ADHS

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2010
ADHS
vom Kind zum Erwachsenen
–
Risiko für die Biographie?
Dokumentation/Hausarbeit
Fachhochschule Jena
University of Applied Sciences
Studiengang: Soziale Arbeit
Stefanie Waldstädt
August-Bebel-Str. 10
07629 Hermsdorf
Ulrike Walter
Grosse Kirchgasse 2
99423 Weimar
Christian Strohbach
Rudelsburgpromenade 9
06628 Bad Kösen
7. Fachsemester
Betreuender Dozent: Dr. Jörg Fischer
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung
2
2
Dokumentation
3
2.1.
Vorstellung
3
2.2
Referat
3
2.3
Diskussion
8
3
Essay / Hypothesen
10
4
Quellen
13
5
Selbstständigkeitserklärung
14
ADHS – vom Kind zum Erwachsenen – Risiko für die Biographie?
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1
Einleitung
Am Mittwoch, den 4. November 2009, fand zum sechsten Mal der alljährliche
Thüringer Jugendgerichtstag statt. Der Gastgeber war dieses Jahr die Fachhochschule
Jena. Zum Thema „Diagnose und Prognose im Jugendstrafverfahren“ wurden hierzu
viele interessante Gäste unterschiedlicher Professionen geladen. Die Referentinnen und
Referenten kamen unter anderem von den Universitäten Hamburg, Berlin und Jena, von
der Sophien- und Hufelandklinik Weimar, vom Justizministerium Erfurt, von der
Justizvollzugsanstalt Kiel und vom sozialen Dienst der Justiz in Magdeburg. Diese
präsentierten verschiedene Aspekte im Hinblick auf das Thema und stellten hierbei ihre
Arbeit oder diverse Projekte vor. Jeweils anschließend zu den Vorträgen wurde eine
anregende Diskussion geführt.
In Anlehnung an den 5. Thüringer Jugendgerichtstag, wurde ein Bedarf an
medizinischem Wissen zum Thema „ADHS“ erkannt und in Verbindung zum
Jugendstrafverfahren gesetzt. Um diese Wissenslücke zu schließen, wurde Dr. med.
Klaus Eckart Zillessen, aus der Sophien- und Hufeland-Klinik in Weimar gebeten aus
Sicht eines Klinikers zu diesem Thema zu referieren. Anhand des Themas „ADHS vom
Kind zum Erwachsenen – Risiko für die Biographie?“ konnte ein lebendiger Einblick in
den klinischen Verlauf dieser Störung, deren Risiken und Einfluss auf den Lebenslauf
Betroffener
gegeben
Jugendstrafverfahren
werden.
wurden
In
Bezug
daraus
auf
folgende
Diagnose
und
Rückschlüsse
Prognose
über
im
adäquate
Hilfestellungen aber auch passende Konsequenzen für von ADHS betroffene
jugendliche Delinquente diskutiert. Es bestand das Bedürfnis, mehr über dieses Thema
zu erfahren, um auch die meist verdeckten, aber vorhandenen
Ressourcen der
Jugendlichen aufzudecken und zu aktivieren. Im Zweiten Kapitel haben wir
ausschließlich das Referat und die dazugehörige Diskussion von Dr. med. Klaus Eckart
Zillessen dokumentiert. Im Dritten Kapitel wurden dann in der Dokumentation
angesprochene Punkte diskutiert und ausgewertet. Im Schlussteil wurde dies kurz
zusammengefasst.
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Dokumentation
2.1 Vorstellung
Herr Dr. med. Klaus Eckart Zillessen bedankte sich zunächst für die Einladung und
stellte sich kurz vor. Er ist tätig als Kinder- und Jugendpsychiater und Psychotherapeut
auf einer Station für Psychosomatik / Psychotherapie in der Hufeland-Klinik in Weimar.
Zukünftig soll dort die Mehrfamilientherapie, aufgrund des steigenden Bedarfes und der
Notwendigkeit, gefördert und ausgebaut werden. Zudem besteht die Relevanz, die
Kinder und Jugendlichen im Kontext der Familie umfassender zu betrachten. Er wies
darauf hin, dass ohne das Einbeziehen von anderen Professionen eine adäquate und
qualitative Behandlung nur schwer möglich sei. Herr Zillessen zog zudem Parallelen
zwischen seiner medizinischen Sicht und der sozialpädagogischen Diagnose.
2.2 Referat
Beginnend mit einigen Begriffsdefinitionen (ADS  Aufmerksamkeits-Defizit-Störung
und ADHS  Aufmerksamkeits-Defizit / Hyperaktivitätsstörung), bezog sich der
Vortrag auf die verschiedenen Ausprägungen von ADHS und deren spezifische
Symptome. Im Vergleich zu andere medizinischen Diagnosen ist diese aber nicht durch
„organische Marker“ definierbar. Es ist ein Syndrom, welches viele Indikatoren und
Daten zur Erkennung nötig hat. Es entsteht immer ein sehr individuelles Bild des
Patienten und demzufolge auch immer eine sehr individuelle Diagnose, wenn auch viele
Gemeinsamkeiten vorliegen. Zur Bestimmung der Diagnose wird die ICD 10
(International Classification of Diseases) mit ihren Kriterien herangezogen. Dr.
Zillessen betonte an dieser Stelle die Notwendigkeit einer Veröffentlichung der ICD 11,
da die ICD 10 aufgrund neuer Differenzierungs- und Diagnosemöglichkeiten sowie
wissenschaftlicher Erkenntnisse über momentane Krankheiten bereits veraltet sei.
Anschließend charakterisierte er das ADHS als permanente Störung, die keine zeitliche
Begrenzung hat. Es ist dabei schon im Kindergarten- als auch im Grundschulalter
vorhanden. Wobei es in allen alltäglichen Situationen (Schule, Zuhause oder in
Testsituationen)
beim
Kind
auftreten
kann.
Er
beschrieb
Symptome
wie
Unaufmerksamkeit, Impulsivität, Hyperaktivität und inadäquates altersspezifisches
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Verhalten. Dabei können Störungen sowohl im sozialen Bezugsystem, in der
Wahrnehmung als auch im Leistungsbereich von Schule und Beruf vorkommen. Es gibt
in diesem Zusammenhang immer ein Kontinuum der Symptomausprägung, d.h. jedes
ADHS variiert in seinen Faktoren. Von konzentriert bis unkonzentriert, von fokussiert
bis abgelenkt, von überlegt bis impulsiv, von ruhig bis hyperaktiv und von organisiert
bis chaotisch. „Jeder hat sein eigenes ADHS“. Grundsätzlich ist ADHS eine
Reizfilterschwäche,
Informationen
d.h.
oder
beim
„normalen“
Menschen
Sinneswahrnehmungen
werden
aufgenommen
nur
oder
relevante
gespeichert.
Beispielsweise können diese das „klappernde Geschirr“, obwohl sie es registriert haben,
filtern und nahezu uneingeschränkt dem Referenten ihre Aufmerksamkeit widmen.
Währenddessen Kinder mit ADHS/ADS nicht dazu fähig sind, irrelevante
Informationen herauszufiltern. Bei diesen Kindern können alle Sinneswahrnehmungen
gleichwertig Einfluss nehmen, was einen unausweichlichen Überforderungszustand zur
Folge hat. Die Konsequenzen für den Alltag sind vorstellbar.
Anschließend beschrieb Herr Dr. Zillessen detaillierter die Unaufmerksamkeit als
Mangel
an
zielgerichteter
Aufmerksamkeit
und
als
verminderte
Aufmerksamkeitsspanne. Desweiteren seien Patienten mit einer derartigen Diagnose
leicht ablenkbar. Die Impulsivität beschrieb er als Mangel an vorausschauender Planung
und Selbst- und /oder Hemmungskontrolle, wobei schnelle Stimmungswechsel auftreten
können und eine geringe Frustrationstoleranz beobachtet werden kann. Die
Hyperaktivität wird als fein-und grobmotorische Unruhe beschrieben. Zudem können
Probleme in der Kraftdosierung auftreten, d.h. die Feinjustierung in der Bewegung bzw.
ist auch das Verhalten nicht an die Umgebung angepasst.
Hinzu kommen noch weitere subtile Symptome, wie Störung der Feinmotorik, der
Mimik, der Gestik oder Stimmungslabilität. Hörprobleme, Wahrnehmungsprobleme,
eine
geringere
Schmerzempfindlichkeit,
aber
auf
der
anderen
Seite
auch
Überempfindlichkeit. Temperatur-, und Hungerwahrnehmungsprobleme, desweiteren
Schlafprobleme, gehäufte Blasenkontrollschwäche mit nächtlichem oder täglichem
Einnässen
bei
Kindern.
Insgesamt
ist
bei
den
ADHS-Patienten
eine
Reifungsverzögerung zu beobachten. Grund hierfür sind verminderte Aufmerksamkeit,
verminderte Lernerfolge und das Leben mit ihrer Wahrnehmung immer im Hier und
Jetzt. Die Kinder können dabei nur erschwert bleibende
Erfahrungen aus ihren
Sinneseindrücken ziehen. Es fällt ihnen schwer, sich sowohl auf die Zukunft zu
beziehen, als auch eine Verbindung zur Vergangenheit in Form von Erinnerungen
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aufzubauen. Heute bereits Erlerntes ist am nächsten Tag oft wieder vergessen und muss
so erneut gelernt werden. Die Folge ist eine verlangsamte emotionale Reifung, die den
Unterschied zu sich „normal“ entwickelnden Kindern wachsen lässt. Daraus resultiert
eine Ablehnung im sozialen Kontext, aufgrund ihres andauernden kindlichen
Verhaltens. Dabei stoßen diese ADHS-Kinder häufig an Grenzen und verursachen
daraus Konflikte. Oftmals sind die Erfahrungsspiralen der Patienten geprägt von
Enttäuschungen sowohl im familiären als auch im sozialen Umfeld. Darüber hinaus von
Versagen z.B. im Sportverein und Entmutigung bis hin zu Resignation. Daraus resultiert
für viele ADHS-Patienten ein schwaches Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl. Das
therapeutische Ziel ist es häufig, diese negative in eine positive Erfahrungsspirale
umzuwandeln, indem Stärken entdeckt und Schwächen minimiert werden. Durch
Motivation, Anerkennung und Erfolg kann so auch eine insgesamt positive
Persönlichkeitsentwicklung bei einem ADHS-Patienten erreicht werden, so dass sich
ein starkes Selbstbewusstsein entwickeln kann. Trotzdem bringt dieses Syndrom immer
auch Begleiterkrankungen oder zusätzliche Symptome mit sich, sogenannte
Komorbiditäten, wie oppositionelles Verhalten, Aggressivität, Ängste und depressive
Störungen, die den weiteren Verlauf erschweren. Die Problematik setzt sich mit 30-66
% im Erwachsenalter fort. Bis zu 36 % zeigen dissoziales Verhalten. Häufig sind
schlechte Chancen in der Ausbildung und in der Karriere in Folge schlechterer
Schulabschlüsse nachzuweisen. Beispielsweise landen eigentliche „Gymnasiasten“ auf
Real- oder Hauptschulen, dort bekommen sie oft Probleme im sozialen Verhalten, weil
sie sich nicht gefordert und wahrgenommen fühlen. Daraus resultieren primär weniger
Freunde, Probleme in Peergroups oder in Partnerschaften. Sekundär dann auch
Probleme mit Drogenmissbrauch. Die Persistenz (das „Verharren“) im Jugendalter ist
schon sehr häufig untersucht wurden, z.B. zeigen 85 % der ADHS Patienten im Alter
von 10,6 nach 4 Jahren noch ADHS-Symptomatiken. Nach weiteren Zahlenbeispielen
wies Herr Dr. Zillessen auf die Dramatik dieser Daten hin. Aktuelle Studien von 2006
belegen, dass ca. 4 % von 3200 Männern mit ADHS im Alter von 18 – 44 Jahren noch
Symptome oder eine Prävalenz im Erwachsenalter aufweisen konnten. In Deutschland
wurden mit ca. 3,1 % ähnliche Zahlen festgestellt. Daraufhin ist die Prognose in einer
WHO-Studie an 630 Erwachsenen mit ADHS in Kindheit untersucht wurden. Nach den
Ergebnisse waren bei 50 % eine Persistenz nachweisbar, in Deutschland sogar 68 %.
Ein erhöhtes Risiko lag vor, wenn im Kindesalter ein kombinierter Typ, der alle drei
Symptome (Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität) vereint auftrat. Zudem
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stieg das Risiko durch eine hohe Ausprägung der Symptome, eine hohe Komorbidität in
Kindheit und Jugend, durch affektive Störungen oder sogar durch antisoziale
Persönlichkeitsstörungen des Vaters. Vermehrt sind Eltern deren Kinder ADHS haben,
auch mit psychische Auffälligkeiten belastet. Dies potenziert sich natürlich im Sinne der
Erziehungsprobleme, z.B. durch Impulsivität und Inkonsistenz. Im Verlauf betrachtet
sind Veränderungen des Erscheinungsbildes markant. Beispielsweise können im
Säuglings- und Kindheitsalter, Regulationsstörungen wie „Schreikinder“ oder Kinder
mit Schlaf- und Essproblemen auftreten. Oftmals haben diese Kinder nur flüchtige
Blickkontakte und sind durch ihre Bewegungsunruhe auffällig, welches früh zu einer
Bindungsproblematik führen kann. Die Eltern können das Kind oft nicht annehmen und
bauen keine positive Beziehung auf. Dieses stellt häufig den Beginn eines
„Teufelskreises“ dar. Im Kindergarten- und Vorschulalter: wildes Rennen und Toben,
ziellose Aktivitäten, häufiger Wechsel des Spielzeuges, es lernt schlecht aus
Erfahrungen, „Hört nicht“ und zeigt ein Trotzverhalten. Im Grundschulalter sind es
dann die typischen Schulprobleme, mit leichter Ablenkbarkeit, Herumrennen im
Klassenraum und Lernprobleme. Im Jugendalter wandelt sich das Erscheinungsbild, die
Hyperaktivität nimmt ab, hingegen nimmt die emotionale Problematik deutlich zu.
Weiterhin besteht der Kampf gegen das Chaos in der Strukturierung (z.B. bei
Hausaufgaben usw.). Zudem kommen unüberlegte Entscheidungen und Drogenkonsum,
häufig auch als Selbstmedikation hinzu. Im Erwachsenalter können dann ähnliche
Probleme, die auch im Jugendalter auftreten. Meist bleiben die Symptome wie
Impulsivität und
Aufmerksamkeitsstörung bis ins Erwachsenenalter erhalten.
Hyperaktivität nimmt ab und die Stimmungslabilität und Reizbarkeit mit geringem
Selbstwertgefühl nimmt deutlich zu.
Herr Dr. Zillessen beschrieb anschließend „als Trost“, das auch einige Persönlichkeiten
im Nachhinein ein ADHS-Syndrom zuzuordnen ist. Beispielsweise Herman Hesse,
Napoleon, T.A. Edison, J.H. Pestalozzi, Winston Churchhill, W.A. Mozart und Albert
Einstein. Die positiven Eigenschaften der ADHS-Persönlichkeiten sind häufig:
Hilfsbereitschaft, Gerechtigkeitssinn, kurzzeitige Höchstleistungen, kreative und
phantasievolle Fähigkeiten, hohe Risikobereitschaft und eigene Ziele werden hartnäckig
verfolgt. „Beste Voraussetzungen um einen Nobelpreis zu bekommen.“ Eine
Symptomverschiebung ist erkennbar, wenn die Entwicklung geglückt ist. Unter der
Fragestellung der Prognose, können sich aus negativen Symptomen im Jugendalter
durchaus Managerqualitäten herausbilden. Beispielsweise kann „Quengelichkeit“
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positiv als Durchsetzungsvermögen genutzt werden. Desweiteren kann sich aus dem
„Kommandieren“ eine Führungspersönlichkeit entwickeln. Die „Sturheit“ wird zur
Beharrlichkeit. Die „Vermeidung von geistiger Anstrengung“ wird zur Gelassenheit.
Die „oppositionelle Haltung“ führt zum Querdenker. Aus der „Anstiftung“ können sich
mitreißende motivative Fähigkeiten entwickeln. Wer „alles ausprobiert“ hat später ein
hohes Maß an Kreativität und Phantasie. Zudem kann ein „Abdriften“ zur
künstlerischen Assoziation befähigen. „Also, wer will das nicht haben!?“ Das Problem
bei Jugendlichen und Erwachsenen mit ADHS sind die funktionellen Einschränkungen.
Insbesondere gibt es erhebliche Probleme im schulischen und beruflichen Bereich oder
in der Ausbildung. Sehr häufig sind Schulabbrüche, Klassenwiederholungen,
Schulwechsel und Abbrüche der Ausbildung. Zudem sind längere Zeiten von
Arbeitslosigkeit nicht selten. Weitere Problematiken, die im Bereich der Familie
vorliegen, spielen nicht nur im Jugendalter eine Rolle, sondern verlagern sich
darüberhinaus in eigene Familien. Dabei sind Partnerwechsel und Beziehungsprobleme
sehr häufig. Es gibt nur wenige enge Freundschaften und viele außerpartnerschaftliche
Kontakte. Durch erhöhte Impulsivität im Sexualverhalten, kommt es oft zu ungewollten
Schwangerschaften und zu sexuell übertragbaren Krankheiten. Überdurchschnittlich
häufig werden Unfälle verursacht, ereignen sich Gesundheitsprobleme, Auffälligkeiten
im Straßenverkehr mit erhöhter Unfallgefahr und forensische Probleme mit
entsprechenden
Straffälligkeiten.
Beim
Vergleich
zwischen
ADHS
und
Jugendkriminalität ist durch Studien ein erhöhtes Risiko für Straffälligkeit nachweisbar.
25 % der Patienten mit ADHS sind schon im frühen Jugendalter straffällig und zeigen
dann ein durchgängiges Muster an Regelverletzungen und kriminellen Verhalten. Je
nach Studie waren, bei 14-72 % der Gefängnisinsassen, ADHS - typische Biographien
erkennbar. Herr Dr. Zillessen kommentierte diese erschreckenden Zahlen und wies
nochmal darauf hin, dass bei frühzeitiger adäquater Behandlung möglicherweise 72 %
der Gefängnisinsassen vermieden werden könnten. Straftäter mit ADHS sind bei der
Verurteilung überdurchschnittlich jung und häufiger bereits vorbestraft.
Die
resultierende Konsequenz ist, wenn ADHS in der Kindheit auftritt, stellt dies einen
hohen Risikofaktor für spätere Wiederholungsstraftäter dar. Abschließend kam er zum
Fazit: Jugendkriminalitätsprävention fängt in der Wiege an! Fakt ist, dass frühes
Erkennen und Diagnostizieren von ADHS, frühe Unterstützung und effektive Therapie,
die Biografie entscheidend beeinflussen kann. Dabei reicht das Spektrum von Genie bis
Knast. Aus medizinischer Sicht muss bei einem ADHS Fehlverhalten eine konsequente
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und kontinuierliche, in möglichst kurzen Abständen, ablaufende Behandlung erfolgen,
um das ohnehin schwere „Lernen aus Erfahrung“ überhaupt noch zu ermöglichen.
Dabei spielen Kontingenz und Konsequenz eine entscheidende und prognostisch
wichtige Rolle. D.h. das Lernen funktioniert nur, wenn die Konsequenz direkt darauf
folgt und dies wiederholt. Demzufolge ist es bis zu einem gewissen Rahmen gar nicht
schlecht, wenn es sich um Wiederholungstäter handelt, da ADHS Betroffene aus
Wiederholung besser lernen, ansonsten werden Lernerfahrungen nicht verinnerlich und
gespeichert. Das Verstehen des ADHS Jugendlichen mit seinen Besonderheiten, sowie
der adäquate Umgang mit den ADHS Jugendlichen kann Eskalationen verhindern und
neue Entwicklungschancen eröffnen. Herr Dr. Zillessen appellierte, sich mit den
Besonderheiten der ADHS Jugendlichen nochmal intensiver zu beschäftigen. Zum
Abschluss empfahl er unter anderem ein das Buch von Cordula Neuhaus von 2003, wo
praktische Tipps für den Umgang mit ADHS Betroffenen im Jugendalter gegeben
werden. Das Buch kann sowohl für Eltern, Jugendrichter aber auch für Sozialpädagogen
ein Ratgeber sein. Es kann z.B. dabei helfen, bei verbalen Entgleisungen Jugendlicher,
die ja nicht selten sind, die nötige Sicherheit zu bewahren und Gelassenheit zu
vermitteln, um so Eskalationen zu vermeiden.
2.3 Diskussion
Anschließend wurde dem Publikum die Möglichkeit gegeben, noch einige Fragen zu
stellen. Die erste Frage betraf den nicht genannten Buchtitel. Herr Dr. Zillessen
benannte die Autorin: Cordula Neuhaus: „Hyperaktive Jugendliche und ihre Probleme
2003“ und verwies auf die 20 enthaltenen Regeln des Verhaltens im Umgang mit
ADHS
Jugendlichen.
Auf
die
zweite
Frage,
die
um
den
Aspekt
des
Medikamentenmissbrauchs bei ADHS Kindern und Jugendlichen dreht, entgegnete Herr
Dr. Zillessen, dass ein Arzt nicht immer gleich mit Medikamentenverordnung in
Verbindung gebracht werden sollte. Dies sei ein Vorurteil, welches er auch gerade im
Bezug auf ADHS entkräften möchte. Denn die medikamentöse Therapie sei nur ein sehr
kleiner Teil einer umfassenden Behandlung. Das frühzeitige Erkennen sei deshalb nicht
gleichzusetzen mit einer frühzeitigen Medikamententherapie. Es sei sehr wichtig, die
Umgebung so zu gestalten und die Eltern richtig anzuleiten, dass das Kind, trotz dieser
Schwierigkeiten eine positive Persönlichkeitsentwicklung nehmen kann. Da die
erzieherische Intuition der Eltern heutzutage „verschüttet“ sei. Laut medizinischen
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Leitlinien ist eine medikamentöse Behandlung vor dem Grundschulalter nicht zulässig,
was Herr Dr. Zillessen befürwortete. Im Vorschulalter würden nur einzelne Patienten
mit besonders extremen Symptomen und Problemen
Stimulanzien
behandelt. Neuere
mit Medikamenten, z.B.
Studien würden belegen, dass besonders die
Verhaltenstherapie, in Form von psychotherapeutischen Maßnahmen und die Beratung
des Umfeldes sehr wirksam sei. Diese Therapiestudien hätten gezeigt, dass eine
Medikation im „Akut-Fall“ deutlich schnellere und bessere Ergebnisse liefere, als viele
andere Therapien. Demzufolge sei es unter bestimmten Bedingungen schon sinnvoll,
Kinder oder Jugendliche mit Medikamenten zu behandeln, um ihnen die Möglichkeit zu
geben, ihre Persönlichkeitsentwicklung wieder positiv zu gestalten. In der Regel werde
die medikamentöse Behandlung nach drei Jahren eingestellt, da sie dann dem Niveau
einer Verhaltenstherapie gleichzusetzten ist, insofern diese greift. Herr Dr. Zillessen
bedankte sich für das interessierte Zuhören und Diskutieren.
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3
Essay / Hypothesen
Wo Praktiker wie Ärzte, Psychologen, Therapeuten, Sozialpädagogen und Erzieher
zusammenkommen, wird schnell klar, dass der Begriff „ADHS“ nicht für jede
Profession auch das Gleiche bedeutet.
Immer wieder kommen die gleichen Fragen auf wie:
Was ist ADHS? Wie kann man es erkennen? Wie reagiere ich richtig? Handelt es sich
dabei um eine Erkrankung oder um ein Phänomen oder um eine „Mode- Erscheinung“?
Haben ADHS und Kriminalität etwas miteinander zu tun? Die Meinungen dazu gehen
weit auseinander.
Die Fragen die uns beschäftigt haben sind:
1. Was hat Soziale Arbeit mit ADHS zu tun?
und
2. Gibt es einen Zusammenhang zwischen ADHS und Kriminalität?
Zur ersten Frage lässt sich sagen, dass die Diagnose „ADHS“ von Ärzten und
Psychologen anhand des ICD 10 (besser ICD 11) gestellt wird. Anschließend können
sie dann eine zugeschnittene Therapie durchführen oder vermitteln, geeignete
Medikamente verschreiben, spezielle Hilfsangebote vorschlagen und Eltern beraten.
Eine solche Hilfe wie die ICD 10 gibt es für Sozialpädagogen nicht.
Sozialpädagogen verstehen unter ADHS eine Erklärung neben vielen anderen für ein
bestimmtes Verhalten, das bei Kindern und Jugendlichen zu beobachten ist.
Das Verhalten der Betroffenen kann auch anders beschrieben werden als eine
persönliche Eigenschaft, fehlender Struktur oder als eine Konzentrationsstörung.
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Es können aber auch äußere Bedingungen wie die Wohnsituation, Schule,
Vernachlässigung oder mangelnde Zuwendung Erklärungen für das Verhalten sein.
Sozialpädagogen gehen sehr flexibel mit der Diagnose ADHS um. Wenn es zu Gunsten
des Kindes oder Jugendlichen genutzt werden kann, wird ADHS durchaus als eine
neben anderen möglichen Ursachen für ein bestimmtes Verhalten betrachtet. Wenn sie
merken, dass es eher ungünstig ist, im Sinne einer Stigmatisierung und Ausgrenzung
oder sogar für gefährlich halten, greifen sie auf eine andere Erklärung zurück, zum
Beispiel wenn ein Kind misslich auf die Förderschule geschickt werden soll.
Sozialpädagogen arbeiten mit vielen Professionen zusammen, unter anderem mit
Psychologen, Medizinern, Juristen, Lehrern und Angehörigen.
Sie vermitteln zu und zwischen den einzelnen Professionen und stellen den Zugang
zwischen Klienten und den Helfern her. Sie koordinieren und stimmen ab und sie
sprechen die unterschiedlichen Professionssprachen. Sie kennen die unterschiedlichen
Konzepte und wählen sie nach Bedarf für die passende Situation aus.
In dem bestimmten Fall der ADHS-Diagnose wenden sie Handlungsmöglichkeiten an
wie klare Grenzen, dem Kind oder Jugendlichen eine Struktur geben, Konsequenzen
folgen
lassen,
klare
Regeln,
Beachtung
des
individuellen
Förderbedarfes,
Aufmerksamkeit, Zuwendung, Regelmäßigkeit und positive Rückmeldung an.
Sie versuchen da, wo andere bei „ADHS- Kindern“ nur Sturheit, Quengeligkeit,
Kommandieren, Anstiftung, Abdriften oder ständiges Diskutieren sehen, durch eine
Symptomverschiebung eher Durchsetzungsvermögen, Beharrlichkeit, Gelassenheit,
Kreativität oder auch Führungspersönlichkeiten bei den Betroffenen zu sehen.
Sozialpädagogen sind das Bindeglied zwischen den einzelnen Professionen, sie sind
unabhängig und man kann sie in ihrer Funktion als Vorreiter bezeichnen.
Aber sind „ADHS- Kinder“ möglicherweise mehr gefährdet kriminell zu werden als
andere. In der zweiten Frage geht es um diesen Zusammenhang zwischen ADHS und
Kriminalität.
Dieselben Auffälligkeiten, welche man bei Kindern mit ADHS findet, gelten auch als
Risikofaktoren für Kriminalität. Insbesondere sind das aggressives Verhalten,
Impulsivität und emotionale Labilität.
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Die genetischen Faktoren und neurologischen Beeinträchtigungen von ADHS ziehen
soziale Probleme nach sich, wenn Eltern und Kinder überfordert sind und nicht
angemessen sozial interagieren können. Es kommt zu Kontaktschwierigkeiten,
Kommunikationsproblemen und sozialem Rückzug, der wiederum dazu führt, dass die
Kinder und Jugendlichen noch weniger Gelegenheit haben, soziale Interaktion zu üben.
Es fehlt ihnen an Erfolgserlebnissen, dadurch steigt die Verunsicherung, die durch
negatives Feedback noch mehr verstärkt wird und ein Abrutschen in die Kriminalität
manchmal kaum aufzuhalten.
In verschiedenen Studien wird gezeigt, dass Kinder und Jugendliche mit der Diagnose
ADHS etwa dreimal häufiger straffällig werden als Kinder und Jugendliche ohne
ADHS.
Es stellt sich die Frage, was genau bei ADHS die Auslöser für die Regelbrüche ist.
Einerseits spielt die Hyperaktivität und Aggressivität eine Rolle. Andererseits ist auch
die Aufmerksamkeitsstörung eine Möglichkeit für Kriminalität.
Für die Jugendkriminalitätsprävention ist es wichtig das ein frühes Erkennen und
diagnostizieren von ADHS stattfindet, um eine frühzeitige und effektive Unterstützung
und Therapie beginnen zu können. Nur so kann der Werdegang der Kinder und
Jugendlichen entscheidend beeinflusst werden.
Ebenso sollte das Fehlverhalten der Jugendlichen konsequent und in kürzestem
zeitlichem Abstand zur Handlung erfolgen, um das ohnehin für sie schwere lernen aus
Erfahrung noch zu ermöglichen.
Deshalb gilt, Jugendkriminalitätsprävention fängt in der Wiege an!
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Quellen
Powerpoint-Präsentation von Dr. med. Klaus Eckart Zillessen
Audiomitschnitt vom 04.11.2009 über 38:41 Minuten
Internetlinks:
http://www.jenapolis.de/35230/6-thueringer-jugendgerichtstag-in-jena-diagnose-undprognose-im-jugendstrafverfahren (02.01.2010, 11:11 Uhr)
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