ÖSTERREICH NACH 1945 - Tyrolia

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Von der Befreiung
zur Freiheit
ÖSTERREICH NACH 1945
Erzählt in Bildern von Erich Lessing
und Texten von Michael Gehler
Inhaltsverzeichnis
7
Visuelles Vorwort
15
Michael Gehler: Von der Befreiung zur Freiheit
53
Das Kriegsende und die alliierten Sieger. Moskauer
Deklaration, Besatzer, Kontrolleure und Militärs
77
Der politische Neubeginn: Südtirol, Parteien,
Wahlen und Regierung
109
Der Alltag in Wien und in den Ländern:
Nachkriegsleben, Wirtschaftsnot, Wiederaufbau
und der Umgang mit der Vergangenheit
171
Österreich lebt wieder auf:
Kultur, Freizeit, Sport, Musik und Wissenschaft
257
Österreich wird frei:
Unterzeichnung des Staatsvertrags 1955
275
Aufstand, Krise und Niederschlagung
der Revolution in Ungarn 1956
285
Österreich im internationalen Kontext:
Kalter Krieg, Tauwetter und die Hoffnung Europa
347
Erich Lessing: Stationen eines Lebens
349
Interview mit Erich Lessing
362
Interview mit Traudl Lessing
373
Chronologie zur Geschichte Österreichs
und Europas 1943/45–1963
380
Literaturverzeichnis
Visuelles Vorwort
Dieses Werk beginnt mit einem etwas unkonventionellen
Das dritte Bild zählt zu den Ikonen der Zweiten Republik
vierfachen Einstieg. Die Fragen, die uns bei der Erstellung
und ist wohl den meisten Österreichern auch heute noch
der Bilddokumentation bewegten, lauteten: Was steht für
im Gedächtnis. Nach der Unterzeichnung des Staatsver-
das alte, was für das wiedererstandene, was für das neue
trags am 15. Mai 1955 im Oberen Schloss Belvedere zeigt
und was in gewisser Weise immer noch für das heutige
Leopold Figl vom Balkon aus das Dokument der wartenden
Österreich?
Menschenmenge. Nur wenige Augenblicke zuvor hat
Für das alte Österreich ist es das erste Bild mit der
Totenmaske des Komponisten Franz Lehar (1879–1948),
die abgenommen wird. Der Meister der Silbernen Operette
er noch innerhalb des Schlosses die berühmten Worte
»Österreich ist frei!« ausgerufen.
Das letzte Bild steht für ein Österreich, das versucht
starb 1948 in seiner Villa in Bad Ischl. Er verstand es
hat, seiner Vergangenheit zu entrinnen, aber dann doch
auf unnachahmliche Weise, typische Wiener Musik mit
gezwungen war, sich ihr zu stellen. Die politischen
slawischen Elementen zu verknüpfen.
Debatten um den Februar 1934 oder den »Anschluss« 1938
Für das wiedererstandene Österreich steht Karl Renner.
dauern bis heute an. Für diesen mitunter problematischen
Das zweite Bild zeigt den ersten frei gewählten Nationalrat,
Umgang mit der eigenen Geschichte steht der »Herr Karl«
der am 19. Dezember 1945 erstmals zu einer Sitzung im
des Helmut Qualtinger.
alten Reichsratssaal zusammentritt. An der Spitze des
Podiums beindet sich Karl Seitz, der frühere Bürgermeis-
Erich Lessing / Michael Gehler
ter von Wien. Im Zentrum der unteren Reihe sitzt Karl
Wien – Hildesheim, im September 2014
Renner, Kanzler der provisorischen Regierung, der am
20. Dezember 1945 zum ersten Präsidenten der Republik
nach dem Zweiten Weltkrieg gewählt wurde.
VISUELLES VORWORT
7
Die Totenmaske des Komponisten
Franz Lehar (1879–1948) wird
abgenommen. Der Meister der
Silbernen Operette starb im Jahr
1948 in seiner Villa in Bad Ischl.
VISUELLES VORWORT
Am 19. Dezember 1945 tritt der erste frei gewählte
Nationalrat erstmals zu einer Sitzung im alten
Reichsratssaal zusammen. An der Spitze des Podiums
Karl Seitz, der frühere Bürgermeister von Wien. Im
Zentrum der unteren Reihe Karl Renner, Kanzler der
provisorischen Regierung, der am 20. Dezember 1945
zum ersten Präsidenten der Republik Österreich
gewählt wurde.
VISUELLES VORWORT
»Österreich ist frei« – Leopold Figl
zeigt den unterzeichneten Staatsvertrag der jubelnden Menge vom
Balkon des Oberen Belvedere,
15. Mai 1955. Der berühmte
Satz iel jedoch im Marmorsaal
des Schlosses und nicht, wie oft
angenommen, zum Zeitpunkt
der Präsentation des historischen
Vertrags.
13
VISUELLES VORWORT
Der Schauspieler und Kabarettist Helmut Qualtinger (1928–1986) in
seiner Rolle als »Herr Karl« – ein Portrait, wie es viele Wiener nicht
wahrhaben wollten. In einem verstörenden Monolog wechselt er die
Weltanschauungen je nach Nützlichkeit und fühlt sich als missverstandenes Opfer: »Jetzt ist er bös, der Herr Tennenbaum.«
14
Von der Befreiung zur Freiheit
mic h ael g ehl e r
I.
Das Kriegsende und die alliierten Sieger.
Moskauer Deklaration, Besatzer, Kontrolleure und Militärs
seiner Befreiung beigetragen haben wird, unvermeidlich
sein wird.«
Was war der Entstehungshintergrund? Diese Erklärung
[Bildteil ab Seite 53]
war neben ihrer Anspielung auf österreichische VerantworDer viel zitierte Opferstatus, den die Zweite Republik mit
tung und die damit verbundenen konkreten Reparations-
Blick auf Hitler und den Nationalsozialismus für sich
forderungen der sowjetischen Seite mit juristischen
beanspruchte, hatte seine Wurzeln schon in der Kriegs-
Folgewirkungen auch ein Produkt psychologischer Krieg-
zeit. Die am 27. April 1945 konstituierte provisorische
führung und propagandistischer Absichten der westlichen
Regierung unter Karl Renner konnte sich schon vor der
Alliierten.
Kapitulation der Deutschen Wehrmacht am 8./9. Mai und
Beginnend mit 1943, dem Höhepunkt des anglo-ame-
dem ofiziellen Kriegsende auf diesen Status beziehen, weil
rikanischen psychological warfare, vertraten die Briten
es die Alliierten selbst gewesen waren, die, basierend auf
die Auffassung, dass v. a. in Österreich die Unterstützung
der Opferthese, die Wiederherstellung der Unabhängigkeit
für das Hitler-Regime sinken würde, wenn man dort den
des österreichischen Staates auf der Moskauer Außenmi-
Widerstand stärken würde. Im Foreign Ofice in London
nisterkonferenz am 1. November 1943 ausgerufen hatten.
wurde unter maßgeblicher Bearbeitung von Geoffrey
Im deutschsprachigen Wortlaut liest sich die Moskauer
W. Harrison ein Memorandum ausgearbeitet, ans State
Deklaration wie folgt:
Department nach Washington weitergeleitet, leicht
»Die Regierungen des Vereinigten Königreiches, der
abgeändert und gegen Ende der Außenministerkonferenz
in Moskau im Oktober 1943 ganz am Rande behandelt.
sind darin einer Meinung, dass Österreich das erste freie
Im Vordergrund war die Frage gestanden, wie Hitler-
Land war, das der typischen Angriffspolitik Hitlers zum
Deutschland bezwungen werden könnte – das Thema
Opfer fallen sollte, von deutscher Herrschaft befreit wer-
Österreich war kein eigenständiger Tagesordnungspunkt.
den soll. Sie betrachten die Besetzung Österreichs durch
Die britische Initiative wurde ohne große Diskussion
Deutschland am 15. [sic!] März 1938 als null und nichtig.
am 30. Oktober 1943 von den Außenministern der
Sie betrachten sich durch keinerlei Änderungen, die in
Kriegsalliierten, Cordell Hull für die USA, Anthony Eden
Österreich seit diesem Zeitpunkt durchgeführt wurden,
für das Vereinigte Königreich und Wjatscheslaw Molotow
als irgendwie gebunden. Sie erklären, dass sie wünschen,
für die Sowjetunion, beschlossen und unterzeichnet.
ein freies unabhängiges Österreich wiederhergestellt zu
Im Schlusskommuniqué der Außenministerkonferenz
sehen und dadurch ebensosehr den Österreichern selbst
wird das Dokument als »Moskauer Deklaration« am
wie den Nachbarstaaten, die sich ähnlichen Problemen
1. November 1943 veröffentlicht. Mit dieser Aktion sollte
gegenübergestellt sehen werden, den Weg zu ebnen, auf
österreichischen Soldaten in der Wehrmacht und der
dem sie die politische und wirtschaftliche Sicherheit
Bevölkerung gezeigt werden, dass die Alliierten hinter dem
inden können, die die einzige Grundlage für einen
österreichischen Widerstand stehen und ein gemeinsames
dauerhaften Frieden ist. Österreich wird aber auch daran
Ziel, die Unabhängigkeit dieses wieder zu schaffenden
erinnert, dass es für die Teilnahme am Kriege an der Seite
Staates und – als Voraussetzung dafür – die Niederwerfung
Hitler-Deutschlands eine Verantwortung trägt, der es
des Hitler-Regimes, verfolgen würden.
nicht entrinnen kann, und dass anlässlich der endgültigen
Abrechnung Bedachtnahme darauf, wieviel es selbst zu
15
Ob Österreich in seiner Form wie nach dem Ersten Weltkrieg (neu) errichtet werden sollte, war zu dieser Zeit aber
VON DER BEFREIUNG ZUR FREIHEIT
Sowjetunion und der Vereinigten Staaten von Amerika
noch fraglich. Im Zeitraum von 1943 bis 1945 verfolgten
Massentötungen), die während dieser Zeit begangen
britische Nachkriegsplaner vor allem die Idee einer Donau-
worden waren, für Wiedergutmachungen heranzuziehen.
konföderation, die auf Sir Winston Churchill zurückging.
Daraus wurde auch abgeleitet, Geschädigte könnten keine
Diese Erklärung der Anti-Hitler-Koalition war mit dem
Entschädigungszahlungen von Österreich fordern, weil
eigentlichen Ziel verabschiedet worden, Österreich von
Österreich selbst ein Opfer der Hitler’schen Aggression
Deutschland ein für allemal abzutrennen. So gesehen
gewesen sei. Diese Argumentation wurde mit der Opfer-
verdankte das Land seine Wiederexistenz einmal mehr v. a.
bzw. Befreiungsklausel und der Nichtigkeitsklausel der
der alliierten Absicht der Schwächung des übermächtigen
von den »Großen Drei« verkündeten Erklärung vom Herbst
Nachbarn im Norden.
1943 gestützt und gerechtfertigt.
Vier Elemente enthielt diese Erklärung: die »Opfer-
Die Kriegsalliierten hatten mit ihren Aussagen in der
bzw. Befreiungsklausel«, die »Nichtigkeitsklausel«, die
Moskauer Deklaration tatsächlich selbst die Basis für diese
»Verantwortungs-« bzw. »Mittäterklausel« und die »Bei-
politische Haltung Österreichs geschaffen und Österreichs
tragsklausel«. Österreichs maßgebliche Repräsentanten
Politiker hatten sich wiederum der Formulierungen für
unternahmen alle Anstrengungen, die letzten beiden
ihre staatlichen Interessen bedient und den Text entspre-
Klauseln erfolgreich zu entkräften. Nach Ende des Krieges
chend interpretiert. Bereits in der Unabhängigkeitser-
konzentrierte sich der Rest der aus der Konkursmasse
klärung vom 27. April 1945 war die Opferthese enthalten,
des »Dritten Reiches« übrig gebliebenen österreichischen
wobei ausgeblendet wurde, dass viele Österreicher den
Diplomatie auf die Moskauer Deklaration und deutete
Einmarsch der deutschen Truppen im März 1938 bejubelt,
den Text so weit, bis er für die Absicht, eine »Okkupations-
die NS-Politik mitgetragen und diese auch tatkräftig umge-
theorie« zu konstruieren, geeignet erschien. An diesem
setzt hatten. Der Hinweis, dass Österreich keine Rechts-
Vorhaben beteiligen sich Verfassungs- und Völkerrechtler,
nachfolge des Deutschen Reiches zu übernehmen habe,
z. B. Stephan Verosta, der sich im Hinblick auf den »gewalt-
wurde zu einer »staatlichen Nichtverantwortungsklausel«
tätigen« Anschluss von Österreich an das Deutsche Reich
umgemünzt, woraus abgeleitet wurde, keine Reparationen
dahingehend äußerte, Hitler hätte »dem Staat Österreich
leisten zu müssen. Von da an wurde die österreichische
und dem österreichischen Volk völlig unbeabsichtigt einen
Politik von der Auffassung geleitet, das unschuldige und
großen Dienst erwiesen. Denn mit dem 13. März 1938
daher nicht verantwortliche Österreich könne nicht für die
hat Deutschland völkerrechtlich und staatsrechtlich alle
Schäden Hitler-Deutschlands aufkommen.
Verantwortlichkeit und Haftung für all das übernommen,
was seither auf österreichischem Staatsgebiet geschah.«
Die Okkupationstheorie basierte auf der Annahme, dass
Erklärungen von Renner deuteten weiters auch darauf
hin, dass er nicht beabsichtigte, österreichische Nationalsozialisten am nahtlosen Übergang in das sogenannte
Österreich als Völkerrechtssubjekt trotz des Anschlusses
»normale« Leben zu hindern. Er sorgte dafür, dass deren
nicht aufgehört hatte zu existieren. Österreich sei während
gesellschaftspolitische Reintegration vonstattengehen
dieser Zeit ein Staat gewesen, dem die Handlungsfähigkeit
konnte – sogenannten »Mitläufern« sollte kein Schaden
entzogen worden wäre, der aber dennoch völkerrechtlich
entstehen.
bestanden habe. Aus diesem Grund könne der Staat
Die Klausel, die stark hervorgehoben wurde, war die
Österreich nicht als Rechtsnachfolger des Dritten
Beitragsklausel. Die Regierung machte es sich dabei
Reiches betrachtet werden. Ebenso wenig sei es möglich,
alsbald zur Aufgabe, alle Taten österreichischer Wider-
Österreich für die Taten (Krieg, Verfolgung, Verbrechen,
standskämpfer zu erfassen, um damit zu beweisen, dass
16
die Österreicher gegen das NS-Regime gewesen seien und
problemlos akzeptiert wurde. Das änderte aber nichts an
dieses auch tatkräftig bekämpft hätten, auch wenn dies
der Position der Siegermächte, Österreich alles andere als
auf einen zwar nennenswerten, aber doch nur geringen
rasch in seine Unabhängigkeit zu entlassen. Die Potsdamer
Anteil der Bevölkerung zutraf. Dies fand seinen Ausdruck
Drei-Mächte-Konferenz vom 17. Juli bis 2. August 1945 mit
darin, dass das von der Regierung initiierte und getragene
dem amerikanischen Präsidenten Harry S. Truman, Sowjet-
»Rot-Weiss-Rot-Buch«, welches Oppositionsverhalten und
führer Josef W. Stalin und dem britischen Premier Winston
Widerstandshandlungen dokumentierte, nur als ein erster
Leonard Spencer Churchill, der während der Konferenz
Teil erscheinen konnte und Folgepublikationen ausblieben.
abgewählt und durch den Labor-Politiker Clement Attlee
Es blieb aber folgende Absicht weiter bestehen: Die
Untaten, die Österreicher begangen hatten, sollten aus
Sicht der Regierenden möglichst schnell vergessen werden
ersetzt wurde, sah ferner auch Entschädigungsleistungen
von österreichischer Seite für das »deutsche Eigentum« vor.
Der Einmarsch der alliierten Armeen erfolgte im Früh-
und wurden daher auch verdrängt, um ein geordnetes
jahr 1945. Das anfänglich teilweise praktizierte Frater-
Leben für die Mehrheit der Staatsbürger zu gewährleisten.
nisierungsverbot mit den Besatzungssoldaten wurde
Die westlichen Alliierten nahmen im Wesentlichen
in den westlichen Zonen nicht lange gehandhabt. Die
diese österreichische Haltung und Politik hin, ohne
Franzosen verfügten keines und sahen Österreich als
größeren Widerstand dagegen zu leisten. Die Sowjetunion
befreundetes Land »pays ami«. Die Amerikaner hoben es
allerdings ließ ihre Vorbehalte gegen die Reklamierung der
am 3. September 1945 auf. In der sowjetischen Zone gab
Opferthese durch Österreich erst kurz vor Unterzeichnung
es dagegen alles andere als Verbrüderung. Es herrschten
des Staatsvertrages fallen. Ein Grund dafür bestand darin,
mitunter Repression und Willkürakte gegenüber der
dass sie sich dadurch bis dato und weiterhin Reparations-
Zivilbevölkerung vor.
zahlungen aus dem ehemaligen »deutschen Eigentum« in
Österreich sichern konnte.
Bei der Reklamation des Opferstatus für sich hatte die
Im ersten Kontrollabkommen vom 4. Juli 1945 zwischen
den USA, der UdSSR, Großbritannien und Frankreich
wurde die Aufteilung der vier Besatzungszonen für Österreich deinitiv beschlossen und eine Alliierte Kommission
geführt: Der wiederholte und erfolgreiche Hinweis auf die
eingerichtet. Am 11. September konstituierte sich der
gescheiterte Appeasement-Politik Großbritanniens vor
Alliierte Rat aus den vier Oberbefehlshabern der in Öster-
dem Krieg war nicht unberechtigt, zumal das Vereinigte
reich stationierten Großverbände. Die ersten Mitglieder
Königreich damit nicht nur die Hitler’sche Politik der
waren für die Sowjetunion Marschall Iwan Konjew, für die
Jahre 1935 bis 1938 geduldet hatte, sondern auch keine
Vereinigten Staaten General Mark Clark, Generalleutnant
Garantie für Österreichs Unabhängigkeit geben wollte. Die
Richard McCreery für Großbritannien und Korpsgeneral
Beschwichtigungspolitik gegenüber Hitler hatte Österreich
Marie Émile Antoine Béthouart für Frankreich. Die
als erstes »Opfer« zugelassen. Uneinigkeit der Alliierten
vier Hochkommissare Österreichs im Jahre 1949 waren
nach dem Krieg kam alsbald zum Vorschein und machte
Geoffrey Keyes (USA), Sir Alexander Galloway (UK), wieder
eine konsequente Argumentation und rasches österrei-
Béthouart (Frankreich) und Wadim Swiridow (UdSSR).
chisches Handeln erforderlich. Hinzu kam die Angst des
Österreich wurde in den Grenzen von 1937 wiederherge-
Westens vor einer drohenden Ausbreitung des Kommu-
stellt, wobei die Grenzfragen noch bis zur Außenminister-
nismus in Österreich. Alles zusammen betrachtet führte
konferenz von 1949 offen waren. Die seit 1938 an die Gaue
dies dazu, dass der Opferstatus für Österreich schnell und
der »Ostmark« des Großdeutschen Reiches angegliederten
17
VON DER BEFREIUNG ZUR FREIHEIT
Alpenrepublik auch eine Reihe von Gründen ins Feld
Gebiete ielen 1945 an die Tschechoslowakei zurück. Es
schlechter sein konnte, war ihre Militäradministration
handelte sich um südböhmische und südmährische
umso mehr bemüht, an Ansehen und Prestige zu gewinnen.
Territorien. Im Gegenzug wurden das Vorarlberger Klein-
Ein russischer Armeechor sang vor österreichischen
walsertal und die Tiroler Gemeinde Jungholz, die nach
Konzertbesuchern. Das Transparent über den Sängern
dem »Anschluss« an den »Gau Schwaben« gefallen waren,
erklärte die Sowjetarmee zur »Hüterin des Friedens«. Bei
wieder Österreich zugeschlagen.
der Schlacht um Wien hatte sie tausende Tote zu verzeich-
Die sowjetische Besatzungszone umfasste Niederöster-
nen gehabt. In Erinnerung an den dritten Jahrestag der
reich, das Burgenland, Wiener Randgemeinden und
Befreiung Wiens legte der österreichische Bundeskanzler
Oberösterreich nördlich der Donau und östlich der Enns.
Leopold Figl Kränze an den Gräbern jener sowjetischen
Das sowjetische Oberkommando war in Baden bei Wien
Soldaten nieder, die beim Kampf um Wien im Jahr 1945
stationiert. Die US-Besatzungszone bestand aus Oberöster-
gefallen waren.
reich südlich der Donau und westlich der Enns, Salzburg
Die anfänglich im Land verbliebenen alliierten
und dem steirischen Salzkammergut, die britische aus
Kampfverbände wurden in stehende Besatzungstruppen
der übrigen Steiermark, Kärnten und Osttirol sowie die
umgewandelt, deren Hauptaufgabe die Kontrolle der
französische aus Nordtirol und Vorarlberg. Wien wurde mit
Verhältnisse in Österreich war. Die Sowjets übernahmen
Ausnahme des ersten Bezirks als internationaler Sektor in
mit der Bezeichnung »USIA« nun unter ihrer Verwaltung
vier Zonen geteilt.
stehende Großbetriebe in ihrer Zone, vormaliges »deut-
Die Bezeichnung »Die Vier im Jeep« wurde zum Symbol
sches Eigentum«, das sie beschlagnahmt hatten. Damit
des besetzten Landes und seiner Hauptstadt. Zudem
bauten sie sich einen eigenen, von österreichischen
handelte es sich auch um einen Schweizer Film unter Regie
Behörden nicht kontrollierbaren Wirtschaftskomplex auf,
des Wieners Leopold Lindtberg, produziert von Lazar
dem die Ölförderung im Marchfeld und die Donaudampf-
Wechsler und seiner Praesens-Film im Jahr 1950. Span-
schifffahrtsgesellschaft angehörten.
nend und eindrücklich schildert der Thriller die Situation
In der sowjetischen Zone wurden zum Teil frühere Mit-
im Wien der Nachkriegszeit vor dem Hintergrund des
glieder der NSDAP oder Angehörige der Waffen-SS in
bereits beginnenden Kalten Krieges.
die UdSSR deportiert. Die Vorwürfe lauteten pauschal
Mit der Anerkennung der Regierung Renner durch die
»Kriegsverbrecher« oder »Agiteure gegen die Sowjetunion«.
vier Alliierten im Oktober 1945 war die Gesamtstaatlichkeit
Viele Zwangsdeportierte kehrten – wenn überhaupt – erst
Österreichs über die Zonengrenzen vorerst gesichert. Die
Jahre später aus dem Gulag, einem sowjetischen Zwangs-
Dankbarkeit gegenüber den Besatzungsmächten und
arbeitslager-System, nach Österreich zurück. Selbstmorde
der Befreiung durch diese hielt sich aber in Grenzen. Die
waren in der sowjetischen Besatzungszone aufgrund der
Mehrheit der österreichischen Bevölkerung empfand
ständigen Angst vor Repression, Terror und Verschleppung
sie als »Besatzer«. Sympathien für »die Russen« gab es so
nicht selten.
gut wie keine, zumal es beim Einmarsch und v. a. durch
Um die Demarkationslinien zwischen den Besatzungs-
die nachrückenden Verbände zu Übergriffen gegen die
zonen zu überschreiten, war ein von den Alliierten
Bevölkerung und zu Vergewaltigungen von Frauen kam, die
ausgestellter Identitätsausweis notwendig, der in vier
kaum geahndet wurden. Willkürliche Verschleppungen von
Sprachen (Deutsch, Englisch, Französisch, Russisch)
Menschen in die Sowjetunion ereigneten sich noch Jahre
ausgefertigt war und Bestätigungsvermerke jeder der vier
später. Nachdem das Bild von den »Russen« kaum mehr
Besatzungsmächte erforderlich machte. Zwischen den
18
westlichen Zonen erfolgten alsbald Reiseerleichterungen.
geborene Volksschauspieler Muliar hatte nach dem
Das Überschreiten der Demarkationslinie der sowjetischen
»Anschluss« 1938 nur noch unpolitische Opernparodien
Zone war dagegen weit strikter geregelt. Diese Grenzkont-
und Bauernschwänke spielen dürfen. 1940 zur Deutschen
rollen wurden erst 1953 an den beiden Zonenübergängen
Wehrmacht einberufen, kam er wegen »Wehrkraftzer-
über die Enns und am Semmering so weit gelockert, dass
setzung« und Betätigung zur Wiederherstellung eines
Eisenbahnzüge nicht mehr anhalten mussten. Es genügte
freien Österreichs 1942 in Haft. Das Todesurteil wurde
nun ein einheitlicher Reisepass. Eine Identitätskarte war
in eine mehrjährige Haftstrafe umgewandelt, die zur
nicht mehr nötig und auch die Lebensmittelkarten wurden
sogenannten »Frontbewährung« in einer Strafeinheit an
abgeschafft.
der Ostfront ausgesetzt wurde. Das Kriegsende verbrachte
Im Zweiten Kontrollabkommen vom 28. Juni 1946 war
er in englischer Gefangenschaft. 1946 ing er als Sprecher
die Alliierte Kommission umstrukturiert worden. Sie
der Sendergruppe Alpenland bei Radio Klagenfurt an. 1949
bestand aus dem Alliierten Rat, dem Exekutiv-Komitee und
kehrte er nach Wien ans Raimundtheater zurück. Von
jeweils einem Stab der Besatzungsmächte. Oberstes Verwal-
1952 bis 1965 spielte er im »Simpl« an der Seite von Farkas
tungsorgan der einzelnen Zonen waren die Hochkommis-
und Ernst Waldbrunn und in Folge an allen bedeutenden
sare, die auch den Alliierten Rat stellten. Ab 1950 wurden
Bühnen Wiens.
die Militärverwaltungen schrittweise in Zivilverwaltungen
überführt.
Der gebürtige Wiener Kabarettist Farkas war als Jude
1938 nach Brünn gelohen und dann über Paris nach New
Die österreichische Verwaltungsstruktur wurde im
York City emigriert, wo er ebenfalls künstlerisch tätig war.
Wesentlichen wie vor 1933/1934 beibehalten, so dass es
1946 kehrte er nach Wien zurück und trat ab 1950 auch
wieder eine Bundesregierung, Landesregierungen mit
wieder im Simpl auf, das er bis zu seinem Tod leitete.
Landeshauptmännern sowie den Nationalrat als Parlament
Für die Kosten der zu Beginn hunderttausende Mann
und Landtage als Länderparlamente, eine Gemeindever-
umfassenden Besatzungstruppen, die später dann schritt-
waltung und regelmäßig geordnete freie Wahlen (auch in
weise auf rund 50.000 Mann reduziert wurden, musste
der sowjetischen Besatzungszone) gab.
Österreich aufkommen. Im Jänner 1946 waren cirka
Dem Alliierten Rat waren von der Bundesregierung alle
150.000 Rotarmisten, 40.000 GIs, rund 55.000 Briten und
15.000 Franzosen in ihren jeweiligen Zonen stationiert.
chung zur Genehmigung vorzulegen. Wurde die Zustim-
Die französischen Truppen wurden schon bis Mai 1946
mung nicht erteilt, konnte das Gesetz nicht in Kraft treten.
auf 7.000 Mann reduziert. Im Oktober 1954 belief sich
Es genügte das Veto einer Besatzungsmacht, um eine
das sowjetische Kontingent noch auf 36.000 Mann, das
gesetzliche Bestimmung zu Fall zu bringen. Wahlplakate
amerikanische auf 15.000, das britische auf 2.800, während
der Parteien konnten jederzeit von der alliierten Zensur
das französische nur noch 540, davon 150 Gendarmen,
beanstandet, überklebt oder zensuriert werden. Später
aufwies. Die französischen Militärs waren v. a. in ihrem
einigte sich der Alliierte Rat darauf, dass ein Veto nur in
Wiener Sektor im Einsatz. Der Westen Österreichs mit
Kraft tritt, wenn alle vier Mächte es gemeinsam einlegen,
Tirol und Vorarlberg und annähernd auch Kärnten und
wodurch die Einsprüche stark zurückgingen.
die Steiermark waren gegen Ende der Besatzungszeit
Die Besatzungszeit bot reichlich Stoff für das in Wien
im Spätsommer 1955 praktisch schon besatzungsfrei,
wieder aulebende Kabarett »Simpl«. Hauptakteure
während der Osten mit Wien, Niederösterreich und dem
waren Fritz Muliar und Karl Farkas. Der in Wien-Neubau
Burgenland noch unter starker militärischer Kontrolle
19
VON DER BEFREIUNG ZUR FREIHEIT
vom Parlament beschlossenen Gesetze vor ihrer Kundma-
stand. Die Präsenz der Amerikaner war zuletzt auf die Stadt
diese nun diesen geograischen Vorteil in der US-Zone
Salzburg und das südliche Oberösterreich konzentriert, wo
und überquerten über die Krimmler Tauern die Alpen
sie als Wirtschaftsfaktor gern gesehen waren.
über Italien auf dem Weg nach Palästina, das ihnen vom
Die Verbände, die die alliierten Besatzungsmächte in
Zionismus verheißene »gelobte Land«. Ein Bild zeigt einen
Österreich stellten, waren die United States Forces in
jüdischen Flüchtling, der versuchte, die Grenze zwischen
Austria (USFA), die dem European Command (EUCOM)
Österreich und Italien als erste Station auf dem Weg nach
unterstanden und dann Teil der US Army Europe (USAR-
Palästina zu überqueren. Er wurde von italienischen
EUR) wurden. Die sowjetischen Truppen stellten keinen
Grenzbeamten angehalten und an die österreichische
expliziten Verband, sondern gehörten zur Zentralen
Grenze zurückverwiesen.
Heeresgruppe für Ungarn und Österreich, die in Österreich
Auf dem 1000 Meter hohen Semmeringpass hob
dem sowjetischen Teil der Alliierten Kommission für
die sowjetische Besatzungsmacht 1955 die letzten
Österreich und dann überwiegend dem zivilen Apparat des
Militärkontrollen an der Demarkationslinie auf, welche
Hochkommissars in Österreich unterstanden.
die sowjetische von der britischen Zone trennte. Am
Österreicher und Österreicherinnen, die zwischen 1933
19. September, nach zehn Jahren, verließen die letzten
und 1945 der NSDAP oder einer ihrer Organisationen
sowjetischen Truppen das Land. Die letzten britischen und
angehört hatten, mussten sich im gesamten Lande einem
amerikanischen Truppen zogen erst im Oktober ab.
Entnaziizierungsverfahren stellen, das anfänglich sehr
hart gehandhabt wurde. In einigen Fällen wurden sogar
Todesstrafen verhängt. Mit Einsetzen des Kalten Krieges
II. Der politische Neubeginn: Südtirol, Parteien,
1947/48 wurde die Regelung der Entnaziizierung jedoch
Wahlen und Regierung
lascher. Man ließ seitens der westlichen Besatzungsmächte
[Bildteil ab Seite 77]
von der Bestrafung von Nationalsozialisten mehr und mehr
ab, waren diese »Ehemaligen« doch vielfach überzeugte
Zunächst ohne Einverständnis der Westmächte, jedoch mit
Antikommunisten und daher nun willkommene Verbün-
Duldung der sowjetischen Besatzungsmacht, hatte sich in
dete gegen die »Russen«. Die österreichischen Behörden
Wien am 27. April 1945 eine provisorische Regierung gebil-
trugen diese laxere Handhabung mit und die Regierung
det, an der sich neben der Sozialistischen Partei Österreichs
trat für Versöhnung ein. Die Großparteien ÖVP und SPÖ
(SPÖ), die mit Karl Renner (1870–1950) den Staatskanzler
warben um die Stimmen der Ex-NSDAP-Mitglieder, die auch
stellte, und der christlich orientierten Österreichischen
in Justiz, Verwaltung und Wirtschaft wieder Eingang inden
Volkspartei (ÖVP) auch die Kommunistische Partei Öster-
und dabei auch in Führungspositionen aufsteigen konnten.
reichs (KPÖ) beteiligte. Die Bundesverfassung von 1920
Die Besatzer kontrollierten aber nicht nur die Öster-
wurde in der novellierten Fassung von 1929 übernommen
reicher, sondern auch Flüchtlinge aus anderen Ländern.
und damit eine langwierige Debatte über eine neue Kon-
Krimml ist die einzige Gemeinde des Bundeslandes Salz-
stitution vermieden. Die Bildung von Landesregierungen
burg, die direkt an Italien bzw. Südtirol grenzt. Nachdem
hatte alsbald eingesetzt. Die alten Länder Nieder- und
die zuvor benützten Alpenübergänge in den britischen und
Oberösterreich, Salzburg, Tirol, Vorarlberg, Kärnten, die
französischen Besatzungszonen Österreichs für tausende
Steiermark und das Burgenland konstituierten sich wieder.
jüdische Flüchtlinge und Überlebende des Holocaust aus
Damit verfügte Österreich von Anfang an sowohl über
Mittel- und Osteuropa gesperrt worden waren, nutzen
zentralstaatliche als auch über föderative Vertretungen.
20
Die Anerkennung der provisorischen Regierung durch
Für die Tätigkeit des Nationalrats entscheidend wurde
die Westmächte erfolgte erst zögerlich am 20. Oktober
das Zweite Kontrollabkommen vom 28. Juni 1946, in dem
1945, hatten diese doch Karl Renner eine Zeit lang als
das Vetorecht der Besatzungsmächte eingeschränkt wurde.
Marionette der Sowjets gesehen, was nicht der Fall war.
Nur mehr Verfassungsgesetze bedurften nun der Zustim-
Zustimmung erlangte sie dann dadurch, dass man in
mung des Alliierten Rates; alle anderen Gesetze traten in
vorangegangenen Länderkonferenzen den Eintritt von
Kraft, wenn nicht innerhalb von 31 Tagen ein einstimmiger
Vertretern auch der westlichen Bundesländer in die
Einspruch des Rates erfolgt war, was in der Periode des
Regierung Renner vereinbart hatte, die am 25. September
Kalten Krieges nur mehr selten geschah. Allerdings
umgebildet worden war und sich nunmehr aus dreizehn
hemmte die Uneinigkeit der Alliierten den Abschluss des
Vertretern der ÖVP, zwölf der SPÖ, zehn der KPÖ sowie vier
Staatsvertrages und damit die Aufhebung der Besatzung.
parteilosen Fachleuten zusammensetzte.
Wie Renner bereits bei Amtsantritt zugesagt hatte,
Ganz am Anfang stand jedoch ein ganz anderes politisches Thema im Vordergrund als die Wahlen: Die Frage
der Rückkehr Südtirols, die viele Österreicherinnen und
werden. Sie fanden in ganz Österreich am 25. November
Österreicher emotional berührte und ihr Herz erwärmte.
1945 statt, wobei Mitglieder der NSDAP und ihre Wehrfor-
Das Verlangen nach Bewahrung der territorialen Integrität
mationen SA und SS vom Wahlrecht ausgeschlossen waren.
war ein zentrales Anliegen Österreichs – das sah auch die
Viele Männer mittlerer Jahrgänge befanden sich noch in
französische Besatzungsmacht im Westen so, wobei in
Kriegsgefangenschaft und konnten nicht wählen gehen, so
den Jahren 1945/46 die Forderung nach »Heimholung«
dass die Frauen ganz wesentlich den Ausgang der Urnen-
Südtirols einen hohen, wenn nicht sogar den höchsten
gänge entschieden. Die ÖVP erhielt mit 85 Mandaten die
Stellenwert besaß. Österreichweit fanden Südtirol-Ver-
absolute Mehrheit, die SPÖ 76 und die KPÖ vier Sitze im
sammlungen statt. Federführend war der Innsbrucker
Parlament. Bei den gleichzeitig stattindenden Landtags-
Völkerrechtler Professor Eduard Reut-Nicolussi. Am
wahlen ging die ÖVP deutlich als Sieger hervor. Sie stellte
4. September 1945 fand bereits eine Großkundgebung
mit Ausnahme von Wien und Kärnten in allen anderen
in der Tiroler Landeshauptstadt statt. Ofiziell von der
Bundesländern den Landeshauptmann. Auf Grundlage
französischen Militärregierung genehmigt, wurde vor etwa
des nationalen Wahlergebnisses wurde der niederöster-
35.000 Teilnehmern vor dem Stadttheater ein Appell an die
reichische Bauernbund-Direktor Ing. Leopold Figl Bun-
Londoner Außenministerkonferenz und eine Entschlie-
deskanzler und der Sozialist Adolf Schärf Vizekanzler. Die
ßung an die Vereinten Nationen gerichtet. Eine weitere
Kommunisten, die in der provisorischen Staatsregierung
großangelegte Demonstration für die Rückkehr Südtirols
noch das Innen- und das Unterrichtsressort besetzt hatten,
zu Österreich fand am 22. April 1946 wieder in Innsbruck
mussten sich nun mit dem neugebildeten Ministerium für
statt. Zwei Buben in Tiroler Tracht trugen ein Transparent
Energiewirtschaft zufrieden geben.
mit der Aufschrift »155.000 Südtiroler Unterschriften«,
Am 20. Dezember wählte die österreichische Bundes-
die für die Wiedervereinigung Tirols geheim in Südtirol
versammlung den bisherigen Staatskanzler Renner zum
und unter den Optanten in Österreich gesammelt worden
Bundespräsidenten nach dem Wahlmodus der Verfassung
waren.
von 1920, da man die Kosten einer Volkswahl so kurz nach
In der ersten Jahreshälfte 1946 sollte sich jedoch
der Nationalratswahl nicht mehr verantworten konnte und
herausstellen, dass die Hoffnungen auf eine gerechte
sich die Parteien auf Renner geeinigt hatten.
Lösung der Südtirol-Frage sanken, zumal bei der Londoner
21
VON DER BEFREIUNG ZUR FREIHEIT
sollten so bald wie möglich Nationalratswahlen abgehalten
Außenministerkonferenz (10. September bis 2. Oktober
und die Erhaltung des »ethnischen Charakters« der Süd-
1945) im Sinne der Beibehaltung der Brenner-Grenze
tiroler sollten nicht erfolgen, was in Folge zu verstärkten
bereits eine Vorentscheidung (»provisional decision«)
Konlikten und sogar Bombenanschlägen im Südtirol
gefallen war. Nur »kleinere Grenzberechtigungen« sollten
der 1960er-Jahre führte, bis nach langwierigen Geheim-
gestattet werden. London und Washington tendierten
verhandlungen und zahlreichen Rückschlägen 1969 mit
immer stärker dazu, das ihrer Einlusssphäre zugeteilte
der Einigung zwischen Wien und Rom über ein »Paket«
Italien mit dem Christdemokraten Alcide De Gasperi
und einen »Operationskalender« für Durchführungsbe-
gegen die starke kommunistische Partei zu unterstützen,
stimmungen von Autonomiemaßnahmen ein Weg zur
während Frankreich unter Charles de Gaulle Amerikanern
Normalisierung beschritten werden konnte.
und Briten in ihrer Südtirolpolitik zuneigte, aber als
Erhebliche Befürchtungen entstanden für die öster-
vierte Besatzungsmacht in Österreich unter General
reichische Regierung durch weitgehende Ansprüche
Béthouart bis ins Frühjahr 1946 den Tiroler Forderungen
Jugoslawiens auf das südliche Kärnten, zumal diese aus
entgegenkam.
politisch-ideologischer Solidarität mit Belgrad von Moskau
Rom erkannte die Relevanz der Südtirolproblematik,
unterstützt wurden. Erst der Bruch zwischen Stalin und
reagierte rasch und instrumentalisierte neben der (angeb-
Tito 1948 brachte hier eine Änderung der Lage mit sich,
lichen) NS-Vergangenheit der Südtiroler v. a. die Reoption,
als der Kreml die jugoslawischen Gebietsforderungen
d. h. die Frage des Wiedererwerbs der italienischen Staats-
nicht mehr verfocht und die Grenzen Österreichs aus der
bürgerschaft für die Optanten und damit die Möglichkeit
Zwischenkriegszeit schließlich anerkannt werden mussten.
der Rückkehr für die Umgesiedelten, zur Verteidigung und
Die österreichischen Kommunisten hatten inzwischen
Untermauerung des Verbleibs Südtirols bei Italien. Als die
wegen des vom Kabinett Figl zur Bekämpfung der Inlation
am Ballhausplatz einlaufenden Berichte in punkto Südtirol
beschlossenen Währungsschutzgesetzes und aufgrund
zunehmend negativer lauteten, ließ sich Österreichs
ihrer Entscheidung gegen die Annahme der amerikani-
junger Außenminister Karl Gruber auf verschiedene
schen Marshall-Plan-Hilfe (siehe auch Kapitel III) die
Gebietskonzessionen (Bozner- und Pustertallösung) ein.
Regierung verlassen. Von 1947 an bis 1966 regierte in
Diese vorauseilenden Territorialkompromiss-Vorschläge
Österreich also nahezu zwei Jahrzehnte lang eine Koalition
untergruben den moralischen Anspruch der integralen
der beiden Großparteien, der ÖVP und der SPÖ, wobei die
Lösung und schwächten die österreichische Position.
Volkspartei mit Leopold Figl, Julius Raab, Alfons Gorbach
Ergebnis der durch die Vorentscheidung der Allierten
und Josef Klaus die Bundeskanzler stellte, während die
erschwerten und durch vorschnelle Kompromisse belaste-
Position des Vizekanzlers (Adolf Schärf und Bruno Pitter-
ten österreichischen Südtirolpolitk war die Ablehnung der
mann) durchwegs von der SPÖ besetzt wurde.
Pustertallösung durch die Außenminister der Vier Mächte
Wahlplakate in Wien für die Wahlen zum Nationalrat
im Juni und das kärgliche Gruber-De Gasperi Abkommen
am 9. Oktober 1949 zeigten ein großes Plakat, auf dem die
vom 5. September 1946 auf der Pariser Friedenskonferenz,
Österreicher gewarnt wurden, nicht die Katze im Sack zu
das keine befriedigende Autonomielösung der Süd-
kaufen, sondern die ÖVP zu wählen. Das Plakat war auf der
tirolfrage bringen sollte.
noch nicht wiederhergestellten Fassade des Burgtheaters
Die nach Kriegsende in ganz Österreich aufgelammte
angebracht. Diese Wahlen konnten als erste Wahlen unter
Hoffnung auf eine Rückkehr Südtirols erfüllte sich nicht.
relativ normalen Bedingungen bezeichnet werden, da
Auch die Gewährung einer weitgehenden Autonomie
der größte Teil der österreichischen Kriegsgefangenen
22
zurückgekehrt war und nun auch die sogenannten »Min-
Niederösterreich wurden Belegschaften der sowjetischen
derbelasteten« unter den ehemaligen Nationalsozialisten
USIA-Betriebe mobilisiert und die Polizeikräfte am Eingrei-
aufgrund einer inzwischen erlassenen Amnestie wahlbe-
fen gehindert. Schließlich streikten etwa 120.000 Arbeiter,
rechtigt waren.
davon die Hälfte aus den USIA-Betrieben. Es kam zu
Gerade um diese Stimmen warb besonders der neu
Demonstrationen und Auseinandersetzungen mit den
gegründete »Verband der Unabhängigen« (VdU), der vom
Sicherheitskräften. Die Streikbewegung weitete sich
sozialistischen Innenminister Oskar Helmer in der Absicht
auf Wien, die Industriegebiete Niederösterreichs, die
gefördert worden war, auf diesem Weg das ÖVP-Monopol
Steiermark und besonders auf Linz und Oberösterreich
mit bürgerlichen und nicht-sozialistischen Stimmen
aus. So bildeten sich illegale Gewerkschaftskomitees und
aufzubrechen. Die Gegenaktion des ÖVP-Wirtschaftsbünd-
es folgten Sabotageaktionen gegen Verkehrsmittel.
lers Julius Raab, der wohl einlussreichsten und stärksten
Die Aktionen wurden von der Regierung und ihr nahe-
Führungsigur in der Volkspartei, durch Kontakte mit
stehenden Kräften als politischer Umsturzversuch der
ehemaligen NS-Repräsentanten dieses Manöver Helmers
Kommunisten interpretiert, während Vertreter der west-
zu konterkarieren und das Stimmenreservoir der »Ehe-
lichen Besatzungsmächte darin lediglich »disturbances«
maligen« für die ÖVP abzuschöpfen, zeigte jedoch keine
erblickten. Bundeskanzler Figl emping zur Beruhigung
entscheidende Wirkung: Die »Unabhängigen« nahmen
der Lage im Beisein von Vizekanzler Schärf eine Delegation
den beiden Großparteien etwa gleich viel Stimmen und
von Streikenden und sagte die Weiterleitung ihrer Reso-
Mandate weg. Die ÖVP erhielt nur mehr 77, die SPÖ 67, die
lution an den Ministerrat und den Gewerkschaftsbund zu.
Unabhängigen 16 und der »Linksblock« (Kommunisten
In einer öffentlichen Erklärung betonte der Kanzler die
und die unter Erwin Scharf aus der SPÖ ausgetretenen
Notwendigkeit des Abbaus der Subventionen, verurteilte
Linkssozialisten) fünf Mandate.
aber zugleich die kommunistischen Versuche, die Bevölke-
Der Frust bei den Linken war entsprechend groß. Ein im
Oktober 1950 von kommunistischer Seite unternommener
rung aufzuwiegeln.
Neuerliche Unruhen führten zur gewaltsamen Behinderung des Straßenverkehrs. Kommunisten kamen auf Last-
im Zusammenhang mit dem 4. Lohn- und Preisabkommen
wägen mit sowjetischen Kennzeichen und versuchten, das
zu einer umfassenden Streikbewegung und zu Unruhen
Gewerkschaftshaus zu besetzen. Die Polizei verhinderte die
mit dem Ziel eines Umsturzes des Regierungssystems zu
Besetzung und die westlichen Vertreter protestierten im
nützen, ließ die noch junge Zweite Republik aufregende
Alliierten Rat gegen die »Unterstützung« der Kommunisten
Wochen, v. a. im Osten, erleben. Ende September 1950
durch die sowjetische Besatzungsmacht.
hatte der österreichische Ministerrat die Vereinbarungen
Am 30. September beschloss eine aus kommunisti-
in Bezug auf die Preis- und Lohnfragen genehmigt. Am
schen Betriebsräten gebildete »Gesamtösterreichische
gleichen Tag stimmte eine Vorständekonferenz des
Betriebsrätekonferenz«, ein bis 3. Oktober befristetes
Gewerkschaftsbundes gegen die Stimmen der kommu-
Ultimatum an die österreichische Regierung zu richten, in
nistischen Fraktion den Abmachungen zu.
dem Forderungen nach Rücknahme der Preiserhöhungen
Kommunistische Agitatoren versuchten nun, das
oder eine Verdopplung der im Preis- und Lohnabkommen
strittige Lohn- und Preisabkommen zu verwenden, um
vorgesehenen Erhöhung der Löhne und Gehälter sowie
Arbeitsniederlegungen in Industriegebieten herbeizu-
ein gesetzlicher Preisstopp und keine weitere Schilling-
führen. Vor allem in der sowjetischen Zone von Wien und
abwertung laut wurden. Bei Nichterfüllung erfolge ein
23
VON DER BEFREIUNG ZUR FREIHEIT
Versuch, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Landes
Streik in ganz Österreich am 4. Oktober. Tags zuvor
von der SPÖ aufgestellten Bürgermeister von Wien, Theo-
hatte die österreichische Bundesregierung schon dazu
dor Körner, und dem parteilosen Innsbrucker Professor
aufgerufen, sich durch »terroristische Aktionen« nicht
der Chirurgie Burkhard Breitner, der weit über eine halbe
einschüchtern zu lassen und die Freiheit des Landes zu
Million der Stimmen erreicht hatte. Da kein Kandidat die
verteidigen. Im Ministerrat wurde nun festgehalten, dass
absolute Mehrheit erreichen konnte, wurde eine Stichwahl
ein Eingehen auf die kommunistischen Forderungen
notwendig, in der Körner über Gleissner triumphierte.
nicht in Frage komme. Am 4. Oktober wurde die kommu-
Beim 1953 kommunistisch ausgerichteten Weltfrie-
nistische Streikparole nur in einzelnen Betrieben befolgt,
denskongress in Wien trat der sowjetische Schriftsteller
wie zum Beispiel in den Steyr-Werken in Oberösterreich.
Ilja Ehrenburg (1891–1967) auf, der gerade seinen Roman
Verschiedene Aktionen erfolgten noch in Wien und Nieder-
»Ottepel« (»Das Tauwetter«) verfasst hatte. Bald nach
österreich, v. a. in Wiener Neustadt, wo das Postamt gewalt-
Stalins Tod im März 1953 hatte es von sowjetischer Seite
sam besetzt wurde. Tags darauf kam es noch zu diversen
tatsächlich fühlbare Erleichterungen für Österreich gege-
Stör- und Sabotageversuchen in Wien, v. a. gegen den
ben: Amnestie für Kriegsgefangene und Zivilinternierte
Straßenbahnverkehr und auf den Zufahrtsstraßen in die
in der UdSSR; die Kraftwerksanlage Ybbs-Persenbeug
Hauptstadt. Die kommunistische Betriebsrätekonferenz
wurde der österreichischen Regierung übergeben und
fasste allerdings am Abend des 5. Oktober mit 400 gegen
der militärische Hochkommissar Swiridow durch den
3 Stimmen den Beschluss, die Streiks zu beenden und
Diplomaten und Botschafter Iljitschow ersetzt. Dennoch
die Arbeit am 6. Oktober wieder aufzunehmen, womit die
gab es Misstöne in der soweit versöhnlichen Stimmung
Protestbewegung gescheitert war. Die Bundesregierung
von kommunistischer Seite. So etwa ließ Jean-Paul Sartre
war standfest geblieben und erließ einen Aufruf, in
dem Schauspieler und Regisseur Erich Neuberg für die
dem auf das »eigentliche Ziel« der »Terroraktionen«,
Dauer des Friedenskongresses die Aufführung seines
»Österreich in die Arme des Kommunismus zu treiben«,
antikommunistischen Dramas »Les mains sales« verbieten.
hingewiesen und dem österreichischen Volk, allen voran
Im Nationalratswahlkampf 1953 sprach der Grazer
der Exekutive, für den geleisteten Widerstand gedankt
Universitätsprofessor Josef Dobretsberger, von den
wurde. Letztlich beendete das entschlossene Vorgehen des
politischen Gegnern auch »Sowjetsberger« genannt, auf
Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB), angeführt
einer Parteiveranstaltung der »Volksopposition« in Wien.
von den Bau- und Holzarbeitern, unter ihrem Sekretär
ÖVP-Bundeskanzler Leopold Figl wählte wiederum die
Franz Olah, den von der KPÖ gelenkten Streik.
Bühne eines niederösterreichischen Bauerntheaters, um
Als Bundespräsident Renner am 31. Oktober 1950, kurz
zu seinen Wählern zu sprechen. Das Endergebnis der
nach seinem 80. Geburtstag, verstarb, erwogen die Partei-
Urnengänge wurde im Presseraum des Innenministeriums
führungen zunächst, dessen Nachfolger wieder durch die
bekanntgegeben. Bei den am 22. Februar 1953 durchge-
Bundestagsversammlung wählen zu lassen, gaben dann
führten dritten Nationalratswahlen in Österreich erhielt
aber den Stimmen in der Öffentlichkeit nach, die forderten,
bei einer Wahlbeteiligung von 96 % die ÖVP 74, die SPÖ
entweder die Verfassung zu ändern oder, der Verfassung
73, der nunmehr als Wahlverband der Unabhängigen
von 1929 folgend, den Bundespräsidenten direkt durch
(WdU) auftretende dritte Faktor der österreichischen
das Volk wählen zu lassen. Im ersten Wahlgang erhielt der
Innenpolitik 14 und die »Volksopposition« vier Mandate.
Landeshauptmann von Oberösterreich, der ÖVP-Kandidat
Die Unabhängigen, bei denen sich interne Gegensätze
Heinrich Gleissner, die meisten Stimmen, gefolgt von dem
aufttaten, ielen zurück und die »Volksopposition«, unter
24
deren Namen Kommunisten und Linkssozialisten kandi-
III.
diert hatten, blieben marginal.
Nachkriegsleben, Wirtschaftsnot, Wiederaufbau und
Die Regierungsverhandlungen gestalteten sich schwierig.
Der an Stelle von Figl als Bundeskanzler eingesetzte
Der Alltag in Wien und in den Ländern:
der Umgang mit der Vergangenheit
[Bildteil ab Seite 109]
Raab hatte sich mit dem Gedanken getragen und den
Vorschlag eingebracht, die »Unabhängigen« als dritten
In den ersten Nachkriegsjahren herrschte eine unbe-
Koalitionspartner in die Regierung aufzunehmen, was
schreiblich große Not auf allen Ebenen. Mit der Kapitu-
jedoch Körner und die SPÖ entschieden ablehnten und zu
lation der Wehrmacht und dem Ende des NS-Regimes
einer Neuaulage der Großen Koalition führte, die von acht
war das nationalsozialistische Versorgungssystem völlig
ÖVP-Ministern, sechs SPÖ-Ministern und dem parteilosen
zusammengebrochen. Niedrigste Kaloriensätze durch
Justizminister Josef Gerö getragen wurde. Angesichts des
äußerst knappe Lebensmittelverhältnisse, Probleme beim
knappen Wahlergebnisses von ÖVP und SPÖ diente als
Transport der Güter durch zerstörte Verkehrswege, fehlen-
Ausgleich für die Sozialisten die Installierung eines Staats-
des Baumaterial, mangelnder Wohnraum aufgrund der
sekretärs im bislang von der ÖVP dominierten Außenamt,
alliierten Bombardements und zu wenig Heizmittel waren
wofür die SPÖ den aus der schwedischen Emigration
kennzeichnend für eine Zeit der größten Entbehrungen,
zurückgekehrten Bruno Kreisky aufstellte. Kreisky verblieb
des Leidens und Verzichts. In den ersten Nachkriegsjahren
in dieser Position auch, als Außenminister Gruber im
warteten Arbeitslose noch vor den Arbeitsämtern. Aktivis-
November im Zusammenhang mit der Veröffentlichung
ten luden zu Arbeitslosenversammlungen. Arbeitslose stell-
seines Buches »Zwischen Befreiung und Freiheit. Der
ten sich bei Zahlstellen an, um inanzielle Unterstützung zu
Sonderfall Österreich« zurücktreten musste. In diesem
erhalten. Jenen, die Berufe ausüben konnten, ging es aller-
hatte er über im Jahre 1947 stattgefundene Kontakt-
höchstens leidlich. Selbst die Wiener Ärzte hatten Grund
gespräche zwischen Figl und dem kommunistischen
zum Protest, wie ein Sitzstreik aus dem Jahr 1953 zeigt.
Politiker Ernst Fischer zwecks einer Regierungsumbildung
Die Ruinen des Philipphofs in der Wiener Innenstadt
und im Hintergrund die zerstörte Staatsoper waren
nach Washington beordert und Raab, der als Regierungs-
sichtbarster Ausdruck der Zerstörungen des alliierten
chef die Außenpolitik der Jahre 1953 bis 1955 maßgeblich
Luftkriegs. Im Luftschutzkeller des Philipphofs starben
bestimmen sollte, berief seinen alten Freund und CV-Bun-
während eines Luftangriffs am 12. März 1945 mehr als
desbruder Figl als neuen Außenminister in sein Kabinett,
250 Personen. Die Fenster der Geschäfte waren nach den
da er sich von ihm bessere und zielführendere Kontakte
Kriegsschäden noch in den 1950er-Jahren mit Holzbret-
zur sowjetischen Besatzungsmacht in Österreich erwartete,
tern vernagelt. Schulen mussten aufgebaut werden, um
was sich als zutreffend erweisen sollte.
wieder einen geregelten Lehrbetrieb aufzunehmen. Im
Sommer 1946 fuhr der erste österreichische Zug über die
Grenze zwischen der amerikanischen und der russischen
Zone von Salzburg nach Wien. Acht Jahre nach Ende des
Krieges war aber die Stadtbahnstation »Heiligenstadt« in
Wien beispielsweise immer noch eine Ruine.
Besonders hart trafen die Bevölkerung die extrem
harten Winter der Jahre 1946 und 1947. Bettlerinnen
25
VON DER BEFREIUNG ZUR FREIHEIT
(»Figl-Fischerei«) berichtet. Gruber wurde als Botschafter
säumten die Straßen in der Innenstadt noch Anfang der
wurde Holz für Brennmaterial gesammelt. Mitten in
1950er-Jahre. Für viele Arbeitslose und Kriegsveteranen
den Städten wurden in Parks Kartoffeln angebaut. Die
war ein Schaufensterbummel die einzige Chance, um am
Säuglingssterblichkeit lag zu Kriegsende bei über 15 %.
wirtschaftlichen Aufschwung teilzuhaben.
Die Unterernährung traf besonders die Kinder, so dass die
Die Städte waren besonders in der Nachkriegsnot
Bundesregierung zu Hilfsappellen gezwungen war. Wie
Welten der Gegensätze: Bessergestellte trafen sich zum
schon nach dem Ersten Weltkrieg reagierten wieder die
Nachmittagskaffee in der Wiener Konditorei Demel auf
Eidgenossen positiv. Über Vermittlung des Roten Kreuzes
dem Kohlmarkt, die traditionell ein Treffpunkt der elegan-
wurden noch im Herbst 1945 und in den folgenden Jahren
ten Gesellschaft war. Einfachere Schichten bevorzugten
über zehntausende sogenannte »Schweizer Kinder« in das
Gasthäuser, die sogenannten »Beisln«. Das Kaffeehaus
westliche Nachbarland gebracht, um einige Monate besser
in Wien wurde schnell wieder zur Heimat von Politikern,
ernährt und versorgt zu werden.
Literaten und sonstigen Berühmtheiten, die sich nach
Die Stellung der Frauen rückte mit Kriegsende noch
den Schrecken des Zweiten Weltkriegs bei einem »kleinen
stärker in den Vordergrund als bisher, waren diese ja schon
Braunen« in ihren Stammcafés einfanden.
in der NS-Kriegswirtschaft beispielsweise verstärkt in Rüs-
Ein weitere große Herausforderung war für Land und
tungsbetrieben zum Einsatz gekommen. Sie halfen nach
Leute der Zustrom von Menschenmassen aus dem Osten
Kriegsende nicht nur, die Trümmer des Bombenschutts zu
Europas. Millionen von Flüchtlingen, darunter Volksdeut-
beseitigen, sondern gaben auch bei den ersten Wahlen mit
sche, vormalige Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge sowie
ihren Stimmen entscheidenden Ausschlag für den Sieg der
jüdische Überlebende des Holocaust wollten in Österreich
ÖVP und die Bildung einer »Großen Koalition«, bestehend
bleiben. Sie alle irmierten unter der Bezeichnung
aus Volkspartei und Sozialisten. Frauen waren mehr denn je
»Displaced Persons«. Konnte kaum die eigene Bevölkerung
dazu gezwungen, vermehrt Männerrollen zu übernehmen.
hinreichend ernährt werden, fehlte es für die sogenannten
Sie waren nicht nur für die Kinder, sondern auch für das
»versetzten Personen« an allen Ecken und Enden. Es
Überleben der gesamten Familie verantwortlich. Im Berg-
verwundert nicht, dass es viele DPs jüdischer und anderer
werk Karlschacht in der Steiermark waren noch 1951 Frauen
Herkunft wegen der extremen Mangelverhältnisse und
damit beschäftigt, die Steine von der Kohle zu trennen.
nicht zuletzt aufgrund eines sich wieder artikulierenden
Viele Männer waren entweder im Krieg ums Leben
Antisemitismus und Fremdenhasses vorzogen, Österreich
gekommen oder in Kriegsgefangenschaft geraten. Als jene
nur als Transitland, d. h. als Übergangsstation, zu betrach-
Soldaten, die lange als vermisst gegolten hatten, nach
ten. Es verwundert auch gar nicht, dass aufgrund der
Hause zurückkehrten, waren ihre Frauen nicht selten neu
extremen Not auf allen Ebenen keine der österreichischen
liiert oder hatten wieder geheiratet – manchmal war der
Nachkriegsregierungen Aufrufe zum Zwecke erließ, ehe-
neue Mann in ihrem Leben auch ein Besatzungssoldat. Die
malige und emigrierte Österreicher zur Rückkehr ins Land
Anzahl der »Soldatenkinder«, wie die in den Jahren von
zu ermuntern bzw. diese zurückzuholen.
1946 bis 1953/55 geborenen Kinder allgemein bezeichnet
Wirtschaftlich bot im Österreich der ersten Nach-
wurden, liegt nach österreichweiten Schätzungen bei
kriegsjahre vielfach nur der Schwarzmarkt eine der
cirka 20.000. Ihre Herkunft wurde vielfach verschwiegen.
wenigen Überlebensmöglichkeiten für die überwiegend
Frauen, die sich mit den Besatzern »einließen«, wurden
hungernden Städter, während für die Landbevölkerung
mitunter von ihren Landsleuten mit Geringschätzung und
die Lebensbedingungen günstiger waren. In den Wäldern
Verachtung bedacht.
26
Auch vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges
den überwiegend katholischen Räumen Österreichs die
kamen immer noch österreichische Kriegsgefangene
traditionellen Fronleichnams-Prozessionen nicht nur zu
aus den Lagern in der Sowjetunion zurück. Frauen und
Lande, sondern in einem speziellen Fall sogar auch auf
Kinder begrüßten die Heimkehrer. Bis Ende November
dem Wasser statt, wie ein Bild vom Traunsee zeigt. Schon
1949 waren es knapp 500.000 ehemalige Kriegsgefangene,
seit Jahrhunderten wird hier die Monstranz einer alten
die den Schrecken des russischen Lagerlebens lebend
Tradition nach aus der Kirche getragen und auf ein Boot
entkommen waren. Die letzten Österreicher kamen erst
gebracht, auf dem ein Altar errichtet ist; zahlreiche weitere
im Juni 1955, nach Unterzeichnung des österreichischen
Boote bringen die Gläubigen möglichst nahe an das
Staatsvertrages, zurück.
Schauspiel heran.
Die Stimmung war in der ersten Nachkriegszeit beson-
Schon in den Nachkriegsjahren wurde Österreich von
ders gedrückt, so dass jedes Wort der Aufmunterung nottat.
Naturkatastrophen heimgesucht. Nach einem Lawinen-
Bundeskanzler Leopold Figl führte zu Heiligabend 1945
abgang im Jahr 1950 in Heiligenblut am Großglockner
in einer Ansprache aus: »Ich kann Euch zu Weihnachten
mussten überlebende Ortsangehörige und Touristen in
nichts geben. Ich kann Euch für den Christbaum, wenn
einem Notaufnahmelager untergebracht werden. Eine
Ihr überhaupt einen habt, keine Kerzen geben. Kein Stück
deutsche Schulklasse verirrte sich 1954 im Dachstein-
Brot, keine Kohle zum Heizen, kein Glas zum Einschnei-
massiv. 16 Schüler und ein Lehrer starben in einer Lawine.
den. Wir haben nichts. Ich kann Euch nur bitten: Glaubt an
Die Skiferien endeten für sie mit dieser Tragödie.
dieses Österreich!«
Die erste Währungsreform 1945 führte zu einer Geld-
Das Weihnachtsfest am Lande gestaltete sich mitunter
verknappung, als die noch gültige Reichsmark bis zu
ganz anders als in den Städten, wie Bilder aus dem Salzbur-
150 Schilling getauscht wurde und der Geldwert 1947 auf
gischen Wagrain zeigen. Am Morgen des Christtags sangen
ein Drittel absank. Bereits in diesem Jahr wurde aufgrund
Kinder am Grab von Pfarrer Josef Mohr, dem Dichter des
der hohen Inlation ein »neuer« Schilling eingeführt. Das
Liedes »Stille Nacht, Heilige Nacht«. Traditionelle länd-
Tauschverhältnis betrug drei »alte« für einen »neuen«
liche österreichische Weihnachtsbräuche beinhalteten
Schilling.
neben dem Besuch der Mitternachtsmette und einem
Der wirtschaftliche Aufschwung vollzog sich in Öster-
Weihnachtsbaum im Haus auch das Verbrennen von
reich regional sehr unterschiedlich. Während der Wieder-
Weihrauch im Stall.
aufbau in den von den Westmächten besetzten westlichen
Regionen Österreichs relativ rasch einsetzte, war der Osten
sowjetischen Besatzungszone und in der Hauptstadt
Österreichs durch die sowjetische Besatzung benachteiligt
wieder freier als unter der NS-Diktatur entfalten. Im
und geriet auch gegenüber dem Westen in Rückstand.
Wiener Stephansdom zelebrierte Erzbischof und Kardinal
Heute noch merkt man das in manchen Straßen und
Theodor Innitzer die Messe. Am Allerseelentag besuchten
Teilen Wiens. Als Symbol für den Wiederaufbau galt die
die Bewohner ihre Toten auf den Friedhöfen wie im
Fertigstellung des Tauernkraftwerkes Glockner-Kaprun,
burgenländischen Schattendorf. Diese Totenstätte war
mit dessen Bau schon vor dem Krieg von den National-
von Minenfeldern und einem Stacheldrahtverhau des
sozialisten unter Einsatz von Zwangsarbeitern aus dem
Eisernen Vorhangs umgeben. Dieser trennte von 1952 bis
Osten Europas begonnen worden war. Der Bau galt als
1989 Österreich und Ungarn sogar durch die Friedhöfe
einer der größten Staudämme in Europa und wurde erst
hindurch. Außerhalb der urbanen Zentren fanden in
durch den Einsatz von Mitteln aus dem European Recovery
27
VON DER BEFREIUNG ZUR FREIHEIT
Die katholische Kirche konnte sich im Österreich der
Programme (ERP), auch Marshall-Plan genannt, möglich,
geschuldet: Einerseits war vor dem Hintergrund des sich
der mitentscheidend für den ökonomischen Rekonstrukti-
abzeichnenden Kalten Krieges in Europa erhebliches
onsprozess war.
Konliktpotential vorhanden, andererseits aber war auch
Am 16. April 1948 unterzeichnete Österreich trotz aller
die Aufrechterhaltung eines besatzungspolitischen
Bedenken der Opposition und heftiger Kritik seitens
Balanceaktes erforderlich, was die Beibehaltung der
der Kommunisten das Abkommen der Organisation für
wirtschaftlichen Einheit des Landes begünstigen sollte.
wirtschaftlichen Wiederaufbau (OEEC) in Paris, dem
Die Sowjets protestierten zwar im Alliierten Rat gegen die
ein bilateraler Vertrag mit den USA folgte. Am 2. Juli
»beispiellose Einmischung in innere Angelegenheiten
1948 wurde dieses zwischenstaatliche Abkommen über
Österreichs« durch das ERP und die KPÖ bezeichnete
wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Österreich und
das Land gar als ein »Anhängsel an die Bizone« – das war
den USA im Sitzungssaal des Außenamts am Ballhausplatz
der 1947 erfolgte Zusammenschluss von britischer und
durch US-Vertreter John G. Erhardt, Vizekanzler Adolf
amerikanischer Besatzungszone in Deutschland – letztlich
Schärf und Außenminister Karl Gruber unterzeichnet.
wurde aber die autonome und schon als souverän zu
Österreich erhielt die Mittel als »grants« (Geschenk) und es
bezeichnende Entscheidung Österreichs von sowjetischer
gelang ihm dabei als einzigem Land, auch für die sowje-
Seite hingenommen.
tisch besetzten Gebiete zu den Geld- und Hilfsmitteln des
Politische Unabhängigkeit und wirtschaftlicher Wieder-
Marshallplans zu kommen. Im Gegenzug musste es den
aufbau waren nicht gleichzeitig zu erlangen. Die um-
Schilling stabilisieren und den Staatshaushalt möglichst
fassende amerikanische Wirtschaftshilfe und die
ausgeglichen gestalten. Der mit den USA abgeschlossene
Teilnahme Österreichs am Marshall-Plan waren nicht
ERP-Vertrag sah über die normale Dauer des Mar-
gleichzeitig mit sofortiger sowjetischer Zustimmung zum
shall-Plans von 1948 bis 1952 hinaus eine Laufzeit bis zum
Abschluss des Staatsvertrags zu erhalten. Der erfolgreiche
30. Juni 1953 vor und wurde dann noch um ein halbes Jahr
wirtschaftliche Neustart hatte für Österreich aber zunächst
verlängert. Gruber qualiizierte den Vertrag im Ministerrat
Vorrang und war Voraussetzung zur Erreichung des
weder als »gesetzesändernd« noch als »politisch«, um die
politischen Ziels der Souveränität. Die Partizipation ganz
Ratiizierung und somit das Erfordernis zur Erlangung der
Österreichs am ERP war das Nahziel. Das Scheitern der
Zustimmung seitens des Alliierten Rats zu umgehen. Dies
Moskauer Außenministerkonferenz im Frühjahr 1947
wurde so auch im Vertragstext verankert, der als einfaches
machte den Weg zum Marshall-Plan für Österreich frei
Verwaltungsübereinkommen behandelt wurde.
und sicherte westliches Wohlwollen für die späteren
Die Bevorzugung Österreichs durch einen außerordent-
Verhandlungen über den Staatsvertrag. Das von den
lich hohen Betrag an US-Fördermitteln erfolgte trotz oder
USA initiierte Europäische Wiederaufbauprogramm
gerade wegen Einbeziehung der sowjetischen Besatzungs-
funktionierte nach dem Prinzip des Gebens und Nehmens
zone in den Marshall-Plan. Politische Notwendigkeiten
zwischen zwei, wenn auch ungleichen Partnern, einem
erzwangen diese Förderung und veranlassten die USA
Hilfsbedürftigen und einem Hilfeleistenden, von dem
zur wirtschaftlichen Stabilisierung und Konsolidierung
beide gleichzeitig proitierten. Hierzu gehörte auf
dieser geostrategisch wichtigen und für Krisen anfälligen
US-amerikanischer Seite die Verzögerung des Staatsver-
Grenzregion in Westeuropa.
tragsabschlusses, weil sowjetisierend-neutralisierende
Die Tatsache also, dass Österreich so umfangreiche
ERP-Mittel erhielt, war verschiedenen Umständen
28
Tendenzen in Bezug auf Österreich auch auf Deutschland
überzugreifen drohten.
Dem ERP waren von 1945 bis 1947 bereits eine Reihe
sowohl seine Produktion als auch seinen Lebensstandard
anderer v. a. US-amerikanischer Unterstützungspro-
erheblich steigern. Bedeutsam wurde hierbei die Verwen-
gramme für Österreich vorausgegangen: Governmental
dung der Erlöse aus den sogenannten »counterpart funds«
Aid and Relief in Occupied Areas (GARIOA)-Lieferungen,
oder »Gegenwertmitteln« in Schilling. Das waren die
United Nations Relief and Rehabilitation Administration
Einnahmen aus der ERP-Hilfe bzw. die Schillingbeträge,
(UNRRA)-, Kongress-, Interims- und eine Erweiterte
die österreichische Importeure für bezogene Waren aus
Interims-Hilfe. Anstatt Wiederaufbau, Sanierung und
dem US-Hilfsprogramm auf ein Sonderkonto des Bundes
Modernisierung (»recovery« und »rehabilitation«) zu leisten,
einzahlen mussten. Diese blieben damit im Inland, über
so die Zielsetzung der US-Administration unter Präsident
deren Freigabe hatten allerdings die USA im Rahmen der
Truman, war der Marshall-Plan für Österreich in den
Economic Cooperation Administration (ECA)-Mission
ersten Jahren von 1948 bis 1950 nur ein Fürsorge- bzw.
in Wien zu entscheiden. Bis zum 31. März 1955 beliefen
Notstandsprogramm (»relief«). Der spätere Leiter des
sich 51,8 % der »counterparts« auf Industrie-Investitionen,
Wirtschaftsforschungsinstituts Franz Nemschak hielt
an der Spitze die Elektrizitätswirtschaft, gefolgt von der
rückblickend 1955 v. a. in Bezug auf den Marshall-Plan fest:
Eisen- und Stahlerzeugung, der Papier-, der eisen- und
»Ohne die großzügige Hilfe des Auslandes wäre Österreich
metallverarbeitenden Industrie sowie dem Kohlebergbau.
auf unabsehbare Zeit in tiefstes Elend gestoßen worden,
ERP-Mittel inanzierten auch ca. 80 % des Investitionsauf-
aus dem wir uns, wenn überhaupt, nur langsam, unter
wands für die Kapruner Kraftwerke. Der Marshall-Plan
größten Entbehrungen und Mühen, hätten herausarbeiten
half mit, Kaprun zu einem Mythos zu machen. Das
können.«
Tauernkraftwerk Glockner-Kaprun wurde zum Symbol des
Ökonomisch zog Österreich zunächst nicht nur aus den
österreichischen Wiederaufbaus. Österreich erhielt vom
Marshall-Plan mit 130 $ neben Norwegen die zweithöchste
auch aus quantitativen Restriktionen für den gesamten
Pro-Kopf-Rate von allen ERP-Empfängerstaaten – Island
Warenimport aus den ERP-Teilnehmerländern großen
bekam mit 209 $ die höchste Quote, die deutschen West-
Nutzen. Das Land war von Anfang an Netto-Schuldner
zonen bzw. die Bundesrepublik erhielten im Unterschied
unter den ERP-Ländern, während die deutschen Westzo-
dazu lediglich 19 $ pro Kopf! Die Güter bekam Österreich
nen (1948/49) bzw. die Bundesrepublik Deutschland ab
zur Gänze geschenkt. Im ersten ERP-Jahr 1948/49 emping
1949 sehr bald Netto-Gläubiger der übrigen europäischen
das Land mit 14 % des nationalen Einkommens den
Staaten wurden. Der volle Durchbruch in der Normalisie-
höchsten Anteil des Marshall-Plans.
rung des österreichischen Waren- und Handelsverkehrs
wurde erst Ende der 1950er-Jahre erreicht.
Der Marshall-Plan hatte zwei Seiten: Einerseits
Die Teilnahme am Marshall-Plan bewirkte andererseits
auch eine Reduzierung des Handels mit Osteuropa und die
Verplichtung zur Mitwirkung an der US-Embargopolitik
leistete das ERP einen existentiell bedeutsamen Beitrag
gegenüber der Sowjetunion und ihren Satelliten. Dies traf
zur Rekonstruktion und Innovation der Ökonomie.
Österreich insofern, als es von allen OEEC-Mitgliedern
Österreich hatte insgesamt Zahlungen in der Höhe von
den höchsten Handelsanteil mit den unter sowjetischem
über 1 Milliarde Dollar von den USA und die zweithöchste
Einluss stehenden osteuropäischen Staaten und der
Pro-Kopf-Rate von allen ERP-Empfängern erhalten und
UdSSR selbst hatte, dieser jedoch ab 1948 15 % des Außen-
somit vom Marshall-Plan kräftig proitiert. Es konnte
handels nicht überschritt. Im Kalten Krieg wurde dieser
auch im Vergleich zu anderen ERP-Teilnehmerländern
auch weiter reduziert. Dagegen stieg der Außenhandel
29
VON DER BEFREIUNG ZUR FREIHEIT
Vorteilen der Handelsliberalisierung beim Export, sondern
mit den OEEC-Ländern sowohl auf der Ein- wie auf der
Erst nach dem Krieg kam der Fall der Pfundnoten-Fäl-
Ausfuhrseite. Bei aller Betonung der Bedeutung der
schung durch das NS-Regime ans Tageslicht. In den letzten
amerikanischen Auslandshilfe gilt es auch zu beachten,
Kriegsjahren hatten die Nationalsozialisten britische
dass diese nicht viel größer als die Summe der Güter und
Pfundnoten in der Absicht gedruckt, die Wirtschaft des
Leistungen war, die die Besatzungsmächte von Österreich
Vereinigten Königreichs zu destabilisieren, was misslingen
beanspruchten und abzogen bzw. als Quasi-Reparationen
sollte. Gegen Kriegsende wurden die Kisten mit den
in die Sowjetunion transferiert wurden. Der Ressour-
Blüten im Toplitzsee versenkt und erst 1959 durch Taucher
centransfer bestand aus folgenden vier Komponenten:
entdeckt und einer erstaunten Öffentlichkeit präsentiert.
Besatzungskosten, Reparationen in Form von Demontagen
Das Verhältnis zum österreichischen Judentum war
nach Kriegsende, Reparationen aus laufender Produktion,
von den Hypotheken der Vergangenheit belastet und von
v. a. aus den sowjetischen USIA-Betrieben sowie Ablösen
schlechtem Gewissen gekennzeichnet. Bei den Verfol-
und Entschädigungen im Zusammenhang mit dem
gungen hatten Österreicherinnen und Österreicher oft
Staatsvertrag.
nur weggeschaut, wenn sie nicht sogar aktiv daran durch
Nachdem 1953 das ERP auslief, erhielt Wien noch Zu-
Denunziationen oder gar Tathandlungen beteiligt waren.
wendungen durch die US-amerikanische Mutual Security
Ein Bild zeigt Besucher der Wiener Synagoge, als an einem
Agency (MSA), wobei deren Mittel gezielt für militärische
jüdischen Feiertag Oberrabbiner Akiba Eisenberg die
Zwecke in den Westzonen zum Einsatz kamen.
jüdischen Gebetsbräuche praktiziert. Wiens Bürgermeister
Als das Holzsuchen in den Wäldern in den 1950er-Jahren
Franz Jonas und Ludwig Steiner, Staatssekretär für auswär-
endete, rundeten Spaziergänge im Wienerwald die
tige Angelegenheiten, hatten sich im Tempel eingefunden,
klassischen Wochenendaktivitäten ab. Bundespräsident
um ein Zeichen zu setzen.
Franz Jonas erklärte später den 26. Oktober 1955, den
Staatsfeiertag, zum »Wandertag«.
Über all den ungelösten Problemen der Nachkriegszeit
Der weltbekannte und in Österreich in manchen Kreisen
berühmt-berüchtigte Simon Wiesenthal, dessen Leistungen beim Ausindigmachen von NS-Tätern erst sehr spät
und dem dann mit Energie und Elan in Angriff genom-
gewürdigt wurden, war in den Kriegsjahren in verschiede-
menen Wiederaufbau traten Erinnerungen an die erlebte
nen Konzentrationslagern, zuletzt in Mauthausen, inhaf-
Geschichte aus der NS- und Kriegszeit zurück. Über
tiert. Er verbrachte nahezu sein gesamtes Leben mit der
Printmedien und Kino wurde versucht, den Menschen im
Verfolgung von nationalsozialistischen Kriegsverbrechern.
wiedererstandenen Österreich ein neues Lebensgefühl zu
Ein Bild zeigt ihn stehend vor dem Denkmal der Opfer
geben. Harmonieorientierte Heimatilme vermittelten posi-
des Nationalsozialismus, das auf dem Platz des Hotels
tive Bilder aus idyllisch anmutenden Welten. Damit wurden
»Metropol« errichtet wurde, wo sich das Hauptquartier der
die drängenden politischen und wirtschaftlichen Probleme
Wiener Gestapo befunden hatte. Die Aufschrift auf dem
ausgeblendet und belastete Vergangenheiten verdrängt.
Stein lautet: »Österreich aber ist wieder auferstanden und
Ein Denkmal für den von der Dollfuß-Diktatur zum Tode
verurteilten Sozialisten Josef Gerl, der versucht hatte, eine
Signalanlage der Donauuferbahn zu sprengen, zeigt den
nur am Rande erfolgten – ofiziell gespaltenen – Umgang
mit dem Bürgerkrieg vom Februar 1934, der das in politische Lager aufgeteilte Land zerrissen hatte.
30
mit ihm unsere Toten. Die unsterblichen Opfer«.
IV. Österreich lebt wieder auf:
oder unterdrückt worden war. Die Wiederaufnahme der
Kultur, Freizeit, Sport, Musik und Wissenschaft
Stücke von Autoren, die verboten gewesen waren, und die
[Bildteil ab Seite 171]
Wiedereinstellung von einst als politisch oder »rassisch«
untragbar angesehenen Mitgliedern kennzeichneten die
Seit Jahrhunderten ist Österreichs Kultur mit der Kultur
kulturelle Szene im Burgtheater. Es gab Versuche, wieder
Europas eng verbunden. In allen Kunstepochen hat sie
an die Tradition vor dem Ersten Weltkrieg anzuknüpfen,
bedeutende Bauwerke hervorgebracht. Zahlreiche zählen
wobei Österreichs Kultur nach 1945 grosso modo res-
heute zum UNESCO-Weltkulturerbe. In der Neuzeit war
taurativ-konservative Charakterzüge trug, was zwar dem
das Land mit der Wiener Klassik ein Zentrum des europä-
Fremdenverkehr, v. a. aus Deutschland, förderlich war,
ischen Musiklebens, was durch weltweit bekannte Kom-
gleichzeitig aber auch moderne und progressive Trends
ponisten sowie Opernhäuser, Theater und Orchester zum
abbremste. Der herrschende Zeitgeist war in dem 1946
Ausdruck kommt. Große Traditionen wie die Salzburger
konzipierten Text der neuen österreichischen Bundes-
Festspiele, das Wiener Kabarett und das Neujahrskonzert
hymne »Land der Berge, Land am Strome« erkennbar.
zeugen davon. Die Wiener Sängerknaben waren unter
Das Kabarett hatte zwischen 1938 und 1945 eine poli-
ihrem Rektor Josef Schnitt und sind heute noch neben
tisch erzwungene Pause erfahren. Trauriger Tiefpunkt war
den Schimmeln der Spanischen Hofreitschule und den
die Ermordung von Fritz Grünbaum im KZ Dachau. Nach
Mozartkugeln bekannteste Kennzeichen von Wien und
1945 lebte die Wiener Kabarett-Tradition mit Karl Farkas,
ganz Österreich. Das Kaffeehaus ist ein Speziikum der
Ernst Waldbrunn, Maxi Böhm, Gerhard Bronner, Cissy
gesellschaftlichen und politischen Kultur Wiens. Es war
Kraner oder Georg Kreisler wieder auf.
Heimat von Politikern, Literaten und Schachspielern.
Die Tradition des Opernballes erlebte nach 1945
ebenfalls eine Renaissance. Sie ging zurück auf die Zeit
nichts ändern. Das autoritäre Regime der Bundeskanzler
des Wiener Kongresses 1814/15. Der erste so genannte
Engelbert Dollfuß (1932–1934) und Kurt Schuschnigg
Opernball wurde nach der Weltwirtschaftskrise unter dem
(1934–1938) und v. a. aber die NS-Diktatur unter Adolf
Ehrenprotektorat von Bundeskanzler Schuschnigg zuguns-
Hitler stellten jedoch erste Einbrüche bzw. gravierende
ten der Winterhilfe 1934/35 veranstaltet. Seither fand er
Zäsuren für Österreichs kulturelle Entwicklung dar.
mit Ausnahme des Kriegs und der Besatzung jedes Jahr am
Friedrich Torberg beschrieb in seiner »Tante Jolesch«, dass
letzten Donnerstag im Fasching in der Wiener Staatsoper
die kulturelle Hegemonie nicht sofort nach 1918 schwand,
statt. 1956 wurde er erstmals wieder in der Nachkriegszeit
sondern noch in der Zeit der 1920er-Jahre in der Ersten
abgehalten.
Republik fortleben konnte, bis 1934 dann der Bürgerkrieg
Nach 1945 musste das Wiener Opernensemble vorerst
und der autoritäre »Ständestaat« sowie der »Anschluss«
in die Wiener Volksoper ausweichen, wo auch die ersten
1938 an NS-Deutschland dem bunten kulturellen Leben
Vorstellungen gegeben wurden. 1947 unternahm das
den Garaus bereiteten. Viele regimekritische, insbeson-
Mozart-Ensemble bereits eine Auslandstournee, die sie
dere jüdische Intellektuelle und Künstler lohen und
mit Don Giovanni nach London an die Covent Garden
emigrierten in die Schweiz, nach England oder in die USA.
Opera führte. Dort trat der vor dem Nationalsozialismus
Nach dem Zweiten Weltkrieg erwachte wieder breites
gelohene Richard Tauber als Don Ottavio auf. Er hatte sich
und vielfältiges künstlerisches Leben, das in der Zeit
damit seinen letzten großen Traum erfüllt, noch einmal
des »Tausendjährigen Reiches« als verpönt angesehen
mit der Staatsoper Mozart aufzuführen. Dabei wurde erst
31
VON DER BEFREIUNG ZUR FREIHEIT
Der Untergang der Donaumonarchie konnte an alldem
später bekannt, dass er nur noch mit einer halben Lunge
im Juli und August für fünf bis sechs Wochen statt.
auf der Bühne gesungen hatte.
Charakteristika sind der »Jedermann« auf dem Domplatz,
Neben vielen Spenden für das desolate Theater an der
Wien interessierte sich auch die sowjetische Besatzungsmacht sehr für die Wiedererrichtung der Oper und steuerte
Mozart- und Strauss-Aufführungen sowie ein ansprechendes Opern-, Konzert- und Theater-Programm.
Wien war auch, wie schon in der Zwischenkriegszeit und
Baumaterial bei. Der Wiederaufbau brauchte jedoch einige
Vorkriegszeit, Austragungsort politischer Auseinander-
Zeit: Im Jahre 1949 war erst ein Notdach über der Oper
setzungen und Unruhen, v. a. auf Hochschulboden. Erste
errichtet. Am 5. November 1955 schließlich, also nach der
Studentenkrawalle setzten im Österreich der Zweiten Repu-
Staatsvertragsunterzeichnung, konnte die Staatsoper mit
blik schon 1949 an der Universität Wien nach Zulassung
Fidelio von Ludwig van Beethoven unter der Leitung von
der schlagenden Burschenschaften ein. Den Korporierten,
Karl Böhm neu eröffnet werden. Als Besucher war auch
d. h. farbentragenden Verbindungsstudenten, die als
der amerikanische Außenminister John F. Dulles zugegen.
rechtsradikal verschrieen waren, stellten sich sozialistische
Der US-Secretary of State sprach nach seiner Rückkehr
Hochschüler entgegen, die sich – zumindest in dieser
in Washington zu Österreichs Botschafter Karl Gruber in
Situation – auch als »schlagend« erwiesen. Noch in den
anerkennenden Worten von seinem Besuch der Staatsoper.
1950er- und 1960er-Jahren dominierten der deutschnatio-
Er brachte seine besondere Freude zum Ausdruck, an
nale Ring freiheitlicher Studenten (RfS) und der katholisch-
diesem historischen Datum in Wien gewesen zu sein, was
österreichische Cartell-Verband die Universitäten.
er fast noch für wichtiger hielt als die Unterzeichnung des
Wie die politische Kultur Österreichs tief und fest in
Staatsvertrages. Er nannte das Ereignis »die Wiedergeburt
ideologische Lager aufgespalten war, so verhielt es sich
der österreichischen kulturellen Mission in voller Freiheit«.
auch bei den Sportorganisationen. Die »Arbeitsgemein-
Die Eröffnung der Staatsoper in Wien zum Zeitpunkt nach
schaft für Sport und Körperkultur in Österreich« (ASKÖ)
der Vertragsunterzeichnung erlebt zu haben war für Dulles
suchte an Vorkriegstraditionen anzuknüpfen und zeigte
von großem symbolischem Wert. Er war »greatly impressed
nun nach 1945 auch immerhin Bereitschaft, an Sport-
by the true Viennese atmosphere of the ball«. Auch der ORF
veranstaltungen bürgerlicher Vereine mitzuwirken. Die
nutzte die Eröffnung für eine seiner ersten Liveübertragun-
christlich-katholischen Vereine fanden sich in der »Öster-
gen zu einer Zeit, in der es erst etwa 800 Fernseher in ganz
reichischen Turn- und Sport-Union« (heute Sportunion
Österreich gab.
Österreich) zusammen. Ein weiterer Verband gründete sich
Herbert von Karajan führte in seiner Direktionszeit an
als »Allgemeiner Sportverband Österreichs« (ASVÖ). 1952
der Staatsoper den Grundsatz ein, Opern ausschließlich in
wurde im oberösterreichischen Wels der »Österreichische
der Originalsprache aufzuführen. Außerdem hob er das bis
Turnerbund« (ÖTB) als Nachfolger des deutsch-nationalen
dahin gültige Ensembleprinzip mit lediglich vereinzelten
Turnerspektrums reetabliert, nun allerdings mit einem
Gastsängern auf und holte die international besten Sänger
Bekenntnis zu Österreich. Der Träger des österreichischen
nach Wien, wobei eine Zusammenarbeit der Staatsoper
Sportsystems ist die seit 1969 bestehende »Österreichische
mit der Mailänder Scala zustandekam, insbesondere bei
Bundessportorganisation« (BSO).
Werken von Mozart und Richard Strauss.
Auch nach dem Krieg spielte der alpine Skilauf für das
Die Salzburger Festspiele waren und sind eine der
Selbstverständnis vieler Österreicher eine große Rolle.
berühmtesten Veranstaltungen klassischer Musik und
Toni Sailer aus Kitzbühel, der kurz vor seinem zweiten
darstellender Kunst. Seit 1920 inden sie jeden Sommer
Geburtstag die ersten Skier erhalten und damit schon sehr
32
früh mit Skisport begonnen hatte, war einer der prominen-
Ödön von Horvaths »Geschichten aus dem Wiener Wald«
testen österreichischen Skirennläufer der 1950er-Jahre.
die Marianne neben Karl Skraup als Zauberkönig spielte.
1956 gewann der »Schwarze Blitz aus Kitz« zum zweiten Mal
1951 wechselte sie ins Burgtheater, wo sie mit Josef Mein-
die Lauberhornabfahrt und siegte bei den Hahnenkamm-
rad in Stücken von Johann Nestroy mitwirkte.
rennen in Kitzbühel in Abfahrt, Slalom und Kombination.
Clemens Heinrich Krauss (1893–1954), einer der be-
1956 in Cortina d’Ampezzo schrieb der damals 20-jährige
rühmtesten österreichischen Dirigenten und Theaterleiter,
Tiroler Skisportgeschichte und gewann als erster Sportler
hatte nach zahlreichen Stationen in Deutschland und in
alle alpinen Bewerbe bei Olympischen Spielen. Er holte
Österreich in der Zeit des »Dritten Reichs« die Leitung der
drei Goldmedaillen: in der Abfahrt, im Slalom und im
Salzburger Festspiele inne. Das »außerordentliche Kon-
Riesenslalom, die auch als Weltmeisterschaftsmedaillen
zert« der Wiener Philharmoniker unter seiner Leitung am
gerechnet wurden, sowie die Goldmedaille in der
31. Dezember 1939 im Goldenen Saal des Wiener Musik-
nicht-olympischen Kombination.
vereins gilt als Beginn der Neujahrskonzerte der Wiener
Bei der Weltmeisterschaft 1958 in Bad Gastein gewann
Philharmoniker, deren Auftritte er bis 1945 dirigierte.
er Gold in Abfahrt, Riesenslalom und Kombination
Nach Kriegsende mit Berufsverbot belegt, wirkte er seit
sowie Silber im Slalom. Mit seinen drei Olympischen
1947 wieder regelmäßig an der Wiener Staatsoper, bei den
Goldmedaillen und insgesamt sieben Weltmeistertiteln
Wiener Philharmonikern und den Bayreuther Festspielen.
zählte er zu den erfolgreichsten Skirennläufern aller Zeiten.
Der gebürtige Salzburger Herbert Karajan (1908–1989),
Sailer war einer der frühen Sport-Nationalhelden und
bereits während des »Dritten Reichs« ein namhafter
erhielt beim Olympia-Empfang in der Wiener Hofburg vom
Dirigent, setzte sich gegen Kriegsende von Berlin nach
Bundespräsidenten Theodor Körner das Große Ehrenzei-
Italien zum Comer See ab. Im Jänner 1946 gab er bereits
chen für Verdienste um die Republik Österreich.
in Wien sein erstes Konzert nach Kriegsende, wurde aber
Der gebürtige Grazer Robert Stolz (1880–1975), vor
von der sowjetischen Besatzungsmacht wegen seiner
NSDAP-Mitgliedschaft mit Berufsverbot belegt, welches
Theater Graz, Kapellmeister in Marburg an der Drau, am
jedoch 1947 aufgehoben wurde. Ein Jahr darauf avancierte
Stadttheater Salzburg und musikalischer Leiter am Theater
er zum Direktor und 1949 zum Mitglied auf Lebenszeit der
an der Wien, wo er Franz Lehárs »Die lustige Witwe« zur
Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Damit begann
Uraufführung brachte, galt als letzter Meister der Wiener
eine bemerkenswerte Karriere. Karajan debütierte 1948 an
Operette. Nach 1938 war er über die Schweiz und Frank-
der Mailänder Scala und war dort wiederholt Dirigent und
reich in die USA gelangt. Eine Rückkehr in das »Dritte
Regisseur von 1948 bis 1968. 1951 dirigierte er erstmals bei
Reich« »in Ehren« lehnte er ab und ging erst 1946 nach
den Bayreuther Festspielen. 1955 wurde er Nachfolger von
Wien zurück, wo er als Dirigent und Komponist weiter
Wilhelm Furtwängler und Sergiu Celibidache als Chef-
wirkte.
dirigent der Berliner Philharmoniker. Als er diese 1955 in
Die gebürtige Wienerin Inge Konradi (1924–2002) hatte
New York dirigierte, kam es zu jüdischen Demonstrationen
erste Engagements noch während des Krieges am »Deut-
gegen Deutschland und Karajan, der jede Distanz zum
schen Volkstheater« in Wien, das nach dem Krieg nur mehr
»Dritten Reich« vermissen hatte lassen. Von 1957 bis 1964
»Volkstheater« hieß, wo sie 1948 die Jugend in Ferdinand
war er künstlerischer Leiter der Wiener Staatsoper.
Raimunds »Der Bauer als Millionär« an der Seite von Paul
Die NS- und Kriegszeit führte zu Brüchen in den Bezie-
Hörbiger oder in der österreichischen Erstaufführung von
hungen und Kontakten der Kunst- und Kulturschaffenden.
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VON DER BEFREIUNG ZUR FREIHEIT
dem Ersten Weltkrieg Opernkorrepetitor am Städtischen
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