160321_referat_sakib_halilovic.

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Referat von Sakib Halilovic
Seit langem leben Christen und Muslime in Europa zusammen und es gibt wenig
Grund anzunehmen, dass sich in der Zukunft etwas daran ändern sollte.
Nachbarn können viel voneinander lernen – wenn sie es wollen. Nicht bestreiten
lässt sich jedoch, dass sich der Islam und das Christentum von Anfang an, seit ihren
ersten „Berührungen“, immer auch in einer gewissen Konkurrenzsituation befanden.
Heute hat diese Konkurrenzsituation einen globalen Charakter erlangt. Die Anhänger
beider Religionen sind über den ganzen Globus verteilt und damit weltweit Nachbarn.
Teil dieser Nachbarschaft sind neben Mitgliedern weiterer Religionen auch
Menschen, die sich als agnostisch oder atheistisch bezeichnen und keiner
Religionsgemeinschaft angehören. Sowohl Christentum als auch Islam haben sich in
einer multireligiösen und weitgehend säkularisierten Gesellschaft zurechtzufinden.
Beide Religionsgemeinschaften tragen die Verantwortung, das Zusammenleben
friedlich und auf Augenhöhe zu gestalten, und beide sind mit der Herausforderung
konfrontiert, ihre Bereitschaft und eigene Ressourcen zu investieren, die
gemeinsame Lösungen alltäglicher Aufgaben ermöglichen.
Die Muslime und Musliminnen sind nicht mehr nur Nachbarn als Gastarbeitende,
sondern als Mitbürgerinnen und Mitbürger, und zwar nicht nur als einzelne Personen,
sondern auch als Familien, Vereine, Gemeinschaften mit eigenen Lebensweisen,
Strukturen und Zielsetzungen. Dies bedeutet, dass sie den öffentlichen Raum, im
weitesten Sinn des Wortes, mitgestalten wollen, natürlich zusammen mit all den
anderen Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land.
Die schweizerische Verfassung garantiert jeder einzelnen Person Religionsfreiheit
und Gewissensfreiheit. Das steht im Artikel 15 Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die
praktischen Fragen des Glaubens jedoch liegen, im Prinzip, in der Obhut der
Kantone (bei der Armee ist es anders). So legt es Artikel 72 zu Kirche und Staat fest.
Ohne die schweizerischen verfassungsrechtlichen Grundsätze detaillierter zu
analysieren, was ein separates Thema wäre, gilt es, ein zentrales Merkmal im
Verhältnis von Religion und Staat in der Schweiz hervorzuheben. In allen Kantonen
sind die traditionellen christlichen Kirchen vom Staat zumindest "öffentlich"
anerkannt. Die Kantone anerkennen in ihren Verfassungen, dass die Kirchen
wichtige Funktionen für die Öffentlichkeit wahrnehmen. Auch in Genf und Neuenburg
– den beiden Kantonen, in denen die Kirchen nur als privatrechtliche Vereine
ausgestaltet und nicht öffentlich-rechtlich anerkannt sind – hält das staatliche Recht
fest, dass die Tätigkeit der Kirchen im öffentlichen Interesse liegt. Die öffentlichrechtliche Anerkennung hat zur Folge, dass die Kantone den staatlich anerkannten
Religionsgemeinschaften einen Teil ihrer Hoheitsgewalt zukommen lassen.
Tatsache ist, dass sich Musliminnen und Muslime in der Schweiz oft in einer
schwierigen Situation befinden. Ihre Religion begegnet vielfach Argwohn und
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Ablehnung, weil sich unter Berufung auf den Islam weltweit und auch in der
europäischen Diaspora extremistische Bewegungen gebildet haben, die sich gegen
den Westen, seine Kultur und sein Rechtssystem wenden und einen politischen
Überlegenheitsanspruch ihrer Religion vertreten. Dazu kommen häufig familien- und
gemeinschaftsinterne Spannungen, die damit zu tun haben, dass in der Diaspora
traditionelle Werthaltungen mit einer modernen Lebensweise und der Rechtsordnung
des Staates kollidieren.
Gerade vor diesem Hintergrund müsste der Staat ein Interesse daran haben,
Religionsgemeinschaften nicht vollständig in den Privatbereich abzudrängen,
sondern sie als öffentliche Player zu unterstützen und auch zu kontrollieren. Denn
Religionsgemeinschaften, die demokratisch und transparent organisiert sind, bilden
ein wichtiges Bollwerk gegen Fundamentalismus und Extremismus.
Nun, wer sich „heute“ nicht mit der Situation auseinandersetzt, wird „morgen“ auf die
Probleme reagieren müssen.
Der Sonderfall Bosnien und Herzegowina
Zu Beginn meiner Ausführungen habe ich gesagt, dass Nachbarn viel voneinander
lernen können – natürlich, wenn sie es wollen. Warum ist oder könnte für uns der
„Sonderfall“ Bosnien und Herzegowina interessant sein?
Bosnien und Herzegowina ist seit Jahrhunderten Heimat und Haus der drei
monotheistischen Religionen; Judentum, Christentum und Islam. In geopolitischer,
historischer, kultureller und religiöser Hinsicht wurde das Schicksal von Bosnien
entscheidend durch die Teilung des römischen Reiches in ein Ost- und ein Westreich
geprägt, die Theodosios der Grosse im Jahr 395 durchgeführt hat. Das Gebiet von
Bosnien und Herzegowina wurde ein Grenzgebiet, an dem zwei kulturzivilisatorische
Kreise endeten und sich berührten: der lateinische bzw. römisch-katholische im
Westen und der griechisch-orthodoxe im Osten. Die Situation wurde komplexer, als
die Osmanen nach Südeuropa vordrangen. Obwohl es auch früher Kontakte und
Einflüsse gegeben hatte, trat erst mit der offiziellen Eroberung Bosniens im Jahr
1463 die lokale Bevölkerung in grösserer Zahl zum Islam über.
Die islamische Gemeinschaft (Meilensteine)
Die islamische Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina bildet die einheitliche
Organisation der muslimischen Bevölkerung in Bosnien und Herzegowina, der
Bosniakinnen und Bosniaken ausserhalb der Heimat und weiterer Musliminnen und
Muslime, die sie als ihre Organisation akzeptieren. Die islamische Gemeinschaft in
Bosnien und Herzegowina hat ihre Selbstständigkeit und Autonomie vor mehr als
120 Jahren hergestellt. Im Jahr 1882 ernannte der Schaich-al-Islam aus Istanbul
Hilmi Omerovic zum bosnischen Grossmufti und später im gleichen Jahr auch zum
Rais-al-ulema (Oberhaupt der Gelehrten).
Zur Organisation der islamischen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina
Sie ist wie eine Kirche organisiert. Der bosnische Sonderfall ist allerdings ein Produkt
der Geschichte: Als die osmanische Vorherrschaft über Bosnien 1878 in die Hände
der Habsburger wechselte, wollte Wien die Musliminnen und Muslime dem Einfluss
des Istanbuler Sultans entziehen, aus politischen Gründen. Die autonome
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Körperschaft, die damals entstand, hat sich bis heute erhalten, unterbrochen nur in
der religionsfeindlichen Frühphase Jugoslawiens.
Sie hat eine Pyramide mit demokratischer Struktur: Die Basiseinheiten
(»Dschemat«), je etwa 200 Haushalte, wählen Räte, daraus entsteht ein 83-köpfiges
Parlament, das wählt wiederum ein Exekutivorgan (Rijaset), dem unterstehen alle
Moscheen mit etwa 1400 Imamen. Sie bildet also eine muslimische
Einheitsvertretung, neben der keine anderen islamischen Organisationen bestehen.
Als solche ist sie in sich pluralistisch und umfasst traditionalistische wie
modernistische Strömungen ebenso wie Sufis.
Der Sabor (Haupt- Vollversammlung) mit 83 Mitgliedern ist eine Art Parlament, das
auch gewählte Vertreterinnen und Vertreter der Diaspora aus Westeuropa,
Nordamerika, Australien in seinen Reihen hat. Der von der Hauptversammlung
gewählte Rijaset stellt eine Art der kollektiven Präsidentschaft und Exekutive dar.
Daneben gibt es entsprechend der Gewaltenteilung auch ein Verfassungsgericht.
Nach der Verfassung der Islamischen Gemeinschaft ist die Amtszeit des Rais alulema, der als Symbolfigur der islamischen Einheit verstanden wird, auf sieben Jahre
mit einmaliger Wiederwahl begrenzt.
Auf den verschiedenen administrativen Ebenen, die nach dem Territorialprinzip
organisiert sind, gibt es jeweils gewählte Laienräte und eine geistliche Hierarchie, die
von Imamen über Hauptimame und Muftis bis zum auch als Grossmufti bezeichneten
Rais al-ulema reicht. Nach dem bosnischen Gesetz über Religionsfreiheit aus dem
Jahr 2004 hat die Islamische Gemeinschaft einen privatrechtlichen Status; sie
unterhält jedoch religiöse Schulen, erteilt Religionsunterricht und kooperiert mit dem
Staat im Bereich der Seelsorge.
Die unterste Organisationseinheit der islamischen Gemeinschaft heisst Dzemat und
umfasst normalerweise das Gebiet eines Dorfes oder mehrerer kleinerer Dörfer, in
den Städten einen Stadtteil oder einige Strassenzüge. Die Zugehörigkeit zu einem
Dzemat ist normalerweise mit der nächstgelegenen Moschee verbunden. Jeder
Dzemat hat eine eigene Generalversammlung, der alle Volljährigen, sowohl Frauen
als auch Männer, angehören. Exekutive des Dzemat ist der Moschee-Vorstand, ein
Gremium von Laien ausser dem Imam, der als Fachperson Mitglied des Gremiums
ist.
Das Organ der islamischen Gemeinschaft, das gewöhnlich das Gebiet einer
Gemeinde (oder darüber hinaus) umfasst, heisst Madschlis. Jeder Madschlis hat eine
eigene Vollversammlung, die aus den Delegierten der Basisgemeinden gebildet wird.
Die Exekutive, gewählt von der Vollversammlung des Madschlis ist ein Gremium, in
dem wiederum die Laien die absolute Mehrheit haben, nämlich zwei Drittel, während
ein Drittel Imame bzw. Religionsgelehrte sind.
Auf der Bundesebene ist die Vollversammlung (Sabor) das höchste gesetzgebende
Organ der islamischen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina. Sie
verabschiedet die Verfassung und andere Vorschriften, wählt den Rijaset (Exekutive)
und den Rais al-ulema, gründet Schulen und andere Einrichtungen, benennt und
entlässt Muftis. Die Vollversammlung konstituiert sich nach dem Territorialprinzip.
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Der Rijaset der islamischen Gemeinschaft ist das Exekutivorgan des Sabors
(Vollversammlung) mit dem Rais al-ulema an der Spitze; Mitglieder sind ausser ihm
noch sein Stellvertreter (Naibu Rais al-ulema) und Fachleute, die als solche
bestimmte Ressorts leiten. Der Rais al-ulema ist das religiöse Oberhaupt aller
Muslime in Bosnien und Herzegowina und aller Bosniakinnen und Bosniaken, die im
Ausland leben. Er wird von der Vollversammlung der islamischen Gemeinschaft
(Sabor) gewählt und repräsentiert die islamische Gemeinschaft im In- und Ausland.
Auf der Bundesebene gibt es zudem den Rat der Muftis, das oberste religiöse
Fachgremium für die Lehre und die Praxis.
Die Interpretation des Islam in Bosnien-Herzegowina
Die für den heutigen Vortrag eingeplante Zeit gestattet es nicht, detaillierter über
zivilisatorische und kulturelle Einflüsse des Islam auf dem Balkan einzugehen. Im
Folgenden sollen deshalb nur die wichtigsten Strömungen des Islam in der
Geschichte Bosniens und Herzegowinas identifiziert werden.
Die Periode der osmanischen Verwaltung hat den Charakter des Islam in Bosnien
und Herzegowina wesentlich geprägt. Der Islam verbreitete sich in Bosnien und
Herzegowina als Glaube, wandelte sich dann zum Staat und lebt heute als Kultur.
Während der osmanischen Verwaltung basierte das Rechtssystem in Bosnien und
Herzegowina
auf
dem
islamischen
Scharia-Recht.
Nichtmuslimische
Bevölkerungsteile hatten den Status von Schutzbefohlenen. Für sie waren ihre
eigenen religiösen Gerichte zuständig.
In österreichisch-ungarischer Zeit wurde das Scharia-Recht weiterhin angewendet,
wurde jedoch nach und nach auf Personalfragen, also auf Familien-, Ehe- und
Erbrecht, reduziert. 1946 schliesslich wurde das Scharia-Recht in Bosnien und
Herzegowina ganz abgeschafft.
Während der osmanischen Zeit verfassten Musliminnen und Muslime in Bosnien und
Herzegowina ihre Werke in arabischer, türkischer und selten auch in persischer
Sprache. Die österreichisch-ungarische Periode ist von aussergewöhnlicher
Wichtigkeit für die muslimische Bevölkerung in Bosnien und Herzegowina, denn mit
ihr traten sie direkt in die europäische Zivilisation ein. Sie wurden bereits damals mit
Fragen konfrontiert, mit denen sich heute muslimische Migrantengruppen in
europäischen Ländern, in Nordamerika oder in Australien auseinandersetzen.
Musliminnen und Muslime aus Bosnien und Herzegowina, die nach Mitteleuropa
emigrierten, verstanden sich bereits in ihrer ursprünglichen Heimat als europäisch,
andere nach Europa migrierte Musliminnen und Muslime kommen aus
nichteuropäischen Kulturen und werden erst in ihrer neuen Heimat mit der
europäischen Kultur konfrontiert.
Die These, dass das Christentum in Europa bzw. im Abendland beheimatet ist, der
Islam jedoch eine Religion aus dem Osten (oder Morgenland) sei, wird am besten
durch die Tatsache widerlegt, dass sowohl Christentum, Judentum als auch Islam
aus demselben Gebiet stammen. Der Islam ist in Europa seit mehr als 1000 Jahren
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auf der iberischen Halbinsel zu Hause und ausserdem in Teilen Russlands und auf
dem Balkan.
Dilemmas in der Interpretation des Islam
Die Periode des Islam in Bosnien und Herzegowina während der osmanischen
Verwaltung lässt sich als klassisch definieren. Die Musliminnen und Muslime
beschäftigten sich damals ausschliesslich mit Fragen, mit denen auch Muslime in
den übrigen Teilen des Reiches beschäftigt waren. Es entstanden in dieser Zeit auch
Werke, die die interreligiösen Beziehungen im Osmanischen Reich und die
Beziehungen mit den Christen ausserhalb des Reiches behandelten.
In der Zeit der österreichisch-ungarischen Verwaltung stellten die muslimischen
Intellektuellen Fragen wie, ob Muslime in einem Land bleiben und leben sollten, das
nicht muslimisch ist, oder ob sie es verlassen sollten, ob sie Armeedienst leisten
können, ob sie sich ausbilden sollten, wie sie im neuen Wertesystem handeln sollten
usw. usf. Antworten auf ganz konkrete Fragen wurden gesucht: Was für eine Schule
sollte es geben? Welche Kleidung sollten Frauen und Männer tragen und welche
Kopfbedeckung? Darf ein Muslim einen Hut tragen? Darf eine Muslimin
gesellschaftlich engagiert sein? Soll das islamische Recht auf Dauer abgeschafft
werden, oder soll die muslimische Bevölkerung eine eigene Gerichtsbarkeit haben?
Das waren Fragen, die die muslimischen Intellektuellen in Bosnien und Herzegowina
am Anfang des 20. Jahrhunderts bewegten.
Nach einer ersten Welle von Unsicherheit antworteten muslimische Intellektuelle
dahingehend, dass sie die Bedingungen akzeptieren sollten, in denen sie sich
befanden, und sie suchten Antworten auf Fragen, mit denen sie sich in der neuen
Umgebung konfrontiert sahen. Im neuen gesellschaftlichen, politischen und
wirtschaftlichen Milieu der österreichisch-ungarischen Verwaltung entwickelten
Musliminnen und Muslime eine Interpretation des Islam, die ihnen das Verbleiben
und eine eigene Entwicklung im Rahmen dieses Reiches ermöglichte.
Fazit
Der Islam ist in die soziokulturelle Umgebung völlig integriert und wie Judentum und
Christentum zum Allgemeingut von Bosnien und Herzegowina geworden. Die
islamische Gemeinschaft hat sich klar positioniert; ihre Aktivitäten in
Übereinstimmung mit europäischen Standards der Menschenrechte und der
religiösen Freiheiten zu realisieren. Durch die Achtung des zivilen Gesetzes und die
jahrhundertelange Erfahrung des Lebens in Verschiedenheiten könnte die islamische
Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina das Vorbild, das Modell sein!
Bosnien und Herzegowina ist der beste Beleg dafür, dass es eine europäische
Geschichte des Islam und eine islamische Geschichte Europas gibt. Die Trennung
von Staat und Religion stellt für die bosnischen Muslime seit 1878 eine unhinterfragte
Wirklichkeit dar. Zudem haben sie eine transparente demokratische
Organisationsstruktur entwickelt, die synodale und hierarchische Elemente
miteinander verbindet. Auch was die Ausbildung von Imamen betrifft, setzt die
Islamische Gemeinschaft in Bosnien Massstäbe seit 2005 hohe Anforderungen,
nämlich die Tätigkeit als Imam erfordert ein abgeschlossenes Theologiestudium.
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Schlusswort
Die schweizerische Religionspolitik gegenüber den in unserem Land lebenden
Musliminnen und Muslimen leidet an Defiziten. Eine bessere Integration der
muslimischen Bevölkerung und ihrer Werte in die Gesellschaft und in die staatliche
Religionsverfassung ist dringend notwendig. Der Staat hat seine anerkannte
Schutzaufgabe auch gegenüber religiösen Minderheiten zu erfüllen, und er hat im
Rahmen seiner Zuständigkeit für Bedingungen zu sorgen, die den
zivilgesellschaftlichen Gruppen ermöglichen, ein echtes Gespräch untereinander zu
führen und nicht in einem scheinheiligen Dialog stecken zu bleiben.
Zu den Aufgaben des Staates gehört nicht nur die Verpflichtung zur Schaffung und
Erhaltung einer Friedensordnung, sondern auch die Gestaltung seines Verhältnisses
zu den Religionsgemeinschaften. Der Staat garantiert ihnen Autonomie im Rahmen
seines Rechtes und bestimmt je nachdem ihre rechtliche Verfassung (Art. 72 Abs. 1
der Bundesverfassung). Zu den Aufgaben der staatlichen Religionspolitik gehört es
jedoch auch, der Bevölkerung möglichst viel Raum zur Entfaltung ihrer religiösen
Freiheit zu gewähren.
Der Prozess der Anerkennung des Islam im institutionellen Sinn müsste zwei Formen
haben: eine institutionell-strukturelle und eine politische Form.
Beide Formen müssten in gegenseitiger Korrelation sein. Der institutionell-strukturelle
Prozess und der Dialog sind essentiell, da sie das institutionelle Verhältnis des
Staates gegenüber den religiösen Gemeinschaften mit einschliessen. In einer
demokratischen Gesellschaft umfasst dies den empirischen, formalen und den
normativen Dialog des Staates mit den Gesprächspartnern. Das empirische
Verhältnis bedeutet, dass der Staat quantitative Befunde in der Gesellschaft als
Grundlage für seine Handlungen nimmt. Die Schweiz hat eine jahrhundertelange
Erfahrung der Zusammenarbeit mit den protestantischen, katholischen und jüdischen
Gemeinschaften, welche auf die Kooperation mit den neuen religiösen Minderheiten
übertragen werden kann. Bei der Frage der muslimischen Gemeinschaften sind die
empirischen Indikatoren besonders wichtig, da sie von der demokratischen
Gesellschaft den Schutz religiöser Minderheiten und eine Verringerung der
institutionellen und politischen Diskriminierung fordern.
Aus diesem Status ergeht eine formale und normative Zusammenarbeit des Staates
mit der religiösen Gemeinschaft. Sie umfasst mannigfaltige Segmente wie: Erziehung
(Schulen und Universitäten), Gesundheitswesen (Krankenhäuser, Pflege- und
Altersheime), Armee, Strafvollzug, humanitäre Tätigkeiten usw.
Der jetzige empirische, formelle und normative Status der muslimischen
Gemeinschaften im Rahmen des Vereinsrechts erschwert die Integration der
Muslime in die Gesellschaft, was eine verlangsamte Zusammenarbeit und
Kommunikation mit dem Staat zur Folge hat. Die Erwartung, dass die muslimischen
Gemeinschaften aus dem bestehenden rechtlichen Rahmen heraus erfolgreich die
vorhin erwähnten Projekte durchführen ist unrealistisch. Die Muslime können in
diesem rechtlichen Rahmen ihrer Handlung nicht qualitativ auf die erwähnten
gesellschaftlichen Herausforderungen antworten. Das Vereinsrecht ermöglicht zwar,
vielfältige Möglichkeiten für die Wirkungsweise religiöser Organisationen, aber diese
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Arbeit ist nicht institutionell-strukturell abgesichert durch staatliche Institutionen. Er ist
daher von sekundärer Natur und von seiner rechtlichen Seite her sehr unsicher und
unzuverlässig. All dies bedeutet, dass muslimische Gemeinschaften nicht in der Lage
sind institutionell Verantwortung zu übernehmen.
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