ADHS im Erwachsenenalter Sichtweisen und Empfehlungen Informationsbroschüre für Betroffene und Angehörige Inhaltsübersicht Was ist ADHS?............................................4 Wie wird ADHS behandelt?.....................14 Wie äußert sich ADHS?.............................7 Wie kann ich mir im Alltag selbst helfen?..........................................19 Wie kann sich ADHS auf das Leben auswirken?........................9 Was sind die Ursachen einer ADHS?.............................................11 Wie wird ADHS bei Erwachsenen diagnostiziert?.........................................12 Wo kann ich mehr über ADHS erfahren?..............................21 Gibt es kritische Fragen zu ADHS?..................................................22 Autoren Dr. med. Dipl.-Psych. Barbara Alm Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) Mannheim, J5, 68072 Mannheim, Deutschland PD Dr. Dipl.-Psych. Petra Retz-Junginger Universitätsklinikum des Saarlandes Neurozentrum, Institut für Gerichtliche Psychologie und Psychotherapie 66421 Homburg/Saar Liebe Leserin, lieber Leser, Liebe Leserin, lieber Leser, möglicherweise wurde bei Ihnen oder einer Ihnen nahestehenden Person die Diagnose ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) gestellt. Diese Broschüre wurde in erster Linie für Erwachsene mit ADHS verfasst, enthält aber auch viele Informationen, die für Verwandte und Freunde nützlich sein können. Mit den folgenden Informationen und Empfehlungen namhafter Experten rund um die Thematik „ADHS im Erwachsenenalter“ möchte Sie Lilly, eines der führenden forschenden Pharmaunternehmen, gerne auf Ihrem Weg begleiten, die Diagnose besser zu verstehen und damit umzugehen. Zudem kann Ihnen die Broschüre auch im Gespräch mit Ihrem behandelnden Arzt oder Therapeuten behilflich sein – sie kann das Gespräch jedoch nicht ersetzen. Weitere Informationen finden Sie online unter www.info-adhs.de Ihr Lilly ADHS-Team 3 ADHS Was ist ADHS? Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist gekennzeichnet durch die Symptombereiche Unaufmerksamkeit (häufig auch Aufmerksamkeitsstörung genannt), motorische Hyperaktivität und Impulsivität. Dies sind die so genannten Kernsymptome der ADHS. ADHS • Unaufmerksamkeit • Hyperaktivität •Impulsivität Zusätzlich können weitere Begleitsymptome wie Desorganisation im Alltag und Störungen in der Gefühlsregulation hinzukommen. Es wird heute angenommen, dass der ADHS eine gestörte Informationsverarbeitung in bestimmten Hirnregionen zugrunde liegt, die für die Verhaltensund Gefühlssteuerung zuständig sind. Symptome können bis ins Erwachsenenalter bestehen bleiben. Noch vor wenigen Jahren galt ADHS nur als eine Erkrankung im Kindes- und Jugendalter. In den vergangenen Jahren konnte die Forschung an Verlaufsstudien bei Kindern mit ADHS nachweisen, dass die Symptome auch bis ins Erwachsenenalter bestehen bleiben können. In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurde die ADHS im Erwachsenenalter in der Wissenschaft intensiv untersucht. Heute ist bekannt, dass bei ungefähr 50 % der betroffenen Kinder die Störung nicht mit dem 18. Lebensjahr aufhört, sondern dass sich die klinischen Symptome – altersentsprechend verändert – bis ins Erwachsenenalter fortsetzen können. Wie häufig tritt ADHS bei Erwachsenen auf? Studien, die die Häufigkeit der Erwachsenen-ADHS in der Allgemeinbevölkerung untersucht haben, zeigen, dass weltweit bei etwa 3 bis 4 % der Erwachsenen eine ADHS vorkommt. ADHS im Erwachsenenalter ist daher eine häufige und wahrscheinlich auch unterdiagnostizierte Störung. Wenn der Patient erst im Erwachsenenalter auf 4 ADHS untersucht wird, ist die Diagnostik zeitaufwendig und erfordert eine sorgfältige klinische Untersuchung, denn es gibt keine spezifischen „Tests“ für ADHS. Erwachsene mit ADHS haben meist, wenn sie sich bei einem Facharzt oder DiplomPsychologen vorstellen, eine längere Leidensgeschichte hinter sich. Sie haben aufgrund ihrer Symptome vielleicht ein Leben lang Probleme gehabt, aber keinen Namen dafür gefunden. Als Kind haben die Betroffenen vielleicht häufiger gehört: „Du bist dumm“ und „Du bist faul.“ Dabei haben sie immer „gewollt, nur nicht gekonnt“. Und im späteren Erwachsenenleben sind sie in verschiedenen Lebensbereichen erheblich beeinträchtigt, haben Misserfolge in Schule, Ausbildung und Partnerschaft erlebt, leiden unter Stimmungsschwankungen und einem geringen Selbstwertgefühl. Viele Erwachsene mit ADHS schildern dieses permanente Gefühl, trotz Bemühen keinen Erfolg zu haben und immer hinter ihren eigenen Möglichkeiten zu bleiben. 5 ADHS ist nicht gleich ADHS Die Symptome von ADHS können von Person zu Person variieren. ADHS ist nichts, das man entweder hat oder nicht hat, sondern es gibt einen allmählichen Übergang von leichten zu stärkeren Symptomen. Auch sind die Symptome nicht nur zeitweise präsent, sondern schon ein Leben lang, seit der Kindheit, vorhanden. Wann sind die Symptome am deutlichsten? Meist zeigen sich die Probleme bei der Bewältigung von Aufgaben, die eine länger dauernde Aufmerksamkeitsspanne erfordern, und bei der Steuerung und Kontrolle von Gefühlen und Handlungen. Ferner kommt häufig ein Gefühl der ständigen inneren Anspannung und des Nicht-zur-Ruhe-kommen-Könnens hinzu. Mit zunehmendem Alter können sich die Kernsymptome in ihrer Ausprägung verändern. Manche Symptome treten in den Hintergrund, wie die Hyperaktivität, die oft in eine innere Unruhe übergeht, wohingegen die Unaufmerksamkeit mit steigenden Anforderungen sich negativ auf Planungs- und Organisationsfähigkeit auswirken kann. 6 Insgesamt haben Erwachsene mit einer nicht behandelten ADHS im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen deutlich mehr Probleme in Ausbildung, Beruf, Partnerschaft und sozialen Beziehungen und in ihrem Selbstwertgefühl. Dabei kann nur ein Bereich oder auch mehrere betroffen sein. Andere Studien zeigen darüber hinaus, dass ein erhöhtes Risiko besteht, an einer weiteren psychiatrischen Erkrankung wie Depression, Angst oder einer Persönlichkeitsstörung zu erkranken oder eine Drogen- und/oder Alkoholabhängigkeit zu entwickeln. ADHS hat auch positive Seiten Aber ADHS hat nicht nur negative Seiten. Erwachsene mit ADHS sind oft sehr begeisterungsfähig, haben viel Energie, sind offen für Neues und sind häufig sehr kreativ. Sie sind oft beliebt, verhalten sich sensibel und hilfsbereit, haben eine große Begabung zum „Multitasking“ und zur Improvisation. Symptome Wie äußert sich ADHS? Die Symptome von ADHS, die sich im Erwachsenenalter zeigen, bestehen immer seit der Kindheit und betreffen die so genannten Kernsymptome Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulskontrolle. Rasche Stimmungsschwankungen und Organisationsprobleme in verschiedenen Lebensbereichen können dazu kommen. Die Symptome im Erwachsenenalter können sich in ihrer Art und Ausprägung im Vergleich zu denen bei Kindern und Jugendlichen verändern. So kann sich der Bewegungsdrang im Kindesalter, die klassische Hyperaktivität, im Erwachsenenalter zu einer inneren Unruhe verändern. Viele Betroffene mit ADHS entwickeln auch unbewusst Strategien, besser mit ihrer Impulsivität umzugehen. Im Gegensatz dazu bleiben aber die Aufmerksamkeitsstörungen unverändert bestehen und können zu Problemen in der Alltagsbewältigung führen. Folgende Symptome werden im Erwachsenenalter beschrieben: Aufmerksamkeitsstörung Das Hauptproblem liegt in der Schwierigkeit, längere Zeit bei einer Sache, Tätigkeit oder Aufgabe zu bleiben, wichtige Punkte auszuwählen und Ablenkungen zu minimieren. Nach ein paar Minuten schon kann Langeweile aufkommen. Wenn die Tätigkeit wenig anregend ist, können die Betroffenen abwesend, verträumt, wenig ausdauernd und unorganisiert wirken. Sie neigen dazu, sich zu verzetteln, mehrere Tätigkeiten anzufangen und keine zu Ende zu bringen. Der Arbeitsstil ist oft ineffizient, langsam und desorganisiert. Arbeit kann häufig in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht erledigt werden. Ferner kommt des Öfteren das Vergessen von Terminen, Vereinbarungen und Alltagsutensilien hinzu. Es bestehen Probleme, ein Buch zu lesen und im Studium, in Konferenzen und in Besprechungen zuzuhören. Die Organisation des Alltags und planvolles Vorgehen gelingen nicht immer und der Überblick geht verloren. Jedoch kann bei entsprechendem Interesse die Aufmerksamkeit völlig ungestört sein. Dieses Verhalten wird gerade in sozialen Situationen von Partnern, Familie, Freunden oder Kollegen häufig nicht verstanden. Aufmerksamkeitsstörung •Schwierigkeiten, bei einer Sache zu bleiben •Schnelles Aufkommen von Langeweile •Wenig ausdauernd und unorganisiert •Verzetteln, ineffizienter Arbeitsstil •Vergessen von Terminen, Vereinbarungen und Alltagsutensilien •Probleme über längere Zeiträume zuzuhören •Verlust des Überblicks 7 Hyperaktivität Betroffene mit Hyperaktivität scheinen immer in Bewegung zu sein. Sie wirken nervös, zappelig, ruhelos. Sie berichten von innerer Anspannung und dem Gefühl, getrieben zu sein. Trommeln auf der Tischplatte oder Wippen mit dem Fuß sind typische Symptome. Still sitzen fällt ihnen schwer und sie können ununterbrochen reden. Das Bedürfnis nach permanenter Bewegung kann sich in vermehrten sportlichen Aktivitäten bis hin zur Ausübung von Extremsportarten äußern. Hyperaktivität •Erhöhter Bewegungsdrang •Unruhig, zappelig oder ruhelos •Innere Anspannung •Mit den Fingern trommeln oder den Füßen wippen •Schwierigkeiten, still zu sitzen Impulsivität Impulsive Erwachsene mit ADHS denken oft nicht, bevor sie handeln. Der Kommunikationsstil ist oft inadäquat, sie antworten, bevor Fragen zu Ende gestellt sind, unterbrechen andere oder machen unangemessene Kommentare, die ihnen hinterher leidtun. Auch neigen sie zu unüberlegten Handlungen, ohne die längerfristigen Konsequenzen zu beachten. Warten fällt ihnen oft schwer, in vielen Situationen sind sie ungeduldig. Impulsivität •Unüberlegtes Handeln, ohne vorher nachzudenken •Andere unterbrechen •Vorschnelle Äußerungen •Unfähigkeit abzuwarten 8 Affektlabilität und Affektkontrolle Viele Erwachsene berichten über rasche und als sehr belastend wahrgenommene Stimmungsschwankungen, die oft innerhalb von Stunden auftreten können. Bei kleinen Anlässen zeigen sich Wutausbrüche, die Fähigkeit Ärger zu regulieren ist eingeschränkt und die Stresstoleranz ist vermindert – alles wird zu viel. Desorganisation Diese kann sich äußern in einer verminderten Fähigkeit, den Alltag zu organisieren und einer chaotischen Tagesstruktur mit fehlendem Zeitmanagement. Auswirkungen Wie kann sich ADHS auf das Leben auswirken? ADHS zeigt nicht nur die genannten Symptome, ADHS führt zu Beeinträchtigungen in vielen Lebensbereichen. So wiederholen Erwachsene mit ADHS häufiger als Gesunde Schulklassen, erreichen schlechtere Schulabschlüsse und fallen häufiger durch Prüfungen. Sie beginnen Ausbildungen und brechen sie ab; dies kann sich mehrfach wiederholen. Der Arbeitsplatz wird häufiger gewechselt, mehr Kündigungen werden beschrieben. Nicht wenige Erwachsene mit ADHS berichten, dass sie in ihrer Schulzeit Probleme hatten, konstant die erforderlichen Leistungen zu erbringen. Vielfach wurden sie auch für ihr Verhalten von den Lehrern ermahnt. In der beruflichen Ausbildung und später im Berufsalltag setzen sich derartige Schwierigkeiten oft fort. Berufliche Perspektiven sind häufig schlechter Erwachsene mit ADHS wechseln häufiger den Arbeitsplatz, werden häufiger als andere gekündigt und es kann zu Arbeitslosigkeit kommen. Im Vergleich werden ihre Arbeitsleistungen vielfach schwächer bewertet. Ganz allgemein wird beobachtet, dass Erwachsene mit ADHS häufig Schwierigkeiten haben, eine ihren Möglichkeiten angemessene berufliche Position zu erreichen. Dies alles zeigt sich trotz ausreichender Begabung. Partnerschaften und soziale Beziehungen können konfliktreich sein Partnerschaften und Ehen gehen häufiger auseinander, soziale Beziehungen werden nicht aufrechterhalten. Auch in der Elternrolle können sich Probleme zeigen. Diese können einerseits damit zu tun haben, dass Eltern mit ADHS aufgrund ihrer Impulsivität und geringeren Stressresistenz im Umgang mit ihren Kindern weniger belastbar sind. Andererseits leiden Kinder aufgrund der genetischen Verankerung der Krankheit ebenfalls häufig an ADHS. Damit können wechselseitig immer neue Konfliktfelder entstehen, die das Familienleben belasten. Auch aus anderen sozialen Bereichen werden Auffälligkeiten berichtet. So gibt es häufig Probleme im Umgang mit Freunden und Bekannten, u. a. auch wegen des oft inadäquaten Kommunikationsstils und der unüberlegten Entscheidungen. Besonders wenn ADHS mit Störungen des Sozialverhaltens und mit speziellen Persönlichkeitsstörungen kombiniert ist, steigt das Risiko dissozialen Verhaltens. Im Straßenverkehr fallen immer wieder Personen mit ADHS durch Geschwindigkeitsüberschreitungen, Fahren ohne Fahrerlaubnis, Fahren unter Alkoholeinfluss und eine generelle Tendenz zur Regelüberschreitung auf. 9 Erwachsene mit ADHS können infolge der häufigen Konflikte und Misserfolge an weiteren psychischen Erkrankungen leiden. Insgesamt zeigt sich aufgrund der beschriebenen Komplikationen und Misserfolge ein deutlich verringertes Selbstwertgefühl. Erwachsenen mit ADHS zeigen darüber hinaus ein erhöhtes Risiko, an weiteren psychischen Erkrankungen zu leiden. Hier zeigten Studien, dass bei 65 bis 90 % weitere, so genannte komorbide psychische Störungen bestehen. Als Grund dafür wird neben Konflikten und Misserfolgen durch die ADHS eine Ähnlichkeit in den neurobiologischen Mechanismen der verschiedenen Störungen diskutiert. Wichtig ist, dass ADHS von diesen anderen Störungen abgegrenzt wird. Häufig treten neben einer ADHS Depressionen und Angststörungen auf. Viele Erwachsene mit ADHS leiden auch unter Schlafstörungen mit verminderter subjektiver Schlafqualität und vermehrten Einschlafproblemen. Ferner können so genannte Persönlichkeitsstörungen auftreten, die ein überdauerndes Muster an Beeinträchtigung verschiedenster Art zeigen. Im Moment wird über den Zusammenhang mit den bipolaren Störungen und der Borderline-Persönlichkeitsstörung diskutiert. Bei der Borderline-Störung zeigen sich ebenfalls Stimmungsschwankungen und Impulse können schlecht kontrolliert werden. Weiterhin besteht ein erhöhtes Vorkommen von Abhängigkeitserkrankungen. Diese können Alkohol- oder auch Drogenabhängigkeit, hier insbesondere von Cannabis, sein. Unterschätzt wird häufig auch der Zigarettenkonsum, der nicht selten aus der Erfahrung entsteht, dass Nikotingebrauch die Symptomatik der ADHS mildern kann. Zusammenfassend besteht bei Erwachsenen mit ADHS, häufig ein deutlich erhöhtes Risiko in Bezug auf zusätzliche psychische Störungen, Gesundheitsprobleme und soziale Einschränkungen. Die Wahrscheinlichkeit von Problemen am Arbeitsplatz, in der Partnerschaft, in den Familien, im Freundeskreis und im Umgang mit dem sonstigen persönlichen Lebensumfeld ist vergleichsweise hoch. Impulskontroll-/ Persönlichkeitsstörungen Affektive Störungen z. B. Depressionen oder Bipolare Störungen Abhängigkeitsstörungen z. B. Alkohol- oder Drogenabhängigkeit z. B. Borderline-Störungen ADHS Lernstörungen z. B. beim Lesen oder Rechnen Modifiziert nach Kooij et al. 2012 10 Angststörungen z. B. Generalisierte Angststörung oder soziale Phobie Schlafstörungen z. B. verminderte Schlafqualität, Einschlafprobleme oder Tagesmüdigkeit Ursachen Was sind die Ursachen einer ADHS? Die Ursachen von ADHS sind bislang nicht vollständig geklärt, aber es gibt viele Ansätze, die dabei helfen, ADHS zu verstehen. Die Wissenschaft ist sich darin einig, dass es sich bei ADHS um eine neurobiologische Funktionsstörung handelt, an der genetische und umweltbedingte Faktoren beteiligt sind. Im Vergleich zu anderen psychischen Erkrankungen ist insbesondere die genetische Komponente stark ausgeprägt. Dies zeigt sich darin, dass ADHS häufig bei mehreren Familienmitgliedern auftritt. Wurde bei einem Familienmitglied ADHS diagnostiziert, ist das Risiko für Eltern, Geschwister oder Kinder, ebenfalls an ADHS erkrankt zu sein, um das Vier- bis Zehnfache erhöht. Die Rolle von Dopamin und Noradrenalin Umweltbedingte Faktoren stehen in Zusammenhang mit der Gehirnentwicklung und können z. B. Rauchen, Alkohol- oder Drogenkonsum während der Schwangerschaft oder ein sehr geringes Geburtsgewicht umfassen. Weitere Untersuchungen haben gezeigt, dass bei ADHS Gene beteiligt zu sein scheinen, die bestimmte Systeme im Gehirn beeinflussen. Bei diesen Systemen spielen die zwei Botenstoffe (auch Neurotransmitter genannt) Dopamin und Noradrenalin eine wichtige Rolle. Bei ADHS scheint das Gleichgewicht dieser beiden Botenstoffe gestört zu sein, weshalb Informationen im Gehirn nur unzureichend verarbeitet werden können. Präfrontaler Kortex Dopaminerges System: wesentliche Rolle bei Antrieb und Motivation Modifiziert nach Himmelstein et al. 2001 Vorderes Aufmerksamkeitszentrum Hinteres Aufmerksamkeitszentrum Hinterer parietaler Kortex Noradrenerges System: wesentliche Rolle bei der Aufmerksamkeit Kortex = Hirnrinde 11 Diagnostik Wie wird ADHS bei Erwachsenen diagnostiziert? Die internationale Klassifikation der Erkrankungen (ICD-10, WHO) In der modernen Medizin werden Krankheiten nach den Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) diagnostiziert, wenn typische Krankheitssymptome in ausreichender Zahl und Ausprägung vorliegen. Um eine ADHS-Diagnose stellen zu können, müssen mehrere Punkte abgeklärt werden: • Es ist genau definiert, wie viele Symptome in welchem Ausmaß und über welche Dauer zutreffen müssen. • Das Vorhandensein der Symptome muss bis in die Kindheit zurückverfolgt werden können. • Die Symptome müssen in mehreren Lebensbereichen zu deutlichen Beeinträchtigungen führen (z. B. bei der Arbeit und im Alltag). • Die Symptome sind nicht durch eine andere psychische Störung erklärbar. 12 Ein Wissenschaftler aus den USA, Paul H. Wender (1995), hat neben den Kernsymptomen Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität noch vier weitere Symptomgruppen beschrieben, die er als typisch für Erwachsene mit ADHS ansieht (sog. Utah-Kriterien): 1.Desorganisation 2.emotionale Labilität (d. h. schnelle Stimmungsschwankungen) 3.vermehrt Temperamentsausbrüche 4.verminderte Stresstoleranz Die Berücksichtigung dieser für das Erwachsenenalter typischen Symptome hat den Vorteil, dass damit der Blick für spezifische Probleme dieses Lebensabschnitts geschärft wird. Mit der Bestandsaufnahme der Symptomatik des Erwachsenenalters kann der Arzt die Entscheidung über Art und Umfang der erforderlichen Therapie vorbereiten. Die ADHS-Diagnostik in der ärztlichen Praxis In der ärztlichen Praxis ist beim Erwachsenen die Diagnose ADHS weniger schwierig zu stellen, wenn die Erkrankung bereits in der Kinder- und Jugendzeit diagnostiziert und behandelt wurde. In diesen Fällen ist zu prüfen, in welchem Umfang sich die Symptomatik im Erwachsenenalter fortgesetzt und verändert hat. Nicht selten kommen aber Erwachsene zur Diagnostik, bei denen die Diagnose in der Kindheit und Jugend nicht gestellt wurde, obwohl sich aus dem Bericht der Betroffenen ergibt, dass eine entsprechende Symptomatik vorhanden gewesen sein könnte. In diesen Fällen gestaltet sich das diagnostische Vorgehen schwieriger: Es genügt nicht, dass aktuell ADHS-Symptome nachweisbar sind, vielmehr muss rückblickend gezeigt werden, dass bereits im Schulalter typische Symptome vorhanden waren und danach bis ins Erwachsenenalter andauern. Darüber hinaus müssen durch die ADHS in verschiedenen Lebensbereichen Leidensdruck und deutliche Beeinträchtigungen entstanden sein. Erleichternd für die Diagnostik ist, wenn Eltern oder andere Personen aus dem unmittelbaren Lebensumfeld verfügbar sind, die über die Kindheit Informationen geben können. Möglicherweise sind aus der Kindheit auch Schulzeugnisse oder andere schriftliche Dokumente vorhanden. Ist eine Informationsgewinnung über Dritte nicht möglich, ist es in der Regel aber trotzdem möglich, eine ADHS-Diagnose zu stellen. In diesem Fall muss sich der Arzt auf die Erinnerungen des Betroffenen an seine Kindheit verlassen. Nicht zuletzt sind auch die Auswirkungen der ADHS in den verschiedenen Lebensbereichen zu erfassen. Funktionsbeeinträchtigungen sind nicht nur ein wichtiges Kriterium im Rahmen der Diagnose nach ICD-10, sie haben auch Einfluss auf die Auswahl der geeigneten Behandlungsmethoden. Die Stellung einer ADHS-Diagnose ist eine Aufgabe für Experten. Die Feststellung der ADHS beim Erwachsenen ist komplex. Der diagnostische Prozess erfordert klinische Erfahrung und genaue Kenntnis des Krankheitsbildes im Erwachsenenalter, denn die zentrale Symptomatik mit Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität ist nur begrenzt spezifisch. Die Symptome kommen auch im Rahmen anderer psychischer Erkrankungen vor. Eine Ausschlussdiagnostik von körperlichen Erkrankungen ist erforderlich. Diagnostische Hilfen Die Stellung einer Diagnose kann durch die Anwendung spezieller DiagnostikInstrumente erleichtert werden. Hierbei werden Selbstbeurteilungs- und Fremdbeurteilungsverfahren unterschieden. Bei den Selbstbeurteilungsskalen wird den Betroffenen ein Fragebogen vorgelegt, der entsprechend der Instruktionen selbst beantwortet werden soll. Fremdbeurteilungsskalen werden von Angehörigen oder anderen Personen aus dem direkten Lebensumfeld ausgefüllt, diagnostische Checklisten oder ausführliche Interviews liegen für den Fachmann vor. Nicht zuletzt gehört zur ADHS-Diagnostik im Erwachsenenalter auch die Feststellung eventueller begleitender, sogenannter komorbider Erkrankungen. 13 Behandlung Wie wird ADHS behandelt? Nachdem eine ADHS im Erwachsenenalter diagnostiziert wurde, stellt sich die Frage nach einer geeigneten Behandlung. Heute gibt es verschiedene Therapiemöglichkeiten. Dazu gehören u. a. Psychoedukation, Psychopharmaka oder auch Psychotherapie, die einzeln oder auch kombiniert (sogenannte multimodale Therapie) angewandt werden können. Insgesamt sollen die Symptome verringert und langfristig das Selbstwertgefühl und die Lebensqualität verbessert werden. Symptome sollen verringert und langfristig das Selbstwertgefühl und die Lebensqualität erhöht werden. Leider gibt es aber auch Verunsicherung und Meinungsverschiedenheiten darüber, was wirklich hilft und welche Therapien zum Einsatz kommen sollten. Insbesondere die Psychopharmaka sind in der Diskussion. Wichtig ist es deshalb, sich hierüber gut zu informieren. Die erste Frage, die sich immer stellt: Welche Therapie ist genau für den Einzelnen die beste? In Abhängigkeit von der Schwere der Symptomatik, den Einschränkungen im Alltag und den verschiedenen Lebensbereichen, dem Selbstwertgefühl und natürlich den persönlichen Wünschen sollte individuell ein Therapiekonzept erarbeitet werden. Erwachsene mit ADHS sollten im Verlauf der Behandlung lernen, ADHS zu akzeptieren, mit den Symptomen 14 besser umzugehen, anstehende Probleme zu bewältigen und eine zufriedenstellendere soziale Interaktion zu erleben. Die Diagnose ADHS zu erhalten bedeutet noch nicht, dass eine spezifische Behandlung erfolgen muss. Manche Betroffene sind bereits zufrieden, wenn sie eine Erklärung für ihre Symptome oder Probleme haben und zukünftig damit besser umgehen können. Andere hingegen, die ausgeprägtere Probleme mit Auswirkungen auf verschiedene Lebensbereiche wie Beruf oder Partnerschaft haben, werden eher eine Behandlung wünschen und auch davon profitieren können. Die ADHS-Therapie basiert also auf einem Konzept, das verschiedene Bausteine (sogenannte Module) enthält, die je nach individueller Symptomatik, individuellen Beeinträchtigungen und Wünschen, aber auch verfügbaren Möglichkeiten zusammengestellt werden. Mögliche Bausteine einer multimodalen Therapie: •Beratung, Psychoedukation •Medikamentöse Behandlung •Einzelpsychotherapie, störungsorientierte Gruppentherapie, Coaching •Einbeziehung von Bezugspersonen •Selbsthilfegruppen •Ergänzende Therapie bei komorbiden Störungen Therapiemöglichkeiten Beratung und Psychoedukation Wichtig ist zunächst eine gründliche Information und Beratung über ADHS, evtl. auch unter Einbeziehung wichtiger Bezugspersonen. Eine Beratung allein, z. B. wie der Alltag anders strukturiert werden kann, kann bereits Verbesserungen ergeben. Psychoedukation bedeutet eine ausführliche Information über alle wichtigen Aspekte der ADHS. Dies beinhaltet im Normalfall: • Diagnostik (Wie wurde ADHS bei mir festgestellt?) • Ätiologie mit Genetik einschließlich neurobiologischer Konzepte (Woher kommt ADHS?) • Symptomatik mit Beeinträchtigungen (Was ist ADHS überhaupt?) • Therapiemöglichkeiten (Wie wirken die Medikamente, können sie auch schaden, was für Nebenwirkungen haben sie, wie wirkt Psychotherapie?) • Herstellung individueller Lebensbezüge (Welche Bedeutung hat ADHS für meine Biografie?) • Bewältigungsstrategien (Wie kann ich meine Ziele am besten umsetzen?) Medikamentöse Behandlung Vielleicht wurde nach der Diagnosestellung und dem ausführlichen Informationsgespräch über die ADHS besprochen, dass eine medikamentöse Behandlung hilfreich sein könnte. Einer der Gründe hierfür könnte sein, dass die Symptome besonders stark ausgeprägt sind und in mehreren Lebensbereichen erhebliche Beeinträchtigungen bestehen. Eine medikamentöse Behandlung kann die ADHS-Kernsymptomatik sowie weitere begleitende Symptome verbessern. Für diese medikamentöse Therapie stehen Präparate zur Verfügung, die seit vielen Jahren in der Therapie von Kindern und Jugendlichen verwendet werden und sich in „Stimulanzien“ und „Nichtstimulanzien“ einteilen lassen. Diese Medikamente haben sich bisher in zahlreichen Studien – sowohl bei Kindern und Jugendlichen als auch bei Erwachsenen – als wirksam zur Behandlung der ADHS erwiesen. Zudem werden häufig weitere, begleitende Symptome wie Stimmungsschwankungen verbessert. Viele Erwachsene schildern, dass sie unter Medikation erstmals ein Buch zu Ende gelesen oder sich konzentriert einer Aufgabe gewidmet haben. Vor Beginn einer medikamentösen Therapie müssen einige körperliche Untersuchungen durchgeführt werden wie z. B. die Messung von Puls und Blutdruck, bestimmte körperliche Erkrankungen müssen ausgeschlossen werden, z. B. Herzkreislauferkrankungen oder Schilddrüsenfunktionsstörungen. Dies wird Ihr Arzt vorher mit Ihnen besprechen. Stimulanzien, z. B. Methylphenidat Methylphenidat bewirkt, dass insbesondere der chemische Botenstoff Dopamin länger an seinem Wirkort im Gehirn verfügbar bleibt. So kann die Aktivität bestimmter Gehirnregionen verbessert werden. Es gibt sowohl kurzwirksame (Wirkung bis zu 4 Stunden) als auch langwirksame (Wirkung bis zu 12 Stunden) Formen von Methylphenidat, wobei derzeit zwei Präparate in Deutschland zur Behandlung Erwachsener mit ADHS zugelassen sind. 15 Da die Stimulanzien dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) unterliegen, müssen sie auf einem besonderen Rezept verordnet werden. Ein Argument, das häufig gegen die Behandlung mit Stimulanzien verwendet wird, ist eine erhöhte Suchtgefahr. Dafür gibt es jedoch keine Hinweise bei einer korrekten Anwendung bei Patienten mit ADHS. Falls eine Abhängigkeit oder ein Missbrauch von Drogen oder Alkohol vorliegt und eine Behandlung geplant ist, sollte dies mit dem behandelnden Arzt besprochen werden. Er wird eine suchtspezifische Behandlung und nachfolgende Kontrolluntersuchungen einleiten. Nicht-Stimulanzien Schon länger ist Atomoxetin für die Behandlung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zugelassen. Der Wirkmechanismus von Atomoxetin betrifft auch die Steuerung chemischer Botenstoffe im Gehirn, regelt allerdings primär die Verfügbarkeit von Noradrenalin und nur in bestimmten Gehirnregionen auch die von Dopamin. Dies ist vermutlich ein Grund, warum es nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterliegt und deshalb auf einem üblichen Rezept verordnet werden kann. Atomoxetin ist kein Stimulanz und verfügt über einen anderen Wirkmechanismus. Die Wirksamkeit auf die Kernsymptome der ADHS bei Erwachsenen einschließlich der emotionalen Symptome, wie Stimmungsschwankungen, Temperamentsausbrüche, Reizbarkeit und Ängstlichkeit, hat sich in mehreren Studien nachweisen lassen. Atomoxetin wird in der Regel einmal täglich eingenommen. Bei einem Be16 handlungsbeginn mit Atomoxetin muss beachtet werden, dass sich die Wirksamkeit Schritt für Schritt über mehrere Wochen aufbaut. Wenn sich die Wirkung voll entfaltet hat, wirkt das Medikament – anders als die Psychostimulanzien – über den ganzen Tagesverlauf, so dass bei morgendlicher Einnahme auch der späte Abend abgedeckt ist. Ein Missbrauchspotential liegt nicht vor. Atomoxetin kann daher auch verordnet werden, wenn eine Abhängigkeitserkrankung vor Beginn der Behandlung bestand (und behandelt wurde). Allgemein gültige Empfehlungen zur Dauer der medikamentösen Behandlung sowohl mit Stimulanzien als auch Atomoxetin bestehen aktuell nicht. Falls die ADHS-Symptome gut auf die medikamentöse Therapie angesprochen haben, ist die allgemeine Empfehlung, diese 1-2 Jahre fortzusetzen. Danach muss eine Therapiepause von einigen Wochen erfolgen, um die weitere Behandlungsnotwendigkeit zu überprüfen. Ein weiteres Nicht-Stimulanz ist Guanfacin. Es ist für den Behandlungsbeginn im Kinder- und Jugendalter zugelassen, für die eine Behandlung mit Stimulanzien nicht in Frage kommt, unverträglich ist oder sich als unwirksam erwiesen hat. Die Behandlung muss bei Kindern und/oder Jugendlichen begonnen werden. Psychotherapie In einer Psychotherapie werden problematische Verhaltensweisen identifiziert, besprochen und alternative Strategien vermittelt. Zuerst wird der Therapeut viele Informationen geben und ausführlich besprechen, wie Verhalten und Gefühle verändert werden können. Ziel soll im Verlauf der Therapie sein, Selbstkontrolle über die störenden Symptome zu erlangen und Probleme identifizieren Strategien besprechen Verhalten ändern im Rahmen eines „Selbstmanagements“ selbstständig alternative Pläne und Strategien zu entwickeln. Dies ist nicht immer ganz einfach, sondern erfordert oft regelmäßiges Üben. Häufig werden jedoch nach einiger Zeit sehr gute Erfolge erzielt. Die Psychotherapie hilft, Probleme und Schwierigkeiten besser zu verstehen und zu bewältigen. Das Selbstwertgefühl kann sich in der Folge deutlich verbessern und die Energie, Kreativität und Neugier, die viele Menschen mit ADHS haben, kann sich in vielen Bereichen des alltäglichen Lebens positiv auswirken. Die Psychotherapie hilft bei der Bewältigung von störenden Verhaltensweisen und Gefühlen. In einer Therapie kann auch reflektiert werden, was ADHS für die eigene Biographie bedeutet und was es zukünftig bedeuten kann. Hier kommen vielleicht Ärger, Frustration und auch Traurigkeit über das Versagen, die Selbstwertzweifel, die häufige Kritik der Umwelt oder möglicherweise verpasste Gelegenheiten zur Sprache. In den vergangenen Jahren sind für die Psychotherapie der ADHS im Erwachse- nenalter sogenannte „störungsorientierte Behandlungsansätze“ (auf der Grundlage verhaltenstherapeutischer Konzepte) entwickelt und auf ihre Wirksamkeit untersucht worden. Störungsorientiert bedeutet, dass spezielle, auf die Störung maßgeschneiderte Behandlungsprogramme entwickelt wurden. Als Ziele bzgl. der ADHS-Kernsymptome und der Sekundärfolgen werden in diesen Therapien genannt: Symptom-Management, Vermittlung von Fertigkeiten, Verbesserung der negativen Selbstbewertungen und Stabilisierung des Selbstwertgefühls. Fertigkeiten in den Bereichen Arbeitsgewohnheiten, Zeitmanagement und Partner- und Familienbeziehungen. Die Therapien können einzeln oder in Gruppen durchgeführt werden, sind meist in Modulen aufgebaut und sehr strukturiert. • Einzeltherapieprogramm Bei einem Einzeltherapieprogramm wird davon ausgegangen, dass die Kerndefizite der ADHS zu einer Lerngeschichte führen, die von Misserfolgen, mangelnder Leistungsfähigkeit und zwischenmenschlichen Problemen geprägt ist. Inhalte der Therapiesitzungen sind beispielsweise das Management von schwierigen, komplexen Aufgaben, von Ablenkbarkeit, die Bearbeitung von negativen Selbstbewertungen und der Umgang mit emotionalen Problemen. Es findet immer wieder Ermutigung statt, die Strategien regelmäßig anzuwenden, auch bei anfänglichen Misserfolgen. • Gruppenprogramm Ein Gruppenprogramm besteht ebenfalls aus verschiedenen Modulen, mit ausführlicher Psychoedukation über alle wichtigen Aspekte von ADHS wie ADHSSymptomatik oder Neurobiologie. 17 Ferner werden Verhaltensstrategien für ADHS-relevante Bereiche besprochen und auch mit Hausaufgaben eingeübt: Alltagsstrukturierung, Organisationsplanung, Achtsamkeitsübungen, Emotionsregulation, Impulskontrolle und Stressmanagement. Nach Abschluss der Therapie gelingt es den Teilnehmern besser, die ADHS-Symptome zu akzeptieren und durch die erlernten Strategien auch besser damit umzugehen. Bei einer Gruppentherapie ist gerade auch der Austausch mit anderen Betroffenen sehr wertvoll und hilfreich. • Coaching Das sogenannte Coaching stellt eine weitere Möglichkeit dar, ADHS-Symptome zu behandeln. Ein Coach kann z. B. mit einem Trainer beim Sport verglichen werden, der eine Person begleitet und die Frage stellt, was diese Person zur Problembewältigung benötigt. Er schaut sich an, welche Fertigkeiten vorliegen und wie diese optimal eingesetzt werden können. Dadurch lassen sich die eigenen Handlungsspielräume erweitern. Ein Coach ist dabei behilflich, den derzeitigen Standort zu bestimmen, wohin sich der Betroffene verändern möchte und wie dies funktionieren kann. Diese Funktion des Coaches kann durch einen Therapeuten, aber auch beispielsweise durch Partner oder Freunde übernommen werden. Selbsthilfegruppen Für weitere Informationen und den Austausch mit anderen Betroffenen, entweder begleitend zu einer Therapie oder im Anschluss daran, ist auch der Besuch einer Selbsthilfegruppe zu empfehlen. Hier kann jeder seine Erfahrungen einbringen oder von Erfahrungen der anderen profitieren. Mitarbeit von Bezugspersonen Der behandelnde Arzt oder Therapeut kann während der Behandlung wichtige Bezugspersonen/Partner in die Behandlung einbeziehen. Dies kann hilfreich sein, zum einen, damit die Bezugspersonen die ADHS-Symptome kennen, zum anderen, damit sie Strategien im Umgang damit kennenlernen. Denn nur wenn das direkte soziale Umfeld weiß, wie es Erwachsenen mit ADHS geht und den Umgang damit kennt, werden langfristige Konflikte vermieden. Auch hier gilt: Information ist der erste Schritt, um mögliche Konflikte zu minimieren und gegenseitiges Verständnis zu erlangen. Ergänzende Therapie bei komorbiden Störungen Darüber hinaus ist in vielen Fällen ein weiterer Schritt in der Behandlung zu besprechen: „Wie soll mit Begleiterkrankungen umgegangen werden?“ Es kann sein, dass zuerst die Begleiterkrankung (z. B. bei Abhängigkeitserkrankungen oder Depressionen) behandelt wird und dann erst die ADHS-Symptomatik oder aber auch, dass beides gleichzeitig behandelt wird (z.B. bei einer Angststörung). Häufig wird zunächst das schwerwiegendere Problem zuerst behandelt. 18 Tipps und Tricks Wie kann ich mir im Alltag selbst helfen? Der erste Schritt ist, dass Erwachsene mit ADHS „ihr Chaos im Kopf“ verstehen lernen. Die Verarbeitung von Informationen im Gehirn verläuft nicht optimal, wodurch die Betroffenen ablenkbar, unaufmerksam und vielleicht auch impulsiv sind. Um gute Ergebnisse zu erreichen, müssen sich Personen mit ADHS in vielen Lebensbereichen mehr anstrengen als andere. Was können Sie selbst tun? • Zerlegen Sie eine Aufgabe in kleine Schritte. Ihre Aufmerksamkeitsspanne ist kürzer als die von anderen Personen. Deshalb ist es wichtig, das Prinzip der kleinen Schritte anzuwenden. • Setzen Sie Prioritäten. • Schreiben Sie wichtige Dinge auf einen Klebezettel und hängen Sie diese z. B. an den Spiegel in Ihrem Badezimmer oder nutzen Sie alternativ die Notizfunktion in Ihrem Mobiltelefon. • Sie sollten Ihren Arbeitsplatz/Schreibtisch übersichtlich organisieren. Alles sollte so organisiert sein, dass Sie nicht lange suchen müssen. Ablagekästen oder Ordner können hier hilfreich sein, auch Karteikarten mit unterschiedlichen Farben erleichtern die Organisation. • Termine oder notwendige Erledigungen sollten Sie sofort aufschreiben. Ein Terminplaner ist dafür ein wichtiges Hilfsmittel oder benutzen Sie alternativ z. B. einen PC oder Ihr Mobiltelefon. Textmarker in verschiedenen Farben können ebenfalls hilfreich sein. • Halten Sie für bestimmte Aktivitäten feste Zeiten ein. Etablieren Sie Rituale für wichtige persönliche Bereiche, z. B. Einkaufen oder Sport, an bestimmten Tagen und zu festen Zeiten. Sport ist eine sehr wichtige Aktivität zum Spannungsabbau und zur Stimmungsstabilisierung. • Planen Sie im Voraus. • Schieben Sie nichts auf (übrigens wichtiges ADHS-Problem). Wenn Sie Dinge gleich erledigen, werden Sie sich vermutlich viel besser fühlen. • Sorgen Sie dafür, dass Arbeit/Pflichten und Entspannung ausgewogen sind. • Wenn Ihre Stimmung mal wieder schwankt, akzeptieren Sie es. Sie wissen, dass dieser Zustand vorübergeht. Auch Grübeln darüber hilft nichts. 19 • Wichtige Bezugspartner sollten soweit möglich informiert werden. Teilen Sie Ihrem Gesprächspartner mit, wenn Sie merken, dass Sie nicht aufmerksam genug sind und die Kommunikation/Beziehung vielleicht darunter leiden könnte. • Belohnen Sie sich für Erfolge, auch für die kleinen. Unternehmen Sie auch Dinge, die Ihnen und Ihren Partnern/ Freunden Spaß bereiten. 20 Und wenn Ihnen dies alles nicht gelingt, ärgern Sie sich nicht. Nutzen Sie Ihre Energie und Ihre Kreativität und versuchen Sie es einfach noch einmal. Unterstützung Wo kann ich weitere Informationen zu ADHS finden? Wenn Sie sich vertieft über ADHS informieren möchten oder Kontakt zu anderen Erwachsenen mit ADHS aufnehmen möchten, so empfehlen wir Ihnen folgende Anlaufstellen: ADHS Deutschland e. V. Rapsstraße 61, 13629 Berlin www.adhs-deutschland.de Juvemus e.V. Vereinigung zur Förderung von Kindern und Erwachsenen mit Teilleistungsschwächen e.V., Brückenstraße 25, 56220 Urmitz, www.juvemus.de zentrales adhs-netz Universitätsklinikum Köln, Robert-Koch Straße 10 50931 Köln, www.zentrales-adhs-netz.de, www.adhs.info 21 Kontroversen Gibt es kritische Fragen zu ADHS? Manchmal wird in den Medien die Auffassung vertreten, dass Störungen der Aufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität den meisten Menschen vertraute Phänomene seien und deswegen weniger von einer medizinischen Krankheit als von allgemeinen Eigenschaften, die bisweilen als störend erlebt werden, gesprochen werden sollte. Andere bestreiten generell, dass es ADHS überhaupt gibt, und vertreten die Auffassung, dass die modernen Industriegesellschaften mit ihren speziellen Lebensbedingungen für dieses Verhalten verantwortlich seien. Lebensbereichen bemerkbar machen. Diese Störungen erweisen sich gegenüber äußeren Einwirkungen regelmäßig als wenig veränderlich. Die ADHS ist von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Krankheit anerkannt. • Eine genetische Verursachung gilt heute als gesichert. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass hier nicht jene Aufmerksamkeitsmängel gemeint sind, die jeder Mensch kennt, z. B. wenn er müde ist und sich nicht mehr konzentrieren kann. Es geht auch nicht um Unruhe und Zappeligkeit in spezifischen Belastungssituationen. Vielmehr handelt es sich gerade nicht um situationsbezogene, sondern um seit der Kindheit bestehende und überdauernde Störungen der Aufmerksamkeit mit Hyperaktivität und Impulsivität, die sich durchgängig in vielen 22 Die ADHS ist von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Krankheit anerkannt. Im Übrigen erfüllt die ADHS alle Kriterien, die für die Anerkennung als Krankheit notwendig sind: • ADHS ist durch verschiedene Kriterien verbindlich definiert • Man weiß, dass ADHS weltweit auftritt und in allen sozialen Schichten beobachtet werden kann. • Effiziente Therapieverfahren sind verfügbar. Damit erfüllt die ADHS alle Bedingungen, die bei medizinischen Krankheiten hinsichtlich Diagnose, Häufigkeit, Verursachung und Behandlung erfüllt sein müssen. Im Vergleich zu anderen psychischen Krankheiten wie z. B. Depressionen, Schizophrenien etc. ist der Wissensstand über die Erkrankung als hoch einzuschätzen. 23 DESTR01189(1) Lilly Deutschland GmbH Werner-Reimers-Straße 2-4 61352 Bad Homburg www.lilly-pharma.de