(68) Aerosole und Wolken O. Möhler, K. D. Beheng, IMK Einleitung Erfahrene Wetterbeobachter erkennen an Hand von Wolkenformen Wetteränderungen, Meteorologen entwickeln komplexe Computermodelle zur Vorhersage des Niederschlags und Klimaforscher untersuchen den Einfluss kleinster Veränderungen der Wolkenbedeckung auf das regionale und globale Klima. Wolken mit unterschiedlichsten Erscheinungsformen sind ein wesentlicher Bestandteil des Wettergeschehens, des Wasserkreislaufs und des Klimas. Ihr Auftreten ist offenbar eng mit der atmosphärischen Dynamik, insbesondere den vertikalen Luftbewegungen, gekoppelt. Weitaus verborgener vollzieht sich der nicht minder wichtige Einfluss von mikroskopisch kleinen Partikeln, sogenannten Aerosolpartikeln, auf die Bildung und die Eigenschaften von Wolken. Ohne die mit bloßem Auge nicht einzeln erkennbaren Aerosolpartikel aus natürlichen und anthropogenen Quellen gäbe es keine Wolken in der Atmosphäre. Um die Wirkungen von Wolken quantitativ zu beschreiben und mögliche künftige Veränderungen mit Hilfe von Modellen vorherzusagen, ist es wichtig, die Prozesse der Wolkenentstehung und Niederschlagsbildung genau zu verstehen. Hierzu trägt das IMK mit mehreren experimentellen und theoretischen Arbeiten bei, die in dem vorliegenden und weiteren Artikeln in diesem Heft beschrieben werden. Wie entstehen Wolken? Wolken entstehen in der Atmosphäre immer dann, wenn sich feuchte Luftmassen abkühlen und 68 der Partialdruck des Wasserdampfs den Sättigungspartialdruck erreicht oder übersteigt [1, 2]. Der Partialdruck ist ein Maß für die Feuchtigkeit der Luft, die der Atmosphäre durch Verdunstung am Erdboden und über dem Meer zugeführt wird. Das in Prozent umgerechnete Verhältnis zwischen dem tatsächlichen Partialdruck und dem Sättigungspartialdruck ist die relative Luftfeuchte. Der Sättigungswert hängt sehr stark von der Temperatur ab (ClausiusClapeyron-Gleichung). So muss feuchte Luft mit einer Temperatur von 20°C und einer relativen Feuchte von 50%, in der also ein Wasserdampfpartialdruck von 11,7 hPa herrscht, um ca. 9°C abgekühlt werden, bis der Wasserdampfdruck seinen Sättigungswert annimmt. Sobald die Temperatur dann unter 10,7 °C fällt, kondensiert der überschüssige Wasserdampf an vorhandenen löslichen und unlöslichen Aerosolpartikeln (sogenannten Kondensationskernen) und es entstehen Wolken- oder Nebeltröpfchen. Erfahrungsgemäss entstehen bei demselben Wasserdampfangebot relativ viele, aber kleine Tröpfchen, wenn viele Kondensationskerne vorhanden sind wie z. B. über den Kontinenten. Im Gegensatz dazu bilden sich über den Meeren relativ wenige, aber große Tröpfchen. Bei gleicher Menge an kondensierbarem Wasserdampf erscheinen Wolken mit vielen kleinen Tröpfchen im Mittel heller als solche mit weniger großen Tröpfchen, reflektieren dadurch mehr Sonnenlicht (Albedo-Effekt) und haben einen stärkeren kühlenden Einfluss auf das Klima. Die Konzentration der Wolkentröpfchen ist auch eine wichtige Größe für die NACHRICHTEN - Forschungszentrum Karlsruhe Jahrg. 35 1-2/2003 S. 68-72 komplexen Mechanismen, die zur Bildung von Niederschlag führen [3]. Da die Lufttemperatur in der Regel mit der Höhe stark abnimmt, bilden sich in größeren Höhen Wolken bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt. Eine Besonderheit ist dabei, dass Wolkentröpfchen, die aus reinem Wasser bestehen, bis zu einer Temperatur von etwa –35°C unterkühlt flüssig bleiben und erst bei tieferen Temperaturen spontan gefrieren. Diese starke Unterkühlung entsteht durch Energiebarrieren bei der Bildung der festen Eisoberfläche und bei der Diffusion von Wassermolekülen in die geordnete Eisstruktur. Enthalten die Tröpfchen gelöste Stoffe, z.B. Schwefelsäure, nimmt die Gefriertemperatur gleich großer Tröpfchen weiter ab. Außerdem nimmt mit abnehmender Temperatur die Differenz zwischen dem Sättigungspartialdruck von Wasserdampf über unterkühltem Wasser und über Eis zunächst zu. Es gibt also einen Bereich, in dem die Atmosphäre bezüglich Eis übersättigt und bezüglich flüssigem Wasser untersättigt ist. Abb. 1 zeigt schematisch diesen Bereich der Eisübersättigung, in dem kleinste Eisteilchen durch Aktivierung von Aerosolpartikeln, so genannten Eiskeimen, entstehen können. Die untere und mittlere Troposphäre mit Temperaturen zwischen 0°C und –35°C ist der Bereich der Mischwolken, in denen Tröpfchen und Eispartikel gemeinsam existieren können. Für die Entstehung von kleinsten Eispartikeln werden verschiedene Mechanismen verantwortlich (69) Wolkenexperimente im Labor Mit der Aerosol- und Wolkenkammer AIDA (Aerosol-Interaktionen und Dynamik in der Atmosphäre) betreibt das IMK-AAF eine Versuchsanlage, in der Abkühlraten und Eisübersättigungen von Wolken simuliert werden, so dass ins- Relative Feuchte Scrit PSC Eis 200 % Emissionen von Flugzeugen Cirrus Feste HNO3/H2O-Partikel (NAT) –35 °C Aerosole als Eiskeime und Kondensationskerne Verändertes, gealtertes Aerosol Niederschlag Mischwolken Die obere Troposphäre mit Temperaturen unterhalb von –35°C ist der Bereich der reinen Eiswolken, der sogenannten Cirren. Die in Abb. 1 eingezeichnete Linie der Flüssigwassersättigung ist hier durch die Extrapolation der Eigenschaften unendlich verdünnter Lösungen definiert. Eispartikel in Cirren bilden sich beispielsweise durch Gefrieren von Schwefelsäuretröpfchen bei hoher Eisübersättigung (gestrichelte Linie in Abb. 1) oder direkt auf festen Aerosolpartikeln (Ruß aus Flugzeugtriebwerken oder mineralische Partikel). Die Bildungsmechanismen von Wolken in der polaren Stratosphäre, der kältesten Region der Atmosphäre, werden in einem eigenen Artikel in diesem Heft beschrieben [4]. SchwefelsäureAerosol 100% –90 °C HNO3 Wa sse rsä ttig ung gemacht: der Kontakt von Eiskeimen mit unterkühlten Tröpfchen, direkte Deposition von Wasserdampf auf Aerosolpartikeln und die Aktivierung durch Partikel, die in unterkühlten Tröpfchen inkorporiert sind. Die genauen Entstehungsmechanismen für kleinste Eispartikel sind weitgehend ungeklärt. Die Eispartikel wachsen durch Deposition auf Kosten der unterkühlten Tröpfchen (Bergeron-Findeisen-Prozess) oder durch Bereifen [3]. 0 °C Abb. 1: Bildungsmechanismen und Erscheinungsformen der Wolken hängen sehr stark von der Temperatur und damit von der Höhe ab. Das Schema zeigt einen Höhenschnitt durch die Atmosphäre, in der die Temperatur mit der Höhe abnimmt. Auslöser für die Wolkenbildung sind in der Regel aufsteigende Luftmassen, die sich auf Grund des mit der Höhe abnehmenden Luftdrucks ausdehnen und dabei stark abkühlen. Da kalte Luft weniger Wasserdampf speichern kann, nimmt die relative Luftfeuchtigkeit zu. Entscheidend für die Wolken- und Niederschlagsbildung sind dabei die Werte der Eissättigung (vertikale Linie) und der Wassersättigung, deren Differenz mit abnehmender Temperatur zunimmt. Bis zu einer Temperatur von etwa –35°C entstehen Mischwolken aus unterkühlten Wassertröpfchen und Eispartikeln, bei tieferen Temperaturen reine Eiswolken, sogenannte Cirren. besondere die Entstehung von Eispartikeln und deren physikalische Eigenschaften untersucht werden können. Der Versuchsbehälter (Volumen 84 m3) befindet sich in einem Isoliergehäuse (Abb. 2), das wie ein riesiger Kühlschrank durch Verdampfen von flüssigem Stickstoff auf Temperaturen bis –90°C homogen gekühlt werden kann. Die Innenwände des Versuchsbehälters werden mit Eis beschichtet, um bei einer nahezu homogenen Temperaturverteilung eine relative Eisfeuchte von nahezu 100% zu erreichen. Übersättigte Bedingungen entstehen, ähnlich wie in Wolken, durch Abkühlung mittels adiabatischer Expansion. In Wolken, die in der 69 (70) Isoliergehäuse (–90 °C bis +60 °C) Aerosolgenerator T, p Ly-α Hygrometer FISH Aerosolbehälter Filter D M A FTIR Spektrometer Streuintensität Kondensationskernzähler 4° 176° Expansionsvolumen Vakuumpumpe 2 PCS 2000 Synthetische Luft Mobilitätsanalysator Vakuumpumpe 1 Argon-Ionenlaser λ = 488 nm Streuung und Depolarisation CPI Kältemaschine Cloud Particle Imager (CPI) Flüssiger Stickstoff Abb. 2: Schema und Instrumentierung der AIDA-Versuchsanlage für die Untersuchung von Aerosolund Wolkenprozessen. Atmosphäre beispielsweise in aufsteigenden Luftmassen gebildet werden, ist diese Expansion eine Folge der Druckabnahme mit der Höhe. Im Versuchsbehälter werden ähnliche Druckabnahmen durch starkes Pumpen erreicht. Das Behältervolumen wird dabei von einem Ventilator homogen durchmischt. Zu Beginn der Expansionsphasen werden Abkühlraten bis zu –4 °C/min erreicht. Die Temperatur der 2 cm dicken Aluminiumwände bleibt dabei nahezu unverändert. Durch zunehmenden Wärmefluss von der Behälterwand in das gleichmäßig expandierende und abkühlende Volumen nähert sich die Abkühlrate nach etwa 15 Minuten dem Wert null, d.h., die Temperaturdifferenz zwischen Wand und Gas 70 erreicht einen nahezu konstanten Wert. Nach Beendigung des Pumpens nähert sich die Gastemperatur innerhalb von etwa 20 min wieder der Wandtemperatur. Die starke Temperaturabnahme lässt die relative Eisfeuchte mit einer Rate von etwa 50 %/min ansteigen. Die Wasserkonzentration wird dabei mit hoher Empfindlichkeit und zeitlicher Auflösung mit dem Fluoreszenz-Hygrometer FISH des Forschungszentrums Jülich gemessen. Sobald eine kritische Eisübersättigung erreicht ist, bilden sich an der Oberfläche von vorher zugegebenen festen Aerosolpartikeln kleine Eiskristalle, die innerhalb von wenigen Sekunden zu optisch detektierbaren Eispartikeln anwachsen. Eine für den empfindlichen Nachweis der Eispartikel neu entwickelte Messapparatur besteht aus einem Argon-Ionenlaser, dessen polarisiertes Licht quer durch die Aerosolkammer in eine Strahlfalle geleitet wird. Zwei Detektoren messen unter den Streuwinkeln 4° und 176° die Intensität von Laserlicht, das im Zentrum des Aerosolbehälters an Partikeln gestreut wird. Bei 176° wird zudem die Depolarisation, also die anteilige Veränderung der ursprünglichen Polarisationsrichtung des Streulichts gemessen, die eindeutig die Entstehung von nicht-sphärischen Eiskristallen zeigt. Abb. 3 zeigt die für verschiedene Aerosoltypen gemessenen Gefrierfeuchten als Funktion der (71) In der Atmosphäre findet man häufig keine reinen Partikel sondern Mischungen aus Ruß, Mineralstaub, Schwefelsäure, Ammoniumsulfat oder organischem Material. Deshalb wird in weiteren Experimenten die Eiskeimaktivität von Mischpartikeln und beschichteten Partikeln untersucht. Für die Messung optischer Eigenschaften Schwefelsäure Ruß Mineral Literatur Wassersättigung 200 Rel. Eisfeuchte [%] Temperatur. Homogenes Gefrieren von weniger als einen Mikrometer großen Schwefelsäuretröpfchen wurde etwa entlang einer Linie gefunden, die auch für Lösungströpfchen anderer Zusammensetzung erwartet wird [5, 6]. Ähnlich große Rußpartikel und mineralische Partikel wirken bereits bei geringerer relativer Feuchte als Eiskeime. Bei Temperaturen oberhalb von –35°C sind reine Rußpartikel erst bei Überschreiten der Wassersättigung als Eiskeime aktiv, wohingegen mineralische Partikel bereits deutlich unterhalb der Wassersättigung Eis bilden. 180 160 140 120 100 200 220 Temperatur [K] 240 260 Abb. 3: Kritische relative Feuchte für die spontane Bildung von Eis in flüssigen Schwefelsäurepartikeln (homogene Eisnukleation) im Vergleich mit Literaturwerten [6] (gestrichelte Linie) sowie für die heterogene Eisnukleation an festen Rußpartikeln und mineralischen Partikeln. wurden derartige Partikel bereits im AIDA-Labor hergestellt [7]. Weitere Instrumente messen beispielsweise Anzahl, Größe und optische Eigenschaften von Aerosolpartikeln und Eispartikeln oder die Form von größeren Eisparti- keln. Die Wachstumsrate der Eispartikel hängt stark vom Wasserdampfpartialdruck und damit von der Temperatur ab. Die maximale Größe ist bei gegebener Konzentration der Eiskristalle durch den verfügbaren Wasserdampf begrenzt. Abb. 4 zeigt Messgröße Gerät (Hersteller bzw. Herkunft) Anzahlkonzentration von Aerosolpartikeln Kondensationskernzähler (TSI) Größenverteilung von Aerosolpartikeln Mobilitätsanalysatoren (TSI, z.T. modifiziert für die Anwendung bei reduziertem Druck und tiefen Temperaturen) Anzahl und Größe von Eispartikeln Optischer Partikelzähler PCS2000 (Palas) Anzahl und Form von Eispartikeln Cloud Particle Imager CPI des UMIST, Manchester (SPECinc, USA) Streuung und Depolarisation von Aerosol- und Eispartikeln Eigener Aufbau mit Argon-Ionenlaser bei 488 nm und in situ Detektionsoptiken unter 4° und 176° Streuwinkel. Aerosolextinktionsspektren im Infrarotbereich von 1.7 bis 13 µm FTIR Spektrometer IFS66v (Bruker) mit Whitezelle für maximal 254 m Lichtweg innerhalb des Aerosolbehälters Wasserkonzentration Frostpunktspiegel (MBW); Ly-α-Hygrometer FISH des ICG-1, Forschungszentrum Jülich Tab. 1: Messinstrumentierung der AIDA-Versuchsanlage für Eisnukleationsexperimente. 71 (72) Eisnukleation auf Mineralstaubpartikeln T = – 28 °C 100 µm Abb. 4: Bilder von Eiskristallen, die bei einer Temperatur von –28°C auf mineralischen Partikeln entstanden sind (die Bilder wurden freundlicherweise von UMIST in Manchester, England, zur Verfügung gestellt). Schattenbilder von Eispartikeln, die bei einer Temperatur von –28°C und einer Eisübersättigung von 20 % auf mineralischen Partikeln nukleiert sind und im Aerosolbehälter bei eisübersättigten Bedingungen zu Größen von 50 bis 100 µm anwuchsen. Diese Messungen wurden in Kooperation mit der Universität Manchester (UMIST) mit dem CPI-Gerät (von „Cloud Particle Imager“) durchgeführt, das normalerweise auf Forschungsflugzeugen eingesetzt wird. Die einzelnen Kristalle zeigen die für den Temperaturbereich von –20°C bis –30°C typische Säulenstruktur mit flachen Enden. Bei noch tieferen Temperaturen treten zunehmend hexagonale Säulen mit spitzen Enden (sogenannte „bullets“) auf, die in einigen AIDA-Experimenten ebenfalls beobachtet wurden. Die AIDA-Ergebnisse werden direkt in die mathematische Beschreibung der Eisbildungsprozesse, wie sie in numerischen Modellen zur Niederschlagsbildung benötigt werden, einfließen. Auf diese Weise wird der anfängliche Eisgehalt von Mischwolken, von dem die nachfolgende Entwicklung von Niederschlag wesentlich abhängt, realistisch erfasst. Eine weitere Anwendung der umfangreichen AIDA-Datensätze in Verbindung mit Prozessmodellen betrifft die Frage, bei welchen Bedingungen sich optisch dünne oder optisch dicke Cirren bilden, die je nach Temperatur und Beschaffenheit der Erdoberfläche einen erwärmenden oder kühlenden Einfluss auf das Klima haben. Literatur [1] K. D. Beheng, U. Wacker, Promet – Meteorologische Fortbildung, Heft 1/2-93, Selbstverlag des Deutschen Wetterdienstes, 1-56, 1993. 72 [4] O. Möhler, H. Oelhaf, Nachrichten 2003 (dieses Heft). [2] K. D. Beheng, U. Wacker, Promet – Meteorologische Fortbildung, Heft 3-93, Selbstverlag des Deutschen Wetterdienstes, 65-96, 1993. [5] O. Möhler, O. Stetzer, S. Schaefers, C. Linke, M. Schnaiter, R. Tiede, H. Saathoff, M. Krämer, A. Mangold, P. Budz, P. Zink, J. Schreiner, K. Mauersberger, W. Haag, B. Kärcher, U. Schurath, Atmos. Chem. Phys., 3, 211-223, 2003. [3] A. Seifert, K. D. Beheng, Nachrichten 2003 (dieses Heft). [6] T. Koop, B. P. Luo, A. Tsias, T. Peter, Nature, 406, 611-614, 2000. [7] K.-H. Naumann, H. Saathoff, M. Schnaiter, R. Wagner, Nachrichten 2003 (dieses Heft).