Fachtagung „Eine sensible Zeit“ Psychische Störungen in Schwangerschaft und Wochenbett Oberärztin Sabine Renck Psychiatrischer Konsiliar-und Liaisondienst des BKH Augsburg „Von der Angst keine gute Mutter zu sein“ (Spiegel online v. 22.12.2014) Depressionen bei Frauen • doppelt so häufig wie bei Männern • Häufigkeit im Gesamtleben: – Frauen 21 % – Männer 12 % • erhöhte Anfälligkeit in Reproduktionsphase (= vor und nach der Geburt) Depression in der Schwangerschaft Depression in der Schwangerschaft • Häufigkeit: in ca 11 % aller Schwangerschaften • Auftreten : 1. Trimenon ca. 7% 2. und 3. Trimenon ca 12 % • Symptome: das ganze Spektrum depressiver Symptomatik Geburtsängste ambivalent gegenüber Schwangerschaft und zukünftiger Mutterrolle körperliche Beschwerden Mögliche Folgen der präpartalen Depression für Mutter + Kind erhöhtes Frühgeburtenrisiko geringeres Geburtsgewicht intrauterine Wachstumsverzögerung Dysregulation mütterlich – fötale Stresshormonachse geringe Inanspruchnahme der Vorsorgeuntersuchungen erhöhter Substanzmissbrauch Behandlung 1) Einsatz von Psychopharmaka immer eine individuelle Risiko-Nutzen-Abwägung 2) wenn möglich ,nicht erstes Trimenon 3) niedrigste effektive Dosis 4) Dosis vor der Geburt reduzieren 5) Kein Absetzen von Medikamenten oder Wechsel bei gut eingestellten Patienten mit psychischer Erkrankung 6) Keines der klassischen Psychopharmaka hat sich als stark schädigend bei der Embryonalentwicklung gezeigt • Antidepressiva-Neueinstellung: – Amitriptylin, Imipramin, Nortriptylin (TCA) – Citalopram, Sertralin (SSRI) Fehldeutungen von Risikoklassifizierungen • Oft Überschätzung des realen Risikos, mit der Folge dass – notwendige Behandlungen unterbleiben oder abgebrochen werden – nach bereits erfolgter Therapie erwünschte und intakte Schwangerschaften abgebrochen werden – bei erforderlicher Behandlung Frauen von einer gewünschten Schwangerschaft abgeraten wird oder – überzogene Diagnostik aus Furcht vor vermeintlicher Arzneimittelschädigung praktiziert wird Psychische Störungen im Wochenbett • Häufigkeit: – 700.000 Geburten in BRD in 2013 – Ca. 19% = 133.000 Frauen weisen depressive Symptome auf – Ca. 7% = 49.000 Frauen weisen schwere depressive Symptome auf Psychische Störungen im Wochenbett Formen der psychischen Störungen: Baby Blues („Heultage“) Postpartale Depression(„Wochenbettdepression“) Postpartale Psychose(„Wochenbettpsychose“) Psychische Störungen im Wochenbett • Mögliche Ursachen und Risikofaktoren: – Körperliche Ebene: • Hormonelle Umstellung – Psychische Ebene: • Depression in der Vorgeschichte • Familienanamnese mit affektiven Störungen – Psychosoziale Ebene: • Geringe soziale Unterstützung • Qualität der Partnerschaft • Belastende Lebensereignisse Postpartaler Blues • Häufigkeit: 25-75% aller Frauen • Auftreten: meist ab 3. Tag nach Geburt • Symptome: – – – – Stimmungslabilität Häufiges Weinen Reizbarkeit Schlafstörungen • Dauer: nur wenige Tage • Behandlung: klingt von selber ab Postpartaler Blues Mögliche Ursachen: • Emotionale Anpassungsreaktion • Endokrine Faktoren? • Noradrenalin erniedrigt • Keine relevante Änderung der Sexualhormonspiegel • Erhöhte Vulnerabilität bei normalen biologischen Umstellungsvorgängen Postpartale Depression (PPD) • Häufigkeit: 10-15 % aller Frauen nach der Geburt • Auftreten: meist schleichender Beginn bis zu einem Jahr nach der Geburt ! • Symptome: – – – – – – – – Depressive Stimmung Antriebsminderung Freudlosigkeit Innere Unruhe Schlafstörungen Insuffizienzgefühle Zwangsgedanken Suizidgedanken !! Kasuistik Postpartale Depression I • Anamnese: 33 jährige Angestellte im öffentlichen Dienst, in 10/2014 Geburt des ersten Kindes, gesicherte finanzielle Situation, Hausbau begonnen – Keine positive Familienanamnese bzgl. psychischer Erkrankungen – Keine psychiatrische Erkrankungen in der Vorgeschichte Kasuistik Postpartale Depression I • Symptomatik: nach Geburt des Sohnes Antriebsmangel, innere Unruhe ,Insuffizienzgefühl bzgl. Kindsversorgung, Gedankenkreisen, Versagensängste, Verlustängste (befürchtete Trennung des Ehemannes), Ein- und Durchschlafstörungen Kasuistik Postpartale Depression I • Medikation: zunächst Sertralin (wg. Wunsch weiterzustillen) zunehmende Unruhe jetzt Behandlung mit Mirtazapin (mit Einverständnis der Patientin abgestillt) Kind beim Vater, kommt tgl. in die Klinik Kasuistik Postpartale Depression II • Anamnese: 43 jährige Krankenschwester, aus Rumänien stammend, geschieden, in Partnerschaft lebend, 13 jährige Tochter aus 1. Ehe, Geburt des Sohnes in 7/2014 – Positive Familienanamnese (Suizid der Tante) – Positive Eigenanamnese ( depressive Symptomatik mit 22 Jahren, Medikamente) – Probleme mit Tochter (selbstverletzendes Verhalten, Gewichtsprobleme) Kasuistik Postpartale Depression II • Symptomatik: • Antriebslosigkeit, Kraftlosigkeit, Insuffizienzgefühle, Schuldgefühle, depressivängstlicher Affekt, Gedankenkreisen,Ein- und Durchschlafstörungen, konkrete Suizidgedanken • Medikation: Venlafaxin (Patientin hatte bereits abgestillt !) Diagnostik Screening: Edinburgh Postnatal Depression Scale (EPDS) Diagnose: Klinisch anhand Kriterien des ICD 10 für affektive Erkrankungen, keine eigene Krankheitseinheit! Edinburgh Postnatale Depression Scale (EPDS) • • • • • Selbstbeurteilungsbogen Screening-Instrument kurz und wenig zeitaufwändig 10 Fragen Punktwert zwischen 0-30: ≥ 12 V.a. Depression ≥ 20 Unterstützung/Behandlung notwendig 1. Behandlung der postpartalen Depression (PPD) Psychotherapeutische Behandlung – Kurzfristig supportiv (Alltagsbewältigung) – Einbeziehung des Partners – Aufklärung der Angehörigen – Evtl. im Anschluß kognitivverhaltenstherapeutische Psychotherapie 2. Behandlung der postpartalen Depression (PPD) Antidepressiva in der Behandlung postpartaler Depression – – – – – Amitriptylin Nortriptylin Imipramin Sertralin Citalopram trizyklische Antidepressiva SSRI – bei gut eingestellten Patienten auf andere Antidepressiva kein Absetzen oder Medikationswechsel! – Fortführung noch mind. 6 Monate nach Abklingen der Symptomatik! – Baldrian, Johanniskraut :keine ausreichende Datenlage ! 3. Behandlung der postpartalen Depression(PPD) Selbsthilfegruppen – Erfahrungsaustausch – Abbau von Ängsten gegenüber z.B. Medikamenten und ggf. stationärer Behandlung – Information „Schatten und Licht – Krisen rund um die Geburt“ www.schatten-und-licht.de Mögliche Folgen der postpartalen Depression • Erschwerte Bindungsentwicklung zwischen Mutter und Kind • Emotionale Auffälligkeiten sowie kognitive Verhaltensstörungen beim Kind • Extremfall: – Suizid der Mutter! – Erweiterter Suizid! PPD in unterschiedlichen Kulturen • Häufiger in westlichen Kulturen • In nicht westlich geprägten Ländern festgelegte nachgeburtliche Zeitperiode geprägt durch Rituale + Tradition • Ruhephase • Soziale Unterstützung • Besonderer Schutz der Mütter • Ernährungs – und Hygienerituale Postpartale Psychose • Häufigkeit: 0,1 -0,2% • Auftreten: meist unmittelbar nach Geburt, 75 % in den ersten beiden Wochen • Symptome: - Alle Symptome einer Psychose: • Denkstörungen • Wahnsymptome • Halluzinationen • Maniforme Symptomatik Oft in Vorgeschichte manisch-depressive Erkrankung Risiko des Auftretens bei weiterer Entbindung • Behandlung: absolute Indikation zur stationären Aufnahme! Erneute Schwangerschaft nach postpartaler Psychose oder Depression? • 75% aller postpartalen Depression/Psychosen treten bei Erstgebärenden auf ! • Erkennen von Frühsymptomen • bessere Präventionsmöglichkeit • evtl. „Notfallplan“ • engmaschige Betreuung während Gravidität Handlungsbedarf + -Ansätze • Prävention: – Früherkennung fördern – Einsatz des EPDS-Fragebogens als Screeninginstrument (Hebammen, Gynäkologen, Kinderärzte) – Aufklärung schon während der Schwangerschaft (Schwangerberatungsstellen) – Risikoberatung • Versorgung: Niedrigschwelliges Angebot in vernetzten Strukturen Angebote zur Schulung an Mitarbeiter, die außerhalb der Nachsorge mit Müttern verbunden sind (z.B. Kita) ggf. Maßnahmen der Jugendhilfe • Entstigmatisierung: Öffentlichkeitsarbeit Zusammenfassung I Jede erkannte und unbehandelte mütterliche Depression hat schwerwiegende Folgen Frauen mit psychiatrischer Vorerkrankung bereits in der Schwangerschaft engmaschig betreuen Ca. 19% aller Frauen nach Geburt zeigen depressive Symptome Ca. 7% zeigen schwere depressive Symptome Routine Screening: Fragen nach Traurigkeit, Freudlosigkeit oder Fragebogen (EPDS) durch Gynäkologen/Hebammen Zusammenfassung II • Frauen mit folgenden Risikofaktoren – psychiatrische Vorerkrankung – belastende Lebensereignisse – belastende Partnerschaft – mangelnde psychosoziale Unterstützung sollten mindestens 3 Monate nach Geburt begleitet werden. • Pharmakotherapie ist eine gute mögliche Option nach entsprechender Nutzen-RisikoAbwägung (www.embryotox.de) Literatur + Informationsmaterial • Information: – Broschüre „Depression nach der Geburt“ von der Techniker Krankenkasse – Broschüre „Postpartale Depression“ von Fa. Hexal – Buch: „Rund um die Geburt eines Kindes“ A.Rohde, Kohlhammer Verlag • Behandlung (Medikamente): – www.embryotox.de • Selbsthilfegruppe: – www.schatten-und-licht.de