INterview VORWERK TEPPICH 6 INterview Thomas Edelmann: Zaha Hadid, Sie wurden bekannt für Ihre Bauten und zuvor bereits für Ihre theoretische Arbeit und Ihre Lehrpraxis. Gibt es eine Vision, die all Ihre Projekte verbindet? „IHR ELEMENT IST DIE LUFT“ Text/Interview: Thomas Edelmann Ein Gespräch mit Zaha Hadid über digitale Lebensmuster und eine neue Ebene sozialer Komplexität. Zaha Hadid: Mein Bestreben lag stets darin, fließenden Raum ­zu schaffen. Es begann mit Ab­ strak­tion, Verschmelzung und Überlagerung und ging über zu Flächen und Räumen. Als wir begannen, sehr umfangreiche Bauentwürfe zu entwickeln, stellten wir uns Architektur wie eine künstliche Landschaft vor, die ohne Unterbrechung auf den Boden trifft: ultimative Mobilität und Fluidität. Ein Großteil die­ser Arbeit basierte auf zeichnerischer­Forschung, die Abstraktion, Geologie, Topographie und Archäologie in den Blick nahm. Manche Bereiche unserer neu­e­ren Arbeit untersuchen die organische Morphologie – stets unter dem Aspekt der nichteuklidischen Geometrie. Wir werden oft gefragt, warum unsere Arbeit keine geraden Linien ent­hält. Die Antwort ist: weil das Leben sich nicht in ein Raster pressen lässt. Menschen suchen natürliche Plätze auf und em­p­fin­­den sie als sehr entspannend. Ich denke, dass dies auch in der Architektur möglich ist. VORWERK TEPPICH 7 lässt sich eine formale Dynamik erkennen. Linien, die sich aus anfänglichen Untersuchungen des Standortes ergaben, treiben gleichförmig dahin, bis sie sich verzweigen, schneiden oder um die Ecke des L-förmigen Ge­bäude­komplexes biegen, um Innen- und Außenräume zu bilden. Die Bewegung durch das Gebäude setzt sich auf dem und rund um das Museum fort, auf Rampen und Brücken, wodurch eine Reihe von Galerien ent­steht. Zugleich bildet sich ein einziger unbegrenzter Raum, der einen immer weiter zieht – ohne echten Anfangs- oder Endpunkt. Intime Räume öffnen sich zwischen den Wänden auf zahlreiche Ebenen und bieten Ausblicke – wobei das Gebäude immer auch Hinweise gibt, wie man vorankommt. TE: Ihre architektonischen Entwürfe hat man lange Jahre zwar geschätzt und publiziert, wagte sich aber nicht, sie auch zu bauen. Ja, es wurde behauptet, Ihre Architektur könne aus statischen Gründen nicht gebaut werden. War das Bequemlichkeit der damaligen Auftraggeber? Oder gibt es inzwischen technische Neuerungen, die die Umsetzung Ihrer Entwürfe erleichtern? ZH: Im Gegenteil, es wurde immer schwieriger. Da heute vielen unterschiedlichen Anfor­derungen in einer einzigen Lösung Rechnung getragen werden muss, wird die Architektur immer komplexer. Die ersten Das MAXXI, Nationalmuseum der Künste des 21. Jahrhunderts (Rom/Italien) löst die Vorstellung des Museums Projekte waren ziemlich schlicht, als „Objekt“ ab bzw. es bietet einen für jeden zugänglichen Gebäudekomplex, der keine feste Grenze hat zwischen wenngleich manche aufgrund dem, was sich „innerhalb“ und „außerhalb“ des Museums befindet. / MAXXI, National Museum of XXI Century­ der globalen und lokalen SituArts (Rome, Italy) supersedes the notion of the museum as ‘object’, or presents a field of buildings accessible to one ation des jeweiligen Kunden and all, with no firm boundary between what is “within” and what is “without”. unverwirklicht blieben. In zunehmendem Maße fordern unsere Kunden radikale Neuerungen. Ein konkretes Ergebnis meiner Fas­ziniemals festgelegt. Diese Bewegung Immer mehr Institutionen zeigen heute ­nation bestand darin, dass ich Malerei ZH: Mich interessierte immer schon das durch den Raum ist in allen Gebäuden Prinzip der Fragmentierung. Mit unserer als Gestaltungsmittel aufgriff. Damit von entscheidender Bedeutung – ins­­ eine ausgeprägte Innovationsbereitschaft. setzte ich meine ersten Visionen der Vorstellung von Abstraktion und Auf­besondere bei Verwaltungs- und Kultur­Dies sind unverzichtbare Voraussetzunlösung dekonstruierten wir die Konzepte Raumgestaltung um. Durch das zu gebäuden. Museen müssen nicht mehr gen, die es einem Architekten er­mög­ dieser Zeit praktizierte Zeichenverfahvon Wiederholung und Massenprodukin linearer Abfolge ihrer Räume auf­ lichen, außergewöhnliche Projekte zu tion. Von diesem Erbe des Modernismus­ ren in der Architektur fühlte ich mich gebaut sein, wie es in früheren Jahrentwerfen. Aber selbst jetzt, nachdem eingeschränkt und war auf der Suche und vorheriger Bewegungen lösten wir ­hunderten der Fall war. ich so viele Projekte auf der ganzen Welt nach besseren Darstellungsweisen. uns. Bereits zu Beginn des 20. Jahr­ fertig gestellt habe, fragen mich die Malewitschs Arbeit brachte mich hunderts analysierten einige abstrakte Leute immer noch: „Denken Sie, Ihre TE: Ein Beispiel? zu einer Phase intensiven Expe­ri­ Kunstbewegungen gegenständliche Arbeit kann tatsächlich gebaut werden?“ mentierens – sowohl mit Formen Kunst, bestimmte geometrische AbsNaja, wie viele Gebäude muss ich denn ZH: Im MAXXI, dem Nationalmuseum als auch mit Bewegung –, woraus sich traktionen sowie die arabische Kalligrader Künste des 21. Jahrhunderts in Rom, noch bauen, um es zu beweisen? phie. Ich bin mir absolut sicher, dass die unser radikaler Ansatz zur Entwicklung einer neuen architektonischen Russen – im Besonderen Malewitsch – Sprache entwickelte. diese kalligraphischen Schriften untersuchten. Die Kalligraphie, die man in heutigen Architekturplänen sieht, hat TE: Ihre Bauten sind meist spektakulär, mit der Vorstellung von Dekonstruktion der Raum darin fließt. Obwohl es sich und Fragmentierung im Raum zu tun. um Gebäude aus äußerst beständigen Materialien handelt, erscheint alles darin – Wände, Böden, Decken – stän­ TE: Inwiefern beeinflusste Sie die Fordig­in Bewegung zu sein. Weshalb schungstätigkeit der frühen Moderne? sind dynamische Räume so wichtig? ZH: Meine eigene Arbeit wurde zuZH: Mich hat schon immer interessiert, nächst von der frühen russischen wie sich Bewegung auf Architektur Avantgarde inspiriert, wobei ich mich auswirkt. Wie bei einer Filmeinstellung: mit der Arbeit von Kasimir Malewitsch direkt identifizieren konnte. Seine Arbeit Man sieht die Welt nicht aus einem einzigen Blickwinkel, sondern hat eine untersuchte Abstraktion als ein investikomplexere Sicht. Wir sehen die Welt gatives Prinzip, womit die kreative aus so vielen Perspektiven, nie nur aus Arbeit auf bislang unbekannte Ebenen einer Sicht. Unsere Wahrnehmung ist der Erneuerung vordrang. TE: Als Sie 2004 mit dem Pritzker-Preis, der höchsten Aus­zeichnung für zeitgenössische Architektur, geehrt wurden, hieß es in der Würdigung, „ihr Element ist die Luft“. In einer Zeit, da viele Architekten möglichst schwere, unbewegliche Gebäude errichteten, hätten Sie eine Art Anti-SchwerkraftOffensive gestartet. Was brachte Sie dazu? VORWERK TEPPICH INterview TE: Ein weniger bekannter Teil Ihrer Arbeit umfasst den Entwurf von Produkten. Sie haben Schuhe entworfen und Autos, Möbel und Türklinken, aber auch Textilien. Ihre Produkte führen gleichsam­ als Mikro-Architekturen ein autonomes Leben, losgelöst von Ihren Bauten. Zonen – du lebst hier, arbeitest dort und spielst wieder woanders –, aber indem wir die Bereiche innerhalb der gleichen Zone übereinander schichten, wird das gegenwärtige Städtekonzept vollkommen verändert. ZH: Der momentane Erfolg und die der­zeitige Beliebtheit unserer Bauweise basieren oftmals auf Erfindungen und Innovationen, die aus Forschungs­ projekten mit anderen Branchen ent­­stehen. Der Mobile Art Pavilion für Chanel adaptiert beispielsweise Tech­nologien, die im Automobil- und Bootsbau Verwendung finden. Diese Experimente sind die Basis, um künftige­ Möglichkeiten für neue Methoden der Gestaltung und der Konstruktion zu entdecken oder die Vorzüge neuer Mate­rialien zu erkennen. Deshalb hat die Entwicklung von Produkten für uns eine große Bedeutung. Sie beruhen auf Ver­suchen, sind schneller zu realisieren als Architekturprojekte und beflügeln unsere Kreativität. “Air is her element” TE: Sehr früh schon, als es nur sehr wenige realisierte Bauten von Ihnen gab, kam Ihr Teppich-Entwurf als Bestandteil der Vorwerk Dialog-Kollektion auf den Markt. Er war ein Ausblick auf mögliche Architekturen. Können Sie sich noch erinnern, was Sie damals bei Ihren Entwürfen für Vorwerk bewegte? ZH: Zu dieser Zeit steckten wir mitten in den Arbeiten für Wettbewerbe in Deutschland. Es waren Projekte, die neue Ansätze des Städtebaus und der Master­ planung erkundeten: das Victoria-Areal am Kurfürstendamm in Berlin und das Projekt Hafenstraße in Hamburg. Beide stellten neue Kontextbezüge her zwischen bestehenden Elementen der Standorte und neu geplanten Räumen. Das Vorwerk-Design übernahm diese Erfahrung. Ganz wie die Gemälde, die wir damals malten – sie erlaubten uns, sowohl mit Formen als auch mit Bewe­gung zu experimentieren. Obwohl weder das Berlin- als auch das HamburgProjekt jemals realisiert wurden, sind beide Projekte von entscheidender Be­deutung für unser Repertoire. An interview with Zaha Hadid about digital patterns in life and a new level of social complexity. Thomas Edelmann: Zaha Hadid, your buildings have made you very well known. Before that you gained prominence due to your theoretical work and active teaching. Is there a vision that links all of your projects? Zaha Hadid: My ambition was always to create fluid space. It started with abstraction, juxtaposition and superposition, then moved on to planar and volumes. This developed further when we began working with very large programmes – to think of architecture as a landmass – like a landscape. An artificial landscape that meets the ground without interrupting the programme and connections: the ultimate mobility and fluidity. A lot of this work was based on drawing research – looking at abstraction, geology, top­og­ raphy and archaeology. Some of our more recent work investigates organic morphology, but always looking through geometry. This work is obviously non-Euclidean geometry. People ask why there are no straight lines in the work – and that’s because life is not made in a grid. It could be interesting at times to consider a grid imposed on a terrain, but if you think of natural landscapes – they are not even grids. People go to natural places and think it’s very relaxing. I think that one can do that in architecture. TE:When you were honoured with the Pritzker Prize in 2004, the most prestigious award for contemporary architecture, the acknowledgment stated that “air is her element”. In a time when 8 many architects erected edifices that were as heavy and immobile as possible,­ you opted to launch a kind of ‘anti-­ gravity offensive’. What prompted you to do so? ZH: I have always been interested in the concept of fragmentation and with ideas of abstraction and explosion, where we were deconstructing ideas of repetitiveness and mass production. The idea was to move away from this legacy of Modernism and previous movements. It goes back to the beginning of the 20th century, when certain abstract movements in art were looking at figurative art, and also certain geo­metric abstractions, as well as at Arabic calligraphy. I’m absolutely sure the Rus­sians – Malevich, in particular – looked at those calligraphic scripts. The calligraphy you see in architectural plans today has to do with the notion of deconstruction and fragmentation in space. TE: To what extent did the explorative activity of early Modernism influence you? ZH: My own work took its first inspiration from the early Russian avant-garde, in particular I directly engaged with the work of Kasimir Malevich. His work explored abstraction as an investigative principle that can propel creative work to unheard-of levels of invention. One concrete result of my fascination with the Russian work was that I took up painting as a design tool. This medium became my first domain of spatial invention. I felt limited by the traditional system of drawing in architecture available at that time and was searching for new means of representation, and Malevich’s work led me on a period of intense experimentation – in both form and movement – that developed into our radical approach to developing a new language for architecture. TE: Your buildings are mostly spec­ta­cular; the space within them flows. Although these are buildings made of extremely long-lasting materials, everything inside them – walls, floors, ceilings – seems to be in constant VORWERK TEPPICH 9 motion. Why are dynamic spaces so important? ZH: I’ve always been interested in how movement affects architecture. As in the frames of a film: not seeing the world from one particular angle, but having a more complex view. We view the world from so many perspectives – never from one single viewpoint – our perception is never fixed. This movement through space is very critical in all buildings – particularly for civic and cultural buildings. Museums do not have to be a linear sequence of rooms like they used to be in previous centuries. TE: An example? ZH: In the MAXXI: National Museum of XXI Century Art in Rome for example, there is an applied formal dynamic. Lines generated from initial site investigations drift in unison until they bifurcate, intersect or turn the corner of the L-shaped site to create interior and exterior spaces. But the movement through the building continues up and around the museum on the ramps and bridges – defining a series of galleries, but at the same time, also establishing one single infinite space that keeps drawing you forward – without a real point of beginning or termination. Intimate spaces between walls open out onto many levels and vistas – but the building always gives you clues how to move forward. TE: Years went by in which your architectural drafts were highly regarded and publicised, yet no venture was made to actually build them, too. It was even claimed that your architecture was unable to be built due to structural reasons. Were the clients at the time ‘taking Guangzhou-Oper – im Kern des Guangzhou-Erschließungsvorhabens für kulturelle Standorte. / Guangzhou Opera House – at the heart of Guangzhou’s cultural sites development. the easy way out’? Or are there meanwhile technical innovations that make it easier to enact your designs? TE: Sie sind eine Expertin für die Gestaltung möglicher Zukünfte: Worin wird sich unsere Art zu leben und zu arbeiten in den nächsten Jahrzehnten am stärksten verändern? ZH: On the contrary, it became more and more difficult because its com­ plexity increased to accommodate so many different needs in one solution. Most of these projects were quite modest, although some remained unrealised because of the global and local situations with each client. Clients are increasingly calling for something radical. And from a much broader group of institutions that now have strong willingness to innovate. These are vital characteristics that allow an architect to design extraordinary projects. But even now, after completing so many projects around the world, people still ask me: “Do you think your work is buildable?” Well, just how many more buildings do I have to build to prove it! ZH: Die moderne Gesellschaft steht nicht still – und Architektur muss sich mit den neuen Lebensmustern ent­ wickeln. Was in unserer Generation neu ist, ist eine neue Ebene sozialer Komplexität – die sich in ihrer Architektur widerspiegelt. Ich denke, dass eine der großen Herausforderungen der zeitgenössischen Architektur des 21. Jahrhunderts in einer fundamentalen Umstrukturierung besteht – weg vom Konzept sich wiederholender orthogonaler Gebäudeblöcke der Indus­triegesellschaft des 20. Jahrhunderts und hin zu einer fließenden Architektur für eine digitale Gesellschaft mit flexibler Spezialisierung, in der das Leben von deutlich mehr Komplexität und Dynamik geprägt ist. Es muss eine große Verschiebung stattfinden, eine Ablösung von der Unterteilung in Guangzhou-Oper, 2010, Auditorium / Guangzhou Opera House, 2010, auditorium INterview Ro Contactus pie prodigiosus Contagio. tui St cornu edo praetermissio. Te ora to me. Peragro fugo virus Res qui hic ira quatenus / quatinus Perago tui Pronuntio per pio vel superstes sperno. TE: A lesser-known portion of your work includes designing products. You have designed shoes and cars, furniture and door handles, even textiles. Your pro­ducts lead an autonomous life as micro-architectures, so to speak, disen­gaged from your buildings. ZH: The current success and popularity of our architecture is often a result of the invention and innovation discovered from the research generated in our collaborations with other industries. For instance, the Mobile Art Pavilion for Chanel adapted technologies used in the automotive and yachting industries. It is through this experimentation that we begin to unravel future possibilities for new design and construction methods or realise the benefits of new materials. So designing the products is of great importance to us. The pieces are experimental, quicker to execute than the architecture projects and inspire our creativity. TE: Very early on, at a time when only very few of your building projects had been realised, your carpet design came onto the market as an element of the Vorwerk Dialog Collection. It was a vista of the prospects in poten­tial architectures. Can you still recall what the impetus was in your designs for Vorwerk? ZH: At the time, we were also working on competitions in Germany for pro­j­­ects that investigated urbanism and master planning – The Victoria City Areal on Kurfürstendamm in Berlin and the Hafenstrasse development in Hamburg. These designs created contextual relationships from disparate elements of the site and programme. The Vorwerk design also applied this research. Much like the paintings we did of that period; allowing us experimentation in both form and movement. What is very interesting from that period: Although never realised, both the Berlin and Hamburg projects have become critical to our repertoire. TE: You are an expert in the shaping of possible futures: How are the ways we live and work going to change the most over the next decades? ZH: Contemporary society is not standing still – and architecture must evolve with the new patterns of life. What is new in our generation is a new level of social complexity – which is reflected in its architecture. I think one of the great challenges of 21st century contemporary architecture is the funda­mental restructuring away from the concept of repetitive orthogonal blocks of the industrial 20th century society towards a fluid architecture for a digital society of flexible specialisation, with much greater degrees of com­plexity and dynamism in people’s lives. There needs to be a major shift away from zoning – you live here, work there and play somewhere else – but by layering them together, in the same zone, totally changes the way we look at cities. Dies ist eine gekürzte Fassung des Gesprächs. Das vollständige Interview finden Sie online unter www.vorwerk-teppich.de. Für SmartphoneBenutzer:­QR-Code einscannen. / This is an abbreviated version of the interview. You can find the complete interview online at www.vorwerk-teppich.de. For smartphone users: Scan in the QR code. Muss noch ausgetauscht werden!