Zu philosophischen und theologischen Voraussetzungen

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Aus dem tschechischen übersetzt im Rahmen der Grundtvig-Lernpartnerschaft: „Interrel:– Europa für ein Miteinander
der Religionen und Kulturen – interreligiöser Dialog“ (2007 – 2009)
Übersetzung: Mgr. Zuzana Krpatova (e-mail: [email protected])
Tomáš Halík
Zu philosophischen und theologischen Voraussetzungen des interreligiösen
Dialogs
Im Rahmen der großen Änderungen unserer Welt, die wir üblicherweise als
"Globalisierung" bezeichnen, ändern sich der soziokulturelle Kontext der
Religion und damit die gesellschaftliche und politische Rolle der einzelnen
Religionen. Die Welten der einzelnen Religionen sind sich in der Geschichte
immer begegnet, sie haben sich gegenseitig durchdrungen und sind aufeinander
gestoßen - heute ist ihr Kontakt jedoch viel intensiver als früher.
Mancherorts kommt es zu Konflikten, ja sogar zu blutigen Zusammenstössen.
Wiederholt gibt es Versuche, eine Art "universelle neue Religion für alle" zu
schaffen, ein "religiöses Esperanto"; solche Versuche enden meistens als
obskure Sekten wie die Bewegung Reverends Moon. Vielerorts finden wir die
Bemühung, einfach nebeneinander zu leben, sich gegenseitig nicht zu stören,
sich gegenseitig zu tolerieren. Das ist keineswegs wenig und es ist nicht
schlecht - heute genügt es aber nicht mehr. Es ist notwendig, sich gegenseitig zu
teilen, den Dialog zu führen.
Der Dialog stellt eine neue Alternative dar, die sich von den drei vorherigen
völlig unterscheidet. Wenn wir den Dialog führen wollen, heißt es nicht nur,
dass wir nicht mehr miteinander kämpfen wollen, sondern dass wir auch die
eigenen Traditionen, die eigene Identität behalten – und dabei die
Andersartigkeit der Anderen respektieren wollen; dass wir keine Uniformität
anstreben, dass wir aber auf der anderen Seite nicht nur nebeneinander in
höflicher Gleichgültigkeit leben wollen. Wir haben Interesse aneinander – und
dieses Interesse entspringt nicht der Bemühung, den anderen umzuformen und
zum eigenen Ebenbild zu "behauen", ihn ausschließlich als Gegenstand unserer
Mission zu verstehen,
sondern der Bemühung, ihn zu verstehen. Dadurch
bringen wir unsere Überzeugung zum Ausdruck, dass es möglich ist unsere
gegenseitige Andersartigkeit als etwas zu akzeptieren und zu verstehen, was uns
nicht bedrohen muss, sondern was uns sogar gegenseitig bereichern kann. Wir
können voneinander viel lernen, ohne dass wir auf unsere eigene Identität
verzichten müssen. Wir wollen den Anderen das zeigen und anbieten, was für
uns wertvoll ist, ohne dass wir es ihnen auf irgendwelche Art und Weise
aufzwingen. Wir wollen mit Ehre ihre Spezifika verstehen, ohne dass wir auf
die eigenen verzichten müssen – wir sind aber bereit, das Risiko der
Änderungen einzugehen, die sich daraus ergeben, dass wir im Dialog sich selbst
sozusagen mit den Augen der Anderen sehen, mit einem gewissen Abstand uns
gegenüber.
In einen ehrlichen Dialog können die Menschen nur dann treten, wenn sie die
Ansichten des Anderen nicht von vornherein nur für eine Anhäufung von Lügen
und Irrtümern halten. Es ist jedoch notwendig, dass beide Seiten gleichzeitig
ihre eigenen Werte verständlich und glaubwürdig erklären und verteidigen
können. Man muss den Anderen geduldig zuhören und bemüht sein, sie zu
verstehen und besser kennen zu lernen – ein Dialog beginnt jedoch erst dann,
wenn auch wir sprechen und die Anderen zuhören. Sich nur gegenseitig
anpassen zu wollen, den anderen nachzuahmen, nur das zu wiederholen, was der
Andere sagt, oder dabei zu bleiben, was wir gemeinsam haben, das würde den
Dialog nicht wirklich wertvoll und fruchtbar machen.
Die Erfahrung des Dialogs und des vorurteillosen Kennenlernens der Welt der
Anderen macht es möglich, die eigenen Horizonte zu erweitern und den naiven
arroganten Dünkel los zu werden, wodurch sich in der Regel diejenigen
auszeichnen, die nie über ihren eigenen Tellerrand hinausgeschaut haben. Dieses
befreiende Gefühl ist jedoch mit einem gewissen Risiko verbunden. Diejenigen,
die der heutigen Praxis des interreligiösen Dialogs gegenüber reserviert und
kritisch sind, machen (nicht ohne Unrecht) darauf aufmerksam, dass die Gefühle
der Sympathie zu "den Anderen" und das Gefühl, dass wir uns zusammen doch
so gut fühlen, manchmal all zu schnell die Frage der Wahrheit überschatten.i
Hier gehen wir also von den mehr oder weniger psychologischen
Voraussetzungen des Dialogs zu den philosophischen und theologischen
Aspekten über. Weder Liebe noch Freiheit können ohne die Wahrheit bestehen;
die Begegnung der Anhänger unterschiedlicher Religionen muss tiefere Wurzeln
haben, als nur die Emotionen, wenngleich es sich um aufrichtige und sehr
positive
Emotionen
handeln
würde.
Das
gutmütige
gegenseitige
Schulterklopfen, das mit dem stillen billigen Ausverkauf der eigenen Identität
verbunden ist, wäre nur eine Karikatur des Dialogs – in der Tat würde man
dadurch die eigentliche Chance des Dialogs vergeuden.
Den Anspruch des eigenen Glaubens zu unterlassen, "in die Klammer zu setzen"
oder sogar zu negieren, dass er die Wahrheit ausdrückt und dass diese Wahrheit
den Charakter einer ernsthaften Verpflichtung hat, das hätte sehr schlechte
Folgen, auch wenn es mit edelsten Motiven getan wäre. Sollte ein Gläubiger
seine Religion nicht ernst nehmen, sollte er nicht davon überzeugt sein, dass sein
Glaube die Wahrheit zum Ausdruck bringt, dass er wahr ist, könnte er nicht
einmal von den Anderen ernst genommen werden; paradoxerweise könnte dann
nicht einmal sein erklärter Respekt zum ähnlichen Anspruch seines Partners und
seiner Religion ernst genommen werden. Das Verhältnis des Glaubens zur
Wahrheit ist nicht etwas, was wir leichtsinnig von der Hand weisen könnten.
Es gibt sicherlich einen grundlegenden Unterschied zwischen der Stellungnahme
"wir haben Recht" und der Position "nur wir haben Recht". Die Brücke, die es
ermöglicht, von einer Position zu der anderen überzugehen, stellt jedoch nicht
die billig relativistische Behauptung "jeder hat seine eigene Wahrheit" dar, wenn
man damit meint, dass an die Stelle der Wahrheit die subjektive Meinung tritt
und dass diese "relativen Wahrheiten" der einzelnen Ansichten den letzten
erreichbaren Horizont darstellen. Durch die Behauptung, dass man diese
Wahrheiten (subjektive Meinungen, Ansichten unterschiedlicher Schulen) nicht
überschreiten kann,
wären sie de facto
Relativiertheit wäre absolut gemacht".
absolut gemacht, bzw. "ihre
Würden die Dialogpartner auf die
Möglichkeit verzichten, den Horizont ihrer "subjektiven Wahrheit" (bzw.
subjektiver Wahrheiten) zu überschreiten, dann würde es heißen, dass Sie den
wichtigsten Sinn und das wichtigste Ziel des Dialogs vergessen haben.
Man muss der heute verbreiteten Parole widersprechen, das Wort "Wahrheit"
selbst, wenn man damit etwas Höheres meint als nur die Authentizität der
subjektiven Ansicht, sei als ein Wort zu streichen, das gefährlich ist, unbedingt
durch das Gift der Intoleranz durchtränkt und mit dem Sprengstoff der
potenziellen Gewalt belastet. Die Partner im wahren Dialog bagatellisieren die
Frage der Wahrheit nicht:
gerade weil sie die Wahrheit für einen so
grundsätzlichen und tiefen Wert halten, fühlen sie sich verpflichtet, jedem die
Freiheit zu gewähren, die Wahrheit nach seinem eigenen Gewissen und nach
seiner eigenen Vernunft zu suchen. Sie respektieren die Verschiedenheit der
Wege und Ansichten, sie bleiben jedoch nicht bei der Feststellung dieser
Verschiedenheit, sondern bemühen sich gerade im Dialog, in der Konfrontation
unterschiedlicher Positionen und geistiger Erfahrungen, gemeinsam den
Horizont dessen zu überschreiten, was sie bereits kennen gelernt haben, und das
"Licht der Wahrheit" mehr erstrahlen zu lassen – auch wenn sie sich dessen
bewusst sind, dass sie in dieser Welt und innerhalb der Geschichte nicht im
Stande sind, dieses Licht ganz kennen zu lernen und völlig zu umfassen, dass sie
nie zu "Inhabern der Wahrheit" werden können. Die Wahrheit ist ein Buch, das
noch keiner von uns zu Ende gelesen hat (Rocco Butiglione). Diesen nützlichen
und weisen Satz stets zu wiederholen bedeutet nicht, auf die Erkenntnis zu
resignieren, sondern eifrig "weiter zu lesen" – auch durch den Dialog mit
Anderen.
Anstatt vom Relativismus, der auf die Erkenntnis hinter dem Horizont der
subjektiven Meinung resigniert hat, ist der Perspektivismus zu verteidigen, der
anerkennt, das meine Sicht und Erkenntnis zwangsweise durch die Stelle
eingeschränkt und geprägt sind, wo ich stehe und woher ich schaue, durch all
die geschichtlichen, kulturellen, sozialen und psychologischen Einflüsse, denen
ich (oft unbewusst) ausgestellt bin, so dass meine Sicht immer schon eine
Interpretation ist (wie vor allem Nietzsche und später dann die hermeneutischen
und phänomenologischen Untersuchungen in der Philosophie des 20.
Jahrhunderts überzeugend gezeigt haben). Wenn ich diese Situiertheit und
Eingeschränktheit der eigenen Erkenntnis einsehe, kann ich umso eifriger dem
Dialog mit Anderen offen sein, dank denen ich die eigene Erkenntnis durch
gewisse Teilnahme an der Erfahrung und an der Perspektive des Anderen stets
mindestens ein wenig erweitern kann.
Der nächste Schritt besteht darin, die Tatsache zu akzeptieren, dass mein
Denken und meine Erkenntnis mit der Sprache verbunden sind, dass sie sich im
Rahmen gewisser "Sprachspiele" abspielen – d.h. man muss jene Wende in der
Philosophie ernst nehmen, den "linquistic turn", den wir vor allem Wittgenstein
und der analytischen Philosophie verdanken.
Der Perspektivismus, die Hermeneutik und die Theorie der Sprachspiele, dass
sind meiner Meinung nach die drei wichtigsten Beiträge des zeitgenössischen
philosophischen Denkens zu den philosophischen Ausgangspunkten des
interreligiösen Dialogs.
Sehen wir uns jetzt die theologischen Aspekte an:
Wenn wir uns im Bereich der Religionen bewegen, und vor allem der
"offenbarten Religionen", d.h. derjenigen, die sich die Wahrheit beanspruchen,
zu der die menschliche Vernunft und Erfahrung nicht aus ihrer eigenen Kraft
gelangt sind, sondern die die Gläubigen als ein Geschenk in der Form der
Selbstmitteilung und Selbstteilung vom Gott selbst bekommen haben, bekommt
die Frage nach der Wahrheit solchen Glaubens große Bedeutung – und es ist
kein Wunder, dass sie Gegenstand von harten Kämpfen war. Vor allem aus der
Sicht der drei monotheistischen Religionen verbirgt sich hinter dieser Wahrheit
die Autorität von Gott selbst, und der Gläubige ist durch diese
Autorität
verpflichtet, sich ihr mit dem Gehorsam des Glaubens zu öffnen und ihr
gegenüber die Treue zu bezeugen: einerseits dadurch, dass er in seinem Leben
die moralischen Gebote und die weiteren sich aus dem Glauben ergebenden
Regeln einhält, andererseits dadurch, dass er den Inhalt des Glaubens unverzerrt
bewahrt, verteidigt, weitergibt und verbreitet. Angesichts des Gesagten stellt
sich die Frage, ob es hier überhaupt Spielraum gibt für die Diskussion, für
weiteres Suchen, für den Dialog mit Anderen, ob mich die Treue der
"offenbarten Wahrheit" der eigenen Religion gegenüber nicht verpflichtet, einen
ähnlichen Anspruch und eine ähnliche Verpflichtung im voraus hart abzulehnen,
die die Gläubigen einer anderen "offenbarten Religion" gegenüber den Quellen
ihrer Offenbarung empfinden.
Ja, dieser Spielraum entsteht dort, wo dem Gläubigen bewusst wird, dass es
einen gewissen Unterschied gibt zwischen der Fülle der offenbarten Wahrheit
und der eingeschränkten menschlichen Fähigkeit, diese voll zu empfangen und
zu begreifen, und zwar sowohl durch all die bekannten Einschränkungen jedes
einzelnen Menschen, als auch durch die geschichtlichen und kulturellen
Einschränkungen
der
Gemeinschaft
der
Gläubigen
im
jeweiligen
geschichtlichen Augenblick.
Die Eingeschränktheit des einzelnen Gläubigen war immer bekannt; gerade
deshalb haben doch viele Schulen der monotheistischen Religionen die Autorität
der Gesamtheit der Gläubigen betont (im Christentum der Kirche und ihrer
Hierarchie, im Islam der Gesamtheit der Muslime – der Umma und ihrer Ulamá;
im Judentum entspricht dem das "ausgewählte Volk" und gewissermaßen auch
die Autorität seiner Lehrer) sowie die Autorität der heiligen Schriften.
Ich fühle mich weder qualifiziert noch berechtigt im limitierten Raum dieser
Überlegung zu beurteilen, wie das Judentum und der Islam mit diesem Anspruch
umgehen; ich kann nur kurz darstellen, wie damit bisher die Tradition
umgegangen ist, in der ich selbst stehe und zu der ich mich bekenne.
Im Christentum finden wir bereits im Neuen Testament einerseits viele
autoritative Aussagen Jesu selbst ("Ich bin der Weg, die Wahrheit und das
Leben"; "Wer nicht mit mir versammelt, der zerstreut", "Niemand kommt zum
Vater denn durch mich" usw.), andererseits die Apostellehre vom Jesus als dem
einzigen Vermittler zwischen Gott und Mensch; dazu kommt die (in der
katholischen Tradition) dogmatisch verankerte und in der Tradition fest
verwurzelte Lehre von der Kirche als der vollkommenen Gemeinschaft (societas
perfecta), die die Offenbarung Gottes unfehlbar und in Fülle aufbewahrt.
Nichtsdestotrotz gab es hier immer sowohl den Raum für die Unterscheidung
zwischen der Kirche als dem mystischen Leib Christi, der sich erst am Ende
aller Zeiten in der Fülle zeigt, und der konkreten geschichtlich und
soziokulturell bedingten Form der Kirche im jeweiligen geschichtlichen
Augenblick, als auch den Raum für die Anerkennung der Wirkung Gottes auch
über die sichtbaren Grenzen der Kirche hinaus. In der katholischen Kirche des
20. Jahrhunderts hat sich dieser Raum sowohl in der Theologie bedeutend
durchgesetzt, als auch in offiziellen kirchlichen Dokumenten, vor allem seit
dem 2. Vatikanischen Konzil. Dass man den Satz des heiligen Cyprian Extra
Ecclesiam nulla salus (Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil) nicht primitiv
und wortwörtlich anwenden kann, kann man durch die uralte Lehre von "Samen
des Logos" (vom Wort Gottes, Christi) unterstützen, die überall dort anwesend
sind, wo die Menschen aufrichtig nach der Wahrheit und nach dem Guten
suchen (ursprünglich vor allem in der griechischen "heidnischen" Philosophie),
sowie durch die Lehre vom Heiligen Geist, der "weht, wo er will", jedes
religiöses Suchen belebt ("in-spiriert"), die wahren Gaben der Frömmigkeit und
Heiligkeit auch hinter den Grenzen des Christentums gibt und ermöglicht, dass
diejenigen, die "ohne ihr Verschulden" Christus und Kirche nicht anerkennen,
auf anderen Wegen das Heil erlangen. Heute sind all diese Theorien fest in der
offiziellen Lehre der katholischen Kirche verankert. Manche Autoren im
Bereich der Religionstheologie (von denen Raimondo Panikkar am bekanntesten
ist) stützen sich auf die Lehre von der Dreifaltigkeit – von der Einheit und
gleichzeitig Pluralität in Gott selbst.ii Die Berechtigung der Pluralität der
Religionen anzuerkennen bedeutet nach einer Reihe von heutigen katholischen
Theologen nicht, den Glaubenssatz abzulehnen, wonach Jesus Christus (sei es
für viele "anonym") der universelle Vermittler des Heils ist und (für viele
verdeckt) die Mitte, der Anfang und das Ende der ganzen Geschichte der
Beziehungen zwischen Gott und Mensch. (Es sei an die bekannte Theorie von
Karl Rahner von "anonymen Christen" erinnert, bzw. an ihre Modifikation – an
die Theorie von Vladimír Boublík von "anonymen Katechumenen".)
Dieser implizite Christozentrismus (die Theorie, dass Christus, sei es anonym –
angebetet oder nicht angebetet – in allen aufrichtigen Wegen zu Gott anwesend
ist und ihnen durch seine Anwesenheit die Legitimität und den Heilwert erteilt)
ist wohl die extreme Position, zu der der christliche Glaube, bzw. die christliche
Theologie bei der Auffassung der Welt der Religionen gelangen können, ohne
dass sie ihre Ausgangspunkte leugnen und ihre Identität verlieren. Sicherlich
muss man jedoch damit rechnen, dass die Partner im interreligiösen Dialog diese
Sicht nicht teilen, bzw. dass sie eine ähnliche, d.h. symmetrisch gegensätzliche
Position vertreten: bereits Karl Rahner wurde von den Buddhisten gefragt, ob es
ihn stört, wenn sie auf seine Behauptung, sie seinen "anonyme Christen", damit
antworten, dass sie ihn zum "anonymen Buddhisten" erklären.
Würde sich jedoch jemand Dritter der Diskussion anschließen, die beiden
Positionen einfach für "nichts als" relativ erklären und sich selbst über die
beiden als Schiedsrichter stellen, müsste ihm der Theologe einwenden, dass
solche Position über den einzelnen Religionen keinem Menschen obliegt,
sondern nur Gott. Die heute beliebte Behauptung, dass "alle Religionen genauso
richtig sind", zeugt letztendlich vom gleichen arroganten und naiven Anspruch
des Menschen auf die göttliche Position über allen Religionen, den der naiv
fundamentalistische Exklusivismus erhebt. Kann ich tatsächlich alle Religionen
dermaßen kennen, dass ich dies behaupten kann? Wer bin ich überhaupt, dass
ich ein Urteil über alle Religionen fällen kann (wie wohlwollend es auch ist)?
Der Perspektivismus, so wie ich ihn verstehe und vertrete, ist wirklich etwas
anderes als ein billiger Relativismus, obwohl er das akzeptiert, was am
Relativismus wertvoll ist. Er erkennt die Eingeschränktheit der eigenen
Perspektive an, er ist sich der Eingeschränktheit der Perspektive des Partners
bewusst, er sieht jedoch dermaßen die geheimnisvolle unerschöpfliche Tiefe der
Wahrheit ein, dass er sich nie in die Position dessen stellt, der die ganze
Wahrheit kennt und besitzt. In diesem Sinne plädiere ich für eine Art
"methodologischen
Agnostizismus",
nicht im
Sinne
einer
skeptischen
Resignation auf die Erkenntnis der Wahrheit, sondern im Sinne des Respekts vor
dem
Geheimnis
und
der
eschatologisch
orientierten
Geduld
und
Aufgeschlossenheit dem Geheimnis gegenüber.
Die "absolute Wahrheit" ist keine Illusion, sondern ein Geheimnis – und
aussprechen kann sie nur derjenige, der dieses Geheimnis ist, das uns alle (und
unser Verständnis von Wahrheit) überschreitet. Es sei jedoch hinzuzufügen, dass
diese Behauptung selbst bereits ein Glaubensbekenntnis ist, nichts weniger und
nichts mehr.
Der Perspektivismus ist deshalb nicht dasselbe wie der Agnostizismus, er teilt
mit dem Agnostizismus einer gewissen Art – vor allem aber mit der Tradition
der sog. negativen oder apofatischen Theologie – die demütige Skepsis den
Möglichkeiten der menschlichen Vernunft gegenüber, in die Tiefe des absoluten
Geheimnisses ganz und voll zu durchdringen. Zusammen mit den Mystiken
bekennt er, dass gerade das demütige Stillwerden, die Ablehnung der Versuche,
sich des Geheimnisses aus eigenen Kräften zu bemächtigen, den Raum schaffen,
in dem ich plötzlich hören kann, wie das Geheimnis selbst zu mir spricht – und
in dem ich gleichzeitig die Achtung vor den Weisen empfinden kann, wie dieses
Sprechen "die Anderen" hören und verstehen. Wir lesen doch im Neuen
Testament, dass "viele Male und auf vielerlei Weise Gott einst zu den Vätern
gesprochen hat."
Diese Position lehnt es nicht ab, dass es theoretisch in den Möglichkeiten der
menschlichen Vernunft und der philosophischen Argumentation liegt, durch das
Nachdenken über das Sein (über die "geschaffenen Sachen") zu der Ansicht zu
gelangen, dass "es Gott gibt". Sie weiß jedoch gleichzeitig um die riesige Kluft
(die gerade die "negative Theologie" reflektiert) zwischen all unserem
Philosophieren und Benennen dieses Geheimnisses und dem Geheimnis selbst.
Der Glaube im Sinne der christlichen Theologie beruht letztendlich nicht auf
dem menschlichen Urteil über Gott, seine Existenz und Art, sondern auf der
Antwort auf seine Selbstmitteilung (Offenbarung). Des weiteren lernt uns die
Theologie, dass sowohl die Selbstmitteilung Gottes als solche, als auch die
menschliche Antwort darauf (und bereits die Möglichkeit oder Fähigkeit des
Menschen, für die Offenbarung Gottes offen zu sein, theologisch "potentia
obedentialis" genannt – diese äußerste Quelle des religiösen Fragens und
Suchens – tief im menschlichen Herzen und "Unbewußtsein" verankert)
göttliche Gaben sind, dass es eine Gnade (gratia) ist. Trotzdem ist nicht zu
vergessen, dass der menschliche Akt des Glaubens, obwohl es "Gabe der Gnade
ist", gleichzeitig ein menschlicher Akt bleibt – und als solcher ist er natürlich
unterschiedlichsten
Aspekten
der
menschlichen
Eingeschränktheit,
den
Einflüssen des kulturellen Milieus etc. ausgesetzt.
Wäre die menschliche Erkenntnis nur passiver Wachs, worin sich die göttliche
Selbstmittelung vollkommen abdrücken würde, so dass es hier keinen Raum
mehr für weiteres Fragen und Suchen, für Meditation, Interpretation, Wachstum
im Glauben oder für Zweifel und Irrtümer gibt, dann wäre jeglicher
"interreligiöser Dialog" (aber auch jedwede Theologie und geistige Reife) völlig
nutzlos – der einzige denkbare Kontakt mit Andersgläubigen wäre dann die
Bemühung, sie zu bekehren, sowie der Kampf mit Ihnen. Man kann nicht
übersehen, dass es in vielen religiösen Gruppen quer durch die Denominationen
viele Menschen gibt, die das Verhältnis der Religion zur Wahrheit und das
Verhältnis des eigenen Glaubens und des Glaubens der Anderen so einfach
"gelöst" haben. Man kann damit argumentieren, dass Gott die menschliche
Geschichte auch deshalb nicht vollendet hat, weil er den Menschen nicht wie
Wachs behandeln wollte, wie unlebendiges "Material", sondern wie einen freien
Partner – dass der Glaube ein unvollendeter Dialog zwischen Gott und Mensch
bleibt, und dass er deshalb auch Raum für den Dialog vom Glauben inmitten der
menschlichen Familie schafft.
Wenn ich die Äußerung von Pinchas Lapide lese, jeder von uns, sei er
"Hinduist, Buddhist, Muslime, Jude oder Christ, habe nur einen Zipfel der
Wahrheit, nicht mehr",
iii
höre ich fast den empörten Einwand vieler Christen:
Hätte Jesus Christus nicht von sich selbst gesagt: Ich bin die Wahrheit? Ich
antworte als ein Christ den Christen: Ja, so ist es geschrieben, so glaube und
bekenne ich es. Aber – wir sind nicht Jesus Christus. Wir dürfen uns nicht das
naiv aneignen, was Christus und nur ihm vorbehalten bleibt. Christus hat gesagt:
Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Glauben wir an ihn, sind wir
sicher in Wahrheit, aber auf dem Weg der Wahrheit, inmitten der Wahrheit, so
wie wir inmitten des Flusses des Lebens sind, wir sehen weder den Anfang noch
das Ende, wir können sie in keinem der beweglichen Augenblicke und der sich
ändernden Situationen (d.h. auch der Perspektiven) in ihrem Ganzen umfassen.
Ein zeitgenössischer Theologe hat betont, dass an Jesus Christus zu glauben, der
Zeuge der Wahrheit ist und die Fülle der Wahrheit innehat,
bedeutet zu
bekennen, dass wir nicht Jesus Christus sind, dass wir keineswegs
selbst
verneinende Zeugen der Wahrheit und deshalb auch "Inhaber" der Wahrheit
sind. Trotzdem können wir nicht auf die Wahrheit verzichten, weil sonst würden
wir die Welt bejahen, in der das einzige Entscheidungsrecht die Stärkeren
haben. "Die Wahrheit ist ein Schild gegen die Gewalt, die die Starken an den
Schwachen begehen", so Miroslav Volf, der hinzugefügt hat: "Falls dieses
Schild jedoch nicht zu einer tödlichen Waffe werden soll, muss es in der Hand
von denjenigen sein, die auf die Gewalt verzichten. (…) Die Hingabe an die
Wahrheit muss durch die Hingabe an die Nichtgewalt begleitet werden, sonst
wird die Hingabe an die Wahrheit selbst zur Quelle von Gewalt."iv
Ja, der religiöse Eifer für die Wahrheit und die leidenschaftliche Hingabe an die
Berufung, ihr Reich zu verbreiten, haben oft zur Gewalt geführt. Der Ausweg
aus dem Labyrinth der Gewaltgeschichte besteht nicht darin, auf die
Leidenschaft für die Wahrheit zu verzichten, bzw. auf den Anspruch des eigenen
Glaubens, dass er die Wahrheit beinhaltet und dass er sich zum Ganzen der
Wahrheit bezieht, sondern darin, die Versuchung konsequent abzulehnen, die
Wahrheit mit der Gewalt zu verbreiten. Wie Johannes Paul II. unermüdlich
gelernt hat, gehören die Wahrheit, die Liebe und die Freiheit untrennbar
zusammen, jeder dieser Werte fällt mit den beiden anderen.v Jeder soll das Recht
und die Freiheit haben seinen Glauben, seine Erfahrung mit der Erkenntnis der
Wahrheit zu bekennen, zu verkünden und zu verbreiten – keiner jedoch hat das
Recht, den Anderen den Glauben mit Gewalt aufzuzwingen. Die Hingabe an die
Wahrheit muss mit dem Respekt gegenüber der Freiheit der Anderen verbunden
sein, die Wahrheit nach ihrem eigenen Gewissen zu suchen.
Im Christentum gibt es noch ein bedeutendes theologisches Motiv für die
Toleranz, und mehr als die Toleranz. Es besteht im eschatologischen Charakter
des Glaubens - in seiner Konzentration auf die "letzten Sachen" (eschata), die
den Horizont all des bereits Kennengelernten und Erreichten überschreiten; und
auf das Jüngste Gericht. Jesus hat nachdrücklich seine Jünger gewarnt, dass sie
nicht all zu schnell "das Unkraut vom Weizen trennen" sollen, dass sie nicht die
Engel des Jüngsten Gerichtes spielen sollen. Durch so einen Eifer könnten sie
nämlich vieles verderben. Man muss vieles nebeneinander bis zur Ernte
wachsen lassen – und wissen, dass die endgültige Trennung des Unkrauts vom
Weizen nicht mehr unsere Sache ist.
Ähnliche weise Ermahnungen zur Geduld gegenüber der Verschiedenheit
könnten wir auch in anderen Religionen finden; man könnte z.B. ähnliche
Äußerungen aus den rabbinischen Diskussionen in Talmud zitieren.
Zum Schluss noch zwei kurze eher religionswissenschaftliche Bemerkungen.
Der "interreligiöse Dialog" ist wirklich eine viel schwierigere Aufgabe als es auf
den ersten Blick zu sein scheint. Die Verschiedenheit der Religionen erinnert an
die Verschiedenheit der Sprachen. Einige Religionen – wie die Sprachen - sind
uns näher und verständlicher als andere;
auch hier hängt der Grad der
Verständigung sowohl vom Milieu ab, in dem wir aufgewachsen sind, als auch
von unserer Lebenserfahrung und der Fähigkeit und Bereitschaft zu lernen. So
wie die Sprachen unterscheiden sich auch die Religionen in vieler Hinsicht –
z.B. durch ihre Verbreitung oder durch die Breite der Ausdrucksmittel. So wie
die Versuche, die Verschiedenheit der Sprachen durch künstliche geschaffene
Sprachen zu überwinden, sind auch die Versuche zum Scheitern verurteilt, die
religiösen Formen von Esperanto durchzusetzen – wie wir bereits gesagt haben.
Es gibt selbstverständlich die Möglichkeit von "Übersetzungen", auch sie sind
jedoch mit Problemen verbunden: jede Sprache und jede Religion ist eine
spezifisch gefärbte Auslegung der Welt, nicht nur ein Instrument des an sich
existierenden und von der Sprache und Kultur unabhängigen Weltverständnisses
– das Denken spielt sich in der Sprache und in den Modellen der
Kulturtraditionen ab. Jede Ausdrucksform einer bestimmten Religion hat
ähnlich wie jedes Wort in einer bestimmten Sprache ihr spezifisches
Bedeutungsfeld und bei den "Übersetzungen", im anderen Kontext, kommt es zu
größeren oder kleineren Verschiebungen. Die sprachliche Übersetzung ist stets
auch Interpretation, wir bewegen uns auf der Ebene von Analogien, von nicht
ganz genauen Äquivalenten – das weiß jeder erfahrene Übersetzer und
Sprachwissenschaftler und so was ähnliches – und das sollte wiederum jeder
Religionswissenschaftler wissen – geschieht auch bei der Begegnung
unterschiedlicher Religionen. vi
Ein viel sagendes Beispiel für die Probleme, die bei der Begegnung
unterschiedlicher geistiger Traditionen entstehen, ist der Begriff "Religion" an
sich. Dieser rein westliche Begriff, der in den meisten europäischen Sprachen
vom lateinischen Wort "religio" abgeleitet ist, hat kein genaues Äquivalent in
den außereuropäischen Sprachen.vii
Darüber hinaus haben sich sowohl die
Bedeutung des Wortes als auch die mit dem Wort bezeichnete Erscheinung in
der europäischen Geschichte vielmals geändert.
Die Erfindung der "Religion" als eines allgemeinen Artenbegriffes, dem die
"Gattungen" unterordnet werden können, wie Christentum, Judentum,
Buddhismus, Islam usw., ist relativ modern – sie stammt von den Cambridger
Aufklärungsphilosophen des 17. Jahrhunderts.viii Diese Auffassung des Begriffes
"Religion" in der Aufklärung unterschiedet sich sehr davon, wie man dieses
Wort früher verwendete - zuerst in der Antike, dann (wieder anders) im
Mittelalter. Die Entwicklung ist jedoch nicht einmal an der Schwelle der
Aufklärung stehen geblieben, und das Verständnis des Wortes "Religion" hat
sich weiter geändert. Z.B. im 19. Jahrhundert ist der Vater der liberalen
Theologie und der Hermeneutik Schleiermacher mit einer neuen einflussreichen
Auffassung der Religion gekommen – er hat die Religion als eine spezifische
menschliche Erfahrung vorgestellt. ix
Im Laufe der Geschichte haben sich sowohl die Versuche einer theoretischen
Auffassung der Religion geändert, als auch die gesellschaftlich-kulturelle
Erscheinung, die die Europäer vor allem vor Augen hatten, wenn sie
jahrhundertelang den Begriff Religion verwendet hatten - und zwar das
Christentum in seinen unterschiedlichen geschichtlichen Formen.
Das
Christentum hat im Laufe seiner ganzen Geschichte zahlreiche Verwandlungen
erlebt - eine Reihe von "Rekontextualisierungen" – von der winzigen jüdischen
Sekte zur offiziellen Religion des Römischen Reiches, dann vom vereinigenden
Element der immer expandierenden westlichen Zivilisation zu "einer der
Weltansichten" im Rahmen der säkularen Gesellschaft – und man kann sicher
weitere Metamorphosen des Christentums in den künftigen kulturellen und
gesellschaftlichen Kontexten erwarten.
Die Tatsache, dass die Europäer ihren Begriff "Religion", der durch
Vorstellungen erfüllt ist, die sich aus ihrer Erfahrung mit dem Christentum
ergeben hatten (darüber hinaus nur mit dem Christentum ihrer Zeit), auf die
unübersichtliche Anzahl der Elemente der außereuropäischen Kulturen bezogen
hatten - die sie dann als "Hinduismus" oder "Buddhismus" bezeichnet hatten hängt auch mit ihrer nicht ganz unproblematischen eurozentrischen Sicht der
Welt zusammen. Die ersten europäischen "Entdecker" neuer Kontinente haben
ganz einfach vorausgesetzt, dass es dort "so was wie Christentum" geben muss
und entsprechend dieser Erwartung haben sie dann in ihren Köpfen viele
Erscheinungen verarbeitet und "behaut", denen sie dort begegnet sind, und die
sie irgendwie an ihre eigene Religion erinnert haben.x
Die Frage, ob es richtig ist, den Buddhismus und Hinduismus zu "Religionen"
zu zählen, haben einige protestantische dialektische Theologen des XX.
Jahrhunderts durch ihren Zweifel noch komplizierter gemacht, ob das
Christentum eine Religion ist: nach Karl Barth stellen der christliche Glaube und
die Religion vielmehr Gegensätze dar.
Die Religionswissenschaftler haben sich längst damit abgefunden, dass sie nie
eine allgemein verbindliche Definition der Religion finden, und sie widmen sich
lieber der Aufdeckung, Beschreibung und Interpretation weiterer Formen
dessen, was sich entweder selbst als Religion bezeichnet, oder was mit dem, was
man gewöhnlich als Religion bezeichnet, gewisse gemeinsame Züge hat.
Darüber hinaus ist festzustellen, dass die "Religion im Singular" nur ein
akademisches Konstrukt ist - in der Tat gibt es nur viele unterschiedliche
Religionen. Dazu ist jedoch hinzuzufügen, dass es "in der Tat" nicht einmal
"religiöse Systeme" gibt wie Buddhismus, Hinduismus, Islam etc. – dass es sich
auch dabei um mehr oder weniger akademische Konstrukte handelt, die eine
ganze Skala äußerst bunter Elemente einem Begriff unterordnen.
Das, was bei dem Studium der Religionsgeschichte mit Recht die größte
Verwunderung erzeugt, ist gerade die Dynamik, Flexibilität, Variabilität der
meisten Religionen; die Religionen erleben im Laufe der Geschichte ständigen
Wechsel
zwischen
Aufschwung
und
Zerfall,
zwischen
Krisen
und
Erneuerungsbewegungen. Es ist die Geschichte gegenseitiger Begegnungen,
Konflikte und Zusammenschlüsse vieler unterschiedlicher Elemente einzelner
Religionen. Es handelt sich - bis auf Ausnahmen - um ständiges gegenseitiges
Durchdringen unterschiedlicher geistiger Welten.
Zum interreligiösen Dialog gehört die Bemühung, nicht nur die abstrakten
Systeme und "Idealtypen" kennen zu lernen ("Buddhismus", "Islam",
"Judaismus"), sondern lebendige Menschen – Buddhisten, Muslime, Juden.
Wenn wir ihren Lebens- und Denkstil, ihre Gewohnheiten und Stellungnahmen
verstehen wollen, müssen wir die Quellen der Traditionen kennen, von denen sie
ausgehen, vor allem dann die primären heiligen Texte. Ohne diese Kenntnis der
Ausgangpunkte und des kulturellen Kontextes können wir nämlich manchmal
naiv Ähnlichkeit oder Gleichheit dort voraussetzen, wo sie in der Tat nicht sind,
wo wir nur das hinprojizieren, was uns selbst eigen ist. Dann kommt es oft zu
peinlichen
Missverständnissen,
bzw.
(hinter
der
Fassade
gutmütigen
Wohlwollens) zur arroganten "Übertragung des Fremdem auf das Eigene", zur
Missachtung der Eigenartigkeit des Anderen.
Es ist unentbehrlich, dass sich die Gläubigen unterschiedlicher Religionen nicht
nur in der künstlichen Welt der internationalen Konferenzen gegenseitig kennen
lernen, sondern auch in ihrer natürlichen Umwelt, dort, wo sie zuhause sind.
Man muss damit rechnen, dass der Dialog immer mehr Fragen als Antworten
bringt. Der Dialog bringt den Menschen oft dazu, dass er nachträglich über die
Sachen tiefer nachdenkt, die für ihn bisher selbstverständlich waren und die er
erst beim Gespräch mit Anderen zum ersten Mal im anderen Licht gesehen hat,
mit neuen (fremden) Augen. Das bringt sowohl neue Chancen, als auch neue
Risiken – der Dialog ist jedoch dermaßen notwendig, dass diese Risiken in
Kauf zu nehmen sind.
i
ii
Panikkar R., The Trinity and the religious experience of man, New York 1998; von der Bedeutung der Dreifaltigkeit
für den interreligiösen Dialog siehe auch Pan Chiu-Lai, Towards a Trinitarian Theology of Religion. Kok Pharos,
Kampen 1994
iii
Lapide P., Panikkar R., Meinen wir denselben Gott?, Verlag Kösel 1994
iv
Volf M., Odmítnout nebo obejmout, Prag 2005, S. 202-204
v
vgl. z.B. Johannes Paul II., Fides et Ratio oder Tertio millenio adveniente, 1995
vi
vii
Zum Begriff der Religion siehe Feil E. (Hrsg.), Streitfall „Religion“. LIT, Münster 2000
vgl. Lash N., The Beginning and the End of Religion. Cambridge University Press, 1996, S. 3-25
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Schleiermacher F.D., Über die Religion, Hamburg 1958
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Mehr davon: Halík T., Vzýván i nevzýván. Verlag Lidové noviny, Prag 2004
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Curriculum vitae
Prof. PhDr. Tomáš Halík Th.D.
(Ausführlich und weitere Informationen: www.halik.cz)
Tomáš Halík ist katholischer Priester in der vorwiegend agnostischen Tschechischen Republik. Den Kommunisten galt
der ehemalige Berater Vaclav Havels als „Feind des Regimes“.
In den 60. Jahren Studium der Soziologie, Philosophie und Psychologie an der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität in Prag.
Bis 1989 durfte er aus politischen Gründen nicht als Hochschuldozent tätig sein und war in unterschiedlichen Berufen tätig, zuletzt als
Psychotherapeut der Drogenabhängigen. In den 70. Jahren war er in den sog. "illegalen Strukturen der katholischen Kirche" aktiv,
studierte Theologie und wurde in der ehemaligen DDR geheim zum Priester geweiht; in den 80. Jahren gehörte er zu den nächsten
Mitarbeitern von Kardinal Tomášek.
Erst nach der Wende durfte er öffentlich an der Universität, in der Kirche und in den Medien auftreten. Er hat das Postgradualstudium
an der Päpstlichen Lateranuniversität in Rom absolviert und sich für praktische Theologie in Breslau und für Soziologie in Prag
habilitiert. In den Jahren 1990-93 war er Generalsekretär der tschechischen Bischofskonferenz; Johannes Paul II. hat ihn zum
Konsultoren des Päpstlichen Rates für den Dialog mit Nichtaglaubenden ernannt.
Nun ist er Soziologieprofessor an der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität in Prag, Rektor der Universitätskirche St. Salvator in
Prag und Präsident der Tschechischen christlichen Akademie.
In den letzten neun Jahren hat er auf Einladung von vielen Universitäten Vortrags- und Studienreisen in Europa, USA, Lateinamerika,
Indien und Japan absolviert. Er war als Gastprofessor an den Universitäten in Pittsburgh, Oxford (2001) und Cambridge (2003) tätig. Er
ist Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste sowie von vielen anderen ausländischen wissenschaftlichen
Gesellschaften, er hat viele Bücher und Artikel im In- und Ausland veröffentlicht. Es wurden ihm der amerikanische Preis der Toleranz
für 2002 und der österreichische Kardinal-König-Preis für 2003 verliehen. Er war ein externer Berater des tschechischen
Staatspräsidenten Václav Havel.
Er engagiert sich im öffentlichen Leben, in den Bürgerinitiativen und in den Medien, spricht sich für die Toleranz und für den Dialog
unter den Angehörigen verschiedener Völker, Rassen, Religionen und politischer Gruppen aus, nimmt zu den Fragen der politischen,
wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Ethik Stellung. In seiner wissenschaftlich-pädagogischen Arbeit konzentriert er sich vor allem
auf die Religionsphilosophie und Religionssoziologie.
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