Das Musikergehör verdient besonderen Schutz

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Revue Musicale Suisse
N°4 / Avril 2011
SSM
SMM
Schweizerische Gesellschaft für Musik-Medizin – SMM
Association Suisse de Médecine de la Musique – SMM
Associazione svizzera di medicina della musica – SMM
Präsidentin: Martina Berchtold-Neumann
Anlauf- und Beratungsstelle für Musikermedizin, Sekretariat
Rumiweg 4, 4539 Farnern Tel. 032 636 17 71, mailto: [email protected]
[email protected] – www.musik-medizin.ch
Das Musikergehör verdient besonderen Schutz
Berufsmusiker sind hohen Schallbelastungen ausgesetzt – Lärm-Grenzwerte
werden an ihren Arbeitsplätzen regelmässig überschritten. Es besteht die
­Gefahr, dass ihr Gehör darunter leidet und sogar der Beruf aufgegeben werden
muss. Mit geeigneten Massnahmen lässt sich dieses Risiko deutlich reduzieren.
Wenn sich Musiker vor der übermässigen Lärmbelastung am Arbeitsplatz
schützen sollen, tritt rasch eine besondere Schwierigkeit an den Tag: Es ist
das Ziel, ja die Berufung eines Musikers,
Musik zu machen. Dabei ist ein ausserordentlich feines und gesundes Gehör
unverzichtbar. Dieses Gehör ist aber
durch die berufliche Lärmbelastung
gefährdet. Gleichzeitig wirken sich
Lärmschutzmassnahmen direkt und
teils sehr empfindlich auf die Ausübung des Berufes aus.
Ein erhebliches Risiko geht bereits
ein, wer während vier Stunden pro
­Woche ein Blechblasinstrument spielt,
in einer Band mitspielt oder Saxophon
bläst. Etwas länger geht es, bis die kritische Grenze beim Spielen von Holzblasinstrumenten oder von Geige oder
Bratsche erreicht ist; mit diesen Instrumenten kann zehn Stunden pro Woche
gefahrlos musiziert werden.
Lärmschutz an der Quelle
Eine mögliche Massnahme zur Vermeidung von Schäden ist der Einsatz leiserer Musikinstrumente. Es ist eine Tatsache, dass die Orchesterinstrumente
seit der Klassik weiterentwickelt wurden, um lauter zu klingen. Es genügte
nicht mehr, wenn der König und der
Hofstaat die Musik hörte; das Bürgertum, das Publikum im Konzertsaal
wollte die Musik hören! Diese Entwicklung setzte sich fort bis in unsere Zeit
und wiederspiegelt sich sogar bei der
Produktion von Pop-Musik, die heute
viel lauter auf CD gebrannt wird als
noch vor zehn Jahren. Auf leise Töne
wird verzichtet, um im lauten Geschrei
der Zeit Aufmerksamkeit zu erhaschen.
Wenn sich die Aufführungspraxis
heute am Originalklang misst, besteht
die Hoffnung, dass auch die Schall­
belastung im Orchester sinkt, weil vermehrt «historisch informiert» gebaute,
leisere Instrumente erklingen. Um
nicht nur Beethovens Fünfte sondern
auch Aida oder den Sacre im neuen
Klanggewand zu schätzen, muss auch
das Publikum Hörerwartungen aufgeben und die Ohren für Neu-Altes öffnen.
Gute Akustik auch in kleinen Räumen
Sinnvoll können auch bauliche Massnahmen am Arbeitsplatz sein. Konzertsäle, Orchestergräben, Übungs-, Unterrichts- und Probenräume können mit
raumakustischen Massnahmen optimiert werden, wobei entsprechend der
Nutzung schallschluckende und reflektierende Elemente gezielt einzusetzen
sind.
Eine schallschluckende Decke gehört zur Grundausstattung jedes kleinen bis mittelgrossen Musikzimmers.
Sie schluckt einen Grossteil des freigesetzten Schalls; der Klang im Raum
wird dadurch besser verständlich und
durchhörbar. Gleichzeitig sinkt der
Schallpegel. Vor allem bei EnsembleProben schätzen Lehrpersonen eine
Die Schweizerische Interpretenstiftung (SIS)
ist von der Schweizerischen Inter­
pretengesellschaft (SIG) gegründet
worden. Die SIS nimmt ihre Aufgabe
unter anderem wahr durch Unter­
stützung bei der Umschulung von ausübenden Künstlerinnen und Künstlern, welche
aus gesundheitlichen Gründen ihren Beruf aufgeben müssen, und durch das Ergreifen
von Massnahmen zur Vermeidung und ­Linderung von Folgen von Berufs­unfällen und
Berufskrankheiten durch Gewährung von Rechtsschutz.
Webseite mit weiteren Informationen und Kontaktadressen: www.interpreten.ch
eher trockene Raumakustik. Wer in
einer Waschküche musiziert oder
­unterrichtet, setzt die Gesundheit
seiner Ohren aufs Spiel! Ebenfalls bewährt haben sich schallschluckende
Vorhänge, mit denen sich je nach
Bedarf eine oder zwei Wände des
Raumes abdecken lassen.
Plexi-Schirmen bieten im Orchester Schutz
vor dem Direktschall der Blechbläser. © SJSO
Schutz vor schwerem Blech und
Trommelfeuer
Im Handel sind ganz unterschiedliche
Modelle von Schallschutzschirmen für
den Einsatz im Orchester erhältlich.
Nicht alle sind uneingeschränkt zu
empfehlen. Flache Schirme aus schallreflektierendem Material etwa werfen
den grössten Teil des eintreffenden
Schalls wieder zurück zum Sender, was
dort wieder zu einer höheren Schall­
belastung führt. Gewölbte Schirme
bewähren sich besser, können aber
beim zu schützenden Spieler vor dem
Schirm zu Bündelungseffekten und
störenden Verfärbungen des Klangbilds
führen. Schallschutzschirme mit absorbierenden Oberflächen bieten akustisch deutliche Vorteile. Auf diesem
Gebiet ist aber noch einige Entwicklungsarbeit zu leisten, um technisch
optimierte, praktische und kostengünstige Lösungen zu finden.
Gehörschutz unbeliebt aber oft unumgänglich
Zwei Tatsachen vorweg: Den idealen
Gehörschutz für Musiker gibt es nicht.
Und: Es ist immer unangenehm, einen
Gehörschutz zu tragen.
Das Angebot an Gehörschutzmitteln
ist heute sehr vielfältig. Einfache
Schaumstoffpfropfen eignen sich aber
schlecht für Musiker. Insbesondere für
Orchestermusiker, die den Gehörschutz
nur für besonders laute Stellen tragen
wollen, sind Kunststoffpfropfen mit
speziellen Filtern besser geeignet
(«Ultratech» oder «Elacin ER 20S»). Letztere gibt es auch mit kleinerem Durchmesser, falls «der Schuh drückt».
Individuell angepasster, «otoplastischer» Gehörschutz weist sicher den
besten Tragkomfort auf. Durch den
Einsatz von Filtern wie «Elacin ER-15»
erzielen auch diese die gewünschte
Schutzwirkung bei minimalen Klangverfärbungen. Allerdings benötigt das
Einsetzen und Herausnehmen von otoplastischen Gehörschützern etwas Zeit
und Übung. Schliesslich muss die
Schutzwirkung von Otoplasten alle
zwei Jahre durch einen Spezialisten
überprüft werden.
Egal für welchen Gehörschutz Sie
sich als Musikerin oder Musiker entscheiden, Sie müssen mit einer erheblichen Eingewöhnungszeit von einigen
Wochen bis Monaten rechnen! Leider
verändert jeder Gehörschutz das
Hören, und daran müssen Sie sich
zuerst gewöhnen. Dabei hilft es, wenn
Sie den Gehörschutz nicht nur beim
Musizieren tragen, sondern auch im
Alltag, beim Einkaufen oder Fernsehen
Hörerfahrungen sammeln.
Alle vorhandenen Möglichkeiten
nutzen
Die Verhütung von Lärmhörschäden ist
eine Aufgabe für alle Personen, die am
Musikleben teilhaben und von oder mit
der Musik leben. Arbeitgeber, Intendanten, Musikschulleiter, Dozenten, Musiker, Theaterbesitzer, Schüler, Regis­
seure, Dirigenten, Musikproduzenten,
Zuhörer – sie alle müssen Wege suchen
und das Mögliche tun, damit Musiker
in ihrem Beruf nicht ihr Gehör aufs
Spiel setzen.
Wer etwas ändern will, sucht Wege.
Wer etwas verhindern will, sucht
Gründe.
Heinz Waldmann, Suva, Bereich Physik
Sicherheitsingenieur und Musiker
[email protected]
Weiterführende Links:
www.suva.ch/musikgehoer
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