Axiomatische Geometrie - Institut für Mathematik, Uni Rostock

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Manuskript zur Vorlesung
Axiomatische Geometrie
gehalten an der
U n i v e r s i t ä t
Rostock
von
Prof. Dr. Dieter Neßelmann
Rostock, April 2009
Fassung vom 22. Februar 2010
Inhaltsverzeichnis
0 Einführung
1 Axiomatischer Aufbau
1.1 Axiome der Inzidenz und Anordnung . . . . . . . . . . . . . .
1.2 Axiome der Kongruenz, Dreiecksgeometrie . . . . . . . . . . .
1.3 Axiome der Stetigkeit, Längenmessung . . . . . . . . . . . . .
1.4 Parallelenaxiom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.5 Axiomatik des Raumes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.6 Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit des Axiomensystems
1
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4
4
12
25
29
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33
2 Euklidische Geometrie
2.1 Strahlensätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2 Flächeninhalt und Flächenmaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3 Volumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
36
47
61
3 Abbildungen als Ordnungsprinzip
3.1 Bewegungen und Ähnlichkeiten der Ebene . . . . . . . . . . .
3.2 Affinitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3 Bewegungen des euklidischen Raumes Ω . . . . . . . . . . . .
3.4 Projektionen und Projektivitäten . . . . . . . . . . . . . . . .
3.5 Doppelverhältnis und Schnittpunktsätze (Desargues, Pascal) .
3.6 Zentralkollineationen und projektive Ebene . . . . . . . . . .
67
67
71
76
79
84
90
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4 Nicht-euklidische Geometrien
92
4.1 Neutrale Geometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
4.2 Poincaré-Modell der hyperbolischen Geometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
4.3 Sphärische Geometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
5 Ergänzungen
5.1 Kreisgeometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2 Geometrie über Körpern, Konstruierbarkeit . . . . . . . . . .
5.3 Eulersche Polyederformel, reguläre und halbreguläre Polyeder
5.4 Anschauliche Topologie - Graphen . . . . . . . . . . . . . . .
5.5 Planetenbewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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EINFÜHRUNG
1
Einführung
Die Geometrie als ältester und eindrucksvollster Teil der Mathematik geht auf die Babylonier
und Ägypter zurück, die durchweg anwendungsorientiert waren (Landvermessung u.a.). Die
Griechen haben sie dann vor ca. 2500 Jahren zu einer abstrakten Wissenschaft entwickelt
und damit ihre Eigenständigkeit ermöglicht. Euklid (325? - 270? vor Christus) fasste das
damalige Wissen in den 13 Büchern Elemente“ [1] zusammen und schuf erstmals ein Axio”
mensystem, mit dem ein abstrakter Aufbau ermöglicht wurde. Dieses Axiomensystem ist in
weiten Teilen heute noch gültig.
Ursprünglich war die Geometrie die Lehre von den Eigenschaften der Figuren, unabhängig
von deren Lage in der Ebene oder im Raum - synthetische Geometrie“. René Descartes
”
(1596-1650) führte Koordinatensysteme ein und gelangt so zur Beschreibung geometrischer
Objekte durch Zahlentupel - analytische Geometrie“.
”
David Hilbert (1862-1943) hat erstmals das Axiomensystem von Euklid überarbeitet und
in seinen Grundlagen der Geometrie“ [2] das Euklidische Axiomensystem neu gefasst, das
”
wir heute als Hilbertsches Axiomensystem“ kennen:
”
1) Gegeben sind gewisse Objekte, nennen wir sie Punkte, Geraden, Ebenen, . . .
2) Wir haben gewisse Begriffsbildungen - Definitionen
3) Axiome weisen diesen Objekten Eigenschaften zu, die Struktur, Reichhaltigkeit und
Symmetrien der Geometrie bestimmen.
Philosophisch gesehen ist dieses eine indirekte Definition für die Objekte, nachdem alle Versuche einer direkten Definition fehlgeschlagen sind!
4) Durch logisch richtige Schlüsse werden aus Axiomen und bereits hergeleiteten Aussagen
(Sätze) neue Aussagen (Sätze) hergeleitet, die dann in diesem System wahr sind.
Eine moderne, gründliche und umfassende Aufarbeitung erfuhr die axiomatische Geometrie
durch Robin Hartshorne in seinem Buch Geometry: Euclid and beyond“ [3].
”
Je nachdem, welche Axiome zugelassen werden, erhalten wir etwa folgendes Schema von
Geometrien, die von oben nach unten gesehen reichhaltiger werden.
0
EINFÜHRUNG
2
Ein anderer Zugang zu unterschiedlichen Geometrien erfolgt über das Erlanger Programm von
Felix Klein (1849-1925). Klein schlägt vor, die Geometrien entsprechend ihrer zugehörigen
Automorphismengruppe zu klassifizieren:
- Automorphismen: 1-1-Abbildung des Raumes auf sich;
- Verknüpfung: Hintereinanderausführung =⇒ man erhält eine Gruppe, die Automorphismengruppe;
- charakterisierende Eigenschaften einer Geometrie sind nun diejenigen, die bei allen Automorphismen invariant bleiben;
- geht man von einer Gruppe zu einer Untergruppe =⇒ man erhält mehr Invarianten und
die Geometrie wird reichhaltiger.
Für die obige Übersicht bedeutet dieses:
• affine Geometrie - affine Abbildungen;
Invarianten: Gerade −→ Gerade;
• euklidische Geometrie - Ähnlichkeitsabbildungen;
Invarianten: Gerade −→ Gerade, Winkel (ϕ(α) = α als Maßzahl);
Untergruppe: Bewegungen
Invarianten: Strecken, Winkel;
• projektive Geometrie: Kollineationen
Invarianten: kollineare Punkte −→ kollineare Punkte
Die Vorlesung behandelt einen rein axiomatischen Aufbau der Geometrie und setzt Kenntnisse
der analytischen Geometrie aus den Grundlagenvorlesungen voraus. Das Vorlesungsprogramm
0
EINFÜHRUNG
3
findet sich, soweit es die euklidische Geometrie betrifft, weitgehend im Schulstoff wieder (z.B.
Gymnasium M-V).
5. Klasse: Strecke, Gerade, Strahl (Inzidenz)
6. Klasse: Dreiecke, Kreise
7. Klasse: Kongruenzen, räumliche Geometrie (Prismen)
8. Klasse: Flächeninhalt, Satz des Pythagoras
9. Klasse: Ähnlichkeit, Strahlensätze, Volumina
10. Klasse: Volumen- und Oberflächenberechnungen
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
1
4
Ein axiomatischer Aufbau der euklidischen
Geometrie
1.1
Axiome der Inzidenz und Anordnung
Definition 1.1.1 Sei ε eine nichtleere Menge, deren Elemente Punkte heißen (Bezeichnung
A, B, C, . . .);
Geraden heißen gewisse Teilmengen von ε (Bezeichnung g, h, . . .);
Bewegungen sind gewisse bijektive Abbildungen von ε auf sich.
Axiome weisen diesen Dingen Eigenschaften zu, die Struktur, Reichhaltigkeit und Symmetrie
von ε bestimmen.
Wir betrachten 5 Gruppen von Axiomen:
I. Axiome der Inzidenz
II. Axiome der Anordnung
III. Axiome der Kongruenz
IV. Axiome der Stetigkeit
V. Parallelenaxiom
Die Axiome der Axiomengruppen I-IV sind die Axiome der absoluten Geometrie“.
”
I. Axiome der Inzidenz
(Inzidenz - Ereignis, A inzidiert mit g ⇔ A liegt auf g)
(I1) Zu je zwei verschiedenen Punkten A, B ∈ ε gibt es genau eine Gerade g ⊂ ε, so dass
A, B ∈ g (g = g(A, B)).
(I2) Auf jeder Geraden gibt es wenigsten 2 Punkte.
(I3) Es gibt 3 Punkte A, B, C ∈ ε, die nicht auf einer Geraden liegen (A, B, C nicht kollinear ; A, B, C heißen kollinear :⇔ ∃ g ⊂ ε mit A, B, C ∈ g).
Man kann hier schon den Begriff der Parallelität einführen.
Definition 1.1.2 (Parallelität) Sind g, h ⊂ ε zwei verschiedene Geraden, dann haben g und
h nach (I1) höchstens einen Punkt gemeinsam.
g und h heißen parallel (gkh) :⇐⇒ entweder g ∩ h = ∅ oder g = h.
Satz 1.1.3 Jede Ebene hat wenigstens 3 voneinander paarweise verschiedene Geraden.
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
5
Beweis ∃ A, B, C ∈ ε, die nicht kollinear sind (I3) ⇒ ∃ g(A, B), g(A, C) und g(B, C) und
diese sind paarweise verschieden nach (I1), qed.
Modell 1: ε = {A, B, C} - 3 paarweise verschiedene Punkte
Geraden: 2-er Mengen {A, B}, {A, C}, {B, C}
Weniger Punkte sind nicht möglich!
Modell 2: ε = {A, B, C, D} - 4 Punkte
Geraden: 2-er Mengen
{A, B}, {A, C}, {A, D}, {B, C}, {B, D}, {C, D}
Modell 3: Punkte seien Halbkugeln H1 , H2 , H3 , H4
Je 2 Halbkugeln lassen sich zu einer Kugel zusammensetzen ⇒ Gerade.
Man prüft leicht nach: (I1), (I2), (I3) erfüllt.
Modell 2 und 3 sind offenbar gleichwertig.
II. Axiome der Anordnung
Die Punkte einer jeden Geraden g von ε stehen in einer Beziehung zueinander, die Zwischen“
”
heißt und folgenden Bedingungen genügt:
(A1) Wenn A, B, C ∈ g und B zwischen A und C liegt: Zw(ABC), dann sind A, B, C
paarweise verschieden und B liegt auch zwischen C und A: Zw(CBA).
(A2) Zu je zwei verschiedenen Punkten A, B gibt es einen Punkt C, so dass Zw(ABC).
(A3) Zu je 3 verschiedenen Punkten auf einer Geraden g gibt es genau einen, der zwischen
den anderen beiden liegt.
(Es ist ausreichend: höchstens“ einen zu fordern!)
”
Wir können (A1), (A2), (A3) auch eleganter formulieren:
(A1’) Die Punkte einer jeden Geraden bilden eine total geordnete Menge.
(A2’) Es gibt auf einer Geraden keinen ersten und keinen letzten Punkt.
Definition 1.1.4 (Strecke): Seien A, B ∈ ε zwei verschiedene Punkte. Dann heißt die Menge
AB := {A, B} ∪ {X ∈ ε : Zw(AXB)}
die Strecke AB oder auch BA. A und B sind Randpunkte, {X ∈ ε : Zw(AXB)} sind innere
Punkte.
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
6
Eine Gerade g schneidet eine Strecke AB, wenn g ∩ AB 6= 0.
Um etwa die Teilung einer Ebene durch eine Gerade in zwei disjunkte Teilmengen und das
Prinzip Ebene“ zu erklären, benötigt man ein weiteres Axiom:
”
(A4) (Axiom von Pasch) Seien A, B, C ∈ ε nicht kollinear und g ⊂ ε eine Gerade mit A, B, C ∈
/ g.
Wenn g die Strecke AB schneidet, so schneidet g
auch die Strecke AC oder BC, aber nicht beide.
(Letzteres ist auch beweisbar!)
In den folgenden Sätzen seien die Axiome der Inzidenz und der Anordnung für die betrachtete
Ebene erfüllt.
Satz 1.1.5 Jede Strecke hat mindestens einen inneren Punkt und damit unendlich viele.
(I3)
Beweis Sei AB gegeben =⇒ ∃ E ∈
/ g(A, B)
(A2)
=⇒ ∃ F ∈ g(A, E) : Zw(AEF )
(A2)
=⇒ ∃ D ∈ g(F, B) : Zw(F BD).
Wegen E 6= F und g(E, D) 6= g(F, D) trifft g(E, D)
nicht F B und schneidet daher AB (im Innern), qed.
Satz 1.1.6 Sei g ⊂ ε eine Gerade. Dann werden die Punkte der Ebene, die nicht auf g liegen,
in zwei nichtleere, disjunkte Teilmengen S1 , S2 wie folgt geteilt:
a) A, B ∈
/ g gehören derselben Menge (S1 oder S2 ) an ⇐⇒ AB ∩ g = ∅;
b) A, C ∈
/ g gehören zu verschiedenen Mengen ⇐⇒ AC ∩ g 6= ∅.
S1 und S2 heißen die beiden (verschiedenen) Seiten von g, d.h. A, B liegen auf derselben
Seite und A, C auf verschiedenen Seiten von g.
Beweis Wir führen folgende Relation auf ε \ g ein:
g
∀ A, B ∈ ε \ g gilt A ∼ B
:⇐⇒ A = B oder A 6= B und AB ∩ g = ∅.
g
Beh: ∼ ist eine Äquivalenzrelation mit genau 2 Äquivalenzklassen.
g
g
g
Hierzu: Offenbar gilt ∀ A, B ∈ ε \ g : A ∼ A und {A ∼ B ⇒ B ∼ A}.
Aufwändiger ist die Transitivität; sei A, B, C ∈ ε \ g, dann müssen wir zeigen:
g
g
g
A∼B ∧B ∼C ⇒ A∼C
Sei AB ∩ g = ∅, BC ∩ g = ∅.
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
7
Fall 1: A, B, C nicht kollinear
(A4)
Falls AC ∩ g 6= ∅ =⇒ g schneidet weitere Seite Widerspruch.
Fall 2: A, B, C kollinear, h = g(A, B).
(A2)
Sei D ∈ g, D ∈
/ h =⇒ ∃ E ∈ g(A, D) mit
g
Zw(DAE) ⇒ AE ∩ g = ∅ ⇒ A ∼ E.
Nun wenden wir mehrfach Fall 1 an, da E, A, B und
E, A, C nicht kollinear:
(A4)
(A4)
(A4)
AE ∩ g = ∅, AB ∩ g = ∅ =⇒ EB ∩ g = ∅; BC ∩ g = ∅ =⇒ EC ∩ g = ∅; =⇒ AC ∩ g = ∅,
g
d.h. A ∼ C.
Wir müssen nun zeigen: ∃ genau 2 Äquivalenzklassen
1. Klasse S1 : ∃ A ∈
/ g ⇒ S1 ist die Klasse
[A] := {A} ∪ {X ∈ ε : AX ∩ g = ∅}
2. Klasse S2 : Sei D ∈ g wie oben
(A4)
=⇒ ∃ C : Zw(ADC) ⇒ C ∈
/ S1 ⇒ S2 := [C]
Weitere Klassen gibt es nicht:
g
g
Beh.
Sei etwa B derart, dass B C, d.h. B ∈
/ S2 , =⇒ B ∼ A, d.h. B ∈ S1 .
Fall 1: A, B, C nicht kollinear
(A4)
g
AC ∩ g 6= ∅, BC ∩ g 6= ∅ =⇒ AB ∩ g = ∅ d.h. A ∼ B.
Fall 2: A, B, C kollinear, h = g(A, B);
wie oben ∃ D ∈ g, D ∈
/ h und E ∈ g(D, A) mit
g
Zw(DAE) ⇒ AE ∩ g = ∅ (A ∼ E)
=⇒ ((A4) für 4(EAC)) EC ∩ g 6= ∅.
Im Dreieck
4(EAB):
4(EBC)
gilt nach Voraussetzung BC ∩ g 6= ∅. Daher ist ebenfalls nach (A4) in
(A4)
g
BE ∩ g = ∅ =⇒ AB ∩ g = ∅, also B ∼ A, qed.
Hiermit zeigt man nun, dass ein Punkt eine Gerade in zwei disjunkte Teile zerlegt.
Satz 1.1.7 Sei A ∈ g ⊂ ε ⇒ g \ {A} = S1 ∪ S2 , S1 ∩ S2 = ∅
a) B, C ∈ g auf derselben Seite“ ⇐⇒ B = C oder A ∈
/ BC;
”
b) B, C ∈ g auf verschiedenen Seiten“ ⇐⇒ A ∈ BC;
”
Beweis Sei E ∈
/ g und h = g(A, E). Dann teilt h
gemäß Satz 1.1.7 die Ebene in 2 disjunkte Teilmengen
S10 und S20 . Die Mengen S1 = S10 ∩ g und S2 = S20 ∩ g
erfüllen die Bedingungen der Folgerung, qed.
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
8
Mit der Aufteilung einer Ebene bzw. einer Geraden in 2 disjunkte Teilmengen (zuzüglich
einer Geraden bzw. eines Punktes) haben wir die Begriffe Strahl“ und Winkel“ und den
”
”
schon vorher verwendeten Begriff Dreieck“ zur Verfügung.
”
Definition 1.1.8 Seien A, B, C ∈ ε, paarweise verschieden und nicht kollinear.
−−→
a) Strahl AB := {P ∈ g(A, B) : P = A oder P 6= A und auf derselben Seite von A wie
B}
−−→ −→
b) Winkel ](BAC) := AB ∪ AC
g(A,B)
c) Inneres von ](BAC) := {D ∈ ε : D ∼ C und D
(Winkel, die kein Inneres besitzen, heißen entartet.)
g(A,C)
∼
B}
d) Inneres des Dreiecks 4(ABC) :=
{D ∈ ε : D gehört zum Inneren eines jeden Winkels ](BAC), ](ABC), ](ACB)}
Wenn kein Missverständnis möglich ist, schreiben wir auch ]A, ]B, ]C.
−−→
Satz 1.1.9 Sei ](BAC) ein Winkel und D im Innern von ](BAC). Dann schneidet AD
auch BC.
Die Aussage ist ähnlich wie das Axiom von Pasch, nur dass die betrachtete Gerade durch
eine Ecke des Dreiecks geht.
Beweis Sei l = g(A, B), m = g(A, C) und n =
g(A, D). Sei E ∈ m ein Punkt mit Zw(CAE) (A2).
Nach Wahl von E schneidet n die Strecke EC und
daher nach (A4) für das Dreieck 4(EBC) auch BE
oder BC.
Wir zeigen: n schneidet nicht BE
Die Strecke BE liegt ganz auf einer Seite von l und schneidet l nur in B. Da E und C auf
verschiedenen Seiten von l liegen, liegen alle Punkte von BE auf der anderen Seite von l wie
C.
−−→
1. Der Strahl AD liegt im Innern des Winkels und damit ganz auf derselben Seite von l
−−→
wie C (und auf derselben Seite von m wie B) ⇒ AD ∩ EB = ∅.
−−→
−−→∗
2. Entsprechend liegt der zu AD entgegengesetzte Strahl AD := {X | Zw(DAX)} auf
der anderen Seite von m wie EB.
Aus 1. und 2. folgt: n ∩ EB = ∅ und daher n ∩ BC 6= ∅, etwa = {F }.
−−→
F liegt auf AD, denn B und F sowie B und D liegen auf derselben Seite von m, also auch
D und F , qed.
Kartesische Modelle für Ebenen
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
9
Definition 1.1.10 Eine Ebene ε heißt kartesische Ebene über einem Körper K
:⇐⇒ ε = εK = K 2 = {(a, b) : a, b ∈ K} (Punktmenge)
Gerade g(a, b, c) mit a, b, c ∈ K und (a, b) 6= (0, 0)
g(a, b, c) := {P = (x, y) ∈ εK : ax + by + c = 0} = g(λa, λb, λc) (λ 6= 0).
Für K = R (reelle Zahlen) ist uns diese Konstruktion vertraut.
Beispiel K = {0, 1} ⇒ K 2 = {A = (0, 0), B = (0, 1), C = (1, 0), D = (1, 1)} Operationen:
· 0 1
+ 0 1
0
1
0 1
1 0
0 0 0
1 0 1
Geraden g = g(a, b, c):
g1 = g(1, 0, 0) : x = 0;
g2 = g(1, 0, 1) : x + 1 = 0
g3 = g(0, 1, 0) : y = 0;
g4 = g(0, 1, 1) : y + 1 = 0
g5 = g(1, 1, 0) : x + y = 0; g6 = g(1, 1, 1) : x + y + 1 = 0
⇒ εK genügt den Inzidenzaxiomen, jedoch sicher nicht den
Anordnungsaxiomen!
Lemma 1.1.11 Für jeden Körper K erfüllt die kartesische Ebene εK die Inzidenzaxiome
und das Parallelenaxiom (P).
Sei g ⊂ εK und P ∈ εK . Dann gibt es höchstens eine Gerade h mit A ∈ h und h k g.
(P):
Beweis (I1), (I2), (I3) sind Übungsaufgaben. Für den Nachweis der Gültigkeit des Parallelenaxioms sei g = g(a0 , b0 , c0 ) : a0 · x + b0 · y + c0 = 0, (a0 , b0 ) 6= (0, 0), eine beliebige Gerade
und P = (px , py ) ∈ K 2 ein beliebiger Punkt.
Eine Gerade gP = g(a, b, c) : a · x + b · y + c = 0, (a, b) 6= (0, 0), geht durch P = (px , py ) genau
dann, wenn a · px + b · py + c = 0. Dann haben wir:
gP 6= g
⇐⇒
sind parallel(
das System
a b
a0 b0
a·x+b·y+c=0
a0 · x + b0 · y + c0 = 0
!
)
besitzt keine Lösung
a b c
a0 b0 c0
!
⇐⇒
Rang
⇐⇒
a0 · b − b0 · a = 0, d.h. ∃ λ 6= 0 : a = λ · a0 , b = λ · b0
⇒ λ · a0 · px + λ · b0 · py + c = 0 ⇒ c = −(λ · a0 · px + λ · b0 · py )
d.h. gP ist eindeutig bestimmt.
Es ist
= 1, Rang
=2
P ∈ g ⇐⇒ c = λ · c0 ⇐⇒ gP = g. Qed.
Um die Axiome der Anordnung zu erfüllen, muss auch der Körper geordnet sein.
Definition 1.1.12 Ein Körper K 6= 0 heißt geordnet, wenn er eine Teilmenge K+ ⊂ K, den
positiven Elementen, besitzt, so dass gilt:
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
10
(i) ∀ a, b ∈ K+ ist a + b ∈ K+ und a · b ∈ K+ ;
(ii) ∀ a ∈ K gilt genau eine der Beziehungen a ∈ K+ , a = 0 oder −a ∈ K+ .
Beispiele Q, R sind geordnet.
Lemma 1.1.13 Sei K geordnet. Dann gilt
a) 1 ∈ K+ ;
b) Char K = 0;
c) der kleinste Teilkörper von K, der die 1 enthält, ist isomorph zu Q;
d) ∀ a ∈ K, a 6= 0, gilt a2 ∈ K+ .
Beweis: a) ∀ K 6= {0} gilt 1 6= 0;
ang.: 1 ∈ K+ ⇒ fertig;
ang.: 1 ∈
/ K+ ⇒ −1 ∈ K+ ⇒ (−1)(−1) = 1 ∈ K+ ⇒ Widerspruch.
b) Falls Char K = p ⇒ 1| + ·{z
· · + 1} = 0 im Widerspruch zu (i).
p−mal
c) Sei ϕ : N −→ K mittels ϕ(n) := |1 + ·{z
· · + 1} , 1 ∈ K (n 6= 0) und ϕ(0) := 0. Wegen
n−mal
Char K = 0 ist ∀ n 6= 0 auch ϕ(n) 6= 0. Für q =
ϕ(m)
m
∈ Q setzen wir ϕ(q) :=
und
n
ϕ(n)
erhalten eine isomorphe Einbettung.
d) Ist a ∈ K+ ⇒ a · a = a2 ∈ K+ ; ist−a ∈ K+ ⇒ (−a) · (−a) = a2 ∈ K+ , qed.
Folgerung 1.1.14 C ist nicht geordnet.
Beweis i ∈ C ⇒ i2 = −1 ∈
/ C+ .
Wie erhalten wir nun die eigentliche Ordnung in K?
Definition 1.1.15 Sei K geordnet und a, b ∈ K. Dann definieren wir:
a > b :⇐⇒ a − b ∈ K+ ;
a < b :⇐⇒ b − a ∈ K+ .
Dieses definiert offenbar eine totale Ordnung in K: ∀ a, b ∈ K gilt genau eine der Beziehungen:
a > b, a = b, a < b.
Satz 1.1.16 Sei K ein Körper und εK die entsprechende kartesische Ebene. Dann gilt:
εK genügt den Axiomen der Anordnung ⇐⇒ K ist geordnet.
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
11
Beweis =⇒“ Betrachten x-Achse: g0
”
O = (0, 0) ∈ g0 ⇒ (Satz 1.1.7) g0 wird durch O in 2 Seiten geteilt; sei
K0 := {a ∈ K : a 6= 0, (a, 0) und (1, 0) liegen auf derselben Seite von O}
−K0 := {a ∈ K : a 6= 0, (a, 0) und (1, 0) liegen auf verschiedenen Seiten von O}
Dann ist K = K0 ∪ {0} ∪ −K0 - disjunkte Vereinigung.
Beh.: K+ = K0
Sei a, b ∈ K0 .
Addition: a + b entspricht Addition von Strecken ⇒
a + b ∈ K0
Multiplikation: Parallele durch B = (0, b) zur Geraden
durch die beiden Punkte E = (0, 1), A = (a, 0) schneidet
x-Achse in X = (a · b, 0)
Beh.: a · b ∈ K0
Sei Zw(OEB) und g(B, X) parallel zu g(A, E). Dann liegen ganz g(B, X) und O auf verschiedenen Seiten von g(A, E), also auch Zw(OAX). Ist Zw(OBE) ergibt sich entsprechend
Zw(OXA). In beiden Fällen liegen daher X und A auf derselben Seite von O, also a · b ∈ K0
und K ist geordnet.
⇐=“ Sei K geordnet und A = (a1 , a2 ), B = (b1 , b2 ), C = (c1 , c2 ) paarweise verschiedene
”
Punkte einer Geraden g : ax + by + c = 0.
Zwischenrelation:
1) Sei b 6= 0 :
Zw(ABC) :⇔ a1 > b1 > c1 oder a1 < b1 < c1 ;
2) sei b = 0 (d.h. a1 = b1 = c1 ) :
Zw(ABC) :⇔ a2 > b2 > c2 oder a2 < b2 < c2 .
Man prüft nun die Gültigkeit von (A1) - (A4) nach! Qed.
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
1.2
12
Axiome der Kongruenz, Dreiecksgeometrie
III. Axiome der Kongruenz
Wir führen eine Relation zwischen Strecken und zwischen Winkeln ein und nennen diese
Kongruenz“, in Zeichen AB ∼
= CD bzw. ](BAC) ∼
= ](EDF ), wenn folgende Axiome erfüllt
”
sind (Kongruenz ist in einem erweiterten Sinn eine Gleichheit“):
”
III.1 Kongruenz von Strecken
(C1) (Existenz) Sei AB ⊂ ε (A 6= B) und C der Ursprung
eines Strahls r. Dann gibt es genau einen Punkt D ∈
r, D 6= C, mit AB ∼
= CD.
(C2) Wenn 2 Strecken einer dritten kongruent sind, dann sind sie zueinander kongruent. Jede
Strecke ist zu sich selbst kongruent:
AB ∼
= CD und AB ∼
= EF ⇒ CD ∼
= EF .
(C3) (Addition) Wenn A, B, C ∈ ε und Zw(ABC)
sowie D, E, F ∈ ε mit Zw(DEF ) und
∼ DE, BC =
∼ EF , dann ist auch AC ∼
AB =
= DF :
Satz 1.2.1 Die Kongruenz von Strecken ist eine Äquivalenzrelation.
Beweis Übungsaufgabe!
Rechnen mit Strecken
−−→
Definition 1.2.2 (Addition von Strecken) Seien AB und CD Strecken, r = AB ein
Strahl. Ist E der eindeutig bestimmte Punkt auf r, so
dass BE ∼
= CD nach (C1), dann heißt AE die Summe
von AB und CD:
AB + CD := AE.
Satz 1.2.3 Sei AB ∼
= A0 B 0 und CD ∼
= C 0 D0 =⇒ AB + CD ∼
= A0 B 0 + C 0 D0
d.h. die Addition von Strecken ist unabhängig von den ausgewählten Repräsentanten.
Beweis Sei E wie in Definition 1.2.2: AE = AB +CD
und entsprechend E 0 :
A0 E 0 = A0 B 0 + C 0 D 0
=⇒ BE ∼
= CD ∼
= C 0 D0 ∼
= B 0 E 0 =⇒ BE ∼
= B0E0
nach (1.2.1) =⇒ (C3) AE ∼
= A0 E 0 , qed.
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
13
Satz 1.2.4 (Differenz von Strecken) Seien A, B, C und D, E, F jeweils kollinear, Zw(ABC),
∼ DE und AC ∼
AB =
= DF =⇒ Zw(DEF ) und BC ∼
= EF
BC heißt Differenz von AC und AB.
Beweis Sei F 0 ∈ r0 , so dass Zw(DEF 0 ) und BC ∼
=
(C3)
0
0
∼ DF . Wegen AC =
∼ DF
EF nach (C1) =⇒ AC =
0
folgt F = F nach (C1) und daher auch Zw(DEF ),
qed.
Wichtig ist nun der Vergleich von Strecken.
Definition 1.2.5 Seien AB, CD ⊂ ε. Dann sei
AB < CD :⇔ ∃ E ∈ CD, Zw(CED) und AB ∼
=
CE.
Satz 1.2.6
b)
”
a) Ist AB ∼
= A0 B 0 und CD ∼
= C 0 D0 =⇒ {AB < CD ⇔ A0 B 0 < C 0 D0 }
<“ ist eine Ordnungsrelation in der Menge aller Strecken, d.h.
b1 ) AB < CD und CD < EF =⇒ AB < EF
b2 ) ∀ Strecken AB, CD ⊂ ε gilt genau eine der Relationen
AB < CD, AB = CD oder AB > CD.
Beweis zu a) =⇒“ Sei AB < CD =⇒ ∃ E ∈
”
(C1)
CD, Zw(CED) und AB ∼
= CE =⇒ ∃ E 0 ∈ r0 :
CE ∼
= C 0 E 0 und D0 , E 0 auf derselben Seite von C 0 .
Wegen CD ∼
= C 0 D0 und Satz 1.2.4 folgt Zw(C 0 E 0 D0 )
und A0 B 0 ∼
= CE ∼
= C 0 E 0 , also A0 B 0 < C 0 D0 .
⇐=“ genauso.
”
b) Dem Beweis von b) stellen wir folgende Aussage voran:
Lemma 1.2.7 Sind A, B, C ∈ g kollinear und Zw(ABC), dann liegen A, B auf derselben
Seite von C und B, C auf derselben Seite von A (sonst Zw(ACB) bzw. Zw(BAC)). Gilt
dann auch noch Zw(ACD), also A und D auf verschiedenen Seiten von C, dann liegen A
und D auch auf verschiedenen Seiten von B und B und D auf verschiedenen Seiten von C,
also Zw(ABD) und Zw(BCD).
Wir haben das Bild:
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
14
Beweis zu 1.2.7 Mit den Bezeichnungen aus Abschnitt 1.1 gilt:
C
C
C
B
B
B
Zw(ABC) ∧ Zw(ACD) =⇒ A ∼ B und A D =⇒ B D =⇒ Zw(BCD)
und
Zw(BCD) ∧ Zw(ABC) =⇒ C ∼ D und A C =⇒ A D =⇒ Zw(ABD),
qed.
zu b1 ) Sei AB ∼
= CX mit Zw(CXD) sowie
∼
CD = EY mit Zw(EY F ). Nach Satz 1.2.4
gibt es ein Z ∈ EY mit CX ∼
= EZ. Aus
Zw(EY F ) und Zw(EZY ) folgt aus Lemma
1.2.7 Zw(EZF ), also AB < EF .
zu b2 ) Sei
AB ∼
= CE
E = D (AB
qed.
−−→
r = CD und E ∈ r derart, dass
=⇒ Zw(CED) (AB < CD) oder
∼
= CD) oder Zw(CDE) (AB > CD),
III.2 Kongruenz für Winkel
(C4) (Existenz) Gegeben sei der Winkel ](BAC) und
−−→
ein Strahl DE. Dann existiert ein eindeutig be−−→
stimmter Strahl DF auf einer vorgegebenen Seite von g(D, E), so dass ](BAC) ∼
= ](EDF ).
Jeder Winkel ist zu sich selbst kongruent:
](BAC) ∼
= ](BAC).
(C5) Für je 3 Winkel α, β, γ gilt: α ∼
= β und α ∼
= γ =⇒ β ∼
=γ
(Diese Aussage ist aus dem Rest beweisbar, so ist es aber bequemer!)
(C6) Gilt für 2 Dreiecke 4(ABC) und 4(DEF ):
AB ∼
= DE, AC ∼
= DF und ](BAC) ∼
=
](EDF ) =⇒ ](ABC) ∼
= ](DEF )
(und damit durch Bezeichnungswechsel auch
](BCA) ∼
= ](EF D) =⇒ die Dreiecke sind
kongruent“; Beweis siehe Hilbert [2], I.5)
”
Bemerkung
a) Nach den Kongruenzaxiomen wird weder der Strecke noch dem Winkel eine Richtung
(Orientierung) zugeordnet.
b) Axiom (C6) gewährleistet die Homogenität der Ebene.
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
15
c) Die Kongruenzrelation der Winkel ist eine Äquivalenzrelation (direkte Folge aus (C4)
und (C5)).
Definition 1.2.8 (Hilbert-Ebene) Eine Ebene, in der die Axiome (I1)-(I3), (A1)-(A4) und
(C1)-(C6) gelten, heißt eine Hilbert-Ebene.
Ein wesentlicher Teil der aus der euklidischen Geometrie bekannten Dreiecksgeometrie lässt
sich bereits in einer Hilbert-Ebene beweisen und ist damit Bestandteil der absoluten Geometrie.
Definition 1.2.9 Zwei Dreiecke 4(ABC) und
4(DEF ) heißen kongruent :⇐⇒
∼ DE, AC =
∼ DF , BC ∼
AB =
= EF und
]A ∼
= ]D, ]B ∼
= ]E, ]C ∼
= ]F , d.h. Seiten
und Winkel sind paarweise zueinander kongruent: 4(ABC) ∼
= 4(DEF )
Satz 1.2.10 (SWS) Dreiecke, die den Bedingungen von (C6) genügen, sind kongruent.
∼ ]E und ]C ∼
Beweis Nach (C6) ist ]B =
= ]F .
Wir müssen noch BC ∼
= EF zeigen.
0
Sei F derart, dass BC ∼
= EF 0 und etwa F 0 6= F
(C6)
=⇒ ](BAC) ∼
= ](EDF 0 ) und nach Voraussetzung ](BAC) ∼
= ](EDF ) im Wid. zu (C4)
=⇒ F 0 = F , qed.
Genauso erhält man:
Satz 1.2.11 (WSW) Gelten für 2 Dreiecke 4(ABC) und 4(DEF ) die Kongruenzen AC ∼
=
∼
∼
∼
DF , ]A = ]D, ]B = ]E =⇒ 4(ABC) = 4(DEF ), d.h. die Dreiecke sind kongruent.
−−→
Beweis Wie oben tragen wir BC auf dem Strahl EF
(C6)
ab =⇒ ∃ F 0 : BC ∼
= EF 0 =⇒ 4(ABC) ∼
= 4(DEF 0 )
und ](EDF 0 ) ∼
= ](BAC) ∼
= ](EDF ).
Falls F 0 6= F =⇒ ](EDF 0 ) < ](EDF ) oder
](EDF 0 ) > ](EDF ) - Widerspruch, qed.
Für den Beweis des 3. Kongruenzsatzes (SSS) benötigt man erheblich mehr Aufwand.
Definition 1.2.12 a) (Summe von 2 Winkeln) Sei ](BAC)
−−→
ein Winkel und AD ein Strahl im Innern, dann heißt
](BAC) die Summe von ](BAD) und ](DAC).
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
16
b) (Nebenwinkel) Sei ](BAC) ein Winkel und D ∈
g(A, C) auf der anderen Seite von A wie C. Die
Winkel ](BAC) und ](BAD) heißen Nebenwinkel.
c) (Scheitelwinkel) ](BAC) und ](DAE) heißen
Scheitelwinkel.
d) (rechter Winkel - Rechter) α heißt ein rechter Winkel oder Rechter :⇐⇒ α ist zu seinem Nebenwinkel
kongruent (α ∼
= β).
Satz 1.2.13 Sind ](BAC) und ](BAD) sowie ](B 0 A0 C 0 ) und ](B 0 A0 D0 ) paarweise Nebenwinkel und ](BAC) ∼
= ](B 0 A0 C 0 ) =⇒ ](BAD) ∼
= ](B 0 A0 D0 ).
Beweis Wir wählen B 0 , C 0 , D0 jeweils auf den entsprechenden Strahlen, so dass
AB ∼
= A0 B 0 , AC ∼
= A0 C 0 , AD ∼
= A0 D0 (nach (C1)).
(1.2.10) mehrfach anwenden ergibt:
1.
4(BAC)
∼
= 4(B 0 A0 C 0 )
(SW S)
2. DC ∼
= D0 C 0 nach (C3) =⇒
4(BCD)
∼
= 4(B 0 C 0 D0 ) =⇒
](BDA) ∼
= ](B 0 D0 A0 ) und BD ∼
= B 0 D0 ⇒
3.
4(BDA)
∼
= 4(B 0 D0 A0 )
=⇒ ](BAD) ∼
= ](B 0 A0 D0 ), qed.
Folgerung 1.2.14 Scheitelwinkel sind zueinander kongruent.
Beweis α und α0 sind beides Nebenwinkel zu β, qed.
Satz 1.2.15 Mit den Bezeichnungen aus nebenstehender Skizze sei
a) (Addition von Winkeln) ](BAD) ∼
= ](B 0 A0 D0 ) und ](DAC) ∼
= ](D0 A0 C 0 )
⇒ ](BAC) ∼
= ](B 0 A0 C 0 )
b) (Subtraktion von Winkeln) ](BAC) ∼
= ](B 0 A0 C 0 ) und ](DAC) ∼
= ](D0 A0 C 0 )
⇒ ](BAD) ∼
= ](B 0 A0 D0 )
](BAD) heißt die Differenz der Winkel ](BAC) und ](DAC):
](BAC) − ](DAC) := ](BAD).
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
17
Beweis b) Seien B 0 , C 0 so gewählt, dass AB ∼
= A0 B 0
(SW S)
und AC ∼
= A0 C 0 =⇒ 4(ABC) ∼
= 4(A0 B 0 C 0 ) und daher ](ABC) ∼
= ](A0 B 0 C 0 ), ](ACB) ∼
= ](A0 C 0 B 0 ) und
(W SW )
BC ∼
= B 0 C 0 =⇒ 4(ACD) ∼
= 4(A0 C 0 D0 ) und somit
CD ∼
= C 0 D0 und daher als Differenz kongruenter Strecken
(W SW )
BD ∼
= B 0 D0 =⇒ 4(BAD) ∼
=
0
0
0
∼
](BAD) = ]B A D .
4(B 0 A0 D 0 )
und folglich
a) Als Nebenwinkel zu den kongruenten Winkeln α und α0 ergibt sich wegen Satz 1.2.13 die
Kongruenz ](DAE) ∼
= ](D0 A0 E 0 ) und daher nach b)
β = ](CAE) = ](DAE) − ](DAC) ∼
= ](D0 A0 E 0 ) − ](D0 A0 C 0 ) = ](C 0 A0 E 0 ) = β 0 .
Wiederum aus Satz 1.2.13 folgt die Kongruenz
∼ ](B 0 A0 C 0 ) für die Nebenwinkel von
](BAC) =
β und β 0 , qed.
Definition 1.2.16 Gegeben seien zwei Winkel ](BAC)
und ](EDF ). Der Winkel ](BAC) heißt kleiner als der
−−→
Winkel ](EDF ), wenn es einen Strahl DG im Innern von
](EDF ) gibt, so dass ](BAC) ∼
= ](GDF ). ](EDF ) heißt
größer als ](BAC).
Satz 1.2.17
b)
”
a) Ist α ∼
= α0 und β ∼
= β 0 ⇒ {α < β ⇐⇒ α0 < β 0 }.
<“ definiert eine Ordnung auf der Menge der Winkel, d.h.
(b1 ) α < β und β < γ ⇒ α < γ.
(b2 ) ∀ Winkel α und β gilt genau eine der Beziehungen: α < β, α ∼
= β, α > β.
Beweis Verläuft entsprechend wie Satz 1.2.6 für Strecken.
Satz 1.2.18
a) Es gibt rechte Winkel.
b) Je 2 rechte Winkel sind zueinander kongruent.
Beweis a) C derart, dass OB ∼
= OC, D sei der Schnittpunkt
−→
der Strecke BC mit OA
1. D = O ∈ g(B, C) ⇒ ](BOA) ∼
= ](COA) und damit
Rechter.
2. D 6= O ∈
/ g(B, C) ⇒ 4(BOD) ∼
= 4(COD) ⇒
∼
](ODB) = ](ODC) und damit Rechter.
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
18
b) Ang., α 6= α0 seien verschiedene rechte Winkel, etwa
−−→
α < α0 ⇒ tragen α am Strahl A0 B 0 an und erhalten
−−→
α ∼
= ](E 0 A0 B 0 ) und A0 E 0 im Innern von α0 ⇒ C 0 im
Innern von ](E 0 A0 D0 ) ∼
= β ⇒ β 0 < β.
Jedoch: α0 ∼
= β0 < β ∼
= α ⇒ α0 < α, Wid. QED.
Lemma 1.2.19 Gilt in einem Dreieck 4(ABC) die Kongruenz AC ∼
= BC, dann ist auch
∼
](CAB) = ](CBA), d.h. das Dreieck ist gleichschenklig. Umgekehrt folgt aus der Kongruenz
der Winkel ]A ∼
= ]B die Kongruenz der Seiten AC ∼
= BC.
Beweis Mit B 0 = A, A0 = B und C 0 = C ist in beiden Fällen
Fall wegen (SWS) und im 2. Fall wegen (WSW), qed.
4(ABC)
∼
= 4(A0 B 0 C 0 ) - im 1.
Folgerung 1.2.20 (Existenz gleichschenkliger Dreiecke) Zu jeder Strecke AB gibt es
ein gleichschenkliges Dreieck mit AB als Grundseite.
Beweis Sei AB gegeben und C ∈
/ g(A, B). Dann gibt es ein
Dreieck 4 = 4(ABC). Wenn ](CAB) ∼
= ](CBA), dann
ist 4 gleichschenklig nach Lemma 1.2.19. Andernfalls sei etwa ](CAB) < ](CBA). Dann tragen wir gemäß (C4) den
−−→
Winkel ](CAB) bei B ab. Der zweite Schenkel BE schneidet nach 1.1.9 Die Strecke AC, etwa im Punkt D. Dann ist
wieder nach Lemma 1.2.19 4(ABD) gleichschenklig, qed.
Satz 1.2.21 (3. Kongruenzsatz SSS) Wenn in zwei Dreiecken 4(ABC) und
AB ∼
= A0 B 0 , AC ∼
= A0 C 0 und BC ∼
= B 0 C 0 , dann ist 4(ABC) ∼
= 4(A0 B 0 C 0 ).
4(A0 B 0 C 0 )
Beweis Es ist zu zeigen, dass sich die Kongruenz der Seiten
auf die Winkel überträgt.
∼ ](B 00 A0 C 0 ) und AB =
∼ A0 B 00
Sei B 00 derart, dass ](BAC) =
(SW S)
=⇒ 4(ABC) ∼
= 4(A0 B 00 C 0 ) ⇒ BC ∼
= B 00 C 0
4(B 0 A0 B 00 )
und 4(B 0 C 0 B 00 ) sind gleichschenklig
=⇒ (Lemma 1.2.19) ](A0 B 0 B 00 ) ∼
= ](A0 B 00 B 0 )
genauso: ](C 0 B 0 B 00 ) ∼
= ](C 0 B 00 B 0 )
=⇒ (1.2.15a) (Addition der Winkel)
](A0 B 0 C 0 ) ∼
= ](A0 B 00 C 0 ) ∼
= ](ABC)
(SW S)
=⇒ 4(A0 B 00 C 0 ) ∼
= 4(A0 B 0 C 0 ).
Aus 4(ABC) ∼
= 4(A0 B 00 C 0 ) folgt 4(ABC) ∼
= 4(A0 B 0 C 0 ),
qed.
Satz 1.2.22
a) Jede Strecke AB kann auf genau eine Weise halbiert werden.
b) Jeder Winkel ](BAC) kann auf genau eine Weise halbiert werden.
gilt
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
19
Beweis a) Seien C, D auf verschiedenen Seiten von g(A, B) derart gewählt, dass ](CAB) ∼
=
](DBA), AC ∼
= BD und CD schneidet g(A, B) in O.
Beh.: AO ∼
= OB
Nach Satz 1.2.10 (SWS) folgt
4(BAC) ∼
= 4(ABD) =⇒ BC ∼
= AD
=⇒ (Satz 1.2.21 (SSS)) 4(ACD) ∼
= 4(BDC)
∼
=⇒ ](ACO) = ](BDO)
=⇒ (WSW) 4(ACO) ∼
= 4(BDO)
∼
=⇒ AO = BO
b) Seien B, C derart, dass AB ∼
= AC. Dann ist: ](BAD) ∼
= ](CAD)
∼
∼
⇐⇒ 4(ABD) = 4(ACD) ⇐⇒ BD = DC ⇐⇒ D ist Mittelpunkt
von BC; dieser ist eindeutig bestimmt nach a), qed.
Satz 1.2.23 (Außenwinkelsatz) Jeder Außenwinkel ist größer als jeder nicht-anliegende
Innenwinkel.
Beweis Wir zeigen: α = ](BAD) > β und > γ
Sei E Mittelpunkt von AB und Zw(CEF ), so dass
(SW S)
CE ∼
= EF =⇒ 4(EBC) ∼
= 4(EAF ) ⇒ β ∼
= β0
zu zeigen: AF liegt innerhalb von α
E, F auf derselben Seite von g(A, C)
D, F auf derselben Seite von g(A, B)
⇒ AF innerhalb von α, qed.
Folgerung 1.2.24 In jedem Dreieck sind mindestens
2 Winkel kleiner als ein Rechter (spitz).
Beweis Ang., α ≥ rechterW inkel (sonst fertig) ⇒
α0 ≤ rechterW inkel
⇒ (Satz 1.2.23) β < α0 , γ < α0 , qed.
Folgerung 1.2.25 In jedem Dreieck ist die Summe zweier Winkel kleiner als zwei rechte
(2R).
Beweis Mit obigen Bezeichnungen ist nach Satz 1.2.23 α0 > β und α0 > γ ⇒ α0 + α =
2R > β + α und > γ + α; genauso 2R > β + γ, qed.
Satz 1.2.26 In jedem Dreieck liegt die größere Seite dem größeren Winkel gegenüber und
umgekehrt.
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
20
Beweis (Umkehrung) Ang. AC < AB
Behauptung: β < γ
Sei C 0 ∈ AB derart, dass AC ∼
= AC 0 ⇒ Zw(AC 0 B)
und ](ACC 0 ) < γ. Es ist ](ACC 0 ) ∼
= ](AC 0 C) und
nach Satz 1.2.23 ist β < ](AC 0 C) < γ.
Ist nun β < γ und wäre nicht AC < AB ⇒ γ < β (Wid.) oder AB ∼
= AC (⇒ gleichschenklig
- Wid. zu Lemma 1.2.19), qed.
Folgerung 1.2.27 (Dreiecksungleichung) In jedem
Dreieck ist die Summe zweier Seiten stets größer als die
dritte Seite.
Beweis Wir verlängern die Strecke AC um CB1 ∼
=
CB. Dann ist das Dreieck 4(BB1 C) gleichschenklig und
](ABB1 ) > ](CBB1 ) ∼
= ](CB1 B)
=⇒ AB < AC + CB1 = AC + BC, qed.
Nach diesen Vorbereitungen können wir bereits die Existenz paralleler Geraden nachweisen.
Satz 1.2.28 Seien a, b, c Geraden derart, dass c die Geraden a, b unter kongruenten Wechselwinkeln α, β schneidet.
Dann sind a und b parallel.
Beweis Ang., a und b schneiden sich in X ⇒ in 4(ABX)
ist ein Außenwinkel (etwa β) ∼
= Innenwinkel (etwa α) im
Widerspruch zu Satz 1.2.23, qed.
Sind a, c vorgegeben, so kann man durch Abtragen von α an c offenbar b wie gefordert konstruieren. Hiermit ergibt sich auch
Satz 1.2.29 Gegeben sei eine Gerade g ⊂ ε und ein Punkt P ∈
/ g. Dann gibt es durch P
mindestens eine Gerade h mit hkg.
Beweis Sei f eine Gerade derart, dass P ∈ f .
1. f kg ⇒ fertig
2. f ∦ g, dann schneide f die Gerade g im Punkt Q und
wir tragen wie oben α in P an f ab und erhalten den
Winkel α0 . h sei die Gerade durch den 2. Schenkel von
α0 ⇒ hkg, qed.
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
21
Definition 1.2.30 (Lot) a) Sei g eine Gerade, P ∈
/ g. P A
heißt Lot von P auf g :⇐⇒ ](P AC) und ](P AD) sind Rechte.
b) Sei A ∈ g; h heißt Lot in A auf g :⇐⇒ ](BAD) und
](CAD) sind rechte Winkel.
Satz 1.2.31
a) ∀ P ∈
/ g gibt es genau ein Lot auf g.
b) ∀ A ∈ g gibt es genau ein Lot in A auf g.
Beweis Folgt aus den Überlegungen zu (1.2.18):
a) Seien A, B ∈ g beliebig, A 6= B und P 0 auf der anderen Seite
von g wie P derart, dass AP ∼
= AP 0 , ](P AB) ∼
= ](P 0 AB). Dann
schneidet P P 0 die Gerade g orthogonal in C.
b) Seien P, Q ∈ g auf verschiedenen Seiten von A derart, dass
PA ∼
= AQ. Über P Q errichten wir ein gleichschenkliges Dreieck
(siehe Folgerung 1.2.20). Dann ist AC orthogonal zu g.
Die Eindeutigkeit folgt in beiden Fällen aus der Folgerung 1.2.24.
Folgerung 1.2.32 Sei g eine Gerade und P ∈
/ g. Dann gilt:
P A ist das Lot von P auf g
⇐⇒
∀ Q ∈ g, Q 6= A, ist P A < P Q.
Beweis Der Winkel ](P AQ) ist als rechter Winkel stets
der größte Winkel im Dreieck und daher ist nach Satz 1.2.26
auch P A < P Q.
Sei umgekehrt ∀ Q ∈ g, Q 6= A, P A < P Q und etwa P A0
das Lot von P auf g. Falls A 6= A0 , wäre P A < P A0 im
Widerspruch zur ersten Aussage. Daher muss P A das Lot
sein, qed.
Bewegungen
Um nachzuprüfen, wann zwei Figuren kongruent sind, verwendet man den Begriff der Bewegung.
Definition 1.2.33 a) Eine 1-1-Abbildung ϕ : ε → ε von ε auf sich heißt Bewegung :⇐⇒
∀ A, B ∈ ε gilt ϕ(A)ϕ(B) ∼
= AB. Wir sagen auch, ϕ ist eine Isometrie.
Mit Hilfe einer Bewegung können wir die Kongruenz beliebiger Figuren bzw. Punktmengen
definieren.
b) Seien ∆, ∆0 ⊂ ε beliebige Punktmengen (endlich oder unendlich). Dann definieren wir:
∆∼
= ∆0 :⇐⇒ ∃ Bewegung ϕ, die ∆ auf ∆0 abbildet.
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
22
Sind ∆, ∆0 Strecken, Winkel oder Dreiecke, dann stimmt dieser Kongruenzbegriff mit den
oben erklärten Kongruenzbegriffen überein (siehe Satz 1.2.36). Schlüssel hierzu ist der Kongruenzsatz (SSS).
Bemerkung: ϕ besitzt als 1-1-Abbildung eine Umkehrabbildung ϕ−1 , so dass ϕ−1 ◦ ϕ = ιε
die identische Abbildung auf ε ist. Wenn A0 = ϕ(A), B 0 = ϕ(B), dann ist A = ϕ−1 (A0 ), B =
ϕ−1 (B 0 ) und daher A0 B 0 ∼
= ϕ−1 (A0 )ϕ−1 (B 0 ), also ϕ−1 ebenfalls eine Bewegung.
Satz 1.2.34 Bei einer Bewegung wird eine Gerade wieder in eine Gerade abgebildet. Die
Zwischenrelation bleibt erhalten.
Beweis Sei g ⊂ ε und A, B ∈ g, so dass g = g(A, B). ϕ sei eine Bewegung mit ϕ(A) =
A0 , ϕ(B) = B 0 und g 0 = g(A0 , B 0 ) die Gerade durch A0 und B 0 . Sei C ∈ g beliebig.
Beh.: ϕ(C) ∈ g 0
Ang., ϕ(C) ∈
/ g 0 und etwa Zw(ACB) ⇒
entartet und nach Folgerung 1.2.27 gilt
4(A0 B 0 ϕ(C))
ist nicht
A0 ϕ(C) + ϕ(C)B 0 > A0 B 0
sowie
A0 B 0 ∼
= AB = AC + CB = A0 ϕ(C) + ϕ(C)B 0 > A0 B 0
und Zw(A0 ϕ(C)B 0 ) - Widerspruch. Genauso beweist man die übrigen Fälle Zw(ABC) und
Zw(CAB). QED.
Lemma 1.2.35 Sei ϕ eine Bewegung der euklidischen Ebene ε auf sich und g ⊂ ε eine
Gerade. Seien X, Y ∈ ε zwei beliebige Punkte. Dann gilt:
a) X und Y liegen auf derselben Seite von g ⇐⇒ ϕ(X) und ϕ(Y ) liegen auf derselben
Seite von ϕ(g);
b) X und Y liegen auf verschiedenen Seiten von g
verschiedenen Seiten von ϕ(g).
⇐⇒
ϕ(X) und ϕ(Y ) liegen auf
Beweis Da mit ϕ auch ϕ−1 eine Bewegung ist (X 0 = ϕ(X) ⇔ X = ϕ−1 (X 0 ), Y 0 = ϕ(Y ) ⇔
Y = ϕ−1 (Y 0 )) reicht es zu beweisen: Wenn X und Y auf derselben Seite von g liegen, dann
liegen auch ϕ(X) und ϕ(Y ) auf derselben Seite von ϕ(g).
Angenommen, X 0 = ϕ(X) und Y 0 = ϕ(Y ) liegen auf verschiedenen Seiten von ϕ(g) ⇒ ∃ Z 0 ∈
ϕ(g) mit Zw(X 0 Z 0 Y 0 ). Für Z = ϕ−1 (Z 0 ) gilt dann Z ∈ g und Zw(XZY ) im Widerspruch
zur Voraussetzung, qed.
Satz 1.2.36 Gegeben sind 2 kongruente Dreiecke 4 = 4(ABC), 40 = 4(A0 B 0 C 0 ) ⊂ ε. Dann
gibt es genau eine Bewegung ϕ : ε → ε mit ϕ(4) = 40 .
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
23
Beweis Wir konstruieren ϕ folgendermaßen:
ϕ(A) := A0 ,
ϕ(B) := B 0
ϕ(C) := C 0
Wegen der Kongruenz der Dreiecke gilt
ϕ(A)ϕ(B) ∼
= AB,
ϕ(A)ϕ(C) ∼
= AC,
ϕ(B)ϕ(C) ∼
= BC
Sei D ∈ ε ein beliebiger Punkt.
1. D ∈ g(A, B) =⇒ tragen D0 entsprechend
auf der Geraden g(A0 , B 0 ) ab und setzen
ϕ(D) := D0 .
2. D ∈
/ g(A, B) =⇒ tragen ](BAD) am
−−→
Strahl A0 B 0 ab, AD auf dem neuen Schenkel bei A0 und erhalten ](B’A’D’) derart,
dass D0 und C 0 auf derselben oder verschiedenen Seiten von g(A0 , B 0 ) liegen, je
nachdem ob D und C auf derselben oder
verschiedenen Seiten von g(A, B) liegen.
Es ist AD ∼
= A0 D0 . Wir setzen ϕ(D) := D0
Sei E ∈ ε ein weiterer beliebiger Punkt. Wie oben
konstruieren wir E 0 = ϕ(E).
Behauptung: ED ∼
= E 0 D0
Es ist AD ∼
= A0 D0 , AE ∼
= A0 E 0 und wegen der Winkelsumme, Winkeldifferenz (Satz 1.2.15)
auch ](EAD) ∼
⇒
4(ADE) ∼
= ](E 0 A0 D0 )
=
0
0
0
0
0
∼
4(A D E ) ⇒ ED = E D
Angenommen, ∃ weitere Bewegung ϕ∗ mit ϕ∗ (4) = 40 und ϕ∗ 6= ϕ ⇒ ∃ X ∈ ε mit
X ∗ := ϕ∗ (X) 6= ϕ(X) =: X 0
Aus der Kongruenz 4(A0 B 0 X 0 ) ∼
= 4(A0 B 0 X ∗ ) folgt 1. X 0 = X ∗
oder 2. X 0 6= X ∗ und dann müssen X 0 und X ∗ auf verschiedenen
Seiten von g(A0 , B 0 ) liegen. Wegen Lemma 1.2.35 kann dieser Fall
nicht eintreten, qed.
Definition 1.2.37 (Geradenspiegelung) Sei g ⊂ ε eine Gerade in der Hilbert-Ebene ε
und P ∈ ε ein beliebiger Punkt. Die Abbildung ϕg : ε −→ ε sei wie folgt erklärt:
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
24
1) P ∈ g =⇒ ϕg (P ) := P
2) P ∈
/ g, dann fällen wir von P auf g das Lot. FP sei der Lotfußpunkt,
h = g(P, FP ) und P 0 ∈ h derart, dass P und P 0 auf verschiedenen
Seiten von FP liegen und P FP ∼
= P 0 FP . Dann ist ϕg (P ) := P 0 .
ϕg heißt Geradenspiegelung der Ebene ε.
Satz 1.2.38 Jede Geradenspiegelung ϕg der Hilbert-Ebene ε ist eine isometrische Abbildung,
also eine Bewegung.
Beweis Wir müssen zeigen: ∀ P, Q ∈ ε, P 6= Q, P 0 = ϕg (P ), Q0 = ϕg (Q), gilt P Q ∼
= P 0 Q0 .
Wegen P FP ∼
= P 0 FP und ](P FP FQ ) ∼
= ](P 0 FP FQ ) ∼
=
0
0
∼
∼
Rechter ist 4(P FP FQ ) = 4(P FP FQ ), also P FQ = P FQ
und ](P FQ FP ) ∼
= ](P 0 FQ FP ).
Dann ist auch ](P FQ Q) ∼
= ](P 0 FQ Q0 ) und nach (SWS)
4(P FQ Q) ∼
= 4(P 0 FQ Q0 ), also P Q ∼
= P 0 Q0 , qed.
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
1.3
25
Axiome der Stetigkeit, Längenmessung
Bisher konnten wir Strecken, Winkel, Figuren vergleichen, aber ein Messen von Größen war
noch nicht möglich. Dieses wird mit dem folgenden Stetigkeitsaxiom (S1), Axiom von Archimedes, gewährleistet.
(S1) Axiom von Archimedes
Sind P Q und AB zwei beliebige Strecken, dann gibt es stets eine natürliche Zahl n ≥ 1
−−→
und Punkte C0 = A, C1 , . . . , Cn ∈ AB mit folgenden Eigenschaften:
1. Ci Ci+1 ∼
= P Q (i = 0, 1, . . . , n − 1)
2. Zw(Ci−1 Ci Ci+1 )
(i = 1, . . . , n − 1)
3. Zw(C0 BCn ) aber nicht Zw(C0 BCn−1 )
Definition 1.3.1 (Streckenmessung) Unter einer Streckenmessung verstehen wir eine Abbildung ` : AB 7→ `(AB) ∈ R+ mit folgenden Eigenschaften:
(1) AB ∼
= CD
=⇒
`(AB) = `(CD)
(2) Zw(ABC)
=⇒
`(AC) = `(AB) + `(BC)
(3) Es gibt eine Strecke P Q : `(P Q) = 1 (Normierung)
` heißt Längenfunktional.
Wir müssen nun die Existenz und Eindeutigkeit solch eines Längenfunktionals nachweisen.
Existenz: Sei P Q mit `(P Q) = 1 gegeben. Aus der Sicht der
Geometrie ist dann nur noch die Länge der halben Strecke zu
definieren: Ist M1 der Mittelpunkt P Q =⇒ P M1 ∼
= M1 Q, dann
1
sei `(P M1 ) := 2 .
Durch weitere Halbierungen erhält man `(P M2 ) :=
1
,
22
`(P M3 ) :=
1
23
usw.
Ist AB beliebig und n wie in (S1)
=⇒ `(AB) := n − 1 + `(Cn−1 B)
Ist Cn−1 = B, dann ist `(AB) = n−1 und
wir sind fertig.
Sei Cn−1 6= B, also Zw(Cn−1 BCn ). Dann wird die Strecke Cn−1 Cn halbiert: B = D0 links
vom Teilungspunkt =⇒ ε1 = 0 und D1 = Cn−1 ;
D0 Teilungspunkt oder rechts vom Teilungspunkt =⇒ ε1 = 1 und D1 = Teilungspunkt.
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
26
Die halbe Strecke mit D1 als linkem“ Eckpunkt wird wieder halbiert usw. Es ergibt sich
”
∞
∞
X εν
X 1
`(Cn−1 B) =
<
= 1 mit εν ∈ {0, 1}
ν
2
2ν
ν=1
ν=1
( <“, da Zw(Cn−1 BCn )). Die Bedingungen (1) ist offenbar erfüllt.
”
Additivität: Wir wählen als Referenzstrecke P Q eine beliebig kleine Strecke mit der Maßzahl
2−n , d.h. `(P Q) = 2−n , die wir nach n-maliger Halbierung einer Strecke der Länge 1 erhalten.
Dann tragen wir von B aus in Richtung A Teilungspunkte A1 , A2 , . . . mit BA1 ∼
=
= A1 A2 ∼
... ∼
P
Q
ab,
so
dass
für
ein
k
gilt:
Zw(A
AB)
und
entweder
A
=
A
oder
Zw(AA
B).
=
k+1
k
k
Entsprechend tragen wir von B aus
in Richtung C Teilungspunkte
C1 , C2 , . . . mit BC1 ∼
= ... ∼
= P Q ab, so dass für ein m gilt Zw(BCCm+1 ) und
= C1 C2 ∼
entweder Cm = C oder Zw(BCm C). Dann gilt aus geometrischer Sicht
k·
1
k
1
k+1
= n ≤ `(AB) < (k + 1) · n =
n
2
2
2
2n
und
m·
1
m
1
m+1
= n ≤ `(BC) < (m + 1) · n =
,
2n
2
2
2n
sowie
(k + m) ·
k+m
1
k+m+2
1
=
≤ `(AC) < (k + m + 2) · n =
.
n
n
2
2
2
2n
Aus arithmetischer Sicht ergibt sich aus den ersten beiden Ungleichungen
k+m
k+m+2
≤ `(AB) + `(BC) <
n
2
2n
und daher
|`(AB) + `(BC) − `(AC)| <
1
2n
für beliebig großes n und folglich `(AB) + `(BC) = `(AC).
Eindeutigkeit: Angenommen, ∃ l1 , l2 mit l1 (P Q) = l2 (P Q) = 1. Aus obiger Konstruktion
ergibt sich ∀ A, B : l1 (AB) = l2 (AB) also l1 = l2 wegen der Eigenschaften (1), (2) und (3).
Offensichtlich wird hier keine Absolutzahl für eine Länge sondern nur ein Verhältnis `(AB)/`(P Q)
angegeben bzw. `(AB) = a · `(P Q) mit einer (reellen) Zahl a. So ist es letztlich auch in
der Praxis. Im metrischen System gibt es ein Urmeter“, eine Stange aus gehämmertem
”
Platinschwamm, deren Länge ein 40millionstel eines Erdmeridians entsprechen soll (Normmaß bis 1889). Seit 1960 ist 1 m := 1.650.763, 73 - fache der Wellenlänge der Orangelinie
vom Kryptonisotop 86 (im Vakuum). 1983 wurde die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum auf
299.792.458 m/s festgelegt und demzufolge ein Meter als die Strecke definiert, die das Licht
”
im Vakuum in einer Zeit von 1/299.792.458 Sekunde zurücklegt“.
Entsprechend geht man bei Winkelmessungen vor:
α 7→ m(α) bzw. ](ABC) 7→ m(](ABC)) mit 3 Bedingungen:
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
27
(1) α ∼
= β =⇒ m(α) = m(β)
(2) ](BAD) = ](BAC) + ](CAD)
=⇒ m(](BAD)) = m(](BAC)) + m(](CAD))
(3) α < β =⇒ m(α) < m(β).
Zuordnung: γ0 sei ein rechter Winkel
π
1. α = γ0 =⇒ m(α) := - fertig!
2
2. α > γ0 =⇒ ε0 = 1 und α1 derart, dass
α = γ0 + α1 ;
α < γ0 =⇒ ε0 = 0 und α1 = α;
=⇒ m(α) =
π
· ε0 + m(α1 ).
2
Wir halbieren den rechten Winkel γ0 und erhalten γ1 .
1. α = γ0 =⇒ m(α) :=
π
- fertig!
2
2. γ0 < α < 2 · γ0 =⇒ ε0 = 1 und α1 derart, dass α = γ0 + α1 ;
0 < α < γ0 =⇒ ε0 = 0 und α1 = α;
Daher ist
π ε1
m(α1 ) = ·
+ m(α2 ) ε1 =
2 2
(
0
1
und
m(α) =
ε1
π
· (ε0 + ) + m(α2 ).
2
2
So fährt man fort und erhält
m(α) =
∞
∞
π X εν
π X 1
·
<
·
− konvergent.
2
2ν
2
2ν
ν=0
ν=0
(S2) Dedekindsches oder Vollständigkeitsaxiom
1. Fassung: Zu jeder nicht-negativen reellen Zahl λ gibt es eine Strecke AB, so dass
λ = `(AB)
2. Fassung: Sei g ⊂ ε eine beliebige Gerade und S, T ⊂ g zwei disjunkte Teilmengen
von g, so dass S ∪ T = g und
a) kein Punkt von S zwischen 2 Punkten von T und
b) kein Punkt von T zwischen 2 Punkten von S liegt.
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
28
Dann gibt es genau einen Punkt P ∈ g, so dass ∀ A ∈ S und
∀ B ∈ T gilt: entweder A = P oder B = P oder Zw(AP B)
(Dedekindsche Intervallschachtelung).
3. Fassung (Hilberts Vollständigkeitsaxiom): Die Punkte einer jeden Geraden bilden ein
System, welches bei Aufrechterhaltung der linearen Ordnung, des 1. Kongruenzaxioms
(C1) und des Archimedischen Axioms keiner Erweiterung mehr fähig ist.
Nun kann man auch die Zahlengerade einführen. Sei g eine beliebige Gerade, O ∈ g =⇒ O
teilt g in zwei disjunkte Teilmengen.
Wir wählen E ∈ g, E 6= O, und ein Längenfunktional l mit
−−→
`(OE) = 1. Sei κ die Abbildung κ : OE → R+ mittels
(
0,
falls X = O
κ(X) :=
−−→
`(OX), falls X ∈ OE, X 6= O
Offenbar gilt: Zw(OXY ) =⇒ `(OY ) = `(OX) + `(XY ) =⇒ κ(Y ) = κ(X) + `(XY ), also
−−→
`(XY ) = κ(Y ) − κ(X). Sei E 0 derart, dass Zw(E 0 OE) und OE ∼
= OE 0 . Ist X ∈ OE 0 , dann
definieren wir κ(X) = −`(OX). Hieraus ergibt sich:
Satz 1.3.2 Ist (g, <) eine orientierte Gerade, dann gibt es eine 1-1-Abbildung κ die die
Punkte von g auf die reellen Zahlen R abbildet:



0,
`(OX),
falls X = O
−−→
κ(X) :=
falls X ∈ OE .

−−→

−`(OX), falls X ∈ OE 0
O heißt Ursprung auf g.
Bemerkung: (S1) folgt aus (S2).
Wir können jetzt einen wichtigen Schnittpunktsatz beweisen.
Satz 1.3.3 Wenn eine Gerade g einen im Innern eines Kreises k liegenden Punkt A besitzt,
(`(M A) < r - Radius von k), dann schneiden sich g und k in genau zwei Punkten.
Beweis Sei O der Fußpunkt des Lotes von M auf g. Wir
wählen O als Ursprung. Ist x = κ(X) und s(x) = `(M X),
4x = κ(Y ) − κ(X) = y − x
=⇒ |4s| := |s(x + 4x) − s(x)| = |`(M Y ) − `(M X)| < |4x|
und
lim
4x→0
4s
= 0,
also s(x) ist stetig. Da s(x) außerdem streng monoton, gibt
es auf jeder Seite von O genau einen Wert x1 , x2 mit |s(xi )−
r| = 0 (i = 1, 2) und etwa x1 = κ(M1 ), x2 = κ(M2 ), qed.
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
1.4
29
Parallelenaxiom
Als Axiom der V. Gruppe fügen wir nun das Parallelenaxiom hinzu und kommen damit zur
euklidischen Geometrie.
V. Parallelenaxiom
(P) Sei g ⊂ ε eine Gerade, P ∈ ε ein Punkt. Dann gibt es höchstens eine Gerade h ⊂ ε, die
durch P geht und parallel zu g ist.
(P) lässt sich nicht aus den bisherigen Axiomen beweisen, wie in Kapitel 4 gezeigt werden
wird.
Euklid’s Theorie der Parallelen finden wir in seinen Sätzen (I.29) bis (I.34). Wir fassen diese
Aussagen zusammen im
Satz 1.4.1 Sei ε eine Hilbert-Ebene mit dem Parallelenaxiom. Dann gilt:
a) Werden zwei parallele Geraden g, h durch eine dritte Gerade m geschnitten, dann sind
die inneren Wechselwinkel zueinander kongruent.
b) Sind 2 Geraden g, h zu einer dritten Geraden m parallel, dann sind auch g und h
parallel.
c) Zu jeder Geraden g ⊂ ε und P ∈ ε gibt es eine Gerade h durch P , die parallel zu g
(und damit eindeutig bestimmt) ist. Es ist h 6= g, falls P ∈
/ g.
d) In jedem Dreieck ist jeder Außenwinkel gleich der Summe der nicht anliegenden Innenwinkel und die Summe der Innenwinkel ist gleich 2Rechte.
Beweis a) Ang., α und β sind (innere) Wechselwinkel an
geschnittenen Parallelen und α 6= β, etwa α > β. Wir tragen
α in A an und erhalten als 2. Schenkel h0 . Nach Satz 1.2.28
sind h0 und g parallel im Widerspruch zu (P).
b) folgt unmittelbar aus (P) und a).
c) ist Satz 1.2.29.
d) Sei δ der Außenwinkel ](CBD). Offenbar ist
β + δ = 2Rechte.
Wir ziehen durch B eine Parallel zu g(A, C) und erhalten eine Unterteilung von δ in α0 = ](DBE) ∼
=α
0
0
0
∼
und γ = ](EBC) = γ, also δ = α + γ . Damit ist
α + β + γ = α0 + β + γ 0 = β + δ = 2Rechte,
qed.
Dass die Summe der Innenwinkel in einem Dreieck der euklidischen Geometrie gleich 2Rechte
ist, können wir auch so zeigen:
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
Durch C ziehen wir die eindeutig bestimmte Parallele zu
g(A, B) und erhalten die Wechselwinkel α, α0 und β, β 0 . Es
ist α ∼
= α0 und β ∼
= β 0 und daher
α + β + γ = α0 + β 0 + γ = 2Rechte,
qed.
30
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
1.5
31
Axiomatik des Raumes
Für die räumliche Geometrie muss zunächst die Punktmenge erweitert werden: Ω = {A, B, . . .}.
Definition 1.5.1 Punkte A, B, . . ., Geraden g, h, . . ., Ebenen ε, η, . . . sind Elemente der
räumlichen Geometrie:
A, B, . . . ∈ g, h, . . . ;
g, h, . . . ⊂ ε, η, . . . ;
ε, η, . . . ⊂ Ω.
Zu den bisherigen Axiomen kommen weitere Axiome.
Axiome der Inzidenz
(I4) Zu je drei nicht-kollinearen Punkten A, B, C gibt es genau eine Ebene ε, die mit
A, B, C inzidiert (liegen auf ε). Zu jeder Ebene ε gibt es mindestens drei nicht-kollineare
Punkte, die auf ε liegen.
(I5) Wenn 2 Punkte A, B einer Geraden g auf einer Ebene ε liegen, dann liegt ganz g in ε.
(I6) Wenn 2 Ebenen ε, η wenigsten einen Punkt gemeinsam haben, dann haben sie noch
mindestens einen zweiten Punkt gemeinsam.
(I7) es gibt 4 Punkte, die nicht auf einer Ebene liegen.
Weitere Axiome sind für den Raum nicht erforderlich, da alle anderen Festsetzungen von der
Natur her eben sind und im Raum beliebig verwendet werden. Besonderheiten treten erst
wieder bei Rauminhalten (Volumina) auf.
Parallelität im Raum
Definition 1.5.2 Sei Ω ein (euklidischer) Raum.
(a) Geraden g, h ⊂ Ω heißen parallel (gkh) :⇐⇒ ∃ eine Ebene ε ⊂ Ω mit g, h ⊂ ε und in
ε gilt gkh.
(b) Ebenen ε, η ⊂ Ω heißen parallel (εkη) :⇐⇒ ε ∩ η = ∅ oder ε = η.
(c) Eine Gerade g ⊂ Ω und Ebene ε ⊂ Ω eine heißen parallel (gkε) :⇐⇒ g ∩ ε = ∅ oder
g ⊂ ε.
Wir erhalten das Parallelenaxiom für den Raum Ω:
(PΩ ) ∀ g ⊂ Ω und ∀ P ∈ Ω gibt es genau eine Gerade h mit P ∈ h und hkg.
Satz 1.5.3 Mit obigen Bezeichnungen gilt
a) gkε ⇐⇒ ∃ g 0 ⊂ ε : g 0 kg.
b) gkε ⇐⇒ ∃ ε0 mit g ⊂ ε0 und ε0 kε.
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
Beweis a) ”=⇒” Sei gkε und etwa g ∩ ε = ∅ =⇒ ∃ P ∈ ε, P ∈
/ g.
0
0
0
0
Sei ε := ε(P, g), g = ε ∩ ε, dann ist g kg.
Entsprechend zeigt man die umgekehrte Richtung.
32
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
1.6
33
Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit des Axiomensystems
Widerspruchsfreiheit des Axiomensystems
Nachdem das Axiomensystem durch die Axiome der räumlichen Geometrie vervollständigt
sind, beweisen wir, dass die Axiome miteinander nicht im Widerspruch stehen. Das bedeutet,
wir können aus ihnen nicht einen Satz und seine Negation ableiten. Hierzu wird ein (ebenes)
kartesisches Modell angegeben, welches widerspruchsfrei ist genau dann, wenn es im Körper
der reellen Zahlen keinen Widerspruch gibt. Letzteres wird vorausgesetzt.
Wir betrachten zunächst den Bereich Ω mit
(i) 1 ∈ Ω
√
(ii) a, b, ω ∈ Ω =⇒ a ± b, a · b, a/b (b 6= 0), | 1 + ω 2 | ∈ Ω
und derart, dass Ω eine Körperstruktur hat. Punkte: {P = (x, y) | x, y ∈ Ω}
Geraden:
g = (u : v : w) | u, v, w ∈ Ω und (u, v) 6= (0, 0),
wobei Paare (u : v : w) und (u0 : v 0 : w0 ) dieselbe Gerade liefern, wenn ∃ % 6= 0 und
(u : v : w) = % · (u0 : v 0 : w0 ) = (% · u0 : % · v 0 : % · w0 ). Die Gerade g ist dann das Zahlentripel
(u : v : w) und
P = (x, y) ∈ g ⇐⇒ u · x + v · y + w = 0,
also die bekannte arithmetische Darstellung.
Man rechnet sofort nach: (I1), (I2), (I3) sind erfüllt.
Axiome der Anordnung:
Sei jetzt Ω ein angeordneter Körper, etwa Ω = R. Sind P1 , P2 , P3 paarweise verschiedene
kollineare Punkte, Pi = (xi , yi ) (i = 1, 2, 3), dann definieren wir
Zw(P1 , P2 , P3 ) :⇐⇒ {x1 6= x2 6= x3
und x1 < x2 < x3
oder x3 < x2 < x1
oder x1 = x2 = x3
und y1 < y2 < y3
oder y3 < y2 < y1 }
Man rechnet nach: (A1), (A2), (A3) sind erfüllt.
Für (A4) - Axiom von Pasch - definieren wir die Potenz eines Punktes zu einer Geraden:
Ist g : u · x + v · y + w = 0 und etwa u2 + v 2 = 1, w ≤ 0 (Hessesche Normalform), dann sei
für P = (x0 , y0 ) ∈ ε : dg (P ) := u · x0 + v · y0 + w die Potenz von P bezüglich g. dg (P ) ist im
euklidischen Sinn der vorzeichenbehaftete Abstand des Punktes P von der Geraden g.
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
34
Mit Hilfe der Potenz definieren wir die beiden Seiten einer Geraden (Mengen S1 und S2
gemäß Satz 1.1.6):
S1 = {P ∈ ε | dg (P ) > 0}
S2 = {P ∈ ε | dg (P ) < 0}
Behauptung: Ist g 6= h, g ∦ h und P, Q, R ∈ h, dann gilt
Zw(P QR) ⇐⇒ dg (P ) < dg (Q) < dg (R)
oder dg (P ) > dg (Q) > dg (R).
Beweis Wegen g ∦ h ist dg (P ) 6= dg (R), etwa dg (P ) < dg (R). Aus der Parameterdarstellung
für Geraden
Q = P + t0 (R − P ) =
xP
yP
!
+ t0
xR − xP
yR − yP
!
erhält man durch einfaches nachrechnen aus dg (Q) = u · xQ + v · yQ − w (w ≥ 0):
dg (Q) = dg (P ) + t0 · (dg (R) − dg (P )) = dg (P ) · (1 − t0 ) + dg (R) · t0 .
Nun ist
Zw(P QR) ⇐⇒ 0 < t0 < 1 ⇐⇒ dg (P ) < dg (Q) < dg (R),
qed.
Zum Axiom von Pasch: Die Gerade g schneide die Strecke AB. Daher
ist dg (A) · dg (B) < 0, etwa dg (A) < 0 und dg (B) > 0. Je nachdem, ob
dg (C) > 0 oder < 0 ausfällt, schneidet g die Strecke AC oder BC
aber nicht beide.
Zum Nachweis der Kongruenzaxiome - Abtragen von Strecken und Winkeln - bedienen wir
uns der Bewegungen.
Translation:
x0 = x + a,
y0 = y + b
Spiegelung (an der Geraden y = 0):
x0 = x,
y 0 = −y
Drehung um den Ursprung (0, 0) um den Winkel ](COE) mit E = (1, 0) und C = (a, b):
x0 =
y0 =
Wegen
√
a
b
·x− √
·y
2
2
+b
a + b2
b
a
√
·x+ √
·y
a2 + b2
a2 + b2
√
a2
a2 + b2 = b
p
1 + ( ab )2 ist die Transformation innerhalb von Ω ausführbar.
1
AXIOMATISCHER AUFBAU
35
Es ist
AB ∼
= CD ⇔ ∃ Bewegung ϕ mitϕ(CD) = AB
](BAC) ∼
= ](EDF ) ⇔ ∃ Bewegung ϕ mitϕ(](EDF )) = ](BAC)
Hiermit sind (C1) bis (C6) und (S1) (Archimedisches Axiom) elementar nachweisbar.
Vollständigkeit des Axiomensystems
Ersetzen wir Ω durch R, dann ist auch das Vollständigkeitsaxiom (S2) erfüllt, was schon
bei seiner Einführung diskutiert wurde: Angenommen, es gibt eine Gerade g, so dass durch
Hinzufügen weiterer Punkte alle anderen Axiome erhalten bleiben. Sei etwa N solch ein neuer
Punkt. N teilt g in zwei Halbgeraden und die alten“ Punkte in 2 Klassen {Parametergleichung
”
für g : x = m · t + n, y = p · t + q und t ∈ R für alle alten“ Punkte.} Wegen der linearen
”
Anordnung gibt es eine Klasse mit einem 1. Element aus R oder einem letzten Element aus
R; dieses sei A ⇒ zwischen A und N liegt kein alter“ Punkt.
”
(S1)
Wegen (A2) gibt es einen alten“ Punkt D mit Zw(AN D) =⇒ ∃ n und Punkte C1 , . . . , Cn−1 ,
”
so dass
AN ∼
= N C1 ∼
= C1 C2 ∼
= ··· ∼
= Cn−2 Cn−1
und Zw(Cn−2 DCn−1 ) oder D = Cn−2 .
Teilen wir AD in n kongruente Teile und ist hierbei W der am nächsten zu A gelegene (alte)
Punkt, dann ist AW < AN im Widerspruch zur Auswahl von A und N , qed.
2
EUKLIDISCHE GEOMETRIE
2
36
Euklidische Geometrie
2.1
Strahlensätze
Wir kommen nun zu den Strahlensätzen, die die Ähnlichkeitslehre in der euklidischen Geometrie begründen. Wir beweisen sie mit Hilfe des Archimedischen und des Parallelenaxioms.
Zunächst einige Hilfssätze.
Lemma 2.1.1 (Parallelogrammregel) Seien
A, B, C, D
nicht kollinear und g(A, B) k g(C, D), g(A, D) k g(B, C). Dann
ist AB ∼
= DC und AD ∼
= BC.
Beweis Aus der Kongruenz der Wechselwinkel und der gemeinsamen Seite BD ergibt sich 4(BDC) ∼
= 4(BDA) ⇒ AB ∼
= CD
∼
und AD = CB, qed.
−−→
−→
Lemma 2.1.2 a) Seien AD und AE Strahlen, die nicht auf derselben Gerade liegen, und
−→
D1 der Mittelpunkt von AD. Sei h k g(D, E) durch D1 und E1 = h ∩ AE. Dann ist E1
der Mittelpunkt von AE.
−−→
−→
b) Seien entsprechend D1 , . . . , Dn ∈ AD und E1 , . . . , En ∈ AE, so dass
AD1 ∼
= D1 D2 ∼
= ... ∼
= Dn−1 Dn ,
g(Di , Ei ) k g(Dj , Ej ) ∀ i, j,
dann ist
AE1 ∼
= E1 E2 ∼
= ... ∼
= En−1 En .
Beweis a) Sei D∗ ∈ DE derart, dass g(D1 , D∗ ) k g(A, E).
Dann ist ](D1 AE1 ) ∼
= ](DD1 D∗ ) und ](AD1 E1 ) ∼
=
(W SW )
∗
∗
∼ 4(D1 DD )
](D1 DD ) =⇒ 4(AD1 E1 ) =
und nach der Parallelogrammregel (Lemma 2.1.1)
D1 D∗ ∼
= E1 E,
also
AE1 ∼
= D1 D∗ ∼
= E1 E.
b) Den allgemeinen Fall beweisen wir
durch Induktion bezüglich n, indem wir
eine Parallele zu g(ADn ) durch E1 ziehen und die Punkte D2∗ , . . . , Dn∗ erhalten.
Dann ist wegen a) AE1 ∼
= E1 E2 und
nach der Parallelogrammregel Di Di+1 ∼
=
∗
∗
Di Di+1 für i = 1, . . . , n − 1. Aus der
Induktionsvoraussetzung ergibt sich nun
∼ ... =
∼ En−1 En .
E 1 E2 =
Hiermit zeigt man nun
2
EUKLIDISCHE GEOMETRIE
37
Satz 2.1.3 (1. Strahlensatz)Schneiden sich 2 Geraden g(A1 , A2 ) und g(B1 , B2 ) im Punkt
O und ist g(A1 , B1 ) k g(A2 , B2 ), dann ist
`(OA1 )
`(OB1 )
=
`(OA2 )
`(OB2 )
und
`(OA1 )
`(OA2 )
`(A1 A2 )
=
=
.
`(OB1 )
`(OB2 )
`(B1 B2 )
Ist umgekehrt die Bedingung
(2.A) erfüllt, dann sind
die Geraden g(A1 , A2 ) und
g(B1 , B2 ) parallel.
oder
(2.A)
Beweis Wir betrachten 2 Fälle:
Fall 1: (kommensurabler Fall - lat.: zusammen messbar): Das Streckenverhältnis
eine rationale Zahl, etwa
`(OA1 )
p
= < 1,
`(OA2 )
q
also
0<p<q
`(OA1 )
`(OA2 )
ist
oder p = n, q = n + m (m > 0).
Sei also
n
`(OA1 )
=
`(OA2 )
n+m
Wir zerlegen OA1 durch die Punkte
Ci (i = 1 . . . , n) in n kongruente Teilstrecken OC1 ∼
= Ci Ci+1 (i = 1 . . . , n − 1).
Dann wird wegen Lemma 2.1.2 die Strecke OB1 durch die Parallelen zu g(A1 , B1 ) durch die
Punkte Ci ebenfalls in n kongruente Teilstrecken OD1 ∼
= Di Di+1 (i = 1 . . . , n − 1) zerlegt.
Wegen
`(A1 A2 ) = `(OA2 ) − `(OA1 ) =
n+m
· `(OA1 ) − `(OA1 ),
n
also
`(A1 A2 ) =
m
· `(OA1 ) = m · `(OC1 ),
n
−−→
erreichen wir den Punkt A2 , wenn wir weitere m-mal die Strecke OC1 auf dem Strahl OA1
abtragen. Die Parallelen zu g(A1 , B1 ) durch Cn+1 , . . . , Cn+m = A2 liefern entsprechende
−−→
Schnittpunkte Dn+1 , . . . , Dn+m auf OB1 mit
Di Di+1 ∼
= OD1
(i = n, . . . n + m − 1).
Nach Voraussetzung ist Dn+m = B2 und daher
`(OB1 )
n · `(OD1 )
n
`(OA1 )
=
=
=
.
`(OB2 )
(n + m) · `(OD1 )
n+m
`(OA2 )
2
EUKLIDISCHE GEOMETRIE
38
`(OA1 )
Fall 2: (inkommensurabler Fall): Das Streckenverhältnis `(OA
ist keine rationale Zahl, also
2)
irrational. In diesem Fall benötigen wir zum Beweis des Strahlensatzes einen Grenzübergang,
kommen also nicht mit unseren elementargeometrischen Hilfsmitteln aus. Für kein n gibt es
ein m, so dass wir mit obiger Konstruktion auf A2 treffen.
Ist nun n beliebig aber fest vorgegeben mit `(OA1 ) = n · `(OC1 )
und `(OB1 )
=
n · `(OD1 ),
dann sei m derart gewählt,
dass Zw(Cn+m−1 A2 Cn+m ) und
wegen g(Ci , Di ) k g(A2 , B2 ) auch
Zw(Dn+m−1 B2 Dn+m )
⇒ (n + m − 1) · `(OC1 ) < `(OA2 ) < (n + m) · `(OC1 )
und
(n + m − 1) · `(OD1 ) < `(OB2 ) < (n + m) · `(OD1 ),
also
n+m−1
(n + m − 1) · `(OC1 )
`(OA2 )
(n + m) · `(OC1 )
n+m
=
<
<
=
n
n · `(OC1 )
`(OA1 )
n · `(OC1 )
n
und
n+m−1
(n + m − 1) · `(OD1 )
`(OB2 )
(n + m) · `(OD1 )
n+m
=
<
<
=
.
n
n · `(OD1 )
`(OB1 )
n · `(OD1 )
n
Aus der Differenz beider ergibt sich
`(OA2 ) `(OB2 ) 1
< ,
0≤
−
`(OA1 ) `(OB1 ) n
n-beliebig,
und daher die Gleichheit.
Genauso zeigt man den Fall:
Die zweite Bedingung folgt aus der ersten Relation unter Berücksichtigung von
c
c−a
a
= =
b
d
d−b
(a, b, c, d ∈ R)
für a = `(OA1 ), c = `(OA2 ), c − a = `(A1 A2 ) und entsprechend für B.
Für die Umkehrung sei Bedingung 2.A erfüllt und etwa g(A2 , B20 )kg(A1 , B1 ) mit B20 ∈ g(O, B1 ).
Dann ist nach oben bewiesenem ersten Teil des 1. Strahlensatzes `(OB20 ) = `(OB2 ) und offenbar B20 und B2 auf derselben Seite von O, also B20 = B2 , qed.
2
EUKLIDISCHE GEOMETRIE
39
Satz 2.1.4 (2. Strahlensatz) Ist mit obigen Bezeichnungen g(A1 , B1 ) k g(A2 , B2 ), dann
gilt
`(OA1 )
`(A1 B1 )
=
.
`(OA2 )
`(A2 B2 )
Die Umkehrung gilt nicht.
Beweis Es sei h k g(B1 , B2 ) durch A1 und F der
Schnittpunkt von h mit der Geraden g(A2 , B2 ). Dann
gilt nach Satz 2.1.11 und A2 als Zentrum
`(A1 O)
`(F B2 )
`(A1 B1 )
=
=
.
`(A2 O)
`(A2 B2 )
`(A2 B2 )
−−→
−−→
Für die Umkehrung nehmen wir an, dass zwei Strahlen OA1 und OB1 gegeben sind, A2 ∈
−−→
−−→
OA1 , und für einen Punkt B2 ∈ OB1 gelten soll
`(OA1 )
`(A1 B1 )
=
.
`(OA2 )
`(A2 B2 )
(∗)
Wir schlagen um A2 einen Kreisbogen mit dem Radius
`(A2 B2 ). Dieser trifft die Gerade g(O, B1 ) in zwei Punkten B20 und B200 . Beide Punkte erfüllen die Bedingung (∗),
jedoch kann nur für einen Punkt B2 = B20 oder B2 = B200
gelten: g(A2 , B2 ) k g(A1 , B1 ), qed.
In der Schule wird der Strahlensatz mitunter über Flächeninhalte von Dreiecken behandelt,
und zwar mit der bekannten Formel F = 12 · g · h. Für den Beweis der Unabhängigkeit der
Formel von der Auswahl der Grundlinie wird aber gerade der Strahlensatz benötigt, wodurch
man unwillkürlich in einen Zirkelschluss gerät. Daher führt dieser Weg zu keinem Beweis des
Strahlensatzes:
F (4(CAD)) = F (4(CAB))
⇒
F (4(ODA)) = F (4(OBC))
1. Bestimmung von h aus F (4(OAC)) (falls Flächeninhalt unabhängig von der Auswahl
der Grundseite!):
F (4(OAC)) =
1
1
`(OA) · `(AC)
`(OA) · `(AC) = `(OC) · h ⇒ h =
2
2
`(OC)
2
EUKLIDISCHE GEOMETRIE
40
2. Bestimmung von h aus F (4(OAD)) = F (4(OBC)) (falls Flächeninhalt unabhängig
von der Auswahl der Grundseite!):
F (4(OAD)) =
⇒
`(OB)
`(OA)
=
`(OD)
`(OC)
1
1
`(OB) · `(AC)
`(OD) · h = `(OB) · `(AC) ⇒ h =
2
2
`(OD)
usw.
Eine 3. Methode arbeitet mit einer Streckenarithmetik und kann als algebraischer Zugang
bezeichnet werden. Sie geht auf den Satz von Pascal zurück, kann aber auch weniger aufwendig
über Sehnenvierecke in einer Hilbert-Ebene mit Parallelenaxiom begründet werden. (Unter
einer Hilbert-Ebene verstehen wir eine Ebene, in der die Axiome der Inzidenz, der Anordnung
und der Kongruenz gelten.)
Definition 2.1.5 Seien a, b Äquivalenzklassen von Strecken (siehe Satz 1.2.1), AB ∈ a und
C derart, dass Zw(ABC) und BC ∈ b. Dann sei
a + b := Klasse, in der AC liegt.
Es gelten folgende Rechenregeln:
Satz 2.1.6 ∀ a, b, c gilt
(1) a + b ist stets eindeutig definiert
(unabhängig von der Auswahl der Repräsentanten)
(2) (a + b) + c = a + (b + c) (assoziativ)
(3) a + b = b + a (kommutativ)
(4) Genau eine der Beziehungen trifft zu:
(i) a = b
(ii) ∃ c : a + c = b
(iii) ∃ d : a = b + d
Der Beweis wird hier übergangen. Wichtiger ist für unsere Überlegungen die Multiplikation
zweier Klassen, die nicht offensichtlich ist.
Definition 2.1.7 Gegeben sei a, b sowie ein Einselment 1. Sei AB ∈ 1, BC ∈ a, DE ∈ b und
](BAC), ](EDF ) ∈ α. Die Dreiecke 4(ABC) und
4(DEF ) seien rechtwinklig. Dann definieren wir:
a · b := Äquivalenzklasse von EF .
2
EUKLIDISCHE GEOMETRIE
41
Satz 2.1.8 In der euklidischen Ebene gilt
(1) ∀ a, b ist a · b eindeutig definiert (”·” ist eine Operation)
(2) ∀ a ist a · 1 = a
(3) ∀ a, b ist a · b = b · a (kommutativ)
(4) ∀ a, b, c ist (a · b) · c = a · (b · c) (assoziativ)
(5) ∀ a ∃ b : a · b = 1
(6) ∀ a, b, c ist a · (b + c) = a · b + a · c (distributiv)
Beweis (1) Sei 4(D0 E 0 F 0 ) ein rechtwinkliges Dreieck
(W SW )
mit D0 E 0 ∈ b sowie ](E 0 D0 F 0 ) ∼
= ](EDF ) =⇒
4(DEF ) ∼
= 4(D0 E 0 F 0 ) =⇒ E 0 F 0 ∼
= EF
(3) ist die eigentlich interessante Aussage.
In der nebenstehenden Skizze liegen A, C, D, E auf einem Kreis. Die Geraden g(A, E) und g(C, D) schneiden
sich in B orthogonal. Nach dem Peripheriewinkelsatz, den
wir als bekannt voraussetzen, ist ](BAC) ∼
= ](BDE)
und damit BE ∈ a · b sowie ](BAD) ∼
= ](BCE) und
damit BE ∈ b · a, also a · b = b · a, qed.
(5) Das Inverse von a ergibt sich unmittelbar aus beiliegender Konstruktion:
Satz 2.1.9 Sei (F ∗ , +, · ) die Menge der Äquivalenzklassen von Strecken mit obiger Arithmetik. Dann gibt es genau einen Körper (F, +, · ) mit obigen Operationen und F+ = F ∗ .
Beweis Wir gehen wie bei der Einführung der negativen Zahlen vor, da genau die negativen
Elemente und die Null fehlen. Sei
Fe := {(a, b) : a, b ∈ F ∗ }
mit der Äquivalenzrelation
(a, b) ∼ (a0 , b0 ) :⇔ a + b0 = a0 + b
2
EUKLIDISCHE GEOMETRIE
42
und den Operationen
(a, b) + (c, d) := (a + c, b + d)
(a, b) · (c, d) := (ac + bd, ad + bc).
(a, b) entspricht der Differenz a − b; (a, a) hat die Eigenschaften der Null, ist daher auch
die Null in Fe. (F, +, · ) ist nun die Menge der Äquivalenzklassen (a, b) mit den durch obige
Äquivalenzrelation induzierten Operationen.
Übungsaufgabe: Man zeige, dass (F, +, · ) ein Körper ist.
Bemerkung: Über die Längenmessung mittels Archimedischem
Axiom nach Definition 1.3.1 erhalten wir durch die Zuordnung
Φ : F −→ R mit Φ(b) := `(AB) für b ∈ F und AB ∈ b eine
Isomorphie F ∼
= R.
`(AB)
AB %
l
&
b
Ähnliche Dreiecke
Wenn wir im folgenden Dreiecke betrachten, ordnen
wir diesen Seiten zu. Hierbei können a, b, c Maßzahlen für die Strecken BC, AC, AB nach dem Archimedischen Axiom oder auch Elemente des Körpers F im
obigen Sinn sein oder auch einfach die entsprechenden
Strecken, die dann allerdings einen festen Ort in der
Ebene bezeichnen.
Definition 2.1.10 Zwei Dreiecke heißen ähnlich:
4(ABC)
∼ 4(A0 B 0 C 0 )
:⇐⇒ 1. Winkel sind paarweise kongruent
a
b
c
2.
= 0 = 0 , d.h. Seiten sind paarweise proportional
0
a
b
c
Satz 2.1.11 Haben 2 Dreiecke paarweise kongruente Winkel, dann sind sie ähnlich.
Wir zeigen zunächst folgendes
Lemma 2.1.12
a) Sei g die Winkelhalbierende von ](BAC) und
P ∈ g im Innern des Winkels. D und E seien die Fußpunkte der Lote von P auf die beiden
Schenkel. Dann gilt:
4(ADP )
∼
= 4(AEP ).
b) Die Winkelhalbierenden ωα , ωβ , ωγ im Dreieck schneiden sich in einem Punkt.
Beweis a) ergibt sich aus (WWS) (Übungsaufgabe).
2
EUKLIDISCHE GEOMETRIE
43
b) M sei der Schnittpunkt von ωα und ωβ ⇒ M
hat kongruenten Abstand zu g(A, C), g(A, B) und
g(B, C) ⇒ M ∈ ωγ , qed.
Beweis zu Satz 2.1.11: zu zeigen: a/a0 = b/b0 = c/c0
Wir führen die Aussage auf die oben eingeführte Streckenarithmetik zurück.
Sei im Dreieck 4(ABC) M der Schnittpunkt der
Winkelhalbierenden und D, E, F die Fußpunkte
der Lote auf die entsprechenden Dreiecksseiten.
Bezeichnen wir im zweiten Dreieck die entsprechenden Größen jeweils mit einem Strich, dann
ergibt sich:
h = r · x, h0 = r · x0 also x/x0 = h/h0 ;
genauso y/y 0 = h/h0 , z/z 0 = h/h0 .
Setzen wir h/h0 = k, so folgt
x = k·x0 , y = k·y 0 , z = k·z 0 und daher a = x+y = k·x0 +k·y 0 = k·a0 sowie b = k·b0 , c = k·c0 ,
qed.
Hieraus ergibt sich nun der (1.) Strahlensatz
Satz 2.1.13 In einem Dreieck 4(ABC) sei g(B 0 , C 0 ) parallel zu
g(B, C) und etwa AB ∈ a, AB 0 ∈ a0 , AC ∈ c, AC 0 ∈ c0 . Dann ist
a
a0
= 0
c
c
und umgekehrt, wenn B 0 und C 0 die Strecken AB bzw. AC wie
oben teilen, dann ist g(B, C) k g(B 0 , C 0 ).
(2.1.11)
Beweis Die Dreiecke 4(ABC) und 4(A0 B 0 C 0 ) sind ähnlich ⇐⇒ die Winkel sind paarweise
kongruent ⇐⇒ g(B, C) k g(B 0 , C 0 ). Wäre etwa g(B, C) ∦ g(B 0 , C 0 ), dann hätten wir ein
Dreieck, in dem ein Außenwinkel und der nicht-anliegende Innenwinkel gleich wären im Widerspruch zu Satz 1.2.23, qed.
Die Transversalen am Dreieck
Bereits gezeigt: Die 3 Innenwinkelhalbierenden schneiden sich in einem Punkt W (Inkreismittelpunkt).
Satz 2.1.14
a) Die 3 Mittelsenkrechten schneiden sich in einem Punkt M (Umkreismit-
2
EUKLIDISCHE GEOMETRIE
44
telpunkt).
b) Die 3 Höhen schneiden sich in einem Punkt H.
c) Die 3 Seitenhalbierenden sa , sb , sc schneiden sich in einem Punkt S und S teilt diese
in einem Verhältnis 2:1 (S-Schwerpunkt).
d) Die 3 Punkte M, H, S liegen auf einer Geraden. Ist 4(ABC) gleichseitig, dann ist
W = H = S. Ist 4(ABC) nicht gleichseitig, dann sind alle 3 Punkte voneinander
verschieden und es gilt Zw(M SH) und `(HS) = 2 · `(SM ).
Die Gerade g = g(M, S) heißt Euler-Gerade.
Beweis a) Jeder Punkt Q der Mittelsenkrechten mAB erzeugt ein gleichschenkliges Dreieck AQ ∼
= BQ ⇒ im Schnittpunkt M von mAB und mAC gilt
AM ∼
= BM ∼
= CM
⇒ A, B, C liegen auf einem Kreis mit dem Zentrum M und
dem Radius `(AM ), M ist eindeutig bestimmt ⇒ mBC geht
auch durch M .
b) Wir ziehen Parallele durch C zu g(A, B) usw. und erhalten das Dreieck 4(A0 B 0 C 0 ). Aus der Parallelogrammregel
(2.1.1) folgt
CA0 ∼
= AB ∼
= B0C
usw.
Daher sind die Höhen die Mittelsenkrechten in
einem Punkt.
4(A0 B 0 C 0 ),
diese schneiden sich nach a) in
c) Sei S der Schnittpunkt von sb und sc . Wir ziehen die
Parallele zu sb durch A, Mc , Ma . Nach dem Strahlensatz,
−−→
−→
−→
−−→
angewandt auf AB und AC sowie CA und CB wird jeweils die Hälfte der Strecke AC noch einmal halbiert, also teilen obige Parallele die Strecke AC in 4 kongruente
Teilstrecken und daher AMa in 3 kongruente Teilstrecken,
kongruent zu SMa .
Hieraus ergibt sich `(AS) = 2 · `(SMa ) und ebenso `(BS) = 2 · `(SMb ) bzw.
`(AS) : `(SMa ) = `(BS) : `(SMb ) = 2 : 1.
Falls sb und sa sich in S 0 schneiden, folgt entsprechend
`(CS 0 ) : `(S 0 Mc ) = `(BS 0 ) : `(S 0 Mb ) = 2 : 1
2
EUKLIDISCHE GEOMETRIE
45
und daher S = S 0 . S ist der Schwerpunkt des Dreiecks.
d) Bei gleichseitigen Dreiecken fallen alle Ecktransversalen zusammen ⇒ M = H = S.
Ist 4(ABC) nicht gleichseitig ⇒ ∃ mindestens eine Höhe,
die von der Seitenhalbierenden unterschiedlich ist, und
diese ist damit von der Mittelsenkrechten verschieden
=⇒ M 6= H 6= S.
Sei g = g(M, S), Q ∈ g mit Zw(M SQ) derart, dass
`(QS) = 2 · `(M S) und h = g(C, Q) ⇒ (Strahlensatz):
1
`(SM )
`(SMc )
=
=
⇒ mAB k h;
2
`(SQ)
`(SC)
g(C, H) k mAB ⇒ h = g(C, H)
=⇒ Q liegt auf der Höhe.
Genauso zeigt man, dass Q auch auf den anderen Höhen liegt ⇒ Q = H, qed.
Zu den Merkwürdigkeiten in der Dreiecksgeometrie gehört der 9-Punkte- oder FeuerbachKreis.
Zu den Merkwürdigkeiten in der Dreiecksgeometrie gehört der 9-Punkte- oder FeuerbachKreis (Wilhelm Feuerbach, 1800 - 1834).
Satz 2.1.15 (Feuerbach-Kreis) Sei
4(ABC)
ein Dreieck und
(i) Ma , Mb , Mc - Seitenmittelpunkte
(ii) Ha , Hb , Hc - Höhenfußpunkte
(iii) Pa , Pb , Pc - Mittelpunkte der Strecken AH, BH, CH wenn H der Höhenschnittpunkt
ist.
Dann liegen diese 9 Punkte auf einem Kreis, dem Feuerbach-Kreis.
Beweis Der Beweis ergibt sich aus der wiederholten, einfachen Anwendung des 1. Strahlensatzses und des Satzes von Thales wie folgt:
CMb : CA = CMa : CB
HPa : HA = HPb : HB
AMb : AC = APa : AH
BMa : BC = BPb : BH
⇒
⇒
⇒
⇒
Ma Mb k AB
Pa Pb k AB
Pa Mb k hc = CHc
Pb Ma k hc = CHc
Da offenbar hc ⊥ AB, ist (Pa Pb Ma Mb ) ein Rechteck. Genauso zeigt man, dass (Pb Pc Mb Mc )
ein Rechteck ist. Die Strecke Pb Mb ist eine gemeinsame Diagonale beider Rechtecke und daher
Durchmesser eines Kreises durch die Eckpunkte Pa , Mb , Pc , Ma , Pb , Mc . Die Höhenfußpunkte bilden offensichtlich rechtwinklige Dreiecke über den Diagonalen (z.B. ist 4(Mb Hb Pb ) ein
rechtwinkliges Dreieck mit dem rechten Winkel bei Hb usw.) und liegen daher nach dem Satz
2
EUKLIDISCHE GEOMETRIE
46
des Thales ebenfalls auf diesem Kreis, dem Feuerbach-Kreis, was im übrigen auch für die
anderen Punkte gilt. Qed.
2
EUKLIDISCHE GEOMETRIE
2.2
47
Flächeninhalt und Flächenmaß
Flächenmaße kann man ähnlich wie Streckenmaße einführen mit dem Unterschied, dass die
Vielfalt bei Flächen natürlich erheblich größer ist als bei Strecken. Bei geradlinig begrenzten
Figuren lässt sich ein Flächenmaß“ zurückführen auf ein solches von Dreiecken in Verbindung
”
mit einem geeigneten Kongruenzbegriff als Erweiterung des bereits eingeführten Kongruenzbegriffes bei Dreiecken.
Folgende Bedingungen müssen für einen Flächeninhalt (Flächenmaß) erfüllt sein:
1. Kongruente Figuren haben gleichen Flächeninhalt.
2. Der Flächeninhalt von Summen“ sich nicht überlappender Figuren ist gleich der Sum”
me der Inhalte.
Definition 2.2.1 Eine geradlinig begrenzte Figur (im folgenden Figur“) ∆ ist eine Teilmen”
ge der Ebene, die sich durch eine endliche Anzahl nicht überlappender Dreiecke darstellen
lässt.
Wir sagen, zwei Dreiecke ∆1 und ∆2 überlappen sich,
wenn sie einen inneren Punkt D von ∆1 und von ∆2
gemeinsam haben.
Satz 2.2.2 Durchschnitt, Vereinigung, Komplement in einer dritten Figur einschließlich der
Ränder und Differenz von Figuren sind wieder Figuren.
Definition 2.2.3
a) Zwei Figuren ∆, ∆0 heißen zerlegungsgleich :⇐⇒ ∆ und ∆0 lassen sich derart als
Vereinigung nicht-überlappender Dreiecke T1 , . . . , Tn bzw. T10 , . . . , Tn0 darstellen:
∆ = T1 ∪ . . . ∪ Tn
und
∆0 = T10 ∪ . . . ∪ Tn0 ,
so dass bei geeigneter Wahl der Reihenfolge Ti ∼
= Ti0 (i = 1, . . . , n).
b) Zwei Figuren ∆, ∆0 heißen ergänzungsgleich :⇐⇒ ∃ Figuren Q, Q0 derart, dass
(1) ∆ und Q überlappen sich nicht.
(2) ∆0 und Q0 überlappen sich nicht.
(3) Q und Q0 sind zerlegungsgleich.
(4) ∆ ∪ Q und ∆0 ∪ Q0 sind zerlegungsgleich.
Wir sagen auch: ∆ und ∆0 sind inhaltsgleich und werden zeigen, dass diese Bezeichnung
auch gerechtfertigt ist.
2
EUKLIDISCHE GEOMETRIE
48
Offenbar sind zerlegungsgleiche Figuren auch inhaltsgleich und die Vereinigung sich nicht
überlappender zerlegungsgleicher Figuren wieder zerlegungsgleich. Beispiel: 4 = (ABCD)
und 40 = (CDEF ) seien Parallelogramme wie in nebenstehender Skizze.
Behauptung: 4 und 40 sind ergänzungsgleich und damit
inhaltsgleich.
Es ist Q = Q0 = 4(BGE) =⇒ 4 + Q und 40 + Q0 sind
zerlegungsgleich:
4 + Q = 4(ACE) + 4(CDG), 40 + Q0 = 4(BDF ) + 4(CDG) und
4(ACE)
∼
= 4(BDF ).
Hat man eine Figur als Vereinigung endlich vieler Dreiecke gegeben, so kann man durch
weitere Unterteilung der Dreiecke oder Überlagerung diese verfeinern“.
”
Allgemein lässt sich eine beliebige durch Polygone begrenzte
Figur so unterteilen“, dass eine Vereinigung endlich vieler
”
Dreiecke entsteht. Diese können wieder beliebig verfeinert
werden (ÜA).
Folgende Aussagen führen wir weitgehend ohne Beweis an. Mit Hilfe geeigneter Unterteilungen sind die Aussagen zwar mit etwas Aufwand aber ohne nennenswerte Hürden zu beweisen.
Satz 2.2.4 Die Relation zerlegungsgleich“ ist eine Äquivalenzrelation.
”
Beweis Reflexivität und Symmetrie sind offenbar erfüllt. Daher bleibt nur die Transitivität
nachzuweisen. Seien also ∆ und ∆0 zerlegungsgleich sowie ∆0 und ∆00 . Die einander zugeordneten Zerlegungen seien
∆ = T1 ∪ . . . ∪ Tn
und
∆0 = T10 ∪ . . . ∪ Tn0
mit
Ti ∼
= Ti0 (i = 1, . . . , n)
bei geeigneter Wahl der Reihenfolge und
0
∆0 = S10 ∪ . . . ∪ Sm
und
00
∆00 = S100 ∪ . . . ∪ Sm
mit
Si0 ∼
= Si00 (i = 1, . . . , m).
Wir müssen nun Zerlegungen von ∆ und ∆00 mit paarweise kongruenten Dreiecken konstruieren. Hierzu legen wir die beiden Zerlegungen von ∆0 übereinander. Haben die Dreiecke Ti0
und Sj0 innere Punkte gemeinsam, dann sei
Ti0 ∩ Sj0 =
l
[
0
Uijk
k=1
eine Zerlegung von Ti0 ∩ Sj0 . Ist ϕi : Ti −→ Ti0 die Bewegung, die die kongruenten Dreiecke
[
0 ). Dann ist T =
Ti0 und Ti aufeinander abbildet, sei Uijk = ϕ−1
(U
Uijk . Entsprechend
i
i
ijk
j,k
sei ψj :
Sj00
−→
Sj0
mit
00
Uijk
=
0 ).
ψj−1 (Uijk
Dann ist
Sj00
=
[
i,k
Zerlegungen
∆=
[
i,j,k
Uijk
und
∆00 =
[
i,j,k
00
Uijk
00
Uijk
00 . Das ergibt
mit Uijk ∼
= Uijk
2
EUKLIDISCHE GEOMETRIE
49
mit paarweise kongruenten Dreiecken, qed.
Ein Beispiel hierzu findet man in Satz 2.2.6.
Folgerung 2.2.5
a) Die Relation inhaltsgleich“ ist eine Äquivalenzrelation.
”
b) Nicht-überlappende Vereinigungen inhaltsgleicher Figuren sind inhaltsgleich.
c) Wenn Q ⊆ 4 und Q0 ⊆ 40 und wenn Q und Q0 sowie die Figuren 4 und 40 inhaltsgleich sind, dann sind auch 4 \ Q und 40 \ Q0 inhaltsgleich.
Beweis: a) Reflexivität und Symmetrie sind offenbar erfüllt. Seien ∆ und ∆0 inhaltsgleich
sowie ∆0 und ∆00 und Q, Q0 , R0 , R00 Ergänzungen, so dass Q und Q0 , ∆ ∪ Q und ∆0 ∪ Q0 sowie
R0 und R00 , ∆0 ∪ R0 und ∆00 ∪ R00 jeweils zerlegungsgleich sind. Die Ergänzungen ordnen wir
so in der Ebene an, dass eventuelle Überlappungen vermieden werden. Dann sind ∆ ∪ Q ∪ R0
und ∆0 ∪ Q0 ∪ R0 zerlegungsgleich und entsprechend auch ∆0 ∪ R0 ∪ Q0 und ∆00 ∪ R00 ∪ Q0 .
Nach Satz 2.2.4 sind auch ∆ ∪ Q ∪ R0 und ∆00 ∪ R00 ∪ Q0 zerlegungsgleich und damit ∆ und
∆00 inhaltsgleich.
b) ist trivial und c) beweist man entsprechend wie a), qed.
Satz 2.2.6 Seien 41 = 4(ABC) und 42 = 4(ABD) zwei Dreiecke mit derselben Basis AB,
so dass g(C, D) k g(A, B). Dann sind 41 und 42 zerlegungsgleich.
Beweis Sei g = g(A, B), h = g(C, D) und m die
Mittellinie von g und h. E, F, G und H seien jeweils
die Lotfußpunkte der Lote von A, B, C bzw. D auf
m. Dann ist etwa 4(CGI) ∼
= 4(AEI), 4(CGJ) ∼
=
4(BF J) usw. Daher sind sowohl 4(ABC) als auch
4(ABD) zerlegungsgleich zum Rechteck (ABF E)
und nach Satz 2.2.4a) zueinander zerlegungsgleich,
qed.
Wir wollen nun ein Flächenmaß einführen und gehen dabei ähnlich vor wie bei der Einführung
des geordneten Körpers F der Streckenelemente.
Definition 2.2.7
a) Eine geordnete abelsche Gruppe ist eine abelsche Gruppe G zusammen mit einer Teilmenge P , den positiven Elementen, so dass
(i) ∀ a, b ∈ P ist a + b ∈ P
(ii) ∀ a ∈ G trifft genau eine der Relationen zu: a ∈ P oder a = 0 oder −a ∈ P
(a > 0 ⇐⇒ a ∈ P ).
b) Ein Maß für eine Fläche in der euklidischen Ebene ist eine Funktion α : P −→ G von
der Menge der Figuren in eine geordnete abelsche Gruppe mit folgenden Eigenschaften:
2
EUKLIDISCHE GEOMETRIE
50
(1) ∀ Dreiecke 4 ∈ P gilt α(4) > 0;
(2) wenn 4 ∼
= 40 kongruente Dreiecke sind, dann ist α(4) = α(40 );
(3) für zwei Figuren 4 und 40 , die sich nicht überlappen, gilt
α(4 ∪ 4) = α(4) + α(40 ).
α(4) heißt dann der Flächeninhalt oder kurz Fläche von 4.
Für G wählen wir die additive Gruppe des Körpers der Streckenelemente (F, +, ·) oder
einfach die reellen Zahlen R (R ∼
= F ).
Satz 2.2.8 Sei α ein Flächenmaß. Dann gilt:
a) ∀ Figuren 4 ist α(4) > 0.
b) Wenn 4 und 40 zerlegungsgleich =⇒ α(4) = α(40 ).
c) Wenn 4 und 40 inhaltsgleich =⇒ α(4) = α(40 ).
d) Wenn Q ⊂ 4 und 4 \ Q besitzt innere Punkte =⇒ α(Q) < α(∆).
Beweis c) Seien Q und Q0 zerlegungsgleiche Figuren gemäß Definition 2.2.3 derart, dass
4 ∪ Q und 40 ∪ Q0 zerlegungsgleich sind ⇒ α(4 ∪ Q) = α(40 ∪ Q0 ) und α(Q) = α(Q0 ).
Die Triangulierung von 4 ∪ Q und 40 ∪ Q0 richten wir so ein, dass sich keine Dreiecke von 4
und Q bzw. 40 und Q0 überlappen. Dann ergibt sich:
α(4 ∪ Q) = α(4) + α(Q) bzw. α(40 ∪ Q0 ) = α(40 ) + α(Q0 ),
also α(4) = α(40 ).
Rest: Übung
Aus den folgenden Sätzen wird sich ergeben, dass in der euklidischen Ebene Figuren mit
gleichem Flächenmaß auch inhaltsgleich und inhaltsgleiche Figuren auch zerlegungsgleich
sind. Letzteres gilt nicht mehr, wenn das Archimedische Axiom nicht erfüllt ist, und gilt auch
nicht mehr im 3-dimensionalen euklidischen Raum (siehe 3. Hilbertsches Problem). Da die
umgekehrte Richtung einfach zu beweisen ist, erhalten wir für zwei Figuren 4 und 40 die
Äquivalenz
α(4) = α(40 ) ⇐⇒ 4 und 40 sind inhaltsgleich
⇐⇒ 4 und 40 sind zerlegungsgleich
Die Existenz einer Flächeninhaltsfunktion wird u.a. mit dem folgenden Satz bewiesen, indem
wir für ein Dreieck 4 den bekannten Inhalt α(4) = 21 · b · h fordern. Man kann auch andere
Festsetzungen treffen, etwa für das Einheitsquadrat Q den Wert α(Q) = 1 und dann alle
Flächeninhalte hierauf zurückführen.
2
EUKLIDISCHE GEOMETRIE
51
Die 1. Variante ist geometrisch naheliegend, da wir jede geradlinig begrenzte Figur so zerlegen
können, dass sie eine Vereinigung endlich vieler, sich nicht überlappender Dreiecke ist (4 wird
trianguliert und die Zerlegung heißt eine Triangulierung). Bei der 2. Variante ist man i.a.
gezwungen, zu einer Figur 4 eine inhaltsgleiche Figur zu konstruieren, die selbst ein Quadrat
oder zumindest Vereinigung endlich vieler, sich nicht überlappender Quadrate ist.
Von grundsätzlicher Bedeutung für die Flächenberechnung ist also der folgende
Satz 2.2.9 In der euklidischen Ebene gibt es ein
Flächenfunktional α mit Werten in F (Körper der
Streckenelemente), das folgende Bedingung erfüllt und
durch diese eindeutig bestimmt ist:
Für alle Dreiecke 4(ABC) mit der Basis b und der
Höhe h ist α(4(ABC)) = 12 · b · h
Beweis Sei ∆ = T1 ∪ . . . ∪ Tn eine Triangulierung der Figur ∆ =⇒
α(∆) =
n
X
α(Ti ) =
i=1
n
X
1
i=1
2
· bi · h i .
zu zeigen:
1) α(Ti ) ist unabhängig von der Auswahl der Grundlinie;
2) α(∆) ist unabhängig von der Triangulierung.
Ist insbesondere ∆ ein Dreieck, also α(∆) =
n
X
1
i=1
2
· b i · hi =
1
2
· b · h, dann muss auch
1
·b·h
2
sein.
zu 1) α(4(ABC)) ist unabhängig von der Auswahl
einer Grundseite:
Nach Satz 2.1.11 ist 4(BEA) ∼ 4(BDC) ⇒
h0
h
1
1
= 0 ⇒ · b0 · h0 = · b · h.
b
b
2
2
zu 2) Wir beweisen den Satz zunächst für den Fall, dass 4 ein Dreieck T ist.
Lemma 2.2.10 Ist T ein Dreieck und T = ∪Ti eine Triangulierung, dann ist
α(T ) =
X
α(Ti ).
(2.B)
2
EUKLIDISCHE GEOMETRIE
52
Beweis zu 2.2.10, 1. Schritt: Sei T = T1 ∪ T2 . Offenbar
ist (siehe Skizze) b = b1 + b2 , α(Ti ) = 12 · bi · h und daher
1
1
· b1 · h + · b2 · h
2
2
1
=
· (b1 + b2 ) · h
2
1
=
· b · h = α(T ).
2
2. Schritt: Sei T = ∪Ti eine solche Triangulierung,
bei der kein neuer Eckpunkt ein innerer Punkt von
T ist und mindestens eine Kante keine neuen Ecken
enthält, also etwa folgendes Bild:
Vollständige Induktion bezüglich der Anzahl der
Ecken liefert:
α(T1 ) + α(T2 ) =
α(4) = α(T1 ) + α(4(BCD)) nach 1. Schritt. Sei 40 = 4 \ T1 . Dann hat 40 eine Ecke weniger
als 4 und erfüllt die Induktionsvoraussetzung, woraus die Behauptung folgt.
3. Schritt: T habe eine beliebige Unterteilung. Wir wählen
einen Eckpunkt, etwa C aus und ziehen Strecken sj durch
C und jeden inneren Eckpunkt bis zur Strecke AB. Diese
liegen alle innerhalb des Winkels ](ACB), also innerhalb
des Dreiecks.
Durch diese Strahlen erhalten wir eine neue Triangulierung T = ∪Sj mit
α(T ) =
X
(2.C)
α(Sj )
j
nach Schritt 1.
Die Strahlen sj unterteilen die bestehenden Dreiecke Ti .
Wir erhalten daher eine andere Triangulierung 4(ABC) =
S
i,j (Ti ∩ Sj ). Die Figuren Ti ∩ Sj bestehen aus Drei- und
Vierecken, die wiederum zu Dreiecken trianguliert werden
S
müssen: Ti ∩ Sj = k Uijk , wobei als Eckpunkte keine inneren Punkte von Sj auftreten.
S
Offenbar ist Sj = i,k Uijk und die Grundseite auf AB enthält keine Teilungspunkte. Damit
genügt Sj den Voraussetzungen zum 2. Schritt und es ist
α(Sj ) =
X
α(Uijk ).
i,k
Zusammen mit Gleichung (2.C) ergibt sich für die Fläche des Dreiecks
α(4(ABC)) =
X
i,j,k
α(Uijk ).
(2.D)
2
EUKLIDISCHE GEOMETRIE
53
S
Zurück zur alten Triangulierung 4(ABC) = Ti . Aus dieser Sicht betrachten wir ein Dreieck
Ti . Von den drei Strahlen durch die Eckpunkte X, Y, Z fallen zwei zusammen oder einer muss
zwischen den anderen beiden liegen, etwa der durch Z. Dann
schneidet dieser die Strecke XY und teilt Ti in die Dreiecke
Ti0 und Ti00 , und auf dem Strahl durch Z liegt kein weiterer
Eckpunkt eines Dreiecks Uijk
⇒ Ti = Ti0 ∪ Ti00 ⇒ α(Ti ) = α(Ti0 ) ∪ α(Ti00 ).
Die Teildreiecke erfüllen die Voraussetzung von Schritt 2. Daher gilt
α(Ti ) =
X
α(Uijk ).
j,k
Zusammen mit (2.D) folgt
α(4(ABC)) =
X
α(Uijk ) =
XX
i
i,j,k
α(Uijk ) =
j,k
X
α(Ti ),
i
qed.
Genauso zeigt man
Lemma 2.2.11 Das Flächenmaß α ist unabhängig von der speziellen Triangulierung.
Beweis Sei 4 = T1 ∪· · ·∪Tn = T1 0 ∪· · ·∪Tm 0 . Wir legen beide Triangulierungen aufeinander
und verfeinern wie im Beweis zu Lemma 2.2.10. Dann ist
Ti =
[
Tj 0 =
Uijk ,
j,k
[
Uijk
i,k
und
X
i
qed.
α(Ti ) =
XX
i
j,k
α(Uijk ) =
X
j
α(Tj 0 ),
2
EUKLIDISCHE GEOMETRIE
54
Beispiel
Entscheidend ist, die Triangulierung jeweils so zu verfeinern, dass alle größeren“ auftre”
tenden Dreiecke als nicht-überlappende Vereinigung der neuen Elementardreiecke“ Uijk dar”
stellbar sind. Damit haben wir insgesamt auch den Satz bewiesen, denn
1) ∀ 4 gilt α(4) > 0;
2) sind 4 und 40 nicht überlappend, dann ist α(4 ∪ 40 ) = α(4) + α(40 ).
Dem folgenden Satz kann man sich auf verschiedenen Wegen nähern. Wir bleiben bei der
Dreiecksgestalt.
Satz 2.2.12 In einer euklidischen Ebene sind zwei Figuren 4 und 40 inhaltsgleich genau
dann, wenn α(4) = α(40 ).
Beweis =⇒“ ist Satz 2.2.8 c).
”
⇐=“ I. Jede geradlinig begrenzte Figur ist zerlegungsgleich mit einem Dreieck.
”
Beweis: Induktion bezüglich der Anzahl der Ecken n. n = 3 ist trivial. 4 habe n > 3 Ecken.
Sei h eine zu g(A, B) parallele Gerade durch C: C ∈ h und h k g(A, B).
1. Fall: Innenwinkel bei C < 2π
a) h nicht parallel zu den Nachbarkanten durch A und B
=⇒ h und die Gerade durch eine der anliegenden Seiten
schneiden sich im Punkt D
=⇒ α(4(ABD)) = α(4(ACD))
und beide Dreiecke sind zerlegungsgleich nach Satz 2.2.6.
2
EUKLIDISCHE GEOMETRIE
Wir ersetzen
4(ABD)
durch
4(ACD)
55
=⇒ Punkt A fällt weg.
b) h ist parallel zu beiden Nachbarseiten,
dann verschieben wir das Dreieck 4(ABC) in einen der Eckpunkte und erhalten die Figur 40 .
In beiden Fällen hat die neue Figur 40 weniger als n Ecken.
2. Fall: Innenwinkel bei C > 2π
Wir ziehen eine Parallele h zu g(A, B) durch einen der
nächstgelegenen Eckpunkte D, C oder E, der den geringsten Abstand zu g(A, B) hat.
a) C ∈ h und etwa {A0 } = h ∩ DA
In diesem Fall ersetzen wir das Dreieck 4(A0 CA) durch das
zerlegungsgleiche Dreieck 4(A0 CB) und erhalten statt der
beiden Eckpunkte A und C den neuen Eckpunkt A0 .
b) D ∈ h oder E ∈ h, etwa D ∈ h.
In diesem Fall ziehen wir zu g(D, C) eine Parallele h∗ durch A und erhalten offenbar einen
Schnittpunkt {A0 } = h∗ ∩ CB. Wir ersetzen
das Dreieck 4(DCA) durch das zerlegungsgleiche Dreieck 4(DCA0 ) und erhalten eine zerlegungsgleiche Figur mit einem Eckpunkt weniger.
II. Jedes Dreieck ist zerlegungsgleich zu einem Rechteck wegen Satz 2.2.6.
III. Jedes Rechteck ist zerlegungsgleich zu einem Rechteck der Höhe 1.
Durch Teilung und Aneinanderlegung von Rechtecken
können wir erreichen, dass unser Ausgangsrechteck (ABCD) zerlegungsgleich zu einem Rechteck
(A0 B 0 C 0 D0 ) ist mit `(A0 B 0 ) ≤ 1 < 2 · `(A0 B 0 ). Ist
`(A0 B 0 ) = 1, sind wir fertig. Im anderen Fall wenden wir
folgendes Lemma 2.2.13 für den Fall `(AE) = 1 an.
Lemma 2.2.13 Sei (ABCD) ein Rechteck, Zw(ABE) und AB < AE < 2 · AB. Dann gibt
es Punkte G und H, so dass (ABCD) und (AEGH) zerlegungsgleich sind.
2
EUKLIDISCHE GEOMETRIE
56
∼ FB
Beweis: Sei G ∈ AC derart, dass CG =
⇒
4(BEF ) ∼
= 4(GKC) ⇒ GK ∼
= BE und damit HK ∼
=
AB ⇒ 4(CDF ) ∼
4
(KHE)
⇒
Trapeze
(CDLK)
und
=
(LHEF ) sind zerlegungsgleich, qed.
Bemerkung Ist AE ≥ 2 · AB, dann existiert 4(KLF ) nicht
und die Dreiecke 4(CDF ) und 4(KHE) passen nicht mehr
zueinander!
Zurück zum Satz 2.2.12: Da wir jedes Rechteck mit den Seitenlängen a und b durch eine
Diagonale in zwei kongruente rechtwinklige Dreiecke mit den Grundlinien a und den Höhen
b zerlegen können, hat dieses den Flächeninhalt
1
α((ABCD)) = 2 · a · b = a · b.
2
Da 4 und 40 zerlegungsgleich zu den Rechtecken Q und Q0 mit einer Kante der Länge 1
sind, muss die 2. Kante die Länge α(∆) bzw. α(∆0 ) sein. Diese sind nun inhaltsgleich und
damit zerlegungsgleich ⇐⇒ α(∆) = α(∆0 ), qed.
Folgerung 2.2.14 In einer euklidischen Ebene sind zwei Figuren 4 und 40 zerlegungsgleich
⇐⇒ α(4) = α(40 ).
Satzgruppe des Pythagoras
Zur Satzgruppe des Pythagoras gehören u.a. der Höhensatz, der Kathetensatz und der eigentliche Satz des Pythagoras. Wir beweisen die Aussagen über die Inhalte geeigneter Flächen.
Satz 2.2.15 (Pythagoras) 1) In jedem rechtwinkligen Dreieck mit den Seiten a, b, c
und dem rechten Winkel zwischen a und b gilt c2 = a2 + b2 .
2) Gilt umgekehrt in einem Dreieck mit den Seiten a, b, c die Gleichung c2 = a2 + b2 ,
dann stehen die Seiten a und b senkrecht aufeinander.
Beweis zu 1) Wir betrachten zwei Quadrate ∆ und ∆0 mit den Seiten a + b:
Dann ist ∆ = P ∪ 4Q und
∆0 = P10 ∪ P20 ∪ 4Q0 , 4 ∼
= 40 , Q ∼
= Q0
und es gibt keine Überlappungen
⇒ P = 4 \ 4Q und P 0 = 40 \ 4Q0
sind
inhaltsgleich
und
daher
2
0
0
2
c = α(4\4Q) = α(4 \4Q ) = a +b2 ,
also c2 = a2 + b2 .
zu 2) Angenommen, 4(ABC) sei nicht rechtwinklig. Wegen c2 = a2 + b2 ist c > a, c > b
und nach Satz 1.2.26 auch ](ACB) der größte unter den drei Winkeln von 4(ABC).
2
EUKLIDISCHE GEOMETRIE
57
2.1) Sei etwa ](ACB) <rechter Winkel
⇒ a0 < a, b0 < b und nach Pythagoras 1) gilt
a2 + b2 > a02 + b02 = c2 .
2.2) Sei ](ACB) >rechter Winkel und etwa b ≥
a, b0 = b + x mit x > 0.
Dann ist nach Teil 1
a2 = a02 + x2 ,
b02 = b2 + 2bx + x2
und daher
a02 + b02 = a2 − x2 + b2 + 2bx + x2 = a2 + b2 + 2bx > a2 + b2 = c2
im Widerspruch zu Teil 1) des Satzes, qed.
Satz 2.2.16 (Kathetensatz) In jedem rechtwinkligen Dreieck 4(ABC) mit den Seiten a, b, c
und dem rechten Winkel zwischen a und b ist das Quadrat über einer Kathete gleich dem
Rechteck aus der Hypothenuse und dem der Kathete anliegenden Hypothenusenabschnitt:
b2 = p · c
und
a2 = q · c.
Beweis Es ist α((AEGF )) = α((AEG0 C)) (Scherung).
Dreht man das Parallelogramm (AEG0 C) um 90o um den
Punkt A, so dass C auf den Punkt P fällt, dann wir die
Strecke AE auf AB gedreht, da beide kongruent sind. Folglich wird bei dieser Drehung (AEG0 C) auf (ABQP ) abgebildet, also ist (AEG0 C) ∼
= (ABQP ).
Wie oben ist nun (ABQP ) eine Scherung des Quadrates
(ACRP ) über AP , also α((ABQP )) = α((ACRP ))
und damit
b2 = c · p,
qed.
Aus beiden Sätzen ergibt sich
Folgerung 2.2.17 (Höhensatz) In jedem rechtwinkligen Dreieck 4(ABC) mit den Seiten
a, b, c, dem rechten Winkel zwischen a und b und der Höhe h über c ist das Quadrat über
der Höhe h gleich dem Rechteck aus den Hypothenusenabschnitten:
h2 = p · q.
Beweis Es ist
h2 + p2 = b2 = p · c = p · (q + p) = p · q + p2
2
EUKLIDISCHE GEOMETRIE
58
und daher h2 = p · q, qed.
Spezielle Flächenberechnungen
1. Trapez
1. Variante: E halbiert AC und F die Strecke BD ⇒
g(EF ) ist die Mittellinie von (ABCD). Dann ist das
Trapez zerlegungsgleich zu
(ABGJ) ∪ (HICD)
und damit
1
1
α((ABCD)) = AB · h + CD · h.
2
2
2. Variante: E halbiert AC und F die Strecke BD ⇒
g(EF ) ist die Mittellinie von (ABCD) und
1
EF = (AB + CD).
2
In beiden Fällen ist
α((ABCD)) =
1
· (AB + CD) · h,
2
wenn h die Höhe des Trapezes ist.
2. Kreis
Zur Berechnung des Umfangs und des Flächeninhalts eines Kreises vom Radius r (Durchmesser d = 2r) wird dieser stets durch ein (regelmäßiges) Polygon angenähert. Dieses kann
dem Kreis einbeschrieben oder umbeschrieben sein.
Sei Pn ein regelmäßiges einbeschriebenes Polygon mit n
Ecken, dem Flächneinhalt Fn und dem Umfang Un und Qn
ein entsprechendes umbeschriebenes Polygon mit ebenfalls
n Ecken, dem Flächeninhalt Fn∗ und dem Umfang Un∗ , wie
in nebenstehender Skizze beschrieben. Dann ergibt sich geometrisch (und auch rechnerisch - wird hier nicht ausgeführt)
Fn < Fn∗ und Un < Un∗ .
Im Grenzfall für n −→ ∞ erhält man
lim Fn = lim Fn∗
n−→∞
n−→∞
und
lim Un = lim Un∗ .
n−→∞
n−→∞
Dieser gemeinsame Grenzwert ist der Flächeninhalt Fk bzw. der Umfang Uk des Kreises k:
Fk := lim Fn = lim Fn∗ ;
n−→∞
n−→∞
Uk := lim Un = lim Un∗ .
n−→∞
n−→∞
Wir zeigen zunächst, dass das Verhältnis von Umfang zum Durchmesser eine Invariante des
Kreises ist, also eine Konstante, die mit π bezeichnet wird.
2
EUKLIDISCHE GEOMETRIE
59
Satz 2.2.18 Für alle Kreise k ist das Verhältnis von Umfang zum Durchmesser eine Konstante. Diese Konstante ist π:
U : d = const. = π
Beweisskizze Da zum Beweis ist ein Grenzprozess erforderlich ist, bleibt er in diesem Rahmen unvollständig. Wir geben nur den geometrischen Hintergrund an, der aus der Anwendung
des 1. Strahlensatzes resultiert.
Sei k = k(M ; d) ein Kreis mit Mittelpunkt M und
Durchmesser d und Pn wie oben ein einbeschriebenes
Polygon von k, mit dem wir den Kreis k angenähert
beschreiben. Entsprechend sei k 0 = k(M ; d0 ) ein weiterer Kreis mit demselben Mittelpunkt M und dem
Durchmesser d0 (> d) und Pn0 ein einbeschriebenes Polygon von k 0 derart, dass zugeordnete Ecken von Pn
und Pn0 auf einem Strahl durch M liegen. Dann sind
entsprechende Polygonseiten als Sehnen in den Kreisen k und k 0 parallel. Nach dem 1. Strahlensatz gilt
ai : d = a0i : d0
(i = 1, . . . , n)
und daher
Un : d =
n
X
!
ai
: d=
i=1
n
X
!
a0i
: d = Un0 : d0 .
i=1
Gleiches gilt für die umbeschriebenen Polygone Qn
und Q0n :
a∗i : d = a∗i 0 : d0
(i = 1, . . . , n)
und daher
Un∗ : d =
n
X
!
a∗i
: d=
i=1
n
X
!
a∗i 0
: d = Un∗ 0 : d0 .
i=1
Führen wir den Grenzprozess n −→ ∞ aus, erhalten wir wegen
lim Un = lim Un∗ = Uk
n−→∞
n−→∞
und
lim Un0 = lim Un∗ 0 = Uk0
n−→∞
n−→∞
die Beziehung
Uk : d = Uk0 : d0 = const.
Die so ermittelte Konstante ist als Kreiszahl π in die Mathematik eingegangen.
Folgerung 2.2.19 Für den Umfang U und den Flächeninhalt F eines Kreises k gilt
a) U = π · d = 2 · π · r
2
EUKLIDISCHE GEOMETRIE
60
b) F = π · r2 .
Beweis a) ergibt sich unmittelbar aus
U
d
= π.
b) Wir zerlegen die Kreisfläche in n Tortenstücke“, wie in nebenstehender Skizze zu sehen
”
ist. Die Tortenstücke“ werden als Streifen neu angeordnet. Die Länge des Streifens ist nähe”
rungsweise gleich dem halben Kreisumfang und die Breite näherungsweise gleich dem Radius.
Im Grenzfall n −→ ∞ ist die Fläche F des Streifens
F =
qed.
U
· r = π · r2 ,
2
2
EUKLIDISCHE GEOMETRIE
2.3
61
Volumen
Orthogonalität im Raum, Geradenspiegelungen
Definition 2.3.1
a) Eine Gerade g und eine Ebene ε heißen orthogonal
(g⊥ε) :⇐⇒ g durchstößt ε im Punkt P und jede
Gerade h von ε durch P ist orthogonal zu g : g⊥h.
b) Zwei Ebenen ε und η heißen zueinander orthogonal
(ε⊥η) :⇐⇒ ∃ Gerade g ⊂ η, die orthogonal zu ε ist
(:⇐⇒ ∃ h ⊂ ε : h ⊥ η).
Wir zeigen, dass es in Definition 2.3.1 genügt, die Orthogonalität zu zwei verschiedenen
Geraden durch P zu fordern, was anschaulich auch klar ist.
Lemma 2.3.2 Es ist g ⊥ η genau dann, wenn es zwei verschiedene Geraden h1 , h2 ⊂ ε und
einen Punkt P ∈ ε gibt mit P ∈ h1 ∩ h2 ∩ g, g ⊥ h1 und g ⊥ h2 .
Bevor wir Lemma 2.3.2 beweisen, betrachten wir Geradenspiegelungen im Raum.
Definition 2.3.3 (Geradenspiegelung im Raum) Sei g ⊂ Ω eine
Gerade und P ∈ Ω ein beliebiger Punkt. Die Abbildung
ϕg : Ω −→ Ω sei wie folgt definiert:
1) P ∈ g =⇒ ϕg (P ) := P
2) P ∈
/ g, dann sei ηp ⊂ Ω die Ebene durch g und P : ηp =
ε(g, P ). In ηp sei ϕηp ,g die Geradenspiegelung an g. Dann sei
ϕg (P ) := ϕηp ,g (P ).
ϕg heißt Geradenspiegelung des Raumes Ω.
Satz 2.3.4 ϕg ist eine isometrische Abbildung, also eine Bewegung.
2
EUKLIDISCHE GEOMETRIE
62
Beweis Seien P, Q ∈ Ω beliebig und
P 0 = ϕg (P ) = ϕηp ,g (P ), Q0 = ϕg (Q) = ϕηq ,g (Q).
In ηp = ε(P, g) ziehen wir eine Parallele zu g(P, P 0 )
durch FQ und entsprechend in ηq = ε(Q, g) eine Parallele zu g(Q, Q0 ) durch FP . Wir erhalten die Parallelogramme P = (P P 0 S 0 S) und Q = (QQ0 R0 R)
sowie nach dem 1. Strahlensatz die Parallelogramme
= (P RQS) und 0 = (P 0 R0 Q0 S 0 ).
Da RQ, P S, R0 Q0 , P 0 S 0 parallel zu FP FQ sind und FP FQ ⊥ g(P, P 0 ), g(R, R0 ), g(Q, Q0 ), g(S, S 0 ),
sind die Parallelogramme = (P RQS) und 0 = (P 0 R0 Q0 S 0 ) Rechtecke mit paarweise kongruenten Kanten und folglich kongruenten Diagonalen. Daher ist P Q ∼
= P 0 Q0 , qed.
Beweis von Lemma 2.3.2 Seien h1 und h2 zwei verschiedene Geraden durch P , die orthogonal zu g sind.
Die Geradenspiegelung ϕg bildet die beiden Geraden
h1 und h2 offenbar auf sich ab und bildet damit auch
die Ebene ε = ε(h1 , h2 ) auf sich ab. Damit wird auch
jede Gerade h ⊂ ε durch P auf sich abgebildet. Da ϕg
eine Bewegung mit g als Fixgerade ist, ist ](h, g) ein
Rechter, qed.
Satz 2.3.5
a) ∀ P, ε gibt es genau eine Gerade g mit P ∈ g und g⊥ε.
b) ∀ P, g gibt es genau eine Ebene ε mit P ∈ ε und g⊥ε.
Beweis a) Existenz: Sei g 0 ⊂ ε eine beliebige Gerade
und ε0 = ε(g 0 , P ) die Ebene durch P und g 0 . In ε0 sei P 0
der Lotfußpunkt des Lotes von P auf g 0 und h ⊂ ε die
Lotgerade in ε zu g 0 durch P 0 . In der Ebene η = ε(h, P )
sei P0 der Lotfußpunkt des Lotes von P auf h. g 00 sei
die Parallele zu g 0 durch P0 in ε. Nun ist g 0 ⊥ η und
daher auch g 00 ⊥ η, also P P0 ⊥ g 00 . Zusammen mit
P P0 ⊥ h ergibt sich P P0 ⊥ ε, was zu zeigen war.
Eindeutigkeit des Lotes: Aus der Existenz zweier verschiedener Lote ergäbe sich die Existenz eines Dreiecks mit zwei rechten Winkeln.
b) Durch g legen wir zwei verschiedene Ebenen, so dass P auf einer
dieser Ebenen liegt. Ist P ∈ g, dann liegt P auf beiden Ebenen
und wir errichten in jeder Ebene das Lot in P zu g. Ist P ∈
/ g,
fällen wir das Lot von P auf g, erhalten FP als Lotfußpunkt und
errichten das Lot in FP zu g in der zweiten Ebene. In Jedem Fall
erhalten wir zwei zu g orthogonale Geraden g1 und g2 , durch die
wir die gesuchte Ebene ε legen. ε ist offenbar eindeutig bestimmt
und geht durch P , qed.
2
EUKLIDISCHE GEOMETRIE
63
Definition 2.3.6 (Winkel zwischen 2 Ebenen) Seien ε und η zwei verschiedene Ebenen, ε ∦ η,
g = ε ∩ η und % eine beliebige Ebene orthogonal zu g (%⊥g). Dann schneidet % die Ebenen ε
und η in den Geraden gε und gη , die sich wiederum in einem Punkt P ∈ g schneiden. Dann
definieren wir
](ε, η) := ](gε , gη ) (≤ rechter Winkel).
Für die Kongruenz von Figuren können wir wieder die Bewegung verwenden.
Definition 2.3.7 a) Eine eineindeutige Abbildung ϕ : Ω −→ Ω des Raumes in sich heißt
Bewegung :⇐⇒ ∀ A, B ∈ Ω gilt ϕ(A)ϕ(B) ∼
= AB.
b) Sind 4, 40 ⊂ Ω beliebige Punktmengen, dann heißen 4, 40 kongruent:
4∼
= 40 :⇐⇒ ∃ Bewegung ϕ mitϕ(4) = 40 .
Auf Euklid geht die folgende Definition der Kongruenz zurück, wobei dort die Bedingung
über die Winkel aneinander grenzender Flächen fehlt:
Definition 2.3.7∗ Polyeder 4 und 40 sind kongruent :⇐⇒
1) 4 und 40 werden von paarweise kongruenten Flächen begrenzt;
2) aneinander grenzende zugeordnete Flächen schneiden sich unter kongruenten Winkeln.
Man kann zeigen, dass beide Definitionen für Polyeder gleichwertig sind.
Volumen
Eine Volumenmessung führen wir, vergleichbar wie in der Ebene, für ebenseitig begrenzte
endliche Körper, den Polyedern, ein.
Definition 2.3.8 Eine Abbildung ν der Menge der Polyeder in R+ heißt Volumenfunktional,
wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:
(1) wenn 4 ∼
= 40 ⇒ ν(4) = ν(40 );
(2) wenn 4 = 40 ∪ 400 und 40 und 400 durchdringen sich nicht (4 = 40 + 400 ) ⇒ ν(4) =
ν(40 ) + ν(400 );
(3) Normierung: Ist etwa 40 ein Würfel der Kantenlänge 1, dann sei ν(40 ) = 1.
Die Existenz einer Volumenfunktion sichern wir genauso wie die der Flächenfunktion, indem
wir als Grundstruktur ein Tetraeder (Simplex) wählen.
2
EUKLIDISCHE GEOMETRIE
64
D
Definition 2.3.9 Sei ABCD ein Simplex S (Tetraeder) mit
der Grundfläche 4(ABC) und der Höhe h (Abstand von D
zur Ebene ε = ε(A, B, C)). Dann definieren wir:
ν(S) :=
1
· α(ABC) · h.
3
C
A
B
Wie für das Flächenfunktional muss gezeigt werden
a) ν(S) ist unabhängig von der Auswahl der Grundfläche;
b) ν(S) ist unabhängig von weiteren Triangulierungen von S.
Auf den Nachweis der Eigenschaft b) werden wir verzichten.
Wie in der Ebene nennen wir Figuren zerlegungsgleich, wenn sie eine Zerlegung in paarweise
kongruente Teilfiguren zulassen. Entsprechend heißen ∆ und ∆0 inhaltsgleich :⇐⇒ ∃ Q, Q0
e = ∆ ∪ Q und
- zerlegungsgleich, ∆, Q sowie ∆0 , Q0 besitzen keine Durchdringungen und ∆
0
0
0
e = ∆ ∪Q sind zerlegungsgleich. Dann besitzen für jede Volumenfunktion inhaltsgleiche Fi∆
guren gleiches Volumen, sie sind aber keineswegs zerlegungsgleich (siehe Hilbert’s 3. Problem).
Folgende Polyeder werden betrachtet:
1) Pyramiden: Ebene Figur, etwa Viereck ABCD ⊂ ε
und E ∈
/ε
2) Prisma: Zwei kongruente ebene Figuren 4 und 40 ,
etwa Dreiecke, in parallelen Ebenen, so dass die Verbindungsstrecken zugeordneter Punkte Parallelogramme bilden ABCD ⊂ ε und E ∈
/ε
3) Parallelepiped: Prisma mit Parallelogrammen als
Grund- und Deckfläche.
Lemma 2.3.10 Parallelepipede mit gleicher Höhe und inhaltsgleichen Grundflächen sind
zerlegungsgleich.
2
EUKLIDISCHE GEOMETRIE
65
Beweis Wir skizzieren den Beweis in großen Zügen. Die Einzelheiten kann man etwa bei
Euklid [1], Elftes Buch, §§ 29-31 nachlesen.
G
H
M
E
L
N
F
K
1. Schritt: Parallelepipede auf derselben Grundfläche
und orthogonal zu dieser.
D
C
A
B
G
H
M
E
L
F
N
K
2. Schritt: Parallelepipede auf derselben Grundfläche.
D
C
A
B
3. Schritt: Parallelepipede auf verschiedenen zerlegungsgleichen Grundflächen.
Diese sind jeweils einem Parallelepiped mit paarweise auf der Grundfläche orthogonal stehenden rechteckigen Seiten zerlegungsgleich, die Grundflächen einschließlich der
darüber liegenden Prismen sind zueinander zerlegungsgleich,
qed.
Satz 2.3.11 Seien ABCD und A0 B 0 C 0 D0 Dreieckspyramiden mit inhaltsgleichen Grundflächen 4(ABC) und 4(A0 B 0 C 0 ) und gleichen Höhen. Dann haben beide Pyramiden das gleiche Volumen.
Beweis Prinzip der Exhaustion (Ausschöpfung):
Beide Figuren werden als unendliche Vereinigung von Figuren gleichen Volumens dargestellt
bzw. umgekehrt werden nacheinander Figuren gleichen Volumens herausgezogen, so dass der
Rest jeweils kleiner als die Hälfte wird. Damit konvergiert das Verfahren!
A
Nun zu den Tetraedern. Seien E, F, G, H, K, L
die Mitten der jeweiligen Strecken. Wir erhalten
4 Teilfiguren:
2 Pyramiden P1 = AEF G und P2 = F BHK
2 Dreiecksprismen T1 = F HKDGL (liegend)
und T2 = EF GCHL (stehend)
E
C
F
H
B
G
L
K
D
Behauptung: ν(T1 ) = ν(T2 )
Beweis Wir verdoppeln beide Prismen und erhalten Parallelepipeds mit gleicher Grundfläche
und gleicher Höhe. Da die Parallelepipeds offenbar das doppelte Volumen wie die Prismen
haben, haben die Prismen gleiches Volumen.
Weiterhin gilt: T2 und P1 haben dieselbe Grundfläche und Höhe, genauso T1 und P2 und
offenbar ν(T1 ) > ν(P1 ), ν(T2 ) > ν(P2 ) ⇒ T1 + T2 ist mehr als die Hälfte.
Sei 40 eine 2. Figur mit inhaltsgleicher Grundfläche und gleicher Höhe:
2
EUKLIDISCHE GEOMETRIE
66
Die Grundfläche von T1 , T10 macht offenbar jeweils die Hälfte des Dreiecks aus ⇒ T1 und T10
haben inhaltsgleiche Grundflächen; Dreiecksflächen von P2 , T2 bzw. P20 , T20 sind kongruent
⇒ T2 und T20 sowie P2 und P20 haben inhaltsgleiche Grundflächen, alle Figuren haben dieselbe
Höhe ⇒ (Lemma 2.3.10) T1 +T2 und T10 +T20 sind volumengleich. Daher nehmen wir in beiden
Figuren dasselbe Volumen heraus sowie beide Rest-Tetraeder P1 und P2 bzw. P10 und P20 sind
kongruent, also inhaltsgleicher Grundfläche und gleicher Höhe. Mit diesen Tetraedern fahren
wir fort und beweisen so den Satz.
Folgerung 2.3.12 Ein Simplex S = ABCD (Tetraeder) hat das Volumen von einem Drittel
des Prismas über einer Grundfläche 4(ABC) und derselben Höhe.
Beweis Übungsaufgabe
Eine andere Möglichkeit, das Volumen räumlicher Figuren zu bestimmen, ist das
Prinzip von Cavalieri
Zwei räumliche Figuren 4 und 40 sind inhaltsgleich ⇐⇒ ∃ eine zu 40 kongruente Figur
400 und eine Ebene ε1 , so dass ∀ Ebenen ε, ε k ε1 gilt: 4 ∩ ε und 400 ∩ ε sind als Flächen
inhaltsgleich.
Dieses Prinzip verlangt zur Umsetzung Integralrechnung und wird daher hier nicht weiter
verfolgt.
3
ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP
3
67
Abbildungen als Ordnungsprinzip in der
Geometrie
Sei ε eine euklidische Ebene und ∆, ∆0 ⊂ ε zwei Dreiecke, die nicht entartet sind. Wir
betrachten die 1-1-Abbildung ϕ von ε auf sich, die ∆ auf ∆0 abbildet.
1) ϕ ist eine Bewegung ⇐⇒ ∆ ∼
= ∆0 ;
2) ϕ ist eine Ähnlichkeit ⇐⇒ ∆ und ∆0 sind ähnlich;
3) ϕ ist eine (reguläre) Affinität ⇐⇒ ∆ und ∆0 sind beliebig.
Wir zeigen in allen Fällen:
ϕ ist eindeutig und vollständig durch die Angabe ϕ(∆) = ∆0 im folgenden Sinn bestimmt:
∆ = 4(ABC), ∆0 = 4(A0 B 0 C 0 ) ⇒ ϕ(A) = A0 , ϕ(B) = B 0 ϕ(C) = C 0 .
Weiterhin werden wir charakteristische Eigenschaften und Invarianten bestimmen und den
Einfluss von Fixpunkten und -geraden untersuchen. Wir erhalten:
zu 3) reguläre Affinität:
zu 2) Ähnlichkeiten:
zu 1) Bewegungen:
Geraden in Geraden,
Parallelität bleibt erhalten,
Teilverhältnisse invariant
Winkel bleiben erhalten,
Kreise in Kreise
Strecken werden in kongruente Strecken abgebildet
(Isometrie)
Als 4. Gruppe gehören die Kollineationen der projektiven Geometrie dazu, die jedoch aus
Zeitgründen nicht behandelt werden können.
Bemerkung: Besonders übersichtlich fällt die Klassifikation der Abbildungen mit Hilfe analytischer Methoden und der linearen Algebra aus.
3.1
Bewegungen und Ähnlichkeiten der Ebene
Definition 3.1.1 Eine Ähnlichkeit ist eine 1-1-Abbildung ϕ der Ebene/des Raumes ε auf
sich, so dass ∀ A, B ∈ ε und A0 = ϕ(A), B 0 = ϕ(B) gilt: A0 B 0 = µ · AB (im Sinn der
Streckenarithmetik) und µ eine positive reelle Zahl (konstant) ist. Wir schreiben ϕµ für ϕ.
Ist µ = 1, dann haben wir eine Bewegung.
Wir werden zeigen, dass sich Ähnlichkeitstransformationen stets aus einer Bewegung und
einer Zentralstreckung zusammensetzen. Hierzu folgende
Definition 3.1.2 Sei O ∈ ε ein fester Punkt, P 6= O ein beliebiger Punkt und t ∈ K, t 6=
0. Eine Zentralstreckung ist eine 1-1-Abbildung ψ von ε auf sich, so dass ψ(P ) = P 0 mit
P 0 ∈ g(O, P ) und OP 0 = t · OP . Ist t > 0, dann liegen P und P 0 auf derselben Seite von O,
3
ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP
68
ist t < 0, dann liegen P und P 0 auf verschiedenen Seiten von O. O heißt das Zentrum der
Zentralstreckung.
Lemma 3.1.3 Jede Zentralstreckung ist eine Ähnlichkeitstransformation.
Beweis Das Lemma ist eine unmittelbare Folge der Strahlensätze.
Man zeigt ebenfalls über die Strahlensätze, dass bei Zentralstreckungen Geraden in Geraden
und Kreise in Kreise abgebildet werden sowie die Parallelität und Kongruenz von Winkeln
erhalten bleiben. Ist insbesondere 4 ein Dreieck und ψ eine Zentralstreckung, dann ist ψ(4)
ähnlich zu 4.
Den Begriff der ähnlichen Dreiecke haben wir bereits in Definition 2.1.10 eingeführt. In Dreiecken können wir eine Orientierung definieren:
Definition 3.1.4 Die Dreiecke 4(ABC) und 4(A0 B 0 C 0 ) heißen gleichorientiert (haben denselben Umlaufsinn), wenn beim Durchlaufen der Eckpunkte entgegen dem Uhrzeigersinn die
gleiche Reihenfolge möglich ist.
(Im R3 Rechte-Hand-Regel.)
Satz 3.1.5 Seien ∆ = 4(ABC) und ∆0 = 4(A0 B 0 C 0 ) ähnliche Dreiecke. Dann gibt es genau
eine Ähnlichkeit ϕ, die ∆ in ∆0 abbildet.
Wir nennen ϕ eigentlich oder uneigentlich, je nachdem ob ∆ und ∆0 gleich oder entgegengesetzt orientiert sind.
Beweis Wegen der Ähnlichkeit der Dreiecke finden wir B 00 ∈ g(A0 , B 0 ) und C 00 ∈ g(A0 , C 0 ), so
dass 4(ABC) ∼
= 4(A0 B 00 C 00 ). Nach Satz 1.2.36 gibt es genau eine Bewegung ϕ0 , die 4(ABC)
auf 4(A0 B 00 C 00 ) abbildet:
3
ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP
69
ϕ0 (A) = A0 , ϕ0 (B) = B 00 , ϕ0 (C) = C 00
Nun gibt es eine Zentralstreckung ψ mit Zentrum A0 , so dass ψ(4(A0 B 00 C 00 )) = 4(A0 B 0 C 0 ).
Die Hintereinanderausführung ϕ = ψ ◦ ϕ0 bildet offenbar 4(ABC) in 4(A0 B 0 C 0 ) ab.
Falls eine weitere Ähnlichkeitsabbildung Φ mit Φ(∆) = ∆0 existiert und etwa X ∗ = Φ(X) 6=
(ϕ ◦ ψ)(X) =: X 0 , dann ist etwa 4(A0 B 0 X ∗ ) ∼
= 4(A0 B 0 X 0 ), woraus wie im Beweis zu Satz
1.2.36 ein Widerspruch folgt, qed.
Aus dem Beweis ergibt sich
Folgerung 3.1.6 Jede Ähnlichkeitsabbildung ist das Produkt (Hintereinanderausführung) einer Bewegung und einer Zentralstreckung.
Wir wollen nun die Struktur der Ähnlichkeitsabbildungen und Bewegungen untersuchen. Es
gibt folgende elementare“ Ähnlichkeitsabbildungen bzw. Bewegungen der Ebene:
”

1) Geradenspiegelungen 

Bewegungen
2) Translationen


3) Drehungen
4)
Zentralstreckungen
Alle Bewegungen und Ähnlichkeitsabbildungen setzen sich hieraus zusammen, wobei sich
bereits aus dem Beweis von Satz 3.1.5 ergeben hat, dass jede Ähnlichkeitsabbildung das
Produkt einer Bewegung und einer Zentralstreckung ist.
Sei nun ∆ = 4(ABC), ∆0 = 4(A0 B 0 C 0 ) und ϕ = ϕµ die Abbildung mit ϕ(∆) = ∆0 und
ϕ(A) = A0 , ϕ(B) = B 0 , ϕ(C) = C 0 . Für µ = 1 erhalten wir eine Bewegung.
1) Geradenspiegelung ϕ: ∃ Dreieck ∆ = 4(ABC) mit
ϕ(A) = A und ϕ(B) = B, also ϕ(g(A, B)) = g(A, B) ist
eine Fixgerade, und 4 und 40 = 4(ABC 0 ) sind kongruent
und entgegengesetzt orientiert. ϕ ist die Spiegelung an der
Geraden g = g(A, B).
3
ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP
70
2) Drehung ϕ: ∃ Dreieck ∆ = 4(ABC) mit ϕ(A) = A,
40 = 4(AB 0 C 0 ) und 4 und 40 = 4(AB 0 C 0 ) sind kongruent
und gleich orientiert.
3) Translation ϕ: entweder ist ϕ die Identität oder eine Bewegung mit g(A, A0 ) k g(B, B 0 ) k
g(C, C 0 ) und 4 ∼
= 40 (4 und 40 sind gleich orientiert).
∀ P ∈ ε gilt P P 0 ∼
= AA0 : Es ist g(P, P 0 ) k g(A, A0 ),
denn andernfalls wäre P A P 0 A0 , und daher ist das
Viereck (P AP 0 A0 ) ein Parallelogramm.
Satz 3.1.7 a) Jede Verschiebung lässt sich als Produkt (Hintereinanderausführung) zweier Geradenspiegelungen ausführen.
b) Jede Drehung lässt sich als Produkt zweier Geradenspiegelungen darstellen.
Beweis a) ∀ P ∈ ε ist die Länge der
Strecke P P 0 konstant, etwa P P 0 = a
im Sinn der Streckenarithmetik. Sei h =
g(P, P 0 ) und g1 , g2 Geraden orthogonal
zu h im Abstand von 12 · a zueinander. Die
Spiegelungen an g1 und g2 bewirken die
Translation.
3
ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP
71
b) Sei α der Drehwinkel und A der Fixpunkt der Drehung. Dann wählen wir zwei
Geraden g1 und g2 durch A, die einen
Winkel 21 ·α einschließen. Die Spiegelungen
an g1 und g2 bewirken die Drehung.
Satz 3.1.8 a1 ) Jede gleichsinnige Bewegung kann als Produkt einer Verschiebung und einer
Drehung ausgeführt werden.
a2 ) Jede gleichsinnige Bewegung kann als Produkt zweier Geradenspiegelungen ausgeführt
werden.
b) Jede ungleichsinnige Bewegung ist das Produkt einer Verschiebung und einer Geradenspiegelung und damit das Produkt von höchstens drei Geradenspiegelungen.
Beweis a1 ) Die Bewegung ϕ wird charakterisiert durch die Dreiecke ∆ =
ϕ(∆) = 4(A0 B 0 C 0 ).
Sei ϕ1 die Translation mit ϕ1 (A) = A0 und etwa ϕ1 (B) = B1 und ϕ1 (C) = C1 . Dann sind ∆
und ∆1 = 4(A0 B1 C1 ) kongruent und gleichsinnig orientiert. Die Drehung mit Fixpunkt A0 um
den Winkel α = ](B1 A0 B 0 ) ergibt ϕ2 , so dass
ϕ = ϕ2 ◦ ϕ1 .
a2 ) 1. Spiegelung ϕ1 an der Mittelsenkrechten
von AA0 : ϕ1 (∆) = ∆1 := 4(A0 B1 C1 );
2. Spiegelung ϕ2 an der Winkelhalbierenden von
](B1 A0 B 0 ), die wegen der Kongruenz der Dreiecke ∆1 und ∆0 = 4(A0 B 0 C 0 ) auch die Winkelhalbierende von ](C1 A0 C 0 ) ist ⇒ ϕ2 (B1 ) =
B 0 , ϕ2 (C1 ) = C 0 . Daher ist ϕ = ϕ2 ◦ ϕ1 .
b) folgt nun unmittelbar hieraus, qed.
3.2
Affinitäten
Wir gehen zunächst auf das Teilverhältnis von 3 kollinearen Punkten ein.
4(ABC)
und
3
ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP
72
Sei g eine orientierte Gerade A, B ∈ g. Mit m(AB)
bezeichnen wir die vorzeichenbehaftete Strecke (Maßzahl der Strecke), wobei m(AB) = AB > 0 ist,
−−→
wenn AB und g dieselbe Orientierung haben, und
−−→
m(AB) = −AB < 0 ist, wenn AB und g entgegengesetzte Orientierung haben. In diesem Sinn ist dann
auch m(AB) = −m(BA).
Für A = B setzen wir m(AB) = 0.
Bemerkung 3.2.1 Sind A ∈ g und µ ∈ R vorgegeben, dann gibt es offenbar genau einen
Punkt X ∈ g mit m(AX) = µ.
Definition 3.2.2 T V (A, B; X) :=
m(AX)
heißt das Teilverhältnis der drei Punkte A, B, X.
m(BX)
Bemerkung: Für kollineare Punkte A, B, P, Q heißt der Quotient der Teilverhältnisse
T V (A, B; P ) und T V (A, B; Q) auch das Doppelverhältnis von A, B, P, Q:
Dv(A, B; P, Q) =
T V (A, B; P )
T V (A, B; Q)
(siehe Definition 3.5.1)
Lemma 3.2.3 A, B ∈ g, A 6= B seien Punkte einer Geraden g und µ ∈ R, µ 6= 1. Dann
gibt es genau einen Punkt X ∈ g mit T V (A, B; X) = µ.
Beweis Für µ = 0 ist X = A. Wegen m(AX) = m(AB) + m(BX) ergibt sich
m(BX) =
m(AB)
.
µ−1
Die Eindeutig von X folgt nun aus Bemerkung 3.2.1, qed.
Definition 3.2.4 Eine 1-1-Abbildung ϕ der Ebene ε auf sich heißt (reguläre) Affinität, wenn
folgende Bedingungen erfüllt sind:
1. ϕ bildet Geraden in Geraden ab und
2. ϕ lässt das Teilverhältnis von je 3 kollinearen Punkten invariant.
Satz 3.2.5 Sei ϕ eine (reguläre) Affinität. Dann bildet ϕ parallele Geraden in parallele Geraden ab.
3
ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP
73
Beweis Sei g k h und s1 , s2 Strahlen durch den Punkt
Z, die g und h schneiden. Dann ist
T V (A, B; Z) =
m(AZ)
m(CZ)
=
= T V (C, D; Z).
m(BZ)
m(DZ)
Sei ϕ(A) = A0 , ϕ(B) = B 0 , ϕ(C) = C 0 , ϕ(D) =
D0 , ϕ(Z) = Z 0 , ϕ(s1 ) = s01 , ϕ(s2 ) = s02 . Dann ist
Z 0 = s01 ∩s02 und die Teilverhältnisse gleich, also g 0 k h0 ,
qed.
Die wichtigste affine Abbildung ist die Scherung oder Orthogonalstreckung; alle anderen affinen Abbildungen lassen sich durch Hintereinanderausführung einer Scherung und einer Ähnlichkeitsabbildung darstellen.
Definition 3.2.6 Gegeben sei ein Teilverhältnis µ 6= 0 und eine Fixgerade s. Sei P ∈ ε
beliebig. Eine 1-1-Abbildung ϕ der Ebene ε auf sich heißt Scherung :⇐⇒
1. Sei P ∈ s, dann ist P 0 = ϕ(P ) := P
2. Sei P ∈
/ s und F der Fußpunkt des Lotes von P auf s.
Dann ist P 0 = ϕ(P ) der Punkt der Lotgeraden, für den
m(F P 0 )
= µ.
T V (P 0 , P ; F ) = µ, d.h.
m(F P )
Satz 3.2.7 Jede Scherung ϕ ist eine Affinität, d.h.
1. Geraden werden in Geraden abgebildet und
2. Teilverhältnisse bleiben invariant.
3
ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP
74
Beweis 1. Sei g =, g(P, Q)
a) g k s =⇒ P P 0 ∼
= QQ0 ∼
= XX 0 , also
X 0 ∈, g(P 0 , Q0 ).
b) g ∦ s; nach dem Strahlensatz ist
X 0 ∈, g(P 0 , Q0 ).
2. folgt ebenfalls direkt aus den Strahlensätzen,
qed.
Wir zeigen nun, dass durch Vorgabe zweier beliebiger Dreieck in der Ebene eine Affinität
eindeutig bestimmt ist.
Satz 3.2.8 Gegeben seien zwei beliebige nicht-entartete Dreiecke 4 = 4(ABC) und 40 =
4(A0 B 0 C 0 ) in der Ebene ε. Dann gibt es genau eine Affinität ϕ : ε −→ ε mit ϕ(∆) = ∆0 . ϕ
ist das Produkt von Scherungen und Ähnlichkeitsabbildungen.
Beweis Wir zeigen zunächst die Existenz einer Affinität.
−−→
1. Fall: ∆ und ∆ seien beide rechtwinklig mit rechtem Winkel in C bzw. C 0 . Sei B 00 ∈ C 0 B 0
derart, dass ](CAB) ∼
= ](C 0 A0 B 00 ).
Dann sind ∆ und 4(C 0 A0 B 00 ) ähnlich und es gibt eine Ähnlichkeitsabbildung ϕ1 mit
ϕ1 (∆) = 4(C 0 A0 B 00 ).
Die Scherung ϕ2 mit der Fixgeraden , g(A0 , C 0 ) und dem Teilverhältnis µ = T V (B 0 , B 00 ; C 0 )
bildet 4(C 0 A0 B 00 ) in ∆0 = 4(A0 B 0 C 0 ) ab, also ϕ(∆) = (ϕ2 ◦ ϕ1 )(∆) = ∆0 .
2. Fall: ∆ und ∆0 seien beliebig und bei stumpfwinkligen Dreiecken soll der stumpfe Winkel
bei C bzw. C 0 liegen. (Falls dieses bei ∆ zutrifft aber nicht bei ∆0 , führen wir zunächst eine
geeignete Orthogonalstreckung aus.)
3
ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP
1. Scherung
2. Ähnlichkeit + Scherung
3. Scherung
75
ϕ1 : ∆ = 4(ABC) 7→ 4(ABC 00 )
ϕ2 : 4(ABC 00 ) 7→ 4(A0 B 0 C 000 )
ϕ3 : 4(A0 B 0 C 000 ) 7→ 4(A0 B 0 C 0 ) = 40
Die Abbildung ϕ := ϕ3 ◦ ϕ2 ◦ ϕ1 bildet ∆ auf ∆0 ab.
Insbesondere ist damit auch gezeigt, dass sich jede Affinität als Produkt von Scherungen und
Ähnlichkeitsabbildungen und damit als Scherungen, Zentralstreckkungen und Bewegungen
darstellen lässt.
Die Eindeutigkeit beweisen wir, indem wir zeigen, dass durch die Vorgabe zweier Dreiecke
∆ = 4(ABC) und ϕ(∆) = ∆0 = 4(A0 B 0 C 0 ) zu jedem Punkt X ∈ ε seinen durch die
Bedingungen 1. und 2. aus Definition 3.2.4 eindeutig bestimmten Bildpunkt X 0 konstruieren
können.
Sei also X ∈ ε, X 6= A, B, C:
Sei o.B.d.A. , g(X, C) ∦, g(A, B) und etwa H = g(X, C) ∩ g(A, B), H 0 ∈ g(A0 , B 0 ) mit
T V (A, H; B) = T V (A0 , H 0 ; B 0 ). X 0 ∈ g(H 0 , C 0 ) wählen wir derart, dass T V (H, V ; X) =
T V (H 0 , C 0 ; X 0 ). Dann erfüllt X 0 offenbar genau die Bedingungen für X 0 = ϕ(X), qed.
Folgende Tabelle gibt eine Übersicht über die Abbildungen der Ebene:




1) Geradenspiegelungen 










Bewegungen
2) T ranslationen


Ähnlichkeiten 


Affinitäten
3) Drehungen







4) Zentralstreckungen




5) Scherungen
3
ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP
3.3
76
Bewegungen des euklidischen Raumes Ω
Bewegungen des Raumes und die Kongruenz haben wir bereits in Definition 2.3.7 als Isometrie
erklärt. In der Ebene hatten wir gesehen, dass zwei Dreiecke genau dann kongruent sind, wenn
die drei Seiten paarweise zueinander kongruent sind. Dieses Prinzip überträgt sich auf den
Raum für Tetraeder ∆ = ∆(ABCD) mit 4 nicht-komplanaren Punkten. Wir zeigen zunächst
ein Äquivalent des Kongruenzsatzes (SSS) für den Raum.
Lemma 3.3.1 Gilt für zwei Tetraeder ∆ = ∆(ABCD) und ∆0 = ∆(ABCD0 )
AD ∼
= AD0 , BD ∼
= BD0 , CD ∼
= CD0
und liegen D und D0 auf derselben Seite der Ebene ε = ε(ABC), dann ist D = D0 und daher
∆ = ∆0 .
Beweis Wegen (SSS) sind die Seitendreiecke von
∆ und ∆0 paarweise kongruent: 4(ABD) ∼
=
0
4(ABD ), . . . usw.
Angenommen, D 6= D0
1) A, B, D, D0 komplanar: Wie im Beweis zu Lemma
1.2.35und Satz 1.2.36 ergibt sich, dass in der Ebene
ε(A, B, D) = ε(A, B, D0 ) die Punkte D und D0 auf
verschiedenen Seiten von g(A, B) liegen müssen. Dann
liegen D und D0 auch auf verschiedenen Seiten der
Ebene ε(A, B, C), im Widerspruch zur Voraussetzung.
2) A, B, D, D0 nicht komplanar: Dann ist 4(ABD) ∼
=
0 X für alle X ∈
4(ABD 0 ) und daher auch DX ∼
D
=
g(A, B). Wir wählen η = ε(D, D0 , C) und {X} =
η ∩ g(A, B). Dann haben wir in η die gleichschenkligen Dreiecke 4(D, D0 , C) und 4(D, D0 , X). Daher ist
in der Ebene η die Gerade g(C, X) Mittelsenkrechte von DD0 und D und D0 liegen auf verschiedenen
Seiten von g(X, C). Damit lägen D und D0 auch auf
verschiedenen Seiten der Ebene ε(A, B, C) im Widerspruch zur Voraussetzung.
Hieraus ergibt sich unmittelbar
Folgerung 3.3.2 Zwei Tetraeder ∆ = ∆(ABCD) und ∆0 = ∆(A0 B 0 C 0 D0 ) sind genau dann
kongruent, wenn die Kanten paarweise kongruent sind.
Durch die Vorgabe kongruenter Tetraeder ist dann auch eine Bewegung ϕ des Raumes Ω
eindeutig bestimmt.
Satz 3.3.3 Seien ∆ = ∆(ABCD) und ∆0 = ∆(A0 B 0 C 0 D0 ) kongruente Tetraeder. Dann gibt
es genau eine Bewegung ϕ : Ω −→ Ω mit ϕ(∆) = ∆0
3
ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP
77
Beweis Sei X ∈ Ω ein beliebiger Punkt. Dann ist nach Lemma 3.3.1 die Lage von X im Raum
durch die ”Abstände” XA, XB, XC, XD eindeutig bestimmt (etwa durch das Tetraeder
∆(ABCX), das auf einer der Seiten von ε = ε(ABC) liegt, XD zeichnet die Seite aus). Dann
gibt es genau einen Punkt X 0 mit XA ∼
= X 0 A0 , XB ∼
= X 0 B 0 , XC ∼
= X 0 C 0 , XD ∼
= X 0 D0 . Wir
setzen ϕ(X) := X 0 , qed.
Wir stellen entsprechend wie für die Ebene die verschiedenen Arten von Bewegungen des
Raumes zusammen:
Verschiebung (Translation), Spiegelung, Drehung
Spiegelung an Ebene, Gerade, Punkt, Drehung um eine Gerade
Kombinationen: Schraubung, Gleitspiegelung, Drehspiegelung
Die betrachtete Abbildung werde stets als Bewegung des Raumes vorausgesetzt. Dann haben
wir:
a) Spiegelung ϕε an der Ebene ε = ε(ABC):
∀ P ∈ ε ist ϕε (P ) = P und ∀ P ∈
/ ε ist ϕε (P ) 6= P .
Wegen Lemma 3.3.1 liegen ∀ P ∈
/ ε die Punkte P und
ϕε (P ) auf verschiedenen Seiten der Ebene ε. Die Gerade
g(P, ϕε (P )) durchstößt die Ebene ε etwa im Punkt XP .
Da für alle Y ∈ ε mit Y 6= XP die Kongruenz der Winkel ](P, XP , Y ) ∼
= ](ϕε (P ), XP , Y ) gilt, ist g(P, ϕε (P )) ⊥
ε(ABC) und P XP ∼
= XP ϕε (P ).
b) Drehung um eine Gerade g:
∀ P ∈ g ist ϕg (P ) = P und ∀ P ∈
/ g ist ϕg (P ) 6= P
Da ∀ X ∈ g :
PX ∼
= ϕg (P )X, haben wir
tatsächlich eine Drehung vorliegen.
b1 ) Spiegelung an einer Geraden g = Drehung um g um 180◦
= Spiegelung an zwei zueinander orthogonalen Ebenen mit g als gemeinsamer
Geraden.
b2 ) Spiegelung an einem Punkt P
= Spiegelung an einer Ebene η + Drehung um eine Gerade h ⊥ η um 180◦ ,
P ∈ η (ansonsten η und h beliebig)
= Spiegelung an drei zueinander orthogonalen
Ebenen mit P als gemeinsamem Punkt.
c) Schraubung: Translation entlang einer Geraden g + Drehung um g
d) Drehspiegelung: Spiegelung an einer Ebene η + Drehung um eine Gerade g ⊥ η
3
ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP
78
Insgesamt erhalten wir folgendes Schema:
Bewegung in Ω
H
H
HH
H
HH
H
Verschiebung
Drehung
P
PP
P
P
PP
PP
P
PPP
PP
PP
P
P
PP
PP
P
Schraubung
Spiegelung
Gleitspiegelung
Drehspiegelung
Satz 3.3.4 Jede Bewegung des Raumes Ω lässt sich als Produkt von 3 oder 4 Ebenenspiegelungen darstellen:
a) 3 Spiegelungen: ungleichsinnige Bewegung (∆ und ∆0 entgegengesetzt orientiert)
b) 4 Spiegelungen (oder 2 bzw 0 - Identität): gleichsinnige Bewegung (∆ und ∆0 gleich
orientiert).
Beweis Sei ϕ eindeutig bestimmt durch die Tetraeder ∆ = ∆(ABCD) und ∆0 = ∆(A0 B 0 C 0 D0 )
mit ϕ(∆) = ∆0 .
1. Spiegelung: A 6= A0 ⇒ ε1 ⊥ g(A, A0 ) und derart, dass ε1 die Strecke AA0 halbiert
⇒ ϕε1 (A) = A0 , ϕε1 (B) = B1 , ϕε1 (C) = C1 , ϕε1 (D) = D1
2. Spiegelung: B1 6= B 0 ⇒ ε2 ⊥ g(B1 , B 0 ) und derart, dass ε2 die Strecke B1 B 0 halbiert
(⇒ A0 ∈ ε2 )
⇒ ϕε2 (A0 ) = A0 , ϕε2 (B1 ) = B 0 , ϕε2 (C1 ) = C2 , ϕε2 (D1 ) = D2
3. Spiegelung: C2 6= C 0 ⇒ ε3 ⊥ g(C2 , C 0 ) und derart, dass ε3 die Strecke C2 C 0 halbiert
(⇒ A0 , B 0 ∈ ε3 )
⇒ ϕε3 (A0 ) = A0 , ϕε3 (B 0 ) = B 0 , ϕε3 (C2 ) = C 0 , ϕε3 (D2 ) = D3
4. Spiegelung: D3 6= D0 ⇒ ε4 ⊥ g(D3 , D0 ) und derart, dass ε4 die Strecke D3 D0 halbiert
(⇒ A0 , B 0 , C 0 ∈ ε4 )
⇒ ϕε4 (A0 ) = A0 , ϕε4 (B 0 ) = B 0 , ϕε4 (C 0 ) = C 0 , ϕε4 (D3 ) = D0
wegen Lemma 3.3.1.
Jede Spiegelung ändert die Orientierung. Sind ∆ und ∆ entgegengesetzt orientiert, erreicht
man ∆0 spätestens nach 3 Spiegelungen, im anderen Fall nach 4 Spiegelungen, qed.
3
ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP
3.4
79
Projektionen und Projektivitäten
Eine häufige und in vielen Anwendungen auftretende Art von Abbildungen sind Projektionen.
Wir unterscheiden im wesentlichen 2 Arten:
1) Parallelprojektionen (etwa wenn Sonnenstrahlen Schatten eines Körpers auf eine Fläche
werfen)
2) Zentralprojektionen (Schatten eines Körpers bei punktförmiger Lichtquelle)
Für die mathematische Behandlung von Projektionen gehen wir von Abbildungen einer Ebene
E ⊂ Ω auf eine Ebene E 0 ⊂ Ω des (3-dimensionalen) euklidischen Raumes Ω aus.
Wir nennen die Menge aller Geraden einer Ebene E oder des Raumes Ω, die durch einen
festen Punkt S gehen, ein Geradenbüschel π(S). Alle Geraden eines Büschels sind zueinander
konkurrent.
Definition 3.4.1 (Projektionen) Gegeben seien zwei Ebenen E, E 0 ⊂ Ω.
a) E und E 0 werden durch eine Schar paralleler Geraden geschnitten; eine beliebige Gerade g schneide E
im Punkt X und E 0 im Punkt X 0 . Die Abbildung
ϕa : Ω −→ Ω definieren wir durch ϕa (X) := X 0 .
ϕa heißt Parallelprojektion des Raumes Ω. Die
Richtung der Geradenschar heißt die Projektionsrichtung.
b) Sei S ∈ Ω ein fester Punkt, S ∈
/ E, E 0 und G das
Geradenbüschel durch S. Schneidet eine beliebige
Gerade g die Ebene E im Punkt X und E 0 im Punkt
X 0 , dann sei ϕp : Ω −→ Ω die durch ϕp (X) := X 0
definierte Abbildung.
ϕp heißt Zentralprojektion des Raumes Ω und S das
Projektionszentrum.
Ausgeartete Projektionen (Geraden parallel zu einer der beiden Ebenen bzw. S ∈ E oder
S ∈ E 0 ) sollen stets vermieden werden. Wir nennen nicht-ausgeartete Projektionen auch
eigentliche“ Projektionen.
”
Wir werden sehen, dass bei Zentralprojektionen nicht jeder Punkt P ∈ E einen Bildpunkt
P 0 ∈ E 0 und nicht jeder Punkt Q0 ∈ E 0 einen Urbildpunkt Q ∈ E besitzt, wenn E und E 0
f0 ⊂ Ω
e E
nicht parallel sind. Diese Punkte nehmen wir aus E und E 0 heraus und erhalten E,
f0 .
e =E
mit ϕp (E)
f0 = E 0 bei Parallelprojektionen oder falls EkE 0 .)
e = E, E
(E
f0 . Dann ist ϕ
e auf E
Satz 3.4.2 Sei ϕ eine eigentliche Parallel- oder Zentralprojektion von E
eine 1-1-Abbildung, die Geraden auf Geraden abbildet.
3
ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP
80
Beweis Projektionsstrahlen durch eine Gerade g ⊂ E liegen in einer Ebene E0 . Das Bild
dieser Geraden g in E 0 ist der Schnitt von E0 und E 0 , also wieder eine Gerade.
Die Eineindeutigkeit folgt aus der Parallelität der Projektionsstrahlen bzw. dem (einzigen)
gemeinsamem Punkt im Projektionszentrum, qed.
Der wesentliche Unterschied beider Projektionsarten liegt darin, dass die Parallelprojektion
eine affine Abbildung ist, während die Zentralprojektion mit E ∦ E 0 nicht affin ist. Hierzu
Satz 3.4.3
a) Jede eigentliche Parallelprojektion ist eine nicht-entartete affine Abbildung.
b) Eine Zentralprojektion mit E ∦ E 0 ist nicht affin.
Beweis Wir müssen zeigen, dass im Fall a) das Teilverhältnis invariant ist, und im Fall b)
sich das Teilverhältnis ändert.
a) Die Invarianz des Teilverhältnisses
folgt aus dem Strahlensatz.
b) Sei ϕp (g) = g 0 . Der neben stehenden
Skizze entnimmt man
T V (A, B; C) = T V (A00 , B 00 ; C 00 ) 6=
T V (A0 , B 0 ; C 0 )
Satz 3.4.4 Jede nicht-entartete Affinität ϕ zwischen zwei Ebenen E, E 0 ⊂ Ω lässt sich durch
endlich viele Parallelprojektionen darstellen:
E 6= E 0 , dann sind 3 Projektionen ausreichend;
E = E 0 , dann sind 4 Projektionen ausreichend.
Beweis Sei E 6= E 0 . Wir geben 3 Projektionen ϕ1 , ϕ2 , ϕ3 an, so dass die Hintereinander−1
−1
ausführung ϕ3 ◦ ϕ2 ◦ ϕ1 ◦ ϕ = ι die Identität ist. Dann ist ϕ = ϕ−1
1 ◦ ϕ 2 ◦ ϕ3 .
Seien P1 , P2 , P3 ∈ E nicht kollinear und P10 , P20 , P30 ∈ E 0 die Bildpunkte unter ϕ : E −→ E 0
derart, dass P10 , P20 , P30 ∈
/ E.
E 00 - Ebene mit: P1 ∈ E 00 , P2 , P10 ∈
/ E 00
−−−→
ϕ1 - Projektion von E 0 auf E 00 , Projektionsrichtung P1 P10 .
Dann ist
ϕ1 (Pi0 ) = Pi00 (i = 1, 2, 3),
ϕ1 (P10 ) = P100 = P1
E 000 - Ebene mit: P1 , P2 ∈ E 000 , P200 , P3 ∈
/ E 000
3
ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP
81
−−−→
ϕ2 - Projektion von E 00 auf E 000 , Projektionsrichtung P200 P2 .
Dann ist
ϕ2 (Pi00 ) = Pi000 (i = 1, 2, 3),
P1000 = P100 = P1 ,
P2000 = ϕ(P200 ) = P2
−−−→
ϕ3 - Projektion von E 000 auf E, Projektionsrichtung P3000 P3 .
Dann ist
ϕ2 (Pi00 ) = Pi000 (i = 1, 2, 3),
P1000 = P100 = P1 ,
P2000 = ϕ(P200 ) = P2
Zusammenfassend erhält man aus ψ := ϕ3 ◦ ϕ2 ◦ ϕ1 ◦ ϕ die Zuordnung
P1 −→ P10 −→ P100 = P1 −→ P1000 = P1 −→ P1
P2 −→ P20 −→ P200
−→ P2000 = P2 −→ P2
P3 −→ P30 −→ P300
−→ P3000
−→ P3
und damit ist ψ wegen Satz 3.2.8 die Identität, qed.
Um Eigenschaften der Zentralprojektionen zu untersuchen, betrachten wir zunächst Zentralprojektionen in der Ebene, die wir Perspektiven nennen.
Definition 3.4.5 Sei π(S) ein Geradenbüschel und g, h zwei Geraden mit S ∈
/ g, h.
Dann schneidet jede Gerade des Büschels die Geraden
g und h in höchstens einem Punkt 6= S. Sei s eine
solche Gerade mit s ∩ g = X und s ∩ h = X 0 . Die
Abbildung
ψ : X 7→ X 0 =: ψ(X)
S
h bezeichheißt Perspektive von S aus und soll mit g ∧
net werden. g und h heißen zueinander perspektiv.
Die Hintereinanderausführung endlich vieler Perspektiven bzw. Zentralprojektionen heißt eine Projektivität.
Lemma 3.4.6 Zwischen 2 Geraden g und g 0 in Ω gibt es stets eine Projektivität ϕ, die 3
beliebig vorgegebene, paarweise verschiedene Punkte A, B, C ∈ g drei beliebig vorgegebenen
und paarweise verschiedenen Punkten A0 , B 0 , C 0 ∈ g 0 zuordnet.
3
ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP
82
Beweis Sei g 00 die Gerade durch A0 und C, ϕ0
S 00
die Perspektive g ∧
g und B 00 := ϕ0 (B). Dann
liegen S, g und g 00 in einer Ebene und B 00 ∈
/ g0.
Sei S 0 der Schnittpunkt der Geraden hB durch
B 0 und B 00 sowie hC durch C 0 und C 00 . (Da sich
g 0 und g 00 schneiden, liegen hB , hc , g 0 , g 00 in einer Ebene, jedoch können hB und hC parallel
sein. S 0 liegt dann im Unendlichen und aus der
Perspektive wird eine Parallelprojektion!)
S 00
g
Die Zusammensetzung der Projektionen g 0 ∧
0
S
00
0
und g ∧ g ist die gesuchte Projektivität, qed.
Mit dieser Konstruktionsvorschrift ist auch für
jeden Punkt X ∈ g mit obiger Vorgabe der
Punkte A, B, C ∈ g und A0 , B 0 , C 0 ∈ g 0 das
Bild X 0 ∈ g 0 eindeutig bestimmt, sofern X 0 existiert. Offen bleibt aber zunächst, ob mit einer
anderen Konstruktionsvorschrift nicht auch eine
andere Abbildung ϕ∗ möglich ist. Mit Hilfe des
Doppelverhältnis kann man zeigen (siehe Lemma 3.5.3 und Satz 3.5.4), dass dieses nicht der
Fall ist.
Wir untersuchen abschließend, welche Ausnahmepunkte bei Zentralprojektionen bzw. Perspektiven zu beachten sind.
Werden zwei Punktreihen g und g 0 durch eine
Perspektive ϕ einander zugeordnet und schneiden sich g und g 0 in Q : g ∩ g 0 = Q, dann ist
Q = Q0 .
Sei g ∗ k g und S ∈ g ∗ . Ist F 0 = g 0 ∩ g ∗ , dann hat
F 0 kein Urbild.
Entsprechend sei g 0∗ k g 0 und S ∈ g 0∗ und V =
g ∩ g 0∗ . Dann hat V keinen Bildpunkt.
Definition 3.4.7 Wir nennen F 0 den Fluchtpunkt von ϕ und V den Verschwindungspunkt
von ϕ.
3
ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP
83
Durch die Einführung von uneigentlichen Punkten kann man diese Einschränkung tatsächlich
aus der Welt schaffen:
F
=
b ϕ−1 (F ) =
b Richtung aller zu g parallelen Geraden
=
b 1 - dimensionaler Vektorraum von g
Entsprechend wäre
V0 =
b ϕ−1 (V ) =
b Richtung aller zu g 0 parallelen Geraden
=
b 1 - dimensionaler Vektorraum von g 0
3
ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP
3.5
84
Doppelverhältnis und Schnittpunktsätze (Desargues, Pascal)
Wir haben gesehen, dass das Teilverhältnis bei Zentralprojektionen und daher bei Projektivitäten keine Invariante ist. An seine Stelle tritt das Doppelverhältnis.
Definition 3.5.1 Seien A, B, P, Q ∈ Ω vier paarweise verschiedene kollineare Punkte. Dann
heißt der Quotient der Teilverhältnisse T V (A, B; P ) und T V (A, B; Q) (siehe Definition
3.2.2) das Doppelverhältnis der vier Punkte A, B; P, Q:
Dv(A, B; P, Q) :=
T V (A, B; P )
m(AP ) m(AQ)
=
:
T V (A, B; Q)
m(BP ) m(BQ)
Im Poincaré-Modell der hyperbolischen Geometrie benötigen wir das Doppelverhältnis für 4
beliebige, paarweise verschiedene Punkte der Ebene, die nicht notwendig kollinear sind. Dann
definieren wir
Dv ∗ (A, B; P, Q) :=
AP BQ
AP BP
:
=
·
>0
AQ BQ
AQ BP
und verzichten auf ein Vorzeichen. Es wird dann für 4 kollineare Punkte
Dv ∗ (A, B; P, Q) = |Dv(A, B; P, Q)|.
Bemerkung 3.5.2 Für P = A oder Q = B können wir auch Dv(A, B; P, Q) = 0 bzw.
Dv ∗ (A, B; P, Q) = 0 definieren.
Lemma 3.5.3 Sind auf einer Geraden g drei (paarweise verschiedene) Punkte A, B, C ∈ g
und eine reelle Zahl λ ∈ R gegeben, dann gibt es genau einen Punkt X ∈ g mit
Dv(A, B; C, X) = λ.
Beweis Falls λ = 0, setzen wir X := B. Ist λ 6= 0, sei X gemäß
Lemma 3.2.3 der eindeutig bestimmte Punkt auf g mit
T V (A, B; X) =
T V (A, B; C)
.
λ
Dann ist nach Definition 3.5.1 X ∈ g auch der eindeutig bestimmte
Punkt mit Dv(A, B; C, X) = λ, qed.
Satz 3.5.4 Das Doppelverhältnis von 4 kollinearen
Punkten bleibt bei einer Perspektive invariant, d.h.
ist g die Urbildgerade mit den (eigentlichen) Punkten
A, B, C, D ∈ g und g 0 die Bildgerade mit den (eigentlichen) Bildpunkten A0 , B 0 , C 0 , D0 ∈ g 0 , dann ist
Dv(A, B; C, D) = Dv(A0 , B 0 ; C 0 , D0 ).
3
ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP
85
Beweis Ist g parallel zu g 0 , dann ergibt sich
die Gleichheit der Doppelverhältnisse aus dem
Strahlensatz. Insbesondere sind bereits die entsprechenden Teilverhältnisse gleich.
Sei g ∦ g 0 und etwa Z = g ∩ g 0 der Schnittpunkt
der beiden Geraden. Wir wählen X ∈ g derart,
dass die Gerade g ∗ durch S und X orthogonal
zu g ist. Für einen beliebigen Punkt P ∈ g sei
dann mP := m(XP ). Ist P 0 ∈ g 0 der Bildpunkt
von P und P ∗ der Lotfußpunkt von P 0 auf g ∗ ,
dann sei xP 0 := m(SP ∗ ).
Auf die Situation im Satz übertragen, erhalten wir folgendes Bild:
Aus dem Strahlensatz folgert man
Dv(A0 , B 0 ; C 0 , D0 ) =
m(A0 C 0 ) m(A0 D0 )
xC 0 − xA0 xD0 − xA0
:
=
:
0
0
0
0
m(B C ) m(B D )
xC 0 − xB 0 xD0 − xB 0
(3.A)
und
Dv(A, B; C, D) =
m(AC) m(AD)
mC − mA mD − mA
:
=
:
.
m(BC) m(BD)
mC − mB mD − mB
(3.B)
3
ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP
86
Sei c = m(SX0 ), a = m(XZ), mP 0 = m(P ∗ P 0 )
und etwa b = m(SX) = 1. Dann berechnen wir
für Punkte P und P 0 :
xP 0
mP 0
=
mP
1
und
mP 0
xP 0 − c
=
,
a
1−c
also
mP 0 = mP · xP 0 =
a xP 0 − c
1−c
und hieraus
xP 0 =
ac
=
a − (1 − c)mP
1−
c
1−c
a
mP
=
c
.
1 − c∗ mP
Setzen wir dieses für P = A, B, C, D in (3.A) ein, erhalten wir
Dv(A0 , B 0 ; C 0 , D0 ) =
xC 0 − xA0 xD0 − xA0
:
xC 0 − xB 0 xD0 − xB 0
=
c
1−c∗ mC
c
1−c∗ mC
=
mC − mA mD − mA
:
= Dv(A, B; C, D),
mC − mB mD − mB
−
−
c
1−c∗ mA
c
1−c∗ mB
:
c
1−c∗ mD
c
1−c∗ mD
−
−
c
1−c∗ mA
c
1−c∗ mB
qed.
Folgerung und Definition 3.5.5 Nach Satz 3.5.4
ist das Doppelverhältnis von 4 Punkten A, B, C, D,
die durch 4 Strahlen a, b, c, d aus einer Geraden herausgeschnitten werden, eine Invariante dieser Strahlen. Wir nennen diese Invariante das Doppelverhältnis
dieser 4 Strahlen:
Dv(a, b; c, d) := Dv(A, B; C, D)
Satz 3.5.6 (Fundamentalsatz) Eine Projektivität ist eindeutig festgelegt, wenn von drei
paarweise verschiedenen kollinearen Punkten A, B, C ∈ g die Bilder A0 , B 0 , C 0 ∈ g 0 (die
auch wieder paarweise verschieden und kollinear sind) gegeben sind.
Beweis Ist A, B, C ∈ g gegeben und X ∈ g beliebig, dann ist X 0 ∈ g 0 durch A0 , B 0 , C 0 ∈ g 0
und Dv(A0 , B 0 ; C 0 , X 0 ) = Dv(A, B; C, X) eindeutig festgelegt, qed.
3
ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP
87
Folgerung 3.5.7 Entspricht bei einer Projektivität
der Schnittpunkt einander zugeordneter Geraden g
und g 0 sich selbst, dann sind g und g 0 perspektiv.
Beweis Sei S der Schnittpunkt der Geraden durch B
und B 0 bzw. C und C 0 und etwa A = A0 . Dann wird
S 0
g gegeben, qed.
die Projektivität durch g ∧
S 0
Perspektiven g ∧
g , bei denen die Punkte A, B, C ∈ g den Punkten A0 , B 0 , C 0 ∈ g 0 zugeordS
S
net werden, bezeichnen wir auch mit ABC ∧
A0 B 0 C 0 oder entsprechend ABCD ∧
A0 B 0 C 0 D 0 .
Nach diesen Vorbereitungen können wir nun den wichtigen Satz von Desargues beweisen.
Satz 3.5.8 (Desargues) Gehen die Verbindungslinien a, b, c entsprechender Eckpunkte zweier Dreiecke 4(ABC) und 4(A0 B 0 C 0 ) durch einen Punkt S, so liegen die Schnittpunkte entsprechender Seiten auf einer Geraden.
Beweis Seien U, V, W die
Schnittpunkte entsprechender
Seiten und h die Gerade durch
U und V .
Behauptung: W ∈ h.
Wir haben die Perspektiven:
SAA00 A0
V
∧
SCC 00 C 0
mit dem Projektionszentrum
V und
SCC 00 C 0
U
∧
SBB 00 B 0 ,
mit dem Projektionszentrum
U.
Zusammengesetzt ergibt sich eine Projektivität, die die Gerade a der Geraden b zuordnet
und die Punkte A −→ B, A0 −→ B 0 , A00 −→ B 00 , S −→ S, also den Schnittpunkt S
sich selbst zuordnet. Nach Folgerung 3.5.7 ist dieses eine Perspektivität mit W als Zentrum:
00 0
00
00
AA00 A0 W
∧ BB B . Da A , B ∈ h, muss auch W ∈ h sein, qed.
Einer der wichtigsten Schnittpunktsätze, auf den auch die Begründung der projektiven Geometrie zurückgeführt werden kann, ist der Satz von Pascal (Blaise Pascal 1623 - 1662)
bzw. sein Vorgänger, der Satz von Pappus oder auch Pappos (Pappus von Alexandria, etwa
290 - 350).
Satz 3.5.9 (Pascal) Ist das Sechseck (123456) einem Kegelschnitt einbeschrieben, so liegen
die Schnittpunkte gegenüberliegender Seiten, also M = (12) ∩ (45), L = (23) ∩ (56) und
N = (34) ∩ (16) auf einer Geraden.
3
ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP
88
Ordnen wir die Punkte in der natürlichen“ Reihenfolge auf dem Kegelschnitt an, etwa auf ei”
ner Ellipse, befinden sich die entsprechenden Schnittpunkte stets außerhalb des Kegelschnitts.
Die Schnittpunkte wandern in den Kegelschnitt, wenn
wir etwa die Punkte 2 und 4 sowie 3 und 6 miteinander vertauschen. Diese Vertauschungen können mittels
projektiver Abbildungen realisiert werden, so dass die
Gültigkeit des Satzes nicht beeinträchtigt wird.
Zum Beweis des Satzes von Pascal mit Methoden der projektiven Abbildungen wären Aussagen über die projektive Erzeugung von Kegelschnitten erforderlich, auf die hier nicht eingegangen werden kann (siehe Keller [19], § 74). Allerdings lässt sich der Spezialfall, dass der
Kegelschnitt in zwei (sich schneidende) Geraden zerfällt, entsprechend einfach und genauso
wie der Satz von Desargues beweisen. Dieses ist der bereits erwähnte Satz von Pappos.
Satz 3.5.10 (Pappos) Liegen die Eckpunkte eines Sechseck (AB 0 CA0 BC 0 ) abwechselnd
auf zwei Geraden, dann sind die Schnittpunkte gegenüberliegender Seiten N = (AB 0 ) ∩
(BA0 ), M = (CA0 ) ∩ (AC 0 ) und L = (BC 0 ) ∩ (CB 0 ) kollinear.
Beweis Wir konstruieren eine Projektivität, die die Gerade (BA0 ) auf
die Gerade (BC 0 ) abbildet, die dann
wegen des Fixpunktes B wieder eine
Perspektive ist.
Wir wählen die Punkte J = (AC 0 ) ∩ (BA0 ) und K = (BC 0 ) ∩ (CA0 ) und erhalten die Perspektiven
A0 N JB
A
∧
A0 B 0 C 0 S
C
∧
KLC 0 B.
Dieses ist eine Projektivität, die die Gerade (BA0 ) auf die Gerade (BC 0 ) abbildet mit B als
Fixpunkt. M ist offenbar das Projektionszentrum und die Punkte N und L werden einander
zugeordnet und liegen daher auf einer Geraden, qed.
3
ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP
89
Dual zum Satz von Pascal haben wir den Satz von Brianchon (Charles Brianchon 1785
- 1864)
Satz 3.5.11 (Brianchon) Seien P1 , . . . , P6 paarweise verschiedene Punkte eines Kegelschnitts k und
t1 , . . . , t6 jeweils die Tangenten in P1 , . . . , P6 an k.
Sei Qi = ti ∩ ti+1 (i = 1, . . . , 6, t7 = t1 ). Dann
schneiden sich die Verbindungsgeraden gegenüberliegender Schnittpunkte Qi in einem Punkt S:
S = g(Q1 , Q4 ) ∩ g(Q2 , Q5 ) ∩ g(Q3 , Q6 ).
Das Äquivalent zum Satz von Pappos ergibt sich zu
Satz 3.5.12 (Brianchon) Gehen die Seiten eines
Sechsecks abwechselnd durch zwei feste Punkte S1 und
S2 , so gehen die Verbindungslinien gegenüberliegender
Ecken durch einen Punkts S.
3
ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP
3.6
90
Zentralkollineationen und projektive Ebene
Wir wollen projektive Abbildungen der Ebene auf sich erklären, wobei gegebenenfalls immer einige Punkte (Fluchtpunkte, Verschwindungspunkte) heraus fallen. Sind E, E ⊂ Ω
verschiedene Ebenen, die sich in einer Geraden a schneiden, dann sei ϕ1 : E −→ E eine
Zentralprojektion von E auf E mit einem Zentrum S1 ∈
/ E und ϕ2 : E −→ E mit Zentrum
S2 ∈
/ E. ϕ = ϕ2 ◦ ϕ1 ist dann eine Abbildung von E in sich. Offenbar ist
ϕ1 (a) = ϕ2 (a) = ϕ(a) = a.
s = g(S1 , S2 ) sei die Gerade durch S1 und S2 und S = s ∩ E, S = s ∩ E die Schnittpunkte
von s mit E und E. Dann ist ϕ(S) = S.
Ist nun gS ⊂ E eine beliebige Gerade durch S, dann liegen s und gS in einer Ebene EgS . Ist
g S = E ∩ EgS , dann gilt offenbar
ϕ1 (gS ) = g S
und ϕ2 (g S ) = gS ,
also
ϕ(gS ) = gS .
Lemma 3.6.1 Ist A ∈ E, A 6= S, dann gilt A0 = ϕ(A) ∈ g(A, S), d.h. Punkt und Bildpunkt
liegen auf einer Geraden durch S.
Definition 3.6.2 Die oben erklärte Abbildung ϕ einer Ebene in sich heißt zentrale Kollineation oder auch Zentralkollineation, S das Zentrum und a die Achse.
Haben wir für eine zentrale Kollineation ϕ mit
Zentrum S und Achse a und von einem Punkt
A seinen Bildpunkt A0 gegeben, konstruieren wir
für einen beliebigen Punkt B ∈ E, B ∈
/ g(A, A0 )
den Bildpunkt B 0 wie folgt:
Sei F = g(A, B) ∩ a, dann ist
B 0 = g(S, B) ∩ g(A0 , F ).
ϕ ist durch Vorgabe von a, S und dem Punktepaar (A, A0 ) eindeutig bestimmt.
Wir zeigen noch, dass das Doppelverhältnis eine Invariante für ϕ in folgendem Sinn ist:
Satz 3.6.3 Sei ϕ durch a, S, (A, A0 ) wie oben
gegeben und A1 = a ∩ g(A, A0 ). Dann ist
µ := Dv(A, A0 ; S, A1 ) von der Wahl von A unabhängig, d.h. ist B ∈ E ein weiterer Punkt,
B 0 = ϕ(B) und B1 = a ∩ g(B, B 0 ), dann ist
Dv(B, B 0 ; S, B1 ) = Dv(A, A0 ; S, A1 ) = µ.
Beweis Die Aussage folgt aus Satz 3.5.4 gemäß
nebenstehender Skizze, qed.
Bei der Behandlung von Flucht- und Verschwindungspunkten (siehe Definition 3.4.7) wurde bereits die Einführung uneigentlicher Punkte erwähnt als Geradenrichtung oder auch
3
ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP
91
1-dimensionaler Vektorraum. Damit hätten parallele Geraden, die nicht gleich sind, ebenfalls
genau einen gemeinsamen Punkt, und zwar die Richtung als gemeinsamen uneigentlichen
Punkt. Erweitern wir die affine Ebene um die Menge der uneigentlichen Punkte, erhalten wir
die projektive Ebene“, in der je zwei verschiedene Geraden genau einen Punkt gemeinsam
”
haben. Insbesondere gibt es keine Parallelität und die Aussagen zu projektiven Abbildungen
gelten uneingeschränkt. An die Stelle der affinen Abbildung tritt die Projektivität mit dem
Doppelverhältnis als Invariante.
Axiomatisch haben wir für eine projektive Geometrie folgenden Aufbau:
Definition 3.6.4 Eine nichtleere Menge P, deren Elemente Punkte heißen (Bezeichnung
A, B, C, . . .) und gewisse Teilmengen von P, die Geraden heißen, ist eine projektive Ebene,
wenn folgende Axiome der Inzidenz erfüllt sind:
(P1) Je zwei verschiedene Punkte liegen auf genau einer Geraden.
(P2) Je zwei Geraden treffen sich in mindestens einem Punkt.
(P3) Jede Gerade enthält mindestens drei Punkte.
(P4) es gibt mindestens drei nicht-kollineare Punkte.
Entsprechend wie Satz 1.2.26 ergibt sich nun für eine projektive Ebene
Satz 3.6.5
a) Es gibt mindestens 4 Punkte, von denen keine 3 kollinear sind.
b) Es gibt mindestens 4 Geraden, von denen sich keine 3 in einem Punkt schneiden (d.h.
konkurrent sind).
Für weiteres Interesse an der projektiven Geometrie sei auf die umfangreiche Lehrbuchliteratur verwiesen.
4
NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN
4
92
Nicht-euklidische Geometrien:
Die Unabhängigkeit des Parallelenaxioms
4.1
Neutrale Geometrie
Die neutrale Geometrie geht maßgeblich auf die ungarischen Mathematiker Farkas Bolyai
(1775-1856) und János Bolyai (1802-1860, Sohn von Farkas Bolyai) sowie C.F. Gauß (17771855) zurück.
Definition 4.1.1 Eine Ebene ε mit den Axiomen der Inzidenz, Anordnung und Kongruenz
heißt eine Hilbert-Ebene. Die Geometrie auf der Hilbert-Ebene nennen wir neutrale Geometrie.
Einige wichtige Hilfsresultate für die Entwicklung einer nicht-euklidischen Geometrie sind
die über Saccheri-Vierecke. Saccheri (1667-1733) versuchte, die Unmöglichkeit einer solchen
Geometrie zu beweisen. Allerdings unterlief ihm dabei ein Rechenfehler.
Definition 4.1.2 Sei AB eine Strecke, die
Strecken CA, DB orthogonal darauf und
CA ∼
= DB. Dann heißt (ABCD) ein SaccheriViereck.
Lemma 4.1.3 Wenn (ABCD) ein Saccheri-Viereck ist, dann gilt
a) ](ACD) ∼
= ](BDC);
b) ist CF ∼
= F D und AE ∼
= EB, d.h. E, F jeweils Mittelpunkt der Strecke, dann ist EF
orthogonal zu AB und CD.
Wir nennen α = ](ACD) ∼
= ](BDC) den Saccheri-Winkel.
Beweis Sei h das Lot in E auf AB ⇒ A, C
bzw. B, D liegen auf derselben Seite von h, also
C, D auf verschiedenen Seiten;
sei F ∗ = h ∩ CD
⇒
4(AEF ∗ )
∼
= 4(BEF ∗ ) ⇒ AF ∗ ∼
= BF ∗ , ](EAF ∗ ) ∼
= ](EBF ∗ )
⇒ (Subtraktion) ](F ∗ AC) ∼
= ](F ∗ BD) ⇒ (SWS) 4(ACF ∗ ) ∼
= 4(BDF ∗ )
⇒ {F ∗ ist Mitte, F ∗ = F ⇒ b)} und {](ACF ) ∼
= ](BDF ) ⇒ a)}, qed.
Folgerung 4.1.4 Sei (ABCD) ein Viereck mit rechten Winkeln bei A und B. Dann gilt:
](ACD) > ](BDC) ⇐⇒ AC < BD.
4
NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN
93
Beweis ⇐=“ Sei AC < BD und Zw(BED),
”
so dass AC ∼
= BE
⇒ (ABCE) ist ein Saccheri-Viereck
⇒ ](ACE) ∼
= ](BEC);
](BEC) ist Außenwinkel im Dreieck 4(EDC)
und daher nach Satz 1.2.23
](ACD) > ](ACE) = ](BEC) > ](BDC).
=⇒“ Ist ](ACD) > ](BDC)) und etwa AC ≥ BD, dann sind im Fall der Gleichheit auch
”
die Winkel gleich (Lemma 5.1.11) und im Fall AC > BD würde ](ACD) < ](BDC) aus
⇐=“ folgen, qed.
”
Folgerung 4.1.5 Sei (ABCD) ein Saccheri-Viereck und P ∈ CD, Q der Fußpunkt des
Lotes von P auf AB und α der Winkel bei C und D. Dann gilt:
a) P Q < BD ⇒ α < Rechter (spitz)
b) P Q = BD ⇒ α = Rechter
c) P Q > BD ⇒ α > Rechter (stumpf )
(also überall ⇐⇒“)
”
Beweis a) P Q < BD ⇒ P Q < AC
⇒ (Folgerung 4.1.4) α < β, α < γ
⇒ 2α < β + γ = 2Rechte ⇒ α < Rechter.
b) und c) beweist man genauso, qed.
Entsprechend erhält man für P außerhalb CD:
a) P Q > BD ⇒ α < Rechter (spitz)
b) P Q = BD ⇒ α = Rechter
c) P Q < BD ⇒ α > Rechter (stumpf)
(also ebenfalls überall ⇐⇒“)
”
Satz 4.1.6 (Saccheri) In einer Hilbert-Ebene gilt:
4
NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN
94
a) hat ein Saccheri-Viereck einen spitzen Winkel α, dann haben alle Saccheri-Vierecke
einen spitzen Winkel;
b) hat ein Saccheri-Viereck einen rechten Winkel α, dann haben alle Saccheri-Vierecke
einen rechten Winkel;
c) hat ein Saccheri-Viereck einen stumpfen Winkel α, dann haben alle Saccheri-Vierecke
einen stumpfen Winkel.
Beweis (nur für spitze Winkel):
1. (ABCD) und (A0 B 0 C 0 D0 ) seien 2
Saccheri-Vierecke mit kongruenten Mittellinien
und etwa AB < A0 B 0 . Wir führen eine solche
Bewegung aus, dass beide Mittellinien aufeinander fallen.
Da die Winkel bei F jeweils Rechte sind, liegt CD ebenfalls auf C 0 D0 . α ist spitz ⇒ BD <
B 0 D0 ⇒ (Folgerung 4.1.5 für (ABCD)- außen) α0 spitz; genauso für AB > A0 B 0 .
2. Sei (ABCD) ein Saccheri-Viereck mit spitzem Winkel und (A0 B 0 C 0 D0 ) ein beliebiges
Saccheri-Viereck mit der Mittellinie EG.
−−→
Wir tragen EG auf dem Strahl EB ab und errichten in G das Lot. Dieses schneidet g(C, D)
im Punkt H. Dann spiegeln wir H und F an
der Geraden g(A, B), d.h. wir tragen die Strecke
GH an der anderen Seite von G bzw. E ab,
und erhalten H2 bzw. F2 . Aus der Kongruenz
der Dreiecke 4(EF G) und EF2 G folgt die Kongruenz der Dreiecke 4(GF H) und GF2 H2 , also
FH ∼
= F2 H 2 .
Aus der Kongruenz der Dreiecke 4(EF G) und EF2 G folgt die Kongruenz der Dreiecke
4(GF H) und GF2 H2 , also F H ∼
= F2 H2 . Daher ist (F F2 HH2 ) ein Saccheri-Viereck mit
dem Winkel β = ](F HG) (siehe auch Beweis zu Lemma 5.1.11). Spiegeln wir H und G an
der Geraden g(E, F ), so erhalten wir die Punkte H1 ∈ g(C, D) und G1 ∈ g(A, B) mit dem
gleichen Winkel β, und dieser ist spitz nach Voraussetzung und dem ersten Teil des Beweises,
qed.
Wir untersuchen nun die Auswirkungen von Satz 4.1.6 auf die Winkelsumme im Dreieck.
Lemma 4.1.7 Gegeben sei ein Dreieck 4(ABC). Dann gibt es ein Saccheri-Viereck, so dass
die Winkelsumme des Dreiecks gleich der Summe der beiden Saccheri-Winkel ist.
4
NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN
95
Beweis Sei D die Mitte von AB und E
die Mitte von AC. Wir fällen die Lote von
A, B, C auf g(D, E) und erhalten die Fußpunkte F, G, H. Sei etwa Zw(DGE). Nach (WWS)
ist 4(ADG) ∼
= 4(BDF ) und 4(AEG) ∼
=
4(CEH)
⇒ BF ∼
= AG ∼
= CH
und (F HBC) ist ein Saccheri-Viereck. Die Winkelsumme bei B und C ist offenbar die
Winkelsumme des Dreiecks bei A, B, C.
Genauso verfährt man, wenn etwa Zw(DEG),
wobei man jetzt bei C für das Viereck die Winkeldifferenz statt der Summe hat. Qed.
Hieraus folgt nun der zentrale
Satz 4.1.8 In jeder Hilbert-Ebene gilt:
a) Wenn ein Dreieck mit einer Winkelsumme < 2Rechte existiert, dann ist in jedem
Dreieck die Winkelsumme < 2Rechte.
b) Folgende Bedingungen sind äquivalent:
(i) ∃ Dreieck mit Winkelsumme = 2Rechte;
(ii) ∃ Rechteck;
(iii) in jedem Dreieck ist die Winkelsumme = 2Rechte.
c) Wenn ein Dreieck mit einer Winkelsumme > 2Rechte existiert, dann ist in jedem
Dreieck die Winkelsumme > 2Rechte.
Bemerkung Die Differenz zu 2 Rechten ist nicht konstant sondern höchst unterschiedlich.
Definition 4.1.9 Sei 4 = 4(ABC) ein Dreieck. Dann heißt
δ(ABC) = 2Rechte − (Innenwinkelsumme)
der Defekt von 4.
4 heißt semi-euklidisch :⇐⇒ δ(ABC) = 0;
4 heißt semi-hyperbolisch :⇐⇒ δ(ABC) > 0;
4 heißt semi-elliptisch :⇐⇒ δ(ABC) < 0.
4
NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN
Lemma 4.1.10 Sei 4 =
Dann gilt
4(ABC)
96
und D ∈ AB.
δ(ABC) = δ(ADC) + δ(DBC).
Beweis Nachrechnen (ÜA)!
Wir zeigen nun, dass in einer Hilbert-Ebene, in der zusätzlich das Archimedische Axiom (S1)
gilt (archimedische Hilbert-Ebene), die Winkelsumme im Dreieck nicht größer als 2Rechte
sein kann.
Lemma 4.1.11 Seien α, β Winkel in einer archimedischen Hilbert-Ebene. Dann gibt es ein
n > 0, so dass n · α > β oder n · α ist größer als
2Rechte.
Beweis O.B.d.A. sei β < Rechter (sonst wählen
wir 21 β) und α < β. Sei β = ](BOA) ein Winkel
in einem rechtwinkligen Dreieck (wir fällen das
−→
Lot von B auf OA und bezeichnen dann den
Fußpunkt wieder mit A) und α = ](A1 OA) .
Wir tragen α wiederholt wie im neben stehenden
Bild ab.
Bei zwei aufeinander folgenden Winkeln α haben wir folgende Situation: Sei F derart, dass
OF ∼
= OC. Wegen der Kongruenz der Dreiecke
4(ODC) ∼
= 4(ODF ) ist dann CD ∼
= DF und
δ > γ > ε ⇒ DE > DF also DE > CD.
Damit wird
AA1 < A1 A2 < . . . < Ai Ai+1 < . . .
und ∃ n : n · AA1 > AB
⇒ An A > n · AA1 > AB ⇒ n · α > β, qed.
Satz 4.1.12 In einer archimedischen Hilbert-Ebene ist die Summe der Innenwinkel eines
Dreiecks ≤ 2Rechte.
Beweis Ang., ∃ Dreieck 4 =
= 2Rechte + ε (ε > 0).
4(ABC),
so dass die Winkelsumme > 2Rechte ist, etwa
Wir konstruieren ein Dreieck 4(A0 B 0 C 0 ) mit derselben Winkelsumme, in dem aber der dritte
Winkel < ε, also die Summe der beiden anderen Winkel > 2Rechte sein muss im Widerspruch
zu Folgerung 1.2.25, nach der die Winkelsumme von 2 Winkeln in einem Dreieck < 2Rechte
4
NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN
97
ist.
In neben stehender Skizze ist:
4(EDC) ∼
= 4(ADB)
Winkelsumme in 4(ABC) : α + β + γ + δ
Winkelsumme in 4(AEC) : α + δ + γ + β
und daher gleich.
Offenbar ist α oder β ≤ 12 ·](CAB). Fortsetzung
führt zum gesuchten Dreieck 4(A0 B 0 C 0 ) mit etwa α0 ≤ ( 12 )n · ](CAB) < ε, qed.
Folgerung 4.1.13 In einer archimedischen Hilbert-Ebene ist in jedem Dreieck jeder Außenwinkel größer oder gleich der Summe der nicht anliegenden beiden Innenwinkel.
Beweis γ + δ = 2Rechte
α + β + γ ≤ 2Rechte = γ + δ
⇒ α + β ≤ δ, qed.
Hieraus ergibt sich für die euklidische Geometrie
Satz 4.1.14 In einer archimedischen Hilbert-Ebene gilt: Wenn jedes (ein) Dreieck euklidisch
ist, dann gilt das Parallelenaxiom und umgekehrt.
Beweis =⇒“ Wir zeigen: Ang., ∃ P ∈ ε und eine Gerade g ⊂ ε, so dass durch P mehrere
”
Parallele zu g verlaufen ⇒ @ euklidisches Dreieck
Sei A Lotfußpunkt von P auf g, h⊥AP und h0
−→
eine weitere Parallele, etwa innerhalb ](h, P A)
- rechts und β = ](h, h0 ).
Sei B beliebig auf g, P B ∼
= BC
⇒ (Folgerung 4.1.13) α ≥ 2γ, γ ≤ 21 · α
Fortsetzen, bis etwa F ∈ g mit ](P F A) ≤ ( 12 )n α < β nach Archimedes-Axiom
⇒ Winkel in
4(P F A)
: ](P AF ) = Rechter, ](AP F ) < Rechter − β, ](P F A) < β
⇒ Winkelsumme < (Rechter) + (Rechter − β) + β = 2Rechte.
⇐=“ Sei das Parallelenaxiom erfüllt. Offenbar ist β + δ = 2Rechte.
”
Wir ziehen durch B eine Parallel zu g(A, C) und erhalten eine Unterteilung von δ in α und γ, also δ = α + γ.
Damit ist
α + β + γ = δ + β = 2Rechte,
qed.
4
NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN
4.2
98
Poincaré-Modell der hyperbolischen Geometrie
Als Vorbereitung für die Behandlung des Poincaré-Modells werden einige Aussagen zusammengestellt. Wir betrachten zunächst eine euklidische Ebene εK über einem geordneten
Körper K. Sei etwa K der Körper F , dessen positive Elemente die Streckenelemente (siehe
auch Satz 5.1.5) sind, oder ein Erweiterungskörper von F . Strecken AB sollen der Einfachheit
halber gleichzeitig als (positive) Elemente von F angesehen werden, so dass wir mit ihnen
wie im Körper rechnen dürfen.
Inversion am Kreis
Definition 4.2.1 Γ sei ein Kreis vom Radius r und Mittelpunkt M . A ∈ εK sei ein beliebi−−→
ger Punkt, A 6= M . Sei A0 ∈ M A derart, dass M A · M A0 = r2 (solch ein Punkt A0 existiert
stets!). Wir sagen, A0 entsteht aus A durch eine Inversion ϕΓ am Kreis Γ.
(Anhand neben stehender Skizze ergibt sich sofort aus
der Kreisgeometrie p · c = r2 , die Gerade g(P, Q)
durch A ist Polare zum Pol A0 . Daher sind die Geraden g(A0 , P ) und g(A0 , Q) die Tangenten aus A0 an
Γ und stehen somit jeweils senkrecht zum Radius r.)
Satz 4.2.2 Inversionen ϕΓ am Kreis Γ haben folgende Eigenschaften:
a) Kreise durch M werden in Geraden g mit M ∈
/ g abgebildet und umgekehrt.
b) Ein Kreis γ, der Γ orthogonal schneidet, wird auf sich abgebildet.
c) Enthält ein Kreis γ zwei einander zugeordnete Punkte A und A0 = ϕΓ (A), dann schneiden sich γ und Γ orthogonal.
d) Ist γ ein Kreis und M ∈
/ γ, dann ist γ 0 = ϕΓ (γ) ebenfalls ein Kreis.
e) Winkel bleiben invariant.
Beweis a) Sei A ∈ γ derart, dass M A ein
−−→
Durchmesser von γ ist, und g⊥M A durch A0 .
B ∈ g sei beliebig und B 0 der Schnittpunkt von
M B mit γ. Aus der Ähnlichkeit der Dreiecke
4(M B 0 A) ∼ 4(M A0 B) folgt:
M B0
M A0
=
MA
MB
also
M B · M B 0 = M A · M A0 = r 2
und daher ϕΓ (B) = B 0 und ϕΓ (B 0 ) = B.
4
NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN
99
b) Da sich Γ und γ orthogonal schneiden, stehen die
Tangenten und Radien paarweise aufeinander senkrecht. Nach dem Sehnen-Tangenten-Satz gilt
M A · M A0 = M P 2 = r 2 .
∃ A, A0 ∈ γ mit M A·M A0 = r2 . Daher müssen sich Γ und γ schneiden. Sei P ein Schnittpunkt
von Γ und γ. Dann ist M P = r, also M P 2 = M A · M A0 und M P ist Tangentenabschnitt für
γ, auf dem der Radius von γ orthogonal steht.
d) Sei O außerhalb von γ gelegen. Wir zeichnen von
O aus die Tangente an γ, P sei der Berührpunkt
und Γ0 der Kreis um O durch P mit dem Radius
r0 . Dann ist Γ0 ⊥ γ und ϕΓ0 (γ) = γ. Sei Θ die
Hintereinanderausführung von ϕΓ0 und ϕΓ : Θ =
ϕΓ ◦ ϕΓ0 , also Θ(γ) = ϕΓ (ϕΓ0 (γ)) = ϕΓ (γ).
Behauptung: Θ(γ) ist ein Kreis.
Sei A ∈ γ beliebig, A0 := ϕΓ0 (A), A00 := ϕΓ (A0 ), dann ist Θ(A) = A00 . Dann gilt OA · OA0 =
r02 , OA0 · OA00 = r2 und daher
OA · OA0
OA
r02
=
=
,
OA0 · OA00
OA00
r2
also
OA00 = k · OA mit
k=
r2
.
r02
Dieses ist eine Zentralstreckung und daher Θ(γ) ein Kreis.
Sei O innerhalb von γ gelegen und A, A0 , A00 sowie B, B 0 B 00 wie in beiliegender Skizze. Die Winkel
bei A und B sind Peripheriewinkel über der Sehne A00 B 00 und daher gleich und folglich die Dreiecke 4(OAB 00 ) und 4(OBA00 ) ähnlich. Daher ist
OA · OA0 = r2 = OB · OB 0 und
OA0
OA · OA0
r2
OB · OB 0
OB 0
=
=
=
=
.
OA00
OA · OA00
c
OB · OB 00
OB 00
Dieses ist eine Zentralstreckung und daher Θ(γ) ein Kreis. Hieraus ergibt sich wegen
OA0 = k · OA00 ,
OB 0 = k · OB 00
4
NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN
100
ebenfalls eine Zentralstreckung und daher ist ϕΓ (γ) = γ 0 ein Kreis.
e) Übungsaufgabe
QED.
Doppelverhältnis
Definition 4.2.3 Seien A, B, P, Q ∈ εK vier paarweise verschiedene Punkte. Dann heißt
Dv(A, B; P, Q) :=
AP BP
AP BQ
:
=
·
AQ BQ
AQ BP
das Doppelverhältnis der vier Punkte A, B; P, Q.
Für vier kollineare Punkte A, B, P, Q ist
Dv(A, B; P, Q) :=
T V (A, B; P )
T V (A, B; Q)
der Quotient der Teilverhältnisse (siehe Definition 3.2.2).
Die für uns wichtigste Aussage ist, dass das Doppelverhältnis bei Inversionen an einem Kreis
eine Invariante ist.
Satz 4.2.4 Seien A, B, P, Q ∈ εK vier voneinander und von M verschiedene Punkte, ϕΓ
eine Inversion am Kreis Γ und A0 = ϕΓ (A), B 0 = ϕΓ (B), P 0 = ϕΓ (P ), Q0 = ϕΓ (Q). Dann
ist
Dv(A, B; P, Q) = Dv(A0 , B 0 ; P 0 , Q0 ).
Beweis Für zwei beliebige Punkte A, P gilt M A · M A0 = r2 = M P · M P 0 , also
MA
MP0
=
.
MP
M A0
(4.A)
Wir benötigen allerdings nicht die Längenverhältnisse bzgl. M sondern der Punkte untereinander.
Fall 1: M, A, P sind nicht kollinear. Nach (4.A) sind
4(M AP ) und 4(M 0 P 0 A0 ) ähnlich
⇒
MA
AP
= 0 0.
0
MP
AP
Fall 2: M, A, P sind kollinear ⇒ AP = M P − M A, A0 P 0 = M A0 − M P 0 . In einem Körper
gilt
a
c
a
c−a
=
⇒ ad − bc = (ad − ab) − (bc − ab) = 0 ⇒
=
.
b
d
b
d−b
4
NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN
⇒
101
MA
MP − MA
AP
=
= 0 0
0
0
0
MP
MA − MP
AP
AQ
wie oben. Entsprechend erhält man für Q : M A0 = 0 0
MQ
AQ
⇒
AP
AQ
M Q0
BP
BQ
:
=
= 0 0 : 0 0,
0
0
0
0
0
AP AQ
MP
BP BQ
also die Gleichheit der Doppelverhältnisse, qed.
Poincaré-Modell Π
Ebene Π:
Π-Gerade g:
Inneres eines Kreises Γ in der
euklidischen Ebene
Sei γ Kreis oder eine Gerade, die Γ
orthogonal schneiden. Dann ist g der
Teil von γ, der im Innern von Γ liegt
(γ-Gerade ⇔ M ∈ γ).
Satz 4.2.5 Π genügt den Inzidenz-Axiomen (I1), (I2), (I3).
Beweis (I1) Seien A, B ∈ Π
1. M, A, B kollinear ⇒ Π-Gerade ist der Durchmesser durch A und B.
2. M, A, B nicht kollinear, A0 = ϕΓ (A) ⇒ ∃ genau einen Kreis γ durch A, B, A0 , γ ist
orthogonal zu Γ nach Satz 4.2.2, c); ebenfalls B 0 ∈ γ nach Satz 4.2.2 (b).
(I2), (I3) sind trivial (Übung).
Satz 4.2.6 Das Parallelenaxiom gilt nicht in Π.
Beweis Wir wählen eine Π-Gerade g und einen
Punkt A ∈ Π, A ∈
/ g. Ist A0 = ϕΓ (A), dann
betrachten wir das Kreisbüschel durch A und
A0 . Diesem entspricht in Π ein Geradenbündel
durch A, von denen offenbar unendlich viele die
Gerade g nicht schneiden, also parallel zu g sind,
qed.
Wir zeigen nun, dass die Axiome der Anordnung, Kongruenz und Stetigkeit ebenfalls in Π
erfüllt sind.
4
NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN
102
Definition 4.2.7 (Anordnung): Seien A, B, C ∈ Π
kollinear. Liegen A, B, C auf einem Durchmesser, also
einer euklidischen Geraden, dann sei Zw(ABC) wie
bisher erklärt. Liegen A, B, C auf einem Kreis γ mit
Mittelpunkt M 0 , dann ziehen wir von M 0 die Strahlen
zu A, B, C, diese treffen die Verbindungsstrecke der
beiden Schnittpunkte von γ und Γ in A0 , B 0 , C 0 .
Wir definieren Zw(ABC) ⇔ Zw(A0 B 0 C 0 ) im euklidischen Sinn.
Satz 4.2.8 Π erfüllt die Axiome (A1) - (A4).
Beweis (A1) - (A3) sind trivial.
(A4 - Axiom von Pasch): Gegeben sei das Dreieck
4(ABC) ⊂ Π. Je 2 Geraden (Kreise) schneiden sich innerhalb Γ in genau 1 Punkt X (der 2. Schnittpunkt X 0 = ϕΓ (X)
liegt außerhalb von Γ - (Übungsaufgabe)
⇒ Inneres von 4(ABC) ist wohldefiniert (2 Punkte auf derselben Seite der Π-Geraden ⇐⇒ beide Punkte innerhalb
oder außerhalb des Kreises)
Ist g eine Π-Gerade mit Kreis γ, die durch keinen der Eckpunkte A, B, C geht und etwa AB
in D schneidet, dann liegen A und B auf verschiedenen Seiten von g, etwa B innerhalb γ.
Angenommen, B, C auf derselben Seite von γ, etwa beide innerhalb γ ⇒ der Kreis durch
A, C enthält A außerhalb und C innerhalb von γ ⇒ ∃ Schnittpunkt auf AC, qed.
Definition 4.2.9 (Kongruenz von Strecken): Seien
A, B ∈ γ mit γ ∩ Γ = {P, Q} und A∗ , B ∗ ∈ γ ∗ mit
γ ∗ ∩ Γ = {P ∗ , Q∗ } und Zw(P AB), Zw(ABQ). Dann
definieren wir
AB ∼
=Π A∗ B ∗ :⇔ Dv(A, B; P, Q) = Dv(A∗ , B ∗ ; P ∗ , Q∗ ).
Definition 4.2.10 (Winkel, Kongruenz von Winkeln):
−−→
Wir ordnen jedem Π-Strahl AB auf einer Π-Geraden in
−−→
natürlicher Weise einen Strahl AB ∗ auf der Tangente zu.
Dann definieren wir den Π-Winkel als Winkel zwischen
den Tangentenstrahlen:
]Π (BAC) := ](B ∗ AC ∗ ).
Wir definieren
]Π (BAC) ∼
=Π ]Π (EDF ) :⇐⇒ ](B ∗ AC ∗ ) ∼
= ](E ∗ DF ∗ )
4
NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN
103
im euklidischen Sinn.
Wir zeigen zunächst, dass die Axiome (C2) - (C5) erfüllt sind. Anschließend definieren wir die
Π-Bewegung, mit deren Hilfe die Gültigkeit der Axiome (C1) und (C6) nachgewiesen wird.
Satz 4.2.11 Die Π-Kongruenz erfüllt die Axiome (C2) - (C5).
Beweis (C2) ist trivial, da die Kongruenz von Strecken durch die Gleichheit der Doppelverhältnisse definiert wird.
(C3) Man rechne nach: Zw(ABC) ⇒ Dv(A, B; P, Q) · Dv(B, C; P, Q) = Dv(A, C; P, Q).
Somit folgt aus Dv(A, B; P, Q) = Dv(D, E; P 0 , Q0 ) und Dv(B, C; P, Q) = Dv(E, F ; P 0 , Q0 ),
also AB ∼
= DE und BC ∼
= EF , offenbar Dv(A, C; P, Q) = Dv(D, F ; P 0 , Q0 ), d.h. AC ∼
= DF .
(C4) Sei A ∈ Π und m eine euklidische Richtung
in A sowie A0 = ϕΓ (A) ⇒ ∃ genau einen Kreis γ
durch A, A0 und m als Tangentenrichtung. γ ist wegen
A, A0 ∈ γ (siehe Satz 4.2.2 (c)) eine Π-Gerade. Daher
erzeugt der euklidische Winkel genau einen Π-Winkel
und (C4) folgt aus der euklidischen Geometrie.
(C5) folgt direkt aus der euklidischen Geometrie, qed.
Für den Nachweis von (C1) und (C6) führen wir Π-Bewegungen ein:
1. Art: Sei γ ein zu Γ orthogonaler Kreis ⇒ ϕγ bildet
Γ wegen Satz 4.2.2 (b) auf sich ab. Ist A0 der Mittelpunkt von γ und A = ϕΓ (A0 ) ⇒ ϕγ bildet M in A
ab und umgekehrt.
2. Art: Ist γ Durchmesser von Γ ⇒ ϕγ ist eine euklidische Spiegelung an γ.
Definition 4.2.12 Eine Π-Bewegung ϕΠ ist die Hintereinanderausführung von Π-Bewegungen
1. und 2. Art.
Aus Satz 4.2.4 folgt, dass die Π-Bewegung eine Isometrie ist. Zum Beweis, dass das Kongruenzaxiom (C6) erfüllt ist, benötigen wir, dass Winkel unter Π-Bewegungen im euklidischen
Sinn invariant sind.
Lemma 4.2.13 Sei ]Π (BAC) = ](B ∗ AC ∗ ) ein Winkel und ]Π (DA0 E) = ](D∗ A0 E ∗ ) sein
Bild unter der Π-Bewegung ϕΠ . Dann ist ](B ∗ AC ∗ ) ∼
= ](D∗ A0 E ∗ ).
4
NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN
104
Beweis Es genügt, die Aussage für eine Π-Bewegung ϕγ 1.
Art zu beweisen. Seien γ1 und
γ2 Kreise, die zwei sich schneidende Geraden in Π erzeugen
und etwa nicht durch den Mittelpunkt M 0 von γ gehen. Sei
α der Schnittwinkel. α ist der
Winkel zwischen den Tangenten t1 und t2 . Wir bilden nun
gemäß Satz 4.2.2 a) diese Tangenten durch die Bewegung
ϕγ ab und erhalten zwei Kreise ϕγ (t1 ) und ϕγ (t2 ) durch
den Mittelpunkt M 0 von γ,
deren Tangenten in M 0 parallel zu t1 bzw. t2 sind und die
sich daher ebenfalls unter dem
Winkel α schneiden.
Der zweite Schnittpunkt dieser Kreise durch M 0 ist offenbar das Bild ϕγ (P ), wenn P der
Schnittpunkt der Ausgangskreise γ1 und γ2 ist. Die Tangenten an diese Kreise sind ebenfalls
Tangenten an ϕγ (γ1 ) und ϕγ (γ2 ), also ist ϕγ (α) ∼
= α, qed.
Lemma 4.2.14
a) Für je 2 Punkte A, B gibt es eine Π-Bewegung ϕΠ mit ϕΠ (A) = B.
−−→
−−→
b) Seien A, B, B 0 ∈ Π ⇒ ∃ ϕΠ mit ϕΠ (AB) = AB 0 .
c) Für alle Π-Geraden g gibt es Π-Bewegungen, die g fest lassen und die Punkte einer
Seite von g auf Punkte der anderen Seite abbilden (Spiegelungen an g).
Beweis a) Sei ϕγ1 : ϕγ1 (A) = M und ϕγ2 : ϕγ2 (M ) = A0 ⇒ ϕΠ = ϕγ2 ◦ ϕγ1 .
b) Sei ϕγ : ϕγ (A) = M und etwa ϕγ (B) =
C, ϕγ (B 0 ) = C 0 . Sei g die Winkelhalbierende des
(euklidischen) Winkels ](CM C 0 ) und ϕg die Spiegelung an g. Die gesuchte Abbildung ist ϕΠ :=
ϕ−1
γ ◦ϕg ◦ϕγ : Offenbar ist ϕΠ (A) = A und ϕΠ (B) =
B0.
c) Die Inversion ϕγ an γ leistet das Gewünschte, qed.
Wir können nun nachweisen, dass auch (C1) und (C6) erfüllt sind.
Satz 4.2.15 Die Π-Kongruenz erfüllt die Axiome (C1) und (C6).
4
NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN
105
Beweis (C1) Es seien die Strecke AB, der Punkt A0
und der Strahl A0 C in Γ gegeben.
Beh.: ∃ B 0 ∈ A0 C mit AB ∼
= A0 B 0
Nach Lemma 4.2.14 (a) gibt es eine Bewegung ϕΠ mit
−−→
−−→
ϕΠ (A) = A0 . AB wird auf ϕΠ (AB) abgebildet.
−−→
−−→
Nach Lemma 4.2.14 (b) gibt es nun eine Bewegung ψ mit ψ(A0 ) = A0 und ψ(ϕΠ (AB)) = A0 C.
Sei B 0 = ψ(ϕΠ (B). Da Doppelverhältnisse bei Bewegungen invariant sind, folgt AB ∼
= A0 B 0 .
(C6) Wir konstruieren Π-Bewegungen, so dass man in mehreren Schritten folgendes Ergebnis
erhält:
Mit ](BAC) = ](B 0 A0 C 00 ) ist AB ∼
= A0 B 0 ,
AC ∼
= A0 C 00 und nach Voraussetzung ](B 0 A0 C 00 ) ∼
=
0
0
0
0
00
0
0
∼
](B A C ) sowie A C = A C
⇒ (C4 und C1): C 0 = C 00 und damit B 0 C 0 ∼
= BC und
die Winkel sind gleich ⇒ Dreiecke kongruent, qed.
4
NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN
106
Abstandsfunktion
Das Doppelverhältnis
Dv(A, B; P, Q) =
AP BP
:
AQ BQ
mit den Zwischenrelationen Zw(P AB) und Zw(ABQ)
erfüllt die Bedingung 0 < Dv(A, B; P, Q) < 1:
Wegen Zw(P AB) ist AP < BP und wegen Zw(ABQ)
ist BQ < AQ (Übungsaufgabe) ⇒ AP ·BQ < BP ·AQ
oder
Dv(A, B; P, Q) =
AP BQ
·
< 1.
AQ BP
Insbesondere ist
Dv(A, B; P, Q) = 1 ⇔ AP = BP und BQ = AQ, also A = B.
Bereits beim Nachweis von (C3) haben wir gesehen, dass das Doppelverhältnis multiplikativ
operiert. Daher können wir als Abstandsfunktion
µ(A, B) := Dv(A, B; P, Q)−1
wählen mit µ(A, B) ≥ 1 und µ(A, B) = 1 ⇔ A = B.
Über
µ∗ (A, B) := | log Dv(A, B; P, Q)−1 |
lässt sich die Abstandsfunktion wieder additiv gestalten. Es ist µ∗ (A, B) ≥ 0 und µ∗ (A, B) =
0 ⇔ A = B.
Axiome der Stetigkeit (S1) und (S2) in Π
Wir untersuchen äquivalente Aussagen (S1’) und (S2’) zu (S1) und (S2) in einem geordneten
Körper K:
(S1’) ∀ a ∈ K, a > 0, ∃ natürliche Zahl n mit n > a.
(S2’) Angenommen, K sei die Vereinigung zweier disjunkter Teilmengen S und T : K = S ∪T ,
so dass ∀ a ∈ S und ∀ b ∈ T gilt a < b. Dann gibt es genau ein c ∈ K, so dass ∀a ∈ S
und ∀ b ∈ T gilt a ≤ c ≤ b.
Lemma 4.2.16 Sei εK die kartesische Ebene über K. Dann gilt:
a) (S1) gilt in εK ⇐⇒ (S1’) gilt in K;
b) (S2) gilt in εK ⇐⇒ (S2’) gilt in K.
4
NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN
107
Beweis a) Wir wählen Koordinaten derart, dass AB die Einheitsstrecke auf der x-Achse ist.
C, D zwei beliebige Punkte auf der x-Achse mit den Koordinaten (c, 0) und (d, 0) und etwa
c < d in K. Dann haben wir `(CD) = d − c und
n · AB > CD ⇐⇒ n > d − c.
b) Sei g ⊂ εK eine Gerade, o.B.d.A. g = x-Achse. Es ist
A ∈ g, A = (a, 0) wie in (S2) ⇐⇒ a ∈ K wie in (S20 ),
also
{(S2) ⇐⇒ (S20 )},
qed.
Hiermit ergibt sich nun
Satz 4.2.17 a) In Π = ΠK gilt das Archimedische Axiom (S1) genau dann, wenn (S1’)
in K gilt;
b) In Π = ΠK gilt das Dedekindsche Axiom (S2) genau dann, wenn (S2’) in K gilt.
Beweis Wir benötigen nur die Richtung (S1’) =⇒ (S1) bzw. (S2’) =⇒ (S2) und beweisen
auch nur diese.
a) Sei µ(A, B) = Dv(A, B; P, Q)−1 = a > 1 und CD eine weitere Strecke auf g(A, B) mit
µ(C, D) = Dv(C, D; P, Q)−1 = c > 1.
Beh.: ∃ n : an > c
Offenbar ist a = 1 + x, x > 0, und daher
an = (1 + x)n = 1 + nx + positive Terme > 1 + nx.
Nach (S1’) ∃ n : n · x > c =⇒ an > c.
b) ergibt sich aus Π − Zw(ABC) ⇐⇒ Zw(A0 B 0 C 0 ) (euklidisch, siehe Definition 4.2.7) und
Lemma 4.2.16, qed.
4
NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN
4.3
108
Sphärische Geometrie
Wir setzen in diesem Abschnitt voraus, dass der Hörer mit den wichtigsten Grundlagen der
euklidischen Geometrie im 3-dimensionalen reellen Raum R3 bekannt ist. Hierin skizzieren
wir das Modell einer sphärischen Geometrie.
Definition 4.3.1 Der Abstand zweier Punkte A, B ist der Funktionswert d(A, B) einer
Funktion d (Abstandsfunktion) mit folgenden Eigenschaften
a) d(A, B) ≥ 0 ∀ A, B und d(A, B) = 0 ⇔ A = B;
b) ∀ A, B gilt d(A, B) = d(B, A);
c) ∀ A, B, C gilt d(A, B) + d(B, C) ≥ d(A, C) (Dreiecksungleichung)
und A, B, C liegen auf einer Geraden genau dann, wenn eine der folgenden Gleichungen
erfüllt ist:
d(A, B) + d(B, C) = d(A, C)
d(A, C) + d(C, B) = d(A, B)
d(B, A) + d(A, C) = d(B, C).
Den euklidischen Abstand im R3 bezeichnen wir mit |A B|.
Definition 4.3.2 Sphäre S mit Mittelpunkt O und Radius R:
S := {P ∈ R3 : |OP | = R}
Für Darstellungen auf der Sphäre wählen wir
Kugelkoordinaten (r, ϕ, θ) :
r ≥ 0, −180o < ϕ ≤ 180o , −90o ≤ θ ≤ 90o
P ∈S ⇔ r=R
θ = 90o : Nordpol, ϕ - beliebig
θ = −90o : Südpol, ϕ - beliebig
P 6=Pol ⇔ (r, ϕ, θ) ↔ P
ϕ = const.: Meridian
θ = const.: Breitenkreis
θ = 0: Äquator.
Satz 4.3.3 Falls sich eine Sphäre S und eine Ebene ε schneiden, ist die Schnittmenge entweder ein Punkt oder ein Kreis.
Beweis Wir fällen von O das Lot auf ε: Fußpunkt M
angenommen: S ∩ ε besitzt mehr als 1 Punkt, etwa P, Q (P 6= Q)
4
NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN
109
Beh.: |M P | = |M Q| (und damit liegen alle
Schnittpunkte von S und ε auf einem Kreis
k ⊂ ε)
Bew.: 4(OP M ) ∼
= 4(OQM ) nach SSWggS
(Winkel gegenüberliegende Seite)
⇒ |M P | = |M Q| ⇒ S ∩ ε ⊆ k.
Sei T ∈ k ⇒ 4(OP M ) ∼
= 4(OT M ) nach
SW S ⇒ |OT | = |OP | = R
⇒ T ∈ S, also k ⊆ S ∩ ε, qed.
⇒ Kreise auf S sind genau die Schnitte mit Ebenen ε
Radius r von k:
r = |M P | =
p
p
|OP |2 − |OM |2 = R2 − R2 cos2 ](P OM ) = R · sin ](P OM )
|OM | = R · cos ](P OM ) (0 ≤ ](P OM ) < 180o )
1) O ∈ ε =⇒ Großkreise
2) O ∈
/ ε =⇒ Kleinkreise
P, Q ∈ S - diametral :⇐⇒ P und Q liegen auf demselben Durchmesser
P, Q ∈ S - nicht diametral ⇔ M, P, Q liegen nicht auf einer Geraden
⇔ ∃ genau eine Ebene durch M, P, Q ⇔ ∃ genau einen Großkreis durch P, Q.
Definition 4.3.4 Dieses sollen genau unsere S-Geraden auf S sein: g = gS (AB) - sphärische
Gerade durch A und B.
Noch zu klären: Wenn P, Q ∈ S nicht diametral, dann ist der kürzere der beiden Wege von
P zu Q über den Großkreis die kürzeste Verbindung von P und Q auf S (P, Q ∈ S und
diametral =⇒ beide gleich lang und Kürzeste).
Definition 4.3.5 Sei P, Q ∈ S, P 6= Q, P, Q nicht diametral.
4
NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN
110
a) Eine S-Strecke P Q S ist der kürzere der
beiden Bögen auf dem Großkreis durch P
und Q und αP Q der entsprechende Zentriwinkel.
b) dS (P, Q) := Länge des kürzeren Bogens
des Großkreises durch P, Q, M zwischen
P und Q.
Sind P und Q diametral, dann setzen wir
dS (P, Q) := π · R
dS (P, Q) = R · α (α in Bogenmaß) ⇒ ∀ P, Q ∈ S ist 0 ≤ dS (P, Q) ≤ π · R
Fazit:
1. Durch 2 verschiedene nicht-diametrale Punkte geht genau eine S-Gerade.
2. Je 2 verschiedene S-Geraden haben genau 2 Schnittpunkte.
3. es gibt keine parallelen S-Geraden.
4. Jede S-Strecke ist ≤ π · R
5. Jede S-Gerade g teilt die Sphäre S in 2 disjunkte Halbsphären S1 und S2
S = S1 ∪ S2 ∪ g, S1 ∩ g = ∅, S2 ∩ g = ∅, S1 ∩ S2 = ∅,
indem wir die Teilung des R3 durch ε in 2 disjunkte Teilräume zu Grunde legen.
Eine sinnvolle Zwischenrelation“ gibt es auf der Sphäre nicht, denn bei 3 verschiedenen
”
Punkten auf einem Kreis liegt offenbar jeder zwischen den beiden anderen.
Kongruenz
Definition 4.3.6 Zwei S-Strecken AB S und CD S heißen kongruent :⇔ αAB ∼
= αCD .
Offenbar sind zwei S-Strecken kongruent genau dann,
wenn die euklidischen Strecken AB und CD kongruent
sind (SWS).
4
NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN
111
Auf S können wir auf einer Geraden g einen
Punkt und einen Umlaufsinn festlegen und er−−→
halten einen Strahl AB. Der Umlaufsinn legt
auf der Tangente an g in A einen Strahl g +
fest. Entsprechend erhält man h+ auf gS (AC).
Dann definieren wir den S-Winkel ∠S (BAC) :=
](g + , h+ ).
Definition 4.3.7 a) Zwei S-Winkel ∠S (BAC) = ](g + , h+ ) und
heißen kongruent :⇔ ](g + , h+ ) ∼
= ](ḡ + , h̄+ ).
∠S (EDF )
= ](ḡ + , h̄+ )
b) Zwei S-Geraden sind orthogonal genau dann, wenn die Tangenten in den Schnittpunkten
zueinander orthogonal sind.
Damit können wir auch die Kongruenz von Dreiecken und Figuren direkt auf die Kongruenz
im R3 zurückführen.
Definition 4.3.8
4S (ABC)
∼
= 4S (DEF ) :⇔ alle Seiten (und Winkel) sind kongruent.
Bewegungen
• Bewegungen in der Ebene: Spiegelungen, Drehungen, Parallelverschiebungen
• Parallelverschiebung (Translation) fällt auf der Sphäre weg, da es keine Parallelen gibt.
Definition 4.3.9 (sphärische Bewegungen)
a) Eine Abbildung ϕ von S auf sich heißt Spiegelung an der S-Geraden g
:⇔ (i) ∀ P ∈ g gilt ϕ(P ) = P
(ii) ∀ P ∈
/ g liegen P und ϕ(P ) in verschiedenen Halbsphären
(iii) Sei P ∈
/ g beliebig, h⊥g, P ∈ h und Q ∈ g ∩ h
⇒ dS (P, Q) = dS (ϕ(P ), Q)
b) Drehung ψ um ein diametrales Punktepaar Z, Z 0 um einen Winkel α
:= Drehung der Sphäre S durch Z, Z 0 um den Winkel α,
d.h. (i) ψ(Z) = Z, ψ(Z 0 ) = Z 0
(ii) ∀ P ∈ S : dS (P, Z) = dS (ψ(P ), Z)
(iii) für P ∈ S (P 6= Z, Z 0 ) sei g die S-Gerade durch P, Z, Z 0 und h die S-Gerade
durch ψ(P ), Z, Z 0 ⇒ ](g, h) = α
4
NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN
112
c) Hintereinanderausführungen von endlich vielen Spiegelungen an S-Geraden und endlich
vielen Drehungen um diametrale Punkte heißen sphärischen Bewegungen Φ.
Satz 4.3.10 Sphärisch Bewegungen lassen Abstände und Winkel invariant.
Beweis Ergibt sich unmittelbar der Definition der Kongruenz.
Satz 4.3.11 Seien A, B ∈ S, A 6= B, und A0 , B 0 ∈ S mit dS (A, B) = dS (A0 , B 0 ). Dann gibt
es genau 2 sphärische Bewegungen Φ1 , Φ2 mit Φi (A) = A0 , Φi (B) = B 0 (i = 1, 2), wobei jede
dieser Bewegungen eine durch die S-Gerade gS (A, B) begrenzte Halbsphäre auf eine andere
Halbsphäre bzgl. A0 , B 0 abbildet.
Beweis Sei g = gS (AA0 ), P : Mittelpunkt der
S-Strecke A A0 S und h⊥g durch P ⇒ ϕ1
Spiegelung an h und etwa ϕ1 (B) = B ∗ .
Wegen dS (A, B) = dS (A0 , B ∗ ) = dS (A0 , B 0 )
gibt es eine Spiegelung ϕ2 mit ϕ2 (A0 ) =
A0 , ϕ2 (B ∗ ) = B 0 . Zwei mögliche Bewegungen unterscheiden sich durch eine Spiegelung
an der S-Geraden gS (A,0 , B 0 ).
Angenommen, es gibt eine 3. Bewegung Φ∗ mit dieser Eigenschaft. Dann gibt es einen Punkt
C dessen Bild C ∗ = Φ∗ (C) von den beiden anderen Bildern von C verschieden ist, aber mit
einem von ihnen, etwa C 0 , auf derselben Seite von gS (A,0 , B 0 ) liegt. Aus der Kongruenz der
S-Dreiecke 4S (A0 B 0 C 0 ) und 4S (A0 B 0 C ∗ ) folgt C 0 = C ∗ und ein Widerspruch, qed.
Letztere Schlussfolgerung wird später bei der Behandlung der absoluten Geometrie noch
genauer untersucht.
Folgerung und Definition 4.3.12 Zwei Dreiecke (durch Strecken begrenzte Figuren) sind
genau dann kongruent ( heißen kongruent), wenn es eine sphärische Bewegung Φ gibt, die
diese Figuren aufeinander abbildet.
Flächeninhalt
Von einem Flächeninhalt F (f ) einer Fläche f erwarten wir:
(i) Kongruente Figuren haben gleichen Flächeninhalt;
(ii) ist ein Flächenstück f die Vereinigung zweier Teilflächen f1 und f2 , die sich nicht
überlappen, dann ist F (f ) = F (f1 ) + F (f2 );
und bezüglich der Sphäre
4
NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN
113
(iii) F (S) = 4πR2 .
[Zwei Teilflächen überlappen sich :⇔ sie haben einen inneren Punkt gemeinsam;
ein Punkt P ist innerer Punkt einer Fläche f :⇔ ∃ Dreieck 4 ⊂ f mit P ∈ 4 ⊂ f .]
Zweiecke
Zwei verschiedene S-Geraden g, h ⊂ S bilden 4 Zweiecke, von denen je 2 gegenüberliegende kongruent sind
(Spiegelungen bilden sie aufeinander ab).
Satz 4.3.13 Ist zS ein Zweieck mit einem Winkel α
(in Bogenmaß) ⇒ F (zS ) = 2 · α · R2 .
Beweis zS wird in n kongruente Zweiecke zn mit den Winkeln αn =
Fn = F (zn ) =
α
zerlegt, dann ist
n
F (zS )
n
nach (i) und (ii). Sei k = k(n) derart, dass k(n) · αn ≤ 2π < (k(n) + 1) · αn .
=⇒
k(n)
2π
k(n) + 1
≤
<
,
n
α
n
also
lim
n→∞
k(n)
2π
=
.
n
α
Andererseits ist wegen (ii)
k(n) · Fn ≤ F (S) < (k(n) + 1) · Fn
also
k(n)
F (S)
k(n) + 1
≤
<
n
F (zS )
n
und
F (S)
unabhängig von n.
F (zS )
=⇒
k(n)
F (S)
2π
=
=
,
n→∞ n
F (zS )
α
lim
F (S) = 4πR2 , ⇒ F (zS ) = 2 · α · R2 , qed.
Sphärische Dreiecke
(Sphärische) Dreiecke sind Teile der Sphäre, die von 3 Strecken begrenzt sind.
4
NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN
114
Wir betrachten nur solche Dreiecke, deren sämtliche
Seiten ≤ R · π und deren Winkel kleiner als π sind.
Dieses sind die Eulerschen Dreiecke 4S (A, B, C).
Wir beweisen die Dreiecksungleichung, betrachten
die Winkelsumme und das noch offene Problem des
kürzesten Weges.
Lemma 4.3.14 In jedem Eulerschen Dreieck 4S (A, B, C) sind die Längen zweier Seiten a
und b sowie die Maße gegenüberliegender Winkel α, β entweder paarweise gleich oder der
längeren Seite liegt der größere Winkel gegenüber.
Beweis Sei g die Mittelsenkrechte von AB S .
1. C ∈ g
⇒ Spiegelung an g führt
2. C ∈
/ g,
etwa A und C auf derselben Seite von g =⇒
4S (A, B, C)
in sich über ⇒ a = b und α = β.
Beh.
a > b und α > β
Die Strecken a, b, c und die Gerade g werden durch die euklidischen Ebenen εa , εb , εc , εg
aus S (durch den Mittelpunkt M ) herausgeschnitten ⇒ in der euklidischen Ebene ε
durch A, B, C entsteht folgendes Bild (h ist der Schnitt von εg und ε):
⇒ |AA∗ | = |BA∗ | und |AC| < |AA∗ | + |CA∗ | = |BA∗ | + |CA∗ | = |BC|.
Wegen A, B, C ∈ S folgt b = dS (A, C) < dS (B, C) = a und offenbar α > β,
qed.
Satz 4.3.15 (Dreiecksungleichung) In einem Eulerschen Dreieck ist die Summe der Längen
zweier Seiten stets größer als die Länge der dritten Seite.
4
NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN
115
Beweis Wir zeigen etwa:
dS (A, C) + dS (B, C) > dS (A, B).
1. Falls dS (A, C) + dS (B, C) ≥ R · π, dann ist die
Bedingung erfüllt.
2. Sei dS (A, C) + dS (B, C) < R · π.
Wir verlängern BC S um dS (A, C) und erhalten D.
Dann wegen Lemma 4.3.14 β = γ ⇒ im Dreieck
4S (A, B, D) ist der Winkel bei A = α + β > γ
=⇒ (Lemma 4.3.14) dS (A, B) < dS (B, D) = dS (B, C) + dS (A, C), qed.
Behauptung: Die kürzeste Verbindung zweier Punkte A, B ∈ S geht über den Großkreis.
Beweisidee: Sei c eine beliebige Kurve von A nach B
⇒ c wird durch Stücke von Großkreisen approximiert;
dann gilt für ein Kurvenstück A1 − A2 − A3 :
dS (A1 , A2 ) + dS (A2 , A3 ) > dS (A1 , A3 )
Daher führt jede Abweichung vom Großkreis zu einem
längeren Weg“.
”
Flächeninhalt Eulerscher Dreiecke
Drei Geraden teilen S in 8 Eulersche Dreiecke auf:
1. Dreieck
4S (A, B, C),
Gegendreieck
2. 3 Scheiteldreiecke
4S (A, B d , C d ), 4S (Ad , B, C d ),
3. 3 Nebendreiecke
4S (Ad , B, C), 4S (A, B d , C),
4S (Ad , B d , C d )
4S (Ad , B d , C)
4S (A, B, C d )
Gegendreieck und Nebendreieck entstehen aus Dreieck und Scheiteldreieck durch Zuordnung
der Punkte P zu ihren diametralen Punkten P d . Dieses ist eine Bewegung (Übungsaufgabe);
daher sind die Flächen gleich. Sind die Flächeninhalte jeweils F, F1 , F2 , F3 , dann ergibt sich
F + F1 + F 2 + F3 =
F (S)
= 2 · π · R2
2
(4.B)
4
NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN
116
Es ist: Dreieck + Gegendreieck = Zweieck mit den Winkeln α, β, γ
⇒


F + F1 = 2 · R 2 · α 
2
⇒ 3 · F + F1 + F2 + F3 = 2 · R2 · (α + β + γ)
F + F2 = 2 · R · β


F + F3 = 2 · R 2 · γ
Zusammen mit (4.B) ergibt sich F = R2 · (α + β + γ − π), also
α+β+γ =
F
+ π > π.
R2
Das ergibt folgenden
Satz 4.3.16 In jedem Eulerdreieck ist die Winkelsumme größer als 2 Rechte
oder:
Auf der Einheitssphäre (R = 1) ist die Winkelsumme in einem Eulerdreieck stets F + π mit
F < 2π.
Es gibt daher eine Geometrie, in dem der Satz über die Winkelsumme im Dreieck (gleich 2
Rechte) nicht gilt; hier: elliptische Geometrie.
5
ERGÄNZUNGEN
5
117
Ergänzungen
5.1
Kreisgeometrie
Definition 5.1.1 Sei r ∈ R+ eine positive reelle Zahl (r > 0). Ein Kreis mit dem Radius
r ist die Menge aller Punkte X ∈ ε, deren Abstand von einem festen Punkt M ∈ ε, dem
Mittelpunkt, konstant gleich r ist:
k := {X ∈ ε : `(XM ) = r}.
Eine Gerade g ⊂ ε schneidet einen Kreis k in höchstens 2 Punkten.
a) Schneidet g den Kreis in genau 2 verschiedenen Punkten, heißt g eine Sekante. Sind P
und Q die beiden Schnittpunkte, dann heißt die Strecke P Q eine Sehne des Kreises k.
b) Schneidet g den Kreis in genau einem Punkt P , heißt g eine Tangente und P deren
Berührpunkt.
c) Haben g und k keinen gemeinsamen Punkt, heißt g eine Passante für k.
Satz 5.1.2 Sei g Tangente an den Kreis k mit Mittelpunkt M und
dem Berührpunkt P . Dann ist M P das Lot von M auf g, d.h. der
Radius r = M P steht senkrecht auf der Tangente g.
Beweis Für jeden Punkt Q ∈ g, Q 6= P ist M Q > r = M P .
Daher nach Folgerung 1.2.32 das Lot vom M auf g, qed.
Satz 5.1.3 Sei AB Sehne eines Kreises k und m deren Mittelsenkrechte. Dann geht m durch den Mittelpunkt M von k.
Beweis Sei C der Schnittpunkt von m und AB. Dann sind für
alle Punkte P ∈ m die Dreiecke 4(ACP ) und 4(BCP ) kongruent
nach (SWS). Da auch 4(ACM ) ∼
= 4(BCM ) wegen (SSS), liegt
M auf m, qed.
Definition 5.1.4 a) Sei k ein Kreis mit dem Mittelpunkt M . Ein Winkel γ mit dem Scheitel M heißt
Zentriwinkel von k. Ist P ∈ k ein Punkt der Peripherie
und α = ](AP B) mit von P verschiedenen Punkten
A, B ∈ k, A 6= B, dann heißt α Peripheriewinkel über
der Sehne AB.
b) gA bzw. gB seien die Tangenten im Punkt A bzw. B an
k. Die Winkel β = ](QAB) und β 0 = ](QBA) heißen
Sehnentangentenwinkel.
Satz 5.1.5 (Peripheriewinkelsatz)
5
ERGÄNZUNGEN
118
a) Peripheriewinkel über derselben Sehne AB eines Kreises k sind kongruent.
b) Ist γ = ](AM B) Zentriwinkel und α = ](AP B) ein Peripheriewinkel über AB, dann
ist γ = 2 · α.
c) Peripheriewinkel über derselben Sehne AB eines Kreises k und die zugehörigen Sehnentangenwinkel sind zueinander kongruent.
Beweis a) folgt offenbar aus b).
b)Wir ziehen vom Mittelpunkt M des Kreises k Radien zu
den Punkten A, B und P und zeichnen das Dreieck 4(ABP )
wie in nebenstehender Skizze. Man erhält die gleichschenkligen Dreiecke 4(AM P ), 4(BM P ) und 4(ABM ). Bezeichnet
R einen rechten Winkel, dann ist
γ + (2R − 2α1 ) + (2R − 2α2 ) = 4R,
also γ = 2(α1 + α2 ) = 2α. Damit sind beide Aussagen bewiesen.
c) Es ist γ + 2β1 = 2R = 2(β + β1 ), also γ = 2β und daher
β = α, qed.
Folgerung 5.1.6 Schneiden sich die Tangenten gA und gB im Punkt Q, dann sind die Tangentenabschnitte QA und QB der beiden Tangenten vom Punkt Q außerhalb des Kreises k
an den Kreis kongruent.
Beweis Das Dreieck 4(ABQ) hat kongruente Basiswinkel und ist daher wegen Lemma 1.2.19
gleichschenklig, qed.
Folgerung 5.1.7 (Satz des Thales) Peripheriewinkel über einem Durchmesser eines Kreises k sind rechte Winkel. Umgekehrt ist für den Umkreis eines rechtwinkligen Dreiecks die
Hypothenuse ein Durchmesser.
Folgerung 5.1.8 Sei
für den Winkel ]C:
4(ABC)
ein Dreieck und M der Mittelpunkt des Umkreises. Dann gilt
]C > R ⇔ M und C liegen auf verschiedenen Seiten von g(AB);
]C < R ⇔ M und C liegen auf derselben Seite von g(AB);
]C = R ⇔ M ∈ g(AB), d.h. AB ist Durchmesser.
Beweis Der Beweis ergibt sich unmitelbar aus dem Peripheriewinkelsatz, nach dem 2 · ]C = γ, wenn γ der zugehörige
Zentriwinkel ist.
5
ERGÄNZUNGEN
119
Mit Hilfe ähnlicher Dreiecke beweist man nun den Sekanten-Tangenten-Satz in seinen verschiedenen Versionen.
Satz 5.1.9 Sei k ein Kreis und P ∈ ε ein beliebiger Punkt.
a) (Sekanten-Tangenten-Satz) P liege außerhalb von k, s
sei eine Sekante von k durch P , die k in 2 (verschiedenen)
Punkten A und A0 schneide und t eine Tangente von k durch
P , die k im Punkt B berührt. Dann gilt für die Strecken
P A, P A0 und P B die Beziehung
`(P A) · `(P A0 ) = `(P B)2 .
Ist s0 eine weitere Sekante durch P mit den Schnittpunkten
C und C 0 mit k, dann gilt entsprechend
`(P A) · `(P A0 ) = `(P C) · `(P C 0 ).
b) (Sehnensatz) liegt P innerhalb von k und sind s und
s0 Sehnen von k durch P , die k in Punkten A, B bzw.
A0 , B 0 schneiden, dann gilt für die Strecken P A, P B und
P A0 , P B 0 ebenfalls die Beziehung
`(P A) · `(P A0 ) = `(P B) · `(P B 0 )
Beweis a) In der obigen Figur sind die Winkel ](AA0 B) und ](ABP ) Peripheriewinkel und
zugehöriger Sehnentangenwinkel über der Sehne AB und daher wegen Satz 5.1.5 b) kongruent.
Damit haben die Dreieck 4(P AB) und 4(P BA0 ) paarweise zueinander kongruente Winkel
und sind ähnlich. Folglich gilt
`(P A)
`(P B)
=
,
`(P B)
`(P A0 )
also
`(P A) · `(P A0 ) = `(P B)2 = `(P C) · `(P C 0 ).
Letzteres kann man auch direkt aus der Ähnlichkeit der Dreiecke
der 2. Skizze folgern.
4(P AC)
∼
4(P C 0 A0 )
in
b) Es ist ]B ∼
= ]A0 als Peripheriewinkel über der Sehne AB 0 (entsprechend ]A ∼
= ]B 0 ) und
daher 4(P AB) ∼ 4(P B 0 A). Aus der Ähnlichkeit der Dreiecke folgt wie oben
`(P A) · `(P A0 ) = `(P B) · `(P B 0 ,
qed.
5
ERGÄNZUNGEN
120
Sehnen- und Tangentenvierecke
Definition 5.1.10 a) Sei k ein Kreis und A, B, C, D ∈
k paarweise verschiedene Punkte, die ein konvexes
Viereck bilden. Dann heißt das Viereck (ABCD)
ein Sehnenviereck. Man sagt auch, dass Viereck
(ABCD) besitzt einen Umkreis.
b) Gegeben sei ein Kreis k und paarweise verschiedene Punkte A, B, C, D ∈ k, so dass die Tangenten
in den Punkten A, B, C, D ∈ k ein konvexes Viereck (A0 B 0 C 0 D0 ) bilden. Das Viereck (A0 B 0 C 0 D0 )
heißt Tangentenviereck. Man sagt auch, dass Viereck
(ABCD) besitzt einen Inkreis.
Für den Beweis von Satz 5.1.12 benötigen wir folgendes
Lemma 5.1.11 Sind 4(ABC) und
thenuse AB, dann gilt
4(ABD)
rechtwinklige Dreiecke über derselben Hypo-
AC < AD ⇐⇒ BC > BD.
Beweis C und D liegen auf dem Thales-Kreis über AB.
Sei AC < AD. Dann schneidet die Strecke AD den Kreis
k(A; C) wie in nebenstehender Skizze. Insbesondere liegt
d (außer C selbst) ganz außerhalb des Kreises
der Bogen CB
d (außer D selbst)
k(A; C). Entsprechend liegt der Bogen AD
ganz außerhalb des Kreises k(B; D). Da C auf diesem Bogen
liegt, schneidet die Strecke BC den Kreis k(B; D). Damit ist
BC > BD, qed.
Satz 5.1.12 a) Ein konvexes Viereck (ABCD) ist genau dann ein Sehnenviereck, wenn die Winkelsumme
zweier gegenüberliegender Winkel gleich 2 Rechte ist,
also
α + γ = β + δ = 2R.
b) Ein Viereck (ABCD) ist genau dann ein Tangentenviereck, wenn die Summe zweier gegenüberliegender
Seiten gleich ist, also a + c = b + d.
5
ERGÄNZUNGEN
121
Beweis a) Ist (ABCD) ein Sehnenviereck, dann ist nach
dem Periheriewinkelsatz 2α + 2γ = 4R, also α + γ = 2R und
entsprechend β + δ = 2R.
Wären umgekehrt die Winkelsummen jeweils = 2R und etwa
(ABCD) kein Sehnenviereck, dann liegen 3 Punkte auf einem Kreis und der vierte innerhalb oder außerhalb des Kreises. Liegt etwa C außerhalb des Kreises, dann sei (ABC 0 D)
das Sehnenviereck und α + γ 0 = 2R. γ 0 ist als Außenwinkel
in 4(DC 0 C) jedoch größer als γ - Widerspruch!
Liegt C innerhalb des Kreises, dann folgt entsprechend γ >
γ 0 und ebenfalls ein Widerspruch, qed.
b) Ist (ABCD) ein Tangentenviereck, dann ist wegen der kongruenten Tangenabschnitte
(AP ∼
= AS, BP ∼
= BQ, . . .) offenbar AB + DC = BC + AD.
Wäre umgekehrt diese Bedingung erfüllt und etwa
(ABCD) kein Tangentenviereck, dann zeichnen wir in das
Viereck einen Kreis k mit Mittelpunkt auf dem Schnittpunkt
der Winkelhalbierenden bei ]B und ]C, der die Geraden
g(AB), g(BC) und g(CD) berührt aber nicht g(AD). k hat
den Radius M P ; das Lot von M auf g(AD) sei M S.
Wegen der kongruenten Tangentenabschnitte ist
AB + DC = BC + AD ⇐⇒ AP + DR = AD.
Aus Lemma 5.1.11 ergibt sich nun:
1) Ist M S > M P (= Radius von k), dann ist DR > DS
und AP > AS, also AP + DR > DS + AS = AD.
2) Ist M S < M P (= Radius von k), dann ist DR < DS
und AP < AS, also AP + DR < DS + AS = AD.
In beiden Fällen erhalten wir einen Widerspruch zur Voraussetzung, qed.
5
ERGÄNZUNGEN
5.2
122
Geometrie über Körpern, Konstruierbarkeit
Sei εK die kartesische Ebene über dem geordneten Körper K und o.B.d.A. Q ⊆ K ⊆ R.
Jeder Strecke AB ⊂ εK ordnen wir eine Maßzahl a zu und identifizieren die Strecke mit ihrer
Maßzahl a ∈ K : a = AB (a ist die Äquivalenzklasse, die aus allen zu AB kongruenten
Strecken in εK besteht und AB ein Repräsentant aus dieser Klasse, siehe auch Definition
2.1.5 und Satz 5.1.5).
Definition 5.2.1 Eine Strecke AB heißt konstruierbar, wenn sie sich nur unter Verwendung
von Zirkel und Lineal aus der Strecke 1 = OE konstruieren lässt.
Offenbar sind alle Strecken mit den Maßzahlen
0, 1, a,
a
b
∀ a, b ∈ N
also alle rationalen Zahlen konstruierbar und mit a, b auch
a + b, a − b, a · b,
1 a
,
a b
und
√
a.
Definition 5.2.2 a) Eine reelle Zahl α ∈ R heißt konstruierbar, wenn eine Strecke AB
mit der Maßzahl α konstruierbar ist.
b) Ein Punkt P = (α, β) ∈ εK heißt konstruierbar, wenn α und β konstruierbar sind.
Es gilt folgender
Satz 5.2.3 Ist K ein Körper mit Q ⊆ K ⊆ R und alle Elemente aus K sind konstruierbar
√
√
sowie d ∈ K, d 6= 0, d ∈
/ K, dann sind alle Elemente von K( d) konstruierbar.
Wir beweisen die schärfere Aussage
Satz 5.2.4 Sei α ∈ R eine reelle Zahl. Dann ist α konstruierbar mit Zirkel und Lineal
√
⇐⇒ ∃ Kette von Körpern Q = K0 ⊂ K1 ⊂ K2 ⊂ . . . ⊂ Kr ⊆ R, so dass Ki = Ki−1 ( αi )
mit αi ∈ Ki−1 und α ∈ Kr .
Beweis ⇐=“ folgt aus obigen Überlegungen.
”
=⇒“ Sei α konstruierbar mit Zirkel und Lineal. Wir müssen zeigen, dass α von obiger Gestalt
”
ist:
a) Schnittpunkte zweier Geraden sind offenbar von obiger Gestalt;
b) Schnittpunkte von Gerade und Kreis sind von obiger Gestalt;
c) Schnittpunkte zweier Kreise sind von obiger Art.
5
ERGÄNZUNGEN
123
zu b) Sei g : Ax + By + C = 0 (Gerade), k : (x − m1 )2 + (y − m2 )2 − r2 = 0 (Kreis) und
A, B, C, m1 , m2 , r bereits konstruiert.
1
A
C
A C
Ist B 6= 0 =⇒ y = − (Ax + C) = − · x + ;
,
- konstruierbar
B
B
B
B B
C
(B = 0 ⇒ x = − - konstruierbar).
A
Einsetzen in die Gleichung von k ergibt in beiden Fällen eine quadratische Gleichung in x
(oder y) der Art
ax2 + bx + c = 0, a 6= 0, a, b, c rational in A, B, C, m1 , m2 , r.
Daher sind die Nullstellen der Art
√
√
−b + b2 − 4ac
−b − b2 − 4ac
x1 =
und x2 =
2a
2a
konstruierbar.
zu c)
k1
:
2
(1) 2
2
(x − m(1)
x ) + (y − my ) − r1 = 0
k2
:
2
(2) 2
2
(x − m(2)
x ) + (y − my ) − r2 = 0
− − −− −− − − − − − − − − − − − − − − − − −
k1 − k2
:
lineare Gleichung
k2
:
2
(2) 2
2
(x − m(2)
x ) + (y − my ) − r2 = 0
=⇒ Fall b), qed.
Folgerung 5.2.5 α ∈ R ist konstruierbar ⇒ α ∈ K mit Q ⊆ K ⊂ R und [K : Q] = 2n .
Beweis In der Kette Q = K0 ⊂ K1 ⊂ K2 ⊂ . . . ⊂ Kr ⊆ R aus Satz 5.3.4 ist [Ki : Ki−1 ] = 2
und daher [Kr : Q] = 2r , qed.
(Ist Ki = Ki−1 (ϑi ) ⇒ [Ki : Ki−1 ] = Minimum aller Grade der Polynome aus Ki−1 [X], für
√
die ϑi Nullstelle ist ⇒ ϑi = αi und p(X) = X 2 − αi mit p(ϑ) = ϑ2 − αi = αi − αi = 0, also
[Ki : Ki−1 ] = 2.)
Zahlreiche (klassische) Konstruktionsprobleme führen auf Gleichungen 3. Grades und sind
daher nicht mit Zirkel und Lineal lösbar. Wir untersuchen einige der bekanntesten Aufgaben.
Als Vorbereitung beweisen wir
Lemma 5.2.6 Wenn eine kubische Gleichung
x3 + a2 x2 + a1 x + a0 = 0
(5.A)
mit rationalen Koeffizienten a0 , a1 , a2 keine rationale Lösung besitzt, dann ist keine ihrer
Lösungen aus rationalen Zahlen konstruierbar.
5
ERGÄNZUNGEN
124
Beweis Angenommen, keine Lösung ist rational und ∃ Lösung x1 , die konstruierbar ist
⇒ ∃ r : x1 ∈ Kr , x1 = p + q ·
Beh.: Dann ist auch x2 = p − q ·
√
√
ω mit p, q, ω ∈ Kr−1 ,
√
ω∈
/ Kr−1 (r ≥ 1, q 6= 0)
ω ∈ Kr Lösung von (5.A).
Da x1 Lösung von (5.A) ist, haben wir
√
x31 + a2 x21 + a1 x1 + a0 = a + b ω = 0,
Falls b 6= 0 ⇒
√
a, b ∈ Kr−1 .
ω = − ab ∈ Kr−1 - Widerspruch ⇒ b = 0 ⇒ a = 0.
Man rechnet nach (Übungsaufgabe)
√
x32 + a2 x22 + a1 x2 + a0 = a − b ω = 0.
und es ist x1 6= x2 . Sei x3 die dritte Nullstelle. Nach dem Satz von Vieta ist
x1 + x2 + x3 = −a2 , also x3 = −a2 − (x1 + x2 ) = −a2 − 2p ∈ Kr−1 .
Aus r − 1 = 0 folgt Kr−1 = Q - Widerspruch.
Ist r − 1 > 0 ⇒ Wiederholung mit x3 statt x1 ⇒ Widerspruch, qed.
Ein weiteres Lemma ist hilfreich:
Lemma 5.2.7 Sind in x3 + a2 x2 + a1 x + a0 = 0 die Koeffizienten a0 , a1 , a2 ganzzahlig und
x1 eine rationale Nullstelle, dann ist x1 ganzzahlig und Teiler von a0 .
Beweis Sei x1 = pq , p, q ∈ Z, ggT(p, q) = 1
⇒ p3 + a2 p2 q + a1 p q 2 + a0 q 3 = 0 ⇒ q| p3 ⇒ q = 1 ⇒ x1 = p | a0 ,
qed.
Mit diesen Vorbereitungen lassen sich die drei klassischen“ Konstruktionsprobleme gut be”
arbeiten.
I. Verdopplung des Würfels (Delisches Problem)
Gegeben ist ein Würfel der Kantenlänge a,
gesucht ist ein Würfel der Kantenlänge b und doppeltem Volumen:
V = b3 = 2a3
⇒
b=a·
√
3
2
⇒
Konstruktion von x1 =
x1 ist Nullstelle von x3 − 2 = 0.
x3 − 2 hat keine rationale Nullstelle:
Angenommen, ∃ p, q mit ( pq )3 − 2 = 0, (p, q) = 1
⇒ p3 = 23 · q 3 ⇒ q 3 = 23 · p31 ⇒ 2| q ⇒ 2| (p, q)
√
3
2.
5
ERGÄNZUNGEN
125
- Widerspruch. Nach Lemma 5.2.7 ist
√
3
2 nicht konstruierbar, qed.
II. Dreiteilung eines Winkels
Gegeben sei ein Winkel α, in der Regel als cos α;
gesucht ist ein Winkel θ bzw. cos θ mit α = 3 · θ.
Es gilt cos α = cos 3θ = 4 · cos3 θ − 3 · cos θ, also mit x = cos θ
4x3 − 3x − cos α = 0.
Für gewisse α ist die Dreiteilung möglich, für andere nicht.
1. α = 90◦ ⇒ cos α = 0 ⇒ 4x3 − 3x = 0, x 6= 0 ⇒ 4x2 − 3 = 0 ⇒ x1 =
konstruierbar!
2. α = 60◦ ⇒ cos α =
1
2
⇒ 4x3 − 3x −
1
2
1
2
√
3-
= 0, 2x = y ⇒ y 3 − 3y − 1 = 0
Beh.: y 3 − 3y − 1 = 0 hat keine rationale Lösung.
Angenommen, y1 =
p
q
mit (p, q) = 1 sei eine Lösung. Dann ist
p3 − 3p q 2 − q 3 = 0
im Widerspruch zu (p, q) = 1. Nach Lemma 5.2.6 gibt es keine konstruierbare Wurzel,
qed.
III. Quadratur des Kreises
Das Problem der Quadratur des Kreises ist von anderem Charakter.
Problem: Gegeben ist ein Kreis vom Radius R und dem Flächeninhalt F , o.B.d.A. R = 1.
Gesucht ist ein Quadrat mit gleichem Flächeninhalt.
Wir haben für den Kreis F = R2 · π = π und für das Quadrat F = a2 . Dann ist a Lösung der
√
Gleichung x2 −π = 0, also a = π. Nun ist π transzendent (Lindemann 1882) ⇒ @ k : π ∈ Kk
√
im Sinn von Lemma 5.2.6 ⇒ @ k : π ∈ Kk , qed.
Es gibt natürlich auch naheliegende Konstruktionsaufgaben, die nicht lösbar sind.
Satz 5.2.8 Gegeben seien Strecken a, b und eine Winkelhalbierende ωα . Dann ist das Dreieck
4(ABC) mit BC = a, AC = b, ωα bei α = ](BAC) i.a. nicht konstruierbar.
Beweis Sei a = b = ωα = 1. Wir zeigen:
a) ∃ ein solches Dreieck:
Wir lassen γ von 0◦ bis 90◦ wachsen ⇒ Winkelhalbierende
wächst von < b = 1 bis > b = 1 ⇒ ∃ γ0 , so dass ωα = 1.
b) c ist nicht konstruierbar:
5
ERGÄNZUNGEN
126
Es ist
F =
1
α 1
α
1
· ωα · b · sin + · ωα · c · sin = · b · c · sin α
2
2
2
2
2
⇒ ωα (b + c) = b · c ·
Nun gilt 2 · cos2
α
2
sin α2 · cos
sin α
=
2
·
b
·
c
·
sin α2
sin α2
α
2
= 2 · b · c · cos
α
.
2
= 1 + cos α und nach dem Kosinussatz
a2 = b2 + c2 − 2 · b · c · cos α
bzw.
cos α =
b2 + c2 − a2
2·b·c
⇒ ωα2 (b + c)2 = b · c((b + c)2 − a2 ).
Für a = b = ωα = 1 erhält man in c die Gleichung
c3 + c2 − 2c − 1 = 0.
Angenommen, c ist konstruierbar ⇒ (Lemma 5.2.6) x3 + x2 − 2x − 1 besitzt eine rationale
Nullstelle ⇒ (Lemma 5.2.7) diese c Nullstelle ist ganz und c| 1, also c = ±1, Widerspruch.
Entsprechend zeigt man, dass i.a. ein Dreieck aus den drei Winkehalbierenden nicht konstruierbar ist. Eine vollständige Auflistung, aus welchen (drei) Bestimmungsstücken ein Dreieck
konstruierbar ist findet man bei Böhm u.a. [5], Bd. II, 4.4.6.
5
ERGÄNZUNGEN
5.3
127
Eulersche Polyederformel, reguläre und halbreguläre Polyeder
Wir betrachten Figuren im 3-dimensionalen euklidischen Raum Ω.
Definition 5.3.1 Ein von Ebenen begrenzter Körper P wird Polyeder genannt (von hedra
(griech.) Fläche). Liegt das Polyeder P ganz auf einer Seite jeder der begrenzenden Ebenen,
ist also Durchschnitt von Halbräumen, dann heißt P ein konvexes Polyeder. Ist ein konvexes
Polyeder zusätzlich beschränkt, dann nennen wir es ein Polytop (siehe [22] und [4]).
Wenn wir im folgenden von einem Polyeder sprechen, meinen wir durchweg ein beschränktes
Polyeder, also ein Polytop. Die Seitenflächen sind dann Polygonflächen. Die Bezeichnung
richtet sich im allgemeinen nach der Anzahl der Flächen: Tetraeder, Pentaeder, Hexaeder
usw. Sei
e = Anzahl der Ecken, k = Anzahl der Kanten,
f = Anzahl der Flächen.
Bei einem Polyeder gehören zu jeder Kante genau 2 angrenzende Flächen und genau zwei
angrenzende Ecken. Bezeichnet fi die Anzahl der Polygonflächen mit i Ecken und ej die
Anzahl der Ecken, an der j Kanten zusammen stoßen, dann gilt
2k = 3f3 + 4f4 + 5f5 + · · ·
=
3e3 + 4e4 + 5e5 + · · ·
(5.B)
Bei Polyedern untersuchen wir metrische Eigenschaften, wie etwa Kantenlängen, Winkeln
zwischen Kanten und Flächen, und topologische Eigenschaften (Anzahl Ecken, Kanten, Flächen,
Löcher“ usw.).
”
Definition 5.3.2 Ein Polyeder ist vom Geschlecht Null, wenn jeder auf der Oberfläche
gezeichnete geschlossene Polygonzug diese Oberfläche in zwei einfach zusammenhängende
Flächenstücke zerlegt.
Ein Polyeder ist vom Geschlecht p ≥ 0, wenn p die maximale Anzahl geschlossener, sich nicht
überschneidender Polygonzüge ist, die auf der Polyederfläche eingezeichnet werden können
ohne dass diese in getrennte, einfach zusammenhängende Flächenstücke zerfällt.
Konvexe Polyeder sind z.B. vom Geschlecht Null. In
der Skizze ist ein Polyeder vom Geschlecht 1 zu sehen
(Fahrradschlauch); klebt man zwei solcher Polyeder an
einer Fläche zusammen, erhält man ein Polyeder vom
Geschlecht 2 (Brezel mit 2 Löchern) usw.
Wir befassen uns hier nur mit Polyedern vom Geschlecht Null.
Definition 5.3.3 (Euler-Charakteristik) Sei P ein Polyeder, dann heißt
e−k +f
die Euler-Charakteristik .
Satz 5.3.4 (Eulerscher Polyedersatz) Für jedes Polyeder vom Geschlecht Null ist die
Euler-Charakteristik gleich 2:
e − k + f =2
(5.C)
5
ERGÄNZUNGEN
128
Beweis Wir beweisen den Satz durch Induktion bezüglich f = Anzahl der Flächen.
Sei f = 4, dann ist P ein Tetraeder und der Satz offenbar erfüllt.
Sei f > 4 und etwa F eine Polygonfläche auf P mit n Ecken (n ≥ 3). Wir ziehen F in einem
Punkt zusammen und erhalten ein neues Polyeder P 0 mit e0 = e − n + 1 Ecken, k 0 = k − n
Kanten und f 0 = f − 1 Flächen. Nach Induktionsvoraussetzung ist
e0 − k 0 + f 0 = 2
= (e − n + 1) − (k − n) + (f − 1) = e − k + f,
qed.
Bemerkung 5.3.5 Für ein Polyeder vom Geschlecht p ≥ 0 ist die Euler-Charakteristik
e − k + f = 2 − 2p
Folgerung 5.3.6 Für Polyeder vom Geschlecht Null gilt
a) k + 6 ≤ 3f ≤ 2k
b) k + 6 ≤ 3e ≤ 2k
c) e3 + f3 ≥ 8
Gibt es insbesondere keine Seitenfläche und keine Ecke mit mehr als 4 Kanten, dann
ist e3 + f3 = 8
Beweis Es gilt 3f ≤ 2k und 3e ≤ 2k (Übungsaufgabe). Setzen wir dieses in Gleichung (5.C)
ein, erhalten wir die Aussagen a) und b).
Multiplizieren wir (5.C) mit 2 und setzen (5.B) ein, ergibt sich
2(f3 + f4 + f5 + · · ·) + 2(e3 + e4 + e5 + · · ·) − (3f3 + 4f4 + 5f5 + · · ·) = 4
bzw.
2(e3 + e4 + e5 + · · ·) − (f3 + 2f4 + 3f5 + · · ·) = 4.
Mit der zweiten Gleichung aus (5.B) ergibt sich
2(f3 + f4 + f5 + · · ·) − (e3 + 2e4 + 3e5 + · · ·) = 4
und als Summe aus beiden
e3 − e5 − 2e6 − · · · + f3 − f5 − 2f6 − · · · = 8,
also
e3 + f3 = 8 + e5 + f5 + 2(e6 + f6 ) + · · · ,
qed.
Nach diesen Vorbereitungen untersuchen wir, welche regulären und halb-regulären Polyeder
vom Geschlecht Null möglich sind. Hierbei kommt es nicht auf metrische Unterschiede an.
Definition 5.3.7 Zwei Polyeder P und P 0 vom Geschlecht Null heißen äquivalent, wenn
es eine 1-1-Zuordnung der Flächen, Kanten und Ecken von P und P 0 gibt mit folgenden
Eigenschaften:
5
ERGÄNZUNGEN
129
a) einander entsprechende Flächen haben dieselbe Anzahl von Ecken;
b) zwei Flächen mit gemeinsamer Kante entsprechen Flächen mit ebenfalls gemeinsamer
Kante;
c) zwei Kanten mit einer gemeinsamen Ecke entsprechen Kanten mit ebenfalls einer gemeinsamen Ecke.
Zueinander äquivalente Polyeder bilden eine Klasse. Es kommt also auf die konkreten metrischen Eigenschaften bei Elementen aus einer Klasse nicht an. Die Polyeder erhalten den
Zusatz quasi“.
”
Definition 5.3.8 Ein Polyeder heißt quasi-regulär, wenn zu jeder Ecke genau r Polygone
gehören und jede Fläche ein s-Eck ist (r, s ≥ 3 - konstant).
Bestehen die Flächen aus regelmäßigen s-Ecken, dann nennen wir das Polyeder regulär.
Satz 5.3.9 Es gibt genau 5 verschiedene reguläre Polyeder.
Beweis Mit den Bezeichnungen aus (5.B) gilt:
e = er ,
f = fs
e = er =
2k
r
und
2k = r · er = s · fs ,
also
und f = fs =
2k
s
Aus der Eulerschen Polyederformel (5.C) ergibt sich
2
2
−1+
·k =2
e−k +f=
r
s
und hieraus
2
1
1
1
1
1
≥ + = + >
min(r, s)
r
s
2
k
2
⇒
min(r, s) = 3
1
1 1
1
> − =
max(r, s)
2 3
6
⇒
⇒
max(r, s) ≤ 5.
Damit verbleiben folgende 5 Möglichkeiten:
r
s
e
k
f
reguläres Polyeder
bei Platon
3
3
4
6
4
Tetraeder
Feuer
3
4
8
12
6
Würfel
Erde
4
3
6
12
8
Oktaeder
Luft
3
5
20
30
12
Dodekaeder
Himmelsäther
5
3
12
30
20
Ikosaeder
Wasser
5
ERGÄNZUNGEN
130
Definition 5.3.10 Lässt man die Anzahl s der Ecken der auftretenden Polygone variabel zu
und lässt r konstant, d.h. zu jeder Ecke gehören genau r Flächen, dann heißt das Polyeder
halbregulär oder archimedischer Körper.
Man erkennt, dass die Struktur der Ecken den Charakter eines Polyeders maßgeblich bestimmt.
Definition 5.3.11 Eine Ecke E mit den angrenzenden Randflächen (Polygonen) nennen wir
Stern von E: stP E.
Daher ist ein Polyeder halbregulär, wenn sämtliche Sterne zueinander äquivalent sind und
aus regelmäßigen Polygonen bestehen.
Wir stellen nun die (regelmäßigen) archimedischen Körper zusammen.
1. Prismen
Sei n ≥ 3 und Pn das Prisma mit einem regulären n-Eck als Grund- und Deckfläche
⇒
∀ n ≥ 3 ist Pn ein archimedischer Körper
2. Antiprismen
Wir drehen die Deckfläche von Pn um den Winkel π/n um den Mittelpunkt, verbinden
die Ecken von Grund- und Deckfläche zickzackweise und erhalten Pn∗
⇒
∀ n ≥ 3 ist Pn∗ ein archimedischer Körper
5
ERGÄNZUNGEN
131
3. Wir schneiden bei jedem regulären Polyeder auf 1/3 der Kantenlänge eine Ecke ab und
erhält 5 abgestumpfte Polyeder, die sämtlich archimedische Körper sind.
4. Wir schneiden bei jedem regulären Polyeder die Ecken in der Kantenmitte ab und
erhalten
Tetraeder −→ Tetraeder (kein neues Polyeder)
Würfel, Oktaeder −→ Kuboktaeder
Dodekaeder, Ikosaeder −→ Ikosidodekaeder
5. Durch weitere Abschneidungsprozesse erhält man sechs weitere archimedische Körper
5
ERGÄNZUNGEN
132
Vergleichbar wie in Satz 5.3.9 lässt sich zeigen, dass dieses sämtliche archimedische Körper
sind. Wir stellen die Ergebnisse zusammen und verweisen auf die Rechnungen in [22], Abschnitt 5.
5
ERGÄNZUNGEN
133
In der folgenden Tabelle bezeichnet:
fi die Anzahl der Flächen mit ni Ecken bzw. Kanten (i = 1, 2, 3) und
ei die Anzahl der Ecken mit ni Kanten (i = 1, 2, 3).
Nr.
n1
n2
n3
f1
f2
f3
e
k
f
Bezeichnung
1.
4
n
-
n
2
-
2n
3n
n+2
2.
6
3
-
4
4
-
12
18
8
abgestumpftes Tetraeder
3.
6
4
-
8
6
-
24
36
14
abgestumpftes Oktaeder
4.
6
5
-
20
12
-
60
90
32
abgestumpftes Ikosaeder
5.
8
3
-
6
8
-
24
36
14
abgestumpfter Würfel
6.
10
3
-
12
20
-
60
90
32
abgestumpftes Dodekaeder
7.
3
n
-
2n
2
-
2n
4n
2n+2
archimedisches Antiprisma
8.
4
3
-
18
8
-
24
48
26
Rhombenkuboktaeder
9.
3
4
-
8
6
-
12
24
14
Kuboktaeder
10.
3
5
-
20
12
-
30
60
32
Ikosidodekaeder
11.
3
4
-
32
6
-
24
60
38
abgeschrägter Würfel
12.
3
5
-
80
12
-
60
150
92
abgeschrägtes Dodekaeder
13.
4
6
8
12
8
6
48
72
26
abgestumpftes Kuboktaeder
14.
4
6
10
30
20
12
120
180
62
abgestumpftes Ikosidodekaeder
15.
4
3
5
30
20
12
60
120
62
Rhombenikosidodekaeder
archimedisches Prisma
5
ERGÄNZUNGEN
5.4
134
Anschauliche Topologie - Graphen
In einer weiteren Ergänzung werden einige Aussagen zur anschaulichen Topologie und elementaren Graphentheorie zusammengestellt.
Definition 5.4.1 a) Ein Netz (E, K) besteht aus einer Menge E von Ecken und K von
Kanten, die die Ecken verbinden. Von jeder Ecke geht mindestens eine Kante aus; jede
Kante endet in 2 (nicht notwendig verschiedenen) Ecken.
b) Sind die beiden Ecken einer Kante gleich, dann ist dieses ein Schlinge.
c) Die Anzahl der Kanten, die an einer Ecke ankommen, heißt die Ordnung der Ecke. Eine
Schlinge wird dabei zweimal gezählt. Eine Ecke heißt gerade oder ungerade, jenachdem
ob die Ordnung gerade oder ungerade ist.
d) (E, K) heißt zusammenhängend, wenn sich je zwei Ecken durch einen Kantenzug verbinden lassen. Eine Kante heißt eine Brücke, wenn durch Wegfall dieser Kante ein
zusammenhängender Teil des Netzes zerfällt.
e) Ein Kantenzug, in dem alle Kanten verschieden sind, heißt ein Weg. Sind Anfangs- und
Endpunkt gleich, dann heißt der Weg geschlossen, andernfalls offen.
f ) Ein Weg, der alle Kanten von (E, K) enthält, heißt ein Euler-Weg. Ein Netz heißt
durchlaufbar, wenn es in ihm einen Euler-Weg gibt.
Problem: Wann ist ein Netz durchlaufbar?
Satz 5.4.2 In jedem Netz ist die Anzahl der ungeraden Ecken gerade.
Beweis Sei m - Anzahl der Ecken; o(i) - Ordnung der Ecke i (1 ≤ i ≤ m), n - Anzahl der
Kanten. Dann ist
m
X
o(i) = 2n - gerade
i=1
und daher die Anzahl der ungeraden o(i) ebenfalls gerade, qed.
Satz 5.4.3 Ein zusammenhängendes Netz besitzt genau dann einen Euler-Weg, wenn die
Anzahl der ungeraden Ecken ≤ 2 ist.
Zum Beweis betrachten wir 3 Fälle:
1) (E, K) besitzt keine ungeraden Ecken;
2) (E, K) besitzt zwei ungerade Ecken;
3) (E, K) besitzt mehr als zwei ungerade Ecken.
5
ERGÄNZUNGEN
135
Im 1. Fall können wir bei jeder Ankunft an einem
Knoten auch wieder eine abgehende Kante finden mit
Ausnahme höchstens beim Startpunkt. Sind wir wieder beim Ausgangspunkt angekommen und haben zwischendurch einen Teilweg ausgelassen, so wird dieser
eingefügt.
Im 2. Fall verbinden wir die beiden ungeraden Ecken durch eine Hilfskante und gehen zuerst
über diese Kante. Nach Fall 1 gibt es einen Euler-Weg mit diesem Start. Die Hilfskante wird
nach ihrem Durlaufen wieder entfernt.
Im Fall 3 kann es keinen Euler-Weg geben, da höchsten Start- und Zielpunkt ungerade sein
können, qed.
Plättbare Netze
Definition 5.4.4 (E, K) heißt plättbar oder planar genau dann, wenn man es so in der
Ebene zeichnen kann, dass sich Kanten nur in Eckpunkten schneiden ((E, K) ist Landkarte).
Der Würfel ist plättbar - planar:
Bemerkung: Nicht jedes Netz ist plättbar!
Für planare Netze bzw. Landkarten gilt der Satz von Euler, wenn wir mit f die Anzahl der
durch Kanten begrenzten Flächen einschließlich der äußeren Umgebung, mit e die Anzahl der
Ecken und mit k die Anzahl der Kanten bezeichnen:
e − k + f = 2.
Satz 5.4.5
a) Das Versorgungsnetz ist nicht plättbar.
b) Das vollständige 5-Eck ist nicht plättbar.
Beweis a) Es ist e = 6, k = 9, ⇒ f = 2 − e + k = 5.
Jede Fläche hat mindestens 4 Kanten, daher gibt es mindestens 5 · 4/2 = 10 Kanten - Widerspruch!
b) Es ist e = 5, k = 10, ⇒ f = 2 − e + k = 7.
Jede Fläche hat mindestens 3 Kanten, daher gibt es mindestens 3 · 7/2 = 21/2, also 11 Kanten - Widerspruch!
Versorgungsnetz
vollständiges Fünfeck
Es gilt allgemein der
Satz 5.4.6 (Satz von Kuratowski) Ein Netz (Graph) (E, K) ist nicht plättbar ⇐⇒ (E, K)
enthält einen dieser beiden Netze (Graphen) als Teilnetz (Teilgraph).
Als Folgerung erhalten wir die Lösung des Erbteilungsproblems: Identifizieren wir jedes Land
mit seiner Hauptstadt, dann haben je zwei Länder eine gemeinsame Grenze genau dann,
5
ERGÄNZUNGEN
136
wenn wir je zwei Hauptstädte miteinander verbinden können, ohne dass sich die Verbindungsstrecken kreuzen. Es entsteht ein vollständiges Fünfeck, das diese Bedingung nach Satz
5.4.5 b) nicht erfüllen kann!
Färbungsprobleme
Definition 5.4.7 Eine Kante des Netzes (E, K) heißt Brücke, wenn das Netz bei Entfernen
dieser Kante in 2 nicht-zusammenhängende Teile zerfällt. (E, K) heißt regulär, wenn nur
Ecken der Ordnung 3 auftreten.
Definition 5.4.8 Wir sagen, eine Landkarte (E, K) ist zulässig gefärbt, wenn je 2 Länder mit
gemeinsamer Grenze verschieden gefärbt sind. Stoßen 2 Länder lediglich in einem Eckpunkt
zusammen, zählt dieser nicht als gemeinsame Grenze.
Unter einem Färbungsproblem verstehen wir nun die Frage, wieviel Farben sind maximal
erforderlich, um eine Landkarte zulässig zu färben. Wir werden zeigen, dass hierfür stets 5
Farben ausreichend sind (Fünffarbensatz). Mit 3 Farben kommt man nicht aus (Beispiel?); 4
Farben sind jedoch tatsächlich ausreichend. Der Beweis hierzu übersteigt jedoch die Möglichkeiten dieser Vorlesung erheblich.
Zur Vorbereitung für den Beweis des Fünffarbensatzes beweisen wir zwei Lemmata.
Lemma 5.4.9 Für den Beweis des Fünffarbensatzes bedeutet es keine Einschränkung, wenn
gefordert wird, dass die Landkarte
a) zusammenhängend und brückenfrei ist;
b) schlingenfrei ist;
c) auf beiden Seite einer Kante dasselbe Land nicht zugelassen ist;
d) regulär ist.
Beweis a) Ist die Landkarte nicht zusammenhängend bzw. nicht brückenfrei, wird zunächst
das Äußere bzw. das Land, in dem die Brücke liegt, gefärbt und anschließend jeder verbleibende Teil mit den restlichen Farben.
b) Für die Schlinge wählen wir eine Farbe, die von dem Land verschieden ist, in dem die
Schlinge liegt.
c) Liegt auf beiden Seiten einer Kante dasselbe Land, können wir diese Kante zur Bearbeitung unseres Problems weglassen.
d) Wenn wir eine Ecke haben, an der mehr als 3
Länder zusammen stoßen (L1 , L2 , . . .), fügen wir
ein Hilfsland“ H ein. Wenn nun H, L1 , L2 , . . .
”
zulässig gefärbt sind, lassen wir anschließend H
wieder weg und behalten eine zulässige Färbung,
qed.
Lemma 5.4.10 In jeder brücken- und schlingenfreien, regulären Landkarte gibt es mindestens 3 Länder mit höchstens 5 Grenzen.
5
ERGÄNZUNGEN
137
Beweis Sei fi die Anzahl der Länder mit i Grenzen. Dann ist
f = f1 + f2 + . . . + fi + . . . ,
e = e1 + e2 + . . . + ei + . . . ,
2k = 3e
und
1 · f1 + 2 · f2 + . . . + i · fi + . . . = 2 · k = 1 · e1 + 2 · e2 + . . . + i · ei + . . .
sowie
e−k+f =2 |·6
also
6e − 6k + 6f = 12
⇒ 4k − 6k + 6f = 12 ⇒ 6f = 12 + 2k
⇒ 6(f1 + f2 + . . .) = 12 + 1 · f1 + 2 · f2 + . . .
⇒ 5 · f1 + 4 · f2 + 3 · f3 + 2 · f4 + f5 = 12 + f7 + 2 · f8 + . . . ≥ 12
⇒ 5 · (f1 + f2 + f3 + f4 + f5 ) ≥ 12
also
f1 + f2 + f3 + f4 + f5 ≥
12
= 2, 4
5
und damit f1 + f2 + f3 + f4 + f5 ≥ 3,
qed.
Satz 5.4.11 (5-Farben-Satz) Jede ebene (reguläre, brücken- und schlingenfreie) Landkarte
kann mit 5 Farben zulässig gefärbt werden.
Beweis Induktion über die Anzahl n der Länder:
n ≤ 5 ⇒ Aussage klar!
Sei n > 5 und angenommen, die Aussage gilt für alle Landkarten mit weniger als n Ländern.
Beweisprinzip:
- Landkarte um ein Land reduzieren durch öffnen einer geeigneten Grenze
- Induktionsvoraussetzung anwenden
- Grenze wieder schließen
Wegen Lemma 5.4.11 gibt es ein Land mit höchstens 5 Grenzen. Sei L dieses Land mit k ≤ 5
Grenzen.
1) k = 1
Schlinge - ausgeschlossen!
2) k = 2
L1 = L2 ⇒ auf beiden Seiten k1 und k3 liegt dasselbe
Land, was nach Lemma 5.4.9 c) ausgeschlossen ist.
⇒ L1 6= L2
⇒ k2 weglassen, färben, k2 wieder hinzufügen und L
so färben, dass die Färbung unterschiedlich zu L1 und
L2 ist!
5
ERGÄNZUNGEN
138
3) k = 3
L1 6= L2 6= L3 , da etwa L1 = L2 ausgeschlossen nach
Lemma 5.4.9 c); k - weglassen
⇒ 3 Länder färben, k - dazu ⇒ 4. Farbe für L
4) k = 4
Sind die Länder L1 , L2 , L3 , L4 paarweise verschieden
(L1 6= L2 6= L3 6= L4 ), haben wir dieselbe Situation
wie im Fall k = 3
Sei etwa L1 = L3 , Dann ist L2 6= L4 , denn ein geschlossener Kantenzug von P1 zu P3 durch L1 = L3
und dann von P3 zu P1 durch L trennt die Länder L2
und L4 .
Öffnen wir nun k2 , erhalten wir n − 1 Länder, die mit 5 Farben zulässig färbbar sind.
Für L1 , L2 , L3 = L1 , L4 benötigen wir 3 Farben und eine 4. Farbe nach Schließen von
k2 für L.
4) k = 5
a) L1 = L3 :
Dann ist wie im Fall k = 4: L2 6= L4 und
L2 6= L5 . Öffnen wir nun k2 , erhalten wir n − 1
Länder, die mit 5 Farben zulässig färbbar sind.
Für L1 , L2 , L3 = L1 , L4 , L5 benötigen wir jetzt
4 Farben und eine 5. Farbe nach Schließen von
k2 für L.
b) Sind die Länder L1 , L2 , L3 , L4 , L5 paarweise verschieden (L1 6= L2 6= L3 6= L4 6=
L5 ), können nicht alle aneinander grenzen (siehe Erbteilungsproblem), etwa L1
und L3 haben keine gemeinsame Grenze. Entfernen wir nun die Grenzen k1 und
k3 , ergeben sich n − 2 Länder, die mit 5 Farben zulässig färbbar sind. Für L∗ =
L1 ∪ L ∪ L3 , L2 , L4 , L5 benötigen wir 4 Farben, die 5. Farbe erhält L, nachdem
wir k1 und k3 wieder geschlossen haben, qed.
5
ERGÄNZUNGEN
5.5
139
Planetenbewegungen
In diesem Abschnitt wollen wir auf der Grundlage der Newtonschen Gesetze (Sir Isaac Newton, 1643 - 1727) die Keplerschen Gesetze (Johannes Kepler, 1571 - 1630) der Planetenbewegung mit elementargeometrischen Mitteln herleiten. Der historische Weg verlief allerdings
umgekehrt. Newton hat sich bei seinen Gesetzen auf die empirisch gewonnenen Gesetze von
Kepler gestützt und danach auf dieser Grundlage die Keplerschen Gesetze bestätigen können.
Wir stützen uns auf die Ausführungen des Physikers Richard Feynman (1918 - 1988, Nobelpreis 1965), die in dem Erzählband [14] nachzulesen sind. Selbstverständlich kommt man
auch hier nicht ohne Grenzübergänge aus und damit halten die Differential- und Integralrechnung über die Hintertür Einzug. Der hier gewählte Weg hat jedoch den Vorteil, dass
nicht erst der gesamte Kalkül der Infinitesimalrechnung bereit gestellt werden muss, sondern
dem Schüler (anschaulich) klar gemacht werden kann, warum die konkreten Grenzübergänge
erforderlich sind und was diese zur Folge haben.
Newtons Gesetze
(I) Jeder Körper verharrt in seinem Zustand der Ruhe oder der gleichförmig geradlinigen
Bewegung, solange die Summe aller auf ihn wirkenden Kräfte Null ist.
(II) Die Änderung der Bewegung einer Masse ist der Einwirkung der bewegenden Kraft
proportional und geschieht nach der Richtung derjenigen geraden Linie, nach welcher
jene Kraft wirkt.
(III) Kräfte treten immer paarweise auf. Übt ein Körper A auf einen anderen Körper B eine
Kraft aus (actio), so wirkt eine gleichgroße, aber entgegengesetzte Kraft von Körper B
auf Körper A (reactio).
Eng mit den Keplerschen Gesetzen ist das Newtonsche Gravitationsgesetz verbunden. Danach
ist der Betrag der Anziehungskräfte FG zwischen zwei Körpern mit den Massen m und M
und der Entfernung R ihrer Massenmittelpunkte
FG = G ·
m·M
,
R2
wenn G die Gravitationskonstante ist. Newton nutzte die Keplerschen Gesetze für sein Gravitationsgesetz; wir gehen hier den umgekehrten Weg und verwenden die Proportionalität
F ∼
1
.
R2
Keplers Gesetze der Planetenbewegung
(1) Die Planeten bewegen sich auf ellipsenförmigen Bahnen, in deren einem Brennpunkt
die Sonne steht.
(2) Die Verbindungsstrecke Sonne-Planet überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächenstücke.
(3) Die zweiten Potenzen der Umlaufzeiten der Planeten sind proportional zu den dritten
Potenzen der großen Halbachsen der (elliptischen) Umlaufbahn.
Keplers 2. Gesetz
5
ERGÄNZUNGEN
140
Die Verbindungsstrecke Sonne-Planet überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächenstücke.
Sei S die Sonne und ein Planet p sei in einem (hinreichend kleinen) Zeitintervall von A nach
B gekommen. Wirkt keine Kraft auf p, würde sich dieser in einem gleichen Zeitintervall nach
dem I. Newtonschen Gesetz geradlinig zum Punkt C 0 bewegen mit AB ∼
= BC 0 . Durch die
Gravitation kommt eine Komponente in Richtung S hinzu, so dass der Planet nach dem
zweiten Zeitintervall tatsächlich den Punkt C erreicht. Wir nehmen der Einfachheit halber
an, dass diese Kraft konzentriert am Punkt B in Richtung Sonne wirkt und die (Bewegungs−−→
)komponente BV vom Punkt B in Richtung S ergibt.
Aus dem Parallelogramm BC 0 CV ergibt
sich die resultierende
(tatsächliche)
Bewe−−→
gung BC des Planeten.
Behauptung 5.5.1 Die Dreiecke
4(SAB)
und
4(SBC)
haben gleichen Flächeninhalt:
α(4(SAB)) = α(4(SBC)).
In nebenstehender Skizze sei B 0 der Lotfußpunkt des Lotes von A auf die Gerade gSB und B 00 der entsprechende Fusspunkt des Lotes von C 0 auf gSB . Wegen
AB ∼
= BC 0 und ](ABB 0 ) ∼
= ](C 0 BB 00 )
haben die Dreiecke 4(SAB) und 4(SBC)
kongruente Höhen und dieselbe Grundlinie SB, also gleiche Flächen.
Das 2. Keplersche Gesetz erhält man nun, indem man zwei beliebig vorgegebene, gleich grosse Zeitintervalle ∆t in hinreichend kleine Teilintervalle ∆t/n (n 0) aufteilt und damit die
vom Strahl Sonne-Planet überstrichenen Flächen durch die Summe von n Dreiecksflächen, die
nach obiger Behauptung 5.5.1 sämtlich den gleichen Inhalt haben, mit beliebiger Genauigkeit
angenähert wird. Die exakten Flächen erhalten wir für n −→ ∞.
Keplers 1. Gesetz
Die Planeten bewegen sich auf ellipsenförmigen Bahnen, in deren einem Brennpunkt
die Sonne steht.
Wir teilen die Planetenbahn in äquidistante Winkelabschnitte auf und untersuchen den Verlauf des Geschwindigkeitsvektors als Tangentialrichtung der Planetenbahn. Die Planetenbahn
ist dann die Hüllkurve der Tangentenschar. Wir werden sehen, dass dieses für Planeten eine
Ellipse ist, bei schnell“ fliegenden Himmelskörpern eine Parabel oder Hyperbel.
”
5
ERGÄNZUNGEN
141
Wir betrachten zunächst Bahnsegmente mit gleichem Winkel
im Zentrum und beweisen
Lemma 5.5.2 Für kleine Winkel verhalten sich die Flächen
mit gleichem Winkel im Zentrum
wie die Quadrate der mittleren“
”
Abstände zur Umlaufbahn.
Beweis Wir legen die beiden Dreiecke übereinander und erhalten nebenstehendes Bild. Wir wählen
eine Parallele g(X 0 , W 0 ) zu g(G, H) derart, dass die
Flächen der Dreiecke 4(E 0 W W 0 ) und 4(E 0 XX 0 ) gleichen Inhalt haben, also auch
α(4(SXW )) = α(4(SX 0 W 0 )).
Ist nun R = |SE| und R0 = |SE 0 |, dann ergibt sich aus dem Strahlensatz
α(4(SGH)) : α(4(SX 0 W 0 )) = R2 : R02
= α(4(SGH)) : α(4(SXW )).
Für kleine Winkel ](GSH) bzw. ](XSW ) können wir R und R0 als mittleren Abstand des
Planeten vom Zentrum ansehen, qed.
Hieraus folgt:
Nach dem 2. Keplerschen Gesetz überstreicht ein Strahl Sonne-Planet in gleichen Zeiten
gleiche Flächen, also gilt für ein Zeitintervall ∆t die Proportionalität
∆t ∼ Flächenabschnitt (mit konstantem Winkel θ) ∼ R2 .
Andererseits ist wegen F ∼
∆v ∼
∆v
∆t ,
also ∆v ∼ F · ∆t und F ∼
1
R2
1
· R2 = 1,
R2
also ist der Betrag ∆v von ∆~v konstant, wenn der Strahl Sonne-Planet gleiche Winkel überstreicht.
Wir zerlegen die Umlaufbahn des Planeten um die Sonne in n gleiche Winkelabschnitte der
Größe Θ = 2π
n , n 0. Dann haben wir
5
ERGÄNZUNGEN
a) im Ortsdiagramm
Zwei aufeinander folgende Vektoren ∆~vj
und ∆~vk schließen denselben Winkel Θ
ein und haben dieselbe Länge. Ordnen wir
diese wie in nebenstehendem Geschwindigkeitsdiagramm an, bilden Anfangs- und
Endpunkte der ∆~vj für einen Umlauf ein
regelmäßiges n-Eck. Das Zentrum S ∗ ist
jedoch nicht der Mittelpunkt des n-Ecks
bzw. des Umkreises.
Zeichnen wir die Vektoren vom Mittelpunkt
des Umkreises zu den
Ecken, erhalten wir
Strahlen, bei denen
benachbarte Strahlen
gerade den Winkel
Θ = 2π
n einschließen:
142
b) im Geschwindigkeitsdiagramm
5
ERGÄNZUNGEN
143
Drehen wir den
Kreis um 90◦ im
Uhrzeigersinn,
erhalten wir als
Tangentenrichtung
die Mittelsenkrechte
der Strecke S ∗ P :
Lassen wir P den Kreis durchlaufen, also den Planeten die Sonne umkreisen, entsteht als
Hüllkurve der Tangenten eine zur Planetenbahn parallele Kurve, hier eine Ellipse. Um die
tatsächliche Bahn zu erhalten, also etwa den zweiten Brennpunkt und einen Bahnpunkt zu
bestimmen, kommt man ohne konkrete Messungen nicht aus.
Wir müssen noch zeigen, dass sich als Hüllkurve tatsächlich eine Ellipse bzw. allgemein ein
Kegelschnitt ergibt. Wir behandeln zunächst den Fall der Ellipse und erinnern an die Definition:
Definition 5.5.3 Die Ellipse ist der geometrische Ort aller der Punkte der Ebene ε, für die
die Summe der Abstände zu zwei festen Punkten F1 und F2 , den Brennpunkten, konstant
gleich 2a ist.
Die Menge der Punkte X ∈ ε, für die |F1 X|+|F2 X| < 2a ist, heißt das Innere der Ellipse und
die Menge der Punkte X ∈ ε, für die |F1 X| + |F2 X| > 2a ist, heißt das Äußere der Ellipse.
Eine Gerade g heißt Tangente an die Ellipse im Punkt Y , wenn Y ∈ g und alle anderen
Punkte X ∈ g, X 6= Y , äußere Punkte für die Ellipse sind, für die also |F1 X| + |F2 X| > 2a
ist.
Um die Tangente im Punkt Q der Ellipse zu konstruieren, verlängern wir den
Strahl F2 Q über den Punkt Q hinaus um
die Strecke F1 Q bis zum Punkt P . Das
Dreieck 4(F1 QP ) ist gleichschenklig, das
Mittellot m auf F1 P halbiert den Winkel
](F1 QP ).
Für einen Punkt X ∈ m, X 6= Q ist
|F2 X| + |F1 X| = |F2 X| + |XP | > |F2 P | = 2a,
also liegt m bis auf den Berührpunkt Q ganz außerhalb der Ellipse und ist daher Tangente.
5
ERGÄNZUNGEN
144
Für unser Problem der Planetenbahn vertauschen wir die Rolle von F1 und F2 und
erhalten nebenstehendes Bild. Durchläuft
der Punkt P den Kreis mit Mittelpunkt
M und Radius 2a, dann durchläuft Q als
Schnittpunkt der Mittelsenkrechten von
S ∗ P mit der Geraden g(M, P ) eine Ellipse.
Damit ist Q auch gleichzeitig der Berührpunkt des Tangentenvektors ~vP mit der
Geraden g(M, P ).
Entsprechende Tangentenkonstruktionen finden wir für die Hyperbel (Differenz der Abstände
ist dem Betrag nach konstant = 2a) und die Parabel (fällen das Lot von Q auf die Leitgerade,
die Länge des Lotes ist gleich dem Abstand von Q zum Brennpunkt F ). Wir erhalten dann
folgende Tangentenkonstruktionen:
a) Hyperbel
b) Parabel
Bemerkung 5.5.4
a) Die Punkte S ∗ und M sind die Brennpunkte der Ellipse.
b) Die Ellipse wird flacher, je näher S ∗ an der Kreislinie liegt (Komet Halley); sie wird
einem Kreis ähnlicher, je mehr S ∗ und M zusammenrücken (Planetenbewegungen).
c) Liegt S ∗ außerhalb des Kreise, erhält man die Differenz der Strecken F1 P und F2 P und
daher als Bahnkurve eine Hyperbel (der Himmelskörper fliegt an der Sonne vorbei).
Keplers 3. Gesetz
Die zweiten Potenzen der Umlaufzeiten der Planeten sind proportional zu den dritten
Potenzen der großen Halbachsen der (elliptischen) Umlaufbahn.
Auch das 3. Keplersche Gesetz lässt sich mit vergleichbaren elementargeometrischen Mitteln
herleiten wie die ersten beiden Gesetze. Hierzu benötigen wir den Flächeninhalt einer Ellipse
5
ERGÄNZUNGEN
145
mit den Halbachsen a und b:
AEllipse = π · a · b,
der im Schulunterricht nicht vorkommt. Man kann die Formel jedoch plausibel aus dem
Flächeninhalt des Kreises, etwa mit dem Radius a herleiten:
AKreis = π · a2 = π · a · b.
Führen wir eine Orthogonalstreckung in Richtung der
y-Achse mit dem Faktor ab aus:
y=
b ∗
y ,
a
b
x = x∗ ,
a
-e
e
erhalten wir
b
A∗Kreis = π · a · ( a) = π · a · b = AEllipse .
a
Dieses Ergebnis erhält man auch unmittelbar aus der Integraldarstellung des Flächeninhalts:
Für den Kreis ergibt sich aus
p
x2 + y 2 = a2 , also y = a2 − x2 für y ≥ 0
die Fläche
ap
Z
a2 − x2 dx,
AKreis = 4 ·
0
und entsprechend für die Ellipse aus
x2
y2
+
= 1,
a2
b2
also
y=
b p 2
· a − x2
a
für y ≥ 0
die Fläche
Z
AEllipse = 4 ·
0
a
b p 2
b
· a − x2 dx = · AKreis = π · a · b.
a
a
Ist nun T die Umlaufzeit des Planeten um die Sonne, so hat nach dem 2. Keplerschen Gesetz
der Strahl von der Sonne zum Planeten im Zeitabschnitt ∆t das Flächenstück
π·a·b
· ∆t
T
überstrichen.
Wir betrachten nun die Geschwindigkeit des Planeten in zwei Scheiteln der Bahnkurve und
bezeichnen diese mit v~1 und v~2 und den Beträgen vi = |~vi |, (i = 1, 2).
Im Scheitelpunkt der großen Halbachse haben wir für
die überstrichene Fläche im Zeitintervall ∆t (∆t klein,
a > b, e2 = a2 − b2 )
1
π·a·b
(a − e)∆s ≈
· ∆t
2
T
nach dem 2. Keplerschen Gesetz und daher
∆s
2π · a · b
≈
= v1
∆t
(a − e)T
(für ∆t → 0).
v1
Ds
a-e
5
ERGÄNZUNGEN
146
(In den Skizzen ist ∆s = Ds und v1 bzw. v2 für v~1 und v~2 !)
h P
Im Scheitelpunkt der kleinen
Halbachse haben wir für die
überstrichene Fläche im Zeitintervall ∆t (∆t klein)
R
v2
Q
Ds
hP
Q
R
Ds
a
1
π·a·b
a·h≈
· ∆t
2
T
O
b
S
bzw.
O
2π · b
h
≈
.
∆t
T
Flächenstück
Wegen der Ähnlichkeit der Dreiecke
h
b
= ,
∆s
a
also
4(SOQ)
S
ähnliche Dreiecke
∼ 4(QP R) (rechte Winkel bei O bzw. P ) gilt
h
b ∆s
= ·
∆t
a ∆t
und daher
2π · b
h
b ∆s
≈
= ·
T
∆t
a ∆t
für ∆t → 0,
d.h. v2 = 2π·a
T .
Im Ergebnis haben wir für die Geschwindigkeiten v1 und v2 des Planeten in den Scheitelpunkten der Umlaufbahn erhalten:
v1 =
2π · a · b
(a − e)T
und v2 =
2π · a
.
T
Wir betrachten nun den Geschwindigkeitskreis mit
dem Radius q und erhalten die einfache Beziehung
(v1 − q)2 + v22 = q 2
Dq
oder v12 − 2v1 q + v22 = 0
q
v1
M
und daraus
q=
q
v12 + v22
.
2v1
S*
v2
Einsetzen der obigen Ausdrücke für v1 und v2 ergibt
(∆θ ist Dq!)
π·a
q=
·
T
b2
+
(a−e)2
b
a−e
1
π·a
=
·
T
b2
(a−e)
+ (a − e)
b
=
π · a (a + e) + (a − e)
2π · a2
·
=
T
b
T ·b
wegen b2 = (a − e)2 = (a + e)(a − e).
Aus ∆v ≈ q · ∆Θ (= Länge des Kreisbogens) erhalten wir
∆v
2π · a2
≈q=
.
∆Θ
T ·b
Wir zerlegen die Umlaufbahn in n winkelgleiche Abschnitte (n 0), wobei der Teilungspunkt
Pi auf der Umlaufbahn den Abstand ri von der Sonne hat, und bi die Beschleunigung des
5
ERGÄNZUNGEN
147
Planeten im Punkt Pi sei (i = 1, . . . , n, P0 = Pn ). Dann ist ∆Θ =
Newtonschen Gesetz und dem Gravitationsgesetz
m · bi = G ·
wobei
M
m
~r
G
Weiterhin ist
-
m·M
ri2
2π
n
und nach dem 2.
(i = 0, 1, . . . , n),
Masse der Sonne
Masse des Planeten
Vektor von der Sonne zum Planeten
Gravitationskonstante.
∆v
∆v ∆Θ
M
=
≈ bi = G · 2
·
∆ti
∆Θ ∆ti
ri
und
∆v
≈ q,
∆Θ
also
ri2 ·
∆Θ
G·M
G·M ·T ·b
=: c − konstant
≈
=
∆ti
q
2π · a2
und daher
r2
∆ti
≈ i.
∆Θ
c
Den Inhalt Ai (∆Θ) des (kleinen) Flächensegments Pi SPi+1 mit dem Winkel ∆Θ = ](Pi SPi+1 )
nähern wir durch einen Kreisbogen mit dem Radius ri und dem Winkel ∆Θ an:
Ai (∆Θ) ≈ (π · ri2 ) ·
∆Θ
1
= ri2 · ∆Θ.
2π
2
Für die Gesamtfläche A(2π) ergibt sich dann
A(2π) ≈
n
X
1
i=1
2
ri2 · ∆Θ.
Entsprechend erhält man für die Umlaufzeit T
T =
n
X
i=1
∆ti =
n
n
X
X
ri2
∆ti
· ∆Θ ≈
· ∆Θ,
∆Θ
c
i=1
i=1
und daher für ∆Θ → 0 bzw. n → ∞
2 · AEllipse = c · T
oder auch
2π · a · b =
Dieses liefert das 3. Keplersche Gesetz
a3
G·M
=
= const.
2
T
4π 2
G·M ·T ·b
· T.
2π · a2
LITERATUR
148
Literatur
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der exakten Wissenschaften, Band 235)
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[11] Efimow, N.W.; Höhere Geometrie, Deutscher Verlag der Wissenschaften Berlin 1960
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(Undergraduate Texts in Mathematics)
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