For tbildung Tagklinik bei therapieresistenter Depression Ausweg aus dem Dilemma? T. Nickel Therapieresistente Depressionen sind medizinisch und ökonomisch äußerst problematisch. Oft sind die Patienten nicht in der Lage, ihren Alltag zu Hause selbstständig zu strukturieren, laufen aber bei langer stationärer Therapie Gefahr, zu lange in einem regressionsförderndem Klima zu verbleiben. Das Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München hat ein tagklinisches Konzept für diese Patienten entwickelt. 25% der Patienten weisen einen chronischen Erkrankungsverlauf auf – definiert als Phasendauer von mindestens zwei Jahren ohne zwischenzeitliche Remission der Symptomatik. Vor dem Hintergrund dieser Zahlen wird heute anders als noch vor wenigen Jahren die Depression als chronisch rezidivierende Erkrankung angesehen. Neben dem persönlichen Leiden führen depressive Erkrankungen auch zu einem erheblichen wirtschaftlichen Verlust und ziehen hohe direkte (ambulante und stationäre Therapiemaßnahmen) und indirekte Kosten (Fehlzeiten am Arbeitsplatz, Produktivitätsausfälle) nach sich. Im Jahr 1990 wurde der gesamtwirtschaftliche Verlust durch depressive Erkrankungen in den USA auf 43,7 Milliarden Dollar geschätzt. Auf indirekte Kosten wie Todesfälle, Fehlzeiten am Arbeitsplatz und verminderte Produktivität entfielen insgesamt 31,3 Milliarden Dollar (72%); unter den direkten Kosten standen Aufwendungen für stationäre Behandlungen mit 8,3 Milliarden Dollar (19%) gegenüber 2,9 Milliarden Dollar (6,6 %) für ambulante Behandlungen und 1,175 Milliarden Dollar (2,8%) für Medikamente an erster Stelle (Abb. 1). Hohe Kosten durch therapieresistente Patienten D epressive Störungen gehören zu den häufigsten und hinsichtlich ihrer Schwere am meisten unterschätzten Erkrankungen. Nach epidemiologischen Untersuchungen erfüllten 11,5 % der deutschen Bevölkerung im vergangenen Jahr die Kriterien einer mehrere Wochen bis Monate andauernden depressiven Störung. Die Lebenszeitprävalenz beträgt bei einer schweren Depression vom Typ der Major Depression etwa 17%; bei über der Hälfte der Patienten treten mehrere Erkrankungsphasen im Laufe des Lebens auf. Etwa 68 Zwei erst kürzlich erschienene Studien weisen darauf hin, dass diese hohen Kosten durch depressive Erkrankungen vornehmlich durch eine Patientengruppe bedingt sind: die Gruppe der therapieresistenten depressiven Patienten. CoreyLisle et al. schätzten die Kosten durch therapieresistente depressive Patienten im Vergleich zu depressiven Patienten ohne Therapieresistenz mehr als doppelt so hoch ein (direkte und indirekte Kosten). In einer Studie von Crown et al. wurden stationär behandelte therapieresistente Patienten von ambulant behandelten therapieresistenten Patienten sowie depressiven Patienten unterschieNeuroTransmitter 4·2003 Was ist „Therapieresistenz“? Es gibt in der Literatur unterschiedliche Definitionen für „Therapieresistenz bei depressiven Erkrankungen“. Dabei orientieren sich die verschiedenen Definitionen eher an willkürlich festgelegten Kriterien verschiedener Autoren als an empirischen Parametern. Eine der ersten Definitionen aus dem Jahr 1974 stammt von der World Psychiatric Association und beschreibt ein fehlendes Ansprechen auf die Behandlung mit einem trizyklischen Antidepressivum in einer Dosierung von mindestens 150 mg pro Tag über einen Zeitraum von vier bis sechs Wochen. Thase und Rush formulierten fünf verschiedene Grade von Therapieresistenz unter Berücksichtigung medikamentöser Behandlungen mit verschiedenen Antidepressiva sowie Elektrokrampftherapie. Die heute am meisten verwendete Definition von Therapieresistenz stammt von Souery und seinen Mitarbeitern; sie umfasst das fehlende Ansprechen einer Depression auf die BeNeuroTransmitter 4·2003 handlung mit mindestens zwei verschiedenen Antidepressiva aus unterschiedlichen Substanzklassen in ausreichend hoher Dosierung über einen Zeitraum von jeweils sechs bis acht Wochen. In den letzten Jahren wird nun zunehmend eine weitere Definition diskutiert: Therapieresistenz als Ausbleiben einer Remission der depressiven Symptomatik. Als Erklärung dieses Ansatzes führt Greden aus, dass zur Abschätzung des Erfolges einer antidepressiven Behandlung meist die Reduktion in der „Hamilton Rating Scale for Depression“ verwendet wird. Dabei wird eine Behandlung dann als erfolgreich bewertet, wenn eine über 50 %ige Reduktion im Hamilton-Gesamtscore auftritt. Dies wird als Response bezeichnet. Bei einer Remission dagegen sind keine psychopathologischen Restsymptome mehr vorhanden; dies ist erst mit Erreichen des prämorbiden Funktionsniveaus (meist durch einen Hamilton-Score unter 10 bzw. 7 Punkten) vollzogen. angesprochen hätten. In Wahrheit erreichen von diesen 70% nur etwa die Hälfte eine Remission ihrer Symptomatik. Zwischen 60% und 70% der Patienten erreichen also durch die Behandlung keine Vollremission und weisen weiterhin eine erhebliche Residualsymptomatik auf. Verwendet man das Ausbleiben einer Remission als Definitionskriterium einer Therapieresistenz, so erreicht eine Vielzahl von Patienten dieses Kriterium nicht. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass eine nicht ausgeheilte depressive Erkrankungsphase mit Residualsymptomatik der bedeutendste Risikofaktor für ein Rezidiv ist und somit den Boden für eine weitere Chronifizierung der Erkrankung bilden kann. So hatten in einer prospektiven Studie von Judd et al. diejenigen Patienten, die nach Behandlung einer depressiven Phase noch eine Residualsymptomatik aufwiesen, ein deutlich höheres Risiko für eine erneute Erkrankungsepisode gegenüber den voll remittierten Patienten. Responsekriterium zu optimistisch Symptomatik der therapieresistenten Depression Diese Definitionen machen deutlich, dass das Kriterium der Response zu einer zu optimistischen Einschätzung des Behandlungserfolgs durch Antidepressiva führt. Greden zufolge entsteht hier der Eindruck, dass bei einer Responserate von beispielsweise 70% nur 30% der Patienten auf die Behandlung unzureichend Durch welche Symptomatik zeichnen sich Patienten mit therapieresistenter Depression aus? Je nach unterschiedlicher Definition (s. o.) verbergen sich hinter diesem Begriff auch etwas unterschiedliche klinische Krankheitsbilder. So zeigen therapieresistente Patienten gemäß der Definition von Souery wei- Abb. 1 Sozioökonomische Bedeutung depressiver Erkrankungen in den USA (1990) Durch Depression verursachte Gesamtkosten: 43,7 Mrd. Dollar Verminderte Produktivität Fehlzeiten 27,7% 26,8% 19,0% 17,1% Tod durch Suizid Kosten für Medikation 2,8% den, die das Kriterium der Therapieresistenz nicht erfüllten. Unter Berücksichtigung direkter Kosten verursachten die stationären therapieresistenten Patienten etwa viermal höhere medizinische Gesamtkosten als die ambulanten therapieresistenten Patienten und über sechsmal höhere Kosten als die übrigen depressiven Patienten. Werden nur die depressionsbezogenen Kosten ermittelt, so sind die Aufwendungen für die stationär behandelten therapieresistenten Patienten achtmal höher als in der ambulanten Vergleichsgruppe und 19-mal höher als bei den nicht therapieresistenten depressiven Patienten. Dass das Phänomen der Therapieresistenz bei depressiven Erkrankungen einen erheblichen Kostenfaktor darstellt, weist indirekt darauf hin, dass die Behandlung dieser Paitenten mit großen Problemen einhergeht. Die stationäre Therapie dauert oft sehr lange und dennoch ist das Behandlungsergebnis oft unbefriedigend. Ein weiterer interessanter Aspekt der beiden Untersuchungen ist auch, dass unter den direkten (und damit durch das Gesundheitssystem beeinflussbaren Kosten) Aufwendungen für stationäre Behandlungen im Vordergrund standen. Stationäre Behandlung 6,6% Ambulante Behandlung 69 For tbildung Ta g k l i n i k b e i t h e r a p i e r e s i s t e n t e r D e p r e s s i o n terhin schwere depressive Symptome – häufig auch verbunden mit Suizidalität. Bei solchen Patienten ist es dringend indiziert, die stationäre Behandlung unter Ausschöpfung aller möglichen Therapiemaßnahmen weiter fortzusetzen. Die Patienten, die durch die Behandlung keinerlei Symptomverbesserung erfahren, stellen jedoch eher eine Minderheit dar. Viel häufiger sind Patienten, die der Definition der Therapieresistenz nach Greden entsprechen: Unter der antidepressiven Behandlung lässt sich zwar eine Verbesserung der depressiven Symptomatik erreichen, es bleibt jedoch eine deutliche Residualsymptomatik bestehen, die sich gegenüber verschiedenen Behandlungsansätzen als resistent erweist und bei stationären Behandlungen einer Entlassung des Patienten häufig entgegensteht. Häufig findet sich ein Symptombild, das durch unspezifische Müdigkeit und Erschöpfbarkeit, Antriebslosigkeit, vermehrte Ängstlichkeit sowie verringerte Belastbarkeit gegenüber Anforderungen geprägt ist. Weitere sehr häufig zu beobachtende Symptome betreffen dysfunktionale, depressiv getönte Denkabläufe und -schemata. Die Patienten haben oft ein inadäquates Anforderungsniveau gegenüber sich selbst, attribuieren positive Erfahrungen extern, fühlen sich dagegen für Misserfolge verantwortlich und können mit externer Kritik nicht umgehen etc. Diese Symptomatik kann immer wieder zu Schwierigkeiten in interpersonellen Beziehungen führen und die Reintegration ins Arbeitsleben erheblich erschweren. Ein Großteil therapieresistenter depressiver Patienten zeigt deutliche Beeinträchtigungen der kognitiven Basisfunktionen, wie beispielsweise Planungs- und Problemlösestrategien, Aufmerksamkeitsleistungen sowie Gedächtnisfunktionen. Dabei können diese kognitiven Beeinträchtigungen auch nach einer Verbesserung der affektiven Symptomatik noch andauern, bei manchen Patienten sogar über Jahre persistieren. Bei der Behandlung von Patienten mit einer solchen Residualsymptomatik stellt sich somit immer wieder das Problem, dass diese Patienten über längere Zeiträume nicht arbeitsfähig werden, da sie aufgrund ihrer kognitiven Einschränkungen den am Arbeitsplatz gestellten Anforderungen nicht genügen. Das Dilemma der therapieresistenten Depressiven In der stationären Behandlung therapieresistenter depressiver Patienten besteht folgende Grundproblematik: Eine deutliche Residualsymptomatik ist der Hauptrisikofaktor für ein Depressionsrezidiv. Das Ziel einer Behandlung bei diesen Patienten kann also nur die Vollremission der depressiven Symptomatik sein. Allerdings ergeben sich dabei häufig lange stationäre Behandlungszeiten. Neben der psychischen und finanziellen persönlichen Belastung der Patienten und ihrer Familien ist dies auch mit einem hohen gesellschaftlichen Kostenaufwand verbunden. Wird der Patient zu früh entlassen, führt die noch vorhandene Residualsymptomatik häufig dazu, dass bereits nach kurzer Zeit eine stationäre Wiederaufnahme notwendig wird. Aufgrund beispielsweise kognitiver Beeinträchtigungen sind diese Patienten meist noch nicht arbeitsfähig, verbringen den Tag zu Hause ohne die Fähigkeit ihren Alltag strukturieren zu können. Dies führt fast zwangsläufig zu einer Verschlechterung der depressiven Symptomatik mit der Gefahr zunehmender Chronifizierung der Erkrankung. Andererseits ist wiederum eine zu lange stationäre Behandlung damit verbunden, dass der Patient zunehmend alltagspraktische Fähigkeiten verliert und im regressionsfördernden Abb. 2 Wochenplan der Tagklinik für Patienten mit therapieresistenter Depression (Max-Plank-Institut für Psychiatrie, München) Montag Dienstag 9.15 – 10.15 Uhr Forum 10.00–11.00 Uhr Schwimmen/Sport 11.15–11.45 Uhr Entspannung 9.15 – 10.00 Uhr VT-Gruppe 10.00 – 12.00 Uhr Visite 13.00–13.30 Uhr Freizeit Einzelgespräche 14.00–15.30 Uhr Ergotherapie 70 Mittwoch 8.00–8.15 Uhr Ankunft/Frühstücksvorbereitung 8.15–8.30 Uhr Morgengymnastik/T´ai chi 8.30–9.00 Uhr Frühstück 9.15 – 10.15 Uhr VT-Gruppe 10.30 – 11.30 Uhr Genussgruppe Donnerstag Freitag 9.15 – 10.15 Uhr VT-Gruppe 10.00–12.00 Uhr Kochen 9.15 – 10.15 Uhr VT-Gruppe 10.30–12.00 Uhr Ergotherapie Einzelgespräche 13.00 – 13.30 Uhr Freizeit 13.00 – 15.30 Uhr Ergotherapie 12.00–13.00 Uhr Mittagessen 13.00–17.00 Uhr Ausflug 13.00 – 14.00 Uhr Themenbez. Gruppe 14.15–14.45 Uhr Entspannung 15.00–16.00 Uhr Sport Einzelgespräche 14.00–15.00 Uhr Kaffeerunde NeuroTransmitter 4·2003 Klima einer stationären Versorgung jegliche Eigeninitiative aufgibt und damit in seiner depressiven Grundhaltung eher noch verstärkt wird. Vor dem Hintergrund dieses Dilemmas könnte eine tagklinische Behandlung dieser Patienten sinnvoll sein. Hier wären gerade solche Patienten einzubeziehen, bei denen eine vollstationäre Behandlung nicht mehr notwendig beziehungsweise nicht mehr sinnvoll ist, die aber andererseits noch eine so deutliche Residualsymptomatik aufweisen, dass eine rein ambulante Behandlung nicht ausreichend erscheint. Gegenüber einer stationären Behandlung könnte dies zum einen eine kostengünstigere Behandlungsalternative darstellen, zum anderen könnte die Behandlung mit einem speziell ausgerichteten Behandlungsprogramm auch effizienter gestaltet werden. Nicht zuletzt könnten die Patienten den Kontakt zum privaten Umfeld weiter aufrecht erhalten, was gerade bei dieser Patientengruppe von enormer Bedeutung ist. Konzept einer Tagklinik Im Frühjahr 2002 wurde am MaxPlanck-Institut für Psychiatrie in München eine Tagklinik für therapieresistente depressive Patienten mit 15 Behandlungsplätzen eröffnet. Dieses Pilotprojekt ist über drei Jahre geplant und soll die Effizienz eines speziell ausgerichteten tagklinischen Behandlungskonzepts und NeuroTransmitter 4·2003 Zentrale therapeutische Prinzipien der Tagklinik — Anwendung des gesamten Spektrums antidepressiver pharmakologischer Therapieverfahren (Hochdosistherapie, AdditionsAugmentations- und Kombinationsverfahren) — Psychotherapeutische Behandlung mit kognitiv-verhaltenstherapeutischer Ausrichtung; Alltagsstrukturierung, Veränderung depressiogener Kognitionen, Selbstsicherheitstraining, Genusstraining; — Neuropsychologisches Training — Einübung von Alltagskompetenz mit Ergotherapie, Haushaltsplanung, Physiotherapie, Sportangeboten — Förderung und Betonung von Ressourcen in Projektgruppen, gemeinsame Aktivitäten — Einbeziehung der Angehörigen durch Gesprächsgruppen, Familienund Angehörigengespräche dessen unterschiedliche Behandlungselemente bei Therapieresistenz näher untersuchen. Optimierung der Pharmakotherapie: Es liegt mittlerweile ein Fülle von Lite- ratur über spezielle medikamentöse Behandlungsansätze bei Therapieresistenz vor, wie Hochdosistherapien, Augmentations- und Additionsstrategien, die als Leitlinien für Behandlungsschemata dienen. Dabei werden die Plasmaspiegel von Medikamenten beziehungsweise der Metabolisierungsstatus der Patienten ermittelt und berücksichtigt. Psychotherapeutischer Ansatz: Das kognitiv-verhaltenstherapeutische Konzept nach Hautzinger wird in der Tagklinik hauptsächlich in einem Gruppensetting durchgeführt. Bedingt durch eine langandauernde depressive Symptomatik weisen therapieresistente depressive Patienten häufig Defizite im sozialen Verhalten auf, verfügen über eine geringe Aktivitätsrate mit der Folge eines Mangels an positiven Verstärkern und Erfahrungen. Die Patienten zeigen vielfach negativistische realitätsverzerrende Kognitionen, welche das Abklingen der depressiven Symptomatik behindern. Zielpunkt der kognitiv-verhaltenstherapeutischen Intervention sind dabei Variablen, die eine depressive Symptomatik aufrecht erhalten können. Als entscheidend gelten dabei das Verhalten einer Person (z.B. Art und Umfang ihrer Aktivitäten und Sozialkontakte) und ihre Kognitionen (Wahrnehmung und Deutung von Ereignissen). Depressive Symptome werden nach diesem Modell sowohl durch gedank- 71 For tbildung liche Prozesse (Kognitionen) als auch durch den Verlust an Verstärkern (Aktivitätsrate, Fertigkeiten) bedingt. Die Häufung unangenehmer Ereignisse oder die Folgen unangemessenen Verhaltens beeinflussen dabei kognitive Strukturen und Prozesse ebenso wie bestimmte negative Erwartungen und Einstellungen. Diese haben ihrerseits wieder Auswirkungen auf die Aktivitätsrate eines Patienten, sein soziales Handeln und das Ausmaß angenehmer Ereignisse. Verhaltensübende oder kognitionsverändernde Maßnahmen sollen somatische, emotionale und motivationale Auswirkungen der Erkrankung beeinflussen. Die in der Gruppe bearbeiteten Themenbereiche werden in ärztlichen Einzelgesprächen und in der Bezugspflege vertieft. Neuropsychologie: Ein Großteil therapieresistenter Depressiver leidet unter deutlichen Einschränkungen kognitiver Funktionen wie Planen und Problemlösen, Aufmerksamkeit und Gedächtnis. Diese depressionsbedingten kognitiven Veränderungen erschweren weitere Therapieansätze wie verhaltenstherapeutische Übungen und Ergotherapie. Die Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten ist somit eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg weiterer therapeutischer Ansätze. In der Tagklinik wird bei Aufnahme eine neuropsychologische Testung durchgeführt; darauf aufbauend erfolgt ein individuell ausgerichtetes neuropsychologisches Training des Patienten. Ergo-, Beschäftigungs- und Arbeitstherapie: Die Ziele dieser therapeuti- schen Ansätze sind: Selbstständigkeit beziehungsweise Selbstversorgung, Verbesserung sozioemotionaler Fähigkeiten, Training von Belastbarkeit, Kontinuität und Stabilität. Die Ergotherapie beinhaltet dabei auch Trainingskonzepte für Alltag und Haushalt. Die Patienten, bei denen eine berufliche Wiedereingliederung angestrebt wird, erhalten zusätzlich eine Arbeitstherapie. Genussgruppe: Bedingt durch die depressive Symptomatik ist es den Patienten meist nicht mehr möglich, Dinge genussvoll zu erleben und mit positiven Konnotationen zu versehen. Als Ziele werden in der Genussgruppe der Aufbau eines spezifischen Umgangs mit potenziell Genußvollem, die Schulung der 72 Ta g k l i n i k b e i t h e r a p i e r e s i s t e n t e r D e p r e s s i o n Sensibilität aller Sinnesmodalitäten und die Aktualisierung angenehmer Vorerfahrungen verfolgt. Körperliche Aktivität: Jeden Morgen absolvieren die Patienten ein leichtes körperliches Training. Daneben können sie vielfältige Angebote wie Gymnastikgruppen, Schwimmen oder Volleyball nutzen. Entspannung: Da depressive Erkrankungen häufig auch mit innerer Unruhe und Anspannung verbunden sind erscheint es vorteilhaft, wenn die Patienten ein Entspannungsverfahren beherrschen. In der Tagklinik wird die progressive Muskelentspannung nach Jacobson zweimal wöchentlich unter Anleitung durchgeführt. Weitere therapeutische Elemente: Hierunter fallen insbesondere die Ernährungsberatung für Patienten mit Diät oder Gewichtsproblemen unter Psychopharmakotherapie, das gemeinsames Kochen und Einkaufen zur Schulung alltagspraktischer Fähigkeiten, Gespräche mit dem Sozialdienst zur Planung der beruflichen Wiedereingliederung und Unterstützung bei sozialen Problemen. Bei somatischen Problemen erfolgt eine Mitbehandlung durch den internistischen beziehungsweise neurologischen Konsiliardienst. Durch eine enge Anbindung an das Max-Planck-Institut stehen alle diagnostische Möglichkeiten der Klinik wie Kernspintomografie, Labor auch der Tagklinik zur Verfügung. Bei Verschlechterung der depressiven Symptomatik kann darüber hinaus jederzeit eine Übernahme in ein stationäres Behandlungssetting erfolgen. Ablauf in der Tagklinik Die Tagklinik ist montags bis freitags von 8.00–16.00 Uhr geöffnet. Die Patienten kommen um 8.00 Uhr morgens und bereiten gemeinsam das Frühstück vor. Von 8.15 – 8.30 Uhr folgt eine kurze Morgengymnastik; danach das gemeinsame Frühstück. Von 9.15 – 10.15 Uhr findet montags ein Forum mit der Wochenplanung (Ausflug, Verteilung verschiedener Aufgaben) statt; daneben erfolgt eine Rückschau auf das Wochenende. An den anderen Wochentagen werden verhaltenstherapeutische Themen bearbeitet wie Aktivitätsplanung mit Führen eines Wochenplans für jeden Patienten (Dienstag), kognitive Veränderung (Mittwoch) sowie soziales Kompetenztraining (Donnerstag). Dabei sind die Verhaltenstherapiegruppen als offene Gruppen konzipiert, an denen neu aufgenommene Patienten unmittelbar teilnehmen können. Am Donnerstag Nachmittag findet eine weitere Gruppe statt, bei der in Form eines Krankheitsteachings den Patienten Informationen über depressive Erkrankungen vermittelt werden. Zweimal pro Woche bestehen Sportangebote. Montag und Donnerstag wird ein Entspannungstraining durchgeführt. Jeweils Mittwochs findet die Genussgruppe statt. Donnerstags kochen die Patienten gemeinsam; an den übrigen Tagen nehmen die Patienten das Essen gemeinsam in der Kantine des Max-Planck-Instituts ein. Am Mittwoch Nachmittag findet ein gemeinsamer von den Patienten selbst geplanter und gestalteter Ausflug statt. Individuell werden Termine für neuropsychologisches Training, Betreuung durch Sozialarbeiter, internistische Visite und Angehörigengespräche vereinbart. Fazit Patienten mit depressiven therapieresistenten Störungen stehen vor einem Dilemma: Werden die Patienten früh entlassen, so drohen prognostisch ungünstige Residualsymptome; auf der anderen Seite kann zu langer stationärer Aufenthalt zu Hospitalisierungsschäden führen. Das Konzept der Tagklinik für betroffene Patienten ermöglicht den Patienten ihr gewohntes soziales Umfeld. Gleichzeitig erfolgen intensivierte Pharmakotherapie, Psychotherapie und Strategien für die Alltagskompetenz. Ob ein tagklinisches Konzept jedoch wirklich Fortschritte in der Behandlung therapieresistenter Patienten erbringen kann, muss ein langfristig angelegtes Evaluationsprogramm erst noch zeigen. Literatur beim Verfasser Dr. med. Thomas Nickel Max-Planck-Institut für Psychiatrie, Kraepelinstr. 10, 80804 München NeuroTransmitter 4·2003