„Wir machen Kinder stark“ Dokumentation Projekt „Resilienzförderung in Kindertagesstätten“ der AWO Region Hannover e.V. und Leibniz Universität Hannover, Institut für Sonderpädagogik, gefördert durch das Niedersächsische Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung (nifbe) Projektzeitraum März 2010 bis April 2012 Impressum Herausgeber: Arbeiterwohlfahrt Region Hannover e.V. Wilhelmstr. 7, 30171 Hannover V.i.S.d.P.: Burkhard Teuber (Geschäftsführer) Redaktionelle Mitarbeit: Michaela Bräuer-Pape Gaby Kujawa Ilka Lemke Horst Merkel Jörg Reißmann Anmerkung der Redaktion: Im Text wird die Berufsbezeichnung „Erzieherin“ verwendet, weil im Projekt ausschließlich Erzieherinnen beteiligt waren. Gestaltung: Gaby Kujawa Druck: Liskow Druck und Verlag Fotos: AWO Region Hannover e.V. Kindertagesstätten Familienzentren im Rahmen des Programms der Landeshauptstadt Hannover Deutscher Fürsorgetag 2012 Auflage: 1.500 Exemplare 2 Dokumentation Resilienzprojekt Inhalt Vorwort ................................................................................................................................ 4 Einleitung ............................................................................................................................. 5 Projektverlauf ...................................................................................................................... 6 Begleitforschung .................................................................................................... Theoretische Grundlagen .................................................................................................. 7 Ergebnisse ........................................................................................................................... 8 Auswertungsberichte ............................................................................................ Die Ebene der Erzieherinnen ............................................................................................. 13 Die Ebene der Fachtage .................................................................................................... 16 Die Ebene der Eltern (Elternwerkstätten) .......................................................................... 17 Die Ebene der Steuerungsgruppe ..................................................................................... 20 Die Ebene des Beirats ........................................................................................................ 21 Gesamtergebnisse ................................................................................................. Zusammenfassung .............................................................................................................. 21 Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 22 Dokumentation Resilienzprojekt 3 Vorwort Dr. Silke Lesemann Jedes fünfte Kind in Deutschland wächst in Armut auf, das heißt die Kinder und ihre Familien müssen mit weniger als der Hälfte des durchschnittlichen Einkommens zurechtkommen. Gesellschaft und Staat dürfen sich nicht damit abfinden, dass die Lebenschancen einer großen Gruppe von Kindern vertan werden. Arme Kinder haben das Risiko, mehrfach benachteiligt zu werden, was besonders negative Folgen für die kindliche Entwicklung hat. Das Thema „Armut“ beschäftigt die AWO Region Hannover e.V. seit vielen Jahren. Die interdisziplinäre Arbeitsgruppe Armut hat sich insbesondere mit dem Thema „Kinderarmut“ auseinandergesetzt. Deren Arbeitsgrundlage basiert auf den Beschlüssen der AWO Mitgliederkonferenzen und knüpft an die Erfahrungen mit der Teilnahme an der AWO-ISS-Studie „Armut von Kindern und Familien“ an. In diesem Rahmen ist auch die Idee zum Projekt „Wir machen Kinder stark - Resilienzförderung in Kindertagesstätten“ entstanden. Unter Resilienz versteht man die psychische Widerstandsfähigkeit, mit der Kinder Belastungen schwieriger Lebensbedingungen bewältigen. Im Mittelpunkt der Forschung stehen dabei die Fragen: „Was macht Kinder stark, die in schwierigen Lebensverhältnissen aufwachsen? Welche Fähigkeiten benötigen Kinder, die in Armut groß werden oder hochproblematische familiäre Situationen erleben, um Stress und belastende Situationen erfolgreich zu bewältigen? Vielen Kindern gelingt es, mit diesen Bedingungen umzugehen. Sie sind - wie Münchhausen - in der Lage, „sich am eigenen Schopf aus widrigen Umständen zu retten“. Ziel, die Resilienz von Kindern zu stärken. Im Blickpunkt des Projektes standen die pädagogischen Fachkräfte in den Kindertagesstätten, die Eltern und die Kinder. Beteiligt waren vier AWO Kindertagesstätten: Kita Elmstraße, Kita Dunantstraße, Kita Petermannstraße und die Kita Schneiderberg. Wir leisten mit dieser Broschüre einen Beitrag zur Resilienzförderung, deren Kern der Perspektivenwechsel ist: weg von einer defizitären Sichtweise hin zu einem Blick auf die Stärken und Ressourcen von Kindern. Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen Beteiligten bedanken, die dieses Projekt zum Erfolg werden ließen. Bei den Erzieherinnen, die weit über das übliche Maß hinaus engagiert waren. Bei den Eltern, die für den Austausch bereit waren, und auch bei den Projektverantwortlichen. Sie alle haben ihre Sichtweise auf das Thema „Resilienz“ eingebracht. Nur so war es möglich, einen umfassenderen Blick auf die Thematik zu erlangen. Dr. Silke Lesemann Vorsitzende AWO Region Hannover e.V. Die AWO Region Hannover e.V. und der Fachbereich Sonderpädagogik der Leibniz-Universität Hannover haben das vom Niedersächsischen Institut für frühkindliche Bildung geförderte Projekt gemeinsam entwickelt mit dem 4 Dokumentation Resilienzprojekt Einleitung Michaela Bräuer-Pape Die veränderte Lebenssituation in der modernen Gesellschaft führt zu einer wachsenden Anzahl von Kindern, die mit Unsicherheiten, Belastungen und schwierigen Lebensbedingungen konfrontiert werden. Eine große Zahl von Kindern nimmt trotz hoher Belastungen einen unauffälligen oder positiven Entwicklungsverlauf. Die psychische Widerstandsfähigkeit, mit denen Kinder diese Belastungen bewältigen, bezeichnet man als Resilienz. Resilienz ist nicht wie in der Forschung zunächst angenommen eine angeborene Fähigkeit der Kinder, sondern kann über pädagogische Prozesse gefördert werden. Kern der Resilienzförderung ist der Perspektivenwechsel von einer defizitären Sichtweise hin zu einer Unterstützung der Stärken. Diese Erkenntnis ist von großer Bedeutung, da Zuschreibungsprozesse und Vorurteile bei pädagogischen Fachkräften einen entscheidenden Einfluss auf die pädagogische Praxis erhalten. Der prozesshafte Charakter, welcher in hohem Maße abhängig ist von den Umfeldbedingungen, in denen das Kind aufwächst, stellte die Grundlage für die Arbeit im Projekt „Wir machen Kinder stark – Resilienzförderung in AWO Kindertagesstätten“ dar. Ein wichtiger Teil des beschriebenen Entwicklungsumfeldes ist die Kindertagesstätte. Aus diesem Grund müssen dort pädagogische Prozesse genau wahrgenommen und analysiert werden. Es gilt, etablierte Formen des Miteinanders und der Förderung von kindlichen Entwicklungsprozessen detailliert zu beobachten und diese unter Umständen umzugestalten. Besonders die Schärfung der Selbstwahrnehmung der pädagogischen Fachkräfte und der Ausbau beziehungsweise die Einführung von internen kollegialen Beratungsstrukturen spielen dabei eine wichtige Rolle. Dokumentation Resilienzprojekt Die Resilienz von Kindern soll durch zielgerechte Erziehung, Bildung und Betreuung entwickelt, gestärkt und verbessert werden. Im Blickpunkt stehen Kinder im Alter zwischen anderthalb und zehn Jahren, die eine Kindertagesstätte besuchen. Das Projekt fokussiert dabei die Perspektive der pädagogischen Fachkräfte und die der Eltern. Pädagogische Prozesse sind sehr stark von den individuellen Einstellungen, Werten und alltagstheoretischen Konstruktionen der pädagogischen Fachkräfte abhängig. Im Projekt wurden defizitorientierte Verhaltensweisen durch pädagogische Beratung (Coaching) analysiert und verändert, um zu einem positiven, ressourcenorientierten pädagogischen Handeln mit allen Kindern zu kommen. Die Nachhaltigkeit ergibt sich durch die Beratung, die auch über die Projektdauer hinaus zu einem qualitätssichernden Instrument der Arbeit in den beteiligten Kindertageseinrichtungen fortgeführt wird. Das Projekt wurde fachlich durch die Steuerungsgruppe „Resilienz“ begleitet. Sie besteht seitens der AWO Region Hannover e.V. aus drei Diplom-Sozialpädagoginnen für die Arbeitsbereiche Kitaleitung, Fachberatung und Familienbildung sowie zwei Diplompsychologen für die Arbeitsbereiche Erziehungs- und Familienberatung, Fortbildung und Wissenschaftstransfer. Seitens der Leibniz Universität Hannover nahmen zwei pädagogische Mitarbeiterinnen und ein Dozent für Sonderpädagogik teil. Michaela Bräuer-Pape stellv. Geschäftsführerin AWO Region Hannover e.V. 5 Projektverlauf bis März 2010: • Werbung und Auswahl der beteiligten AWO Kindertagesstätten (Kitas) • Erhebung Forschungsstand • 15. März: 2010 Auftaktveranstaltung März bis April 2010 • Auswertung des Fachtages in den Kitas • Erarbeitung des theoretischen Modells resilienz fördernder Bedingungen in den Kitas Mai bis Juli 2010 • teilnehmende Beobachtungen in den Kitas (1. Erhebung) • Umfeldanalyse der Sozialräume in den Kitas August bis September 2010 • Auswertung der ersten Erhebungen • 15. September 2010: Fachtag zum Projekt (unter Beteiligung der Fachöffentlichkeit) • Festlegung von Arbeitsschwerpunkten Oktober 2010 bis Februar 2011 • Vertiefung der Umfeldanalyse durch pädagogische Beratung in den Kitas • Entwicklung weiterer Handlungsschritte • Vorbereitung zur Einbeziehung der Eltern in das Projekt • 25. Oktober 2010: Beiratssitzung März 2011 bis April 2011 • 16. März 2011: 2. Fachtag >> Einführung des theoretischen Modells resilienzfördernder Bedingungen in den Kitas >> Präsentation der Ergebnisse der ersten Erhebungen >> Informationsveranstaltung für Eltern zum Thema Resilienz >> Aufbau von Elternwerkstätten Mai bis August 2011 • Interviews und teilnehmende Beobachtung in den Kitas (2. Erhebung) • Durchführung der Elternwerkstätten • Kontinuierliche Vertiefung der theoretischen Fundie rung durch pädagogische Beratung in den Kitas • 6. Juni 2011: Beiratssitzung • 23. Juni 2011: Teilnahme an der nifbe-Tagung: „Auf dem Weg zur Kita 2020“ September bis Oktober 2011 • 21. September 2011: 3. Fachtag >> kindliche Bewältigungsstrategien >> Vorstellung Ergebnisse der Elternwerkstätten • Auswertung der Interviews und teilnehmenden Beobachtungen • Kontinuierliche Vertiefung der theoretischen Fundierung durch pädagogische Beratung in den Kitas November 2011 bis Januar 2012 • Auswertung der Interviews und teilnehmenden Beobachtungen • pädagogische Beratung in den Kitas Januar 2012 • 17. Januar 2012: 4. Fachtag >> Auswertung pädagogische Beratung >> Vorstellung der Ergebnisse aus den Interviews >> Gesamtauswertung des Projektes • Erstellung des Projektberichtes Februar bis April 2012 • 7. Februar 2012: Nachbereitung mit dem Beirat • Nachbereitung mit den Kita-Teams • Sicherung der gewonnenen Kompetenzen zur Qualitätssicherung • Vorstellungen der Projekterfahrungen innerhalb der nifbe-Transferwerkstätten • 20. März 2012: Öffentlicher Fachtag als Abschluss 6 Dokumentation Resilienzprojekt Begleitforschung Die wissenschaftliche Begleitung des Projekts erfolgte in mehreren Phasen. Die theoretischen Grundlagen zum Thema Resilienz und die Ergebnisse aus den Erhebungsphasen wurden bereits während des Projekts in der Steuerungsgruppe (Vertretungen der AWO Region Hannover e.V. und Leibniz Universität) und an den Fachtagen mit den pädagogischen Fachkräften kommuniziert und bearbeitet. Diese Vorgehensweise ermöglichte einen fortlaufenden Transfer der Forschungsergebnisse in die pädagogische Praxis sowie in umgekehrter Richtung einen Transfer der Praxisperspektive in die Forschung. 1. Theoretische Grundlagen Im Mittelpunkt des Konzeptes steht die Bewältigung von Risikobedingungen und Situationen, wobei nicht die Defizite des Kindes im Vordergrund stehen, sondern seine Fähigkeiten, Ressourcen und Potentiale. Hier interessiert vor allem, wie individuell mit Stress beziehungsweise Stressbewältigung umgegangen wird und wie der Aufbau von Bewältigungskapazitäten gefördert werden kann. Es wird also grundsätzlich danach gefragt, „was Kinder stärkt“. Das Kind wird innerhalb des Resilienzkonzeptes als „aktiver Bewältiger und Mitgestalter seines eigenen Resilienz Resilienzfördernde Bedingungen (Theoretische Begründungszusammenhänge) Bindungstheorie Stressmodell (Bowlby/Ainsworth) Sichere Bindung Feinfühligkeit • • • Exploration Stress (allg. Lazarus) Anforderung Psychologischer Stress Umweltstressoren Bewältigungsstrategien sichere Erzieherinnen-Kind Bindung (Ahnert): • • • • • Zuwendung Sicherheit Stressreduktion Explorationsunterstützung Assistenz + Gruppenbezogene Feinfühligkeit der Erzieherin • • Aktiv + passiv • • Bewältigung (allg. Richter) Bewertung Emotionsregulierendes + Problemlösendes Verhalten Problemmeidend + Problemlösend Mit sich selbst ausmachen Anstatt Handlung/Haltung • • Emotionale Unterstützung suchen/gewähren An die Umwelt weitergeben Theoretisches Modell resilienzfördernder Bedingungen in Kindertagesstätten. Dokumentation Resilienzprojekt 7 Lebens“ angesehen (Wustmann). Die Befunde der Resilienzforschung zeigen, dass es von großer Bedeutung ist, Kinder möglichst frühzeitig dabei zu unterstützen, effektive Bewältigungsformen zu entwickeln, mit denen sie den vielfältigen Anforderungen unserer modernen Gesellschaft begegnen können. Da die „Wurzeln“ für die Fähigkeit zur Resilienz bereits im frühen Kindesalter gelegt werden, sind Interventionen in institutionellen Zusammenhängen, insbesondere in elementarpädagogischen Einrichtungen, von besonderer Relevanz. Das primäre Ziel des Projektes „Wir machen Kinder stark“ bestand in der Steigerung der Erziehungs- und Interaktionsqualität innerhalb der Kindertagesstätten. Dabei wurde auf der Beziehungsebene angesetzt und das Ziel verfolgt, die Erzieherinnen durch Weiterbildungen in Form von Fachtagen und der kontinuierlichen pädagogischen Beratung innerhalb der Einrichtungen in die Lage zu versetzen, Kinder im Umgang mit Belastungen zu stärken und sie dabei zu unterstützen, die dafür notwendigen Kompetenzen zu entwickeln. 2. Ergebnisse der Begleitforschung Im Projekt wurde ein Modell resilienzfördernder Bedingungen in der Kindertagesstätte entwickelt. Darin werden sowohl das resilienzfördernde Erziehungsverhalten der pädagogischen Fachkräfte, dessen Konzeption einen engen Bezug zur Bindungstheorie aufweist, als auch zentrale Aspekte der Stresstheorie, welche die Entstehung von Belastungen erläutern und die kindlichen Bewältigungsstrategien in den Mittelpunkt stellen, berücksichtigt. Aktiv problemlösendes Verhalten Emotionale Unterstützung suchen bzw. gewähren An die Umwelt weitergeben 2.1. Die Ebene des einzelnen Kindes Auf der Ebene des einzelnen Kindes stand die Erfassung der kindlichen Bewältigungsstrategien mittels der teilnehmenden Beobachtung im Vordergrund. Orientiert wurde sich dabei an dem Modell von Antje Richter (2000), welches bereits in der AWO-ISS-Studie aufgegriffen wurde. Ausgangspunkt war die Überlegung, dass Kinder im Kindertagesstättenalltag mit einer Vielzahl von alltäglichen Stressfaktoren (Streitereien mit Gleichaltrigen oder Auseinandersetzungen mit den Erzieherinnen) konfrontiert werden, die ihre Bewältigungsfähigkeiten beanspruchen, also Anforderungen an sie stellen, denen die Kinder begegnen müssen. Die kompetente Bewältigung von diesen alltäglichen Belastungen kann als ein Schutzfaktor für psychische und physische Gesundheit angesehen werden. Der Begriff der „Bewältigung“ wurde innerhalb des Projektes in einem sehr weiten Sinne definiert. Unter Bewältigung wurden alle Reaktionsweisen und Versuche verstanden, „die Kinder in einem spezifischen Kontext einsetzen, um Belastungen zu vermeiden, zu überwinden oder erträglicher zu gestalten und zwar unabhängig vom Erfolg ihrer Bemühungen“ (Richter, 2000). Bewältigungsstrategien Richter (2000) ordnet die spezifischen Bewältigungsstrategien der Kinder vier Kategorien zu, die sie ihrer Funktion nach in problemmeidende und aktiv problemlösende Bewältigungsformen unterscheidet (siehe Grafik). Problemmeidendes Verhalten Mit sich selbst ausmachen Anstatt Handlung/Haltung Bewältigungsstrategien nach Richter (2000). 8 Dokumentation Resilienzprojekt Unter problemmeidendes Bewältigungsverhalten fasst sie „eher aufschiebendes, meidendes, auf sich selbst bezogenes Verhalten“. Zu dem problemmeidenden Bewältigungsverhalten, bei dem sich das Kind nicht direkt mit den Stressfaktoren auseinandersetzt, zählt Richter zum einen die Kategorien „mit sich selbst ausmachen“, das Kind, welches dieses Bewältigungsverhalten zeigt, sucht sich keine Hilfe oder Unterstützung von außen und verschweigt eher die Belastungen. Zum anderen beschreibt sie die Kategorie „Anstatt-Handlung/Haltung“, die Belastungen werden hier vom Kind eher abgewehrt, vermieden, nicht erinnert oder ersatzweise befriedigt. nehmen. Belastungserfahrungen und die Auswirkungen dieser auf das eigene Befinden werden anderen mitgeteilt. Unter dem Begriff aktiv problemlösendes Bewältigungsverhalten definiert Richter dagegen eine aktive Auseinandersetzung des Kindes mit der Situation. Hierunter fallen die Kategorien „emotionale Unterstützung suchen beziehungsweise gewähren“ und „an die Umwelt weitergeben“. Die Kategorie „emotionale Unterstützung suchen beziehungsweise gewähren“ enthält Bewältigungsstrategien, die dem Ausdruck von Emotionen dienen. Es bezeichnet den Versuch des Kindes, die Situation aktiv handelnd zu beeinflussen und nicht resignierend hinzu- Kindliche Bewältigungsstrategien von Belastungen im Kindertagesstätten-Alltag Innerhalb des Projektes „Wir machen Kinder stark“ wurde mittels der teilnehmenden Beobachtungen eine Vielzahl von überwiegend aktiven Bewältigungsstrategien der Kinder erfasst und ein Einblick in das Belastungserleben und Bewältigungsverhalten der Kinder ermöglicht. In der Folge konnte das Modell von Richter für die Altersgruppe der Kindertagesstätten-Kinder (anderthalb bis sechs Jahre) sowie ihren Umgang mit belastenden Situ- Aktiv problemlösendes Verhalten Der Titel der zweiten Kategorie „an die Umwelt weitergeben“ kennzeichnet, dass hier das aktive Einwirken auf die Situation im Vordergrund steht. Überwiegend handelt es sich dabei um ein Ausagieren von Konflikten, welches keine langfristig befriedigende Lösung herbeiführt, sondern einen kurzfristigen „Druckausgleich“ bewirkt, der zu einer zumindest vorübergehenden Reduktion von Spannungszuständen führt. Problemmeidendes Verhalten Wahrnehmung von Unterstützungsbedarf und Unterstützung geben Bewusste Konfliktmeidung Emotionale Unterstützung ohne Worte Abwarten/ stille Auseinandersetzung Aushandeln/Diplomatie Modell der Bewältigungsstrategien von Kindern im Alter von anderthalb bis sechs Jahren. Dokumentation Resilienzprojekt 9 ationen in ihrem Kindertagesstättenalltag spezifiziert und neue Bewältigungskategorien entwickelt werden, welche die Kompetenzen der Kinder im Umgang mit belastenden Alltagssituationen in den Mittelpunkt stellen (siehe Grafik, Seite 9). Aktiv problemlösende Bewältigungsformen >>„Wahrnehmung von Unterstützungsbedarf und Unterstützung geben“ In der Kategorie stehen die sozialen Kompetenzen der Kinder im Vordergrund, welche die Fähigkeit zur Empathie voraussetzen und auf die Interaktion mit anderen Kindern ausgerichtet sind. Es bezeichnet die Fähigkeit zur Erfassung des Unterstützungsbedarfs eines anderen Kindes und den Versuch, die Situation aktiv handelnd zu beeinflussen. Beispiel aus der Kita: Auf dem Außengelände der Kita: Vier Mädchen lachen, laufen weg, eines stürzt während des Laufens, sitzt auf dem Steinweg, hält sich ihr Knie und weint, C. hat dies beobachtet, läuft zu ihr, schaut, blickt sich nervös um, sagt nichts, eine Erzieherin kommt, C. geht ihr entgegen, sagt aber nichts, die Erzieherin spricht das Mädchen an, C. bleibt die ganze Zeit neben dem Mädchen und beobachtet die Situation. >>„Emotionale Unterstützung ohne Worte suchen“ Die unter dieser Kategorie zusammengefassten Bewältigungsstrategien wurden insbesondere bei den Krippenkindern beobachtet. Sie kann als Vorstufe der Kategorie „Emotionale Unterstützung suchen beziehungsweise gewähren“ verstanden werden und beinhaltet ebenfalls Bewältigungsformen, die dem Ausdruck von Emotionen dienen, auf die Interaktion mit anderen Kindern ausgerichtet sind und von den Kindern eingesetzt werden, um die Situation aktiv handelnd zu beeinflussen (zum Beispiel durch Blickkontakt, weinen oder wütendes Aufstampfen). Problemsituation aktiv handelnd zu beeinflussen und nicht resignierend hinzunehmen. Hier stehen die verbale Auseinandersetzung mit anderen Personen im Vordergrund, sowie die Kompetenz, die eigenen Bedürfnisse in Worte zu fassen und das Gegenüber argumentativ zu überzeugen. >>„Direkte Auseinandersetzung mit den Stressfaktoren“ Hier steht das aktive Einwirken auf die Situation im Vordergrund. Dabei handelt es sich um das Ausagieren von Konflikten, welches allerdings nicht in destruktiven Handlungen mündet, sondern die Fähigkeit beschreibt, Ansprüche geltend zu machen und das eigene Anrecht bewusst und deutlich einzufordern. Problemmeidendes Verhalten >>„Bewusste Konfliktmeidung“ Die Kategorie beschreibt Bewältigungsstrategien, durch deren Einsatz versucht wird, eine Konfliktsituation bewusst zu vermeiden beziehungsweise sich dieser zu entziehen. Der Einsatz von Strategien, welche unter diese Kategorie fallen, setzt die Vorwegnahme bestimmter Reaktionen von Personen voraus, beinhaltet also die Fähigkeit zur Antizipation. Beispiel aus der Kita: O. buddelt im Sandkasten, neben ihm sitzt A. O. findet Schaufel, Eimer und Gießkanne, versucht Sand in die Gießkanne zu füllen, es gelingt ihm nur schwer. A. buddelt auch, spricht O. an, O. schaut ihn kurz an, ignoriert dessen Aussage und arbeitet weiter an der Kanne. A. spricht O. wieder an, O. wirft die Gießkanne nach ihm, A. schimpft „Oh!“ O. guckt und wirft dann eine Schaufel voll Sand nach ihm, A. ruft „Oh oh“ Ich sag‘s!“ O. guckt, A. beginnt nach der Erzieherin zu rufen, O. geht weg, bleibt aber in einiger Entfernung stehen, A. ruft immer noch, die Erzieherin kommt aber nicht, ist nicht in Hörweite. O. geht in den hinteren Teil des Außengeländes ins Gebüsch. >>„Aushandeln/Diplomatie“ Diese Kategorie beschreibt ebenfalls den Versuch, die 10 Dokumentation Resilienzprojekt >>„Abwarten/stille Auseinandersetzung In der Kategorie steht der beobachtende Aspekt im Vordergrund. Die Bewältigung der Situation geschieht vordergründig nicht durch das aktive Eingreifen in die Situation, sondern ist geprägt durch ein abwartendes, beobachtendes Verhalten. Ein Kind, welches dieses Bewältigungsverhalten einsetzt, verfügt über die Fähigkeit, eine unangenehme Situation über einen gewissen Zeitraum auszuhalten, was auf eine hohe Frustrationstoleranz hinweist. Strategiewechsel Neben diesen vielfältigen Bewältigungsstrategien konnten zudem Situationen erfasst werden, in denen die Kinder innerhalb einer Situation verschiedene Strategien zur Problembewältigung einsetzten, also über die Fähigkeit verfügen, einen Strategiewechsel vorzunehmen, wenn durch die zuvor eingesetzte Bewältigungsstrategie die vorliegende Belastung nicht bewältigt werden konnte. Beispiel Kita: Drei Jungen (I., T. und G.) buddeln am Boden nach Steinen, Junge D. auf Fahrzeug kommt dazu, sagt: „Ein paar der Steine gehören auch mir, ich hab ja mit gesucht!“ G.: „Nein, geh weg!“ D.: „Doch!“ Die Erzieherin (sitzt weiter weg mit Kollegin auf Bank) ruft: „Ihr sollt da nicht buddeln!“ T.: „Wir suchen nur nach Steinen.“ Erzieherin: „Ok, das geht ja noch“. Wendet sich ab. D. fährt mit seinem Fahrzeug weg. Er kommt nach kurzer Zeit wieder zur Steingruppe zurück, klaut T. und G. eine Schaufel, diese bemerken das aber nicht. D. überlegt kurz, steigt von Fahrzeug ab, spricht T. an: „Ich helf euch jetzt. Ich suche dahinten Steine. Passt auf mein Fahrzeug auf.“ Er stellt sein Fahrzeug dicht neben die Fahrzeuge von T. und G., dann entfernt er sich. Zusammenfassung Das in der teilnehmenden Beobachtung erfasste Bewältigungsverhalten der Kinder zeigt, dass sie im Alter von anderthalb bis sechs Jahren über vielfältige Möglichkeiten der Bewältigung belastender Alltagssituationen verfü- Dokumentation Resilienzprojekt gen. In Bezug auf ihre individuelle Resilienzentwicklung kann dies als eine wichtige Kompetenz angesehen werden. Durch die Verdeutlichung der Bewältigungsstrategien anhand konkreter Beispiele aus dem Kindertagesstättenalltag gelang es zudem, den Blick der Erzieherinnen für die Kompetenzen der Kinder zu schärfen und ihnen Ansatzpunkte für die Resilienzförderung aufzuzeigen. 2.2. Die Ebene der Erzieherin-Kind Bindung/Beziehung Die zweite Ebene, welche in der Begleitforschung fokussiert wurde, ist die der Erzieherin-Kind Bindung. Im Zentrum stand dabei die Erfassung der spezifischen Interaktionsprozesse zwischen der Erzieherin und den Kindern innerhalb der Gruppe und im pädagogischen Alltag. Die theoretische Fundierung bezieht sich hier auf die Arbeiten von Liselotte Ahnert, welche die Bindungsbeziehung zwischen Erzieherinnen und Kindern untersucht und sie mit der Bindungsbeziehung zwischen Mutter beziehungsweise Vater und Kind verglichen hat. Ein Kind entwickelt zu seiner Mutter, die sich nicht feinfühlig verhält, eine unsichere Bindung und leidet trotzdem unter der Trennung von ihr. Zu einer Erzieherin, die sich nicht feinfühlig verhält, entwickelt das Kind dagegen gar keine Bindung. Unter einer Trennung von dieser Erzieherin würde das Kind nicht leiden. Eine sichere Bindungsbeziehung zu einer Erzieherin spielt nach Ahnert dennoch eine wichtige Rolle im Leben des Kindes und kann somit auch als ein wesentlicher Bestandteil der Resilienzförderung angesehen werden. Insbesondere sicheres Bindungsverhalten wird als Schutzfaktor bei der erfolgreichen Bewältigung von Lebensbelastungen angesehen. Ahnert entwickelte einige charakteristische Merkmale der Erzieherinnen-Kind Bindung, welche als Grundlage für die Auswertungen der teilnehmenden Beobachtung innerhalb des Projekts galt. 11 Merkmale der Erzieherinnen-Kind-Bindung/Beziehung Ahnert benennt zunächst fünf Merkmale, welche für die Beziehungen zwischen dem Kind und der Erzieherin entscheidend sind. Bei diesen Merkmalen handelt es sich vor allem um sicherheitsgebende und stressreduzierende Aspekte dieser Beziehung. >>Zuwendung: Ein zentrales Merkmal ist die Zuwendung, welche die Erzieherin jedem einzelnen Kind entgegenbringt. Besonders die „emotional warme Kommunikation“ sowie die Freude am Zusammensein beziehungsweise der gemeinsamen Interaktion spielen hier eine große Rolle. Beispiel aus der Beobachtung (Krippe): Erzieherin E. sitzt mit den Kindern am Tisch, dicht bei A., A. beginnt zu erzählen (unverständlich), Erzieherin E. nickt, guckt sie an, reagiert auf sie (nonverbal). >>Sicherheit: Die primäre Aufgabe der Erzieherin ist es, den Kindern ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln. Auf der Grundlage dieser sicherheitsgebenden Beziehung können die Kinder dann aufgeschlossen ihre Umwelt erkunden und selbst aktiv werden. Beispiel aus der Beobachtung (Krippe): L. sucht ständig Kontakt zu Erzieherin A. – sie geht zwischendurch immer ein bis zwei Minuten in die wilde, offene Spielsituation, geht dann zurück zu Erzieherin A. an den Tisch und sucht kurz Körperkontakt (schmiegt sich kurz an sie) und geht dann wieder raus ins Freispiel (immer im Wechsel). >>Stressreduktion: Eng verbunden mit dem sicherheitsgebenden Aspekt steht der Aspekt der Stressreduktion. Befindet sich ein Kind in einer belastenden Situation, sucht es Trost oder Unterstützung bei der Erzieherin. Diese unterstützt das Kind durch Zuwendung und hilft ihm, seine negativen Gefühle zu regulieren und so zurück ins Spiel zu finden. >>Explorationsunterstützung: Auf der Grundlage einer solchen sicheren Bindung zur Erzieherin, innerhalb der das Kind in belastenden Situationen emotionale und soziale Unterstützung findet, kann das Kind seine Umwelt aktiv erkunden. >>Assistenz: Wenn das Kind innerhalb seiner Auseinandersetzung mit seiner Umwelt an schwierige Aufgaben stößt, welche seine Kompetenzen überfordern, braucht es Unterstützung durch die Erzieherin, die ihm bei der Lösung der Aufgabe assistiert und ihm so hilft, diese zu bewältigen. Die Ausprägung der Merkmale der Erzieherin-Kind-Bindung verändert sich mit zunehmendem Alter der Kinder. Je älter die Kinder werden und beispielsweise die Kompetenz ausbauen, ihre Emotionen selbst zu regulieren, desto weniger wichtig werden die sicherheitsgebenden und emotionsregulierenden Aspekte in der Beziehung zur Erzieherin. Die Explorationsunterstützung und die Assistenz bei schwierigen Aufgaben behalten aber auch bei älteren Kindern ihre Wichtigkeit. Innerhalb des Projektes „Wir machen Kinder stark“ wurden mittels der teilnehmenden Beobachtung alle der oben genannten Aspekte der Erzieherin-Kind-Bindung in verschiedensten Situationen im Kindergartenalltag beobachtet. >>Gruppenbezogene Feinfühligkeit: Das Konzept der gruppenbezogenen Feinfühligkeit ergänzt die Teilaspekte der Erzieherin-Kind-Bindung um ein weiteres zentrales Merkmal. Sie basiert auf einem Verhalten, welches neben dem Bezug zum einzelnen Kind auch auf die Kindergruppe bezogen ist. „Sichere Erzieher-Kind-Bindungen entstehen in Kindergruppen, in denen die Gruppenatmosphäre durch ein empathisches Erzieherverhalten bestimmt ist, das gruppenbezogen ausgerichtet ist und die Dynamik der Gruppe reguliert.“ (Ahnert, 2003). Die gruppenbezogene Feinfühligkeit stellt 12 Dokumentation Resilienzprojekt Auswertungsberichte für den pädagogischen Alltag von Erzieherinnen eine große Herausforderung dar, gilt es doch den Spannungsbogen zwischen dem feinfühligen Handling der Gruppe und dem richtigen Moment für die individuelle Beziehungsgestaltung zu jedem einzelnen Kind zu bewältigen. In der teilnehmenden Beobachtung konnte belegt werden, dass die gruppenbezogene Feinfühligkeit der Erzieherinnen in allen Altersstufen eine zentrale Rolle im Kindertagesstättenalltag spielt. Zudem wurde in den Beobachtungen deutlich, dass der feinfühlige Umgang mit der Gruppe umso besser gelang, je kleiner sie war. Dort, wo eine Erzieherin aufgrund von Krankheit einer Mitarbeiterin alleine arbeitete, war die Regulation der Gruppendynamik merklich erschwert. Zusammenfassung Während der teilnehmenden Beobachtung konnten auf vielfältige Weise die Merkmale der Erzieherinnen-KindBindung wiedergefunden werden. Durch die Verdeutlichung der verschiedenen Merkmale der ErzieherinnenKind-Bindung anhand konkreter Beispielsituationen aus dem Kindertagesstättenalltag auf den Fachtagen und innerhalb der pädagogischen Beratung gelang es, den Blick der Erzieherinnen für die Bedeutung der Bindungsbeziehung zwischen Erzieherin und Kind zu schärfen und ihnen somit auch wichtige Ansatzpunkte für die Resilienzförderung in der Praxis aufzuzeigen. Die Ebene der Erzieherinnen Das Projektziel, die Erkenntnisse der Resilienzforschung in die pädagogische Praxis von Kindertagesstätten zu übertragen, wurde auf der Ebene der Erzieherinnen in den vier am Projekt beteiligten Kitas durch eine pädagogische Beratung umgesetzt. Die Praxisbegleitung wurde von einem Diplom-Psychologen/Diplom-Pädagogen mit langjähriger Berufserfahrung in der Kinder- und Jugendhilfe und in der Fachberatung während des gesamten Projektverlaufs durchgeführt. Die Arbeitsmethode folgte den Merkmalen des systemischen Coachings. Im Nachfolgenden wird die Praxisbegleitung mit den beiden Schwerpunkten „Umfeldanalyse“ und „Kindbezogene Betrachtung von Resilienzmerkmalen“ dargestellt. Umfeldanalyse Von März bis September 2010 analysierten die am Projekt beteiligten Erzieherinnen das jeweilige soziale Umfeld ihrer Kindertagesstätte. Die Umfeldanalyse hatte mehrere Ziele: • Erneuerung des Kenntnisstandes über das „äußere“ soziale Umfeld der Kita • Aktualisierung der Darstellung des jeweiligen sozialen Umfeldes im Konzept der Kita • Analyse der Kita als „inneres“ soziales Umfeld für Kinder, Eltern und Erzieherinnen • Beschreibung der stärkenden Faktoren im „äußeren“ und „inneren“ sozialen Umfeld Die Umfeldanalyse wurde von den Erzieherinnen schriftlich dokumentiert. Die Ergebnisse wurden vor Ort mit dem Praxisbegleiter besprochen und im weiteren Projektverlauf je nach Bedarf herangezogen. Dokumentation Resilienzprojekt 13 Kindbezogene Betrachtung von Resilienzmerkmalen Von September 2010 bis Dezember 2011 wurden mit den vier beteiligten Kindertagesstätten unter fachlicher Begleitung kindbezogene Betrachtungen von Resilienzmerkmalen durchgeführt. Die Fachgespräche in den Kitas fanden in der Regel alle zwei Monate statt. Sie wurden vom Praxisbegleiter nach folgenden Vorgaben dokumentiert: • Auswahl eines Mädchens und eines Jungen, möglichst nach Zufallsprinzip • Lebensumstände der Kinder analysieren • Stützende Personen und Bedingungen im jeweiligen sozialen Umfeld der Kinder ausmachen • Verhaltensbeobachtung der Kinder mit resilienzspezifischer Orientierung • Welche weiteren Personen können die Resilienzfähigkeit der Kinder fördern? • Welche Aktivitäten oder Hilfen können die Resilienzfähigkeit der Kinder fördern? Prozesshaftes Vorgehen • Aus den Ergebnissen ein praktisches Handeln zur Förderung der Resilienzfähigkeit des Kindes ableiten • Umsetzen der Erkenntnisse in die Praxis – mit begleitender, dokumentierender Beobachtung • Ergebnisse beobachten, analysieren, Schlussfolgerungen, neue Handlungen • Neues Umsetzen Die Erzieherinnen haben im ersten Schritt nach der Auswahl der Kinder Beschreibungen zum Kind, zu den Eltern und gegebenenfalls Großeltern und weiteren Bezugspersonen (Fakten und bekanntes Verhalten) formuliert und anschließend im Fachgespräch berichtet. Die einzelnen Beschreibungen wurden vom Praxisbegleiter und den Erzieherinnen gemeinsam hinterfragt, präzisiert und verändert. Zu bestimmten Aussagen wurden Exkurse in die pädagogischen, sozialwissenschaftlichen, psychologischen oder politischen Theorien und Erkenntnisse gemacht und mit den eigenen Berufs- und Lebenserfahrungen verglichen. Während des Gespräches dokumentierte der Praxisbegleiter den Gesprächsinhalt und die Aussagen der Erzieherinnen. Diese Aufzeichnungen wurden vom Praxisbegleiter zu einer Mitschrift verarbeitet, die zu Beginn des nächsten Gespräches besprochen und gegebenenfalls verändert wurde. Die Mitschrift wurde anonymisiert verfasst und der jeweiligen Kindertagesstätte und der Lenkungsgruppe zur Verfügung gestellt. Am Ende einer Gesprächseinheit wurde gemeinsam eine Aufgabe für das nächste Gespräch festgelegt. Zwei Beispiele: 1. Beobachtungen zu: Wie stärken die Eltern/die Großeltern ihr Kind beziehungsweise Enkelkind? 2. Welche sind die wichtigsten Bewältigungsstrategien des Kindes (Klassifizierung der Bewältigungsstrategien durch die Begleitforschung des Projektes)? Bei der Aufgabenstellung wurde methodisch darauf geachtet, den Blick der beobachtenden Erzieherinnen auf die Ressourcen des Kindes und seiner Familie zu lenken. Trotzdem wurden im Fachgespräch die Beschreibungen von „Schwächen“ der Kinder und/oder der Familienmitglieder grundsätzlich akzeptiert und nicht zurück gewiesen. Es schloss sich eine Suche nach einer möglichen Verhaltensstrategie an, die in der „Schwäche“ enthalten sein könnte. Daraus entwickelte sich eine Debatte über den Sinn und Nutzen der Verhaltensstrategie und die Frage, ob darin nicht eine Lösungsorientierung des Kindes steckt, auch wenn seine Strategie nicht erfolgreich ist beziehungsweise auf Ablehnung stößt. 14 Dokumentation Resilienzprojekt Im weiteren Verlauf haben die Erzieherinnen unterschiedliche Beobachtungs- und Handlungsstrategien für sich herausgefunden, um den Ressourcen der Kinder auf die Spur zu kommen. Zwei Beispiele: logische Begleitung der Erzieherinnen ihre individuellen Denk- und Verhaltensmuster – weg von einer Schwächenund hin zu einer Stärkenorientierung – gegenüber den Kindern?“ 1. Das Verhalten des Kindes für eine Zeiteinheit (zum Beispiel 15 Minuten) aus der Distanz beobachten und die Handlungen im Einzelnen möglichst bewertungsarm erfassen. 2. Das Kind durch eine gezielte Spielauswahl ermuntern, Erfahrungen in seiner Selbstwirksamkeit oder Selbstsicherheit zu machen. Die pädagogische Beratung von Erzieherinnen kann anhand des Datenmaterials als erfolgversprechend gewertet werden. Bei fünf von acht Kindern haben sich die Beschreibungen ihres Verhaltens verändert. Insgesamt können die Ergebnisse drei Entwicklungstypen zugeordnet werden: Die Beobachtungen zum Verhalten des Kindes wurden mit den Beobachtungen des Verhaltens der Eltern, Großeltern, anderer Kinder und der Erzieherinnen in Beziehung gebracht und diskutiert. Die Chancen und die Grenzen der Kitapädagogik wurden dabei unter Berücksichtigung der realen Arbeitsbedingungen in der Kindertagesstätte diskutiert. Auswertung Die unabhängige Auswertung der Dokumentation der Praxisbegleitung wurde durch eine freie Mitarbeiterin mit Masterabschluss in Sozial- und Organisationspädagogik vorgenommen. Mit einer qualitativen Inhaltsanalyse (Auswertungsmethode für Beobachtungs- und Interviewdaten) wertete sie das vorhandene Textmaterial aus. In der Auswertung wurden die vorliegenden Mitschriften der Coaching-Einheiten in Bezug auf die inhaltlich getroffenen Aussagen zum zu untersuchenden Gegenstand analysiert. Konkret wurden die inhaltlichen Aussagen der Erzieherinnen über mögliche Verhaltens- und Denkänderungen bezüglich der Wahrnehmung und Beschreibung der Kinder ausgewertet. Die Forschungsfrage lautete demnach: „Inwiefern ändern sich durch eine fachspezifisch pädagogisch-psycho- Dokumentation Resilienzprojekt Typ 1: Bei der Beschreibung der Eigenschaften des Kindes und der Eltern werden besonders die Schwächen betont. Stärken werden nur wenige bis keine genannt. Stigmata beeinflussen das Bild der Erzieherinnen. Im Verlauf der Begleitung setzen sie sich vermehrt mit dem Kind und den Eltern auseinander, indem sie das Kind genau beobachten und einschätzen lernen. Sie entdecken neue Seiten am Kind, versuchen sich das Verhalten des Kindes zu erklären und nachzuvollziehen. Die Erzieherinnen lernen, sich in das Kind hineinzuversetzen und können auf das Kind eingehen. Schließlich erkennen sie die Stärken des Kindes. Aus diesem Grund verbessert sich auch das Verhältnis zwischen den Eltern und den Erzieherinnen. Abschließend wird ein Vorher-Nachher-Vergleich gezogen. Eine positive Veränderung ist feststellbar. Alle Kinder, die dieser Gruppe zugeordnet werden konnten, sind Jungen. Typ 2: Dieser Typ kann im Vergleich zu Typ1 von Anfang an sehr detailliert von den Erzieherinnen eingeschätzt und beschrieben werden. Der Fokus der ersten Beobachtungen liegt in der Charakterisierung des Kindes und dessen Eltern. Die Stärken und Schwächen des Kindes werden anders als bei Typ 1 ausgeglichen dargestellt. Die Erzieherinnen können viele Beispiele für das Verhalten des Kindes nennen. Sie setzen sich intensiv mit dem Kind auseinander und fördern es. Sie können sich von Anfang 15 an in das Kind hinein versetzen und stellen es im Vergleich zu Typ 1 positiv da, indem das Verhalten meist von Anfang an positiv bewertet wird. Die Kinder und deren Eltern haben ein gutes Verhältnis zu den Erzieherinnen. Der abschließende Vorher-Nachher-Vergleich zeugt von einer Entwicklung des Kindes, die im Vergleich zu Typ1 auch vorhanden aber weniger stark ausgeprägt ist. Der Blick der Erzieherinnen ist dem Kind gegenüber ressourcenorientiert. Alle Kinder dieser Gruppe sind Mädchen. Typ 3: Die Analyse ergibt, dass die Beschreibung von drei Kindern gleichbleibend ist, welches hier unter Typ 3 zusammengefasst werden soll. Bei einem Kind hat sich die Beschreibung nicht verbessert. Ein anderes Kind wird durch das stabile Elternhaus sehr ausgeglichen und resilient beschrieben. Die Eltern stärken das Kind, sodass die Erzieherinnen keinen weiteren Einfluss nehmen müssen. Beim dritten Kind konnte keine Veränderung über den Zeitverlauf festgestellt werden, da die Erzieherinnen mehr das Verhalten des Vaters fokussiert haben. Aus Sicht der Erzieherinnen haben sich fünf von acht Kindern ausgesprochen positiv während der pädagogischen Beratung entwickelt. Nur bei einem Kind wurden keine positiven Veränderungen festgestellt. Es ist festzuhalten, dass eine pädagogische Beratung erfolgversprechend ist. Aufgrund des regelmäßigen Austausches und des Hinterfragens einzelner Handlungssequenzen werden die Erzieherinnen angehalten, das Kind zu verstehen. Zusätzlich verbessert sich die Zusammenarbeit zwischen Eltern und Erzieherinnen. Auffällig und anhand der Typenbildung nachvollziehbar ist, dass Erzieherinnen sich besser in Mädchen hineinversetzen und ihre Stärken erkennen können als in Jungen. Die Jungen werden vorwiegend negativ von den Erzieherinnen eingeschätzt, wobei gerade bei ihnen die größten Verhaltensänderungen beschrieben werden. >> Insgesamt fördert die pädagogische Beratung die Wahrnehmung der Erzieherinnen so, dass die Ressourcen der Kinder im Vordergrund stehen und intensiver gefördert werden. Die Ebene der Fachtage Ein zentraler Baustein des Projektes war die Durchführung der Fachtage. Teilnehmende waren die gesamte Steuerungsgruppe, die Erzieherinnen aus den vier Kindertagesstätten und die jeweiligen Leitungen der Einrichtungen. Insgesamt fanden vier Fachtage statt, die ausführlich dokumentiert wurden. Theorieinputs und die Zwischenergebnisse wurden in diesem Rahmen eingebracht und die Verbindung von Theorie und Praxis hergestellt. Dabei kamen unterschiedliche Methoden wie Gruppenarbeit, Plenum, Vortrag, Diskussion und Austausch zum Einsatz. Vorbereitet und moderiert wurden die Fachtage von Mitgliedern aus der Steuerungsgruppe. Inhalte der Fachtage • Einführung in das Projekt • Theorie zur Resilienzforschung • Umsetzung einer Umfeldanalyse in den Einrichtungen • Vorstellung der Zwischenergebnisse aus der Forschung • Kindbezogene Betrachtung von Resilienz • Kindliche Alltagsbelastungen und ihre Bewältigungsstrategien in Kindertagesstätten • Kinderinterviews • Vorstellung der Elternwerkstätten und Auswertung • Reflexion der Zwischenergebnisse und Organisation des Austauschs in den Kindertageseinrichtungen • Sicherung der gewonnenen Kompetenzen zur Qualitätssicherung 16 Dokumentation Resilienzprojekt Die Fachtage waren ein wichtiger Bestandteil des Projektes und dienten dem gegenseitigen Austausch, der Vermittlung der Theorie und dem Wissenstransfer. Die hohe wertschätzende Arbeitsweise der verschiedenen Professionen trug dazu bei, dass Lernen, Entwicklung und Veränderung bei allen Beteiligten stattfand. Beeindruckend war die hohe Motivation und Freude der Teilnehmenden am Projekt. Die Fachtage trugen ausschlaggebend dazu bei. Sie waren geprägt durch eine Atmosphäre von großem Respekt und Offenheit sowie einer gleichberechtigter Beteiligung der Teilnehmenden an der Planung und Durchführung des Projektes. Sehr deutlich wahrnehmbar war bei allen eine Veränderung der Sichtweise und der Haltung gegenüber Kindern: weg von einer defizitorientierten Betrachtung hin zu einem positiven Blick. Die Ebene der Elternwerkstätten In der zweiten Projektphase bot die Familienbildung Elternwerkstätten an, um Eltern zu unterstützen, ihre Verantwortung und Rolle als Erziehende wahr zu nehmen, ihre Kinder in ihrer Entwicklung zu begleiten und zu fördern und belastende Situationen zu bewältigen. Zur Vorbereitung führten die Mitarbeiterinnen der Familienbildung intensive Gespräche mit den am Projekt beteiligten Fachkräften aus den Kindertagesstätten mit dem Ziel, Eltern aus den jeweiligen Kitas für die Elternwerkstatt zu gewinnen und Absprachen klar und präzise festzulegen. Die Kitas haben neben der persönlichen Ansprache unterschiedliche Wege gewählt, um die Eltern auf das Angebot der Elternwerkstatt aufmerksam zu machen und zur Teilnahme zu motivieren, zum Beispiel über eine Informationsveranstaltung, den Elternbeirat, einen ElternKind-Nachmittag und Aushänge. Auf der Informationsveranstaltung oder dem ersten Treffen der Elternwerkstatt wurden den Eltern mögliche Themen vorgestellt, die sie ergänzen konnten. Die Eltern- Dokumentation Resilienzprojekt werkstätten fanden unter Berücksichtigung der räumlichen Möglichkeiten der jeweiligen Kindertagesstätte statt. Für die Eltern war es wichtig, sowohl die Zeiten der Elternwerkstätten als auch die Themen mitbestimmen zu können. Die Elternwerkstätten sind für kleine Gruppen (maximal 15 Personen) und eine kontinuierliche Teilnehmergruppe ausgelegt. Die Teilnehmenden – sowohl die Gesprächsleitung als auch die Eltern – erleben sich in einer kleinen Gruppe persönlicher, gestaltender, deutlicher als Zuhörerin und Sprecherin und bewusster als Persönlichkeit. Dadurch wird die Auseinandersetzung mit Themen möglich, welche die persönliche Biografie oder potenzielle Problemstellungen ansprechen. Als Zielgruppe waren alle Eltern aus den beteiligten Kindertagesstätten angesprochen. Durch das Angebot sollten möglichst auch die Eltern erreicht werden, die in der Regel nicht an sonstigen Elternveranstaltungen der jeweiligen Kita teilnehmen. Sie wurden durch zwei Sozialarbeiterinnen der Familienbildung geleitet, die gemeinsam die Informationstreffen und ersten Treffen durchführten, sich schließlich die Gruppen aufteilten und begleiteten. Wichtig war für die Eltern die gleichbleibende Gruppenleitung, die ihnen Vertrautheit und Sicherheit gab. Außerdem konnte die Gruppenleitung immer wieder auf zurückliegende Stunden verweisen und Themen erneut aufgreifen. Zusätzlich wurden zu einigen Themen Referentinnen für das jeweilige Spezialgebiet hinzugezogen. Die Kursleitungen haben eine Grundhaltung, die Eltern einbezieht und sie einlädt, aktiv zu sein, anstatt sie zu passiven Empfängern von pädagogischen Verhaltensbotschaften zu machen. Gleichzeitig ist eine Atmosphäre der Wertschätzung von Bedeutung. Durch diese Grundhaltungen (beziehungsorientiert, wertschätzend, ressourcenorientiert) lernen die Eltern in den Seminaren, sich und 17 ihren Kompetenzen wieder zu vertrauen und dadurch mehr Sicherheit und Durchsetzungskraft auszustrahlen. Das ist eine wichtige Voraussetzung, um ihre Kinder auf deren Weg zu innerlich starken, lebensfrohen und zuversichtlichen Menschen zu begleiten. Die Kursleitung hat die Aufgabe, die Teilnehmenden in einen Austausch zu bringen, sie übernimmt die „Dialogbegleitung“. Die Eckpunkte der Dialogbegleitung sind: • Es gibt keine allgemeingültigen „Rezepte“. • Eltern werden begleitet beim Suchen eigener Antworten auf eigene Erziehungsfragen. • Eltern suchen im Dialog Stärken statt Fehler. • Eltern sind Fachleute und Verantwortliche in eigener Sache. • Eltern sind gleichberechtigte Dialogpartner. • Ziel ist es, die Überzeugung der Eltern zu erhöhen, selbst wirksam und eigenverantwortliche Lebensgestalter zu sein. In den Gruppen wurden folgende Gesprächsregeln berücksichtigt: • Jeder genießt den gleichen Respekt. • Ich vertraue mich neuen Sichtweisen an. • Mir ist klar, dass meine Wirklichkeit nur ein Teil der ganzen Wahrheit ist. • Ich genieße das Zuhören. • Ich brauche niemanden von meiner Sichtweise zu überzeugen. • Wir verzichten auf eine einvernehmliche Lösung. • Bevor ich rede, nehme ich mir einen Atemzug Pause. • Ich rede vom Herzen und fasse mich kurz. • Ich nehme Unterschiedlichkeiten als Reichtum wahr. Die Themen in den Elternwerkstätten: • Stärken des Kindes / Woran erkenne ich, dass mein Kind stark ist? • Welche Eigenschaften/Stärken wünsche ich mir für mein Kind? • Wege aus der Brüllfalle: Umgang mit Streit und Konflikten • Kommunikation: Warum gibt es so viele Missverständnisse? • Selbstgefühl und Selbstvertrauen • Wie schütze ich mein Kind vor Übergriffen? • Übergänge gestalten • Grenzen setzen Die Themenwünsche der Eltern in den einzelnen Elternwerkstätten sind übereinstimmend. Grenzen setzen – gelungene Kommunikation mit dem Kind/in der Familie wurde von allen Eltern gewünscht. Sie bewerten diese Fähigkeiten als besonders wichtig, um die Kinder zu sozialen und starken Persönlichkeiten zu erziehen. Bei der Themenauswahl zeigte sich, dass Eltern einen großen Verantwortungsdruck fühlen. Sie ahnen, dass die Zukunft für ihre Kinder Ungewissheiten bereithält, welche die rasanten Veränderungen in Gesellschaft und Weltentwicklung nach sich ziehen. Veränderungen, die von einem Menschen heutzutage mehrfache Umorientierungen verlangen und wenig Gewissheit für Eltern hinterlassen, dass ihr Kind mit den notwendigen Voraussetzungen ausgestattet ist. Dieser Druck kann dazu führen, dass Eltern vorzeitig auf Entwicklungsfortschritte drängen, die altersgerecht noch gar nicht zu erwarten sind. Die Elternwerkstätten tragen dazu bei, gemeinsam das rechte Maß zwischen Förderung und Forderung heraus zu finden. In den Elternwerkstätten traten die Teilnehmenden zu einem vorher festgelegten Thema in einen moderierten lebendigen Austausch. Die Themen wurden durch Vorträge, Filmmaterial, Kleingruppenarbeit und Diskussion im Plenum erarbeitet. Die Eltern hatten die Möglichkeit, Wissen über kindliche Entwicklung auszutauschen, zu erweitern und zu werten. 18 Dokumentation Resilienzprojekt In den Elternwerkstätten zeigte sich, dass Eltern sehr schnell in den Dialog treten, denn sie haben alle dasselbe Ziel: „Wir wollen das Beste für unser Kind!“ Für diese Aufgabe suchen sie nach Unterstützung und Hilfen. Diese erhalten sie durch den Austausch und nicht, indem ihnen „Rezepte“ gegeben werden, die sie umsetzen sollen, aber nicht zu ihnen passen. In den Elternwerkstätten geht es nicht nur um die Erweiterung fachlicher Kompetenzen, sondern auch darum, den Teilnehmenden den geschützten Raum zu geben, die eigene Rolle, die Gefühle, die Einschätzung der Verantwortlichkeit, Anforderungen, Überforderungen, Sicherheit, Ängstlichkeit, Sorge und alle anderen Facetten elterlicher Positionen zu äußern. Die kontinuierliche Leitung durch eine Person ist für die Eltern wichtig, sie gibt ihnen Sicherheit und Vertrautheit. Je komplexer und unsicherer die eigene Lebenssituation ist, desto größer ist der Bedarf an Austausch und Kontakt mit anderen Familien, desto größer ist auch der Bedarf an individueller Begleitung. Elternarbeit muss etabliert sein, um auch Familien zu erreichen, die man sonst nicht erreicht. >> Eltern können Kinder fördern, resilient zu werden, wenn sie sich in ihrem Erziehungsverhalten sicher fühlen! Auch Eltern können voneinander exemplarisch lernen. Sie erfahren in den Elternwerkstätten alternative Verhaltensweisen und können anderen Eltern wichtige Impulse geben. Auswertung Elternwerkstätten sollen als sozialräumliche Angebote in den Kindertagesstätten vor Ort stattfinden. Die Erzieherinnen sind als Expertinnen für Elternarbeit einzubeziehen. Ein Planungsgespräch mit den Kitas vor Beginn der Elternwerkstätten ist unbedingt erforderlich. Um ein möglichst niedrigschwelliges Angebot zu bieten, soll es für die Eltern kostenfrei und eine Kinderbetreuung gesichert sein. Erzieherinnen aus der Einrichtung können an der Elternwerkstatt teilnehmen. Die Eltern müssen an der Themenauswahl beteiligt werden. Die „Dialogische Elternarbeit“ ist eine sehr geeignete Methode, mit der Eltern ihre Potenziale entdecken können. Die Termine für die Elternwerkstätten müssen in einem regelmäßigen und überschaubaren Zeitrahmen stattfinden, damit die Eltern leichter den Überblick behalten. Akute Anliegen der Teilnehmenden werden aufgegriffen und haben immer Vorrang vor den geplanten Themen. Dokumentation Resilienzprojekt 19 Die Steuerungsgruppe v.l.: Professor Dr. Timm Albers (Leibniz Universität), Jörg Reißmann (Diplom-Psychologe und AWO Betriebsratsvorsitzender), Ilka Lemke (wissenschaftliche Mitarbeiterin Leibniz Universität), Karin Emse (Mitarbeiterin AWO Familienbildung), Michaela Bräuer-Pape (stellv. AWO Geschäftsführerin), Kornelia Heinrich (Fachberaterin AWO Kindertagesstätten), Ingrid Kröger (Fachbereichsleiterin AWO Familienbildung, Seniorenarbeit und Frauen), Horst Merkel (Diplom-Psychologe). Nicht anwesend: Kirstin Heitmann (Leiterin AWO Kita Elmstraße) Die Ebene der Steuerungsgruppe Ein Baustein des Transferprojektes war die Bildung einer Steuerungsgruppe, bestehend aus: Leibniz Universität Hannover: Professor Dr. Timm Albers und zwei wissenschaftliche Mitarbeiterinnen, Abteilung Allgemeine und Integrative Behindertenpädagogik, Institut für Sonderpädagogik, Philosophische Fakultät, Universität Hannover AWO Region Hannover e.V. : Drei Diplom-Sozialpädagoginnen für die Arbeitsfelder Kitaleitung, Fachberatung und Familienbildung, zwei Diplom-Psychologen für die Arbeitsfelder Erziehungs- und Familienberatung, Fortbildung, Wissenschaftstransfer sichern und die stellvertretende Geschäftsführerin als Projektverantwortliche. Diese Fachgruppe ist Teil der Arbeitsgruppe Armut, deren Gründung und Arbeitsbasis auf den Beschlüssen der Mitgliederkonferenzen der AWO Region Hannover e.V. basiert. In dieser Arbeitsgruppe sind weitere Arbeitsbereiche des Verbandes repräsentiert, so dass ein Transfer über das Projekt hinaus in die Organisation hinein gesichert ist. Die Steuerungsgruppe war zuständig für die Planung des Projektes. Dazu gehörten folgende Aufgaben: • Planung und Durchführung von Praxis- und Forschungstreffen sowie der Beiratssitzungen • Organisation, Durchführung und Auswertung der Fachtage und der Abschlussveranstaltung • Organisation begleitender Fortbildungen • Kontakte zu weiteren Kooperations- und Vernetzungspartnern • Reflexion des Projektverlaufs, Publikation der Ergebnisse, Projektbericht, Schlussfolgerungen • Reflexion der Zwischenergebnisse und Organisation des Austauschs in den Kindertageseinrichtungen • Sicherung der gewonnenen Kompetenzen zur Qualitätssicherung • Organisation der Abschlusstagung • Mitarbeit an der Dokumentation • Transfer über das Projekt hinaus in die Organisation (Vorstand, Geschäftsführung, Betriebsrat, Dienste) • Transfer über die Vernetzung der Fachberatungen innerhalb der AWO landes- und bundesweit sowie über die Grenzen der regionalen AWO in die Gesamtorganisation. Die Steuerungsgruppe hat intensiv und erfolgreich zusammengearbeitet. Wesentlich dafür waren die Zusammensetzung mit unterschiedlichen Professionen und Vertretungen aller relevanten AWO-Arbeitsbereiche. Sie hat theoretische Implikationen in der Praxis nach dem Gegenstromprinzip überprüft und daraus den Projektverlauf entwickelt. Das Projekt wurde als sich entwickelnder Prozess gestaltet, an dem alle Beteiligten gleichberechtigt teilhaben und lernen. Innerhalb der Steuerungsgruppe und bei den Mitarbeitenden aus der Praxis herrschte eine hohe wertschätzende Arbeitsweise und ein hohes Engagement. Die Ebene des Beirats Ein Baustein des Transferprojektes war die Bildung eines begleitenden Beirates. Dieser Beirat sollte das Projekt beratend und reflektierend begleiten. Einbezogen wurden das Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS) in Frankfurt, die Niedersächsische Landesvereinigung für Gesundheit und die Alice-Salomon-Schule/Fachschule. Während des Projektes haben drei Beiratssitzungen statt- 20 Dokumentation Resilienzprojekt Gesamtergebnisse gefunden. In jeder Sitzung wurde der Zwischenstand vorgestellt und von den Mitgliedern diskutiert und reflektiert. Die Mitglieder des Beirates: Angelika Brandt, Ländliche Erwachsenenbildung (LEB), Hannover Dr. Antje Richter-Kornweitz, Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V., Hannover Amelie Ruff, Alice-Salomon-Schule, Hannover Prof. Dr. phil. Bettina Lindmeier, Leibniz Universität Hannover Gerda Holz, Institut für Sozialarbeit und Sozialmedizin (ISS), Frankfurt Ute Vesper, AWO Region Hannover e.V., Fachbereich Kindertagesstätten Empfehlungen und Fragestellungen aus den Beiratssitzungen wurden in die Steuerungsgruppe vermittelt und auf den Fachtagen mit allen Beteiligten diskutiert. Diese flossen in die weiteren Planungen und Überlegungen des Projektes ein und wurden von der Steuerungsgruppe als hilfreich und konstruktiv erachtet. Insgesamt wurde das Projekt von den Mitgliedern des Beirates als außerordentlich positiv bewertet und als wichtiger Schritt, Armut und sozialer Ausgrenzung entgegen zu wirken. Zusammenfassung Kinder brauchen eine Zukunft, die sie selber gestalten können. Wir erleben in Kindertagesstätten eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung, die das Leben und den Alltag der Kinder nachhaltig prägt. Daher haben wir es uns im Projekt „Wir machen Kinder stark“ zum Ziel gesetzt, Interaktionsprozesse zwischen den Erzieherinnen und den Kindern in den AWO Kindertagesstätten so zu verbessern, dass der Blick von den Schwächen zu den Stärken der Kinder wechselt. Den Erzieherinnen wurde ein Lern- und Experimentierfeld zur Verfügung gestellt, das aus Weiterbildung (Fachtage), pädagogischer Begleitung (Coaching), Elternwerkstätten (Familienbildung) und wissenschaftlicher Begleitforschung bestand. In der Begleitforschung wurden auf vielfältige Weise die Merkmale und die Bedeutung der Beziehung und Bindung zwischen Kindern und Erzieherinnen erfasst und verdeutlicht. Anhand konkreter Beispiele aus dem pädagogischen Alltag konnten mit Hilfe der Fachtage und dem Coaching die Wahrnehmung der Erzieherinnen geschärft und die Ansatzpunkte zur Förderung der Resilienz der Kinder herausgearbeitet werden. Der Wissens- und Informationstransfer zwischen Forschung und pädagogischer Praxis gelang gut. Die Beteiligten konnten sich sehr gut mit dem Projekt und dem Konzept „Resilienzförderung“ identifizieren. Die Elternwerkstätten der AWO Familienbildung erreichten durch einen niedrigschwelligen und sozialräumlichen Ansatz auch Eltern mit prekären Lebenssituationen. Der Bedarf an Austausch und Kontakt mit anderen Familien und die Komplexität sowie Unsicherheit der eigenen Lebenssituation korrespondierten miteinander. Eltern können die Resilienz ihrer Kinder fördern, wenn sie sich in ihrem Erziehungsverhalten sicher fühlen. Dokumentation Resilienzprojekt 21 Die pädagogische Begleitung förderte besonders die Wahrnehmung der Erzieherinnen hinsichtlich der Ressourcen der Kinder. Diese wurden in den Mittelpunkt der pädagogischen Handlungen gestellt. Die einzelnen Beratungseinheiten wurden vom Inhalt her schriftlich erfasst. Mit der Methode der Inhaltsanalyse (empirische Sozialforschung) wurden die Veränderungen über den Zeitverlauf des Projektes herausgefiltert. Es zeigte sich, dass die Erzieherinnen die Stärken und Ressourcen der Kinder zunehmend in den Blick genommen haben. Das Verständnis für einzelne Kinder und ihre Eltern verbesserte sich und damit auch die Beziehungen zwischen den Erzieherinnen und den Kindern sowie die Zusammenarbeit mit den Eltern. • Die Elternwerkstätten können nach Bedarf genutzt und bei der AWO Familienbildung gebucht werden. Das Projekt zeigte aber auch die derzeitigen Grenzen einer solchen Förderung auf. Sie liegen in den bekannten, seit langen Jahren unbefriedigenden Rahmenbedingungen der Arbeit in den Kindertagesstätten in Deutschland (zum Beispiel Ausbildung, Entlohnung, Aufstiegschancen, Gruppengrößen, Zeitbudgets, Finanzen). Um dies im Sinne des Projektzieles „Wir machen Kinder stark“ nachhaltig zu verbessern, gilt es mit Blick auf Politik, Wirtschaft und andere relevante Verantwortliche nach wie vor „dicke Bretter“ zu bohren. Hier ist die eigene Resilienz der pädagogischen und sozialen Berufe herausgefordert. Der Schwerpunkt lag auf der Änderung der Wahrnehmung und der Haltung der Erzieherinnen und nicht auf der Entwicklung eines Lehr- und Lernprogramms. Um die Erfahrungen aus dem Projekt in den pädagogischen Alltag nachhaltig zu übertragen, wurden verschiedene Bausteine entwickelt: • Fortbildungsmodule, die im AWO Fortbildungsprogramm angeboten werden. Die Module können auch anderen Träger zur Verfügung gestellt werden. • Information und Schulung der Leitungskräfte in den AWO Kitas. • Vernetzung mit den anderen Grundkonzepten der pädagogischen Arbeit (Situationsansatz, Soziales Lernen, Early Excellence, Kinderwelten, Beobachtungssystem, Qualitätsmerkmale). • Das Thema „Resilienz“ findet Eingang in die Beratungen der Arbeitskreise in der AWO Region Hannover e.V. , die seit Jahren zu den pädagogischen Bedarfen der verschiedenen Altersgruppen arbeiten. • Die Kita-Fachberatung und der pädagogischpsychologische Dienst in den AWO Kitas sind mit dem Konzept vertraut und bringen es in ihre Arbeit mit den Kitas ein. 22 Dokumentation Resilienzprojekt Literaturverzeichnis • Ahnert, L. (2007). Von der Mutter-Kind- zur Erzieherinnen-Kind-Bindung?. In: Becker-Stoll, F., Textor, M: Die Erzieherinnen-Kind Bindung, Berlin: Scriptor • Ahnert, L. (Hrsg.) (2004). Frühe Bindung. Entstehung und Entwicklung. München: Reinhardt • Bowlby, John (2008). 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Grundlage der pädagogischen Arbeit ist der „Niedersächsische Orientierungsplan für Bildung, Betreuung und Erziehung der Kinder“ und die inhaltliche Schwerpunktsetzung nach dem Situationsansatz. Unsere Tageseinrichtungen für Kinder in der Region Hannover: Ahldener Straße 2 Alemannstraße 5 Am Lindener Berge 2 Bonhoefferstraße 2 Burgwedeler Straße 91 Dunantstraße 3 A Edenstraße 41/43 Eichsfelder Straße 52 Elmstraße 2 Försterkamp 5 N Freudenthalstraße 74 Freytagstraße 14 Gehägestraße 22 a Gorch-Fock-Straße 40 Gottfried-Keller-Straße 13 Große Pranke 5 Harenberger Straße 29 Herbartstraße 6 Hiltrud-Grote-Weg 5 Höltystraße 17 Ibykusweg 3 Johannes-Lau-Hof 8/10 575858 1054799 9202834 462101 6497797 637222 661957 2715091 602629 5199989 791314 883201 2627484 698968 693494 795505 2104686 2107626 442359 76065436 5865083 3506361 Kapellenbrink 12 5479808 Karl-Legien-Straße 10 8930196 Klaus-Müller-Kilian-Weg 8 702028 Leipziger Straße 38 3730637 Levester Straße 28 2330035 Moorlilienweg 2 (Langenhagen)5193530 Mühenkamp 5 794455 Munzeler Straße 23 96919822 Petermannstraße 51 A 496988 Pfarrlandplatz 11 451158 Ratswiese 3 2105225 Rosenbergstraße 22 665198 Salzmannstraße 3 2110482 Schleswiger Straße 31 70037850 Schneiderberg 1 A 701797 Schweriner Straße 22 537287 Sylter Weg 20 663955 Tresckowstraße 82 436925 Voltmerstraße 60 B 3521751 Walter-Ballhause-Straße 12 442141 Wiehbergstraße 11 841872 Wilhelmstraße 7 8114237 Langes Feld 3 (Wennigsen) 05103 704967 Fachbereich Tageseinrichtungen für Kinder Marienstraße 22 · 30171 Hannover · 0511 8114-232 [email protected] · www.awo-hannover.de 24 Dokumentation Resilienzprojekt