestätigt, die die These vertreten: Der Islam ist auf
dem Vormarsch in Richtung Amerika und Europa mit dem Ziel, die westliche Welt zu
unterwerfen. Nicht nur auf Buchcovern, sondern auch in Fernsehberichten und
Nachrichtensendungen erscheinen uns Muslime als dumpfe, dem Mittelalter verhaftete
fanatische Massen. Hinzu kommt die Angst vieler Zeitgenossen, dass etwa durch die
Aufnahme der Türkei in die Europäische Union und durch die hohe Geburtenrate in
muslimischen Familien die eigene, sprich europäische oder deutsche Bevölkerung, bald schon
allein zahlenmäßig ins Hintertreffen geraten und somit den Muslimen bzw. dem Islam
unterliegen wird.
In der Tat kann es einen ängstigen, dass die Zahl der Kinder in Deutschland immer stärker
zurück geht. Dies hat vielerlei Gründe, ist aber keine Schuld der Muslime. Im Übrigen ist die
Behauptung, dass die Zahl der Muslime bald die Zahl der Christen in Europa übersteigen
werde, reine Propaganda. Mit der letzten EU-Erweiterung am 01.01.2007 gehören zur
Europäischen Union 27 Staaten mit 480 Mio. Einwohnern. Davon sind etwa 72 % Christen
und 5 % Muslime. Bei einem eventuellen Beitritt der Türkei hätte Europa heute 550 Mio.
Einwohner, von denen dann 63 % Christen und ca. 15 % Muslime wären. Und wenn wir dann
noch einen weiteren Ausblick wagen, stellen wir fest, dass bis zum Jahr 2050 der Anteil der
Muslime in der Europäischen Union bei 25 % liegen würde. Der Islam wird also auf Dauer
die religiöse Landschaft und das politische Erscheinungsbild in Europa mitbestimmen und
C:\Users\Karl\Documents\Kirche\Islam - Konflikt oder Koexistenz.doc
–2–
mitprägen, aber auf keinen Fall, zumindestens was die Bevölkerungszahlen angeht,
dominieren.
Vor-Urteile
Wir werden uns also in Zukunft als Christen oder auch als Mehrheitsgesellschaft mit dem
Islam und mit den Muslimen beschäftigen und - wo nötig – auch auseinander setzen müssen.
Dabei gibt es zum Dialog der Kulturen und Religionen keine Alternative. Allerdings muss
man Dialoge auch führen können. Dazu gehört die Klärung der Frage: Was denken wir
eigentlich von einander? Christen von Muslimen und Muslime von Christen? Dabei ist das
kollektive Unterbewusstsein oder auch das, was wir gelegentlich das „Gedächtnis der Völker“
nennen, bei Christen und Muslimen gleichermaßen außerordentlich stark von negativen
Emotionen besetzt. Fragt man Muslime danach, was ihnen als Erstes zum Stichwort
„Christen“ einfällt, werden viele antworten: Kreuzzüge. Und dann wird das ganze Szenarium
der Grausamkeiten der christlichen Kreuzfahrerheere geschildert. Fragt man Christen nach
ihrer ersten Assoziation zum Thema „Islam“, werden viele mit den Stichworten wie Dschihad
oder Selbstmordattentäter antworten.
Also, was denken wir von einander? Welche Vor-Urteile haben wir? Bei den meisten NichtMuslimen in Deutschland erweckt das Stichwort „Islam“ in der Regel ambivalente Gefühle.
Der politisch interessierte Zeitgenosse nimmt wahr, dass in den 22 Staaten der sogenannten
Arabischen Welt von Marokko bis zum Irak etwa 280 Mio. Menschen leben, die bis auf
wenige Ausnahmen, etwa auf der Arabischen Halbinsel, kein solides Wirtschaftswachstum
kennen, eine hohe Analphabetenrate haben und oft in politisch und religiös hoch explosiven
Gesellschaften leben. Nirgendwo, abgesehen einmal von der Türkei, gibt es einigermaßen
funktionierende Demokratien nach westlichem Verständnis. Viele Staaten der arabischen
Welt verbreiten innen- und außenpolitisch Angst und Schrecken. Dazu kommt, dass vor allem
viele junge Muslime gerne in den USA oder in einem westeuropäischen Land leben würden,
lieber in Manhattan also als in Mekka. Auf sie ist die Anziehungskraft unserer Länder
außerordentlich stark, da sie für ihr Leben hier bessere Perspektiven erwarten als in ihren
Heimatländern. Sie wollen zu uns kommen und spüren: Die wollen uns nicht haben.
Wie sieht es nun mit den Vor-Urteilen auf muslimischer Seite aus? Dem muslimischen
Betrachter aus der Türkei fällt in Europa als erstes ein wirtschaftliches Ungleichgewicht
gegenüber seinem Heimatland auf. Das weckt bekanntlich Neidgefühle. Er sieht mit
–3–
Befremden eine gewisse Uniformierung der westlichen, sprich christlichen Gesellschaft unter
amerikanischer Führung. Er hat das Gefühl, dass der Kolonialismus irgendwie noch nicht
beendet ist. Hinzu kommt ein besonders gravierendes Problem: Konnte ein Moslem mit einer
Karawane im Mittelalter ohne Probleme etwa von Marokko nach Indien reisen, sind die
meisten Muslime heute zwangsweise ausgesprochen wenig mobil. Ein Türke z.B. etwa kann
ohne Visum nur nach Ägypten, in den Iran oder nach Malaysia reisen. Sollte es ihm dennoch
gelingen, etwa nach Deutschland zu kommen, empfindet er dieses Land nun ganz und gar
nicht als säkular und sieht Religion und Staat nicht von einander getrennt, ganz im Gegensatz
zu einer Forderung, die ständig gegenüber der Türkei erhoben wird. Die Kirchen sind für ihn
in der Öffentlichkeit unübersehbar und unüberhörbar. Bei einem Blick in den Kalender sieht
er, dass wir in Deutschland fast ausschließlich religiöse Feiertag haben. Und von der Königin
in England hat er sogar gehört, dass sie Oberhaupt der anglikanischen Kirche ist.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch auf einen Umstand hinweisen, der oft
übersehen wird. Während der Christ zumindest theoretisch betrachtet dem Islam völlig ohne
Vorurteile begegnen kann, da der Islam ja bekanntlich nach dem Christentum entstanden ist,
hat der Moslem immer schon ein wie auch immer geartetes Bild vom Christentum, das er
durch den Koran vermittelt bekommt. Er findet hier eine hohe Achtung vor dem Propheten
Jesus und liest etwa in Sure 5, Vers 82: „Und du wirst sicher finden, dass diejenigen, die den
Gläubigen in Liebe am nächsten stehen, die sind, welche sagen, wir sind Christen.“ Es gibt
aber auch Muslime, die stärker auf den Vers 51 in Sure 5 hören, in dem es heißt: „Ihr
Gläubigen, nehmt euch nicht Juden und Christen zu Freunden bzw. Vertrauten.“
Der Vorsprung des Christentums
Eine Sprache zu beherrschen bedeutet mehr als Vokabeln zu können. Um eine fremde
Sprache wirklich sprechen und verstehen zu können, muss ich auch etwas wissen von der
Kultur eines Landes. Und je besser ich eine Sprache verstehe, umso mehr verstehe ich die
dazugehörende Kultur, die Religion, die bildende Kunst und die Musik. Wir sprechen in
diesem Zusammenhang von einem Prozess der Akulturation, d.h. der Übernahme kultureller
Werte beim Lernen einer Sprache.
Es ist darum sehr erstaunlich, dass in vielen muslimischen Ländern nach wie vor eine ganze
Reihe von Schulen und Universitäten arbeiten, die in einer westlichen Sprache unterrichten
und lehren, vorzugsweise in Englisch und Französisch - und das heißt für Muslime in einer
–4–
Sprache der Christen. Für Studenten in muslimischen Ländern ist ein Studium der Sozialoder Naturwissenschaften ohne das Beherrschen der englischen Sprache nicht möglich. In
Marokko soll noch immer etwa ein Drittel der Universitätsprofessoren Franzosen sein. Die
Stadt Istanbul in der Türkei hat eine ganze Reihe Gymnasien, in denen Französisch, Deutsch
oder Englisch Unterrichtssprachen sind. Dies liegt zum Einen an einer langen Tradition der
ausländischen Bildungsarbeit in muslimisch geprägten Ländern. Es liegt aber auch daran, dass
sich viele muslimische Staaten schwer tun, das Arabische wieder als Wissenschaftssprache zu
installieren. Diese Aussage gilt natürlich nur insofern dort, wo Arabisch auch alltägliche
Umgangssprache ist, bezieht sich also in diesem Falle nicht auf die Türkei. Dabei ist das
Arabische über viele Jahrhunderte eine hochdifferenzierte Wissenschaftssprache gewesen, mit
der sich muslimische Rechtsgelehrte, Philosophen, Mediziner, Chemiker, Astronomen und
Mathematiker von Andalusien über Nordafrika und Vorderasien bis nach Indien über alle
kulturellen und ethnischen Unterschiede hinweg verständigen konnten. Das Arabische war
eine globale Sprache, die an internationaler Bedeutung das Latein des christlichen Mittelalters
bei Weitem übertraf.
Das Arabisch von heute ist vielleicht deshalb nicht mehr ausdrucksfähig genug, nicht mehr in
der Lage, moderne Bildungsinhalte zu verarbeiten und zu vermitteln, weil es für viele
Muslime die Sprache des unveränderlichen, abgeschlossenen Koran ist. Konservativen
muslimischen Autoritäten ist es gelungen, im Verlauf der Jahrhunderte zunehmend alle
Versuche zu unterbinden, das Arabisch des Koran dem gesellschaftlichen Wandel anzupassen
und weiter zu entwickeln. Das Arabische stagnierte und damit auch die Möglichkeiten
arabisch-muslimischer
Länder,
an
den
technischen
und
naturwissenschaftlichen
Entwicklungen der Welt angemessen teilzunehmen.
Der Vorsprung der Muslime
Wer einmal nach Damaskus kommt, sollte einmal den Bimaristan Nuri besuchen. Der Begriff
ist Persisch und bedeutet so viel wie „Krankenhaus des Nuri.“ Nuri war ein berühmter
Bauherr und baute dieses Spital im Jahr 1154. Es hatte eine große Zahl von Ärzten, eine
reichhaltige Bibliothek, eine chirurgische und orthopädische Abteilungen, einen besonderen
Bereich, wo Geisteskrankheiten behandelt wurden. In Europa sahen damals Krankenhäuser
ganz anders aus. Hier waren die Krankenhäuser eher Siechenhäuser, in denen die vornehmste
Aufgabe der meist dort arbeitenden Klosterbrüder und -schwestern darin bestand, die Kranken
–5–
auf das Jenseits vorzubereiten. Eine Behandlung, wie sie etwa in Syrien des 12. Jahrhunderts
Kranke erfahren konnten, erlebten Menschen in Europa erst dreihundert Jahre später.
Auch was den Umgang mit der Literatur betrifft, war das frühe und mittelalterliche
Christentum eher rabiat. Im Jahr 391 zerstören christliche Fanatiker die Bibliothek von
Alexandria und somit einen großen Teil unersetzlicher Werke der griechisch-römischen
Antike. Dies war erst der Anfang eine groß angelegten literarischen Vernichtungsaktion. Zum
Abschluss kam sie erst im Jahre 600. Damals zerstörten Christen die letzte der großen
herausragenden Bibliotheken in Europa, nämlich die Palatina von Rom. Ganz anders gingen
die Muslime vor. Im Zuge ihrer Eroberungen ab dem 7. Jahrhundert gingen sie daran, Bücher
griechischer Wissenschaftlicher ins Arabische zu übersetzen. Bereits im Jahre 900 waren alle
wichtigen Werke Platons und des Aristoteles ins Arabische übertragen und so ist es zu der
paradoxen Situation gekommen – wer weiß das schon noch – dass griechische Philosophie
und Naturwissenschaft nicht von Griechen und Römern unter christlicher Herrschaft an die
Nachwelt weitergegeben wurden, sondern von muslimischen Arabern und Persern. Nach einer
Überlieferung eines der Worte Mohammeds soll dieser gesagt haben: „Beim Jüngsten Gericht
werden die Tinte der Gelehrten und das Blut der Glaubenskämpfer gewogen – und die Tinte
der Gelehrten wird mehr wiegen, als das Blut der Glaubenskämpfer.“ Diese Grundhaltung
hatte für die Frühzeit des Islam einschneidende Folgen. Überall in den islamischen
Metropolen entstanden Schulen, Bibliotheken und Akademien. Begünstigt wurde diese
Entwicklung durch die Tatsache, dass ja Arabisch als „heilige Sprache“ des Koran wie die der
Wissenschaften zugleich auch Volkssprache war, zumindestens im Vorderen Orient. Ganz
anders war die Situation im Christentum. Die Bibel wurde von den Wissenschaftlern in
Griechisch und Hebräisch und vom Klerus in Latein gelesen. Keine dieser Sprachen war in
Europa auch Umgangs- und Volkssprache.
Während des 14. und 15. Jahrhunderts verengten sich Religion und Kultur in der islamischen
Welt entscheidend. Während in islamischen Ländern die geistlichen Institutionen das
Bildungsmonopol übernahmen, lösten sich in einer gegenläufigen Bewegung im christlichen
Abendland Philosophie und Wissenschaft aus der Bevormundung der Kirche. Endlich 1276
entstand in Italien die erste Papiermühle, 500 Jahre nach ihrer Einführung in Bagdad. Das
christliche Abendland hatte begonnen, den islamischen Orient zu überholen.
–6–
Muslime in Deutschland
Dass innerhalb von nur vier Jahrzehnten mit den Muslimen in Deutschland die zweitgrößte
Religionsgemeinschaft entstehen würde, ahnte zu Beginn der 60er Jahre niemand. Man
rechnete damit, dass Arbeitskräfte ständig kommen und gehen würden und sich damit das
Problem der Integration überhaupt nicht stellen würde. Hier haben sich alle Beteiligten
gründlich getäuscht. Heute leben in Deutschland etwa 3,2 Millionen Muslime, davon 2,6
Millionen Menschen aus der Türkei oder mit „türkischem Migrationshintergrund“. Durch
türkische Geschäfte, durch Moscheen, durch Menschen, die sich bei uns genauso kleiden, wie
sie es etwa in ihren anatolischen Dörfern gewohnt waren, hat sich das Gesicht unserer Städte
bzw. das Gesicht mancher Stadtviertel verändert. Dies löst immer wieder bei der
Mehrheitsgesellschaft Angst und auch Aggression aus. Wir tun gut daran, diese Ängste
wahrzunehmen und sie nicht sofort als rechtsradikales Gehabe ab zu geißeln. Es gibt eine
Angst vor Überfremdung und es gibt auch eine ganz reale Angst etwa vor dem Wertverlust
von Immobilien, wenn etwa Pläne zum Bau einer Moschee bekannt werden. Jeder ist
natürlich dafür, dass Moscheen gebaut werden dürfen, aber bitte nicht in der eigenen
Nachbarschaft. Bei allem Verständnis für vorhandene Ängste, eins muss uns allen ganz klar
sein: In unserem Land leben Muslime und sie werden auf Dauer bei uns leben, und wir sollten
alles daran setzen, diese Tatsache als ein Zeichen der Bereicherung in unserem Land zu
begreifen. Wir, die sogenannte Mehrheitsgesellschaft. Wobei ich sehr skeptisch bei diesem
Begriff bin. Denn die Mehrheiten wechseln. Ich selber etwa bin evangelisch und gehöre damit
zur Christenheit, die die Mehrheit in Deutschland stellt. Ich gehe jedoch jeden Sonntag zur
Kirche und gehöre damit schon wieder zu einer Minderheit. Die allermeisten Muslime halten
sich genauso wie der Rest der Bevölkerung an die Gesetze, sind also somit Teil der
Mehrheitsgesellschaft. Gehen sie aber in die Moschee und bekennen sie ihren Glauben, sind
sie wieder in der Minderheit. Was also haben sie zu tun, die sogenannte Mehrheit und die
sogenannte Minderheit, um Ängste abzubauen und ein gemeinsames Leben in Frieden zu
ermöglichen?
Die Mehrheit
Zwei Ratschläge, die ich der Mehrheit geben würde – wobei ich weiß, dass das meistens
nichts nützt – wären diese: Üben Sie Gelassenheit, und bemühen Sie sich immer wieder,
Probleme differenziert wahrzunehmen. Gelassen zu sein heißt für mich vor allen Dingen,
tolerant zu sein, wobei Toleranz nicht mit Gleichgültigkeit verwechselt werden darf. Toleranz
bedeutet nicht, alles und jedes hinzunehmen. Aber Toleranz bedeutet, und dies im wahrsten
–7–
Sinne des Wortes, zu ertragen, dass andere Menschen andere Lebensentwürfe haben als ich,
dass andere Menschen etwas anderes glauben als ich, etwas anderes hoffen als ich und ihr
Leben anders gestalten, als ich es vielleicht für richtig halte. Das verlangt mir viel ab, aber
anders lässt sich ein Leben in einem immer komplizierter werdenden Gemeinwesen nicht
gestalten. Die Mehrheitsgesellschaft in unserem Land muss um ihrer Selbst willen und um
ihrer eigenen Zukunft willen ein großes Interesse daran haben, Minderheiten, in diesem Fall
Muslime, zu integrieren. Dabei reicht es nicht nur, dass wir miteinander sprechen, obwohl das
schon viel ist. Wir müssen uns vielmehr überlegen, wie wir möglichst bald Wege finden,
Muslime genauso wie andere Minderheiten an der Gestaltung unseres Landes, unserer
Gesellschaft zu beteiligen, das heißt, wir müssen uns darauf einrichten, Macht abzugeben. Ich
bejahe nicht nur, dass Muslime in unserem Land dieselbe Religionsfreiheit genießen können
wie wir Christen, wobei ich mir wünschen würde, dass dies in muslimischen Ländern auch
der Fall wäre, ich bejahe auch den muslimischen Religionsunterricht in deutscher Sprache an
unseren Schulen. Ich bin dafür, dass muslimische Gemeinden auch Kindergärten,
Krankenhäuser, Sozialstationen und Beratungsstellen einrichten können. Freilich, wer sich
einsetzt, setzt sich auch aus. Wer selber Kindergärten und Schulen verantwortlich führen will,
muss sich genau wie die anderen, die auch solche Einrichtungen betreiben, der Kritik
aussetzen. Da reicht es nicht, wie ich es gelegentlich vor allem Dingen bei muslimischen
Verbänden beobachte, ständig nur beleidigt zu sein. Da ist Engagement und Einsatz gefordert.
Zur Gelassenheit gehört die Toleranz, zur Gelassenheit gehört auch die Geduld. Wieviel hat
sich bei uns in den letzten 40 Jahren, was die Einstellung der Bevölkerung betrifft, verändert.
Vor 40 Jahren gab es noch einen Kuppeleiparagrafen. Heutzutage weiß kein Jugendlicher
mehr, was das war. Schwule und lesbische Lebensgemeinschaften, die in der rechtlichen
Stellung einer Ehe nahezu gleich kommen, waren unvorstellbar. Dass Rentner unverheiratet
zusammen leben, war unbekannt. Müssen alle so schnell umdenken wie wir es getan haben?
Wir reden so gerne davon, dass wir eine Wertegemeinschaft sind und Muslime diese Werte
nicht teilen. Ich habe da an manchen Stellen meine Bedenken. Wenn bei uns jede dritte Ehe
auseinander geht, wenn bei uns in den Stadien bei Fußballspielen oder vielmehr noch danach,
alkoholisierte Massen randalieren, so sprechen diese Dinge nicht gerade für unsere
Wertegemeinschaft. Darauf komme ich aber später noch einmal zurück.
Neben der Gelassenheit wünsche ich der Mehrheitsgesellschaft auch die Fähigkeit, zu
differenzieren. Das fängt bei den Begriffen an. Islam und Islamismus werden ständig
verwechselt. Bei den Muslimen gibt es Sunniten, Schiiten, Aleviten, Wahabiten, um nur die
–8–
größten Gruppen zu nennen. Sie unterscheiden sich genauso voneinander wie eine katholische
Sizilianerin von einem protestantischen Norweger oder ein griechisch-orthodoxer Mönch von
einem erweckten evangelikalen Christen in den USA. Wir müssen dies zur Kenntnis nehmen.
In unserer Gesellschaft leben viele Muslime, vor allem etwa die Aleviten , die uns etwa in
ihrem äußeren Erscheinungsbild überhaupt gar nicht mehr als Muslime auffallen. Wir haben
auch in unserem Land eine ganze Reihe muslimischer Unternehmer und selbstständige
Handwerker, alle diese Menschen tragen bei zum Wohlstand unseres Landes. Ich weiß, dass
es auch ganz andere Muslime gibt, an dieser Stelle plädiere ich jedoch für ein differenziertes
Hinsehen.
Die Minderheit
Von der Minderheit, sei sie nun muslimisch oder nicht, wünsche ich mir vor allem
Selbstvertrauen und die Bereitschaft, die Zukunft unseres Landes mitzugestalten. Es ist das
Recht der muslimischen Minderheit, andere Vorstellungen hinsichtlich der Ehe oder des
Sexualverhaltens zu haben, aber hier gilt das alte Wort von Rosa Luxemburg, dass Freiheit
vor allen Dingen immer die Freiheit des anderen ist. Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit,
Respekt, Rücksichtnahme, Toleranz kann ich nicht nur selber für mich erwarten, sondern
muss sie auch anderen gewähren. Ich würde mir darum auch von Muslimen an manchen
Stellen eine größere Gelassenheit wünschen. Es ist für mich eine große Frage, ob es dem
Rechtsfrieden in unserem Land dient, wenn etwa Probleme wie die des Kopftuchs, der Bau
von Moscheen, die Höhe von Minoretten, der Ruf des Muezzin, durch alle Instanzen unserer
Gerichte gejagt werden. Ich würde mir gelegentlich von muslimischer Seite etwas mehr
Einfühlungsvermögen wünschen, etwa dann, wenn man einer Moschee den Namen FathiMoschee gibt und damit an den muslimischen Eroberer des christlichen Konstantinopel
erinnert.
Für jeden in unserem Land, gehöre er zur Mehrheit oder zur Minderheit, sei er Moslem,
Christ oder Atheist, gilt: Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gilt für alle
Menschen. Das heißt, es gibt für niemanden Sonderrechte, denn wenn es die gäbe, wären wir
auf dem Weg, Parallelgesellschaften zu etablieren. Hier ist deutlich davor zu warnen, die
Tatsache, dass der eine mit Vorliebe Döner-Kebab isst und der andere den bunten Abend der
Volksmusik im Fernsehen gerne anschaut, als Ausbildung von Parallelgesellschaften zu
deuten. Das ist völlig falsch. Eine Parallelgesellschaft entsteht erst dann, wenn bestimmte
Gruppen Sonderrechte für sich in Anspruch nehmen. Wenn etwa muslimische Gruppierungen
–9–
fordern, für sie ein eigenes Ehe-, Familien- und Erbrecht einzuführen, oder wenn fromme
Baptisten meinen, dass ihre Kinder nicht zur Schule gehen müssten. Hier muss sich eine
Gesellschaft unmissverständlich darauf verständigen, was sie von all ihren Bürgerinnen und
Bürgern erwartet und wozu alle bereit sein müssen. Dazu gehört es auch, dass in der
Öffentlichkeit und in öffentlichen Einrichtungen, wie etwa in der Schule, konsequent die
deutsche Sprache benutzt wird. Allerdings sollte man sich davon nicht das ganze Heil
erwarten. In Frankreich und in England, wo es zu schweren Krawallen und schrecklichen
Anschlägen gekommen ist, an denen Muslime beteiligt waren, konnten die Täter jeweils
hervorragend die Landessprache sprechen.
In unserem Lande gilt auch die Regel, dass nur Gleiches gleich behandelt werden kann und
Ungleiches ungleich behandelt werden muss. Aus diesem Grunde hat etwa die Scientology„Kirche“ nicht dieselben Rechte wie die Evangelische Kirche, weil es sich in dem einen Fall
um ein dubioses Unternehmen und in dem anderen Fall um eine Glaubensgemeinschaft
handelt, mit der der Staat seit über sechzig Jahren kooperiert. Die Forderung, alle Religionen
in unserem Land gleich zu behandeln, ist darum falsch. Der Staat und auch unsere
Gesellschaft hat das Recht, stärker mit denen zu kooperieren, die sein Grundanliegen
unterstützen und fördern, die Sorge um die Schwachen, der Einsatz in der Bildung, die
Betreuung von Kranken und die die Ziele des Grundgesetzes unterstützen.
Ich bin davon überzeugt, dass die meisten Muslime in unserem Land die Ordnung und Ziele
unseres Grundgesetzes bejahen. Mit diesen Menschen haben wir naturgemäß keine Probleme.
Probleme gibt es mit den anderen, deren Lebensentwürfe dem Grundgesetz und den Gesetzen
unseres Landes entgegenstehen.
Angst überwinden – Zukunft gestalten
Christen und Muslime müssen die Zukunft unseres Landes gemeinsam gestalten. Dabei
verbindet sie vieles. Etwa das Wissen, dass es in ihrem Leben nicht nur allein auf sie
ankommt, sondern sie sich jeweils durch ihre Religion Gott verbunden und verpflichtet
wissen. Für unsere gemeinsame Zukunft sehe ich kurz und mittelfristig folgende Aufgaben,
die wir gemeinsam bewältigen müssen:
– 10 –
1. Mehrheit und Minderheit müssen sich darauf verständigen, wie sie Macht miteinander
teilen.
2. Wir müssen dringend die ethnische Bildungsschere schließen. Es geht nicht an, dass Kinder
aus Migrantenfamilien schlechtere Schulchancen haben als deutsche Kinder.
3. Wir müssen uns gegenseitig differenzierter wahrnehmen.
4. Christen müssen etwas vom Islam und Muslime müssen etwas vom Christentum wissen.
5. Christen müssen sich ihres eigenen Glaubens versichern und auskunftsfähig sein über
Grundfragen ihres christlichen Glaubens.
6. Es entspricht der Religionsfreiheit in diesem Land, dass jeder seine Religionszugehörigkeit
behalten, wechseln oder aufgeben kann.
Der Dialog der Religionen, also auch der christlich-islamische Dialog, ist Voraussetzung für
ein friedliches Miteinander von Menschen unterschiedlicher Überzeugungen. Dieser Dialog
vollzieht sich dabei immer in der Spannung von Identität und Verständigung. Mit sich selber
identisch zu sein und sich mit anderen zu verständigen, sind auch Grundformen
demokratischen Lebens in einem Staat. Der Dialog der Religionen braucht auf beiden Seiten
starke Positionen. Die starken Positionen schaffen jedoch keine Konfrontationen und keine
Ängste.
Ganz
im
Gegenteil.
Sie
schaffen
gegenseitiges
Vertrauen,
weil
die
Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner sich kennen und die jeweils anderen Positionen
einschätzen können. Der christlich-islamische Dialog braucht in Kirche und Staat
selbstbewusste Partnerinnen und Partner, Menschen, die selber etwas von sich wissen und
darum offen sind für andere. Der christlich-islamische Dialog braucht Menschen, die bereit
sind, miteinander das „europäische Haus“ zu bauen, für eine glückliche Zukunft unserer
Kinder und zum Wohl aller Menschen, für die wir Sorge tragen.
Gerhard Duncker
Kirchenrat
Evangelische Kirche von Westfalen
Das Landeskirchenamt
Telefon-Nr.: 0521/594-391
Herunterladen