T i t e lt h e m a Analfisteln und Abszesse Spontan heilen sie selten Bernhard Strittmatter Als Eintrittspforte für die aus der Darmflora stammenden Erreger gelten die im Bereich der linea dentata lokalisierten Morgagnischen Krypten [1, 2]. Hier münden die beim Menschen nur rudimentär angelegten Proktodäaldrüsen ein (Abb. 2) [3]. In der Regel findet sich die innere Fistelöffnung entsprechend der Lokalisation der Proktodäaldrüsen in der Medianlinie, überwiegend dorsal. Entlang der vorgegebenen anatomischen Strukturen breitet sich die Infektion in Längsrichtung und auch zirkulär im intersphinktären Spalt aus. Von hier aus kann der Infektionsweg in jeder Höhe die angrenzenden muskulären Strukturen durchbrechen (Abb. 3). Häufigkeitsverteilung und Klassifikation Perianale Fisteln und Abszesse treten in einer Häufigkeit von 5 bis 8 Fällen pro 100 000 Einwohnern pro Jahr auf. Risikofaktoren sind nicht bekannt. Männer erkranken dreimal so häufig wie Frauen. Das bevorzugte Alter liegt zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr [4]. 10 alle Abbildungen Strittmatter Perianale Fisteln und Abszesse (Abb. 1) gehören ätiologisch zur selben Krankheitsentität. Der Abszeß ist die Akutform und die Fistel die chronische Verlaufsform der Entzündung. Entscheidend für die Sanierung ist die exakte Darstellung des Fistelgangs. Das chirurgische Vorgehen hängt vom anatomischen Fistelverlauf ab. Abb. 1: periproktitischer Abszeß Die typischen Fisteln lassen sich nach ihrem anatomischen Verlauf klassifizieren. Die gebräuchlichste Klassifikation stammt von Parks 1976 und umfaßt vier Formen (Abb. 4a, b), die sich in der Lokalisation des Fistelganges zu den einzelnen muskulären Strukturen des Ätiologie und Pathogenese (kryptoglanduläre Theorie) Kontamination vom Analkanal aus • Infektion durch Abflußbehinderung • „Drüsenabszeß“ (meist intersphinktär) • • • spontane Abheilung Entleerung zum Analkanal Ausdehnung akut/­ chronisch Abb. 2 Kontinenzorganes unterscheiden. Abweichende Ausbreitungswege treten bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, besonders bei Morbus Crohn, Diabetes mellitus, benachbarten entzündlichen Veränderungen, Tumoren, Tuberkulose oder nach Verletzungsfolgen auf. Klinisches Bild Inspektorisch findet sich in der Perianalhaut – häufig dorsal lokalisiert – ein Fistelostium. Dies kann gut erkennbar gerötet, induriert mit schmieriger Sekretion, aber bei geringer Entzündungsaktivität auch passager verschlossen und nur schwer erkennbar sein. Fast immer klagen die Patienten über rezidivierenden Ausfluß, dieser führt zu den typischen sekundären Hautveränderungen im Sinne eines perianalen Ekzems. Folge eines Sekretstaus im Fistelgang sind Der Allgemeinarzt 12/2006 T i t e lt h e m a die Symptome einer akuten Entzündung mit Schmerzen in Ruhe, bei Bewegung und Defäkation sowie Fieber, Rötung und Schwellung perianal, intraanal oder Vorwölbung und Druckschmerzhaftigkeit intrarektal. Diagnostik Die äußere Fistelöffnung läßt sich durch Inspektion und Palpation lokalisieren. Intersphinktäre und oberflächliche transsphinktäre Fisteln kann man in ihrem Verlauf als derben Strang verfolgen. Gelegentlich hilft bei der Darstellung des äußeren Ostiums eine dünne Knopfsonde. Bei kurzen geraden Verläufen oberflächlicher Fisteln kann hier oft ohne Beeinträchtigung des Patienten bereits die innere Öffnung dargestellt werden (Abb. 5). Bei der präoperativen Diagnostik zur Typisierung und vor allem zur Darstellung komplexer Fistelsysteme hat die Endosonographie nach Insufflation von Wasserstoffperoxid in die äußere Fistelöffnung in neueren Untersuchungen eine hohe Spezifität und Sensitivität gezeigt [8, 9, 10, 11]. Die radiologische Darstellung der Fistelsysteme mit Kontrastmittel (Fistulographie) führt dagegen häufig zu falsch positiven Resultaten, die hohe Fistelverläufe simulieren oder im Sinne einer iatrogenen Schädigung zusätzliche Verbindungen schaffen [12, 7]. In der Regel kann intraoperativ der gesamte Fistelverlauf mit Hilfe einer oder mehrerer Sonden zuverlässig nachvollzogen werden. Bei verzweigten Systemen wird die Vollständigkeit der Darstellung durch Injektion von Methylenblau überprüft. Eine große Hilfe ist die Goodsall´sche Regel. Danach ist der Verlauf des Fistelgangs gerade und radiär, wenn die äußere Fistelöffnung anterior der Äquatorialebene liegt. Ist die Fistelöffnung posterior dieser Linie bzw . über 3 cm vom Analkanal entfernt, verläuft die Fistel meist bogenförmig und mündet bei 6 Uhr in Steinschnittlage (Abb. 6). Fistel vollständig bis zu ihrem Ursprung eröffnet ist. Entscheidend für den Therapieerfolg sind exakte Kenntnisse der Anatomie des Kontinenzorgans und ausreichende Erfahrung beim chirurgischen Vorgehen. Unabhängig von der anatomischen Klassifikation gibt es einfache und komplizierte Fisteln. Zu den einfachen Fisteln gehören alle, die sich beim wachen Patienten problemlos sondieren lassen. Auch die von chronischen Analfissuren ausgehenden Fisteln lassen sich von innen gut sondieren und sind einfach. Die komplizierten Fisteln erfordern spezielle chirurgische Erfahrung und sollten nur an entsprechenden Zentren behandelt werden, da jeder Eingriff, der nicht zur Abheilung führt, die Situation komplexer macht und das Kontinenzorgan schädigt. Hierzu gehören die Rezidivfisteln, die hohe Fistel, die rektovaginale Fistel und die verzweigte Fistel. Auch Abb. 3: Ausbreitung und Verlauf einer Entzündung im Bereich der Proktodäaldrüsen Therapieverfahren Analfisteln heilen nicht spontan; auch wenn sich die äußeren Fistelöffnungen zeitweise verschließen, kommt es nach einem beschwerdefreien Intervall zur erneuten Sekretion. Das Prinzip der chirurgischen Behandlung besteht darin, die epithelialisierte Fistel in eine offene, sekundär granulierende Wundfläche umzuwandeln. Voraussetzung für die Heilung ist, daß die Die chirurgische Behandlung einer Analfistel verfolgt das Ziel, die Fistel in eine offene Wundfläche zu verwandeln. wenn die äußere Fistelöffnung sehr weit vom Anus entfernt ist, deutet dies auf ein kompliziertes Fistelsystem hin. Fistulotomie und Fistulektomie Grundsätzlich sind Allgemeinnarkose oder Sakralanästhesie erforderlich, da durch die Lokalanästhesie die Fistelpararektaler Raum Musculus levator ani extra­ sphinktär supra­ sphinktär 5 % trans­ sphinktär 20 % subanodermal 15 % M. pubo­ rectalis Sphincter externus Sphincter internus Intersphinctäre Ebene intersphinktär 60 % Abb. 4a: Häufigkeit und Klassifikation perianaler Fisteln nach Parks [1] Der Allgemeinarzt 12/2006 Fossa ischiorectalis Abb. 4b: Sphinkterorgan nach Parks [1] 11 T i t e lt h e m a Mukosa-Muskel-Flap Quelle: Falk Foundation e.V. Rektovaginale, suprasphinktäre und hohe transsphinktäre Fisteln sind mit o. g. Methoden nicht zu heilen. Bei diesen Fisteln wird die innere Fistelöffnung durch einen Mucosa-Muskel-Lappen verschlossen und die äußere Fistelöffnung exzidiert. Postoperative Behandlung Abb. 5. Sondieung einer subkutanen, submukösen, intrasphinktär verlaufenden Fistel zur ­Morgagnischen Krypte hin. identifizierung erschwert wird oder gar nicht möglich ist. Die Fistel wird intraoperativ zunächst mit einer Farblösung angefärbt und sondiert und danach gespalten (Abb. 7). Die Kontrolle des Fistelgrundes auf eventuelle VerzweiA Äquatorial­ ebene B Goodsall-Regel A = anterior B = posterior Abb. 6: Goodsall-Regel zum Fistelverlauf gungen ist besonders wichtig. Bei der gespaltenen Fistel werden die Wundränder zur Seite abgeflacht und nach distal ausgeschnitten, damit eine möglichst breite, tropfenförmige und flache Wunde entsteht. Alle Fisteln, die nach diesem Verfahren saniert werden, heilen aus – unter der Voraussetzung, daß der Fistelgang und eventuelle Verzweigungen in toto durchtrennt sind. Die Exzision des Fistelgrundes ist fakultativ und sollte bei der inter- und transsphinktären Fistel möglichst nicht oder nur sehr sparsam erfolgen. Fadentechnik Bei der Fadenmethode wird der Fistelgang mit einem locker geknoteten Faden drainiert und so die Entzündung oder der Abszeß zur Abheilung gebracht. Der liegende Faden verhindert eine erneute Abszedierung und die Ausbreitung der Fistel. Auch kann die Fadendrainage bei komplexen Crohn-Fisteln über längere Zeit belassen werden, um ein entzündungsfreies Intervall zu erreichen oder um ein komplexes System auf einen Hauptgang zu reduzieren. Als Dauerlösung dient die Fadendrainage, wenn die Fistulotomie eine Inkontinenz zur Folge hätte. Die von Hippokrates angewandte Fadenmethode unter Zug zur Durchtrennung der Fistel hat nur noch historische Bedeutung und findet heute wegen der Schmerzhaftigkeit keine Anwendung mehr. Postoperativ sollte dafür gesorgt werden, daß es zu einem guten Sekretabfluß aus der Wunde kommt und die Wundränder nicht verkleben. Deshalb muß der Patient regelmäßig digital untersucht werden. Die Wunde sollte täglich mehrfach mit der Dusche gespült werden. Wundspülungen sind besser als alleinige Sitzbäder. Die Nahrungsaufnahme erfolgt oral, Laxantien sind nicht erforderlich. Die normale Stuhlkonsistenz ist am besten für einen schmerzfreien Stuhlgang; eine unmittelbar danach durchgeführte Reinigung vermindert das schmerzhafte Brennen nach dem Stuhlgang. Desinfektionsmittel spielen eine untergeordnete Rolle. Plastische Verfahren erfordern parenterale Ernährung. Zusammenfassung Voraussetzung für die erfolgreiche Behandlung des Fistelleidens sind exakte Kenntnisse der Anatomie und der Pathogenese. Die Heilung ist abhängig vom Auffinden des gesamten Fistelganges. Dies erfordert meist außergewöhnliche Erfahrung in der proktologischen Chirurgie. Fistulotomie und Fistulektomie sind gleichwertige chirurgische Verfahren. Die Verfahrenswahl wird durch den Fistelverlauf bestimmt. Auch hat die Fadeneinlage als Platzhalter bis zur definitiven Versorgung nach wie vor ihren Stellenwert. ▪ Literatur unter www.allgemeinarzt-online.de Dr. Bernhard Strittmatter Praxisklinik 2000 Kompetenzzentrum für Koloproktologie 79110 Freiburg i. Br. Abb. 7: Fistulotomie 12 Der Allgemeinarzt 12/2006 Anzeige