44 rubin | winter 11 Abb. 1: Dr. Dominik Bomans und Peter-Christian Zinn blicken in unendliche Ferne – hier auf dem Dach des Gebäudes NA mit einem kleinen Teleskop. 45 Astronomen entdecken ersten rasenden Stern außerhalb der Milchstraße Der schnellste Stern im Universum Auf der Suche nach ihrer Spezialität – bisher unbekannten „Geistergalaxien“ – haben RUB-Astronomen einen Sensationsfund gemacht: Sie entdeckten einen rasend schnellen massereichen Stern, den ersten außerhalb unserer eigenen Galaxie. Und er ist auch noch der schnellste, den man bisher nachweisen konnte. 850 Kilometer pro Sekunde muss er mindestens zurückgelegt haben, bevor er in einer Supernova verendet ist. Die Bochumer Astronomen sind auf dem Gebiet der Low Surface Brightness (LSB-) Galaxien weltweit als Spezialisten bekannt. „Ich nenne sie ‚Geistergalaxien‘“, sagt Priv.Doz. Dr. Dominik Bomans (Abb. 1), „weil sie so dunkel sind, dass man sie eigentlich gar nicht sieht.“ Letzteres ist natürlich bei der Suche problematisch. Wie kommt man einer solchen Galaxie auf die Spur? Die RUB-Forscher nehmen den indirekten Weg. Aus dem Sternberg Astronomical Institute Supernova Catalogue, einem Verzeichnis aller Sternexplosionen der letzten Jahrzehnte, suchen sie solche Supernovae, Explosionen massereicher Sterne mit extremer Helligkeit, die praktisch im Nichts stattgefunden haben. „Wenn ein massereicher Stern irgendwo fernab von einer bekannten Galaxie explodiert, ist das für uns ein Rätsel“, erklärt Peter-Christian Zinn, Stipendiat der RUB Research School. Denn Sterne entstehen nicht aus dem Nichts. Sie brauchen Materie, also Gas und Staub, weswegen sie normalerweise in Galaxien entstehen. Ein möglicher Grund für ihre rätselhafte (scheinbare) Einsamkeit ist eine LSB-Galaxie: „Das würde heißen, dass der Stern gar nicht weit entfernt von einer Galaxie explodiert wäre, sondern einfach in einer, die man bisher nicht kannte“, erklärt Dr. Bomans. Die Forscher suchten fünf solcher Fälle aus dem Katalog heraus, um sie genauer zu untersuchen. Sie beantragten Beobachtungszeit beim Calar Alto Observatori- um in Andalusien. Mit den dortigen Teleskopen des Deutsch-Spanischen Astronomischen Zentrums kann man den Himmel der nördlichen Halbkugel beobachten. Ein paar Monate später war es soweit. Die Astronomen richteten den Blick auf genau die Orte, an denen Supernovae massereicher Sterne stattgefunden hatten, die aber weit entfernt von einer bekannten Galaxie lagen. Sie beobachteten je zwei Stunden lang diese Stellen – so lange, dass sie die dunkelste bekannte LSB-Galaxie hätten finden können. In keinem der fünf Fälle fanden sie tatsächlich LSB-Galaxien als ehemalige Heimat der explodierten Sterne – denn die Selektionskriterien für diese fünf waren bereits ausgewählt, um eher unsichere Kandidaten zu überprüfen. In der Vergangenheit haben die RUB-Astronomen aber durchaus solche Fälle dokumentiert, beispielsweise die Supernova 2009Z (Abb. 2). Abb. 2: LSB-Galaxie N271, Heimat des Sterns, der am 2. Februar 2009 als Supernova 2009Z explodierte (der Pfeil zeigt den Ort der Explosion). Weitere Beobachtungen von N271 zeigten, dass es sich um eine extreme LSB-Galaxie handeln muss, da sie nicht nur dunkel ist, sondern auch, verglichen mit der Masse ihrer Sterne, praktisch nur aus Wasserstoff-Gas besteht. 46 rubin | winter 11 Abb. 4: Die Bugwelle von ζ Ophiuchi, aufgenommen mit dem Infrarot-Satelliten WISE. Der Stern hat eine Geschwindigkeit von „nur“ 24 km/s. Verglichen mit unserem superschnellen Stern, der 850 km/s zurücklegt, ist das sehr wenig. Deren Vorgänger-Stern war in einer extremen LSB-Galaxie mit dem Kurz-Namen N271 beheimatet und nicht in einer hellen Spiralgalaxie ganz in der Nähe, wie zuvor angenommen. Wenn aber die LSB-Galaxie als Erklärung ausscheidet, was sind das dann für Sterne, die auch nach langen Beobachtungen keiner Galaxie zugehörig scheinen? Die Detektivarbeit ging weiter. „Wenn man die extrem unwahrscheinliche Möglichkeit weglässt, dass ein massereicher Stern wirklich aus dem Nichts entstehen kann, gibt es zwei weitere mögliche Gründe für eine solche Supernova“, erklärt Dr. Bomans die Überlegungen der Wissenschaftler. „Einerseits kann es sein, dass die nächste bekannte Galaxie größer ist als bisher angenommen, sodass der massereiche Stern entgegen dem ersten Anschein doch innerhalb ihrer Ausläufer lag. Andererseits ist es möglich, dass der Stern sich im Lauf seines Lebens sehr weit von seiner Geburtsgalaxie entfernt hat.“ Um diese These zu prüfen, zogen die Astronomen zunächst neben optischen Aufnahmen der entsprechenden Himmelsbereiche auch UV-Bilder und Beobachtungen der Radiowellen heran. Und tatsächlich Abb. 3: Die Galaxie NGC 1058, in der der massereiche Stern lag, der als Supernova 1969L explodierte, ist weit größer als es bisher den Anschein hatte. Auswertungen der UV- und Radiowellen ergaben große Ausläufer weit jenseits des optisch sichtbaren Zentrums der Galaxie. (Pfeil: Ort der Supernova 1969L) 47 Abb. 5: Hier starb der schnellste bisher bekannte Stern im Universum, weit entfernt von seiner Ursprungsgalaxie. Nach der Supernova 2006bx ist nichts mehr von ihm zu sehen. Verbleibende Gaswolken oder ein Neutronenstern als Überrest sind nicht erkennbar, dafür ist 2006bx schlicht zu weit von der Erde entfernt. zeigte sich in einem Fall, dass die nächste bekannte Galaxie weitaus größer ist als es auf dem optischen Bild schien (s. Abb. 3). Doch ein Fall blieb weiter ungelöst: Der Vorläufer-Stern der Supernova 2006bx blieb heimatlos. „Er ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein superschneller Stern, ein so genannter Hyper Velocity Star“, folgert Peter-Christian Zinn. Solche Sterne nehmen vermutlich eine extrem hohe Geschwindigkeit auf, wenn sie besonders nah am zentralen Schwarzen Loch einer Galaxie vorbeifliegen. „Diesen Effekt der Beschleunigung durch den Vorbeiflug an einem anderen, sehr viel massereicheren Objekt macht man sich auch in der Raumfahrt zunutze, wenn man z.B. Raketen auf eine Raumflugmission bringen will. Dann lässt man sie etwa durch den nahen Vorbeiflug an Jupiter zusätzlich Fahrt aufnehmen.“ In unserer eigenen Galaxie hat man in den letzten Jahren einige wenige solcher rasenden Sterne entdeckt, die zum Teil um 500 Kilometer pro Sekunde zurückgelegt haben müssen – die schnellsten Pistolenkugeln schaffen gerade einmal einen Kilometer pro Sekunde. In der relativen Nähe unserer Milchstraße kann man Hyper Velocity Stars sogar zu ihren Lebzeiten beo- bachten. Denn das Spektrum der von ihnen ausgesandten Lichtwellen verschiebt sich durch ihre Geschwindigkeit. Bewegen sie sich auf den Beobachter zu, verschiebt sich das Spektrum ins Blaue, entfernen sie sich, verschiebt es sich ins Rote. „Der Effekt ist so ähnlich wie der akustische, wenn auf der Straße ein Feuerwehrwagen mit Sirene an einem vorbeifährt. Während er sich nähert, klingt die Sirene heller, ist er vorbei und entfernt sich, hört sie sich dunkler an“, erklärt Dr. Bomans. Außerdem schieben die schnellen Sterne durch ihre extreme Überschallgeschwindigkeit eine Bugwelle aus Gas und Staub vor sich her, die man sichtbar machen kann (s. Abb. 4). In riesigen Entfernungen – der Ort der Supernova 2006bx ist hundert Mal so weit von uns entfernt wie unsere nächste Nachbargalaxie, der Andromeda-Nebel – kann man solche Phänomene nicht mehr erkennen. Es lässt sich nur indirekt auf die superschnellen Sterne zurückschließen. Die Supernova gibt Aufschluss über die Masse des Sterns, der ihr zugrunde liegt. Supernovae vom Typ IIP, wie die zur Beobachtung gewählten, resultieren aus dem Tod von Sternen mit etwa acht bis 20 Sonnenmassen. „‘Unser‘ rasender Stern muss also mindestens acht Sonnenmassen gehabt haben“, sagt Peter-Christian Zinn. Man weiß, dass solche massereichen Sterne vergleichsweise kurzlebig sind, z.B. „nur“ 30 Millionen Jahre existieren. Zum Vergleich: Unsere Sonne ist vermutlich jetzt schon 4,5 Milliarden Jahre alt und wird noch einmal so lange leben. Die Kenntnis über die ungefähre Lebensdauer des Sterns ist wichtig für die Abschätzung der Geschwindigkeit, mit der er sich von seinem wahrscheinlichen Geburtsort, der nächstgelegenen Galaxie, entfernt haben muss. Die Berechnungen der Geschwindigkeit von 2006bx anhand seiner Lebensdauer und der Entfernung von seinem Ursprungsort brachte die Astronomen zum Staunen: 850 Kilometer pro Sekunde muss er zurückgelegt haben – mindestens. Denn je nachdem, in welchem Winkel er sich zum beobachteten Ort seiner Supernova bewegt hat, könnte die Strecke, die er in seinem Leben zurückgelegt hat, sogar noch länger sein (Abb. 5). „Damit ist er der schnellste bisher bekannte Stern überhaupt“, sagt Peter-Christian Zinn, und sinniert: „Das ist jetzt so, als würden wir einem Sprinter die Medaille um den Grabstein hängen.“ md