Welchen (Mehr-)Wert hat Ethik? Vielfach ist die Vorstellung anzutreffen, Ethik würde bedeuten, dass Unternehmen „gute Taten“ vollbringen, etwa in dem sie sich für Kultur und Bildung engagieren, Mitarbeiter für gemeinnützige Arbeiten freistellen oder CO2-neutrale Produkte anbieten. Obgleich ein solches unternehmerisches Engagement durchaus wertvoll und auch überaus lobenswert ist, so kann Ethik nicht hierauf reduziert werden. Deutlich wird dies beispielsweise beim ethischen Grundsatz „primum non nocere“, welcher Ärzte in die Pflicht nimmt, einen Patienten in erster Linie vor Schaden zu bewahren. Eine ähnliche Logik gilt auch für Unternehmen: Bevor Unternehmen ihre gesellschaftliche Verantwortung durch „gute Taten“ unter Beweis stellen, müssen sie zunächst einmal gewährleisten, dass sie ihre Gewinne fair erzielen – anderenfalls verkommen „gute Taten“ schnell zum Ablasshandel. Insofern kommt es in erster Linie darauf an, auf welche Art und Weise Gewinne erzielt werden und nicht, wie diese verwendet werden. Der ehrbare Kaufmann Einen belastbaren Orientierungspunkt für eine faire Gewinnerzielung bietet das Leitbild des Ehrbaren Kaufmanns. Der Ehrbare Kaufmann zeichnet sich dadurch aus, dass Werte und Tugenden wie Ehrlichkeit, Verlässlichkeit und Integrität die Basis für das eigene Handeln darstellen. Der Ehrbare Kaufmann steht zu seinem Wort und geht anständig mit seinen Geschäftspartnern um. Im Mittelpunkt seines Handelns steht dabei die Maxime, durch Kooperationen für alle beteiligten Akteure einen Mehrwert zu schaffen. Anders formuliert zeichnet sich ein ethisches Unternehmen dadurch aus, dass es keine Gewinne auf Kosten von anderen realisiert, sondern nach Win-Win-Situationen strebt. An dieser Stelle stellt sich die Frage, wie es mit der Nützlichkeit von Ethik in der Marktwirtschaft aussieht. Lohnt sich Ethik auf Märkten überhaupt? Ließe sich diese Frage mit einem einfachen und eindeutigen „Ja“ beantworten, so würden sich alle Unternehmen in der Praxis ethisch verhalten. Ethik wäre dann ein Wertschöpfungsfaktor, der stets zum unternehmerischen Erfolg beiträgt. Genau dann wäre es im Eigeninteresse von allen Wirtschaftsakteuren, sich jederzeit ethisch zu verhalten. Im Wettbewerb gilt letztendlich die Logik, dass Unternehmen solche Verhaltensweisen an den Tag legen, welche sich auszahlen und solche vermeiden, welche Nachteile bedingen. Mit anderen Worten werden Unternehmen sich umso ethischer verhalten, je mehr sie hiervon profitieren. Nicht selten findet sich die Sichtweise, dass Ethik keiner solchen Kosten-Nutzen-Kalkulationen ausgesetzt werden darf, sondern einen absoluten Wert hat. Mehr noch, bisweilen wird sogar postuliert, dass ein Verhalten nur dann wirklich ethisch ist, wenn damit keine individuellen Vorteile verbunden sind. Die Vorstellung, Ethik müsse wehtun, ist dabei ein Erbe der Kantischen Ethik, welche den guten Willen in den Mittelpunkt stellt. Eine solche Ethik hat jedoch in der modernen, aufgeklärten Gesellschaft keine realistische Chance auf Praxisrelevanz. Nur die wenigsten Akteure werden auf Dauer bereit sein, im Namen der Ethik ihre eigenen Interessen permanent und überall zurückzustellen und individuelle Nachteile in Kauf zu nehmen. Insofern gilt, dass ethisch erwünschte Verhaltensweisen nur dann zu erwarten sind, wenn sie durch entsprechende Anreize gestützt werden. Diskrepanz zwischen Vorsatz und Handlung Interessanterweise finden sich Studien, bei denen ein Großteil der Investoren angibt, sie wären bereit, auf Rendite zugunsten von mehr Ethik zu verzichten. Auf den ersten Blick ist dies ein tolles Ergebnis – gerade weil der Finanzbereich in der Vergangenheit nicht sonderlich durch ethische Verhaltensweisen aufgefallen ist. Allerdings muss man beachten, dass bei solchen Befragungen auch immer die soziale Erwünschtheit der Antworten eine Rolle spielt. Das heißt, Menschen geben das an, was von der Allgemeinheit als positiv wahrgenommen wird. Hinzu kommt, dass es einen Unterschied zwischen Intentionen, also Verhaltensabsichten, und faktischem Verhalten gibt. Diese sogenannte IntentionsVerhaltens- Lücke meint, dass die Artikulation einer Absicht – hier Renditeverzicht zugunsten von Ethik – nicht automatisch in ein korrespondierendes Verhalten mündet. Ein anschauliches Beispiel für diese Intentions-Verhaltens-Lücke sind die allseits beliebten Neujahrsvorsätze. Regelmäßig nimmt man sich vor, im neuen Jahr mehr Sport zu machen, gesünder zu essen oder mit dem Rauchen aufzuhören. Aus eigener Erfahrung wissen wir, dass es nicht selten bei derartigen Vorsätzen bleibt. Insofern ist kaum zu erwarten, dass die befragten Investoren in der Praxis wirklich die Investitionsmöglichkeiten wählen, die zwar ethisch, aber eben auch weniger lukrativ sind. Hierauf weist auch der Umstand hin, dass ethisches Investment nach wie vor eher ein Nischensegment darstellt. Immaterielle Vermögenswerte Welchen Wert kann Ethik also für Investmententscheidungen haben? Die gute Nachricht ist, dass Ethik sich langfristig lohnt. Entsprechend gibt es durchaus gute Gründe für Investoren, ethische Aspekte in ihre Entscheidungen miteinzubeziehen. Der (Mehr-)Wert von Ethik resultiert dabei aus dem Zusammenhang zwischen ethischem Verhalten und unternehmerischer Kooperationsfähigkeit. Letztendlich macht niemand gern Geschäfte mit einem Unternehmen, das für seinen Opportunismus bekannt ist und billigend Nachteile für andere in Kauf nimmt. Ein Unternehmen hingegen, das sich ethisch verhält, baut immaterielle Vermögenswerte wie Glaubwürdigkeit, Reputation und Markenimage auf, welche für langfristigen Erfolg von entscheidender Bedeutung sind. Üblicherweise machen Kunden – sowohl im B2B als auch im B2C-Bereich – lieber Geschäfte mit Unternehmen, die für faires Verhalten bekannt sind. Es fällt leichter, diesen Unternehmen zu vertrauen, beispielsweise in ihr Versprechen, auch nach dem Kauf den Kunden bei möglichen Problemen bestmöglich zur Seite zu stehen. Zudem gibt es mit den LOHAS (Lifestyle of Health and Sustainability) eine zunehmend aufkommende Konsumentengruppe, welche ethische Aspekte in Kaufentscheidungen einbezieht. Schätzungen gehen davon aus, dass potenziell bis zu einem Drittel der Konsumenten in Deutschland zu den LOHAS zählen. Unternehmen, deren Handeln auf ethischen Werten beruht, haben zudem einen klaren Wettbewerbsvorteil im Personalbereich. Mitarbeiter wollen stolz auf ihren Arbeitgeber sein und sich mit diesem identifizieren – genau hierzu leistet ethisches Verhalten einen Beitrag. Ethik befördert entsprechend Mitarbeitermotivation, Commitment und Arbeitszufriedenheit. Es dürfte wenig überraschend sein, dass motivierte Mitarbeiter über eine höhere Leistungsbereitschaft verfügen und sich auch dafür einsetzen, gemeinsam mit ihrem Unternehmen erfolgreich zu sein. Auch verbesserte Werte beim Commitment zahlen sich für Unternehmen aus, da hierdurch Fluktuation und Fehlzeiten gesenkt werden. Schließlich spielt Ethik auch eine wichtige Rolle bei der Arbeitgeberattraktivität. Unternehmen befinden sich heute vielfach im Wettbewerb um die besten Köpfe und müssen auf ganzer Linie überzeugen können, um Mitarbeiter für sich zu gewinnen. Investition in die Zukunft Es kann davon auszugegangen werden, dass Ethik für den unternehmerischen Erfolg weiter an Bedeutung gewinnen wird. Mit der Generation Y – also Menschen im Alter zwischen 18 und 35 Jahren – tritt aktuell eine Generation an Konsumenten und Mitarbeitern auf den Markt. Die Generation Y hat bestimmte Erwartungen im Hinblick auf das ethische Verhalten von Unternehmen und fordert von ihnen die Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung. Unternehmen, die diesen Erwartungen nicht gerecht werden können, laufen Gefahr, langfristig nicht mehr als gute Geschäftspartner wahrgenommen zu werden. Dem gegenüber werden diejenigen Unternehmen, die glaubhaft für Werte einstehen können, bei der Generation Y einen Vorteil haben. Es gibt also viele gute Gründe, warum Unternehmen sich ethisch verhalten sollten. Ethik auf Märkten hat folglich nichts mit Gutmenschentum zu tun, sondern ist eine Investition in die eigene Zukunftsfähigkeit. So formuliert sollte sich für Investoren die Frage, ob sie mehr Ethik oder mehr Rendite anstreben, gar nicht stellen. Gemäß der vorgelegten Argumentation ist eine Berücksichtigung von Ethik bei der Investmententscheidung eigentlich ein Gebot ökonomischer Klugheit. Indes ist es mit der Ethik auf Märkten dann leider doch nicht ganz so einfach. Ein wesentlicher Grund hierfür ist, dass Ethik sich üblicherweise erst langfristig auszahlt. Entsprechend ist es durch ethisches Verhalten oftmals nicht möglich, kurzfristige Vorteile zu generieren. Ganz im Gegenteil, nicht selten besteht die Möglichkeit, durch unethisches Verhalten Extrarenditen zu realisieren. So können etwa durch die Vernachlässigung von Umweltvorschriften Kosten gespart werden, Preisabsprachen ermöglichen ein höheres Preisniveau, die Nichtbeachtung von Arbeitsstandards bei Lieferanten reduziert das Preisniveau und die Manipulation von Abgaswerten sichert die Zulassung eines Produkts in einem wichtigen Markt. Die Möglichkeit, auf Kosten der Ethik Extraprofite zu erzielen, ist ein Grund dafür, warum unverantwortliches Verhalten auf Märkte fast schon allgegenwärtig ist. Immer wieder sind Preisabsprachen, Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten, Markt- und Produktmanipulationen sowie Umweltverschmutzungen anzutreffen. Unethisches Verhalten ist jedoch nur solange profitabel, solange es unentdeckt bleibt. Angemerkt sei, dass aufgrund von Digitalisierung und der Allgegenwärtigkeit von sozialen Medien die Aufdeckwahrscheinlichkeit von Fehlverhalten deutlich gestiegen ist. Im Zeitalter von weltweit verfügbaren Informationen sowie der Möglichkeit zur Echtzeitkommunikation agieren Unternehmen gewissermaßen unter potenziell permanenter Beobachtung und Transparenz. Üblicherweise ist es so, dass die Nachteile von Fehlverhalten höher sind als die zuvor realisierten Extrarenditen. Die Praxis zeigt indes, dass Unternehmen nicht immer gut vorbereitet sind, unethische Verhaltensweisen zu vermeiden. Dies dürfte auch dadurch bedingt sein, dass sowohl die Aufdeckwahrscheinlichkeit als auch die Kosten von Fehlverhalten unterschätzt werden. Die negativen Konsequenzen von Fehlverhalten können ein Unternehmen durchaus teuer zu stehen kommen – ein aktuelles Beispiel hierfür ist der Volkswagen-Skandal. Im schlimmsten Fall kann unethisches Verhalten sogar zum Ende eines Unternehmens führen, wie der Fall Enron eindrucksvoll gezeigt hat. Zu den Kosten von unternehmerischem Fehlverhalten zählen neben möglichen Strafzahlungen bei rechtlichen Verstößen insbesondere die Beschädigung von immateriellen Vermögenswerten wie Vertrauenswürdigkeit und Reputation. Untersuchungen zeigen zudem, dass Fehlverhalten sich auch negativ auf Faktoren wie etwa wahrgenommene Produktqualität und wahrgenommenes Preis-Leistungs-Verhältnis auswirkt, infolgedessen die Marktposition des unverantwortlichen Unternehmens geschwächt wird. Auch Mitarbeiter leiden unter unethischen Verhaltensweisen – niemand arbeitet gern und mit Leidenschaft für ein Unternehmen, für dessen Verhalten man sich schämen muss. Ethik spielt auf Märkten folglich eine ambivalente Rolle. Langfristig betrachtet ist ethisches Verhalten eine Investition in den Unternehmenserfolg, kurzfristig kann unethisches Verhalten profitabel sein. An dieser Stelle ist zu betonen, dass Investoren durch ihr Verhalten und ihre (Rendite-)Erwartungen mit darüber entscheiden, nach welchen Prioritäten ein Unternehmen geführt wird. Weitsichtige Investoren steigern langfristig ihren Gewinn, wenn sie Unternehmen nicht zu kurzfristiger Gewinnmaximierung anhalten, sondern vielmehr von ihnen eine auf langfristige Ziele ausgerichtete Strategie verlangen. Eben dies macht es Unternehmen auch einfacher, Ethik im unternehmerischen Alltag zur Geltung zu bringen. Aufgrund existierender Logiken in der Wirtschaft ist eine langfristig ausgerichtete Unternehmensführung kein Selbstläufer. Bereits eine Quartalsberichtserstattung führt dazu, dass kurzfristige Kennzahlen wichtig werden. Hinzu kommt, dass Verträge mit Vorständen üblicherweise befristet sind, was eine gewisse Kurzfristorientierung befördert. Schließlich sind auch viele interne Steuerungsinstrumente wie variable Vergütungssysteme darauf ausgerichtet, zeitpunktbezogene Ziele zu erreichen. Dies wird insbesondere dann zum Problem, wenn nur die Zielerreichung von Relevanz bei der Bestimmung von Bonuszahlungen ist und es außen vor bleibt, wie die Ziele erreicht wurden. Insgesamt besteht damit die Herausforderung, Ansätze zu identifizieren, welche sicherstellen, dass der langfristige Erfolg die entscheidende Zielgröße eines Unternehmens darstellt und darstellen kann. An dieser Stelle kommt Investoren eine Verantwortung zu. Als Eigentümer haben sie einen Einfluss darauf, wie Unternehmen geführt werden. Im Sinne eines aktiven Investmentansatzes können sie Unternehmen dazu motivieren, den langfristigen Unternehmenserfolg gegenüber kurzfristigen Zielen zu priorisieren und sich mit ethischen Aspekten auseinanderzusetzen. Investoren sollten dabei insbesondere darauf hinwirken, dass ethische Konfliktfelder zur Vermeidung von Fehlverhalten proaktiv gehandhabt werden. Ethische Konfliktfelder können verstanden werden als Situationen, in denen zwischen kurzfristiger Zielerreichung und langfristigem Unternehmenserfolg ein Spannungsverhältnis existiert. Betont sei, dass es im aufgeklärten Eigeninteresse von Investoren ist, Unternehmen zu einem reflektierten Umgang mit Konfliktfeldern zu bewegen, da hierdurch langfristig bessere Renditen möglich werden. Vor diesem Hintergrund macht es Sinn, wenn Investoren etwa im Rahmen von Hauptversammlungen oder bei Investorengesprächen Ethik auf die Agenda bringen. Unethisches Verhalten birgt Gefahren Insgesamt kann somit formuliert werden, dass sowohl die Berücksichtigung von Ethik bei Investmententscheidungen als auch die Beförderung von Ethik im Sinne eines aktiven Investmentansatzes Investoren eine doppelte Rendite ermöglicht. Zum einen wird hierdurch der Unternehmenswert auf lange Sicht gesteigert und zum anderen werden für die Gesellschaft positive Effekte bewirkt. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass Investoren nur dann darauf hoffen können, dass Unternehmen langfristig einen Mehrwert durch ethische Verhaltensweisen schaffen, wenn sie ebenfalls langfristig engagiert sind. Anders formuliert sind kurzfristige Investmentstrategien ein Treiber für die Priorisierung von schnellen Erfolgen, infolgedessen die Gefahr für unethisches Verhalten erhöht und die Möglichkeit für ethisches Verhalten erschwert wird. Es ist daher zu wünschen, dass auch Investoren sich mehr mit Ethik auseinandersetzen. //