9 Einleitung Jeder Mensch verfügt über ein Menschen-, Welt- und Gottesbild, ob er sich dessen bewusst ist oder nicht. Auch wer nicht an Gott glaubt, hat oft ein bestimmtes Gottesbild, das er ablehnt. Das Bewusstwerden sollte zu einer kritischen Überprüfung führen, die auf verschiedenen Ebenen erfolgen kann. Wer im Alltag wenig Zeit und Gelegenheit zur Überprüfung hat oder wer seine Lebensgestaltung derartig von anderen Interessen bestimmen lässt, dass er solche Gedanken für überflüssig erachtet, kommt dennoch nicht an einer Entscheidung darüber vorbei, was er für wirklich hält und was es für ihn nicht gibt, was er langfristig für wichtig in seinem Leben erachtet und ob er an Gott und ein Weiterleben nach dem Tode glaubt oder nicht. Auf der Ebene dessen, der sich mit geistesgeschichtlichen Theorien darüber auseinandergesetzt hat, ergibt sich eine Reflexion über die anthropologischen, ontologischen und metaphysischen Grundlagen seiner Weltanschauung. Die Antwort auf die Frage: Was können wir erkennen? also eine Erkenntnistheorie, erweist sich dabei als Voraussetzung für alle weiteren Überlegungen. In diesem Buch beschreibe ich mein Menschen-, Welt- und Gottesbild, das ich – soweit es mir möglich war – von inneren Widersprüchen befreit habe, obwohl mir bewusst ist, dass dies nie vollständig gelingen kann. Außerdem habe ich mich darum bemüht, meine Theorien zu überarbeiten, und zwar auf dem Wege der Rückkoppelung mit Gesprächspartnern und mit Ergebnissen der Philosophie und der Naturwissenschaft in der Primär- und Sekundär-Literatur. Ich vertraue daher darauf, dass meine subjektiven und persönlichen Erkenntnisse für den Leser meines Buches Anlass dafür sein können, seinen Standpunkt mit meinem zu vergleichen. Ein solcher Vergleich wäre überflüssig, wenn es keine nennenswerten Unterschiede gäbe. 10 Im Gegensatz zur phänomenalistischen, positivistischen und konstruktivistischen Erkenntnistheorie gehe ich davon aus, dass der Mensch eine Schnittmenge zwischen seiner inneren Ordnung und der Ordnung außerhalb von ihm herstellen kann. Als Seele definiere ich das Lebensprinzip eines Lebewesens. Diese Definition geht über die Kirchenlehre hinaus, denn auch Tiere und Pflanzen haben eine Seele. Auch die Seelendefinition der heutigen Psychologen im Sinne des Bewusstseins oder aller Hirnfunktionen lehne ich ab. Das Lebensprinzip ist als Erbinformation in der DNA gespeichert. Die Erbinformation umfasst nicht nur die Aufbau- und Funktionsprogramme, sondern bei Tier und Mensch auch alle angeborenen Verhaltensprogramme. Sie ist – wie jede Information – nicht materiell, benötigt aber einen materiellen Träger. Als Geist definiere ich die Fähigkeit zur personalen Lebensgestaltung mit Hilfe des Denkens und der Sprache. Die spezifische Differenz des Menschen zu anderen Lebewesen sehe ich nicht in erster Linie in der Vernunft, sondern im Personsein. Person ist jeder Mensch von der Zeugung an. Er hat Würde und Rechte. Die Personalität mit ihren beiden Polen der Individualität und der Sozialität ist als Anlage angeboren, sie muss aber bis zur Reifung der Persönlichkeit erst entfaltet werden. Führende Neurologen leugnen die Willensfreiheit, indem sie auf Ergebnisse der Hirnforschung und das so genannte LibetExperiment verweisen. Ich werde diese Leugnung widerlegen. Alles in der Welt geschieht auf natürliche Weise. Es gibt keine Übernatur, keine Wunder im Sinne der Durchbrechung von Naturgesetzen und kein Jenseits, in das der Mensch nach seinem Tode hinüberwechseln kann. Es gibt kein individuelles Weiterleben nach dem Tode. Die Wurzeln des Menschseins bleiben vom Tode unberührt, die Früchte des individuellen Lebens bleiben als Spuren erhalten. Die Natur besteht nicht nur aus der Natura naturata, sondern auch aus der Natura naturans. 11 Metaphysik ist keine esoterische Spekulation, sondern die Erforschung der tieferen Ursachen. Wer nur einfache Ursachen anerkennt, übersieht z. B., dass die Eltern zwar das Leben an ihre Kinder weitergeben, dass sie aber nicht ihre tiefere Ursache sind. Der Zufall lässt sich stets durch die Erkenntnis ersetzen, dass man das Ergebnis eines Prozesses vieler sich durchkreuzender Ursachen nicht vorhersagen kann. Den Zufall als Wirkursache gibt es nicht, also kann er auch nicht als kausale Erklärung für die kosmische und die biologische Evolution herangezogen werden. Kultur ist nicht einfach alles, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt. Zur Kultur gehören nur die Gedanken, Handlungen und Werke, in denen die Personalität des Menschen zum Ausdruck kommt. Anstatt der Definition der Religion als Glaube an Gott bezeichne ich als Religion: das bejahende Verhältnis des Menschen zur transzendenten Dimension seines eigenen Lebens und der ganzen Natur. Ich gehe davon aus, dass die bestehenden Religionen von einer zukünftigen Meta-Religion abgelöst werden. Gott ist kein menschenähnliches, allwissendes, barmherziges Wesen, welches das Schicksal der Menschen lenkt, und auch kein intelligenter Designer der Evolution. Gott ist die vertikale Dimension im Leben des Menschen, die in der Seele beginnt und beim Urgrund des Seins endet. 12 Hinweis zu Form und Herkunft von Zitaten in diesem Buch Die Belege der aristotelischen Schriften beruhen auf den Seiten der Preußischen Akademie-Ausgabe von I. Bekker, Berlin 1831, nach der die Aristoteles-Texte international zitiert werden. Ich verwende das Kürzel: Met. für die Schriften der Metaphysik und das Kürzel: De anima für die Schrift Über die Seele. Das altgriechische Eta (– wie ä auszusprechen) gebe ich durch ë wieder, um es von Epsilon ( – meistens wie geschlossenes e auszusprechen) unterscheiden zu können. Omega ( – geschlossenes langes o) ersetze ich durch ō, um den Unterschied zu Omikron ( – offenes o) kenntlich zu machen. Die Zitate aus der Kritik der reinen Vernunft von Immanuel Kant werden durch das Kürzel K.d.r.V. gekennzeichnet und geben die Seitenzahlen der Originalausgabe A von 1781 und der überarbeiteten Ausgabe B von 1787 wieder. Alle Bibelzitate sind der Schulbibel entnommen, die von den Bischöfen aller deutschsprachiger Diözesen lizensiert wurde: Die Bibel. Altes und Neues Testament. Einheitsübersetzung. Herder, Freiburg i. Br. 1991. Die Zitate aus dem Koran beruhen auf der Übersetzung von Scheich Abdullah As-Samit (F. Bubenheim) und Dr. Nadeem Elyas, die vom Königreich Saudi-Arabien herausgegeben wurde. Der edle Qur'an und die Übersetzung seiner Bedeutungen in die deutsche Sprache. 1424 n. H. / 2003 n. Chr. (2. Auflage). Alle Zitate sind der neuen Rechtschreibung größtenteils angepasst, z. B. ist daß stets durch dass ersetzt.