Manuskript zur Vorlesung Axiomatische Geometrie gehalten an der U n i v e r s i t ä t Rostock von Prof. Dr. Dieter Neßelmann Rostock, April 2009 Fassung vom 22. Februar 2010 Inhaltsverzeichnis 0 Einführung 1 Axiomatischer Aufbau 1.1 Axiome der Inzidenz und Anordnung . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Axiome der Kongruenz, Dreiecksgeometrie . . . . . . . . . . . 1.3 Axiome der Stetigkeit, Längenmessung . . . . . . . . . . . . . 1.4 Parallelenaxiom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Axiomatik des Raumes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit des Axiomensystems 1 . . . . . . 4 4 12 25 29 31 33 2 Euklidische Geometrie 2.1 Strahlensätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Flächeninhalt und Flächenmaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Volumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 36 47 61 3 Abbildungen als Ordnungsprinzip 3.1 Bewegungen und Ähnlichkeiten der Ebene . . . . . . . . . . . 3.2 Affinitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Bewegungen des euklidischen Raumes Ω . . . . . . . . . . . . 3.4 Projektionen und Projektivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Doppelverhältnis und Schnittpunktsätze (Desargues, Pascal) . 3.6 Zentralkollineationen und projektive Ebene . . . . . . . . . . 67 67 71 76 79 84 90 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Nicht-euklidische Geometrien 92 4.1 Neutrale Geometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 4.2 Poincaré-Modell der hyperbolischen Geometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 4.3 Sphärische Geometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 5 Ergänzungen 5.1 Kreisgeometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Geometrie über Körpern, Konstruierbarkeit . . . . . . . . . . 5.3 Eulersche Polyederformel, reguläre und halbreguläre Polyeder 5.4 Anschauliche Topologie - Graphen . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Planetenbewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 117 122 127 134 139 0 0 EINFÜHRUNG 1 Einführung Die Geometrie als ältester und eindrucksvollster Teil der Mathematik geht auf die Babylonier und Ägypter zurück, die durchweg anwendungsorientiert waren (Landvermessung u.a.). Die Griechen haben sie dann vor ca. 2500 Jahren zu einer abstrakten Wissenschaft entwickelt und damit ihre Eigenständigkeit ermöglicht. Euklid (325? - 270? vor Christus) fasste das damalige Wissen in den 13 Büchern Elemente“ [1] zusammen und schuf erstmals ein Axio” mensystem, mit dem ein abstrakter Aufbau ermöglicht wurde. Dieses Axiomensystem ist in weiten Teilen heute noch gültig. Ursprünglich war die Geometrie die Lehre von den Eigenschaften der Figuren, unabhängig von deren Lage in der Ebene oder im Raum - synthetische Geometrie“. René Descartes ” (1596-1650) führte Koordinatensysteme ein und gelangt so zur Beschreibung geometrischer Objekte durch Zahlentupel - analytische Geometrie“. ” David Hilbert (1862-1943) hat erstmals das Axiomensystem von Euklid überarbeitet und in seinen Grundlagen der Geometrie“ [2] das Euklidische Axiomensystem neu gefasst, das ” wir heute als Hilbertsches Axiomensystem“ kennen: ” 1) Gegeben sind gewisse Objekte, nennen wir sie Punkte, Geraden, Ebenen, . . . 2) Wir haben gewisse Begriffsbildungen - Definitionen 3) Axiome weisen diesen Objekten Eigenschaften zu, die Struktur, Reichhaltigkeit und Symmetrien der Geometrie bestimmen. Philosophisch gesehen ist dieses eine indirekte Definition für die Objekte, nachdem alle Versuche einer direkten Definition fehlgeschlagen sind! 4) Durch logisch richtige Schlüsse werden aus Axiomen und bereits hergeleiteten Aussagen (Sätze) neue Aussagen (Sätze) hergeleitet, die dann in diesem System wahr sind. Eine moderne, gründliche und umfassende Aufarbeitung erfuhr die axiomatische Geometrie durch Robin Hartshorne in seinem Buch Geometry: Euclid and beyond“ [3]. ” Je nachdem, welche Axiome zugelassen werden, erhalten wir etwa folgendes Schema von Geometrien, die von oben nach unten gesehen reichhaltiger werden. 0 EINFÜHRUNG 2 Ein anderer Zugang zu unterschiedlichen Geometrien erfolgt über das Erlanger Programm von Felix Klein (1849-1925). Klein schlägt vor, die Geometrien entsprechend ihrer zugehörigen Automorphismengruppe zu klassifizieren: - Automorphismen: 1-1-Abbildung des Raumes auf sich; - Verknüpfung: Hintereinanderausführung =⇒ man erhält eine Gruppe, die Automorphismengruppe; - charakterisierende Eigenschaften einer Geometrie sind nun diejenigen, die bei allen Automorphismen invariant bleiben; - geht man von einer Gruppe zu einer Untergruppe =⇒ man erhält mehr Invarianten und die Geometrie wird reichhaltiger. Für die obige Übersicht bedeutet dieses: • affine Geometrie - affine Abbildungen; Invarianten: Gerade −→ Gerade; • euklidische Geometrie - Ähnlichkeitsabbildungen; Invarianten: Gerade −→ Gerade, Winkel (ϕ(α) = α als Maßzahl); Untergruppe: Bewegungen Invarianten: Strecken, Winkel; • projektive Geometrie: Kollineationen Invarianten: kollineare Punkte −→ kollineare Punkte Die Vorlesung behandelt einen rein axiomatischen Aufbau der Geometrie und setzt Kenntnisse der analytischen Geometrie aus den Grundlagenvorlesungen voraus. Das Vorlesungsprogramm 0 EINFÜHRUNG 3 findet sich, soweit es die euklidische Geometrie betrifft, weitgehend im Schulstoff wieder (z.B. Gymnasium M-V). 5. Klasse: Strecke, Gerade, Strahl (Inzidenz) 6. Klasse: Dreiecke, Kreise 7. Klasse: Kongruenzen, räumliche Geometrie (Prismen) 8. Klasse: Flächeninhalt, Satz des Pythagoras 9. Klasse: Ähnlichkeit, Strahlensätze, Volumina 10. Klasse: Volumen- und Oberflächenberechnungen 1 AXIOMATISCHER AUFBAU 1 4 Ein axiomatischer Aufbau der euklidischen Geometrie 1.1 Axiome der Inzidenz und Anordnung Definition 1.1.1 Sei ε eine nichtleere Menge, deren Elemente Punkte heißen (Bezeichnung A, B, C, . . .); Geraden heißen gewisse Teilmengen von ε (Bezeichnung g, h, . . .); Bewegungen sind gewisse bijektive Abbildungen von ε auf sich. Axiome weisen diesen Dingen Eigenschaften zu, die Struktur, Reichhaltigkeit und Symmetrie von ε bestimmen. Wir betrachten 5 Gruppen von Axiomen: I. Axiome der Inzidenz II. Axiome der Anordnung III. Axiome der Kongruenz IV. Axiome der Stetigkeit V. Parallelenaxiom Die Axiome der Axiomengruppen I-IV sind die Axiome der absoluten Geometrie“. ” I. Axiome der Inzidenz (Inzidenz - Ereignis, A inzidiert mit g ⇔ A liegt auf g) (I1) Zu je zwei verschiedenen Punkten A, B ∈ ε gibt es genau eine Gerade g ⊂ ε, so dass A, B ∈ g (g = g(A, B)). (I2) Auf jeder Geraden gibt es wenigsten 2 Punkte. (I3) Es gibt 3 Punkte A, B, C ∈ ε, die nicht auf einer Geraden liegen (A, B, C nicht kollinear ; A, B, C heißen kollinear :⇔ ∃ g ⊂ ε mit A, B, C ∈ g). Man kann hier schon den Begriff der Parallelität einführen. Definition 1.1.2 (Parallelität) Sind g, h ⊂ ε zwei verschiedene Geraden, dann haben g und h nach (I1) höchstens einen Punkt gemeinsam. g und h heißen parallel (gkh) :⇐⇒ entweder g ∩ h = ∅ oder g = h. Satz 1.1.3 Jede Ebene hat wenigstens 3 voneinander paarweise verschiedene Geraden. 1 AXIOMATISCHER AUFBAU 5 Beweis ∃ A, B, C ∈ ε, die nicht kollinear sind (I3) ⇒ ∃ g(A, B), g(A, C) und g(B, C) und diese sind paarweise verschieden nach (I1), qed. Modell 1: ε = {A, B, C} - 3 paarweise verschiedene Punkte Geraden: 2-er Mengen {A, B}, {A, C}, {B, C} Weniger Punkte sind nicht möglich! Modell 2: ε = {A, B, C, D} - 4 Punkte Geraden: 2-er Mengen {A, B}, {A, C}, {A, D}, {B, C}, {B, D}, {C, D} Modell 3: Punkte seien Halbkugeln H1 , H2 , H3 , H4 Je 2 Halbkugeln lassen sich zu einer Kugel zusammensetzen ⇒ Gerade. Man prüft leicht nach: (I1), (I2), (I3) erfüllt. Modell 2 und 3 sind offenbar gleichwertig. II. Axiome der Anordnung Die Punkte einer jeden Geraden g von ε stehen in einer Beziehung zueinander, die Zwischen“ ” heißt und folgenden Bedingungen genügt: (A1) Wenn A, B, C ∈ g und B zwischen A und C liegt: Zw(ABC), dann sind A, B, C paarweise verschieden und B liegt auch zwischen C und A: Zw(CBA). (A2) Zu je zwei verschiedenen Punkten A, B gibt es einen Punkt C, so dass Zw(ABC). (A3) Zu je 3 verschiedenen Punkten auf einer Geraden g gibt es genau einen, der zwischen den anderen beiden liegt. (Es ist ausreichend: höchstens“ einen zu fordern!) ” Wir können (A1), (A2), (A3) auch eleganter formulieren: (A1’) Die Punkte einer jeden Geraden bilden eine total geordnete Menge. (A2’) Es gibt auf einer Geraden keinen ersten und keinen letzten Punkt. Definition 1.1.4 (Strecke): Seien A, B ∈ ε zwei verschiedene Punkte. Dann heißt die Menge AB := {A, B} ∪ {X ∈ ε : Zw(AXB)} die Strecke AB oder auch BA. A und B sind Randpunkte, {X ∈ ε : Zw(AXB)} sind innere Punkte. 1 AXIOMATISCHER AUFBAU 6 Eine Gerade g schneidet eine Strecke AB, wenn g ∩ AB 6= 0. Um etwa die Teilung einer Ebene durch eine Gerade in zwei disjunkte Teilmengen und das Prinzip Ebene“ zu erklären, benötigt man ein weiteres Axiom: ” (A4) (Axiom von Pasch) Seien A, B, C ∈ ε nicht kollinear und g ⊂ ε eine Gerade mit A, B, C ∈ / g. Wenn g die Strecke AB schneidet, so schneidet g auch die Strecke AC oder BC, aber nicht beide. (Letzteres ist auch beweisbar!) In den folgenden Sätzen seien die Axiome der Inzidenz und der Anordnung für die betrachtete Ebene erfüllt. Satz 1.1.5 Jede Strecke hat mindestens einen inneren Punkt und damit unendlich viele. (I3) Beweis Sei AB gegeben =⇒ ∃ E ∈ / g(A, B) (A2) =⇒ ∃ F ∈ g(A, E) : Zw(AEF ) (A2) =⇒ ∃ D ∈ g(F, B) : Zw(F BD). Wegen E 6= F und g(E, D) 6= g(F, D) trifft g(E, D) nicht F B und schneidet daher AB (im Innern), qed. Satz 1.1.6 Sei g ⊂ ε eine Gerade. Dann werden die Punkte der Ebene, die nicht auf g liegen, in zwei nichtleere, disjunkte Teilmengen S1 , S2 wie folgt geteilt: a) A, B ∈ / g gehören derselben Menge (S1 oder S2 ) an ⇐⇒ AB ∩ g = ∅; b) A, C ∈ / g gehören zu verschiedenen Mengen ⇐⇒ AC ∩ g 6= ∅. S1 und S2 heißen die beiden (verschiedenen) Seiten von g, d.h. A, B liegen auf derselben Seite und A, C auf verschiedenen Seiten von g. Beweis Wir führen folgende Relation auf ε \ g ein: g ∀ A, B ∈ ε \ g gilt A ∼ B :⇐⇒ A = B oder A 6= B und AB ∩ g = ∅. g Beh: ∼ ist eine Äquivalenzrelation mit genau 2 Äquivalenzklassen. g g g Hierzu: Offenbar gilt ∀ A, B ∈ ε \ g : A ∼ A und {A ∼ B ⇒ B ∼ A}. Aufwändiger ist die Transitivität; sei A, B, C ∈ ε \ g, dann müssen wir zeigen: g g g A∼B ∧B ∼C ⇒ A∼C Sei AB ∩ g = ∅, BC ∩ g = ∅. 1 AXIOMATISCHER AUFBAU 7 Fall 1: A, B, C nicht kollinear (A4) Falls AC ∩ g 6= ∅ =⇒ g schneidet weitere Seite Widerspruch. Fall 2: A, B, C kollinear, h = g(A, B). (A2) Sei D ∈ g, D ∈ / h =⇒ ∃ E ∈ g(A, D) mit g Zw(DAE) ⇒ AE ∩ g = ∅ ⇒ A ∼ E. Nun wenden wir mehrfach Fall 1 an, da E, A, B und E, A, C nicht kollinear: (A4) (A4) (A4) AE ∩ g = ∅, AB ∩ g = ∅ =⇒ EB ∩ g = ∅; BC ∩ g = ∅ =⇒ EC ∩ g = ∅; =⇒ AC ∩ g = ∅, g d.h. A ∼ C. Wir müssen nun zeigen: ∃ genau 2 Äquivalenzklassen 1. Klasse S1 : ∃ A ∈ / g ⇒ S1 ist die Klasse [A] := {A} ∪ {X ∈ ε : AX ∩ g = ∅} 2. Klasse S2 : Sei D ∈ g wie oben (A4) =⇒ ∃ C : Zw(ADC) ⇒ C ∈ / S1 ⇒ S2 := [C] Weitere Klassen gibt es nicht: g g Beh. Sei etwa B derart, dass B C, d.h. B ∈ / S2 , =⇒ B ∼ A, d.h. B ∈ S1 . Fall 1: A, B, C nicht kollinear (A4) g AC ∩ g 6= ∅, BC ∩ g 6= ∅ =⇒ AB ∩ g = ∅ d.h. A ∼ B. Fall 2: A, B, C kollinear, h = g(A, B); wie oben ∃ D ∈ g, D ∈ / h und E ∈ g(D, A) mit g Zw(DAE) ⇒ AE ∩ g = ∅ (A ∼ E) =⇒ ((A4) für 4(EAC)) EC ∩ g 6= ∅. Im Dreieck 4(EAB): 4(EBC) gilt nach Voraussetzung BC ∩ g 6= ∅. Daher ist ebenfalls nach (A4) in (A4) g BE ∩ g = ∅ =⇒ AB ∩ g = ∅, also B ∼ A, qed. Hiermit zeigt man nun, dass ein Punkt eine Gerade in zwei disjunkte Teile zerlegt. Satz 1.1.7 Sei A ∈ g ⊂ ε ⇒ g \ {A} = S1 ∪ S2 , S1 ∩ S2 = ∅ a) B, C ∈ g auf derselben Seite“ ⇐⇒ B = C oder A ∈ / BC; ” b) B, C ∈ g auf verschiedenen Seiten“ ⇐⇒ A ∈ BC; ” Beweis Sei E ∈ / g und h = g(A, E). Dann teilt h gemäß Satz 1.1.7 die Ebene in 2 disjunkte Teilmengen S10 und S20 . Die Mengen S1 = S10 ∩ g und S2 = S20 ∩ g erfüllen die Bedingungen der Folgerung, qed. 1 AXIOMATISCHER AUFBAU 8 Mit der Aufteilung einer Ebene bzw. einer Geraden in 2 disjunkte Teilmengen (zuzüglich einer Geraden bzw. eines Punktes) haben wir die Begriffe Strahl“ und Winkel“ und den ” ” schon vorher verwendeten Begriff Dreieck“ zur Verfügung. ” Definition 1.1.8 Seien A, B, C ∈ ε, paarweise verschieden und nicht kollinear. −−→ a) Strahl AB := {P ∈ g(A, B) : P = A oder P 6= A und auf derselben Seite von A wie B} −−→ −→ b) Winkel ](BAC) := AB ∪ AC g(A,B) c) Inneres von ](BAC) := {D ∈ ε : D ∼ C und D (Winkel, die kein Inneres besitzen, heißen entartet.) g(A,C) ∼ B} d) Inneres des Dreiecks 4(ABC) := {D ∈ ε : D gehört zum Inneren eines jeden Winkels ](BAC), ](ABC), ](ACB)} Wenn kein Missverständnis möglich ist, schreiben wir auch ]A, ]B, ]C. −−→ Satz 1.1.9 Sei ](BAC) ein Winkel und D im Innern von ](BAC). Dann schneidet AD auch BC. Die Aussage ist ähnlich wie das Axiom von Pasch, nur dass die betrachtete Gerade durch eine Ecke des Dreiecks geht. Beweis Sei l = g(A, B), m = g(A, C) und n = g(A, D). Sei E ∈ m ein Punkt mit Zw(CAE) (A2). Nach Wahl von E schneidet n die Strecke EC und daher nach (A4) für das Dreieck 4(EBC) auch BE oder BC. Wir zeigen: n schneidet nicht BE Die Strecke BE liegt ganz auf einer Seite von l und schneidet l nur in B. Da E und C auf verschiedenen Seiten von l liegen, liegen alle Punkte von BE auf der anderen Seite von l wie C. −−→ 1. Der Strahl AD liegt im Innern des Winkels und damit ganz auf derselben Seite von l −−→ wie C (und auf derselben Seite von m wie B) ⇒ AD ∩ EB = ∅. −−→ −−→∗ 2. Entsprechend liegt der zu AD entgegengesetzte Strahl AD := {X | Zw(DAX)} auf der anderen Seite von m wie EB. Aus 1. und 2. folgt: n ∩ EB = ∅ und daher n ∩ BC 6= ∅, etwa = {F }. −−→ F liegt auf AD, denn B und F sowie B und D liegen auf derselben Seite von m, also auch D und F , qed. Kartesische Modelle für Ebenen 1 AXIOMATISCHER AUFBAU 9 Definition 1.1.10 Eine Ebene ε heißt kartesische Ebene über einem Körper K :⇐⇒ ε = εK = K 2 = {(a, b) : a, b ∈ K} (Punktmenge) Gerade g(a, b, c) mit a, b, c ∈ K und (a, b) 6= (0, 0) g(a, b, c) := {P = (x, y) ∈ εK : ax + by + c = 0} = g(λa, λb, λc) (λ 6= 0). Für K = R (reelle Zahlen) ist uns diese Konstruktion vertraut. Beispiel K = {0, 1} ⇒ K 2 = {A = (0, 0), B = (0, 1), C = (1, 0), D = (1, 1)} Operationen: · 0 1 + 0 1 0 1 0 1 1 0 0 0 0 1 0 1 Geraden g = g(a, b, c): g1 = g(1, 0, 0) : x = 0; g2 = g(1, 0, 1) : x + 1 = 0 g3 = g(0, 1, 0) : y = 0; g4 = g(0, 1, 1) : y + 1 = 0 g5 = g(1, 1, 0) : x + y = 0; g6 = g(1, 1, 1) : x + y + 1 = 0 ⇒ εK genügt den Inzidenzaxiomen, jedoch sicher nicht den Anordnungsaxiomen! Lemma 1.1.11 Für jeden Körper K erfüllt die kartesische Ebene εK die Inzidenzaxiome und das Parallelenaxiom (P). Sei g ⊂ εK und P ∈ εK . Dann gibt es höchstens eine Gerade h mit A ∈ h und h k g. (P): Beweis (I1), (I2), (I3) sind Übungsaufgaben. Für den Nachweis der Gültigkeit des Parallelenaxioms sei g = g(a0 , b0 , c0 ) : a0 · x + b0 · y + c0 = 0, (a0 , b0 ) 6= (0, 0), eine beliebige Gerade und P = (px , py ) ∈ K 2 ein beliebiger Punkt. Eine Gerade gP = g(a, b, c) : a · x + b · y + c = 0, (a, b) 6= (0, 0), geht durch P = (px , py ) genau dann, wenn a · px + b · py + c = 0. Dann haben wir: gP 6= g ⇐⇒ sind parallel( das System a b a0 b0 a·x+b·y+c=0 a0 · x + b0 · y + c0 = 0 ! ) besitzt keine Lösung a b c a0 b0 c0 ! ⇐⇒ Rang ⇐⇒ a0 · b − b0 · a = 0, d.h. ∃ λ 6= 0 : a = λ · a0 , b = λ · b0 ⇒ λ · a0 · px + λ · b0 · py + c = 0 ⇒ c = −(λ · a0 · px + λ · b0 · py ) d.h. gP ist eindeutig bestimmt. Es ist = 1, Rang =2 P ∈ g ⇐⇒ c = λ · c0 ⇐⇒ gP = g. Qed. Um die Axiome der Anordnung zu erfüllen, muss auch der Körper geordnet sein. Definition 1.1.12 Ein Körper K 6= 0 heißt geordnet, wenn er eine Teilmenge K+ ⊂ K, den positiven Elementen, besitzt, so dass gilt: 1 AXIOMATISCHER AUFBAU 10 (i) ∀ a, b ∈ K+ ist a + b ∈ K+ und a · b ∈ K+ ; (ii) ∀ a ∈ K gilt genau eine der Beziehungen a ∈ K+ , a = 0 oder −a ∈ K+ . Beispiele Q, R sind geordnet. Lemma 1.1.13 Sei K geordnet. Dann gilt a) 1 ∈ K+ ; b) Char K = 0; c) der kleinste Teilkörper von K, der die 1 enthält, ist isomorph zu Q; d) ∀ a ∈ K, a 6= 0, gilt a2 ∈ K+ . Beweis: a) ∀ K 6= {0} gilt 1 6= 0; ang.: 1 ∈ K+ ⇒ fertig; ang.: 1 ∈ / K+ ⇒ −1 ∈ K+ ⇒ (−1)(−1) = 1 ∈ K+ ⇒ Widerspruch. b) Falls Char K = p ⇒ 1| + ·{z · · + 1} = 0 im Widerspruch zu (i). p−mal c) Sei ϕ : N −→ K mittels ϕ(n) := |1 + ·{z · · + 1} , 1 ∈ K (n 6= 0) und ϕ(0) := 0. Wegen n−mal Char K = 0 ist ∀ n 6= 0 auch ϕ(n) 6= 0. Für q = ϕ(m) m ∈ Q setzen wir ϕ(q) := und n ϕ(n) erhalten eine isomorphe Einbettung. d) Ist a ∈ K+ ⇒ a · a = a2 ∈ K+ ; ist−a ∈ K+ ⇒ (−a) · (−a) = a2 ∈ K+ , qed. Folgerung 1.1.14 C ist nicht geordnet. Beweis i ∈ C ⇒ i2 = −1 ∈ / C+ . Wie erhalten wir nun die eigentliche Ordnung in K? Definition 1.1.15 Sei K geordnet und a, b ∈ K. Dann definieren wir: a > b :⇐⇒ a − b ∈ K+ ; a < b :⇐⇒ b − a ∈ K+ . Dieses definiert offenbar eine totale Ordnung in K: ∀ a, b ∈ K gilt genau eine der Beziehungen: a > b, a = b, a < b. Satz 1.1.16 Sei K ein Körper und εK die entsprechende kartesische Ebene. Dann gilt: εK genügt den Axiomen der Anordnung ⇐⇒ K ist geordnet. 1 AXIOMATISCHER AUFBAU 11 Beweis =⇒“ Betrachten x-Achse: g0 ” O = (0, 0) ∈ g0 ⇒ (Satz 1.1.7) g0 wird durch O in 2 Seiten geteilt; sei K0 := {a ∈ K : a 6= 0, (a, 0) und (1, 0) liegen auf derselben Seite von O} −K0 := {a ∈ K : a 6= 0, (a, 0) und (1, 0) liegen auf verschiedenen Seiten von O} Dann ist K = K0 ∪ {0} ∪ −K0 - disjunkte Vereinigung. Beh.: K+ = K0 Sei a, b ∈ K0 . Addition: a + b entspricht Addition von Strecken ⇒ a + b ∈ K0 Multiplikation: Parallele durch B = (0, b) zur Geraden durch die beiden Punkte E = (0, 1), A = (a, 0) schneidet x-Achse in X = (a · b, 0) Beh.: a · b ∈ K0 Sei Zw(OEB) und g(B, X) parallel zu g(A, E). Dann liegen ganz g(B, X) und O auf verschiedenen Seiten von g(A, E), also auch Zw(OAX). Ist Zw(OBE) ergibt sich entsprechend Zw(OXA). In beiden Fällen liegen daher X und A auf derselben Seite von O, also a · b ∈ K0 und K ist geordnet. ⇐=“ Sei K geordnet und A = (a1 , a2 ), B = (b1 , b2 ), C = (c1 , c2 ) paarweise verschiedene ” Punkte einer Geraden g : ax + by + c = 0. Zwischenrelation: 1) Sei b 6= 0 : Zw(ABC) :⇔ a1 > b1 > c1 oder a1 < b1 < c1 ; 2) sei b = 0 (d.h. a1 = b1 = c1 ) : Zw(ABC) :⇔ a2 > b2 > c2 oder a2 < b2 < c2 . Man prüft nun die Gültigkeit von (A1) - (A4) nach! Qed. 1 AXIOMATISCHER AUFBAU 1.2 12 Axiome der Kongruenz, Dreiecksgeometrie III. Axiome der Kongruenz Wir führen eine Relation zwischen Strecken und zwischen Winkeln ein und nennen diese Kongruenz“, in Zeichen AB ∼ = CD bzw. ](BAC) ∼ = ](EDF ), wenn folgende Axiome erfüllt ” sind (Kongruenz ist in einem erweiterten Sinn eine Gleichheit“): ” III.1 Kongruenz von Strecken (C1) (Existenz) Sei AB ⊂ ε (A 6= B) und C der Ursprung eines Strahls r. Dann gibt es genau einen Punkt D ∈ r, D 6= C, mit AB ∼ = CD. (C2) Wenn 2 Strecken einer dritten kongruent sind, dann sind sie zueinander kongruent. Jede Strecke ist zu sich selbst kongruent: AB ∼ = CD und AB ∼ = EF ⇒ CD ∼ = EF . (C3) (Addition) Wenn A, B, C ∈ ε und Zw(ABC) sowie D, E, F ∈ ε mit Zw(DEF ) und ∼ DE, BC = ∼ EF , dann ist auch AC ∼ AB = = DF : Satz 1.2.1 Die Kongruenz von Strecken ist eine Äquivalenzrelation. Beweis Übungsaufgabe! Rechnen mit Strecken −−→ Definition 1.2.2 (Addition von Strecken) Seien AB und CD Strecken, r = AB ein Strahl. Ist E der eindeutig bestimmte Punkt auf r, so dass BE ∼ = CD nach (C1), dann heißt AE die Summe von AB und CD: AB + CD := AE. Satz 1.2.3 Sei AB ∼ = A0 B 0 und CD ∼ = C 0 D0 =⇒ AB + CD ∼ = A0 B 0 + C 0 D0 d.h. die Addition von Strecken ist unabhängig von den ausgewählten Repräsentanten. Beweis Sei E wie in Definition 1.2.2: AE = AB +CD und entsprechend E 0 : A0 E 0 = A0 B 0 + C 0 D 0 =⇒ BE ∼ = CD ∼ = C 0 D0 ∼ = B 0 E 0 =⇒ BE ∼ = B0E0 nach (1.2.1) =⇒ (C3) AE ∼ = A0 E 0 , qed. 1 AXIOMATISCHER AUFBAU 13 Satz 1.2.4 (Differenz von Strecken) Seien A, B, C und D, E, F jeweils kollinear, Zw(ABC), ∼ DE und AC ∼ AB = = DF =⇒ Zw(DEF ) und BC ∼ = EF BC heißt Differenz von AC und AB. Beweis Sei F 0 ∈ r0 , so dass Zw(DEF 0 ) und BC ∼ = (C3) 0 0 ∼ DF . Wegen AC = ∼ DF EF nach (C1) =⇒ AC = 0 folgt F = F nach (C1) und daher auch Zw(DEF ), qed. Wichtig ist nun der Vergleich von Strecken. Definition 1.2.5 Seien AB, CD ⊂ ε. Dann sei AB < CD :⇔ ∃ E ∈ CD, Zw(CED) und AB ∼ = CE. Satz 1.2.6 b) ” a) Ist AB ∼ = A0 B 0 und CD ∼ = C 0 D0 =⇒ {AB < CD ⇔ A0 B 0 < C 0 D0 } <“ ist eine Ordnungsrelation in der Menge aller Strecken, d.h. b1 ) AB < CD und CD < EF =⇒ AB < EF b2 ) ∀ Strecken AB, CD ⊂ ε gilt genau eine der Relationen AB < CD, AB = CD oder AB > CD. Beweis zu a) =⇒“ Sei AB < CD =⇒ ∃ E ∈ ” (C1) CD, Zw(CED) und AB ∼ = CE =⇒ ∃ E 0 ∈ r0 : CE ∼ = C 0 E 0 und D0 , E 0 auf derselben Seite von C 0 . Wegen CD ∼ = C 0 D0 und Satz 1.2.4 folgt Zw(C 0 E 0 D0 ) und A0 B 0 ∼ = CE ∼ = C 0 E 0 , also A0 B 0 < C 0 D0 . ⇐=“ genauso. ” b) Dem Beweis von b) stellen wir folgende Aussage voran: Lemma 1.2.7 Sind A, B, C ∈ g kollinear und Zw(ABC), dann liegen A, B auf derselben Seite von C und B, C auf derselben Seite von A (sonst Zw(ACB) bzw. Zw(BAC)). Gilt dann auch noch Zw(ACD), also A und D auf verschiedenen Seiten von C, dann liegen A und D auch auf verschiedenen Seiten von B und B und D auf verschiedenen Seiten von C, also Zw(ABD) und Zw(BCD). Wir haben das Bild: 1 AXIOMATISCHER AUFBAU 14 Beweis zu 1.2.7 Mit den Bezeichnungen aus Abschnitt 1.1 gilt: C C C B B B Zw(ABC) ∧ Zw(ACD) =⇒ A ∼ B und A D =⇒ B D =⇒ Zw(BCD) und Zw(BCD) ∧ Zw(ABC) =⇒ C ∼ D und A C =⇒ A D =⇒ Zw(ABD), qed. zu b1 ) Sei AB ∼ = CX mit Zw(CXD) sowie ∼ CD = EY mit Zw(EY F ). Nach Satz 1.2.4 gibt es ein Z ∈ EY mit CX ∼ = EZ. Aus Zw(EY F ) und Zw(EZY ) folgt aus Lemma 1.2.7 Zw(EZF ), also AB < EF . zu b2 ) Sei AB ∼ = CE E = D (AB qed. −−→ r = CD und E ∈ r derart, dass =⇒ Zw(CED) (AB < CD) oder ∼ = CD) oder Zw(CDE) (AB > CD), III.2 Kongruenz für Winkel (C4) (Existenz) Gegeben sei der Winkel ](BAC) und −−→ ein Strahl DE. Dann existiert ein eindeutig be−−→ stimmter Strahl DF auf einer vorgegebenen Seite von g(D, E), so dass ](BAC) ∼ = ](EDF ). Jeder Winkel ist zu sich selbst kongruent: ](BAC) ∼ = ](BAC). (C5) Für je 3 Winkel α, β, γ gilt: α ∼ = β und α ∼ = γ =⇒ β ∼ =γ (Diese Aussage ist aus dem Rest beweisbar, so ist es aber bequemer!) (C6) Gilt für 2 Dreiecke 4(ABC) und 4(DEF ): AB ∼ = DE, AC ∼ = DF und ](BAC) ∼ = ](EDF ) =⇒ ](ABC) ∼ = ](DEF ) (und damit durch Bezeichnungswechsel auch ](BCA) ∼ = ](EF D) =⇒ die Dreiecke sind kongruent“; Beweis siehe Hilbert [2], I.5) ” Bemerkung a) Nach den Kongruenzaxiomen wird weder der Strecke noch dem Winkel eine Richtung (Orientierung) zugeordnet. b) Axiom (C6) gewährleistet die Homogenität der Ebene. 1 AXIOMATISCHER AUFBAU 15 c) Die Kongruenzrelation der Winkel ist eine Äquivalenzrelation (direkte Folge aus (C4) und (C5)). Definition 1.2.8 (Hilbert-Ebene) Eine Ebene, in der die Axiome (I1)-(I3), (A1)-(A4) und (C1)-(C6) gelten, heißt eine Hilbert-Ebene. Ein wesentlicher Teil der aus der euklidischen Geometrie bekannten Dreiecksgeometrie lässt sich bereits in einer Hilbert-Ebene beweisen und ist damit Bestandteil der absoluten Geometrie. Definition 1.2.9 Zwei Dreiecke 4(ABC) und 4(DEF ) heißen kongruent :⇐⇒ ∼ DE, AC = ∼ DF , BC ∼ AB = = EF und ]A ∼ = ]D, ]B ∼ = ]E, ]C ∼ = ]F , d.h. Seiten und Winkel sind paarweise zueinander kongruent: 4(ABC) ∼ = 4(DEF ) Satz 1.2.10 (SWS) Dreiecke, die den Bedingungen von (C6) genügen, sind kongruent. ∼ ]E und ]C ∼ Beweis Nach (C6) ist ]B = = ]F . Wir müssen noch BC ∼ = EF zeigen. 0 Sei F derart, dass BC ∼ = EF 0 und etwa F 0 6= F (C6) =⇒ ](BAC) ∼ = ](EDF 0 ) und nach Voraussetzung ](BAC) ∼ = ](EDF ) im Wid. zu (C4) =⇒ F 0 = F , qed. Genauso erhält man: Satz 1.2.11 (WSW) Gelten für 2 Dreiecke 4(ABC) und 4(DEF ) die Kongruenzen AC ∼ = ∼ ∼ ∼ DF , ]A = ]D, ]B = ]E =⇒ 4(ABC) = 4(DEF ), d.h. die Dreiecke sind kongruent. −−→ Beweis Wie oben tragen wir BC auf dem Strahl EF (C6) ab =⇒ ∃ F 0 : BC ∼ = EF 0 =⇒ 4(ABC) ∼ = 4(DEF 0 ) und ](EDF 0 ) ∼ = ](BAC) ∼ = ](EDF ). Falls F 0 6= F =⇒ ](EDF 0 ) < ](EDF ) oder ](EDF 0 ) > ](EDF ) - Widerspruch, qed. Für den Beweis des 3. Kongruenzsatzes (SSS) benötigt man erheblich mehr Aufwand. Definition 1.2.12 a) (Summe von 2 Winkeln) Sei ](BAC) −−→ ein Winkel und AD ein Strahl im Innern, dann heißt ](BAC) die Summe von ](BAD) und ](DAC). 1 AXIOMATISCHER AUFBAU 16 b) (Nebenwinkel) Sei ](BAC) ein Winkel und D ∈ g(A, C) auf der anderen Seite von A wie C. Die Winkel ](BAC) und ](BAD) heißen Nebenwinkel. c) (Scheitelwinkel) ](BAC) und ](DAE) heißen Scheitelwinkel. d) (rechter Winkel - Rechter) α heißt ein rechter Winkel oder Rechter :⇐⇒ α ist zu seinem Nebenwinkel kongruent (α ∼ = β). Satz 1.2.13 Sind ](BAC) und ](BAD) sowie ](B 0 A0 C 0 ) und ](B 0 A0 D0 ) paarweise Nebenwinkel und ](BAC) ∼ = ](B 0 A0 C 0 ) =⇒ ](BAD) ∼ = ](B 0 A0 D0 ). Beweis Wir wählen B 0 , C 0 , D0 jeweils auf den entsprechenden Strahlen, so dass AB ∼ = A0 B 0 , AC ∼ = A0 C 0 , AD ∼ = A0 D0 (nach (C1)). (1.2.10) mehrfach anwenden ergibt: 1. 4(BAC) ∼ = 4(B 0 A0 C 0 ) (SW S) 2. DC ∼ = D0 C 0 nach (C3) =⇒ 4(BCD) ∼ = 4(B 0 C 0 D0 ) =⇒ ](BDA) ∼ = ](B 0 D0 A0 ) und BD ∼ = B 0 D0 ⇒ 3. 4(BDA) ∼ = 4(B 0 D0 A0 ) =⇒ ](BAD) ∼ = ](B 0 A0 D0 ), qed. Folgerung 1.2.14 Scheitelwinkel sind zueinander kongruent. Beweis α und α0 sind beides Nebenwinkel zu β, qed. Satz 1.2.15 Mit den Bezeichnungen aus nebenstehender Skizze sei a) (Addition von Winkeln) ](BAD) ∼ = ](B 0 A0 D0 ) und ](DAC) ∼ = ](D0 A0 C 0 ) ⇒ ](BAC) ∼ = ](B 0 A0 C 0 ) b) (Subtraktion von Winkeln) ](BAC) ∼ = ](B 0 A0 C 0 ) und ](DAC) ∼ = ](D0 A0 C 0 ) ⇒ ](BAD) ∼ = ](B 0 A0 D0 ) ](BAD) heißt die Differenz der Winkel ](BAC) und ](DAC): ](BAC) − ](DAC) := ](BAD). 1 AXIOMATISCHER AUFBAU 17 Beweis b) Seien B 0 , C 0 so gewählt, dass AB ∼ = A0 B 0 (SW S) und AC ∼ = A0 C 0 =⇒ 4(ABC) ∼ = 4(A0 B 0 C 0 ) und daher ](ABC) ∼ = ](A0 B 0 C 0 ), ](ACB) ∼ = ](A0 C 0 B 0 ) und (W SW ) BC ∼ = B 0 C 0 =⇒ 4(ACD) ∼ = 4(A0 C 0 D0 ) und somit CD ∼ = C 0 D0 und daher als Differenz kongruenter Strecken (W SW ) BD ∼ = B 0 D0 =⇒ 4(BAD) ∼ = 0 0 0 ∼ ](BAD) = ]B A D . 4(B 0 A0 D 0 ) und folglich a) Als Nebenwinkel zu den kongruenten Winkeln α und α0 ergibt sich wegen Satz 1.2.13 die Kongruenz ](DAE) ∼ = ](D0 A0 E 0 ) und daher nach b) β = ](CAE) = ](DAE) − ](DAC) ∼ = ](D0 A0 E 0 ) − ](D0 A0 C 0 ) = ](C 0 A0 E 0 ) = β 0 . Wiederum aus Satz 1.2.13 folgt die Kongruenz ∼ ](B 0 A0 C 0 ) für die Nebenwinkel von ](BAC) = β und β 0 , qed. Definition 1.2.16 Gegeben seien zwei Winkel ](BAC) und ](EDF ). Der Winkel ](BAC) heißt kleiner als der −−→ Winkel ](EDF ), wenn es einen Strahl DG im Innern von ](EDF ) gibt, so dass ](BAC) ∼ = ](GDF ). ](EDF ) heißt größer als ](BAC). Satz 1.2.17 b) ” a) Ist α ∼ = α0 und β ∼ = β 0 ⇒ {α < β ⇐⇒ α0 < β 0 }. <“ definiert eine Ordnung auf der Menge der Winkel, d.h. (b1 ) α < β und β < γ ⇒ α < γ. (b2 ) ∀ Winkel α und β gilt genau eine der Beziehungen: α < β, α ∼ = β, α > β. Beweis Verläuft entsprechend wie Satz 1.2.6 für Strecken. Satz 1.2.18 a) Es gibt rechte Winkel. b) Je 2 rechte Winkel sind zueinander kongruent. Beweis a) C derart, dass OB ∼ = OC, D sei der Schnittpunkt −→ der Strecke BC mit OA 1. D = O ∈ g(B, C) ⇒ ](BOA) ∼ = ](COA) und damit Rechter. 2. D 6= O ∈ / g(B, C) ⇒ 4(BOD) ∼ = 4(COD) ⇒ ∼ ](ODB) = ](ODC) und damit Rechter. 1 AXIOMATISCHER AUFBAU 18 b) Ang., α 6= α0 seien verschiedene rechte Winkel, etwa −−→ α < α0 ⇒ tragen α am Strahl A0 B 0 an und erhalten −−→ α ∼ = ](E 0 A0 B 0 ) und A0 E 0 im Innern von α0 ⇒ C 0 im Innern von ](E 0 A0 D0 ) ∼ = β ⇒ β 0 < β. Jedoch: α0 ∼ = β0 < β ∼ = α ⇒ α0 < α, Wid. QED. Lemma 1.2.19 Gilt in einem Dreieck 4(ABC) die Kongruenz AC ∼ = BC, dann ist auch ∼ ](CAB) = ](CBA), d.h. das Dreieck ist gleichschenklig. Umgekehrt folgt aus der Kongruenz der Winkel ]A ∼ = ]B die Kongruenz der Seiten AC ∼ = BC. Beweis Mit B 0 = A, A0 = B und C 0 = C ist in beiden Fällen Fall wegen (SWS) und im 2. Fall wegen (WSW), qed. 4(ABC) ∼ = 4(A0 B 0 C 0 ) - im 1. Folgerung 1.2.20 (Existenz gleichschenkliger Dreiecke) Zu jeder Strecke AB gibt es ein gleichschenkliges Dreieck mit AB als Grundseite. Beweis Sei AB gegeben und C ∈ / g(A, B). Dann gibt es ein Dreieck 4 = 4(ABC). Wenn ](CAB) ∼ = ](CBA), dann ist 4 gleichschenklig nach Lemma 1.2.19. Andernfalls sei etwa ](CAB) < ](CBA). Dann tragen wir gemäß (C4) den −−→ Winkel ](CAB) bei B ab. Der zweite Schenkel BE schneidet nach 1.1.9 Die Strecke AC, etwa im Punkt D. Dann ist wieder nach Lemma 1.2.19 4(ABD) gleichschenklig, qed. Satz 1.2.21 (3. Kongruenzsatz SSS) Wenn in zwei Dreiecken 4(ABC) und AB ∼ = A0 B 0 , AC ∼ = A0 C 0 und BC ∼ = B 0 C 0 , dann ist 4(ABC) ∼ = 4(A0 B 0 C 0 ). 4(A0 B 0 C 0 ) Beweis Es ist zu zeigen, dass sich die Kongruenz der Seiten auf die Winkel überträgt. ∼ ](B 00 A0 C 0 ) und AB = ∼ A0 B 00 Sei B 00 derart, dass ](BAC) = (SW S) =⇒ 4(ABC) ∼ = 4(A0 B 00 C 0 ) ⇒ BC ∼ = B 00 C 0 4(B 0 A0 B 00 ) und 4(B 0 C 0 B 00 ) sind gleichschenklig =⇒ (Lemma 1.2.19) ](A0 B 0 B 00 ) ∼ = ](A0 B 00 B 0 ) genauso: ](C 0 B 0 B 00 ) ∼ = ](C 0 B 00 B 0 ) =⇒ (1.2.15a) (Addition der Winkel) ](A0 B 0 C 0 ) ∼ = ](A0 B 00 C 0 ) ∼ = ](ABC) (SW S) =⇒ 4(A0 B 00 C 0 ) ∼ = 4(A0 B 0 C 0 ). Aus 4(ABC) ∼ = 4(A0 B 00 C 0 ) folgt 4(ABC) ∼ = 4(A0 B 0 C 0 ), qed. Satz 1.2.22 a) Jede Strecke AB kann auf genau eine Weise halbiert werden. b) Jeder Winkel ](BAC) kann auf genau eine Weise halbiert werden. gilt 1 AXIOMATISCHER AUFBAU 19 Beweis a) Seien C, D auf verschiedenen Seiten von g(A, B) derart gewählt, dass ](CAB) ∼ = ](DBA), AC ∼ = BD und CD schneidet g(A, B) in O. Beh.: AO ∼ = OB Nach Satz 1.2.10 (SWS) folgt 4(BAC) ∼ = 4(ABD) =⇒ BC ∼ = AD =⇒ (Satz 1.2.21 (SSS)) 4(ACD) ∼ = 4(BDC) ∼ =⇒ ](ACO) = ](BDO) =⇒ (WSW) 4(ACO) ∼ = 4(BDO) ∼ =⇒ AO = BO b) Seien B, C derart, dass AB ∼ = AC. Dann ist: ](BAD) ∼ = ](CAD) ∼ ∼ ⇐⇒ 4(ABD) = 4(ACD) ⇐⇒ BD = DC ⇐⇒ D ist Mittelpunkt von BC; dieser ist eindeutig bestimmt nach a), qed. Satz 1.2.23 (Außenwinkelsatz) Jeder Außenwinkel ist größer als jeder nicht-anliegende Innenwinkel. Beweis Wir zeigen: α = ](BAD) > β und > γ Sei E Mittelpunkt von AB und Zw(CEF ), so dass (SW S) CE ∼ = EF =⇒ 4(EBC) ∼ = 4(EAF ) ⇒ β ∼ = β0 zu zeigen: AF liegt innerhalb von α E, F auf derselben Seite von g(A, C) D, F auf derselben Seite von g(A, B) ⇒ AF innerhalb von α, qed. Folgerung 1.2.24 In jedem Dreieck sind mindestens 2 Winkel kleiner als ein Rechter (spitz). Beweis Ang., α ≥ rechterW inkel (sonst fertig) ⇒ α0 ≤ rechterW inkel ⇒ (Satz 1.2.23) β < α0 , γ < α0 , qed. Folgerung 1.2.25 In jedem Dreieck ist die Summe zweier Winkel kleiner als zwei rechte (2R). Beweis Mit obigen Bezeichnungen ist nach Satz 1.2.23 α0 > β und α0 > γ ⇒ α0 + α = 2R > β + α und > γ + α; genauso 2R > β + γ, qed. Satz 1.2.26 In jedem Dreieck liegt die größere Seite dem größeren Winkel gegenüber und umgekehrt. 1 AXIOMATISCHER AUFBAU 20 Beweis (Umkehrung) Ang. AC < AB Behauptung: β < γ Sei C 0 ∈ AB derart, dass AC ∼ = AC 0 ⇒ Zw(AC 0 B) und ](ACC 0 ) < γ. Es ist ](ACC 0 ) ∼ = ](AC 0 C) und nach Satz 1.2.23 ist β < ](AC 0 C) < γ. Ist nun β < γ und wäre nicht AC < AB ⇒ γ < β (Wid.) oder AB ∼ = AC (⇒ gleichschenklig - Wid. zu Lemma 1.2.19), qed. Folgerung 1.2.27 (Dreiecksungleichung) In jedem Dreieck ist die Summe zweier Seiten stets größer als die dritte Seite. Beweis Wir verlängern die Strecke AC um CB1 ∼ = CB. Dann ist das Dreieck 4(BB1 C) gleichschenklig und ](ABB1 ) > ](CBB1 ) ∼ = ](CB1 B) =⇒ AB < AC + CB1 = AC + BC, qed. Nach diesen Vorbereitungen können wir bereits die Existenz paralleler Geraden nachweisen. Satz 1.2.28 Seien a, b, c Geraden derart, dass c die Geraden a, b unter kongruenten Wechselwinkeln α, β schneidet. Dann sind a und b parallel. Beweis Ang., a und b schneiden sich in X ⇒ in 4(ABX) ist ein Außenwinkel (etwa β) ∼ = Innenwinkel (etwa α) im Widerspruch zu Satz 1.2.23, qed. Sind a, c vorgegeben, so kann man durch Abtragen von α an c offenbar b wie gefordert konstruieren. Hiermit ergibt sich auch Satz 1.2.29 Gegeben sei eine Gerade g ⊂ ε und ein Punkt P ∈ / g. Dann gibt es durch P mindestens eine Gerade h mit hkg. Beweis Sei f eine Gerade derart, dass P ∈ f . 1. f kg ⇒ fertig 2. f ∦ g, dann schneide f die Gerade g im Punkt Q und wir tragen wie oben α in P an f ab und erhalten den Winkel α0 . h sei die Gerade durch den 2. Schenkel von α0 ⇒ hkg, qed. 1 AXIOMATISCHER AUFBAU 21 Definition 1.2.30 (Lot) a) Sei g eine Gerade, P ∈ / g. P A heißt Lot von P auf g :⇐⇒ ](P AC) und ](P AD) sind Rechte. b) Sei A ∈ g; h heißt Lot in A auf g :⇐⇒ ](BAD) und ](CAD) sind rechte Winkel. Satz 1.2.31 a) ∀ P ∈ / g gibt es genau ein Lot auf g. b) ∀ A ∈ g gibt es genau ein Lot in A auf g. Beweis Folgt aus den Überlegungen zu (1.2.18): a) Seien A, B ∈ g beliebig, A 6= B und P 0 auf der anderen Seite von g wie P derart, dass AP ∼ = AP 0 , ](P AB) ∼ = ](P 0 AB). Dann schneidet P P 0 die Gerade g orthogonal in C. b) Seien P, Q ∈ g auf verschiedenen Seiten von A derart, dass PA ∼ = AQ. Über P Q errichten wir ein gleichschenkliges Dreieck (siehe Folgerung 1.2.20). Dann ist AC orthogonal zu g. Die Eindeutigkeit folgt in beiden Fällen aus der Folgerung 1.2.24. Folgerung 1.2.32 Sei g eine Gerade und P ∈ / g. Dann gilt: P A ist das Lot von P auf g ⇐⇒ ∀ Q ∈ g, Q 6= A, ist P A < P Q. Beweis Der Winkel ](P AQ) ist als rechter Winkel stets der größte Winkel im Dreieck und daher ist nach Satz 1.2.26 auch P A < P Q. Sei umgekehrt ∀ Q ∈ g, Q 6= A, P A < P Q und etwa P A0 das Lot von P auf g. Falls A 6= A0 , wäre P A < P A0 im Widerspruch zur ersten Aussage. Daher muss P A das Lot sein, qed. Bewegungen Um nachzuprüfen, wann zwei Figuren kongruent sind, verwendet man den Begriff der Bewegung. Definition 1.2.33 a) Eine 1-1-Abbildung ϕ : ε → ε von ε auf sich heißt Bewegung :⇐⇒ ∀ A, B ∈ ε gilt ϕ(A)ϕ(B) ∼ = AB. Wir sagen auch, ϕ ist eine Isometrie. Mit Hilfe einer Bewegung können wir die Kongruenz beliebiger Figuren bzw. Punktmengen definieren. b) Seien ∆, ∆0 ⊂ ε beliebige Punktmengen (endlich oder unendlich). Dann definieren wir: ∆∼ = ∆0 :⇐⇒ ∃ Bewegung ϕ, die ∆ auf ∆0 abbildet. 1 AXIOMATISCHER AUFBAU 22 Sind ∆, ∆0 Strecken, Winkel oder Dreiecke, dann stimmt dieser Kongruenzbegriff mit den oben erklärten Kongruenzbegriffen überein (siehe Satz 1.2.36). Schlüssel hierzu ist der Kongruenzsatz (SSS). Bemerkung: ϕ besitzt als 1-1-Abbildung eine Umkehrabbildung ϕ−1 , so dass ϕ−1 ◦ ϕ = ιε die identische Abbildung auf ε ist. Wenn A0 = ϕ(A), B 0 = ϕ(B), dann ist A = ϕ−1 (A0 ), B = ϕ−1 (B 0 ) und daher A0 B 0 ∼ = ϕ−1 (A0 )ϕ−1 (B 0 ), also ϕ−1 ebenfalls eine Bewegung. Satz 1.2.34 Bei einer Bewegung wird eine Gerade wieder in eine Gerade abgebildet. Die Zwischenrelation bleibt erhalten. Beweis Sei g ⊂ ε und A, B ∈ g, so dass g = g(A, B). ϕ sei eine Bewegung mit ϕ(A) = A0 , ϕ(B) = B 0 und g 0 = g(A0 , B 0 ) die Gerade durch A0 und B 0 . Sei C ∈ g beliebig. Beh.: ϕ(C) ∈ g 0 Ang., ϕ(C) ∈ / g 0 und etwa Zw(ACB) ⇒ entartet und nach Folgerung 1.2.27 gilt 4(A0 B 0 ϕ(C)) ist nicht A0 ϕ(C) + ϕ(C)B 0 > A0 B 0 sowie A0 B 0 ∼ = AB = AC + CB = A0 ϕ(C) + ϕ(C)B 0 > A0 B 0 und Zw(A0 ϕ(C)B 0 ) - Widerspruch. Genauso beweist man die übrigen Fälle Zw(ABC) und Zw(CAB). QED. Lemma 1.2.35 Sei ϕ eine Bewegung der euklidischen Ebene ε auf sich und g ⊂ ε eine Gerade. Seien X, Y ∈ ε zwei beliebige Punkte. Dann gilt: a) X und Y liegen auf derselben Seite von g ⇐⇒ ϕ(X) und ϕ(Y ) liegen auf derselben Seite von ϕ(g); b) X und Y liegen auf verschiedenen Seiten von g verschiedenen Seiten von ϕ(g). ⇐⇒ ϕ(X) und ϕ(Y ) liegen auf Beweis Da mit ϕ auch ϕ−1 eine Bewegung ist (X 0 = ϕ(X) ⇔ X = ϕ−1 (X 0 ), Y 0 = ϕ(Y ) ⇔ Y = ϕ−1 (Y 0 )) reicht es zu beweisen: Wenn X und Y auf derselben Seite von g liegen, dann liegen auch ϕ(X) und ϕ(Y ) auf derselben Seite von ϕ(g). Angenommen, X 0 = ϕ(X) und Y 0 = ϕ(Y ) liegen auf verschiedenen Seiten von ϕ(g) ⇒ ∃ Z 0 ∈ ϕ(g) mit Zw(X 0 Z 0 Y 0 ). Für Z = ϕ−1 (Z 0 ) gilt dann Z ∈ g und Zw(XZY ) im Widerspruch zur Voraussetzung, qed. Satz 1.2.36 Gegeben sind 2 kongruente Dreiecke 4 = 4(ABC), 40 = 4(A0 B 0 C 0 ) ⊂ ε. Dann gibt es genau eine Bewegung ϕ : ε → ε mit ϕ(4) = 40 . 1 AXIOMATISCHER AUFBAU 23 Beweis Wir konstruieren ϕ folgendermaßen: ϕ(A) := A0 , ϕ(B) := B 0 ϕ(C) := C 0 Wegen der Kongruenz der Dreiecke gilt ϕ(A)ϕ(B) ∼ = AB, ϕ(A)ϕ(C) ∼ = AC, ϕ(B)ϕ(C) ∼ = BC Sei D ∈ ε ein beliebiger Punkt. 1. D ∈ g(A, B) =⇒ tragen D0 entsprechend auf der Geraden g(A0 , B 0 ) ab und setzen ϕ(D) := D0 . 2. D ∈ / g(A, B) =⇒ tragen ](BAD) am −−→ Strahl A0 B 0 ab, AD auf dem neuen Schenkel bei A0 und erhalten ](B’A’D’) derart, dass D0 und C 0 auf derselben oder verschiedenen Seiten von g(A0 , B 0 ) liegen, je nachdem ob D und C auf derselben oder verschiedenen Seiten von g(A, B) liegen. Es ist AD ∼ = A0 D0 . Wir setzen ϕ(D) := D0 Sei E ∈ ε ein weiterer beliebiger Punkt. Wie oben konstruieren wir E 0 = ϕ(E). Behauptung: ED ∼ = E 0 D0 Es ist AD ∼ = A0 D0 , AE ∼ = A0 E 0 und wegen der Winkelsumme, Winkeldifferenz (Satz 1.2.15) auch ](EAD) ∼ ⇒ 4(ADE) ∼ = ](E 0 A0 D0 ) = 0 0 0 0 0 ∼ 4(A D E ) ⇒ ED = E D Angenommen, ∃ weitere Bewegung ϕ∗ mit ϕ∗ (4) = 40 und ϕ∗ 6= ϕ ⇒ ∃ X ∈ ε mit X ∗ := ϕ∗ (X) 6= ϕ(X) =: X 0 Aus der Kongruenz 4(A0 B 0 X 0 ) ∼ = 4(A0 B 0 X ∗ ) folgt 1. X 0 = X ∗ oder 2. X 0 6= X ∗ und dann müssen X 0 und X ∗ auf verschiedenen Seiten von g(A0 , B 0 ) liegen. Wegen Lemma 1.2.35 kann dieser Fall nicht eintreten, qed. Definition 1.2.37 (Geradenspiegelung) Sei g ⊂ ε eine Gerade in der Hilbert-Ebene ε und P ∈ ε ein beliebiger Punkt. Die Abbildung ϕg : ε −→ ε sei wie folgt erklärt: 1 AXIOMATISCHER AUFBAU 24 1) P ∈ g =⇒ ϕg (P ) := P 2) P ∈ / g, dann fällen wir von P auf g das Lot. FP sei der Lotfußpunkt, h = g(P, FP ) und P 0 ∈ h derart, dass P und P 0 auf verschiedenen Seiten von FP liegen und P FP ∼ = P 0 FP . Dann ist ϕg (P ) := P 0 . ϕg heißt Geradenspiegelung der Ebene ε. Satz 1.2.38 Jede Geradenspiegelung ϕg der Hilbert-Ebene ε ist eine isometrische Abbildung, also eine Bewegung. Beweis Wir müssen zeigen: ∀ P, Q ∈ ε, P 6= Q, P 0 = ϕg (P ), Q0 = ϕg (Q), gilt P Q ∼ = P 0 Q0 . Wegen P FP ∼ = P 0 FP und ](P FP FQ ) ∼ = ](P 0 FP FQ ) ∼ = 0 0 ∼ ∼ Rechter ist 4(P FP FQ ) = 4(P FP FQ ), also P FQ = P FQ und ](P FQ FP ) ∼ = ](P 0 FQ FP ). Dann ist auch ](P FQ Q) ∼ = ](P 0 FQ Q0 ) und nach (SWS) 4(P FQ Q) ∼ = 4(P 0 FQ Q0 ), also P Q ∼ = P 0 Q0 , qed. 1 AXIOMATISCHER AUFBAU 1.3 25 Axiome der Stetigkeit, Längenmessung Bisher konnten wir Strecken, Winkel, Figuren vergleichen, aber ein Messen von Größen war noch nicht möglich. Dieses wird mit dem folgenden Stetigkeitsaxiom (S1), Axiom von Archimedes, gewährleistet. (S1) Axiom von Archimedes Sind P Q und AB zwei beliebige Strecken, dann gibt es stets eine natürliche Zahl n ≥ 1 −−→ und Punkte C0 = A, C1 , . . . , Cn ∈ AB mit folgenden Eigenschaften: 1. Ci Ci+1 ∼ = P Q (i = 0, 1, . . . , n − 1) 2. Zw(Ci−1 Ci Ci+1 ) (i = 1, . . . , n − 1) 3. Zw(C0 BCn ) aber nicht Zw(C0 BCn−1 ) Definition 1.3.1 (Streckenmessung) Unter einer Streckenmessung verstehen wir eine Abbildung ` : AB 7→ `(AB) ∈ R+ mit folgenden Eigenschaften: (1) AB ∼ = CD =⇒ `(AB) = `(CD) (2) Zw(ABC) =⇒ `(AC) = `(AB) + `(BC) (3) Es gibt eine Strecke P Q : `(P Q) = 1 (Normierung) ` heißt Längenfunktional. Wir müssen nun die Existenz und Eindeutigkeit solch eines Längenfunktionals nachweisen. Existenz: Sei P Q mit `(P Q) = 1 gegeben. Aus der Sicht der Geometrie ist dann nur noch die Länge der halben Strecke zu definieren: Ist M1 der Mittelpunkt P Q =⇒ P M1 ∼ = M1 Q, dann 1 sei `(P M1 ) := 2 . Durch weitere Halbierungen erhält man `(P M2 ) := 1 , 22 `(P M3 ) := 1 23 usw. Ist AB beliebig und n wie in (S1) =⇒ `(AB) := n − 1 + `(Cn−1 B) Ist Cn−1 = B, dann ist `(AB) = n−1 und wir sind fertig. Sei Cn−1 6= B, also Zw(Cn−1 BCn ). Dann wird die Strecke Cn−1 Cn halbiert: B = D0 links vom Teilungspunkt =⇒ ε1 = 0 und D1 = Cn−1 ; D0 Teilungspunkt oder rechts vom Teilungspunkt =⇒ ε1 = 1 und D1 = Teilungspunkt. 1 AXIOMATISCHER AUFBAU 26 Die halbe Strecke mit D1 als linkem“ Eckpunkt wird wieder halbiert usw. Es ergibt sich ” ∞ ∞ X εν X 1 `(Cn−1 B) = < = 1 mit εν ∈ {0, 1} ν 2 2ν ν=1 ν=1 ( <“, da Zw(Cn−1 BCn )). Die Bedingungen (1) ist offenbar erfüllt. ” Additivität: Wir wählen als Referenzstrecke P Q eine beliebig kleine Strecke mit der Maßzahl 2−n , d.h. `(P Q) = 2−n , die wir nach n-maliger Halbierung einer Strecke der Länge 1 erhalten. Dann tragen wir von B aus in Richtung A Teilungspunkte A1 , A2 , . . . mit BA1 ∼ = = A1 A2 ∼ ... ∼ P Q ab, so dass für ein k gilt: Zw(A AB) und entweder A = A oder Zw(AA B). = k+1 k k Entsprechend tragen wir von B aus in Richtung C Teilungspunkte C1 , C2 , . . . mit BC1 ∼ = ... ∼ = P Q ab, so dass für ein m gilt Zw(BCCm+1 ) und = C1 C2 ∼ entweder Cm = C oder Zw(BCm C). Dann gilt aus geometrischer Sicht k· 1 k 1 k+1 = n ≤ `(AB) < (k + 1) · n = n 2 2 2 2n und m· 1 m 1 m+1 = n ≤ `(BC) < (m + 1) · n = , 2n 2 2 2n sowie (k + m) · k+m 1 k+m+2 1 = ≤ `(AC) < (k + m + 2) · n = . n n 2 2 2 2n Aus arithmetischer Sicht ergibt sich aus den ersten beiden Ungleichungen k+m k+m+2 ≤ `(AB) + `(BC) < n 2 2n und daher |`(AB) + `(BC) − `(AC)| < 1 2n für beliebig großes n und folglich `(AB) + `(BC) = `(AC). Eindeutigkeit: Angenommen, ∃ l1 , l2 mit l1 (P Q) = l2 (P Q) = 1. Aus obiger Konstruktion ergibt sich ∀ A, B : l1 (AB) = l2 (AB) also l1 = l2 wegen der Eigenschaften (1), (2) und (3). Offensichtlich wird hier keine Absolutzahl für eine Länge sondern nur ein Verhältnis `(AB)/`(P Q) angegeben bzw. `(AB) = a · `(P Q) mit einer (reellen) Zahl a. So ist es letztlich auch in der Praxis. Im metrischen System gibt es ein Urmeter“, eine Stange aus gehämmertem ” Platinschwamm, deren Länge ein 40millionstel eines Erdmeridians entsprechen soll (Normmaß bis 1889). Seit 1960 ist 1 m := 1.650.763, 73 - fache der Wellenlänge der Orangelinie vom Kryptonisotop 86 (im Vakuum). 1983 wurde die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum auf 299.792.458 m/s festgelegt und demzufolge ein Meter als die Strecke definiert, die das Licht ” im Vakuum in einer Zeit von 1/299.792.458 Sekunde zurücklegt“. Entsprechend geht man bei Winkelmessungen vor: α 7→ m(α) bzw. ](ABC) 7→ m(](ABC)) mit 3 Bedingungen: 1 AXIOMATISCHER AUFBAU 27 (1) α ∼ = β =⇒ m(α) = m(β) (2) ](BAD) = ](BAC) + ](CAD) =⇒ m(](BAD)) = m(](BAC)) + m(](CAD)) (3) α < β =⇒ m(α) < m(β). Zuordnung: γ0 sei ein rechter Winkel π 1. α = γ0 =⇒ m(α) := - fertig! 2 2. α > γ0 =⇒ ε0 = 1 und α1 derart, dass α = γ0 + α1 ; α < γ0 =⇒ ε0 = 0 und α1 = α; =⇒ m(α) = π · ε0 + m(α1 ). 2 Wir halbieren den rechten Winkel γ0 und erhalten γ1 . 1. α = γ0 =⇒ m(α) := π - fertig! 2 2. γ0 < α < 2 · γ0 =⇒ ε0 = 1 und α1 derart, dass α = γ0 + α1 ; 0 < α < γ0 =⇒ ε0 = 0 und α1 = α; Daher ist π ε1 m(α1 ) = · + m(α2 ) ε1 = 2 2 ( 0 1 und m(α) = ε1 π · (ε0 + ) + m(α2 ). 2 2 So fährt man fort und erhält m(α) = ∞ ∞ π X εν π X 1 · < · − konvergent. 2 2ν 2 2ν ν=0 ν=0 (S2) Dedekindsches oder Vollständigkeitsaxiom 1. Fassung: Zu jeder nicht-negativen reellen Zahl λ gibt es eine Strecke AB, so dass λ = `(AB) 2. Fassung: Sei g ⊂ ε eine beliebige Gerade und S, T ⊂ g zwei disjunkte Teilmengen von g, so dass S ∪ T = g und a) kein Punkt von S zwischen 2 Punkten von T und b) kein Punkt von T zwischen 2 Punkten von S liegt. 1 AXIOMATISCHER AUFBAU 28 Dann gibt es genau einen Punkt P ∈ g, so dass ∀ A ∈ S und ∀ B ∈ T gilt: entweder A = P oder B = P oder Zw(AP B) (Dedekindsche Intervallschachtelung). 3. Fassung (Hilberts Vollständigkeitsaxiom): Die Punkte einer jeden Geraden bilden ein System, welches bei Aufrechterhaltung der linearen Ordnung, des 1. Kongruenzaxioms (C1) und des Archimedischen Axioms keiner Erweiterung mehr fähig ist. Nun kann man auch die Zahlengerade einführen. Sei g eine beliebige Gerade, O ∈ g =⇒ O teilt g in zwei disjunkte Teilmengen. Wir wählen E ∈ g, E 6= O, und ein Längenfunktional l mit −−→ `(OE) = 1. Sei κ die Abbildung κ : OE → R+ mittels ( 0, falls X = O κ(X) := −−→ `(OX), falls X ∈ OE, X 6= O Offenbar gilt: Zw(OXY ) =⇒ `(OY ) = `(OX) + `(XY ) =⇒ κ(Y ) = κ(X) + `(XY ), also −−→ `(XY ) = κ(Y ) − κ(X). Sei E 0 derart, dass Zw(E 0 OE) und OE ∼ = OE 0 . Ist X ∈ OE 0 , dann definieren wir κ(X) = −`(OX). Hieraus ergibt sich: Satz 1.3.2 Ist (g, <) eine orientierte Gerade, dann gibt es eine 1-1-Abbildung κ die die Punkte von g auf die reellen Zahlen R abbildet: 0, `(OX), falls X = O −−→ κ(X) := falls X ∈ OE . −−→ −`(OX), falls X ∈ OE 0 O heißt Ursprung auf g. Bemerkung: (S1) folgt aus (S2). Wir können jetzt einen wichtigen Schnittpunktsatz beweisen. Satz 1.3.3 Wenn eine Gerade g einen im Innern eines Kreises k liegenden Punkt A besitzt, (`(M A) < r - Radius von k), dann schneiden sich g und k in genau zwei Punkten. Beweis Sei O der Fußpunkt des Lotes von M auf g. Wir wählen O als Ursprung. Ist x = κ(X) und s(x) = `(M X), 4x = κ(Y ) − κ(X) = y − x =⇒ |4s| := |s(x + 4x) − s(x)| = |`(M Y ) − `(M X)| < |4x| und lim 4x→0 4s = 0, also s(x) ist stetig. Da s(x) außerdem streng monoton, gibt es auf jeder Seite von O genau einen Wert x1 , x2 mit |s(xi )− r| = 0 (i = 1, 2) und etwa x1 = κ(M1 ), x2 = κ(M2 ), qed. 1 AXIOMATISCHER AUFBAU 1.4 29 Parallelenaxiom Als Axiom der V. Gruppe fügen wir nun das Parallelenaxiom hinzu und kommen damit zur euklidischen Geometrie. V. Parallelenaxiom (P) Sei g ⊂ ε eine Gerade, P ∈ ε ein Punkt. Dann gibt es höchstens eine Gerade h ⊂ ε, die durch P geht und parallel zu g ist. (P) lässt sich nicht aus den bisherigen Axiomen beweisen, wie in Kapitel 4 gezeigt werden wird. Euklid’s Theorie der Parallelen finden wir in seinen Sätzen (I.29) bis (I.34). Wir fassen diese Aussagen zusammen im Satz 1.4.1 Sei ε eine Hilbert-Ebene mit dem Parallelenaxiom. Dann gilt: a) Werden zwei parallele Geraden g, h durch eine dritte Gerade m geschnitten, dann sind die inneren Wechselwinkel zueinander kongruent. b) Sind 2 Geraden g, h zu einer dritten Geraden m parallel, dann sind auch g und h parallel. c) Zu jeder Geraden g ⊂ ε und P ∈ ε gibt es eine Gerade h durch P , die parallel zu g (und damit eindeutig bestimmt) ist. Es ist h 6= g, falls P ∈ / g. d) In jedem Dreieck ist jeder Außenwinkel gleich der Summe der nicht anliegenden Innenwinkel und die Summe der Innenwinkel ist gleich 2Rechte. Beweis a) Ang., α und β sind (innere) Wechselwinkel an geschnittenen Parallelen und α 6= β, etwa α > β. Wir tragen α in A an und erhalten als 2. Schenkel h0 . Nach Satz 1.2.28 sind h0 und g parallel im Widerspruch zu (P). b) folgt unmittelbar aus (P) und a). c) ist Satz 1.2.29. d) Sei δ der Außenwinkel ](CBD). Offenbar ist β + δ = 2Rechte. Wir ziehen durch B eine Parallel zu g(A, C) und erhalten eine Unterteilung von δ in α0 = ](DBE) ∼ =α 0 0 0 ∼ und γ = ](EBC) = γ, also δ = α + γ . Damit ist α + β + γ = α0 + β + γ 0 = β + δ = 2Rechte, qed. Dass die Summe der Innenwinkel in einem Dreieck der euklidischen Geometrie gleich 2Rechte ist, können wir auch so zeigen: 1 AXIOMATISCHER AUFBAU Durch C ziehen wir die eindeutig bestimmte Parallele zu g(A, B) und erhalten die Wechselwinkel α, α0 und β, β 0 . Es ist α ∼ = α0 und β ∼ = β 0 und daher α + β + γ = α0 + β 0 + γ = 2Rechte, qed. 30 1 AXIOMATISCHER AUFBAU 1.5 31 Axiomatik des Raumes Für die räumliche Geometrie muss zunächst die Punktmenge erweitert werden: Ω = {A, B, . . .}. Definition 1.5.1 Punkte A, B, . . ., Geraden g, h, . . ., Ebenen ε, η, . . . sind Elemente der räumlichen Geometrie: A, B, . . . ∈ g, h, . . . ; g, h, . . . ⊂ ε, η, . . . ; ε, η, . . . ⊂ Ω. Zu den bisherigen Axiomen kommen weitere Axiome. Axiome der Inzidenz (I4) Zu je drei nicht-kollinearen Punkten A, B, C gibt es genau eine Ebene ε, die mit A, B, C inzidiert (liegen auf ε). Zu jeder Ebene ε gibt es mindestens drei nicht-kollineare Punkte, die auf ε liegen. (I5) Wenn 2 Punkte A, B einer Geraden g auf einer Ebene ε liegen, dann liegt ganz g in ε. (I6) Wenn 2 Ebenen ε, η wenigsten einen Punkt gemeinsam haben, dann haben sie noch mindestens einen zweiten Punkt gemeinsam. (I7) es gibt 4 Punkte, die nicht auf einer Ebene liegen. Weitere Axiome sind für den Raum nicht erforderlich, da alle anderen Festsetzungen von der Natur her eben sind und im Raum beliebig verwendet werden. Besonderheiten treten erst wieder bei Rauminhalten (Volumina) auf. Parallelität im Raum Definition 1.5.2 Sei Ω ein (euklidischer) Raum. (a) Geraden g, h ⊂ Ω heißen parallel (gkh) :⇐⇒ ∃ eine Ebene ε ⊂ Ω mit g, h ⊂ ε und in ε gilt gkh. (b) Ebenen ε, η ⊂ Ω heißen parallel (εkη) :⇐⇒ ε ∩ η = ∅ oder ε = η. (c) Eine Gerade g ⊂ Ω und Ebene ε ⊂ Ω eine heißen parallel (gkε) :⇐⇒ g ∩ ε = ∅ oder g ⊂ ε. Wir erhalten das Parallelenaxiom für den Raum Ω: (PΩ ) ∀ g ⊂ Ω und ∀ P ∈ Ω gibt es genau eine Gerade h mit P ∈ h und hkg. Satz 1.5.3 Mit obigen Bezeichnungen gilt a) gkε ⇐⇒ ∃ g 0 ⊂ ε : g 0 kg. b) gkε ⇐⇒ ∃ ε0 mit g ⊂ ε0 und ε0 kε. 1 AXIOMATISCHER AUFBAU Beweis a) ”=⇒” Sei gkε und etwa g ∩ ε = ∅ =⇒ ∃ P ∈ ε, P ∈ / g. 0 0 0 0 Sei ε := ε(P, g), g = ε ∩ ε, dann ist g kg. Entsprechend zeigt man die umgekehrte Richtung. 32 1 AXIOMATISCHER AUFBAU 1.6 33 Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit des Axiomensystems Widerspruchsfreiheit des Axiomensystems Nachdem das Axiomensystem durch die Axiome der räumlichen Geometrie vervollständigt sind, beweisen wir, dass die Axiome miteinander nicht im Widerspruch stehen. Das bedeutet, wir können aus ihnen nicht einen Satz und seine Negation ableiten. Hierzu wird ein (ebenes) kartesisches Modell angegeben, welches widerspruchsfrei ist genau dann, wenn es im Körper der reellen Zahlen keinen Widerspruch gibt. Letzteres wird vorausgesetzt. Wir betrachten zunächst den Bereich Ω mit (i) 1 ∈ Ω √ (ii) a, b, ω ∈ Ω =⇒ a ± b, a · b, a/b (b 6= 0), | 1 + ω 2 | ∈ Ω und derart, dass Ω eine Körperstruktur hat. Punkte: {P = (x, y) | x, y ∈ Ω} Geraden: g = (u : v : w) | u, v, w ∈ Ω und (u, v) 6= (0, 0), wobei Paare (u : v : w) und (u0 : v 0 : w0 ) dieselbe Gerade liefern, wenn ∃ % 6= 0 und (u : v : w) = % · (u0 : v 0 : w0 ) = (% · u0 : % · v 0 : % · w0 ). Die Gerade g ist dann das Zahlentripel (u : v : w) und P = (x, y) ∈ g ⇐⇒ u · x + v · y + w = 0, also die bekannte arithmetische Darstellung. Man rechnet sofort nach: (I1), (I2), (I3) sind erfüllt. Axiome der Anordnung: Sei jetzt Ω ein angeordneter Körper, etwa Ω = R. Sind P1 , P2 , P3 paarweise verschiedene kollineare Punkte, Pi = (xi , yi ) (i = 1, 2, 3), dann definieren wir Zw(P1 , P2 , P3 ) :⇐⇒ {x1 6= x2 6= x3 und x1 < x2 < x3 oder x3 < x2 < x1 oder x1 = x2 = x3 und y1 < y2 < y3 oder y3 < y2 < y1 } Man rechnet nach: (A1), (A2), (A3) sind erfüllt. Für (A4) - Axiom von Pasch - definieren wir die Potenz eines Punktes zu einer Geraden: Ist g : u · x + v · y + w = 0 und etwa u2 + v 2 = 1, w ≤ 0 (Hessesche Normalform), dann sei für P = (x0 , y0 ) ∈ ε : dg (P ) := u · x0 + v · y0 + w die Potenz von P bezüglich g. dg (P ) ist im euklidischen Sinn der vorzeichenbehaftete Abstand des Punktes P von der Geraden g. 1 AXIOMATISCHER AUFBAU 34 Mit Hilfe der Potenz definieren wir die beiden Seiten einer Geraden (Mengen S1 und S2 gemäß Satz 1.1.6): S1 = {P ∈ ε | dg (P ) > 0} S2 = {P ∈ ε | dg (P ) < 0} Behauptung: Ist g 6= h, g ∦ h und P, Q, R ∈ h, dann gilt Zw(P QR) ⇐⇒ dg (P ) < dg (Q) < dg (R) oder dg (P ) > dg (Q) > dg (R). Beweis Wegen g ∦ h ist dg (P ) 6= dg (R), etwa dg (P ) < dg (R). Aus der Parameterdarstellung für Geraden Q = P + t0 (R − P ) = xP yP ! + t0 xR − xP yR − yP ! erhält man durch einfaches nachrechnen aus dg (Q) = u · xQ + v · yQ − w (w ≥ 0): dg (Q) = dg (P ) + t0 · (dg (R) − dg (P )) = dg (P ) · (1 − t0 ) + dg (R) · t0 . Nun ist Zw(P QR) ⇐⇒ 0 < t0 < 1 ⇐⇒ dg (P ) < dg (Q) < dg (R), qed. Zum Axiom von Pasch: Die Gerade g schneide die Strecke AB. Daher ist dg (A) · dg (B) < 0, etwa dg (A) < 0 und dg (B) > 0. Je nachdem, ob dg (C) > 0 oder < 0 ausfällt, schneidet g die Strecke AC oder BC aber nicht beide. Zum Nachweis der Kongruenzaxiome - Abtragen von Strecken und Winkeln - bedienen wir uns der Bewegungen. Translation: x0 = x + a, y0 = y + b Spiegelung (an der Geraden y = 0): x0 = x, y 0 = −y Drehung um den Ursprung (0, 0) um den Winkel ](COE) mit E = (1, 0) und C = (a, b): x0 = y0 = Wegen √ a b ·x− √ ·y 2 2 +b a + b2 b a √ ·x+ √ ·y a2 + b2 a2 + b2 √ a2 a2 + b2 = b p 1 + ( ab )2 ist die Transformation innerhalb von Ω ausführbar. 1 AXIOMATISCHER AUFBAU 35 Es ist AB ∼ = CD ⇔ ∃ Bewegung ϕ mitϕ(CD) = AB ](BAC) ∼ = ](EDF ) ⇔ ∃ Bewegung ϕ mitϕ(](EDF )) = ](BAC) Hiermit sind (C1) bis (C6) und (S1) (Archimedisches Axiom) elementar nachweisbar. Vollständigkeit des Axiomensystems Ersetzen wir Ω durch R, dann ist auch das Vollständigkeitsaxiom (S2) erfüllt, was schon bei seiner Einführung diskutiert wurde: Angenommen, es gibt eine Gerade g, so dass durch Hinzufügen weiterer Punkte alle anderen Axiome erhalten bleiben. Sei etwa N solch ein neuer Punkt. N teilt g in zwei Halbgeraden und die alten“ Punkte in 2 Klassen {Parametergleichung ” für g : x = m · t + n, y = p · t + q und t ∈ R für alle alten“ Punkte.} Wegen der linearen ” Anordnung gibt es eine Klasse mit einem 1. Element aus R oder einem letzten Element aus R; dieses sei A ⇒ zwischen A und N liegt kein alter“ Punkt. ” (S1) Wegen (A2) gibt es einen alten“ Punkt D mit Zw(AN D) =⇒ ∃ n und Punkte C1 , . . . , Cn−1 , ” so dass AN ∼ = N C1 ∼ = C1 C2 ∼ = ··· ∼ = Cn−2 Cn−1 und Zw(Cn−2 DCn−1 ) oder D = Cn−2 . Teilen wir AD in n kongruente Teile und ist hierbei W der am nächsten zu A gelegene (alte) Punkt, dann ist AW < AN im Widerspruch zur Auswahl von A und N , qed. 2 EUKLIDISCHE GEOMETRIE 2 36 Euklidische Geometrie 2.1 Strahlensätze Wir kommen nun zu den Strahlensätzen, die die Ähnlichkeitslehre in der euklidischen Geometrie begründen. Wir beweisen sie mit Hilfe des Archimedischen und des Parallelenaxioms. Zunächst einige Hilfssätze. Lemma 2.1.1 (Parallelogrammregel) Seien A, B, C, D nicht kollinear und g(A, B) k g(C, D), g(A, D) k g(B, C). Dann ist AB ∼ = DC und AD ∼ = BC. Beweis Aus der Kongruenz der Wechselwinkel und der gemeinsamen Seite BD ergibt sich 4(BDC) ∼ = 4(BDA) ⇒ AB ∼ = CD ∼ und AD = CB, qed. −−→ −→ Lemma 2.1.2 a) Seien AD und AE Strahlen, die nicht auf derselben Gerade liegen, und −→ D1 der Mittelpunkt von AD. Sei h k g(D, E) durch D1 und E1 = h ∩ AE. Dann ist E1 der Mittelpunkt von AE. −−→ −→ b) Seien entsprechend D1 , . . . , Dn ∈ AD und E1 , . . . , En ∈ AE, so dass AD1 ∼ = D1 D2 ∼ = ... ∼ = Dn−1 Dn , g(Di , Ei ) k g(Dj , Ej ) ∀ i, j, dann ist AE1 ∼ = E1 E2 ∼ = ... ∼ = En−1 En . Beweis a) Sei D∗ ∈ DE derart, dass g(D1 , D∗ ) k g(A, E). Dann ist ](D1 AE1 ) ∼ = ](DD1 D∗ ) und ](AD1 E1 ) ∼ = (W SW ) ∗ ∗ ∼ 4(D1 DD ) ](D1 DD ) =⇒ 4(AD1 E1 ) = und nach der Parallelogrammregel (Lemma 2.1.1) D1 D∗ ∼ = E1 E, also AE1 ∼ = D1 D∗ ∼ = E1 E. b) Den allgemeinen Fall beweisen wir durch Induktion bezüglich n, indem wir eine Parallele zu g(ADn ) durch E1 ziehen und die Punkte D2∗ , . . . , Dn∗ erhalten. Dann ist wegen a) AE1 ∼ = E1 E2 und nach der Parallelogrammregel Di Di+1 ∼ = ∗ ∗ Di Di+1 für i = 1, . . . , n − 1. Aus der Induktionsvoraussetzung ergibt sich nun ∼ ... = ∼ En−1 En . E 1 E2 = Hiermit zeigt man nun 2 EUKLIDISCHE GEOMETRIE 37 Satz 2.1.3 (1. Strahlensatz)Schneiden sich 2 Geraden g(A1 , A2 ) und g(B1 , B2 ) im Punkt O und ist g(A1 , B1 ) k g(A2 , B2 ), dann ist `(OA1 ) `(OB1 ) = `(OA2 ) `(OB2 ) und `(OA1 ) `(OA2 ) `(A1 A2 ) = = . `(OB1 ) `(OB2 ) `(B1 B2 ) Ist umgekehrt die Bedingung (2.A) erfüllt, dann sind die Geraden g(A1 , A2 ) und g(B1 , B2 ) parallel. oder (2.A) Beweis Wir betrachten 2 Fälle: Fall 1: (kommensurabler Fall - lat.: zusammen messbar): Das Streckenverhältnis eine rationale Zahl, etwa `(OA1 ) p = < 1, `(OA2 ) q also 0<p<q `(OA1 ) `(OA2 ) ist oder p = n, q = n + m (m > 0). Sei also n `(OA1 ) = `(OA2 ) n+m Wir zerlegen OA1 durch die Punkte Ci (i = 1 . . . , n) in n kongruente Teilstrecken OC1 ∼ = Ci Ci+1 (i = 1 . . . , n − 1). Dann wird wegen Lemma 2.1.2 die Strecke OB1 durch die Parallelen zu g(A1 , B1 ) durch die Punkte Ci ebenfalls in n kongruente Teilstrecken OD1 ∼ = Di Di+1 (i = 1 . . . , n − 1) zerlegt. Wegen `(A1 A2 ) = `(OA2 ) − `(OA1 ) = n+m · `(OA1 ) − `(OA1 ), n also `(A1 A2 ) = m · `(OA1 ) = m · `(OC1 ), n −−→ erreichen wir den Punkt A2 , wenn wir weitere m-mal die Strecke OC1 auf dem Strahl OA1 abtragen. Die Parallelen zu g(A1 , B1 ) durch Cn+1 , . . . , Cn+m = A2 liefern entsprechende −−→ Schnittpunkte Dn+1 , . . . , Dn+m auf OB1 mit Di Di+1 ∼ = OD1 (i = n, . . . n + m − 1). Nach Voraussetzung ist Dn+m = B2 und daher `(OB1 ) n · `(OD1 ) n `(OA1 ) = = = . `(OB2 ) (n + m) · `(OD1 ) n+m `(OA2 ) 2 EUKLIDISCHE GEOMETRIE 38 `(OA1 ) Fall 2: (inkommensurabler Fall): Das Streckenverhältnis `(OA ist keine rationale Zahl, also 2) irrational. In diesem Fall benötigen wir zum Beweis des Strahlensatzes einen Grenzübergang, kommen also nicht mit unseren elementargeometrischen Hilfsmitteln aus. Für kein n gibt es ein m, so dass wir mit obiger Konstruktion auf A2 treffen. Ist nun n beliebig aber fest vorgegeben mit `(OA1 ) = n · `(OC1 ) und `(OB1 ) = n · `(OD1 ), dann sei m derart gewählt, dass Zw(Cn+m−1 A2 Cn+m ) und wegen g(Ci , Di ) k g(A2 , B2 ) auch Zw(Dn+m−1 B2 Dn+m ) ⇒ (n + m − 1) · `(OC1 ) < `(OA2 ) < (n + m) · `(OC1 ) und (n + m − 1) · `(OD1 ) < `(OB2 ) < (n + m) · `(OD1 ), also n+m−1 (n + m − 1) · `(OC1 ) `(OA2 ) (n + m) · `(OC1 ) n+m = < < = n n · `(OC1 ) `(OA1 ) n · `(OC1 ) n und n+m−1 (n + m − 1) · `(OD1 ) `(OB2 ) (n + m) · `(OD1 ) n+m = < < = . n n · `(OD1 ) `(OB1 ) n · `(OD1 ) n Aus der Differenz beider ergibt sich `(OA2 ) `(OB2 ) 1 < , 0≤ − `(OA1 ) `(OB1 ) n n-beliebig, und daher die Gleichheit. Genauso zeigt man den Fall: Die zweite Bedingung folgt aus der ersten Relation unter Berücksichtigung von c c−a a = = b d d−b (a, b, c, d ∈ R) für a = `(OA1 ), c = `(OA2 ), c − a = `(A1 A2 ) und entsprechend für B. Für die Umkehrung sei Bedingung 2.A erfüllt und etwa g(A2 , B20 )kg(A1 , B1 ) mit B20 ∈ g(O, B1 ). Dann ist nach oben bewiesenem ersten Teil des 1. Strahlensatzes `(OB20 ) = `(OB2 ) und offenbar B20 und B2 auf derselben Seite von O, also B20 = B2 , qed. 2 EUKLIDISCHE GEOMETRIE 39 Satz 2.1.4 (2. Strahlensatz) Ist mit obigen Bezeichnungen g(A1 , B1 ) k g(A2 , B2 ), dann gilt `(OA1 ) `(A1 B1 ) = . `(OA2 ) `(A2 B2 ) Die Umkehrung gilt nicht. Beweis Es sei h k g(B1 , B2 ) durch A1 und F der Schnittpunkt von h mit der Geraden g(A2 , B2 ). Dann gilt nach Satz 2.1.11 und A2 als Zentrum `(A1 O) `(F B2 ) `(A1 B1 ) = = . `(A2 O) `(A2 B2 ) `(A2 B2 ) −−→ −−→ Für die Umkehrung nehmen wir an, dass zwei Strahlen OA1 und OB1 gegeben sind, A2 ∈ −−→ −−→ OA1 , und für einen Punkt B2 ∈ OB1 gelten soll `(OA1 ) `(A1 B1 ) = . `(OA2 ) `(A2 B2 ) (∗) Wir schlagen um A2 einen Kreisbogen mit dem Radius `(A2 B2 ). Dieser trifft die Gerade g(O, B1 ) in zwei Punkten B20 und B200 . Beide Punkte erfüllen die Bedingung (∗), jedoch kann nur für einen Punkt B2 = B20 oder B2 = B200 gelten: g(A2 , B2 ) k g(A1 , B1 ), qed. In der Schule wird der Strahlensatz mitunter über Flächeninhalte von Dreiecken behandelt, und zwar mit der bekannten Formel F = 12 · g · h. Für den Beweis der Unabhängigkeit der Formel von der Auswahl der Grundlinie wird aber gerade der Strahlensatz benötigt, wodurch man unwillkürlich in einen Zirkelschluss gerät. Daher führt dieser Weg zu keinem Beweis des Strahlensatzes: F (4(CAD)) = F (4(CAB)) ⇒ F (4(ODA)) = F (4(OBC)) 1. Bestimmung von h aus F (4(OAC)) (falls Flächeninhalt unabhängig von der Auswahl der Grundseite!): F (4(OAC)) = 1 1 `(OA) · `(AC) `(OA) · `(AC) = `(OC) · h ⇒ h = 2 2 `(OC) 2 EUKLIDISCHE GEOMETRIE 40 2. Bestimmung von h aus F (4(OAD)) = F (4(OBC)) (falls Flächeninhalt unabhängig von der Auswahl der Grundseite!): F (4(OAD)) = ⇒ `(OB) `(OA) = `(OD) `(OC) 1 1 `(OB) · `(AC) `(OD) · h = `(OB) · `(AC) ⇒ h = 2 2 `(OD) usw. Eine 3. Methode arbeitet mit einer Streckenarithmetik und kann als algebraischer Zugang bezeichnet werden. Sie geht auf den Satz von Pascal zurück, kann aber auch weniger aufwendig über Sehnenvierecke in einer Hilbert-Ebene mit Parallelenaxiom begründet werden. (Unter einer Hilbert-Ebene verstehen wir eine Ebene, in der die Axiome der Inzidenz, der Anordnung und der Kongruenz gelten.) Definition 2.1.5 Seien a, b Äquivalenzklassen von Strecken (siehe Satz 1.2.1), AB ∈ a und C derart, dass Zw(ABC) und BC ∈ b. Dann sei a + b := Klasse, in der AC liegt. Es gelten folgende Rechenregeln: Satz 2.1.6 ∀ a, b, c gilt (1) a + b ist stets eindeutig definiert (unabhängig von der Auswahl der Repräsentanten) (2) (a + b) + c = a + (b + c) (assoziativ) (3) a + b = b + a (kommutativ) (4) Genau eine der Beziehungen trifft zu: (i) a = b (ii) ∃ c : a + c = b (iii) ∃ d : a = b + d Der Beweis wird hier übergangen. Wichtiger ist für unsere Überlegungen die Multiplikation zweier Klassen, die nicht offensichtlich ist. Definition 2.1.7 Gegeben sei a, b sowie ein Einselment 1. Sei AB ∈ 1, BC ∈ a, DE ∈ b und ](BAC), ](EDF ) ∈ α. Die Dreiecke 4(ABC) und 4(DEF ) seien rechtwinklig. Dann definieren wir: a · b := Äquivalenzklasse von EF . 2 EUKLIDISCHE GEOMETRIE 41 Satz 2.1.8 In der euklidischen Ebene gilt (1) ∀ a, b ist a · b eindeutig definiert (”·” ist eine Operation) (2) ∀ a ist a · 1 = a (3) ∀ a, b ist a · b = b · a (kommutativ) (4) ∀ a, b, c ist (a · b) · c = a · (b · c) (assoziativ) (5) ∀ a ∃ b : a · b = 1 (6) ∀ a, b, c ist a · (b + c) = a · b + a · c (distributiv) Beweis (1) Sei 4(D0 E 0 F 0 ) ein rechtwinkliges Dreieck (W SW ) mit D0 E 0 ∈ b sowie ](E 0 D0 F 0 ) ∼ = ](EDF ) =⇒ 4(DEF ) ∼ = 4(D0 E 0 F 0 ) =⇒ E 0 F 0 ∼ = EF (3) ist die eigentlich interessante Aussage. In der nebenstehenden Skizze liegen A, C, D, E auf einem Kreis. Die Geraden g(A, E) und g(C, D) schneiden sich in B orthogonal. Nach dem Peripheriewinkelsatz, den wir als bekannt voraussetzen, ist ](BAC) ∼ = ](BDE) und damit BE ∈ a · b sowie ](BAD) ∼ = ](BCE) und damit BE ∈ b · a, also a · b = b · a, qed. (5) Das Inverse von a ergibt sich unmittelbar aus beiliegender Konstruktion: Satz 2.1.9 Sei (F ∗ , +, · ) die Menge der Äquivalenzklassen von Strecken mit obiger Arithmetik. Dann gibt es genau einen Körper (F, +, · ) mit obigen Operationen und F+ = F ∗ . Beweis Wir gehen wie bei der Einführung der negativen Zahlen vor, da genau die negativen Elemente und die Null fehlen. Sei Fe := {(a, b) : a, b ∈ F ∗ } mit der Äquivalenzrelation (a, b) ∼ (a0 , b0 ) :⇔ a + b0 = a0 + b 2 EUKLIDISCHE GEOMETRIE 42 und den Operationen (a, b) + (c, d) := (a + c, b + d) (a, b) · (c, d) := (ac + bd, ad + bc). (a, b) entspricht der Differenz a − b; (a, a) hat die Eigenschaften der Null, ist daher auch die Null in Fe. (F, +, · ) ist nun die Menge der Äquivalenzklassen (a, b) mit den durch obige Äquivalenzrelation induzierten Operationen. Übungsaufgabe: Man zeige, dass (F, +, · ) ein Körper ist. Bemerkung: Über die Längenmessung mittels Archimedischem Axiom nach Definition 1.3.1 erhalten wir durch die Zuordnung Φ : F −→ R mit Φ(b) := `(AB) für b ∈ F und AB ∈ b eine Isomorphie F ∼ = R. `(AB) AB % l & b Ähnliche Dreiecke Wenn wir im folgenden Dreiecke betrachten, ordnen wir diesen Seiten zu. Hierbei können a, b, c Maßzahlen für die Strecken BC, AC, AB nach dem Archimedischen Axiom oder auch Elemente des Körpers F im obigen Sinn sein oder auch einfach die entsprechenden Strecken, die dann allerdings einen festen Ort in der Ebene bezeichnen. Definition 2.1.10 Zwei Dreiecke heißen ähnlich: 4(ABC) ∼ 4(A0 B 0 C 0 ) :⇐⇒ 1. Winkel sind paarweise kongruent a b c 2. = 0 = 0 , d.h. Seiten sind paarweise proportional 0 a b c Satz 2.1.11 Haben 2 Dreiecke paarweise kongruente Winkel, dann sind sie ähnlich. Wir zeigen zunächst folgendes Lemma 2.1.12 a) Sei g die Winkelhalbierende von ](BAC) und P ∈ g im Innern des Winkels. D und E seien die Fußpunkte der Lote von P auf die beiden Schenkel. Dann gilt: 4(ADP ) ∼ = 4(AEP ). b) Die Winkelhalbierenden ωα , ωβ , ωγ im Dreieck schneiden sich in einem Punkt. Beweis a) ergibt sich aus (WWS) (Übungsaufgabe). 2 EUKLIDISCHE GEOMETRIE 43 b) M sei der Schnittpunkt von ωα und ωβ ⇒ M hat kongruenten Abstand zu g(A, C), g(A, B) und g(B, C) ⇒ M ∈ ωγ , qed. Beweis zu Satz 2.1.11: zu zeigen: a/a0 = b/b0 = c/c0 Wir führen die Aussage auf die oben eingeführte Streckenarithmetik zurück. Sei im Dreieck 4(ABC) M der Schnittpunkt der Winkelhalbierenden und D, E, F die Fußpunkte der Lote auf die entsprechenden Dreiecksseiten. Bezeichnen wir im zweiten Dreieck die entsprechenden Größen jeweils mit einem Strich, dann ergibt sich: h = r · x, h0 = r · x0 also x/x0 = h/h0 ; genauso y/y 0 = h/h0 , z/z 0 = h/h0 . Setzen wir h/h0 = k, so folgt x = k·x0 , y = k·y 0 , z = k·z 0 und daher a = x+y = k·x0 +k·y 0 = k·a0 sowie b = k·b0 , c = k·c0 , qed. Hieraus ergibt sich nun der (1.) Strahlensatz Satz 2.1.13 In einem Dreieck 4(ABC) sei g(B 0 , C 0 ) parallel zu g(B, C) und etwa AB ∈ a, AB 0 ∈ a0 , AC ∈ c, AC 0 ∈ c0 . Dann ist a a0 = 0 c c und umgekehrt, wenn B 0 und C 0 die Strecken AB bzw. AC wie oben teilen, dann ist g(B, C) k g(B 0 , C 0 ). (2.1.11) Beweis Die Dreiecke 4(ABC) und 4(A0 B 0 C 0 ) sind ähnlich ⇐⇒ die Winkel sind paarweise kongruent ⇐⇒ g(B, C) k g(B 0 , C 0 ). Wäre etwa g(B, C) ∦ g(B 0 , C 0 ), dann hätten wir ein Dreieck, in dem ein Außenwinkel und der nicht-anliegende Innenwinkel gleich wären im Widerspruch zu Satz 1.2.23, qed. Die Transversalen am Dreieck Bereits gezeigt: Die 3 Innenwinkelhalbierenden schneiden sich in einem Punkt W (Inkreismittelpunkt). Satz 2.1.14 a) Die 3 Mittelsenkrechten schneiden sich in einem Punkt M (Umkreismit- 2 EUKLIDISCHE GEOMETRIE 44 telpunkt). b) Die 3 Höhen schneiden sich in einem Punkt H. c) Die 3 Seitenhalbierenden sa , sb , sc schneiden sich in einem Punkt S und S teilt diese in einem Verhältnis 2:1 (S-Schwerpunkt). d) Die 3 Punkte M, H, S liegen auf einer Geraden. Ist 4(ABC) gleichseitig, dann ist W = H = S. Ist 4(ABC) nicht gleichseitig, dann sind alle 3 Punkte voneinander verschieden und es gilt Zw(M SH) und `(HS) = 2 · `(SM ). Die Gerade g = g(M, S) heißt Euler-Gerade. Beweis a) Jeder Punkt Q der Mittelsenkrechten mAB erzeugt ein gleichschenkliges Dreieck AQ ∼ = BQ ⇒ im Schnittpunkt M von mAB und mAC gilt AM ∼ = BM ∼ = CM ⇒ A, B, C liegen auf einem Kreis mit dem Zentrum M und dem Radius `(AM ), M ist eindeutig bestimmt ⇒ mBC geht auch durch M . b) Wir ziehen Parallele durch C zu g(A, B) usw. und erhalten das Dreieck 4(A0 B 0 C 0 ). Aus der Parallelogrammregel (2.1.1) folgt CA0 ∼ = AB ∼ = B0C usw. Daher sind die Höhen die Mittelsenkrechten in einem Punkt. 4(A0 B 0 C 0 ), diese schneiden sich nach a) in c) Sei S der Schnittpunkt von sb und sc . Wir ziehen die Parallele zu sb durch A, Mc , Ma . Nach dem Strahlensatz, −−→ −→ −→ −−→ angewandt auf AB und AC sowie CA und CB wird jeweils die Hälfte der Strecke AC noch einmal halbiert, also teilen obige Parallele die Strecke AC in 4 kongruente Teilstrecken und daher AMa in 3 kongruente Teilstrecken, kongruent zu SMa . Hieraus ergibt sich `(AS) = 2 · `(SMa ) und ebenso `(BS) = 2 · `(SMb ) bzw. `(AS) : `(SMa ) = `(BS) : `(SMb ) = 2 : 1. Falls sb und sa sich in S 0 schneiden, folgt entsprechend `(CS 0 ) : `(S 0 Mc ) = `(BS 0 ) : `(S 0 Mb ) = 2 : 1 2 EUKLIDISCHE GEOMETRIE 45 und daher S = S 0 . S ist der Schwerpunkt des Dreiecks. d) Bei gleichseitigen Dreiecken fallen alle Ecktransversalen zusammen ⇒ M = H = S. Ist 4(ABC) nicht gleichseitig ⇒ ∃ mindestens eine Höhe, die von der Seitenhalbierenden unterschiedlich ist, und diese ist damit von der Mittelsenkrechten verschieden =⇒ M 6= H 6= S. Sei g = g(M, S), Q ∈ g mit Zw(M SQ) derart, dass `(QS) = 2 · `(M S) und h = g(C, Q) ⇒ (Strahlensatz): 1 `(SM ) `(SMc ) = = ⇒ mAB k h; 2 `(SQ) `(SC) g(C, H) k mAB ⇒ h = g(C, H) =⇒ Q liegt auf der Höhe. Genauso zeigt man, dass Q auch auf den anderen Höhen liegt ⇒ Q = H, qed. Zu den Merkwürdigkeiten in der Dreiecksgeometrie gehört der 9-Punkte- oder FeuerbachKreis. Zu den Merkwürdigkeiten in der Dreiecksgeometrie gehört der 9-Punkte- oder FeuerbachKreis (Wilhelm Feuerbach, 1800 - 1834). Satz 2.1.15 (Feuerbach-Kreis) Sei 4(ABC) ein Dreieck und (i) Ma , Mb , Mc - Seitenmittelpunkte (ii) Ha , Hb , Hc - Höhenfußpunkte (iii) Pa , Pb , Pc - Mittelpunkte der Strecken AH, BH, CH wenn H der Höhenschnittpunkt ist. Dann liegen diese 9 Punkte auf einem Kreis, dem Feuerbach-Kreis. Beweis Der Beweis ergibt sich aus der wiederholten, einfachen Anwendung des 1. Strahlensatzses und des Satzes von Thales wie folgt: CMb : CA = CMa : CB HPa : HA = HPb : HB AMb : AC = APa : AH BMa : BC = BPb : BH ⇒ ⇒ ⇒ ⇒ Ma Mb k AB Pa Pb k AB Pa Mb k hc = CHc Pb Ma k hc = CHc Da offenbar hc ⊥ AB, ist (Pa Pb Ma Mb ) ein Rechteck. Genauso zeigt man, dass (Pb Pc Mb Mc ) ein Rechteck ist. Die Strecke Pb Mb ist eine gemeinsame Diagonale beider Rechtecke und daher Durchmesser eines Kreises durch die Eckpunkte Pa , Mb , Pc , Ma , Pb , Mc . Die Höhenfußpunkte bilden offensichtlich rechtwinklige Dreiecke über den Diagonalen (z.B. ist 4(Mb Hb Pb ) ein rechtwinkliges Dreieck mit dem rechten Winkel bei Hb usw.) und liegen daher nach dem Satz 2 EUKLIDISCHE GEOMETRIE 46 des Thales ebenfalls auf diesem Kreis, dem Feuerbach-Kreis, was im übrigen auch für die anderen Punkte gilt. Qed. 2 EUKLIDISCHE GEOMETRIE 2.2 47 Flächeninhalt und Flächenmaß Flächenmaße kann man ähnlich wie Streckenmaße einführen mit dem Unterschied, dass die Vielfalt bei Flächen natürlich erheblich größer ist als bei Strecken. Bei geradlinig begrenzten Figuren lässt sich ein Flächenmaß“ zurückführen auf ein solches von Dreiecken in Verbindung ” mit einem geeigneten Kongruenzbegriff als Erweiterung des bereits eingeführten Kongruenzbegriffes bei Dreiecken. Folgende Bedingungen müssen für einen Flächeninhalt (Flächenmaß) erfüllt sein: 1. Kongruente Figuren haben gleichen Flächeninhalt. 2. Der Flächeninhalt von Summen“ sich nicht überlappender Figuren ist gleich der Sum” me der Inhalte. Definition 2.2.1 Eine geradlinig begrenzte Figur (im folgenden Figur“) ∆ ist eine Teilmen” ge der Ebene, die sich durch eine endliche Anzahl nicht überlappender Dreiecke darstellen lässt. Wir sagen, zwei Dreiecke ∆1 und ∆2 überlappen sich, wenn sie einen inneren Punkt D von ∆1 und von ∆2 gemeinsam haben. Satz 2.2.2 Durchschnitt, Vereinigung, Komplement in einer dritten Figur einschließlich der Ränder und Differenz von Figuren sind wieder Figuren. Definition 2.2.3 a) Zwei Figuren ∆, ∆0 heißen zerlegungsgleich :⇐⇒ ∆ und ∆0 lassen sich derart als Vereinigung nicht-überlappender Dreiecke T1 , . . . , Tn bzw. T10 , . . . , Tn0 darstellen: ∆ = T1 ∪ . . . ∪ Tn und ∆0 = T10 ∪ . . . ∪ Tn0 , so dass bei geeigneter Wahl der Reihenfolge Ti ∼ = Ti0 (i = 1, . . . , n). b) Zwei Figuren ∆, ∆0 heißen ergänzungsgleich :⇐⇒ ∃ Figuren Q, Q0 derart, dass (1) ∆ und Q überlappen sich nicht. (2) ∆0 und Q0 überlappen sich nicht. (3) Q und Q0 sind zerlegungsgleich. (4) ∆ ∪ Q und ∆0 ∪ Q0 sind zerlegungsgleich. Wir sagen auch: ∆ und ∆0 sind inhaltsgleich und werden zeigen, dass diese Bezeichnung auch gerechtfertigt ist. 2 EUKLIDISCHE GEOMETRIE 48 Offenbar sind zerlegungsgleiche Figuren auch inhaltsgleich und die Vereinigung sich nicht überlappender zerlegungsgleicher Figuren wieder zerlegungsgleich. Beispiel: 4 = (ABCD) und 40 = (CDEF ) seien Parallelogramme wie in nebenstehender Skizze. Behauptung: 4 und 40 sind ergänzungsgleich und damit inhaltsgleich. Es ist Q = Q0 = 4(BGE) =⇒ 4 + Q und 40 + Q0 sind zerlegungsgleich: 4 + Q = 4(ACE) + 4(CDG), 40 + Q0 = 4(BDF ) + 4(CDG) und 4(ACE) ∼ = 4(BDF ). Hat man eine Figur als Vereinigung endlich vieler Dreiecke gegeben, so kann man durch weitere Unterteilung der Dreiecke oder Überlagerung diese verfeinern“. ” Allgemein lässt sich eine beliebige durch Polygone begrenzte Figur so unterteilen“, dass eine Vereinigung endlich vieler ” Dreiecke entsteht. Diese können wieder beliebig verfeinert werden (ÜA). Folgende Aussagen führen wir weitgehend ohne Beweis an. Mit Hilfe geeigneter Unterteilungen sind die Aussagen zwar mit etwas Aufwand aber ohne nennenswerte Hürden zu beweisen. Satz 2.2.4 Die Relation zerlegungsgleich“ ist eine Äquivalenzrelation. ” Beweis Reflexivität und Symmetrie sind offenbar erfüllt. Daher bleibt nur die Transitivität nachzuweisen. Seien also ∆ und ∆0 zerlegungsgleich sowie ∆0 und ∆00 . Die einander zugeordneten Zerlegungen seien ∆ = T1 ∪ . . . ∪ Tn und ∆0 = T10 ∪ . . . ∪ Tn0 mit Ti ∼ = Ti0 (i = 1, . . . , n) bei geeigneter Wahl der Reihenfolge und 0 ∆0 = S10 ∪ . . . ∪ Sm und 00 ∆00 = S100 ∪ . . . ∪ Sm mit Si0 ∼ = Si00 (i = 1, . . . , m). Wir müssen nun Zerlegungen von ∆ und ∆00 mit paarweise kongruenten Dreiecken konstruieren. Hierzu legen wir die beiden Zerlegungen von ∆0 übereinander. Haben die Dreiecke Ti0 und Sj0 innere Punkte gemeinsam, dann sei Ti0 ∩ Sj0 = l [ 0 Uijk k=1 eine Zerlegung von Ti0 ∩ Sj0 . Ist ϕi : Ti −→ Ti0 die Bewegung, die die kongruenten Dreiecke [ 0 ). Dann ist T = Ti0 und Ti aufeinander abbildet, sei Uijk = ϕ−1 (U Uijk . Entsprechend i i ijk j,k sei ψj : Sj00 −→ Sj0 mit 00 Uijk = 0 ). ψj−1 (Uijk Dann ist Sj00 = [ i,k Zerlegungen ∆= [ i,j,k Uijk und ∆00 = [ i,j,k 00 Uijk 00 Uijk 00 . Das ergibt mit Uijk ∼ = Uijk 2 EUKLIDISCHE GEOMETRIE 49 mit paarweise kongruenten Dreiecken, qed. Ein Beispiel hierzu findet man in Satz 2.2.6. Folgerung 2.2.5 a) Die Relation inhaltsgleich“ ist eine Äquivalenzrelation. ” b) Nicht-überlappende Vereinigungen inhaltsgleicher Figuren sind inhaltsgleich. c) Wenn Q ⊆ 4 und Q0 ⊆ 40 und wenn Q und Q0 sowie die Figuren 4 und 40 inhaltsgleich sind, dann sind auch 4 \ Q und 40 \ Q0 inhaltsgleich. Beweis: a) Reflexivität und Symmetrie sind offenbar erfüllt. Seien ∆ und ∆0 inhaltsgleich sowie ∆0 und ∆00 und Q, Q0 , R0 , R00 Ergänzungen, so dass Q und Q0 , ∆ ∪ Q und ∆0 ∪ Q0 sowie R0 und R00 , ∆0 ∪ R0 und ∆00 ∪ R00 jeweils zerlegungsgleich sind. Die Ergänzungen ordnen wir so in der Ebene an, dass eventuelle Überlappungen vermieden werden. Dann sind ∆ ∪ Q ∪ R0 und ∆0 ∪ Q0 ∪ R0 zerlegungsgleich und entsprechend auch ∆0 ∪ R0 ∪ Q0 und ∆00 ∪ R00 ∪ Q0 . Nach Satz 2.2.4 sind auch ∆ ∪ Q ∪ R0 und ∆00 ∪ R00 ∪ Q0 zerlegungsgleich und damit ∆ und ∆00 inhaltsgleich. b) ist trivial und c) beweist man entsprechend wie a), qed. Satz 2.2.6 Seien 41 = 4(ABC) und 42 = 4(ABD) zwei Dreiecke mit derselben Basis AB, so dass g(C, D) k g(A, B). Dann sind 41 und 42 zerlegungsgleich. Beweis Sei g = g(A, B), h = g(C, D) und m die Mittellinie von g und h. E, F, G und H seien jeweils die Lotfußpunkte der Lote von A, B, C bzw. D auf m. Dann ist etwa 4(CGI) ∼ = 4(AEI), 4(CGJ) ∼ = 4(BF J) usw. Daher sind sowohl 4(ABC) als auch 4(ABD) zerlegungsgleich zum Rechteck (ABF E) und nach Satz 2.2.4a) zueinander zerlegungsgleich, qed. Wir wollen nun ein Flächenmaß einführen und gehen dabei ähnlich vor wie bei der Einführung des geordneten Körpers F der Streckenelemente. Definition 2.2.7 a) Eine geordnete abelsche Gruppe ist eine abelsche Gruppe G zusammen mit einer Teilmenge P , den positiven Elementen, so dass (i) ∀ a, b ∈ P ist a + b ∈ P (ii) ∀ a ∈ G trifft genau eine der Relationen zu: a ∈ P oder a = 0 oder −a ∈ P (a > 0 ⇐⇒ a ∈ P ). b) Ein Maß für eine Fläche in der euklidischen Ebene ist eine Funktion α : P −→ G von der Menge der Figuren in eine geordnete abelsche Gruppe mit folgenden Eigenschaften: 2 EUKLIDISCHE GEOMETRIE 50 (1) ∀ Dreiecke 4 ∈ P gilt α(4) > 0; (2) wenn 4 ∼ = 40 kongruente Dreiecke sind, dann ist α(4) = α(40 ); (3) für zwei Figuren 4 und 40 , die sich nicht überlappen, gilt α(4 ∪ 4) = α(4) + α(40 ). α(4) heißt dann der Flächeninhalt oder kurz Fläche von 4. Für G wählen wir die additive Gruppe des Körpers der Streckenelemente (F, +, ·) oder einfach die reellen Zahlen R (R ∼ = F ). Satz 2.2.8 Sei α ein Flächenmaß. Dann gilt: a) ∀ Figuren 4 ist α(4) > 0. b) Wenn 4 und 40 zerlegungsgleich =⇒ α(4) = α(40 ). c) Wenn 4 und 40 inhaltsgleich =⇒ α(4) = α(40 ). d) Wenn Q ⊂ 4 und 4 \ Q besitzt innere Punkte =⇒ α(Q) < α(∆). Beweis c) Seien Q und Q0 zerlegungsgleiche Figuren gemäß Definition 2.2.3 derart, dass 4 ∪ Q und 40 ∪ Q0 zerlegungsgleich sind ⇒ α(4 ∪ Q) = α(40 ∪ Q0 ) und α(Q) = α(Q0 ). Die Triangulierung von 4 ∪ Q und 40 ∪ Q0 richten wir so ein, dass sich keine Dreiecke von 4 und Q bzw. 40 und Q0 überlappen. Dann ergibt sich: α(4 ∪ Q) = α(4) + α(Q) bzw. α(40 ∪ Q0 ) = α(40 ) + α(Q0 ), also α(4) = α(40 ). Rest: Übung Aus den folgenden Sätzen wird sich ergeben, dass in der euklidischen Ebene Figuren mit gleichem Flächenmaß auch inhaltsgleich und inhaltsgleiche Figuren auch zerlegungsgleich sind. Letzteres gilt nicht mehr, wenn das Archimedische Axiom nicht erfüllt ist, und gilt auch nicht mehr im 3-dimensionalen euklidischen Raum (siehe 3. Hilbertsches Problem). Da die umgekehrte Richtung einfach zu beweisen ist, erhalten wir für zwei Figuren 4 und 40 die Äquivalenz α(4) = α(40 ) ⇐⇒ 4 und 40 sind inhaltsgleich ⇐⇒ 4 und 40 sind zerlegungsgleich Die Existenz einer Flächeninhaltsfunktion wird u.a. mit dem folgenden Satz bewiesen, indem wir für ein Dreieck 4 den bekannten Inhalt α(4) = 21 · b · h fordern. Man kann auch andere Festsetzungen treffen, etwa für das Einheitsquadrat Q den Wert α(Q) = 1 und dann alle Flächeninhalte hierauf zurückführen. 2 EUKLIDISCHE GEOMETRIE 51 Die 1. Variante ist geometrisch naheliegend, da wir jede geradlinig begrenzte Figur so zerlegen können, dass sie eine Vereinigung endlich vieler, sich nicht überlappender Dreiecke ist (4 wird trianguliert und die Zerlegung heißt eine Triangulierung). Bei der 2. Variante ist man i.a. gezwungen, zu einer Figur 4 eine inhaltsgleiche Figur zu konstruieren, die selbst ein Quadrat oder zumindest Vereinigung endlich vieler, sich nicht überlappender Quadrate ist. Von grundsätzlicher Bedeutung für die Flächenberechnung ist also der folgende Satz 2.2.9 In der euklidischen Ebene gibt es ein Flächenfunktional α mit Werten in F (Körper der Streckenelemente), das folgende Bedingung erfüllt und durch diese eindeutig bestimmt ist: Für alle Dreiecke 4(ABC) mit der Basis b und der Höhe h ist α(4(ABC)) = 12 · b · h Beweis Sei ∆ = T1 ∪ . . . ∪ Tn eine Triangulierung der Figur ∆ =⇒ α(∆) = n X α(Ti ) = i=1 n X 1 i=1 2 · bi · h i . zu zeigen: 1) α(Ti ) ist unabhängig von der Auswahl der Grundlinie; 2) α(∆) ist unabhängig von der Triangulierung. Ist insbesondere ∆ ein Dreieck, also α(∆) = n X 1 i=1 2 · b i · hi = 1 2 · b · h, dann muss auch 1 ·b·h 2 sein. zu 1) α(4(ABC)) ist unabhängig von der Auswahl einer Grundseite: Nach Satz 2.1.11 ist 4(BEA) ∼ 4(BDC) ⇒ h0 h 1 1 = 0 ⇒ · b0 · h0 = · b · h. b b 2 2 zu 2) Wir beweisen den Satz zunächst für den Fall, dass 4 ein Dreieck T ist. Lemma 2.2.10 Ist T ein Dreieck und T = ∪Ti eine Triangulierung, dann ist α(T ) = X α(Ti ). (2.B) 2 EUKLIDISCHE GEOMETRIE 52 Beweis zu 2.2.10, 1. Schritt: Sei T = T1 ∪ T2 . Offenbar ist (siehe Skizze) b = b1 + b2 , α(Ti ) = 12 · bi · h und daher 1 1 · b1 · h + · b2 · h 2 2 1 = · (b1 + b2 ) · h 2 1 = · b · h = α(T ). 2 2. Schritt: Sei T = ∪Ti eine solche Triangulierung, bei der kein neuer Eckpunkt ein innerer Punkt von T ist und mindestens eine Kante keine neuen Ecken enthält, also etwa folgendes Bild: Vollständige Induktion bezüglich der Anzahl der Ecken liefert: α(T1 ) + α(T2 ) = α(4) = α(T1 ) + α(4(BCD)) nach 1. Schritt. Sei 40 = 4 \ T1 . Dann hat 40 eine Ecke weniger als 4 und erfüllt die Induktionsvoraussetzung, woraus die Behauptung folgt. 3. Schritt: T habe eine beliebige Unterteilung. Wir wählen einen Eckpunkt, etwa C aus und ziehen Strecken sj durch C und jeden inneren Eckpunkt bis zur Strecke AB. Diese liegen alle innerhalb des Winkels ](ACB), also innerhalb des Dreiecks. Durch diese Strahlen erhalten wir eine neue Triangulierung T = ∪Sj mit α(T ) = X (2.C) α(Sj ) j nach Schritt 1. Die Strahlen sj unterteilen die bestehenden Dreiecke Ti . Wir erhalten daher eine andere Triangulierung 4(ABC) = S i,j (Ti ∩ Sj ). Die Figuren Ti ∩ Sj bestehen aus Drei- und Vierecken, die wiederum zu Dreiecken trianguliert werden S müssen: Ti ∩ Sj = k Uijk , wobei als Eckpunkte keine inneren Punkte von Sj auftreten. S Offenbar ist Sj = i,k Uijk und die Grundseite auf AB enthält keine Teilungspunkte. Damit genügt Sj den Voraussetzungen zum 2. Schritt und es ist α(Sj ) = X α(Uijk ). i,k Zusammen mit Gleichung (2.C) ergibt sich für die Fläche des Dreiecks α(4(ABC)) = X i,j,k α(Uijk ). (2.D) 2 EUKLIDISCHE GEOMETRIE 53 S Zurück zur alten Triangulierung 4(ABC) = Ti . Aus dieser Sicht betrachten wir ein Dreieck Ti . Von den drei Strahlen durch die Eckpunkte X, Y, Z fallen zwei zusammen oder einer muss zwischen den anderen beiden liegen, etwa der durch Z. Dann schneidet dieser die Strecke XY und teilt Ti in die Dreiecke Ti0 und Ti00 , und auf dem Strahl durch Z liegt kein weiterer Eckpunkt eines Dreiecks Uijk ⇒ Ti = Ti0 ∪ Ti00 ⇒ α(Ti ) = α(Ti0 ) ∪ α(Ti00 ). Die Teildreiecke erfüllen die Voraussetzung von Schritt 2. Daher gilt α(Ti ) = X α(Uijk ). j,k Zusammen mit (2.D) folgt α(4(ABC)) = X α(Uijk ) = XX i i,j,k α(Uijk ) = j,k X α(Ti ), i qed. Genauso zeigt man Lemma 2.2.11 Das Flächenmaß α ist unabhängig von der speziellen Triangulierung. Beweis Sei 4 = T1 ∪· · ·∪Tn = T1 0 ∪· · ·∪Tm 0 . Wir legen beide Triangulierungen aufeinander und verfeinern wie im Beweis zu Lemma 2.2.10. Dann ist Ti = [ Tj 0 = Uijk , j,k [ Uijk i,k und X i qed. α(Ti ) = XX i j,k α(Uijk ) = X j α(Tj 0 ), 2 EUKLIDISCHE GEOMETRIE 54 Beispiel Entscheidend ist, die Triangulierung jeweils so zu verfeinern, dass alle größeren“ auftre” tenden Dreiecke als nicht-überlappende Vereinigung der neuen Elementardreiecke“ Uijk dar” stellbar sind. Damit haben wir insgesamt auch den Satz bewiesen, denn 1) ∀ 4 gilt α(4) > 0; 2) sind 4 und 40 nicht überlappend, dann ist α(4 ∪ 40 ) = α(4) + α(40 ). Dem folgenden Satz kann man sich auf verschiedenen Wegen nähern. Wir bleiben bei der Dreiecksgestalt. Satz 2.2.12 In einer euklidischen Ebene sind zwei Figuren 4 und 40 inhaltsgleich genau dann, wenn α(4) = α(40 ). Beweis =⇒“ ist Satz 2.2.8 c). ” ⇐=“ I. Jede geradlinig begrenzte Figur ist zerlegungsgleich mit einem Dreieck. ” Beweis: Induktion bezüglich der Anzahl der Ecken n. n = 3 ist trivial. 4 habe n > 3 Ecken. Sei h eine zu g(A, B) parallele Gerade durch C: C ∈ h und h k g(A, B). 1. Fall: Innenwinkel bei C < 2π a) h nicht parallel zu den Nachbarkanten durch A und B =⇒ h und die Gerade durch eine der anliegenden Seiten schneiden sich im Punkt D =⇒ α(4(ABD)) = α(4(ACD)) und beide Dreiecke sind zerlegungsgleich nach Satz 2.2.6. 2 EUKLIDISCHE GEOMETRIE Wir ersetzen 4(ABD) durch 4(ACD) 55 =⇒ Punkt A fällt weg. b) h ist parallel zu beiden Nachbarseiten, dann verschieben wir das Dreieck 4(ABC) in einen der Eckpunkte und erhalten die Figur 40 . In beiden Fällen hat die neue Figur 40 weniger als n Ecken. 2. Fall: Innenwinkel bei C > 2π Wir ziehen eine Parallele h zu g(A, B) durch einen der nächstgelegenen Eckpunkte D, C oder E, der den geringsten Abstand zu g(A, B) hat. a) C ∈ h und etwa {A0 } = h ∩ DA In diesem Fall ersetzen wir das Dreieck 4(A0 CA) durch das zerlegungsgleiche Dreieck 4(A0 CB) und erhalten statt der beiden Eckpunkte A und C den neuen Eckpunkt A0 . b) D ∈ h oder E ∈ h, etwa D ∈ h. In diesem Fall ziehen wir zu g(D, C) eine Parallele h∗ durch A und erhalten offenbar einen Schnittpunkt {A0 } = h∗ ∩ CB. Wir ersetzen das Dreieck 4(DCA) durch das zerlegungsgleiche Dreieck 4(DCA0 ) und erhalten eine zerlegungsgleiche Figur mit einem Eckpunkt weniger. II. Jedes Dreieck ist zerlegungsgleich zu einem Rechteck wegen Satz 2.2.6. III. Jedes Rechteck ist zerlegungsgleich zu einem Rechteck der Höhe 1. Durch Teilung und Aneinanderlegung von Rechtecken können wir erreichen, dass unser Ausgangsrechteck (ABCD) zerlegungsgleich zu einem Rechteck (A0 B 0 C 0 D0 ) ist mit `(A0 B 0 ) ≤ 1 < 2 · `(A0 B 0 ). Ist `(A0 B 0 ) = 1, sind wir fertig. Im anderen Fall wenden wir folgendes Lemma 2.2.13 für den Fall `(AE) = 1 an. Lemma 2.2.13 Sei (ABCD) ein Rechteck, Zw(ABE) und AB < AE < 2 · AB. Dann gibt es Punkte G und H, so dass (ABCD) und (AEGH) zerlegungsgleich sind. 2 EUKLIDISCHE GEOMETRIE 56 ∼ FB Beweis: Sei G ∈ AC derart, dass CG = ⇒ 4(BEF ) ∼ = 4(GKC) ⇒ GK ∼ = BE und damit HK ∼ = AB ⇒ 4(CDF ) ∼ 4 (KHE) ⇒ Trapeze (CDLK) und = (LHEF ) sind zerlegungsgleich, qed. Bemerkung Ist AE ≥ 2 · AB, dann existiert 4(KLF ) nicht und die Dreiecke 4(CDF ) und 4(KHE) passen nicht mehr zueinander! Zurück zum Satz 2.2.12: Da wir jedes Rechteck mit den Seitenlängen a und b durch eine Diagonale in zwei kongruente rechtwinklige Dreiecke mit den Grundlinien a und den Höhen b zerlegen können, hat dieses den Flächeninhalt 1 α((ABCD)) = 2 · a · b = a · b. 2 Da 4 und 40 zerlegungsgleich zu den Rechtecken Q und Q0 mit einer Kante der Länge 1 sind, muss die 2. Kante die Länge α(∆) bzw. α(∆0 ) sein. Diese sind nun inhaltsgleich und damit zerlegungsgleich ⇐⇒ α(∆) = α(∆0 ), qed. Folgerung 2.2.14 In einer euklidischen Ebene sind zwei Figuren 4 und 40 zerlegungsgleich ⇐⇒ α(4) = α(40 ). Satzgruppe des Pythagoras Zur Satzgruppe des Pythagoras gehören u.a. der Höhensatz, der Kathetensatz und der eigentliche Satz des Pythagoras. Wir beweisen die Aussagen über die Inhalte geeigneter Flächen. Satz 2.2.15 (Pythagoras) 1) In jedem rechtwinkligen Dreieck mit den Seiten a, b, c und dem rechten Winkel zwischen a und b gilt c2 = a2 + b2 . 2) Gilt umgekehrt in einem Dreieck mit den Seiten a, b, c die Gleichung c2 = a2 + b2 , dann stehen die Seiten a und b senkrecht aufeinander. Beweis zu 1) Wir betrachten zwei Quadrate ∆ und ∆0 mit den Seiten a + b: Dann ist ∆ = P ∪ 4Q und ∆0 = P10 ∪ P20 ∪ 4Q0 , 4 ∼ = 40 , Q ∼ = Q0 und es gibt keine Überlappungen ⇒ P = 4 \ 4Q und P 0 = 40 \ 4Q0 sind inhaltsgleich und daher 2 0 0 2 c = α(4\4Q) = α(4 \4Q ) = a +b2 , also c2 = a2 + b2 . zu 2) Angenommen, 4(ABC) sei nicht rechtwinklig. Wegen c2 = a2 + b2 ist c > a, c > b und nach Satz 1.2.26 auch ](ACB) der größte unter den drei Winkeln von 4(ABC). 2 EUKLIDISCHE GEOMETRIE 57 2.1) Sei etwa ](ACB) <rechter Winkel ⇒ a0 < a, b0 < b und nach Pythagoras 1) gilt a2 + b2 > a02 + b02 = c2 . 2.2) Sei ](ACB) >rechter Winkel und etwa b ≥ a, b0 = b + x mit x > 0. Dann ist nach Teil 1 a2 = a02 + x2 , b02 = b2 + 2bx + x2 und daher a02 + b02 = a2 − x2 + b2 + 2bx + x2 = a2 + b2 + 2bx > a2 + b2 = c2 im Widerspruch zu Teil 1) des Satzes, qed. Satz 2.2.16 (Kathetensatz) In jedem rechtwinkligen Dreieck 4(ABC) mit den Seiten a, b, c und dem rechten Winkel zwischen a und b ist das Quadrat über einer Kathete gleich dem Rechteck aus der Hypothenuse und dem der Kathete anliegenden Hypothenusenabschnitt: b2 = p · c und a2 = q · c. Beweis Es ist α((AEGF )) = α((AEG0 C)) (Scherung). Dreht man das Parallelogramm (AEG0 C) um 90o um den Punkt A, so dass C auf den Punkt P fällt, dann wir die Strecke AE auf AB gedreht, da beide kongruent sind. Folglich wird bei dieser Drehung (AEG0 C) auf (ABQP ) abgebildet, also ist (AEG0 C) ∼ = (ABQP ). Wie oben ist nun (ABQP ) eine Scherung des Quadrates (ACRP ) über AP , also α((ABQP )) = α((ACRP )) und damit b2 = c · p, qed. Aus beiden Sätzen ergibt sich Folgerung 2.2.17 (Höhensatz) In jedem rechtwinkligen Dreieck 4(ABC) mit den Seiten a, b, c, dem rechten Winkel zwischen a und b und der Höhe h über c ist das Quadrat über der Höhe h gleich dem Rechteck aus den Hypothenusenabschnitten: h2 = p · q. Beweis Es ist h2 + p2 = b2 = p · c = p · (q + p) = p · q + p2 2 EUKLIDISCHE GEOMETRIE 58 und daher h2 = p · q, qed. Spezielle Flächenberechnungen 1. Trapez 1. Variante: E halbiert AC und F die Strecke BD ⇒ g(EF ) ist die Mittellinie von (ABCD). Dann ist das Trapez zerlegungsgleich zu (ABGJ) ∪ (HICD) und damit 1 1 α((ABCD)) = AB · h + CD · h. 2 2 2. Variante: E halbiert AC und F die Strecke BD ⇒ g(EF ) ist die Mittellinie von (ABCD) und 1 EF = (AB + CD). 2 In beiden Fällen ist α((ABCD)) = 1 · (AB + CD) · h, 2 wenn h die Höhe des Trapezes ist. 2. Kreis Zur Berechnung des Umfangs und des Flächeninhalts eines Kreises vom Radius r (Durchmesser d = 2r) wird dieser stets durch ein (regelmäßiges) Polygon angenähert. Dieses kann dem Kreis einbeschrieben oder umbeschrieben sein. Sei Pn ein regelmäßiges einbeschriebenes Polygon mit n Ecken, dem Flächneinhalt Fn und dem Umfang Un und Qn ein entsprechendes umbeschriebenes Polygon mit ebenfalls n Ecken, dem Flächeninhalt Fn∗ und dem Umfang Un∗ , wie in nebenstehender Skizze beschrieben. Dann ergibt sich geometrisch (und auch rechnerisch - wird hier nicht ausgeführt) Fn < Fn∗ und Un < Un∗ . Im Grenzfall für n −→ ∞ erhält man lim Fn = lim Fn∗ n−→∞ n−→∞ und lim Un = lim Un∗ . n−→∞ n−→∞ Dieser gemeinsame Grenzwert ist der Flächeninhalt Fk bzw. der Umfang Uk des Kreises k: Fk := lim Fn = lim Fn∗ ; n−→∞ n−→∞ Uk := lim Un = lim Un∗ . n−→∞ n−→∞ Wir zeigen zunächst, dass das Verhältnis von Umfang zum Durchmesser eine Invariante des Kreises ist, also eine Konstante, die mit π bezeichnet wird. 2 EUKLIDISCHE GEOMETRIE 59 Satz 2.2.18 Für alle Kreise k ist das Verhältnis von Umfang zum Durchmesser eine Konstante. Diese Konstante ist π: U : d = const. = π Beweisskizze Da zum Beweis ist ein Grenzprozess erforderlich ist, bleibt er in diesem Rahmen unvollständig. Wir geben nur den geometrischen Hintergrund an, der aus der Anwendung des 1. Strahlensatzes resultiert. Sei k = k(M ; d) ein Kreis mit Mittelpunkt M und Durchmesser d und Pn wie oben ein einbeschriebenes Polygon von k, mit dem wir den Kreis k angenähert beschreiben. Entsprechend sei k 0 = k(M ; d0 ) ein weiterer Kreis mit demselben Mittelpunkt M und dem Durchmesser d0 (> d) und Pn0 ein einbeschriebenes Polygon von k 0 derart, dass zugeordnete Ecken von Pn und Pn0 auf einem Strahl durch M liegen. Dann sind entsprechende Polygonseiten als Sehnen in den Kreisen k und k 0 parallel. Nach dem 1. Strahlensatz gilt ai : d = a0i : d0 (i = 1, . . . , n) und daher Un : d = n X ! ai : d= i=1 n X ! a0i : d = Un0 : d0 . i=1 Gleiches gilt für die umbeschriebenen Polygone Qn und Q0n : a∗i : d = a∗i 0 : d0 (i = 1, . . . , n) und daher Un∗ : d = n X ! a∗i : d= i=1 n X ! a∗i 0 : d = Un∗ 0 : d0 . i=1 Führen wir den Grenzprozess n −→ ∞ aus, erhalten wir wegen lim Un = lim Un∗ = Uk n−→∞ n−→∞ und lim Un0 = lim Un∗ 0 = Uk0 n−→∞ n−→∞ die Beziehung Uk : d = Uk0 : d0 = const. Die so ermittelte Konstante ist als Kreiszahl π in die Mathematik eingegangen. Folgerung 2.2.19 Für den Umfang U und den Flächeninhalt F eines Kreises k gilt a) U = π · d = 2 · π · r 2 EUKLIDISCHE GEOMETRIE 60 b) F = π · r2 . Beweis a) ergibt sich unmittelbar aus U d = π. b) Wir zerlegen die Kreisfläche in n Tortenstücke“, wie in nebenstehender Skizze zu sehen ” ist. Die Tortenstücke“ werden als Streifen neu angeordnet. Die Länge des Streifens ist nähe” rungsweise gleich dem halben Kreisumfang und die Breite näherungsweise gleich dem Radius. Im Grenzfall n −→ ∞ ist die Fläche F des Streifens F = qed. U · r = π · r2 , 2 2 EUKLIDISCHE GEOMETRIE 2.3 61 Volumen Orthogonalität im Raum, Geradenspiegelungen Definition 2.3.1 a) Eine Gerade g und eine Ebene ε heißen orthogonal (g⊥ε) :⇐⇒ g durchstößt ε im Punkt P und jede Gerade h von ε durch P ist orthogonal zu g : g⊥h. b) Zwei Ebenen ε und η heißen zueinander orthogonal (ε⊥η) :⇐⇒ ∃ Gerade g ⊂ η, die orthogonal zu ε ist (:⇐⇒ ∃ h ⊂ ε : h ⊥ η). Wir zeigen, dass es in Definition 2.3.1 genügt, die Orthogonalität zu zwei verschiedenen Geraden durch P zu fordern, was anschaulich auch klar ist. Lemma 2.3.2 Es ist g ⊥ η genau dann, wenn es zwei verschiedene Geraden h1 , h2 ⊂ ε und einen Punkt P ∈ ε gibt mit P ∈ h1 ∩ h2 ∩ g, g ⊥ h1 und g ⊥ h2 . Bevor wir Lemma 2.3.2 beweisen, betrachten wir Geradenspiegelungen im Raum. Definition 2.3.3 (Geradenspiegelung im Raum) Sei g ⊂ Ω eine Gerade und P ∈ Ω ein beliebiger Punkt. Die Abbildung ϕg : Ω −→ Ω sei wie folgt definiert: 1) P ∈ g =⇒ ϕg (P ) := P 2) P ∈ / g, dann sei ηp ⊂ Ω die Ebene durch g und P : ηp = ε(g, P ). In ηp sei ϕηp ,g die Geradenspiegelung an g. Dann sei ϕg (P ) := ϕηp ,g (P ). ϕg heißt Geradenspiegelung des Raumes Ω. Satz 2.3.4 ϕg ist eine isometrische Abbildung, also eine Bewegung. 2 EUKLIDISCHE GEOMETRIE 62 Beweis Seien P, Q ∈ Ω beliebig und P 0 = ϕg (P ) = ϕηp ,g (P ), Q0 = ϕg (Q) = ϕηq ,g (Q). In ηp = ε(P, g) ziehen wir eine Parallele zu g(P, P 0 ) durch FQ und entsprechend in ηq = ε(Q, g) eine Parallele zu g(Q, Q0 ) durch FP . Wir erhalten die Parallelogramme P = (P P 0 S 0 S) und Q = (QQ0 R0 R) sowie nach dem 1. Strahlensatz die Parallelogramme = (P RQS) und 0 = (P 0 R0 Q0 S 0 ). Da RQ, P S, R0 Q0 , P 0 S 0 parallel zu FP FQ sind und FP FQ ⊥ g(P, P 0 ), g(R, R0 ), g(Q, Q0 ), g(S, S 0 ), sind die Parallelogramme = (P RQS) und 0 = (P 0 R0 Q0 S 0 ) Rechtecke mit paarweise kongruenten Kanten und folglich kongruenten Diagonalen. Daher ist P Q ∼ = P 0 Q0 , qed. Beweis von Lemma 2.3.2 Seien h1 und h2 zwei verschiedene Geraden durch P , die orthogonal zu g sind. Die Geradenspiegelung ϕg bildet die beiden Geraden h1 und h2 offenbar auf sich ab und bildet damit auch die Ebene ε = ε(h1 , h2 ) auf sich ab. Damit wird auch jede Gerade h ⊂ ε durch P auf sich abgebildet. Da ϕg eine Bewegung mit g als Fixgerade ist, ist ](h, g) ein Rechter, qed. Satz 2.3.5 a) ∀ P, ε gibt es genau eine Gerade g mit P ∈ g und g⊥ε. b) ∀ P, g gibt es genau eine Ebene ε mit P ∈ ε und g⊥ε. Beweis a) Existenz: Sei g 0 ⊂ ε eine beliebige Gerade und ε0 = ε(g 0 , P ) die Ebene durch P und g 0 . In ε0 sei P 0 der Lotfußpunkt des Lotes von P auf g 0 und h ⊂ ε die Lotgerade in ε zu g 0 durch P 0 . In der Ebene η = ε(h, P ) sei P0 der Lotfußpunkt des Lotes von P auf h. g 00 sei die Parallele zu g 0 durch P0 in ε. Nun ist g 0 ⊥ η und daher auch g 00 ⊥ η, also P P0 ⊥ g 00 . Zusammen mit P P0 ⊥ h ergibt sich P P0 ⊥ ε, was zu zeigen war. Eindeutigkeit des Lotes: Aus der Existenz zweier verschiedener Lote ergäbe sich die Existenz eines Dreiecks mit zwei rechten Winkeln. b) Durch g legen wir zwei verschiedene Ebenen, so dass P auf einer dieser Ebenen liegt. Ist P ∈ g, dann liegt P auf beiden Ebenen und wir errichten in jeder Ebene das Lot in P zu g. Ist P ∈ / g, fällen wir das Lot von P auf g, erhalten FP als Lotfußpunkt und errichten das Lot in FP zu g in der zweiten Ebene. In Jedem Fall erhalten wir zwei zu g orthogonale Geraden g1 und g2 , durch die wir die gesuchte Ebene ε legen. ε ist offenbar eindeutig bestimmt und geht durch P , qed. 2 EUKLIDISCHE GEOMETRIE 63 Definition 2.3.6 (Winkel zwischen 2 Ebenen) Seien ε und η zwei verschiedene Ebenen, ε ∦ η, g = ε ∩ η und % eine beliebige Ebene orthogonal zu g (%⊥g). Dann schneidet % die Ebenen ε und η in den Geraden gε und gη , die sich wiederum in einem Punkt P ∈ g schneiden. Dann definieren wir ](ε, η) := ](gε , gη ) (≤ rechter Winkel). Für die Kongruenz von Figuren können wir wieder die Bewegung verwenden. Definition 2.3.7 a) Eine eineindeutige Abbildung ϕ : Ω −→ Ω des Raumes in sich heißt Bewegung :⇐⇒ ∀ A, B ∈ Ω gilt ϕ(A)ϕ(B) ∼ = AB. b) Sind 4, 40 ⊂ Ω beliebige Punktmengen, dann heißen 4, 40 kongruent: 4∼ = 40 :⇐⇒ ∃ Bewegung ϕ mitϕ(4) = 40 . Auf Euklid geht die folgende Definition der Kongruenz zurück, wobei dort die Bedingung über die Winkel aneinander grenzender Flächen fehlt: Definition 2.3.7∗ Polyeder 4 und 40 sind kongruent :⇐⇒ 1) 4 und 40 werden von paarweise kongruenten Flächen begrenzt; 2) aneinander grenzende zugeordnete Flächen schneiden sich unter kongruenten Winkeln. Man kann zeigen, dass beide Definitionen für Polyeder gleichwertig sind. Volumen Eine Volumenmessung führen wir, vergleichbar wie in der Ebene, für ebenseitig begrenzte endliche Körper, den Polyedern, ein. Definition 2.3.8 Eine Abbildung ν der Menge der Polyeder in R+ heißt Volumenfunktional, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: (1) wenn 4 ∼ = 40 ⇒ ν(4) = ν(40 ); (2) wenn 4 = 40 ∪ 400 und 40 und 400 durchdringen sich nicht (4 = 40 + 400 ) ⇒ ν(4) = ν(40 ) + ν(400 ); (3) Normierung: Ist etwa 40 ein Würfel der Kantenlänge 1, dann sei ν(40 ) = 1. Die Existenz einer Volumenfunktion sichern wir genauso wie die der Flächenfunktion, indem wir als Grundstruktur ein Tetraeder (Simplex) wählen. 2 EUKLIDISCHE GEOMETRIE 64 D Definition 2.3.9 Sei ABCD ein Simplex S (Tetraeder) mit der Grundfläche 4(ABC) und der Höhe h (Abstand von D zur Ebene ε = ε(A, B, C)). Dann definieren wir: ν(S) := 1 · α(ABC) · h. 3 C A B Wie für das Flächenfunktional muss gezeigt werden a) ν(S) ist unabhängig von der Auswahl der Grundfläche; b) ν(S) ist unabhängig von weiteren Triangulierungen von S. Auf den Nachweis der Eigenschaft b) werden wir verzichten. Wie in der Ebene nennen wir Figuren zerlegungsgleich, wenn sie eine Zerlegung in paarweise kongruente Teilfiguren zulassen. Entsprechend heißen ∆ und ∆0 inhaltsgleich :⇐⇒ ∃ Q, Q0 e = ∆ ∪ Q und - zerlegungsgleich, ∆, Q sowie ∆0 , Q0 besitzen keine Durchdringungen und ∆ 0 0 0 e = ∆ ∪Q sind zerlegungsgleich. Dann besitzen für jede Volumenfunktion inhaltsgleiche Fi∆ guren gleiches Volumen, sie sind aber keineswegs zerlegungsgleich (siehe Hilbert’s 3. Problem). Folgende Polyeder werden betrachtet: 1) Pyramiden: Ebene Figur, etwa Viereck ABCD ⊂ ε und E ∈ /ε 2) Prisma: Zwei kongruente ebene Figuren 4 und 40 , etwa Dreiecke, in parallelen Ebenen, so dass die Verbindungsstrecken zugeordneter Punkte Parallelogramme bilden ABCD ⊂ ε und E ∈ /ε 3) Parallelepiped: Prisma mit Parallelogrammen als Grund- und Deckfläche. Lemma 2.3.10 Parallelepipede mit gleicher Höhe und inhaltsgleichen Grundflächen sind zerlegungsgleich. 2 EUKLIDISCHE GEOMETRIE 65 Beweis Wir skizzieren den Beweis in großen Zügen. Die Einzelheiten kann man etwa bei Euklid [1], Elftes Buch, §§ 29-31 nachlesen. G H M E L N F K 1. Schritt: Parallelepipede auf derselben Grundfläche und orthogonal zu dieser. D C A B G H M E L F N K 2. Schritt: Parallelepipede auf derselben Grundfläche. D C A B 3. Schritt: Parallelepipede auf verschiedenen zerlegungsgleichen Grundflächen. Diese sind jeweils einem Parallelepiped mit paarweise auf der Grundfläche orthogonal stehenden rechteckigen Seiten zerlegungsgleich, die Grundflächen einschließlich der darüber liegenden Prismen sind zueinander zerlegungsgleich, qed. Satz 2.3.11 Seien ABCD und A0 B 0 C 0 D0 Dreieckspyramiden mit inhaltsgleichen Grundflächen 4(ABC) und 4(A0 B 0 C 0 ) und gleichen Höhen. Dann haben beide Pyramiden das gleiche Volumen. Beweis Prinzip der Exhaustion (Ausschöpfung): Beide Figuren werden als unendliche Vereinigung von Figuren gleichen Volumens dargestellt bzw. umgekehrt werden nacheinander Figuren gleichen Volumens herausgezogen, so dass der Rest jeweils kleiner als die Hälfte wird. Damit konvergiert das Verfahren! A Nun zu den Tetraedern. Seien E, F, G, H, K, L die Mitten der jeweiligen Strecken. Wir erhalten 4 Teilfiguren: 2 Pyramiden P1 = AEF G und P2 = F BHK 2 Dreiecksprismen T1 = F HKDGL (liegend) und T2 = EF GCHL (stehend) E C F H B G L K D Behauptung: ν(T1 ) = ν(T2 ) Beweis Wir verdoppeln beide Prismen und erhalten Parallelepipeds mit gleicher Grundfläche und gleicher Höhe. Da die Parallelepipeds offenbar das doppelte Volumen wie die Prismen haben, haben die Prismen gleiches Volumen. Weiterhin gilt: T2 und P1 haben dieselbe Grundfläche und Höhe, genauso T1 und P2 und offenbar ν(T1 ) > ν(P1 ), ν(T2 ) > ν(P2 ) ⇒ T1 + T2 ist mehr als die Hälfte. Sei 40 eine 2. Figur mit inhaltsgleicher Grundfläche und gleicher Höhe: 2 EUKLIDISCHE GEOMETRIE 66 Die Grundfläche von T1 , T10 macht offenbar jeweils die Hälfte des Dreiecks aus ⇒ T1 und T10 haben inhaltsgleiche Grundflächen; Dreiecksflächen von P2 , T2 bzw. P20 , T20 sind kongruent ⇒ T2 und T20 sowie P2 und P20 haben inhaltsgleiche Grundflächen, alle Figuren haben dieselbe Höhe ⇒ (Lemma 2.3.10) T1 +T2 und T10 +T20 sind volumengleich. Daher nehmen wir in beiden Figuren dasselbe Volumen heraus sowie beide Rest-Tetraeder P1 und P2 bzw. P10 und P20 sind kongruent, also inhaltsgleicher Grundfläche und gleicher Höhe. Mit diesen Tetraedern fahren wir fort und beweisen so den Satz. Folgerung 2.3.12 Ein Simplex S = ABCD (Tetraeder) hat das Volumen von einem Drittel des Prismas über einer Grundfläche 4(ABC) und derselben Höhe. Beweis Übungsaufgabe Eine andere Möglichkeit, das Volumen räumlicher Figuren zu bestimmen, ist das Prinzip von Cavalieri Zwei räumliche Figuren 4 und 40 sind inhaltsgleich ⇐⇒ ∃ eine zu 40 kongruente Figur 400 und eine Ebene ε1 , so dass ∀ Ebenen ε, ε k ε1 gilt: 4 ∩ ε und 400 ∩ ε sind als Flächen inhaltsgleich. Dieses Prinzip verlangt zur Umsetzung Integralrechnung und wird daher hier nicht weiter verfolgt. 3 ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP 3 67 Abbildungen als Ordnungsprinzip in der Geometrie Sei ε eine euklidische Ebene und ∆, ∆0 ⊂ ε zwei Dreiecke, die nicht entartet sind. Wir betrachten die 1-1-Abbildung ϕ von ε auf sich, die ∆ auf ∆0 abbildet. 1) ϕ ist eine Bewegung ⇐⇒ ∆ ∼ = ∆0 ; 2) ϕ ist eine Ähnlichkeit ⇐⇒ ∆ und ∆0 sind ähnlich; 3) ϕ ist eine (reguläre) Affinität ⇐⇒ ∆ und ∆0 sind beliebig. Wir zeigen in allen Fällen: ϕ ist eindeutig und vollständig durch die Angabe ϕ(∆) = ∆0 im folgenden Sinn bestimmt: ∆ = 4(ABC), ∆0 = 4(A0 B 0 C 0 ) ⇒ ϕ(A) = A0 , ϕ(B) = B 0 ϕ(C) = C 0 . Weiterhin werden wir charakteristische Eigenschaften und Invarianten bestimmen und den Einfluss von Fixpunkten und -geraden untersuchen. Wir erhalten: zu 3) reguläre Affinität: zu 2) Ähnlichkeiten: zu 1) Bewegungen: Geraden in Geraden, Parallelität bleibt erhalten, Teilverhältnisse invariant Winkel bleiben erhalten, Kreise in Kreise Strecken werden in kongruente Strecken abgebildet (Isometrie) Als 4. Gruppe gehören die Kollineationen der projektiven Geometrie dazu, die jedoch aus Zeitgründen nicht behandelt werden können. Bemerkung: Besonders übersichtlich fällt die Klassifikation der Abbildungen mit Hilfe analytischer Methoden und der linearen Algebra aus. 3.1 Bewegungen und Ähnlichkeiten der Ebene Definition 3.1.1 Eine Ähnlichkeit ist eine 1-1-Abbildung ϕ der Ebene/des Raumes ε auf sich, so dass ∀ A, B ∈ ε und A0 = ϕ(A), B 0 = ϕ(B) gilt: A0 B 0 = µ · AB (im Sinn der Streckenarithmetik) und µ eine positive reelle Zahl (konstant) ist. Wir schreiben ϕµ für ϕ. Ist µ = 1, dann haben wir eine Bewegung. Wir werden zeigen, dass sich Ähnlichkeitstransformationen stets aus einer Bewegung und einer Zentralstreckung zusammensetzen. Hierzu folgende Definition 3.1.2 Sei O ∈ ε ein fester Punkt, P 6= O ein beliebiger Punkt und t ∈ K, t 6= 0. Eine Zentralstreckung ist eine 1-1-Abbildung ψ von ε auf sich, so dass ψ(P ) = P 0 mit P 0 ∈ g(O, P ) und OP 0 = t · OP . Ist t > 0, dann liegen P und P 0 auf derselben Seite von O, 3 ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP 68 ist t < 0, dann liegen P und P 0 auf verschiedenen Seiten von O. O heißt das Zentrum der Zentralstreckung. Lemma 3.1.3 Jede Zentralstreckung ist eine Ähnlichkeitstransformation. Beweis Das Lemma ist eine unmittelbare Folge der Strahlensätze. Man zeigt ebenfalls über die Strahlensätze, dass bei Zentralstreckungen Geraden in Geraden und Kreise in Kreise abgebildet werden sowie die Parallelität und Kongruenz von Winkeln erhalten bleiben. Ist insbesondere 4 ein Dreieck und ψ eine Zentralstreckung, dann ist ψ(4) ähnlich zu 4. Den Begriff der ähnlichen Dreiecke haben wir bereits in Definition 2.1.10 eingeführt. In Dreiecken können wir eine Orientierung definieren: Definition 3.1.4 Die Dreiecke 4(ABC) und 4(A0 B 0 C 0 ) heißen gleichorientiert (haben denselben Umlaufsinn), wenn beim Durchlaufen der Eckpunkte entgegen dem Uhrzeigersinn die gleiche Reihenfolge möglich ist. (Im R3 Rechte-Hand-Regel.) Satz 3.1.5 Seien ∆ = 4(ABC) und ∆0 = 4(A0 B 0 C 0 ) ähnliche Dreiecke. Dann gibt es genau eine Ähnlichkeit ϕ, die ∆ in ∆0 abbildet. Wir nennen ϕ eigentlich oder uneigentlich, je nachdem ob ∆ und ∆0 gleich oder entgegengesetzt orientiert sind. Beweis Wegen der Ähnlichkeit der Dreiecke finden wir B 00 ∈ g(A0 , B 0 ) und C 00 ∈ g(A0 , C 0 ), so dass 4(ABC) ∼ = 4(A0 B 00 C 00 ). Nach Satz 1.2.36 gibt es genau eine Bewegung ϕ0 , die 4(ABC) auf 4(A0 B 00 C 00 ) abbildet: 3 ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP 69 ϕ0 (A) = A0 , ϕ0 (B) = B 00 , ϕ0 (C) = C 00 Nun gibt es eine Zentralstreckung ψ mit Zentrum A0 , so dass ψ(4(A0 B 00 C 00 )) = 4(A0 B 0 C 0 ). Die Hintereinanderausführung ϕ = ψ ◦ ϕ0 bildet offenbar 4(ABC) in 4(A0 B 0 C 0 ) ab. Falls eine weitere Ähnlichkeitsabbildung Φ mit Φ(∆) = ∆0 existiert und etwa X ∗ = Φ(X) 6= (ϕ ◦ ψ)(X) =: X 0 , dann ist etwa 4(A0 B 0 X ∗ ) ∼ = 4(A0 B 0 X 0 ), woraus wie im Beweis zu Satz 1.2.36 ein Widerspruch folgt, qed. Aus dem Beweis ergibt sich Folgerung 3.1.6 Jede Ähnlichkeitsabbildung ist das Produkt (Hintereinanderausführung) einer Bewegung und einer Zentralstreckung. Wir wollen nun die Struktur der Ähnlichkeitsabbildungen und Bewegungen untersuchen. Es gibt folgende elementare“ Ähnlichkeitsabbildungen bzw. Bewegungen der Ebene: ” 1) Geradenspiegelungen Bewegungen 2) Translationen 3) Drehungen 4) Zentralstreckungen Alle Bewegungen und Ähnlichkeitsabbildungen setzen sich hieraus zusammen, wobei sich bereits aus dem Beweis von Satz 3.1.5 ergeben hat, dass jede Ähnlichkeitsabbildung das Produkt einer Bewegung und einer Zentralstreckung ist. Sei nun ∆ = 4(ABC), ∆0 = 4(A0 B 0 C 0 ) und ϕ = ϕµ die Abbildung mit ϕ(∆) = ∆0 und ϕ(A) = A0 , ϕ(B) = B 0 , ϕ(C) = C 0 . Für µ = 1 erhalten wir eine Bewegung. 1) Geradenspiegelung ϕ: ∃ Dreieck ∆ = 4(ABC) mit ϕ(A) = A und ϕ(B) = B, also ϕ(g(A, B)) = g(A, B) ist eine Fixgerade, und 4 und 40 = 4(ABC 0 ) sind kongruent und entgegengesetzt orientiert. ϕ ist die Spiegelung an der Geraden g = g(A, B). 3 ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP 70 2) Drehung ϕ: ∃ Dreieck ∆ = 4(ABC) mit ϕ(A) = A, 40 = 4(AB 0 C 0 ) und 4 und 40 = 4(AB 0 C 0 ) sind kongruent und gleich orientiert. 3) Translation ϕ: entweder ist ϕ die Identität oder eine Bewegung mit g(A, A0 ) k g(B, B 0 ) k g(C, C 0 ) und 4 ∼ = 40 (4 und 40 sind gleich orientiert). ∀ P ∈ ε gilt P P 0 ∼ = AA0 : Es ist g(P, P 0 ) k g(A, A0 ), denn andernfalls wäre P A P 0 A0 , und daher ist das Viereck (P AP 0 A0 ) ein Parallelogramm. Satz 3.1.7 a) Jede Verschiebung lässt sich als Produkt (Hintereinanderausführung) zweier Geradenspiegelungen ausführen. b) Jede Drehung lässt sich als Produkt zweier Geradenspiegelungen darstellen. Beweis a) ∀ P ∈ ε ist die Länge der Strecke P P 0 konstant, etwa P P 0 = a im Sinn der Streckenarithmetik. Sei h = g(P, P 0 ) und g1 , g2 Geraden orthogonal zu h im Abstand von 12 · a zueinander. Die Spiegelungen an g1 und g2 bewirken die Translation. 3 ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP 71 b) Sei α der Drehwinkel und A der Fixpunkt der Drehung. Dann wählen wir zwei Geraden g1 und g2 durch A, die einen Winkel 21 ·α einschließen. Die Spiegelungen an g1 und g2 bewirken die Drehung. Satz 3.1.8 a1 ) Jede gleichsinnige Bewegung kann als Produkt einer Verschiebung und einer Drehung ausgeführt werden. a2 ) Jede gleichsinnige Bewegung kann als Produkt zweier Geradenspiegelungen ausgeführt werden. b) Jede ungleichsinnige Bewegung ist das Produkt einer Verschiebung und einer Geradenspiegelung und damit das Produkt von höchstens drei Geradenspiegelungen. Beweis a1 ) Die Bewegung ϕ wird charakterisiert durch die Dreiecke ∆ = ϕ(∆) = 4(A0 B 0 C 0 ). Sei ϕ1 die Translation mit ϕ1 (A) = A0 und etwa ϕ1 (B) = B1 und ϕ1 (C) = C1 . Dann sind ∆ und ∆1 = 4(A0 B1 C1 ) kongruent und gleichsinnig orientiert. Die Drehung mit Fixpunkt A0 um den Winkel α = ](B1 A0 B 0 ) ergibt ϕ2 , so dass ϕ = ϕ2 ◦ ϕ1 . a2 ) 1. Spiegelung ϕ1 an der Mittelsenkrechten von AA0 : ϕ1 (∆) = ∆1 := 4(A0 B1 C1 ); 2. Spiegelung ϕ2 an der Winkelhalbierenden von ](B1 A0 B 0 ), die wegen der Kongruenz der Dreiecke ∆1 und ∆0 = 4(A0 B 0 C 0 ) auch die Winkelhalbierende von ](C1 A0 C 0 ) ist ⇒ ϕ2 (B1 ) = B 0 , ϕ2 (C1 ) = C 0 . Daher ist ϕ = ϕ2 ◦ ϕ1 . b) folgt nun unmittelbar hieraus, qed. 3.2 Affinitäten Wir gehen zunächst auf das Teilverhältnis von 3 kollinearen Punkten ein. 4(ABC) und 3 ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP 72 Sei g eine orientierte Gerade A, B ∈ g. Mit m(AB) bezeichnen wir die vorzeichenbehaftete Strecke (Maßzahl der Strecke), wobei m(AB) = AB > 0 ist, −−→ wenn AB und g dieselbe Orientierung haben, und −−→ m(AB) = −AB < 0 ist, wenn AB und g entgegengesetzte Orientierung haben. In diesem Sinn ist dann auch m(AB) = −m(BA). Für A = B setzen wir m(AB) = 0. Bemerkung 3.2.1 Sind A ∈ g und µ ∈ R vorgegeben, dann gibt es offenbar genau einen Punkt X ∈ g mit m(AX) = µ. Definition 3.2.2 T V (A, B; X) := m(AX) heißt das Teilverhältnis der drei Punkte A, B, X. m(BX) Bemerkung: Für kollineare Punkte A, B, P, Q heißt der Quotient der Teilverhältnisse T V (A, B; P ) und T V (A, B; Q) auch das Doppelverhältnis von A, B, P, Q: Dv(A, B; P, Q) = T V (A, B; P ) T V (A, B; Q) (siehe Definition 3.5.1) Lemma 3.2.3 A, B ∈ g, A 6= B seien Punkte einer Geraden g und µ ∈ R, µ 6= 1. Dann gibt es genau einen Punkt X ∈ g mit T V (A, B; X) = µ. Beweis Für µ = 0 ist X = A. Wegen m(AX) = m(AB) + m(BX) ergibt sich m(BX) = m(AB) . µ−1 Die Eindeutig von X folgt nun aus Bemerkung 3.2.1, qed. Definition 3.2.4 Eine 1-1-Abbildung ϕ der Ebene ε auf sich heißt (reguläre) Affinität, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: 1. ϕ bildet Geraden in Geraden ab und 2. ϕ lässt das Teilverhältnis von je 3 kollinearen Punkten invariant. Satz 3.2.5 Sei ϕ eine (reguläre) Affinität. Dann bildet ϕ parallele Geraden in parallele Geraden ab. 3 ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP 73 Beweis Sei g k h und s1 , s2 Strahlen durch den Punkt Z, die g und h schneiden. Dann ist T V (A, B; Z) = m(AZ) m(CZ) = = T V (C, D; Z). m(BZ) m(DZ) Sei ϕ(A) = A0 , ϕ(B) = B 0 , ϕ(C) = C 0 , ϕ(D) = D0 , ϕ(Z) = Z 0 , ϕ(s1 ) = s01 , ϕ(s2 ) = s02 . Dann ist Z 0 = s01 ∩s02 und die Teilverhältnisse gleich, also g 0 k h0 , qed. Die wichtigste affine Abbildung ist die Scherung oder Orthogonalstreckung; alle anderen affinen Abbildungen lassen sich durch Hintereinanderausführung einer Scherung und einer Ähnlichkeitsabbildung darstellen. Definition 3.2.6 Gegeben sei ein Teilverhältnis µ 6= 0 und eine Fixgerade s. Sei P ∈ ε beliebig. Eine 1-1-Abbildung ϕ der Ebene ε auf sich heißt Scherung :⇐⇒ 1. Sei P ∈ s, dann ist P 0 = ϕ(P ) := P 2. Sei P ∈ / s und F der Fußpunkt des Lotes von P auf s. Dann ist P 0 = ϕ(P ) der Punkt der Lotgeraden, für den m(F P 0 ) = µ. T V (P 0 , P ; F ) = µ, d.h. m(F P ) Satz 3.2.7 Jede Scherung ϕ ist eine Affinität, d.h. 1. Geraden werden in Geraden abgebildet und 2. Teilverhältnisse bleiben invariant. 3 ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP 74 Beweis 1. Sei g =, g(P, Q) a) g k s =⇒ P P 0 ∼ = QQ0 ∼ = XX 0 , also X 0 ∈, g(P 0 , Q0 ). b) g ∦ s; nach dem Strahlensatz ist X 0 ∈, g(P 0 , Q0 ). 2. folgt ebenfalls direkt aus den Strahlensätzen, qed. Wir zeigen nun, dass durch Vorgabe zweier beliebiger Dreieck in der Ebene eine Affinität eindeutig bestimmt ist. Satz 3.2.8 Gegeben seien zwei beliebige nicht-entartete Dreiecke 4 = 4(ABC) und 40 = 4(A0 B 0 C 0 ) in der Ebene ε. Dann gibt es genau eine Affinität ϕ : ε −→ ε mit ϕ(∆) = ∆0 . ϕ ist das Produkt von Scherungen und Ähnlichkeitsabbildungen. Beweis Wir zeigen zunächst die Existenz einer Affinität. −−→ 1. Fall: ∆ und ∆ seien beide rechtwinklig mit rechtem Winkel in C bzw. C 0 . Sei B 00 ∈ C 0 B 0 derart, dass ](CAB) ∼ = ](C 0 A0 B 00 ). Dann sind ∆ und 4(C 0 A0 B 00 ) ähnlich und es gibt eine Ähnlichkeitsabbildung ϕ1 mit ϕ1 (∆) = 4(C 0 A0 B 00 ). Die Scherung ϕ2 mit der Fixgeraden , g(A0 , C 0 ) und dem Teilverhältnis µ = T V (B 0 , B 00 ; C 0 ) bildet 4(C 0 A0 B 00 ) in ∆0 = 4(A0 B 0 C 0 ) ab, also ϕ(∆) = (ϕ2 ◦ ϕ1 )(∆) = ∆0 . 2. Fall: ∆ und ∆0 seien beliebig und bei stumpfwinkligen Dreiecken soll der stumpfe Winkel bei C bzw. C 0 liegen. (Falls dieses bei ∆ zutrifft aber nicht bei ∆0 , führen wir zunächst eine geeignete Orthogonalstreckung aus.) 3 ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP 1. Scherung 2. Ähnlichkeit + Scherung 3. Scherung 75 ϕ1 : ∆ = 4(ABC) 7→ 4(ABC 00 ) ϕ2 : 4(ABC 00 ) 7→ 4(A0 B 0 C 000 ) ϕ3 : 4(A0 B 0 C 000 ) 7→ 4(A0 B 0 C 0 ) = 40 Die Abbildung ϕ := ϕ3 ◦ ϕ2 ◦ ϕ1 bildet ∆ auf ∆0 ab. Insbesondere ist damit auch gezeigt, dass sich jede Affinität als Produkt von Scherungen und Ähnlichkeitsabbildungen und damit als Scherungen, Zentralstreckkungen und Bewegungen darstellen lässt. Die Eindeutigkeit beweisen wir, indem wir zeigen, dass durch die Vorgabe zweier Dreiecke ∆ = 4(ABC) und ϕ(∆) = ∆0 = 4(A0 B 0 C 0 ) zu jedem Punkt X ∈ ε seinen durch die Bedingungen 1. und 2. aus Definition 3.2.4 eindeutig bestimmten Bildpunkt X 0 konstruieren können. Sei also X ∈ ε, X 6= A, B, C: Sei o.B.d.A. , g(X, C) ∦, g(A, B) und etwa H = g(X, C) ∩ g(A, B), H 0 ∈ g(A0 , B 0 ) mit T V (A, H; B) = T V (A0 , H 0 ; B 0 ). X 0 ∈ g(H 0 , C 0 ) wählen wir derart, dass T V (H, V ; X) = T V (H 0 , C 0 ; X 0 ). Dann erfüllt X 0 offenbar genau die Bedingungen für X 0 = ϕ(X), qed. Folgende Tabelle gibt eine Übersicht über die Abbildungen der Ebene: 1) Geradenspiegelungen Bewegungen 2) T ranslationen Ähnlichkeiten Affinitäten 3) Drehungen 4) Zentralstreckungen 5) Scherungen 3 ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP 3.3 76 Bewegungen des euklidischen Raumes Ω Bewegungen des Raumes und die Kongruenz haben wir bereits in Definition 2.3.7 als Isometrie erklärt. In der Ebene hatten wir gesehen, dass zwei Dreiecke genau dann kongruent sind, wenn die drei Seiten paarweise zueinander kongruent sind. Dieses Prinzip überträgt sich auf den Raum für Tetraeder ∆ = ∆(ABCD) mit 4 nicht-komplanaren Punkten. Wir zeigen zunächst ein Äquivalent des Kongruenzsatzes (SSS) für den Raum. Lemma 3.3.1 Gilt für zwei Tetraeder ∆ = ∆(ABCD) und ∆0 = ∆(ABCD0 ) AD ∼ = AD0 , BD ∼ = BD0 , CD ∼ = CD0 und liegen D und D0 auf derselben Seite der Ebene ε = ε(ABC), dann ist D = D0 und daher ∆ = ∆0 . Beweis Wegen (SSS) sind die Seitendreiecke von ∆ und ∆0 paarweise kongruent: 4(ABD) ∼ = 0 4(ABD ), . . . usw. Angenommen, D 6= D0 1) A, B, D, D0 komplanar: Wie im Beweis zu Lemma 1.2.35und Satz 1.2.36 ergibt sich, dass in der Ebene ε(A, B, D) = ε(A, B, D0 ) die Punkte D und D0 auf verschiedenen Seiten von g(A, B) liegen müssen. Dann liegen D und D0 auch auf verschiedenen Seiten der Ebene ε(A, B, C), im Widerspruch zur Voraussetzung. 2) A, B, D, D0 nicht komplanar: Dann ist 4(ABD) ∼ = 0 X für alle X ∈ 4(ABD 0 ) und daher auch DX ∼ D = g(A, B). Wir wählen η = ε(D, D0 , C) und {X} = η ∩ g(A, B). Dann haben wir in η die gleichschenkligen Dreiecke 4(D, D0 , C) und 4(D, D0 , X). Daher ist in der Ebene η die Gerade g(C, X) Mittelsenkrechte von DD0 und D und D0 liegen auf verschiedenen Seiten von g(X, C). Damit lägen D und D0 auch auf verschiedenen Seiten der Ebene ε(A, B, C) im Widerspruch zur Voraussetzung. Hieraus ergibt sich unmittelbar Folgerung 3.3.2 Zwei Tetraeder ∆ = ∆(ABCD) und ∆0 = ∆(A0 B 0 C 0 D0 ) sind genau dann kongruent, wenn die Kanten paarweise kongruent sind. Durch die Vorgabe kongruenter Tetraeder ist dann auch eine Bewegung ϕ des Raumes Ω eindeutig bestimmt. Satz 3.3.3 Seien ∆ = ∆(ABCD) und ∆0 = ∆(A0 B 0 C 0 D0 ) kongruente Tetraeder. Dann gibt es genau eine Bewegung ϕ : Ω −→ Ω mit ϕ(∆) = ∆0 3 ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP 77 Beweis Sei X ∈ Ω ein beliebiger Punkt. Dann ist nach Lemma 3.3.1 die Lage von X im Raum durch die ”Abstände” XA, XB, XC, XD eindeutig bestimmt (etwa durch das Tetraeder ∆(ABCX), das auf einer der Seiten von ε = ε(ABC) liegt, XD zeichnet die Seite aus). Dann gibt es genau einen Punkt X 0 mit XA ∼ = X 0 A0 , XB ∼ = X 0 B 0 , XC ∼ = X 0 C 0 , XD ∼ = X 0 D0 . Wir setzen ϕ(X) := X 0 , qed. Wir stellen entsprechend wie für die Ebene die verschiedenen Arten von Bewegungen des Raumes zusammen: Verschiebung (Translation), Spiegelung, Drehung Spiegelung an Ebene, Gerade, Punkt, Drehung um eine Gerade Kombinationen: Schraubung, Gleitspiegelung, Drehspiegelung Die betrachtete Abbildung werde stets als Bewegung des Raumes vorausgesetzt. Dann haben wir: a) Spiegelung ϕε an der Ebene ε = ε(ABC): ∀ P ∈ ε ist ϕε (P ) = P und ∀ P ∈ / ε ist ϕε (P ) 6= P . Wegen Lemma 3.3.1 liegen ∀ P ∈ / ε die Punkte P und ϕε (P ) auf verschiedenen Seiten der Ebene ε. Die Gerade g(P, ϕε (P )) durchstößt die Ebene ε etwa im Punkt XP . Da für alle Y ∈ ε mit Y 6= XP die Kongruenz der Winkel ](P, XP , Y ) ∼ = ](ϕε (P ), XP , Y ) gilt, ist g(P, ϕε (P )) ⊥ ε(ABC) und P XP ∼ = XP ϕε (P ). b) Drehung um eine Gerade g: ∀ P ∈ g ist ϕg (P ) = P und ∀ P ∈ / g ist ϕg (P ) 6= P Da ∀ X ∈ g : PX ∼ = ϕg (P )X, haben wir tatsächlich eine Drehung vorliegen. b1 ) Spiegelung an einer Geraden g = Drehung um g um 180◦ = Spiegelung an zwei zueinander orthogonalen Ebenen mit g als gemeinsamer Geraden. b2 ) Spiegelung an einem Punkt P = Spiegelung an einer Ebene η + Drehung um eine Gerade h ⊥ η um 180◦ , P ∈ η (ansonsten η und h beliebig) = Spiegelung an drei zueinander orthogonalen Ebenen mit P als gemeinsamem Punkt. c) Schraubung: Translation entlang einer Geraden g + Drehung um g d) Drehspiegelung: Spiegelung an einer Ebene η + Drehung um eine Gerade g ⊥ η 3 ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP 78 Insgesamt erhalten wir folgendes Schema: Bewegung in Ω H H HH H HH H Verschiebung Drehung P PP P P PP PP P PPP PP PP P P PP PP P Schraubung Spiegelung Gleitspiegelung Drehspiegelung Satz 3.3.4 Jede Bewegung des Raumes Ω lässt sich als Produkt von 3 oder 4 Ebenenspiegelungen darstellen: a) 3 Spiegelungen: ungleichsinnige Bewegung (∆ und ∆0 entgegengesetzt orientiert) b) 4 Spiegelungen (oder 2 bzw 0 - Identität): gleichsinnige Bewegung (∆ und ∆0 gleich orientiert). Beweis Sei ϕ eindeutig bestimmt durch die Tetraeder ∆ = ∆(ABCD) und ∆0 = ∆(A0 B 0 C 0 D0 ) mit ϕ(∆) = ∆0 . 1. Spiegelung: A 6= A0 ⇒ ε1 ⊥ g(A, A0 ) und derart, dass ε1 die Strecke AA0 halbiert ⇒ ϕε1 (A) = A0 , ϕε1 (B) = B1 , ϕε1 (C) = C1 , ϕε1 (D) = D1 2. Spiegelung: B1 6= B 0 ⇒ ε2 ⊥ g(B1 , B 0 ) und derart, dass ε2 die Strecke B1 B 0 halbiert (⇒ A0 ∈ ε2 ) ⇒ ϕε2 (A0 ) = A0 , ϕε2 (B1 ) = B 0 , ϕε2 (C1 ) = C2 , ϕε2 (D1 ) = D2 3. Spiegelung: C2 6= C 0 ⇒ ε3 ⊥ g(C2 , C 0 ) und derart, dass ε3 die Strecke C2 C 0 halbiert (⇒ A0 , B 0 ∈ ε3 ) ⇒ ϕε3 (A0 ) = A0 , ϕε3 (B 0 ) = B 0 , ϕε3 (C2 ) = C 0 , ϕε3 (D2 ) = D3 4. Spiegelung: D3 6= D0 ⇒ ε4 ⊥ g(D3 , D0 ) und derart, dass ε4 die Strecke D3 D0 halbiert (⇒ A0 , B 0 , C 0 ∈ ε4 ) ⇒ ϕε4 (A0 ) = A0 , ϕε4 (B 0 ) = B 0 , ϕε4 (C 0 ) = C 0 , ϕε4 (D3 ) = D0 wegen Lemma 3.3.1. Jede Spiegelung ändert die Orientierung. Sind ∆ und ∆ entgegengesetzt orientiert, erreicht man ∆0 spätestens nach 3 Spiegelungen, im anderen Fall nach 4 Spiegelungen, qed. 3 ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP 3.4 79 Projektionen und Projektivitäten Eine häufige und in vielen Anwendungen auftretende Art von Abbildungen sind Projektionen. Wir unterscheiden im wesentlichen 2 Arten: 1) Parallelprojektionen (etwa wenn Sonnenstrahlen Schatten eines Körpers auf eine Fläche werfen) 2) Zentralprojektionen (Schatten eines Körpers bei punktförmiger Lichtquelle) Für die mathematische Behandlung von Projektionen gehen wir von Abbildungen einer Ebene E ⊂ Ω auf eine Ebene E 0 ⊂ Ω des (3-dimensionalen) euklidischen Raumes Ω aus. Wir nennen die Menge aller Geraden einer Ebene E oder des Raumes Ω, die durch einen festen Punkt S gehen, ein Geradenbüschel π(S). Alle Geraden eines Büschels sind zueinander konkurrent. Definition 3.4.1 (Projektionen) Gegeben seien zwei Ebenen E, E 0 ⊂ Ω. a) E und E 0 werden durch eine Schar paralleler Geraden geschnitten; eine beliebige Gerade g schneide E im Punkt X und E 0 im Punkt X 0 . Die Abbildung ϕa : Ω −→ Ω definieren wir durch ϕa (X) := X 0 . ϕa heißt Parallelprojektion des Raumes Ω. Die Richtung der Geradenschar heißt die Projektionsrichtung. b) Sei S ∈ Ω ein fester Punkt, S ∈ / E, E 0 und G das Geradenbüschel durch S. Schneidet eine beliebige Gerade g die Ebene E im Punkt X und E 0 im Punkt X 0 , dann sei ϕp : Ω −→ Ω die durch ϕp (X) := X 0 definierte Abbildung. ϕp heißt Zentralprojektion des Raumes Ω und S das Projektionszentrum. Ausgeartete Projektionen (Geraden parallel zu einer der beiden Ebenen bzw. S ∈ E oder S ∈ E 0 ) sollen stets vermieden werden. Wir nennen nicht-ausgeartete Projektionen auch eigentliche“ Projektionen. ” Wir werden sehen, dass bei Zentralprojektionen nicht jeder Punkt P ∈ E einen Bildpunkt P 0 ∈ E 0 und nicht jeder Punkt Q0 ∈ E 0 einen Urbildpunkt Q ∈ E besitzt, wenn E und E 0 f0 ⊂ Ω e E nicht parallel sind. Diese Punkte nehmen wir aus E und E 0 heraus und erhalten E, f0 . e =E mit ϕp (E) f0 = E 0 bei Parallelprojektionen oder falls EkE 0 .) e = E, E (E f0 . Dann ist ϕ e auf E Satz 3.4.2 Sei ϕ eine eigentliche Parallel- oder Zentralprojektion von E eine 1-1-Abbildung, die Geraden auf Geraden abbildet. 3 ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP 80 Beweis Projektionsstrahlen durch eine Gerade g ⊂ E liegen in einer Ebene E0 . Das Bild dieser Geraden g in E 0 ist der Schnitt von E0 und E 0 , also wieder eine Gerade. Die Eineindeutigkeit folgt aus der Parallelität der Projektionsstrahlen bzw. dem (einzigen) gemeinsamem Punkt im Projektionszentrum, qed. Der wesentliche Unterschied beider Projektionsarten liegt darin, dass die Parallelprojektion eine affine Abbildung ist, während die Zentralprojektion mit E ∦ E 0 nicht affin ist. Hierzu Satz 3.4.3 a) Jede eigentliche Parallelprojektion ist eine nicht-entartete affine Abbildung. b) Eine Zentralprojektion mit E ∦ E 0 ist nicht affin. Beweis Wir müssen zeigen, dass im Fall a) das Teilverhältnis invariant ist, und im Fall b) sich das Teilverhältnis ändert. a) Die Invarianz des Teilverhältnisses folgt aus dem Strahlensatz. b) Sei ϕp (g) = g 0 . Der neben stehenden Skizze entnimmt man T V (A, B; C) = T V (A00 , B 00 ; C 00 ) 6= T V (A0 , B 0 ; C 0 ) Satz 3.4.4 Jede nicht-entartete Affinität ϕ zwischen zwei Ebenen E, E 0 ⊂ Ω lässt sich durch endlich viele Parallelprojektionen darstellen: E 6= E 0 , dann sind 3 Projektionen ausreichend; E = E 0 , dann sind 4 Projektionen ausreichend. Beweis Sei E 6= E 0 . Wir geben 3 Projektionen ϕ1 , ϕ2 , ϕ3 an, so dass die Hintereinander−1 −1 ausführung ϕ3 ◦ ϕ2 ◦ ϕ1 ◦ ϕ = ι die Identität ist. Dann ist ϕ = ϕ−1 1 ◦ ϕ 2 ◦ ϕ3 . Seien P1 , P2 , P3 ∈ E nicht kollinear und P10 , P20 , P30 ∈ E 0 die Bildpunkte unter ϕ : E −→ E 0 derart, dass P10 , P20 , P30 ∈ / E. E 00 - Ebene mit: P1 ∈ E 00 , P2 , P10 ∈ / E 00 −−−→ ϕ1 - Projektion von E 0 auf E 00 , Projektionsrichtung P1 P10 . Dann ist ϕ1 (Pi0 ) = Pi00 (i = 1, 2, 3), ϕ1 (P10 ) = P100 = P1 E 000 - Ebene mit: P1 , P2 ∈ E 000 , P200 , P3 ∈ / E 000 3 ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP 81 −−−→ ϕ2 - Projektion von E 00 auf E 000 , Projektionsrichtung P200 P2 . Dann ist ϕ2 (Pi00 ) = Pi000 (i = 1, 2, 3), P1000 = P100 = P1 , P2000 = ϕ(P200 ) = P2 −−−→ ϕ3 - Projektion von E 000 auf E, Projektionsrichtung P3000 P3 . Dann ist ϕ2 (Pi00 ) = Pi000 (i = 1, 2, 3), P1000 = P100 = P1 , P2000 = ϕ(P200 ) = P2 Zusammenfassend erhält man aus ψ := ϕ3 ◦ ϕ2 ◦ ϕ1 ◦ ϕ die Zuordnung P1 −→ P10 −→ P100 = P1 −→ P1000 = P1 −→ P1 P2 −→ P20 −→ P200 −→ P2000 = P2 −→ P2 P3 −→ P30 −→ P300 −→ P3000 −→ P3 und damit ist ψ wegen Satz 3.2.8 die Identität, qed. Um Eigenschaften der Zentralprojektionen zu untersuchen, betrachten wir zunächst Zentralprojektionen in der Ebene, die wir Perspektiven nennen. Definition 3.4.5 Sei π(S) ein Geradenbüschel und g, h zwei Geraden mit S ∈ / g, h. Dann schneidet jede Gerade des Büschels die Geraden g und h in höchstens einem Punkt 6= S. Sei s eine solche Gerade mit s ∩ g = X und s ∩ h = X 0 . Die Abbildung ψ : X 7→ X 0 =: ψ(X) S h bezeichheißt Perspektive von S aus und soll mit g ∧ net werden. g und h heißen zueinander perspektiv. Die Hintereinanderausführung endlich vieler Perspektiven bzw. Zentralprojektionen heißt eine Projektivität. Lemma 3.4.6 Zwischen 2 Geraden g und g 0 in Ω gibt es stets eine Projektivität ϕ, die 3 beliebig vorgegebene, paarweise verschiedene Punkte A, B, C ∈ g drei beliebig vorgegebenen und paarweise verschiedenen Punkten A0 , B 0 , C 0 ∈ g 0 zuordnet. 3 ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP 82 Beweis Sei g 00 die Gerade durch A0 und C, ϕ0 S 00 die Perspektive g ∧ g und B 00 := ϕ0 (B). Dann liegen S, g und g 00 in einer Ebene und B 00 ∈ / g0. Sei S 0 der Schnittpunkt der Geraden hB durch B 0 und B 00 sowie hC durch C 0 und C 00 . (Da sich g 0 und g 00 schneiden, liegen hB , hc , g 0 , g 00 in einer Ebene, jedoch können hB und hC parallel sein. S 0 liegt dann im Unendlichen und aus der Perspektive wird eine Parallelprojektion!) S 00 g Die Zusammensetzung der Projektionen g 0 ∧ 0 S 00 0 und g ∧ g ist die gesuchte Projektivität, qed. Mit dieser Konstruktionsvorschrift ist auch für jeden Punkt X ∈ g mit obiger Vorgabe der Punkte A, B, C ∈ g und A0 , B 0 , C 0 ∈ g 0 das Bild X 0 ∈ g 0 eindeutig bestimmt, sofern X 0 existiert. Offen bleibt aber zunächst, ob mit einer anderen Konstruktionsvorschrift nicht auch eine andere Abbildung ϕ∗ möglich ist. Mit Hilfe des Doppelverhältnis kann man zeigen (siehe Lemma 3.5.3 und Satz 3.5.4), dass dieses nicht der Fall ist. Wir untersuchen abschließend, welche Ausnahmepunkte bei Zentralprojektionen bzw. Perspektiven zu beachten sind. Werden zwei Punktreihen g und g 0 durch eine Perspektive ϕ einander zugeordnet und schneiden sich g und g 0 in Q : g ∩ g 0 = Q, dann ist Q = Q0 . Sei g ∗ k g und S ∈ g ∗ . Ist F 0 = g 0 ∩ g ∗ , dann hat F 0 kein Urbild. Entsprechend sei g 0∗ k g 0 und S ∈ g 0∗ und V = g ∩ g 0∗ . Dann hat V keinen Bildpunkt. Definition 3.4.7 Wir nennen F 0 den Fluchtpunkt von ϕ und V den Verschwindungspunkt von ϕ. 3 ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP 83 Durch die Einführung von uneigentlichen Punkten kann man diese Einschränkung tatsächlich aus der Welt schaffen: F = b ϕ−1 (F ) = b Richtung aller zu g parallelen Geraden = b 1 - dimensionaler Vektorraum von g Entsprechend wäre V0 = b ϕ−1 (V ) = b Richtung aller zu g 0 parallelen Geraden = b 1 - dimensionaler Vektorraum von g 0 3 ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP 3.5 84 Doppelverhältnis und Schnittpunktsätze (Desargues, Pascal) Wir haben gesehen, dass das Teilverhältnis bei Zentralprojektionen und daher bei Projektivitäten keine Invariante ist. An seine Stelle tritt das Doppelverhältnis. Definition 3.5.1 Seien A, B, P, Q ∈ Ω vier paarweise verschiedene kollineare Punkte. Dann heißt der Quotient der Teilverhältnisse T V (A, B; P ) und T V (A, B; Q) (siehe Definition 3.2.2) das Doppelverhältnis der vier Punkte A, B; P, Q: Dv(A, B; P, Q) := T V (A, B; P ) m(AP ) m(AQ) = : T V (A, B; Q) m(BP ) m(BQ) Im Poincaré-Modell der hyperbolischen Geometrie benötigen wir das Doppelverhältnis für 4 beliebige, paarweise verschiedene Punkte der Ebene, die nicht notwendig kollinear sind. Dann definieren wir Dv ∗ (A, B; P, Q) := AP BQ AP BP : = · >0 AQ BQ AQ BP und verzichten auf ein Vorzeichen. Es wird dann für 4 kollineare Punkte Dv ∗ (A, B; P, Q) = |Dv(A, B; P, Q)|. Bemerkung 3.5.2 Für P = A oder Q = B können wir auch Dv(A, B; P, Q) = 0 bzw. Dv ∗ (A, B; P, Q) = 0 definieren. Lemma 3.5.3 Sind auf einer Geraden g drei (paarweise verschiedene) Punkte A, B, C ∈ g und eine reelle Zahl λ ∈ R gegeben, dann gibt es genau einen Punkt X ∈ g mit Dv(A, B; C, X) = λ. Beweis Falls λ = 0, setzen wir X := B. Ist λ 6= 0, sei X gemäß Lemma 3.2.3 der eindeutig bestimmte Punkt auf g mit T V (A, B; X) = T V (A, B; C) . λ Dann ist nach Definition 3.5.1 X ∈ g auch der eindeutig bestimmte Punkt mit Dv(A, B; C, X) = λ, qed. Satz 3.5.4 Das Doppelverhältnis von 4 kollinearen Punkten bleibt bei einer Perspektive invariant, d.h. ist g die Urbildgerade mit den (eigentlichen) Punkten A, B, C, D ∈ g und g 0 die Bildgerade mit den (eigentlichen) Bildpunkten A0 , B 0 , C 0 , D0 ∈ g 0 , dann ist Dv(A, B; C, D) = Dv(A0 , B 0 ; C 0 , D0 ). 3 ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP 85 Beweis Ist g parallel zu g 0 , dann ergibt sich die Gleichheit der Doppelverhältnisse aus dem Strahlensatz. Insbesondere sind bereits die entsprechenden Teilverhältnisse gleich. Sei g ∦ g 0 und etwa Z = g ∩ g 0 der Schnittpunkt der beiden Geraden. Wir wählen X ∈ g derart, dass die Gerade g ∗ durch S und X orthogonal zu g ist. Für einen beliebigen Punkt P ∈ g sei dann mP := m(XP ). Ist P 0 ∈ g 0 der Bildpunkt von P und P ∗ der Lotfußpunkt von P 0 auf g ∗ , dann sei xP 0 := m(SP ∗ ). Auf die Situation im Satz übertragen, erhalten wir folgendes Bild: Aus dem Strahlensatz folgert man Dv(A0 , B 0 ; C 0 , D0 ) = m(A0 C 0 ) m(A0 D0 ) xC 0 − xA0 xD0 − xA0 : = : 0 0 0 0 m(B C ) m(B D ) xC 0 − xB 0 xD0 − xB 0 (3.A) und Dv(A, B; C, D) = m(AC) m(AD) mC − mA mD − mA : = : . m(BC) m(BD) mC − mB mD − mB (3.B) 3 ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP 86 Sei c = m(SX0 ), a = m(XZ), mP 0 = m(P ∗ P 0 ) und etwa b = m(SX) = 1. Dann berechnen wir für Punkte P und P 0 : xP 0 mP 0 = mP 1 und mP 0 xP 0 − c = , a 1−c also mP 0 = mP · xP 0 = a xP 0 − c 1−c und hieraus xP 0 = ac = a − (1 − c)mP 1− c 1−c a mP = c . 1 − c∗ mP Setzen wir dieses für P = A, B, C, D in (3.A) ein, erhalten wir Dv(A0 , B 0 ; C 0 , D0 ) = xC 0 − xA0 xD0 − xA0 : xC 0 − xB 0 xD0 − xB 0 = c 1−c∗ mC c 1−c∗ mC = mC − mA mD − mA : = Dv(A, B; C, D), mC − mB mD − mB − − c 1−c∗ mA c 1−c∗ mB : c 1−c∗ mD c 1−c∗ mD − − c 1−c∗ mA c 1−c∗ mB qed. Folgerung und Definition 3.5.5 Nach Satz 3.5.4 ist das Doppelverhältnis von 4 Punkten A, B, C, D, die durch 4 Strahlen a, b, c, d aus einer Geraden herausgeschnitten werden, eine Invariante dieser Strahlen. Wir nennen diese Invariante das Doppelverhältnis dieser 4 Strahlen: Dv(a, b; c, d) := Dv(A, B; C, D) Satz 3.5.6 (Fundamentalsatz) Eine Projektivität ist eindeutig festgelegt, wenn von drei paarweise verschiedenen kollinearen Punkten A, B, C ∈ g die Bilder A0 , B 0 , C 0 ∈ g 0 (die auch wieder paarweise verschieden und kollinear sind) gegeben sind. Beweis Ist A, B, C ∈ g gegeben und X ∈ g beliebig, dann ist X 0 ∈ g 0 durch A0 , B 0 , C 0 ∈ g 0 und Dv(A0 , B 0 ; C 0 , X 0 ) = Dv(A, B; C, X) eindeutig festgelegt, qed. 3 ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP 87 Folgerung 3.5.7 Entspricht bei einer Projektivität der Schnittpunkt einander zugeordneter Geraden g und g 0 sich selbst, dann sind g und g 0 perspektiv. Beweis Sei S der Schnittpunkt der Geraden durch B und B 0 bzw. C und C 0 und etwa A = A0 . Dann wird S 0 g gegeben, qed. die Projektivität durch g ∧ S 0 Perspektiven g ∧ g , bei denen die Punkte A, B, C ∈ g den Punkten A0 , B 0 , C 0 ∈ g 0 zugeordS S net werden, bezeichnen wir auch mit ABC ∧ A0 B 0 C 0 oder entsprechend ABCD ∧ A0 B 0 C 0 D 0 . Nach diesen Vorbereitungen können wir nun den wichtigen Satz von Desargues beweisen. Satz 3.5.8 (Desargues) Gehen die Verbindungslinien a, b, c entsprechender Eckpunkte zweier Dreiecke 4(ABC) und 4(A0 B 0 C 0 ) durch einen Punkt S, so liegen die Schnittpunkte entsprechender Seiten auf einer Geraden. Beweis Seien U, V, W die Schnittpunkte entsprechender Seiten und h die Gerade durch U und V . Behauptung: W ∈ h. Wir haben die Perspektiven: SAA00 A0 V ∧ SCC 00 C 0 mit dem Projektionszentrum V und SCC 00 C 0 U ∧ SBB 00 B 0 , mit dem Projektionszentrum U. Zusammengesetzt ergibt sich eine Projektivität, die die Gerade a der Geraden b zuordnet und die Punkte A −→ B, A0 −→ B 0 , A00 −→ B 00 , S −→ S, also den Schnittpunkt S sich selbst zuordnet. Nach Folgerung 3.5.7 ist dieses eine Perspektivität mit W als Zentrum: 00 0 00 00 AA00 A0 W ∧ BB B . Da A , B ∈ h, muss auch W ∈ h sein, qed. Einer der wichtigsten Schnittpunktsätze, auf den auch die Begründung der projektiven Geometrie zurückgeführt werden kann, ist der Satz von Pascal (Blaise Pascal 1623 - 1662) bzw. sein Vorgänger, der Satz von Pappus oder auch Pappos (Pappus von Alexandria, etwa 290 - 350). Satz 3.5.9 (Pascal) Ist das Sechseck (123456) einem Kegelschnitt einbeschrieben, so liegen die Schnittpunkte gegenüberliegender Seiten, also M = (12) ∩ (45), L = (23) ∩ (56) und N = (34) ∩ (16) auf einer Geraden. 3 ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP 88 Ordnen wir die Punkte in der natürlichen“ Reihenfolge auf dem Kegelschnitt an, etwa auf ei” ner Ellipse, befinden sich die entsprechenden Schnittpunkte stets außerhalb des Kegelschnitts. Die Schnittpunkte wandern in den Kegelschnitt, wenn wir etwa die Punkte 2 und 4 sowie 3 und 6 miteinander vertauschen. Diese Vertauschungen können mittels projektiver Abbildungen realisiert werden, so dass die Gültigkeit des Satzes nicht beeinträchtigt wird. Zum Beweis des Satzes von Pascal mit Methoden der projektiven Abbildungen wären Aussagen über die projektive Erzeugung von Kegelschnitten erforderlich, auf die hier nicht eingegangen werden kann (siehe Keller [19], § 74). Allerdings lässt sich der Spezialfall, dass der Kegelschnitt in zwei (sich schneidende) Geraden zerfällt, entsprechend einfach und genauso wie der Satz von Desargues beweisen. Dieses ist der bereits erwähnte Satz von Pappos. Satz 3.5.10 (Pappos) Liegen die Eckpunkte eines Sechseck (AB 0 CA0 BC 0 ) abwechselnd auf zwei Geraden, dann sind die Schnittpunkte gegenüberliegender Seiten N = (AB 0 ) ∩ (BA0 ), M = (CA0 ) ∩ (AC 0 ) und L = (BC 0 ) ∩ (CB 0 ) kollinear. Beweis Wir konstruieren eine Projektivität, die die Gerade (BA0 ) auf die Gerade (BC 0 ) abbildet, die dann wegen des Fixpunktes B wieder eine Perspektive ist. Wir wählen die Punkte J = (AC 0 ) ∩ (BA0 ) und K = (BC 0 ) ∩ (CA0 ) und erhalten die Perspektiven A0 N JB A ∧ A0 B 0 C 0 S C ∧ KLC 0 B. Dieses ist eine Projektivität, die die Gerade (BA0 ) auf die Gerade (BC 0 ) abbildet mit B als Fixpunkt. M ist offenbar das Projektionszentrum und die Punkte N und L werden einander zugeordnet und liegen daher auf einer Geraden, qed. 3 ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP 89 Dual zum Satz von Pascal haben wir den Satz von Brianchon (Charles Brianchon 1785 - 1864) Satz 3.5.11 (Brianchon) Seien P1 , . . . , P6 paarweise verschiedene Punkte eines Kegelschnitts k und t1 , . . . , t6 jeweils die Tangenten in P1 , . . . , P6 an k. Sei Qi = ti ∩ ti+1 (i = 1, . . . , 6, t7 = t1 ). Dann schneiden sich die Verbindungsgeraden gegenüberliegender Schnittpunkte Qi in einem Punkt S: S = g(Q1 , Q4 ) ∩ g(Q2 , Q5 ) ∩ g(Q3 , Q6 ). Das Äquivalent zum Satz von Pappos ergibt sich zu Satz 3.5.12 (Brianchon) Gehen die Seiten eines Sechsecks abwechselnd durch zwei feste Punkte S1 und S2 , so gehen die Verbindungslinien gegenüberliegender Ecken durch einen Punkts S. 3 ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP 3.6 90 Zentralkollineationen und projektive Ebene Wir wollen projektive Abbildungen der Ebene auf sich erklären, wobei gegebenenfalls immer einige Punkte (Fluchtpunkte, Verschwindungspunkte) heraus fallen. Sind E, E ⊂ Ω verschiedene Ebenen, die sich in einer Geraden a schneiden, dann sei ϕ1 : E −→ E eine Zentralprojektion von E auf E mit einem Zentrum S1 ∈ / E und ϕ2 : E −→ E mit Zentrum S2 ∈ / E. ϕ = ϕ2 ◦ ϕ1 ist dann eine Abbildung von E in sich. Offenbar ist ϕ1 (a) = ϕ2 (a) = ϕ(a) = a. s = g(S1 , S2 ) sei die Gerade durch S1 und S2 und S = s ∩ E, S = s ∩ E die Schnittpunkte von s mit E und E. Dann ist ϕ(S) = S. Ist nun gS ⊂ E eine beliebige Gerade durch S, dann liegen s und gS in einer Ebene EgS . Ist g S = E ∩ EgS , dann gilt offenbar ϕ1 (gS ) = g S und ϕ2 (g S ) = gS , also ϕ(gS ) = gS . Lemma 3.6.1 Ist A ∈ E, A 6= S, dann gilt A0 = ϕ(A) ∈ g(A, S), d.h. Punkt und Bildpunkt liegen auf einer Geraden durch S. Definition 3.6.2 Die oben erklärte Abbildung ϕ einer Ebene in sich heißt zentrale Kollineation oder auch Zentralkollineation, S das Zentrum und a die Achse. Haben wir für eine zentrale Kollineation ϕ mit Zentrum S und Achse a und von einem Punkt A seinen Bildpunkt A0 gegeben, konstruieren wir für einen beliebigen Punkt B ∈ E, B ∈ / g(A, A0 ) den Bildpunkt B 0 wie folgt: Sei F = g(A, B) ∩ a, dann ist B 0 = g(S, B) ∩ g(A0 , F ). ϕ ist durch Vorgabe von a, S und dem Punktepaar (A, A0 ) eindeutig bestimmt. Wir zeigen noch, dass das Doppelverhältnis eine Invariante für ϕ in folgendem Sinn ist: Satz 3.6.3 Sei ϕ durch a, S, (A, A0 ) wie oben gegeben und A1 = a ∩ g(A, A0 ). Dann ist µ := Dv(A, A0 ; S, A1 ) von der Wahl von A unabhängig, d.h. ist B ∈ E ein weiterer Punkt, B 0 = ϕ(B) und B1 = a ∩ g(B, B 0 ), dann ist Dv(B, B 0 ; S, B1 ) = Dv(A, A0 ; S, A1 ) = µ. Beweis Die Aussage folgt aus Satz 3.5.4 gemäß nebenstehender Skizze, qed. Bei der Behandlung von Flucht- und Verschwindungspunkten (siehe Definition 3.4.7) wurde bereits die Einführung uneigentlicher Punkte erwähnt als Geradenrichtung oder auch 3 ABBILDUNGEN ALS ORDNUNGSPRINZIP 91 1-dimensionaler Vektorraum. Damit hätten parallele Geraden, die nicht gleich sind, ebenfalls genau einen gemeinsamen Punkt, und zwar die Richtung als gemeinsamen uneigentlichen Punkt. Erweitern wir die affine Ebene um die Menge der uneigentlichen Punkte, erhalten wir die projektive Ebene“, in der je zwei verschiedene Geraden genau einen Punkt gemeinsam ” haben. Insbesondere gibt es keine Parallelität und die Aussagen zu projektiven Abbildungen gelten uneingeschränkt. An die Stelle der affinen Abbildung tritt die Projektivität mit dem Doppelverhältnis als Invariante. Axiomatisch haben wir für eine projektive Geometrie folgenden Aufbau: Definition 3.6.4 Eine nichtleere Menge P, deren Elemente Punkte heißen (Bezeichnung A, B, C, . . .) und gewisse Teilmengen von P, die Geraden heißen, ist eine projektive Ebene, wenn folgende Axiome der Inzidenz erfüllt sind: (P1) Je zwei verschiedene Punkte liegen auf genau einer Geraden. (P2) Je zwei Geraden treffen sich in mindestens einem Punkt. (P3) Jede Gerade enthält mindestens drei Punkte. (P4) es gibt mindestens drei nicht-kollineare Punkte. Entsprechend wie Satz 1.2.26 ergibt sich nun für eine projektive Ebene Satz 3.6.5 a) Es gibt mindestens 4 Punkte, von denen keine 3 kollinear sind. b) Es gibt mindestens 4 Geraden, von denen sich keine 3 in einem Punkt schneiden (d.h. konkurrent sind). Für weiteres Interesse an der projektiven Geometrie sei auf die umfangreiche Lehrbuchliteratur verwiesen. 4 NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN 4 92 Nicht-euklidische Geometrien: Die Unabhängigkeit des Parallelenaxioms 4.1 Neutrale Geometrie Die neutrale Geometrie geht maßgeblich auf die ungarischen Mathematiker Farkas Bolyai (1775-1856) und János Bolyai (1802-1860, Sohn von Farkas Bolyai) sowie C.F. Gauß (17771855) zurück. Definition 4.1.1 Eine Ebene ε mit den Axiomen der Inzidenz, Anordnung und Kongruenz heißt eine Hilbert-Ebene. Die Geometrie auf der Hilbert-Ebene nennen wir neutrale Geometrie. Einige wichtige Hilfsresultate für die Entwicklung einer nicht-euklidischen Geometrie sind die über Saccheri-Vierecke. Saccheri (1667-1733) versuchte, die Unmöglichkeit einer solchen Geometrie zu beweisen. Allerdings unterlief ihm dabei ein Rechenfehler. Definition 4.1.2 Sei AB eine Strecke, die Strecken CA, DB orthogonal darauf und CA ∼ = DB. Dann heißt (ABCD) ein SaccheriViereck. Lemma 4.1.3 Wenn (ABCD) ein Saccheri-Viereck ist, dann gilt a) ](ACD) ∼ = ](BDC); b) ist CF ∼ = F D und AE ∼ = EB, d.h. E, F jeweils Mittelpunkt der Strecke, dann ist EF orthogonal zu AB und CD. Wir nennen α = ](ACD) ∼ = ](BDC) den Saccheri-Winkel. Beweis Sei h das Lot in E auf AB ⇒ A, C bzw. B, D liegen auf derselben Seite von h, also C, D auf verschiedenen Seiten; sei F ∗ = h ∩ CD ⇒ 4(AEF ∗ ) ∼ = 4(BEF ∗ ) ⇒ AF ∗ ∼ = BF ∗ , ](EAF ∗ ) ∼ = ](EBF ∗ ) ⇒ (Subtraktion) ](F ∗ AC) ∼ = ](F ∗ BD) ⇒ (SWS) 4(ACF ∗ ) ∼ = 4(BDF ∗ ) ⇒ {F ∗ ist Mitte, F ∗ = F ⇒ b)} und {](ACF ) ∼ = ](BDF ) ⇒ a)}, qed. Folgerung 4.1.4 Sei (ABCD) ein Viereck mit rechten Winkeln bei A und B. Dann gilt: ](ACD) > ](BDC) ⇐⇒ AC < BD. 4 NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN 93 Beweis ⇐=“ Sei AC < BD und Zw(BED), ” so dass AC ∼ = BE ⇒ (ABCE) ist ein Saccheri-Viereck ⇒ ](ACE) ∼ = ](BEC); ](BEC) ist Außenwinkel im Dreieck 4(EDC) und daher nach Satz 1.2.23 ](ACD) > ](ACE) = ](BEC) > ](BDC). =⇒“ Ist ](ACD) > ](BDC)) und etwa AC ≥ BD, dann sind im Fall der Gleichheit auch ” die Winkel gleich (Lemma 5.1.11) und im Fall AC > BD würde ](ACD) < ](BDC) aus ⇐=“ folgen, qed. ” Folgerung 4.1.5 Sei (ABCD) ein Saccheri-Viereck und P ∈ CD, Q der Fußpunkt des Lotes von P auf AB und α der Winkel bei C und D. Dann gilt: a) P Q < BD ⇒ α < Rechter (spitz) b) P Q = BD ⇒ α = Rechter c) P Q > BD ⇒ α > Rechter (stumpf ) (also überall ⇐⇒“) ” Beweis a) P Q < BD ⇒ P Q < AC ⇒ (Folgerung 4.1.4) α < β, α < γ ⇒ 2α < β + γ = 2Rechte ⇒ α < Rechter. b) und c) beweist man genauso, qed. Entsprechend erhält man für P außerhalb CD: a) P Q > BD ⇒ α < Rechter (spitz) b) P Q = BD ⇒ α = Rechter c) P Q < BD ⇒ α > Rechter (stumpf) (also ebenfalls überall ⇐⇒“) ” Satz 4.1.6 (Saccheri) In einer Hilbert-Ebene gilt: 4 NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN 94 a) hat ein Saccheri-Viereck einen spitzen Winkel α, dann haben alle Saccheri-Vierecke einen spitzen Winkel; b) hat ein Saccheri-Viereck einen rechten Winkel α, dann haben alle Saccheri-Vierecke einen rechten Winkel; c) hat ein Saccheri-Viereck einen stumpfen Winkel α, dann haben alle Saccheri-Vierecke einen stumpfen Winkel. Beweis (nur für spitze Winkel): 1. (ABCD) und (A0 B 0 C 0 D0 ) seien 2 Saccheri-Vierecke mit kongruenten Mittellinien und etwa AB < A0 B 0 . Wir führen eine solche Bewegung aus, dass beide Mittellinien aufeinander fallen. Da die Winkel bei F jeweils Rechte sind, liegt CD ebenfalls auf C 0 D0 . α ist spitz ⇒ BD < B 0 D0 ⇒ (Folgerung 4.1.5 für (ABCD)- außen) α0 spitz; genauso für AB > A0 B 0 . 2. Sei (ABCD) ein Saccheri-Viereck mit spitzem Winkel und (A0 B 0 C 0 D0 ) ein beliebiges Saccheri-Viereck mit der Mittellinie EG. −−→ Wir tragen EG auf dem Strahl EB ab und errichten in G das Lot. Dieses schneidet g(C, D) im Punkt H. Dann spiegeln wir H und F an der Geraden g(A, B), d.h. wir tragen die Strecke GH an der anderen Seite von G bzw. E ab, und erhalten H2 bzw. F2 . Aus der Kongruenz der Dreiecke 4(EF G) und EF2 G folgt die Kongruenz der Dreiecke 4(GF H) und GF2 H2 , also FH ∼ = F2 H 2 . Aus der Kongruenz der Dreiecke 4(EF G) und EF2 G folgt die Kongruenz der Dreiecke 4(GF H) und GF2 H2 , also F H ∼ = F2 H2 . Daher ist (F F2 HH2 ) ein Saccheri-Viereck mit dem Winkel β = ](F HG) (siehe auch Beweis zu Lemma 5.1.11). Spiegeln wir H und G an der Geraden g(E, F ), so erhalten wir die Punkte H1 ∈ g(C, D) und G1 ∈ g(A, B) mit dem gleichen Winkel β, und dieser ist spitz nach Voraussetzung und dem ersten Teil des Beweises, qed. Wir untersuchen nun die Auswirkungen von Satz 4.1.6 auf die Winkelsumme im Dreieck. Lemma 4.1.7 Gegeben sei ein Dreieck 4(ABC). Dann gibt es ein Saccheri-Viereck, so dass die Winkelsumme des Dreiecks gleich der Summe der beiden Saccheri-Winkel ist. 4 NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN 95 Beweis Sei D die Mitte von AB und E die Mitte von AC. Wir fällen die Lote von A, B, C auf g(D, E) und erhalten die Fußpunkte F, G, H. Sei etwa Zw(DGE). Nach (WWS) ist 4(ADG) ∼ = 4(BDF ) und 4(AEG) ∼ = 4(CEH) ⇒ BF ∼ = AG ∼ = CH und (F HBC) ist ein Saccheri-Viereck. Die Winkelsumme bei B und C ist offenbar die Winkelsumme des Dreiecks bei A, B, C. Genauso verfährt man, wenn etwa Zw(DEG), wobei man jetzt bei C für das Viereck die Winkeldifferenz statt der Summe hat. Qed. Hieraus folgt nun der zentrale Satz 4.1.8 In jeder Hilbert-Ebene gilt: a) Wenn ein Dreieck mit einer Winkelsumme < 2Rechte existiert, dann ist in jedem Dreieck die Winkelsumme < 2Rechte. b) Folgende Bedingungen sind äquivalent: (i) ∃ Dreieck mit Winkelsumme = 2Rechte; (ii) ∃ Rechteck; (iii) in jedem Dreieck ist die Winkelsumme = 2Rechte. c) Wenn ein Dreieck mit einer Winkelsumme > 2Rechte existiert, dann ist in jedem Dreieck die Winkelsumme > 2Rechte. Bemerkung Die Differenz zu 2 Rechten ist nicht konstant sondern höchst unterschiedlich. Definition 4.1.9 Sei 4 = 4(ABC) ein Dreieck. Dann heißt δ(ABC) = 2Rechte − (Innenwinkelsumme) der Defekt von 4. 4 heißt semi-euklidisch :⇐⇒ δ(ABC) = 0; 4 heißt semi-hyperbolisch :⇐⇒ δ(ABC) > 0; 4 heißt semi-elliptisch :⇐⇒ δ(ABC) < 0. 4 NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN Lemma 4.1.10 Sei 4 = Dann gilt 4(ABC) 96 und D ∈ AB. δ(ABC) = δ(ADC) + δ(DBC). Beweis Nachrechnen (ÜA)! Wir zeigen nun, dass in einer Hilbert-Ebene, in der zusätzlich das Archimedische Axiom (S1) gilt (archimedische Hilbert-Ebene), die Winkelsumme im Dreieck nicht größer als 2Rechte sein kann. Lemma 4.1.11 Seien α, β Winkel in einer archimedischen Hilbert-Ebene. Dann gibt es ein n > 0, so dass n · α > β oder n · α ist größer als 2Rechte. Beweis O.B.d.A. sei β < Rechter (sonst wählen wir 21 β) und α < β. Sei β = ](BOA) ein Winkel in einem rechtwinkligen Dreieck (wir fällen das −→ Lot von B auf OA und bezeichnen dann den Fußpunkt wieder mit A) und α = ](A1 OA) . Wir tragen α wiederholt wie im neben stehenden Bild ab. Bei zwei aufeinander folgenden Winkeln α haben wir folgende Situation: Sei F derart, dass OF ∼ = OC. Wegen der Kongruenz der Dreiecke 4(ODC) ∼ = 4(ODF ) ist dann CD ∼ = DF und δ > γ > ε ⇒ DE > DF also DE > CD. Damit wird AA1 < A1 A2 < . . . < Ai Ai+1 < . . . und ∃ n : n · AA1 > AB ⇒ An A > n · AA1 > AB ⇒ n · α > β, qed. Satz 4.1.12 In einer archimedischen Hilbert-Ebene ist die Summe der Innenwinkel eines Dreiecks ≤ 2Rechte. Beweis Ang., ∃ Dreieck 4 = = 2Rechte + ε (ε > 0). 4(ABC), so dass die Winkelsumme > 2Rechte ist, etwa Wir konstruieren ein Dreieck 4(A0 B 0 C 0 ) mit derselben Winkelsumme, in dem aber der dritte Winkel < ε, also die Summe der beiden anderen Winkel > 2Rechte sein muss im Widerspruch zu Folgerung 1.2.25, nach der die Winkelsumme von 2 Winkeln in einem Dreieck < 2Rechte 4 NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN 97 ist. In neben stehender Skizze ist: 4(EDC) ∼ = 4(ADB) Winkelsumme in 4(ABC) : α + β + γ + δ Winkelsumme in 4(AEC) : α + δ + γ + β und daher gleich. Offenbar ist α oder β ≤ 12 ·](CAB). Fortsetzung führt zum gesuchten Dreieck 4(A0 B 0 C 0 ) mit etwa α0 ≤ ( 12 )n · ](CAB) < ε, qed. Folgerung 4.1.13 In einer archimedischen Hilbert-Ebene ist in jedem Dreieck jeder Außenwinkel größer oder gleich der Summe der nicht anliegenden beiden Innenwinkel. Beweis γ + δ = 2Rechte α + β + γ ≤ 2Rechte = γ + δ ⇒ α + β ≤ δ, qed. Hieraus ergibt sich für die euklidische Geometrie Satz 4.1.14 In einer archimedischen Hilbert-Ebene gilt: Wenn jedes (ein) Dreieck euklidisch ist, dann gilt das Parallelenaxiom und umgekehrt. Beweis =⇒“ Wir zeigen: Ang., ∃ P ∈ ε und eine Gerade g ⊂ ε, so dass durch P mehrere ” Parallele zu g verlaufen ⇒ @ euklidisches Dreieck Sei A Lotfußpunkt von P auf g, h⊥AP und h0 −→ eine weitere Parallele, etwa innerhalb ](h, P A) - rechts und β = ](h, h0 ). Sei B beliebig auf g, P B ∼ = BC ⇒ (Folgerung 4.1.13) α ≥ 2γ, γ ≤ 21 · α Fortsetzen, bis etwa F ∈ g mit ](P F A) ≤ ( 12 )n α < β nach Archimedes-Axiom ⇒ Winkel in 4(P F A) : ](P AF ) = Rechter, ](AP F ) < Rechter − β, ](P F A) < β ⇒ Winkelsumme < (Rechter) + (Rechter − β) + β = 2Rechte. ⇐=“ Sei das Parallelenaxiom erfüllt. Offenbar ist β + δ = 2Rechte. ” Wir ziehen durch B eine Parallel zu g(A, C) und erhalten eine Unterteilung von δ in α und γ, also δ = α + γ. Damit ist α + β + γ = δ + β = 2Rechte, qed. 4 NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN 4.2 98 Poincaré-Modell der hyperbolischen Geometrie Als Vorbereitung für die Behandlung des Poincaré-Modells werden einige Aussagen zusammengestellt. Wir betrachten zunächst eine euklidische Ebene εK über einem geordneten Körper K. Sei etwa K der Körper F , dessen positive Elemente die Streckenelemente (siehe auch Satz 5.1.5) sind, oder ein Erweiterungskörper von F . Strecken AB sollen der Einfachheit halber gleichzeitig als (positive) Elemente von F angesehen werden, so dass wir mit ihnen wie im Körper rechnen dürfen. Inversion am Kreis Definition 4.2.1 Γ sei ein Kreis vom Radius r und Mittelpunkt M . A ∈ εK sei ein beliebi−−→ ger Punkt, A 6= M . Sei A0 ∈ M A derart, dass M A · M A0 = r2 (solch ein Punkt A0 existiert stets!). Wir sagen, A0 entsteht aus A durch eine Inversion ϕΓ am Kreis Γ. (Anhand neben stehender Skizze ergibt sich sofort aus der Kreisgeometrie p · c = r2 , die Gerade g(P, Q) durch A ist Polare zum Pol A0 . Daher sind die Geraden g(A0 , P ) und g(A0 , Q) die Tangenten aus A0 an Γ und stehen somit jeweils senkrecht zum Radius r.) Satz 4.2.2 Inversionen ϕΓ am Kreis Γ haben folgende Eigenschaften: a) Kreise durch M werden in Geraden g mit M ∈ / g abgebildet und umgekehrt. b) Ein Kreis γ, der Γ orthogonal schneidet, wird auf sich abgebildet. c) Enthält ein Kreis γ zwei einander zugeordnete Punkte A und A0 = ϕΓ (A), dann schneiden sich γ und Γ orthogonal. d) Ist γ ein Kreis und M ∈ / γ, dann ist γ 0 = ϕΓ (γ) ebenfalls ein Kreis. e) Winkel bleiben invariant. Beweis a) Sei A ∈ γ derart, dass M A ein −−→ Durchmesser von γ ist, und g⊥M A durch A0 . B ∈ g sei beliebig und B 0 der Schnittpunkt von M B mit γ. Aus der Ähnlichkeit der Dreiecke 4(M B 0 A) ∼ 4(M A0 B) folgt: M B0 M A0 = MA MB also M B · M B 0 = M A · M A0 = r 2 und daher ϕΓ (B) = B 0 und ϕΓ (B 0 ) = B. 4 NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN 99 b) Da sich Γ und γ orthogonal schneiden, stehen die Tangenten und Radien paarweise aufeinander senkrecht. Nach dem Sehnen-Tangenten-Satz gilt M A · M A0 = M P 2 = r 2 . ∃ A, A0 ∈ γ mit M A·M A0 = r2 . Daher müssen sich Γ und γ schneiden. Sei P ein Schnittpunkt von Γ und γ. Dann ist M P = r, also M P 2 = M A · M A0 und M P ist Tangentenabschnitt für γ, auf dem der Radius von γ orthogonal steht. d) Sei O außerhalb von γ gelegen. Wir zeichnen von O aus die Tangente an γ, P sei der Berührpunkt und Γ0 der Kreis um O durch P mit dem Radius r0 . Dann ist Γ0 ⊥ γ und ϕΓ0 (γ) = γ. Sei Θ die Hintereinanderausführung von ϕΓ0 und ϕΓ : Θ = ϕΓ ◦ ϕΓ0 , also Θ(γ) = ϕΓ (ϕΓ0 (γ)) = ϕΓ (γ). Behauptung: Θ(γ) ist ein Kreis. Sei A ∈ γ beliebig, A0 := ϕΓ0 (A), A00 := ϕΓ (A0 ), dann ist Θ(A) = A00 . Dann gilt OA · OA0 = r02 , OA0 · OA00 = r2 und daher OA · OA0 OA r02 = = , OA0 · OA00 OA00 r2 also OA00 = k · OA mit k= r2 . r02 Dieses ist eine Zentralstreckung und daher Θ(γ) ein Kreis. Sei O innerhalb von γ gelegen und A, A0 , A00 sowie B, B 0 B 00 wie in beiliegender Skizze. Die Winkel bei A und B sind Peripheriewinkel über der Sehne A00 B 00 und daher gleich und folglich die Dreiecke 4(OAB 00 ) und 4(OBA00 ) ähnlich. Daher ist OA · OA0 = r2 = OB · OB 0 und OA0 OA · OA0 r2 OB · OB 0 OB 0 = = = = . OA00 OA · OA00 c OB · OB 00 OB 00 Dieses ist eine Zentralstreckung und daher Θ(γ) ein Kreis. Hieraus ergibt sich wegen OA0 = k · OA00 , OB 0 = k · OB 00 4 NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN 100 ebenfalls eine Zentralstreckung und daher ist ϕΓ (γ) = γ 0 ein Kreis. e) Übungsaufgabe QED. Doppelverhältnis Definition 4.2.3 Seien A, B, P, Q ∈ εK vier paarweise verschiedene Punkte. Dann heißt Dv(A, B; P, Q) := AP BP AP BQ : = · AQ BQ AQ BP das Doppelverhältnis der vier Punkte A, B; P, Q. Für vier kollineare Punkte A, B, P, Q ist Dv(A, B; P, Q) := T V (A, B; P ) T V (A, B; Q) der Quotient der Teilverhältnisse (siehe Definition 3.2.2). Die für uns wichtigste Aussage ist, dass das Doppelverhältnis bei Inversionen an einem Kreis eine Invariante ist. Satz 4.2.4 Seien A, B, P, Q ∈ εK vier voneinander und von M verschiedene Punkte, ϕΓ eine Inversion am Kreis Γ und A0 = ϕΓ (A), B 0 = ϕΓ (B), P 0 = ϕΓ (P ), Q0 = ϕΓ (Q). Dann ist Dv(A, B; P, Q) = Dv(A0 , B 0 ; P 0 , Q0 ). Beweis Für zwei beliebige Punkte A, P gilt M A · M A0 = r2 = M P · M P 0 , also MA MP0 = . MP M A0 (4.A) Wir benötigen allerdings nicht die Längenverhältnisse bzgl. M sondern der Punkte untereinander. Fall 1: M, A, P sind nicht kollinear. Nach (4.A) sind 4(M AP ) und 4(M 0 P 0 A0 ) ähnlich ⇒ MA AP = 0 0. 0 MP AP Fall 2: M, A, P sind kollinear ⇒ AP = M P − M A, A0 P 0 = M A0 − M P 0 . In einem Körper gilt a c a c−a = ⇒ ad − bc = (ad − ab) − (bc − ab) = 0 ⇒ = . b d b d−b 4 NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN ⇒ 101 MA MP − MA AP = = 0 0 0 0 0 MP MA − MP AP AQ wie oben. Entsprechend erhält man für Q : M A0 = 0 0 MQ AQ ⇒ AP AQ M Q0 BP BQ : = = 0 0 : 0 0, 0 0 0 0 0 AP AQ MP BP BQ also die Gleichheit der Doppelverhältnisse, qed. Poincaré-Modell Π Ebene Π: Π-Gerade g: Inneres eines Kreises Γ in der euklidischen Ebene Sei γ Kreis oder eine Gerade, die Γ orthogonal schneiden. Dann ist g der Teil von γ, der im Innern von Γ liegt (γ-Gerade ⇔ M ∈ γ). Satz 4.2.5 Π genügt den Inzidenz-Axiomen (I1), (I2), (I3). Beweis (I1) Seien A, B ∈ Π 1. M, A, B kollinear ⇒ Π-Gerade ist der Durchmesser durch A und B. 2. M, A, B nicht kollinear, A0 = ϕΓ (A) ⇒ ∃ genau einen Kreis γ durch A, B, A0 , γ ist orthogonal zu Γ nach Satz 4.2.2, c); ebenfalls B 0 ∈ γ nach Satz 4.2.2 (b). (I2), (I3) sind trivial (Übung). Satz 4.2.6 Das Parallelenaxiom gilt nicht in Π. Beweis Wir wählen eine Π-Gerade g und einen Punkt A ∈ Π, A ∈ / g. Ist A0 = ϕΓ (A), dann betrachten wir das Kreisbüschel durch A und A0 . Diesem entspricht in Π ein Geradenbündel durch A, von denen offenbar unendlich viele die Gerade g nicht schneiden, also parallel zu g sind, qed. Wir zeigen nun, dass die Axiome der Anordnung, Kongruenz und Stetigkeit ebenfalls in Π erfüllt sind. 4 NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN 102 Definition 4.2.7 (Anordnung): Seien A, B, C ∈ Π kollinear. Liegen A, B, C auf einem Durchmesser, also einer euklidischen Geraden, dann sei Zw(ABC) wie bisher erklärt. Liegen A, B, C auf einem Kreis γ mit Mittelpunkt M 0 , dann ziehen wir von M 0 die Strahlen zu A, B, C, diese treffen die Verbindungsstrecke der beiden Schnittpunkte von γ und Γ in A0 , B 0 , C 0 . Wir definieren Zw(ABC) ⇔ Zw(A0 B 0 C 0 ) im euklidischen Sinn. Satz 4.2.8 Π erfüllt die Axiome (A1) - (A4). Beweis (A1) - (A3) sind trivial. (A4 - Axiom von Pasch): Gegeben sei das Dreieck 4(ABC) ⊂ Π. Je 2 Geraden (Kreise) schneiden sich innerhalb Γ in genau 1 Punkt X (der 2. Schnittpunkt X 0 = ϕΓ (X) liegt außerhalb von Γ - (Übungsaufgabe) ⇒ Inneres von 4(ABC) ist wohldefiniert (2 Punkte auf derselben Seite der Π-Geraden ⇐⇒ beide Punkte innerhalb oder außerhalb des Kreises) Ist g eine Π-Gerade mit Kreis γ, die durch keinen der Eckpunkte A, B, C geht und etwa AB in D schneidet, dann liegen A und B auf verschiedenen Seiten von g, etwa B innerhalb γ. Angenommen, B, C auf derselben Seite von γ, etwa beide innerhalb γ ⇒ der Kreis durch A, C enthält A außerhalb und C innerhalb von γ ⇒ ∃ Schnittpunkt auf AC, qed. Definition 4.2.9 (Kongruenz von Strecken): Seien A, B ∈ γ mit γ ∩ Γ = {P, Q} und A∗ , B ∗ ∈ γ ∗ mit γ ∗ ∩ Γ = {P ∗ , Q∗ } und Zw(P AB), Zw(ABQ). Dann definieren wir AB ∼ =Π A∗ B ∗ :⇔ Dv(A, B; P, Q) = Dv(A∗ , B ∗ ; P ∗ , Q∗ ). Definition 4.2.10 (Winkel, Kongruenz von Winkeln): −−→ Wir ordnen jedem Π-Strahl AB auf einer Π-Geraden in −−→ natürlicher Weise einen Strahl AB ∗ auf der Tangente zu. Dann definieren wir den Π-Winkel als Winkel zwischen den Tangentenstrahlen: ]Π (BAC) := ](B ∗ AC ∗ ). Wir definieren ]Π (BAC) ∼ =Π ]Π (EDF ) :⇐⇒ ](B ∗ AC ∗ ) ∼ = ](E ∗ DF ∗ ) 4 NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN 103 im euklidischen Sinn. Wir zeigen zunächst, dass die Axiome (C2) - (C5) erfüllt sind. Anschließend definieren wir die Π-Bewegung, mit deren Hilfe die Gültigkeit der Axiome (C1) und (C6) nachgewiesen wird. Satz 4.2.11 Die Π-Kongruenz erfüllt die Axiome (C2) - (C5). Beweis (C2) ist trivial, da die Kongruenz von Strecken durch die Gleichheit der Doppelverhältnisse definiert wird. (C3) Man rechne nach: Zw(ABC) ⇒ Dv(A, B; P, Q) · Dv(B, C; P, Q) = Dv(A, C; P, Q). Somit folgt aus Dv(A, B; P, Q) = Dv(D, E; P 0 , Q0 ) und Dv(B, C; P, Q) = Dv(E, F ; P 0 , Q0 ), also AB ∼ = DE und BC ∼ = EF , offenbar Dv(A, C; P, Q) = Dv(D, F ; P 0 , Q0 ), d.h. AC ∼ = DF . (C4) Sei A ∈ Π und m eine euklidische Richtung in A sowie A0 = ϕΓ (A) ⇒ ∃ genau einen Kreis γ durch A, A0 und m als Tangentenrichtung. γ ist wegen A, A0 ∈ γ (siehe Satz 4.2.2 (c)) eine Π-Gerade. Daher erzeugt der euklidische Winkel genau einen Π-Winkel und (C4) folgt aus der euklidischen Geometrie. (C5) folgt direkt aus der euklidischen Geometrie, qed. Für den Nachweis von (C1) und (C6) führen wir Π-Bewegungen ein: 1. Art: Sei γ ein zu Γ orthogonaler Kreis ⇒ ϕγ bildet Γ wegen Satz 4.2.2 (b) auf sich ab. Ist A0 der Mittelpunkt von γ und A = ϕΓ (A0 ) ⇒ ϕγ bildet M in A ab und umgekehrt. 2. Art: Ist γ Durchmesser von Γ ⇒ ϕγ ist eine euklidische Spiegelung an γ. Definition 4.2.12 Eine Π-Bewegung ϕΠ ist die Hintereinanderausführung von Π-Bewegungen 1. und 2. Art. Aus Satz 4.2.4 folgt, dass die Π-Bewegung eine Isometrie ist. Zum Beweis, dass das Kongruenzaxiom (C6) erfüllt ist, benötigen wir, dass Winkel unter Π-Bewegungen im euklidischen Sinn invariant sind. Lemma 4.2.13 Sei ]Π (BAC) = ](B ∗ AC ∗ ) ein Winkel und ]Π (DA0 E) = ](D∗ A0 E ∗ ) sein Bild unter der Π-Bewegung ϕΠ . Dann ist ](B ∗ AC ∗ ) ∼ = ](D∗ A0 E ∗ ). 4 NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN 104 Beweis Es genügt, die Aussage für eine Π-Bewegung ϕγ 1. Art zu beweisen. Seien γ1 und γ2 Kreise, die zwei sich schneidende Geraden in Π erzeugen und etwa nicht durch den Mittelpunkt M 0 von γ gehen. Sei α der Schnittwinkel. α ist der Winkel zwischen den Tangenten t1 und t2 . Wir bilden nun gemäß Satz 4.2.2 a) diese Tangenten durch die Bewegung ϕγ ab und erhalten zwei Kreise ϕγ (t1 ) und ϕγ (t2 ) durch den Mittelpunkt M 0 von γ, deren Tangenten in M 0 parallel zu t1 bzw. t2 sind und die sich daher ebenfalls unter dem Winkel α schneiden. Der zweite Schnittpunkt dieser Kreise durch M 0 ist offenbar das Bild ϕγ (P ), wenn P der Schnittpunkt der Ausgangskreise γ1 und γ2 ist. Die Tangenten an diese Kreise sind ebenfalls Tangenten an ϕγ (γ1 ) und ϕγ (γ2 ), also ist ϕγ (α) ∼ = α, qed. Lemma 4.2.14 a) Für je 2 Punkte A, B gibt es eine Π-Bewegung ϕΠ mit ϕΠ (A) = B. −−→ −−→ b) Seien A, B, B 0 ∈ Π ⇒ ∃ ϕΠ mit ϕΠ (AB) = AB 0 . c) Für alle Π-Geraden g gibt es Π-Bewegungen, die g fest lassen und die Punkte einer Seite von g auf Punkte der anderen Seite abbilden (Spiegelungen an g). Beweis a) Sei ϕγ1 : ϕγ1 (A) = M und ϕγ2 : ϕγ2 (M ) = A0 ⇒ ϕΠ = ϕγ2 ◦ ϕγ1 . b) Sei ϕγ : ϕγ (A) = M und etwa ϕγ (B) = C, ϕγ (B 0 ) = C 0 . Sei g die Winkelhalbierende des (euklidischen) Winkels ](CM C 0 ) und ϕg die Spiegelung an g. Die gesuchte Abbildung ist ϕΠ := ϕ−1 γ ◦ϕg ◦ϕγ : Offenbar ist ϕΠ (A) = A und ϕΠ (B) = B0. c) Die Inversion ϕγ an γ leistet das Gewünschte, qed. Wir können nun nachweisen, dass auch (C1) und (C6) erfüllt sind. Satz 4.2.15 Die Π-Kongruenz erfüllt die Axiome (C1) und (C6). 4 NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN 105 Beweis (C1) Es seien die Strecke AB, der Punkt A0 und der Strahl A0 C in Γ gegeben. Beh.: ∃ B 0 ∈ A0 C mit AB ∼ = A0 B 0 Nach Lemma 4.2.14 (a) gibt es eine Bewegung ϕΠ mit −−→ −−→ ϕΠ (A) = A0 . AB wird auf ϕΠ (AB) abgebildet. −−→ −−→ Nach Lemma 4.2.14 (b) gibt es nun eine Bewegung ψ mit ψ(A0 ) = A0 und ψ(ϕΠ (AB)) = A0 C. Sei B 0 = ψ(ϕΠ (B). Da Doppelverhältnisse bei Bewegungen invariant sind, folgt AB ∼ = A0 B 0 . (C6) Wir konstruieren Π-Bewegungen, so dass man in mehreren Schritten folgendes Ergebnis erhält: Mit ](BAC) = ](B 0 A0 C 00 ) ist AB ∼ = A0 B 0 , AC ∼ = A0 C 00 und nach Voraussetzung ](B 0 A0 C 00 ) ∼ = 0 0 0 0 00 0 0 ∼ ](B A C ) sowie A C = A C ⇒ (C4 und C1): C 0 = C 00 und damit B 0 C 0 ∼ = BC und die Winkel sind gleich ⇒ Dreiecke kongruent, qed. 4 NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN 106 Abstandsfunktion Das Doppelverhältnis Dv(A, B; P, Q) = AP BP : AQ BQ mit den Zwischenrelationen Zw(P AB) und Zw(ABQ) erfüllt die Bedingung 0 < Dv(A, B; P, Q) < 1: Wegen Zw(P AB) ist AP < BP und wegen Zw(ABQ) ist BQ < AQ (Übungsaufgabe) ⇒ AP ·BQ < BP ·AQ oder Dv(A, B; P, Q) = AP BQ · < 1. AQ BP Insbesondere ist Dv(A, B; P, Q) = 1 ⇔ AP = BP und BQ = AQ, also A = B. Bereits beim Nachweis von (C3) haben wir gesehen, dass das Doppelverhältnis multiplikativ operiert. Daher können wir als Abstandsfunktion µ(A, B) := Dv(A, B; P, Q)−1 wählen mit µ(A, B) ≥ 1 und µ(A, B) = 1 ⇔ A = B. Über µ∗ (A, B) := | log Dv(A, B; P, Q)−1 | lässt sich die Abstandsfunktion wieder additiv gestalten. Es ist µ∗ (A, B) ≥ 0 und µ∗ (A, B) = 0 ⇔ A = B. Axiome der Stetigkeit (S1) und (S2) in Π Wir untersuchen äquivalente Aussagen (S1’) und (S2’) zu (S1) und (S2) in einem geordneten Körper K: (S1’) ∀ a ∈ K, a > 0, ∃ natürliche Zahl n mit n > a. (S2’) Angenommen, K sei die Vereinigung zweier disjunkter Teilmengen S und T : K = S ∪T , so dass ∀ a ∈ S und ∀ b ∈ T gilt a < b. Dann gibt es genau ein c ∈ K, so dass ∀a ∈ S und ∀ b ∈ T gilt a ≤ c ≤ b. Lemma 4.2.16 Sei εK die kartesische Ebene über K. Dann gilt: a) (S1) gilt in εK ⇐⇒ (S1’) gilt in K; b) (S2) gilt in εK ⇐⇒ (S2’) gilt in K. 4 NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN 107 Beweis a) Wir wählen Koordinaten derart, dass AB die Einheitsstrecke auf der x-Achse ist. C, D zwei beliebige Punkte auf der x-Achse mit den Koordinaten (c, 0) und (d, 0) und etwa c < d in K. Dann haben wir `(CD) = d − c und n · AB > CD ⇐⇒ n > d − c. b) Sei g ⊂ εK eine Gerade, o.B.d.A. g = x-Achse. Es ist A ∈ g, A = (a, 0) wie in (S2) ⇐⇒ a ∈ K wie in (S20 ), also {(S2) ⇐⇒ (S20 )}, qed. Hiermit ergibt sich nun Satz 4.2.17 a) In Π = ΠK gilt das Archimedische Axiom (S1) genau dann, wenn (S1’) in K gilt; b) In Π = ΠK gilt das Dedekindsche Axiom (S2) genau dann, wenn (S2’) in K gilt. Beweis Wir benötigen nur die Richtung (S1’) =⇒ (S1) bzw. (S2’) =⇒ (S2) und beweisen auch nur diese. a) Sei µ(A, B) = Dv(A, B; P, Q)−1 = a > 1 und CD eine weitere Strecke auf g(A, B) mit µ(C, D) = Dv(C, D; P, Q)−1 = c > 1. Beh.: ∃ n : an > c Offenbar ist a = 1 + x, x > 0, und daher an = (1 + x)n = 1 + nx + positive Terme > 1 + nx. Nach (S1’) ∃ n : n · x > c =⇒ an > c. b) ergibt sich aus Π − Zw(ABC) ⇐⇒ Zw(A0 B 0 C 0 ) (euklidisch, siehe Definition 4.2.7) und Lemma 4.2.16, qed. 4 NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN 4.3 108 Sphärische Geometrie Wir setzen in diesem Abschnitt voraus, dass der Hörer mit den wichtigsten Grundlagen der euklidischen Geometrie im 3-dimensionalen reellen Raum R3 bekannt ist. Hierin skizzieren wir das Modell einer sphärischen Geometrie. Definition 4.3.1 Der Abstand zweier Punkte A, B ist der Funktionswert d(A, B) einer Funktion d (Abstandsfunktion) mit folgenden Eigenschaften a) d(A, B) ≥ 0 ∀ A, B und d(A, B) = 0 ⇔ A = B; b) ∀ A, B gilt d(A, B) = d(B, A); c) ∀ A, B, C gilt d(A, B) + d(B, C) ≥ d(A, C) (Dreiecksungleichung) und A, B, C liegen auf einer Geraden genau dann, wenn eine der folgenden Gleichungen erfüllt ist: d(A, B) + d(B, C) = d(A, C) d(A, C) + d(C, B) = d(A, B) d(B, A) + d(A, C) = d(B, C). Den euklidischen Abstand im R3 bezeichnen wir mit |A B|. Definition 4.3.2 Sphäre S mit Mittelpunkt O und Radius R: S := {P ∈ R3 : |OP | = R} Für Darstellungen auf der Sphäre wählen wir Kugelkoordinaten (r, ϕ, θ) : r ≥ 0, −180o < ϕ ≤ 180o , −90o ≤ θ ≤ 90o P ∈S ⇔ r=R θ = 90o : Nordpol, ϕ - beliebig θ = −90o : Südpol, ϕ - beliebig P 6=Pol ⇔ (r, ϕ, θ) ↔ P ϕ = const.: Meridian θ = const.: Breitenkreis θ = 0: Äquator. Satz 4.3.3 Falls sich eine Sphäre S und eine Ebene ε schneiden, ist die Schnittmenge entweder ein Punkt oder ein Kreis. Beweis Wir fällen von O das Lot auf ε: Fußpunkt M angenommen: S ∩ ε besitzt mehr als 1 Punkt, etwa P, Q (P 6= Q) 4 NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN 109 Beh.: |M P | = |M Q| (und damit liegen alle Schnittpunkte von S und ε auf einem Kreis k ⊂ ε) Bew.: 4(OP M ) ∼ = 4(OQM ) nach SSWggS (Winkel gegenüberliegende Seite) ⇒ |M P | = |M Q| ⇒ S ∩ ε ⊆ k. Sei T ∈ k ⇒ 4(OP M ) ∼ = 4(OT M ) nach SW S ⇒ |OT | = |OP | = R ⇒ T ∈ S, also k ⊆ S ∩ ε, qed. ⇒ Kreise auf S sind genau die Schnitte mit Ebenen ε Radius r von k: r = |M P | = p p |OP |2 − |OM |2 = R2 − R2 cos2 ](P OM ) = R · sin ](P OM ) |OM | = R · cos ](P OM ) (0 ≤ ](P OM ) < 180o ) 1) O ∈ ε =⇒ Großkreise 2) O ∈ / ε =⇒ Kleinkreise P, Q ∈ S - diametral :⇐⇒ P und Q liegen auf demselben Durchmesser P, Q ∈ S - nicht diametral ⇔ M, P, Q liegen nicht auf einer Geraden ⇔ ∃ genau eine Ebene durch M, P, Q ⇔ ∃ genau einen Großkreis durch P, Q. Definition 4.3.4 Dieses sollen genau unsere S-Geraden auf S sein: g = gS (AB) - sphärische Gerade durch A und B. Noch zu klären: Wenn P, Q ∈ S nicht diametral, dann ist der kürzere der beiden Wege von P zu Q über den Großkreis die kürzeste Verbindung von P und Q auf S (P, Q ∈ S und diametral =⇒ beide gleich lang und Kürzeste). Definition 4.3.5 Sei P, Q ∈ S, P 6= Q, P, Q nicht diametral. 4 NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN 110 a) Eine S-Strecke P Q S ist der kürzere der beiden Bögen auf dem Großkreis durch P und Q und αP Q der entsprechende Zentriwinkel. b) dS (P, Q) := Länge des kürzeren Bogens des Großkreises durch P, Q, M zwischen P und Q. Sind P und Q diametral, dann setzen wir dS (P, Q) := π · R dS (P, Q) = R · α (α in Bogenmaß) ⇒ ∀ P, Q ∈ S ist 0 ≤ dS (P, Q) ≤ π · R Fazit: 1. Durch 2 verschiedene nicht-diametrale Punkte geht genau eine S-Gerade. 2. Je 2 verschiedene S-Geraden haben genau 2 Schnittpunkte. 3. es gibt keine parallelen S-Geraden. 4. Jede S-Strecke ist ≤ π · R 5. Jede S-Gerade g teilt die Sphäre S in 2 disjunkte Halbsphären S1 und S2 S = S1 ∪ S2 ∪ g, S1 ∩ g = ∅, S2 ∩ g = ∅, S1 ∩ S2 = ∅, indem wir die Teilung des R3 durch ε in 2 disjunkte Teilräume zu Grunde legen. Eine sinnvolle Zwischenrelation“ gibt es auf der Sphäre nicht, denn bei 3 verschiedenen ” Punkten auf einem Kreis liegt offenbar jeder zwischen den beiden anderen. Kongruenz Definition 4.3.6 Zwei S-Strecken AB S und CD S heißen kongruent :⇔ αAB ∼ = αCD . Offenbar sind zwei S-Strecken kongruent genau dann, wenn die euklidischen Strecken AB und CD kongruent sind (SWS). 4 NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN 111 Auf S können wir auf einer Geraden g einen Punkt und einen Umlaufsinn festlegen und er−−→ halten einen Strahl AB. Der Umlaufsinn legt auf der Tangente an g in A einen Strahl g + fest. Entsprechend erhält man h+ auf gS (AC). Dann definieren wir den S-Winkel ∠S (BAC) := ](g + , h+ ). Definition 4.3.7 a) Zwei S-Winkel ∠S (BAC) = ](g + , h+ ) und heißen kongruent :⇔ ](g + , h+ ) ∼ = ](ḡ + , h̄+ ). ∠S (EDF ) = ](ḡ + , h̄+ ) b) Zwei S-Geraden sind orthogonal genau dann, wenn die Tangenten in den Schnittpunkten zueinander orthogonal sind. Damit können wir auch die Kongruenz von Dreiecken und Figuren direkt auf die Kongruenz im R3 zurückführen. Definition 4.3.8 4S (ABC) ∼ = 4S (DEF ) :⇔ alle Seiten (und Winkel) sind kongruent. Bewegungen • Bewegungen in der Ebene: Spiegelungen, Drehungen, Parallelverschiebungen • Parallelverschiebung (Translation) fällt auf der Sphäre weg, da es keine Parallelen gibt. Definition 4.3.9 (sphärische Bewegungen) a) Eine Abbildung ϕ von S auf sich heißt Spiegelung an der S-Geraden g :⇔ (i) ∀ P ∈ g gilt ϕ(P ) = P (ii) ∀ P ∈ / g liegen P und ϕ(P ) in verschiedenen Halbsphären (iii) Sei P ∈ / g beliebig, h⊥g, P ∈ h und Q ∈ g ∩ h ⇒ dS (P, Q) = dS (ϕ(P ), Q) b) Drehung ψ um ein diametrales Punktepaar Z, Z 0 um einen Winkel α := Drehung der Sphäre S durch Z, Z 0 um den Winkel α, d.h. (i) ψ(Z) = Z, ψ(Z 0 ) = Z 0 (ii) ∀ P ∈ S : dS (P, Z) = dS (ψ(P ), Z) (iii) für P ∈ S (P 6= Z, Z 0 ) sei g die S-Gerade durch P, Z, Z 0 und h die S-Gerade durch ψ(P ), Z, Z 0 ⇒ ](g, h) = α 4 NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN 112 c) Hintereinanderausführungen von endlich vielen Spiegelungen an S-Geraden und endlich vielen Drehungen um diametrale Punkte heißen sphärischen Bewegungen Φ. Satz 4.3.10 Sphärisch Bewegungen lassen Abstände und Winkel invariant. Beweis Ergibt sich unmittelbar der Definition der Kongruenz. Satz 4.3.11 Seien A, B ∈ S, A 6= B, und A0 , B 0 ∈ S mit dS (A, B) = dS (A0 , B 0 ). Dann gibt es genau 2 sphärische Bewegungen Φ1 , Φ2 mit Φi (A) = A0 , Φi (B) = B 0 (i = 1, 2), wobei jede dieser Bewegungen eine durch die S-Gerade gS (A, B) begrenzte Halbsphäre auf eine andere Halbsphäre bzgl. A0 , B 0 abbildet. Beweis Sei g = gS (AA0 ), P : Mittelpunkt der S-Strecke A A0 S und h⊥g durch P ⇒ ϕ1 Spiegelung an h und etwa ϕ1 (B) = B ∗ . Wegen dS (A, B) = dS (A0 , B ∗ ) = dS (A0 , B 0 ) gibt es eine Spiegelung ϕ2 mit ϕ2 (A0 ) = A0 , ϕ2 (B ∗ ) = B 0 . Zwei mögliche Bewegungen unterscheiden sich durch eine Spiegelung an der S-Geraden gS (A,0 , B 0 ). Angenommen, es gibt eine 3. Bewegung Φ∗ mit dieser Eigenschaft. Dann gibt es einen Punkt C dessen Bild C ∗ = Φ∗ (C) von den beiden anderen Bildern von C verschieden ist, aber mit einem von ihnen, etwa C 0 , auf derselben Seite von gS (A,0 , B 0 ) liegt. Aus der Kongruenz der S-Dreiecke 4S (A0 B 0 C 0 ) und 4S (A0 B 0 C ∗ ) folgt C 0 = C ∗ und ein Widerspruch, qed. Letztere Schlussfolgerung wird später bei der Behandlung der absoluten Geometrie noch genauer untersucht. Folgerung und Definition 4.3.12 Zwei Dreiecke (durch Strecken begrenzte Figuren) sind genau dann kongruent ( heißen kongruent), wenn es eine sphärische Bewegung Φ gibt, die diese Figuren aufeinander abbildet. Flächeninhalt Von einem Flächeninhalt F (f ) einer Fläche f erwarten wir: (i) Kongruente Figuren haben gleichen Flächeninhalt; (ii) ist ein Flächenstück f die Vereinigung zweier Teilflächen f1 und f2 , die sich nicht überlappen, dann ist F (f ) = F (f1 ) + F (f2 ); und bezüglich der Sphäre 4 NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN 113 (iii) F (S) = 4πR2 . [Zwei Teilflächen überlappen sich :⇔ sie haben einen inneren Punkt gemeinsam; ein Punkt P ist innerer Punkt einer Fläche f :⇔ ∃ Dreieck 4 ⊂ f mit P ∈ 4 ⊂ f .] Zweiecke Zwei verschiedene S-Geraden g, h ⊂ S bilden 4 Zweiecke, von denen je 2 gegenüberliegende kongruent sind (Spiegelungen bilden sie aufeinander ab). Satz 4.3.13 Ist zS ein Zweieck mit einem Winkel α (in Bogenmaß) ⇒ F (zS ) = 2 · α · R2 . Beweis zS wird in n kongruente Zweiecke zn mit den Winkeln αn = Fn = F (zn ) = α zerlegt, dann ist n F (zS ) n nach (i) und (ii). Sei k = k(n) derart, dass k(n) · αn ≤ 2π < (k(n) + 1) · αn . =⇒ k(n) 2π k(n) + 1 ≤ < , n α n also lim n→∞ k(n) 2π = . n α Andererseits ist wegen (ii) k(n) · Fn ≤ F (S) < (k(n) + 1) · Fn also k(n) F (S) k(n) + 1 ≤ < n F (zS ) n und F (S) unabhängig von n. F (zS ) =⇒ k(n) F (S) 2π = = , n→∞ n F (zS ) α lim F (S) = 4πR2 , ⇒ F (zS ) = 2 · α · R2 , qed. Sphärische Dreiecke (Sphärische) Dreiecke sind Teile der Sphäre, die von 3 Strecken begrenzt sind. 4 NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN 114 Wir betrachten nur solche Dreiecke, deren sämtliche Seiten ≤ R · π und deren Winkel kleiner als π sind. Dieses sind die Eulerschen Dreiecke 4S (A, B, C). Wir beweisen die Dreiecksungleichung, betrachten die Winkelsumme und das noch offene Problem des kürzesten Weges. Lemma 4.3.14 In jedem Eulerschen Dreieck 4S (A, B, C) sind die Längen zweier Seiten a und b sowie die Maße gegenüberliegender Winkel α, β entweder paarweise gleich oder der längeren Seite liegt der größere Winkel gegenüber. Beweis Sei g die Mittelsenkrechte von AB S . 1. C ∈ g ⇒ Spiegelung an g führt 2. C ∈ / g, etwa A und C auf derselben Seite von g =⇒ 4S (A, B, C) in sich über ⇒ a = b und α = β. Beh. a > b und α > β Die Strecken a, b, c und die Gerade g werden durch die euklidischen Ebenen εa , εb , εc , εg aus S (durch den Mittelpunkt M ) herausgeschnitten ⇒ in der euklidischen Ebene ε durch A, B, C entsteht folgendes Bild (h ist der Schnitt von εg und ε): ⇒ |AA∗ | = |BA∗ | und |AC| < |AA∗ | + |CA∗ | = |BA∗ | + |CA∗ | = |BC|. Wegen A, B, C ∈ S folgt b = dS (A, C) < dS (B, C) = a und offenbar α > β, qed. Satz 4.3.15 (Dreiecksungleichung) In einem Eulerschen Dreieck ist die Summe der Längen zweier Seiten stets größer als die Länge der dritten Seite. 4 NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN 115 Beweis Wir zeigen etwa: dS (A, C) + dS (B, C) > dS (A, B). 1. Falls dS (A, C) + dS (B, C) ≥ R · π, dann ist die Bedingung erfüllt. 2. Sei dS (A, C) + dS (B, C) < R · π. Wir verlängern BC S um dS (A, C) und erhalten D. Dann wegen Lemma 4.3.14 β = γ ⇒ im Dreieck 4S (A, B, D) ist der Winkel bei A = α + β > γ =⇒ (Lemma 4.3.14) dS (A, B) < dS (B, D) = dS (B, C) + dS (A, C), qed. Behauptung: Die kürzeste Verbindung zweier Punkte A, B ∈ S geht über den Großkreis. Beweisidee: Sei c eine beliebige Kurve von A nach B ⇒ c wird durch Stücke von Großkreisen approximiert; dann gilt für ein Kurvenstück A1 − A2 − A3 : dS (A1 , A2 ) + dS (A2 , A3 ) > dS (A1 , A3 ) Daher führt jede Abweichung vom Großkreis zu einem längeren Weg“. ” Flächeninhalt Eulerscher Dreiecke Drei Geraden teilen S in 8 Eulersche Dreiecke auf: 1. Dreieck 4S (A, B, C), Gegendreieck 2. 3 Scheiteldreiecke 4S (A, B d , C d ), 4S (Ad , B, C d ), 3. 3 Nebendreiecke 4S (Ad , B, C), 4S (A, B d , C), 4S (Ad , B d , C d ) 4S (Ad , B d , C) 4S (A, B, C d ) Gegendreieck und Nebendreieck entstehen aus Dreieck und Scheiteldreieck durch Zuordnung der Punkte P zu ihren diametralen Punkten P d . Dieses ist eine Bewegung (Übungsaufgabe); daher sind die Flächen gleich. Sind die Flächeninhalte jeweils F, F1 , F2 , F3 , dann ergibt sich F + F1 + F 2 + F3 = F (S) = 2 · π · R2 2 (4.B) 4 NICHT-EUKLIDISCHE GEOMETRIEN 116 Es ist: Dreieck + Gegendreieck = Zweieck mit den Winkeln α, β, γ ⇒ F + F1 = 2 · R 2 · α 2 ⇒ 3 · F + F1 + F2 + F3 = 2 · R2 · (α + β + γ) F + F2 = 2 · R · β F + F3 = 2 · R 2 · γ Zusammen mit (4.B) ergibt sich F = R2 · (α + β + γ − π), also α+β+γ = F + π > π. R2 Das ergibt folgenden Satz 4.3.16 In jedem Eulerdreieck ist die Winkelsumme größer als 2 Rechte oder: Auf der Einheitssphäre (R = 1) ist die Winkelsumme in einem Eulerdreieck stets F + π mit F < 2π. Es gibt daher eine Geometrie, in dem der Satz über die Winkelsumme im Dreieck (gleich 2 Rechte) nicht gilt; hier: elliptische Geometrie. 5 ERGÄNZUNGEN 5 117 Ergänzungen 5.1 Kreisgeometrie Definition 5.1.1 Sei r ∈ R+ eine positive reelle Zahl (r > 0). Ein Kreis mit dem Radius r ist die Menge aller Punkte X ∈ ε, deren Abstand von einem festen Punkt M ∈ ε, dem Mittelpunkt, konstant gleich r ist: k := {X ∈ ε : `(XM ) = r}. Eine Gerade g ⊂ ε schneidet einen Kreis k in höchstens 2 Punkten. a) Schneidet g den Kreis in genau 2 verschiedenen Punkten, heißt g eine Sekante. Sind P und Q die beiden Schnittpunkte, dann heißt die Strecke P Q eine Sehne des Kreises k. b) Schneidet g den Kreis in genau einem Punkt P , heißt g eine Tangente und P deren Berührpunkt. c) Haben g und k keinen gemeinsamen Punkt, heißt g eine Passante für k. Satz 5.1.2 Sei g Tangente an den Kreis k mit Mittelpunkt M und dem Berührpunkt P . Dann ist M P das Lot von M auf g, d.h. der Radius r = M P steht senkrecht auf der Tangente g. Beweis Für jeden Punkt Q ∈ g, Q 6= P ist M Q > r = M P . Daher nach Folgerung 1.2.32 das Lot vom M auf g, qed. Satz 5.1.3 Sei AB Sehne eines Kreises k und m deren Mittelsenkrechte. Dann geht m durch den Mittelpunkt M von k. Beweis Sei C der Schnittpunkt von m und AB. Dann sind für alle Punkte P ∈ m die Dreiecke 4(ACP ) und 4(BCP ) kongruent nach (SWS). Da auch 4(ACM ) ∼ = 4(BCM ) wegen (SSS), liegt M auf m, qed. Definition 5.1.4 a) Sei k ein Kreis mit dem Mittelpunkt M . Ein Winkel γ mit dem Scheitel M heißt Zentriwinkel von k. Ist P ∈ k ein Punkt der Peripherie und α = ](AP B) mit von P verschiedenen Punkten A, B ∈ k, A 6= B, dann heißt α Peripheriewinkel über der Sehne AB. b) gA bzw. gB seien die Tangenten im Punkt A bzw. B an k. Die Winkel β = ](QAB) und β 0 = ](QBA) heißen Sehnentangentenwinkel. Satz 5.1.5 (Peripheriewinkelsatz) 5 ERGÄNZUNGEN 118 a) Peripheriewinkel über derselben Sehne AB eines Kreises k sind kongruent. b) Ist γ = ](AM B) Zentriwinkel und α = ](AP B) ein Peripheriewinkel über AB, dann ist γ = 2 · α. c) Peripheriewinkel über derselben Sehne AB eines Kreises k und die zugehörigen Sehnentangenwinkel sind zueinander kongruent. Beweis a) folgt offenbar aus b). b)Wir ziehen vom Mittelpunkt M des Kreises k Radien zu den Punkten A, B und P und zeichnen das Dreieck 4(ABP ) wie in nebenstehender Skizze. Man erhält die gleichschenkligen Dreiecke 4(AM P ), 4(BM P ) und 4(ABM ). Bezeichnet R einen rechten Winkel, dann ist γ + (2R − 2α1 ) + (2R − 2α2 ) = 4R, also γ = 2(α1 + α2 ) = 2α. Damit sind beide Aussagen bewiesen. c) Es ist γ + 2β1 = 2R = 2(β + β1 ), also γ = 2β und daher β = α, qed. Folgerung 5.1.6 Schneiden sich die Tangenten gA und gB im Punkt Q, dann sind die Tangentenabschnitte QA und QB der beiden Tangenten vom Punkt Q außerhalb des Kreises k an den Kreis kongruent. Beweis Das Dreieck 4(ABQ) hat kongruente Basiswinkel und ist daher wegen Lemma 1.2.19 gleichschenklig, qed. Folgerung 5.1.7 (Satz des Thales) Peripheriewinkel über einem Durchmesser eines Kreises k sind rechte Winkel. Umgekehrt ist für den Umkreis eines rechtwinkligen Dreiecks die Hypothenuse ein Durchmesser. Folgerung 5.1.8 Sei für den Winkel ]C: 4(ABC) ein Dreieck und M der Mittelpunkt des Umkreises. Dann gilt ]C > R ⇔ M und C liegen auf verschiedenen Seiten von g(AB); ]C < R ⇔ M und C liegen auf derselben Seite von g(AB); ]C = R ⇔ M ∈ g(AB), d.h. AB ist Durchmesser. Beweis Der Beweis ergibt sich unmitelbar aus dem Peripheriewinkelsatz, nach dem 2 · ]C = γ, wenn γ der zugehörige Zentriwinkel ist. 5 ERGÄNZUNGEN 119 Mit Hilfe ähnlicher Dreiecke beweist man nun den Sekanten-Tangenten-Satz in seinen verschiedenen Versionen. Satz 5.1.9 Sei k ein Kreis und P ∈ ε ein beliebiger Punkt. a) (Sekanten-Tangenten-Satz) P liege außerhalb von k, s sei eine Sekante von k durch P , die k in 2 (verschiedenen) Punkten A und A0 schneide und t eine Tangente von k durch P , die k im Punkt B berührt. Dann gilt für die Strecken P A, P A0 und P B die Beziehung `(P A) · `(P A0 ) = `(P B)2 . Ist s0 eine weitere Sekante durch P mit den Schnittpunkten C und C 0 mit k, dann gilt entsprechend `(P A) · `(P A0 ) = `(P C) · `(P C 0 ). b) (Sehnensatz) liegt P innerhalb von k und sind s und s0 Sehnen von k durch P , die k in Punkten A, B bzw. A0 , B 0 schneiden, dann gilt für die Strecken P A, P B und P A0 , P B 0 ebenfalls die Beziehung `(P A) · `(P A0 ) = `(P B) · `(P B 0 ) Beweis a) In der obigen Figur sind die Winkel ](AA0 B) und ](ABP ) Peripheriewinkel und zugehöriger Sehnentangenwinkel über der Sehne AB und daher wegen Satz 5.1.5 b) kongruent. Damit haben die Dreieck 4(P AB) und 4(P BA0 ) paarweise zueinander kongruente Winkel und sind ähnlich. Folglich gilt `(P A) `(P B) = , `(P B) `(P A0 ) also `(P A) · `(P A0 ) = `(P B)2 = `(P C) · `(P C 0 ). Letzteres kann man auch direkt aus der Ähnlichkeit der Dreiecke der 2. Skizze folgern. 4(P AC) ∼ 4(P C 0 A0 ) in b) Es ist ]B ∼ = ]A0 als Peripheriewinkel über der Sehne AB 0 (entsprechend ]A ∼ = ]B 0 ) und daher 4(P AB) ∼ 4(P B 0 A). Aus der Ähnlichkeit der Dreiecke folgt wie oben `(P A) · `(P A0 ) = `(P B) · `(P B 0 , qed. 5 ERGÄNZUNGEN 120 Sehnen- und Tangentenvierecke Definition 5.1.10 a) Sei k ein Kreis und A, B, C, D ∈ k paarweise verschiedene Punkte, die ein konvexes Viereck bilden. Dann heißt das Viereck (ABCD) ein Sehnenviereck. Man sagt auch, dass Viereck (ABCD) besitzt einen Umkreis. b) Gegeben sei ein Kreis k und paarweise verschiedene Punkte A, B, C, D ∈ k, so dass die Tangenten in den Punkten A, B, C, D ∈ k ein konvexes Viereck (A0 B 0 C 0 D0 ) bilden. Das Viereck (A0 B 0 C 0 D0 ) heißt Tangentenviereck. Man sagt auch, dass Viereck (ABCD) besitzt einen Inkreis. Für den Beweis von Satz 5.1.12 benötigen wir folgendes Lemma 5.1.11 Sind 4(ABC) und thenuse AB, dann gilt 4(ABD) rechtwinklige Dreiecke über derselben Hypo- AC < AD ⇐⇒ BC > BD. Beweis C und D liegen auf dem Thales-Kreis über AB. Sei AC < AD. Dann schneidet die Strecke AD den Kreis k(A; C) wie in nebenstehender Skizze. Insbesondere liegt d (außer C selbst) ganz außerhalb des Kreises der Bogen CB d (außer D selbst) k(A; C). Entsprechend liegt der Bogen AD ganz außerhalb des Kreises k(B; D). Da C auf diesem Bogen liegt, schneidet die Strecke BC den Kreis k(B; D). Damit ist BC > BD, qed. Satz 5.1.12 a) Ein konvexes Viereck (ABCD) ist genau dann ein Sehnenviereck, wenn die Winkelsumme zweier gegenüberliegender Winkel gleich 2 Rechte ist, also α + γ = β + δ = 2R. b) Ein Viereck (ABCD) ist genau dann ein Tangentenviereck, wenn die Summe zweier gegenüberliegender Seiten gleich ist, also a + c = b + d. 5 ERGÄNZUNGEN 121 Beweis a) Ist (ABCD) ein Sehnenviereck, dann ist nach dem Periheriewinkelsatz 2α + 2γ = 4R, also α + γ = 2R und entsprechend β + δ = 2R. Wären umgekehrt die Winkelsummen jeweils = 2R und etwa (ABCD) kein Sehnenviereck, dann liegen 3 Punkte auf einem Kreis und der vierte innerhalb oder außerhalb des Kreises. Liegt etwa C außerhalb des Kreises, dann sei (ABC 0 D) das Sehnenviereck und α + γ 0 = 2R. γ 0 ist als Außenwinkel in 4(DC 0 C) jedoch größer als γ - Widerspruch! Liegt C innerhalb des Kreises, dann folgt entsprechend γ > γ 0 und ebenfalls ein Widerspruch, qed. b) Ist (ABCD) ein Tangentenviereck, dann ist wegen der kongruenten Tangenabschnitte (AP ∼ = AS, BP ∼ = BQ, . . .) offenbar AB + DC = BC + AD. Wäre umgekehrt diese Bedingung erfüllt und etwa (ABCD) kein Tangentenviereck, dann zeichnen wir in das Viereck einen Kreis k mit Mittelpunkt auf dem Schnittpunkt der Winkelhalbierenden bei ]B und ]C, der die Geraden g(AB), g(BC) und g(CD) berührt aber nicht g(AD). k hat den Radius M P ; das Lot von M auf g(AD) sei M S. Wegen der kongruenten Tangentenabschnitte ist AB + DC = BC + AD ⇐⇒ AP + DR = AD. Aus Lemma 5.1.11 ergibt sich nun: 1) Ist M S > M P (= Radius von k), dann ist DR > DS und AP > AS, also AP + DR > DS + AS = AD. 2) Ist M S < M P (= Radius von k), dann ist DR < DS und AP < AS, also AP + DR < DS + AS = AD. In beiden Fällen erhalten wir einen Widerspruch zur Voraussetzung, qed. 5 ERGÄNZUNGEN 5.2 122 Geometrie über Körpern, Konstruierbarkeit Sei εK die kartesische Ebene über dem geordneten Körper K und o.B.d.A. Q ⊆ K ⊆ R. Jeder Strecke AB ⊂ εK ordnen wir eine Maßzahl a zu und identifizieren die Strecke mit ihrer Maßzahl a ∈ K : a = AB (a ist die Äquivalenzklasse, die aus allen zu AB kongruenten Strecken in εK besteht und AB ein Repräsentant aus dieser Klasse, siehe auch Definition 2.1.5 und Satz 5.1.5). Definition 5.2.1 Eine Strecke AB heißt konstruierbar, wenn sie sich nur unter Verwendung von Zirkel und Lineal aus der Strecke 1 = OE konstruieren lässt. Offenbar sind alle Strecken mit den Maßzahlen 0, 1, a, a b ∀ a, b ∈ N also alle rationalen Zahlen konstruierbar und mit a, b auch a + b, a − b, a · b, 1 a , a b und √ a. Definition 5.2.2 a) Eine reelle Zahl α ∈ R heißt konstruierbar, wenn eine Strecke AB mit der Maßzahl α konstruierbar ist. b) Ein Punkt P = (α, β) ∈ εK heißt konstruierbar, wenn α und β konstruierbar sind. Es gilt folgender Satz 5.2.3 Ist K ein Körper mit Q ⊆ K ⊆ R und alle Elemente aus K sind konstruierbar √ √ sowie d ∈ K, d 6= 0, d ∈ / K, dann sind alle Elemente von K( d) konstruierbar. Wir beweisen die schärfere Aussage Satz 5.2.4 Sei α ∈ R eine reelle Zahl. Dann ist α konstruierbar mit Zirkel und Lineal √ ⇐⇒ ∃ Kette von Körpern Q = K0 ⊂ K1 ⊂ K2 ⊂ . . . ⊂ Kr ⊆ R, so dass Ki = Ki−1 ( αi ) mit αi ∈ Ki−1 und α ∈ Kr . Beweis ⇐=“ folgt aus obigen Überlegungen. ” =⇒“ Sei α konstruierbar mit Zirkel und Lineal. Wir müssen zeigen, dass α von obiger Gestalt ” ist: a) Schnittpunkte zweier Geraden sind offenbar von obiger Gestalt; b) Schnittpunkte von Gerade und Kreis sind von obiger Gestalt; c) Schnittpunkte zweier Kreise sind von obiger Art. 5 ERGÄNZUNGEN 123 zu b) Sei g : Ax + By + C = 0 (Gerade), k : (x − m1 )2 + (y − m2 )2 − r2 = 0 (Kreis) und A, B, C, m1 , m2 , r bereits konstruiert. 1 A C A C Ist B 6= 0 =⇒ y = − (Ax + C) = − · x + ; , - konstruierbar B B B B B C (B = 0 ⇒ x = − - konstruierbar). A Einsetzen in die Gleichung von k ergibt in beiden Fällen eine quadratische Gleichung in x (oder y) der Art ax2 + bx + c = 0, a 6= 0, a, b, c rational in A, B, C, m1 , m2 , r. Daher sind die Nullstellen der Art √ √ −b + b2 − 4ac −b − b2 − 4ac x1 = und x2 = 2a 2a konstruierbar. zu c) k1 : 2 (1) 2 2 (x − m(1) x ) + (y − my ) − r1 = 0 k2 : 2 (2) 2 2 (x − m(2) x ) + (y − my ) − r2 = 0 − − −− −− − − − − − − − − − − − − − − − − − k1 − k2 : lineare Gleichung k2 : 2 (2) 2 2 (x − m(2) x ) + (y − my ) − r2 = 0 =⇒ Fall b), qed. Folgerung 5.2.5 α ∈ R ist konstruierbar ⇒ α ∈ K mit Q ⊆ K ⊂ R und [K : Q] = 2n . Beweis In der Kette Q = K0 ⊂ K1 ⊂ K2 ⊂ . . . ⊂ Kr ⊆ R aus Satz 5.3.4 ist [Ki : Ki−1 ] = 2 und daher [Kr : Q] = 2r , qed. (Ist Ki = Ki−1 (ϑi ) ⇒ [Ki : Ki−1 ] = Minimum aller Grade der Polynome aus Ki−1 [X], für √ die ϑi Nullstelle ist ⇒ ϑi = αi und p(X) = X 2 − αi mit p(ϑ) = ϑ2 − αi = αi − αi = 0, also [Ki : Ki−1 ] = 2.) Zahlreiche (klassische) Konstruktionsprobleme führen auf Gleichungen 3. Grades und sind daher nicht mit Zirkel und Lineal lösbar. Wir untersuchen einige der bekanntesten Aufgaben. Als Vorbereitung beweisen wir Lemma 5.2.6 Wenn eine kubische Gleichung x3 + a2 x2 + a1 x + a0 = 0 (5.A) mit rationalen Koeffizienten a0 , a1 , a2 keine rationale Lösung besitzt, dann ist keine ihrer Lösungen aus rationalen Zahlen konstruierbar. 5 ERGÄNZUNGEN 124 Beweis Angenommen, keine Lösung ist rational und ∃ Lösung x1 , die konstruierbar ist ⇒ ∃ r : x1 ∈ Kr , x1 = p + q · Beh.: Dann ist auch x2 = p − q · √ √ ω mit p, q, ω ∈ Kr−1 , √ ω∈ / Kr−1 (r ≥ 1, q 6= 0) ω ∈ Kr Lösung von (5.A). Da x1 Lösung von (5.A) ist, haben wir √ x31 + a2 x21 + a1 x1 + a0 = a + b ω = 0, Falls b 6= 0 ⇒ √ a, b ∈ Kr−1 . ω = − ab ∈ Kr−1 - Widerspruch ⇒ b = 0 ⇒ a = 0. Man rechnet nach (Übungsaufgabe) √ x32 + a2 x22 + a1 x2 + a0 = a − b ω = 0. und es ist x1 6= x2 . Sei x3 die dritte Nullstelle. Nach dem Satz von Vieta ist x1 + x2 + x3 = −a2 , also x3 = −a2 − (x1 + x2 ) = −a2 − 2p ∈ Kr−1 . Aus r − 1 = 0 folgt Kr−1 = Q - Widerspruch. Ist r − 1 > 0 ⇒ Wiederholung mit x3 statt x1 ⇒ Widerspruch, qed. Ein weiteres Lemma ist hilfreich: Lemma 5.2.7 Sind in x3 + a2 x2 + a1 x + a0 = 0 die Koeffizienten a0 , a1 , a2 ganzzahlig und x1 eine rationale Nullstelle, dann ist x1 ganzzahlig und Teiler von a0 . Beweis Sei x1 = pq , p, q ∈ Z, ggT(p, q) = 1 ⇒ p3 + a2 p2 q + a1 p q 2 + a0 q 3 = 0 ⇒ q| p3 ⇒ q = 1 ⇒ x1 = p | a0 , qed. Mit diesen Vorbereitungen lassen sich die drei klassischen“ Konstruktionsprobleme gut be” arbeiten. I. Verdopplung des Würfels (Delisches Problem) Gegeben ist ein Würfel der Kantenlänge a, gesucht ist ein Würfel der Kantenlänge b und doppeltem Volumen: V = b3 = 2a3 ⇒ b=a· √ 3 2 ⇒ Konstruktion von x1 = x1 ist Nullstelle von x3 − 2 = 0. x3 − 2 hat keine rationale Nullstelle: Angenommen, ∃ p, q mit ( pq )3 − 2 = 0, (p, q) = 1 ⇒ p3 = 23 · q 3 ⇒ q 3 = 23 · p31 ⇒ 2| q ⇒ 2| (p, q) √ 3 2. 5 ERGÄNZUNGEN 125 - Widerspruch. Nach Lemma 5.2.7 ist √ 3 2 nicht konstruierbar, qed. II. Dreiteilung eines Winkels Gegeben sei ein Winkel α, in der Regel als cos α; gesucht ist ein Winkel θ bzw. cos θ mit α = 3 · θ. Es gilt cos α = cos 3θ = 4 · cos3 θ − 3 · cos θ, also mit x = cos θ 4x3 − 3x − cos α = 0. Für gewisse α ist die Dreiteilung möglich, für andere nicht. 1. α = 90◦ ⇒ cos α = 0 ⇒ 4x3 − 3x = 0, x 6= 0 ⇒ 4x2 − 3 = 0 ⇒ x1 = konstruierbar! 2. α = 60◦ ⇒ cos α = 1 2 ⇒ 4x3 − 3x − 1 2 1 2 √ 3- = 0, 2x = y ⇒ y 3 − 3y − 1 = 0 Beh.: y 3 − 3y − 1 = 0 hat keine rationale Lösung. Angenommen, y1 = p q mit (p, q) = 1 sei eine Lösung. Dann ist p3 − 3p q 2 − q 3 = 0 im Widerspruch zu (p, q) = 1. Nach Lemma 5.2.6 gibt es keine konstruierbare Wurzel, qed. III. Quadratur des Kreises Das Problem der Quadratur des Kreises ist von anderem Charakter. Problem: Gegeben ist ein Kreis vom Radius R und dem Flächeninhalt F , o.B.d.A. R = 1. Gesucht ist ein Quadrat mit gleichem Flächeninhalt. Wir haben für den Kreis F = R2 · π = π und für das Quadrat F = a2 . Dann ist a Lösung der √ Gleichung x2 −π = 0, also a = π. Nun ist π transzendent (Lindemann 1882) ⇒ @ k : π ∈ Kk √ im Sinn von Lemma 5.2.6 ⇒ @ k : π ∈ Kk , qed. Es gibt natürlich auch naheliegende Konstruktionsaufgaben, die nicht lösbar sind. Satz 5.2.8 Gegeben seien Strecken a, b und eine Winkelhalbierende ωα . Dann ist das Dreieck 4(ABC) mit BC = a, AC = b, ωα bei α = ](BAC) i.a. nicht konstruierbar. Beweis Sei a = b = ωα = 1. Wir zeigen: a) ∃ ein solches Dreieck: Wir lassen γ von 0◦ bis 90◦ wachsen ⇒ Winkelhalbierende wächst von < b = 1 bis > b = 1 ⇒ ∃ γ0 , so dass ωα = 1. b) c ist nicht konstruierbar: 5 ERGÄNZUNGEN 126 Es ist F = 1 α 1 α 1 · ωα · b · sin + · ωα · c · sin = · b · c · sin α 2 2 2 2 2 ⇒ ωα (b + c) = b · c · Nun gilt 2 · cos2 α 2 sin α2 · cos sin α = 2 · b · c · sin α2 sin α2 α 2 = 2 · b · c · cos α . 2 = 1 + cos α und nach dem Kosinussatz a2 = b2 + c2 − 2 · b · c · cos α bzw. cos α = b2 + c2 − a2 2·b·c ⇒ ωα2 (b + c)2 = b · c((b + c)2 − a2 ). Für a = b = ωα = 1 erhält man in c die Gleichung c3 + c2 − 2c − 1 = 0. Angenommen, c ist konstruierbar ⇒ (Lemma 5.2.6) x3 + x2 − 2x − 1 besitzt eine rationale Nullstelle ⇒ (Lemma 5.2.7) diese c Nullstelle ist ganz und c| 1, also c = ±1, Widerspruch. Entsprechend zeigt man, dass i.a. ein Dreieck aus den drei Winkehalbierenden nicht konstruierbar ist. Eine vollständige Auflistung, aus welchen (drei) Bestimmungsstücken ein Dreieck konstruierbar ist findet man bei Böhm u.a. [5], Bd. II, 4.4.6. 5 ERGÄNZUNGEN 5.3 127 Eulersche Polyederformel, reguläre und halbreguläre Polyeder Wir betrachten Figuren im 3-dimensionalen euklidischen Raum Ω. Definition 5.3.1 Ein von Ebenen begrenzter Körper P wird Polyeder genannt (von hedra (griech.) Fläche). Liegt das Polyeder P ganz auf einer Seite jeder der begrenzenden Ebenen, ist also Durchschnitt von Halbräumen, dann heißt P ein konvexes Polyeder. Ist ein konvexes Polyeder zusätzlich beschränkt, dann nennen wir es ein Polytop (siehe [22] und [4]). Wenn wir im folgenden von einem Polyeder sprechen, meinen wir durchweg ein beschränktes Polyeder, also ein Polytop. Die Seitenflächen sind dann Polygonflächen. Die Bezeichnung richtet sich im allgemeinen nach der Anzahl der Flächen: Tetraeder, Pentaeder, Hexaeder usw. Sei e = Anzahl der Ecken, k = Anzahl der Kanten, f = Anzahl der Flächen. Bei einem Polyeder gehören zu jeder Kante genau 2 angrenzende Flächen und genau zwei angrenzende Ecken. Bezeichnet fi die Anzahl der Polygonflächen mit i Ecken und ej die Anzahl der Ecken, an der j Kanten zusammen stoßen, dann gilt 2k = 3f3 + 4f4 + 5f5 + · · · = 3e3 + 4e4 + 5e5 + · · · (5.B) Bei Polyedern untersuchen wir metrische Eigenschaften, wie etwa Kantenlängen, Winkeln zwischen Kanten und Flächen, und topologische Eigenschaften (Anzahl Ecken, Kanten, Flächen, Löcher“ usw.). ” Definition 5.3.2 Ein Polyeder ist vom Geschlecht Null, wenn jeder auf der Oberfläche gezeichnete geschlossene Polygonzug diese Oberfläche in zwei einfach zusammenhängende Flächenstücke zerlegt. Ein Polyeder ist vom Geschlecht p ≥ 0, wenn p die maximale Anzahl geschlossener, sich nicht überschneidender Polygonzüge ist, die auf der Polyederfläche eingezeichnet werden können ohne dass diese in getrennte, einfach zusammenhängende Flächenstücke zerfällt. Konvexe Polyeder sind z.B. vom Geschlecht Null. In der Skizze ist ein Polyeder vom Geschlecht 1 zu sehen (Fahrradschlauch); klebt man zwei solcher Polyeder an einer Fläche zusammen, erhält man ein Polyeder vom Geschlecht 2 (Brezel mit 2 Löchern) usw. Wir befassen uns hier nur mit Polyedern vom Geschlecht Null. Definition 5.3.3 (Euler-Charakteristik) Sei P ein Polyeder, dann heißt e−k +f die Euler-Charakteristik . Satz 5.3.4 (Eulerscher Polyedersatz) Für jedes Polyeder vom Geschlecht Null ist die Euler-Charakteristik gleich 2: e − k + f =2 (5.C) 5 ERGÄNZUNGEN 128 Beweis Wir beweisen den Satz durch Induktion bezüglich f = Anzahl der Flächen. Sei f = 4, dann ist P ein Tetraeder und der Satz offenbar erfüllt. Sei f > 4 und etwa F eine Polygonfläche auf P mit n Ecken (n ≥ 3). Wir ziehen F in einem Punkt zusammen und erhalten ein neues Polyeder P 0 mit e0 = e − n + 1 Ecken, k 0 = k − n Kanten und f 0 = f − 1 Flächen. Nach Induktionsvoraussetzung ist e0 − k 0 + f 0 = 2 = (e − n + 1) − (k − n) + (f − 1) = e − k + f, qed. Bemerkung 5.3.5 Für ein Polyeder vom Geschlecht p ≥ 0 ist die Euler-Charakteristik e − k + f = 2 − 2p Folgerung 5.3.6 Für Polyeder vom Geschlecht Null gilt a) k + 6 ≤ 3f ≤ 2k b) k + 6 ≤ 3e ≤ 2k c) e3 + f3 ≥ 8 Gibt es insbesondere keine Seitenfläche und keine Ecke mit mehr als 4 Kanten, dann ist e3 + f3 = 8 Beweis Es gilt 3f ≤ 2k und 3e ≤ 2k (Übungsaufgabe). Setzen wir dieses in Gleichung (5.C) ein, erhalten wir die Aussagen a) und b). Multiplizieren wir (5.C) mit 2 und setzen (5.B) ein, ergibt sich 2(f3 + f4 + f5 + · · ·) + 2(e3 + e4 + e5 + · · ·) − (3f3 + 4f4 + 5f5 + · · ·) = 4 bzw. 2(e3 + e4 + e5 + · · ·) − (f3 + 2f4 + 3f5 + · · ·) = 4. Mit der zweiten Gleichung aus (5.B) ergibt sich 2(f3 + f4 + f5 + · · ·) − (e3 + 2e4 + 3e5 + · · ·) = 4 und als Summe aus beiden e3 − e5 − 2e6 − · · · + f3 − f5 − 2f6 − · · · = 8, also e3 + f3 = 8 + e5 + f5 + 2(e6 + f6 ) + · · · , qed. Nach diesen Vorbereitungen untersuchen wir, welche regulären und halb-regulären Polyeder vom Geschlecht Null möglich sind. Hierbei kommt es nicht auf metrische Unterschiede an. Definition 5.3.7 Zwei Polyeder P und P 0 vom Geschlecht Null heißen äquivalent, wenn es eine 1-1-Zuordnung der Flächen, Kanten und Ecken von P und P 0 gibt mit folgenden Eigenschaften: 5 ERGÄNZUNGEN 129 a) einander entsprechende Flächen haben dieselbe Anzahl von Ecken; b) zwei Flächen mit gemeinsamer Kante entsprechen Flächen mit ebenfalls gemeinsamer Kante; c) zwei Kanten mit einer gemeinsamen Ecke entsprechen Kanten mit ebenfalls einer gemeinsamen Ecke. Zueinander äquivalente Polyeder bilden eine Klasse. Es kommt also auf die konkreten metrischen Eigenschaften bei Elementen aus einer Klasse nicht an. Die Polyeder erhalten den Zusatz quasi“. ” Definition 5.3.8 Ein Polyeder heißt quasi-regulär, wenn zu jeder Ecke genau r Polygone gehören und jede Fläche ein s-Eck ist (r, s ≥ 3 - konstant). Bestehen die Flächen aus regelmäßigen s-Ecken, dann nennen wir das Polyeder regulär. Satz 5.3.9 Es gibt genau 5 verschiedene reguläre Polyeder. Beweis Mit den Bezeichnungen aus (5.B) gilt: e = er , f = fs e = er = 2k r und 2k = r · er = s · fs , also und f = fs = 2k s Aus der Eulerschen Polyederformel (5.C) ergibt sich 2 2 −1+ ·k =2 e−k +f= r s und hieraus 2 1 1 1 1 1 ≥ + = + > min(r, s) r s 2 k 2 ⇒ min(r, s) = 3 1 1 1 1 > − = max(r, s) 2 3 6 ⇒ ⇒ max(r, s) ≤ 5. Damit verbleiben folgende 5 Möglichkeiten: r s e k f reguläres Polyeder bei Platon 3 3 4 6 4 Tetraeder Feuer 3 4 8 12 6 Würfel Erde 4 3 6 12 8 Oktaeder Luft 3 5 20 30 12 Dodekaeder Himmelsäther 5 3 12 30 20 Ikosaeder Wasser 5 ERGÄNZUNGEN 130 Definition 5.3.10 Lässt man die Anzahl s der Ecken der auftretenden Polygone variabel zu und lässt r konstant, d.h. zu jeder Ecke gehören genau r Flächen, dann heißt das Polyeder halbregulär oder archimedischer Körper. Man erkennt, dass die Struktur der Ecken den Charakter eines Polyeders maßgeblich bestimmt. Definition 5.3.11 Eine Ecke E mit den angrenzenden Randflächen (Polygonen) nennen wir Stern von E: stP E. Daher ist ein Polyeder halbregulär, wenn sämtliche Sterne zueinander äquivalent sind und aus regelmäßigen Polygonen bestehen. Wir stellen nun die (regelmäßigen) archimedischen Körper zusammen. 1. Prismen Sei n ≥ 3 und Pn das Prisma mit einem regulären n-Eck als Grund- und Deckfläche ⇒ ∀ n ≥ 3 ist Pn ein archimedischer Körper 2. Antiprismen Wir drehen die Deckfläche von Pn um den Winkel π/n um den Mittelpunkt, verbinden die Ecken von Grund- und Deckfläche zickzackweise und erhalten Pn∗ ⇒ ∀ n ≥ 3 ist Pn∗ ein archimedischer Körper 5 ERGÄNZUNGEN 131 3. Wir schneiden bei jedem regulären Polyeder auf 1/3 der Kantenlänge eine Ecke ab und erhält 5 abgestumpfte Polyeder, die sämtlich archimedische Körper sind. 4. Wir schneiden bei jedem regulären Polyeder die Ecken in der Kantenmitte ab und erhalten Tetraeder −→ Tetraeder (kein neues Polyeder) Würfel, Oktaeder −→ Kuboktaeder Dodekaeder, Ikosaeder −→ Ikosidodekaeder 5. Durch weitere Abschneidungsprozesse erhält man sechs weitere archimedische Körper 5 ERGÄNZUNGEN 132 Vergleichbar wie in Satz 5.3.9 lässt sich zeigen, dass dieses sämtliche archimedische Körper sind. Wir stellen die Ergebnisse zusammen und verweisen auf die Rechnungen in [22], Abschnitt 5. 5 ERGÄNZUNGEN 133 In der folgenden Tabelle bezeichnet: fi die Anzahl der Flächen mit ni Ecken bzw. Kanten (i = 1, 2, 3) und ei die Anzahl der Ecken mit ni Kanten (i = 1, 2, 3). Nr. n1 n2 n3 f1 f2 f3 e k f Bezeichnung 1. 4 n - n 2 - 2n 3n n+2 2. 6 3 - 4 4 - 12 18 8 abgestumpftes Tetraeder 3. 6 4 - 8 6 - 24 36 14 abgestumpftes Oktaeder 4. 6 5 - 20 12 - 60 90 32 abgestumpftes Ikosaeder 5. 8 3 - 6 8 - 24 36 14 abgestumpfter Würfel 6. 10 3 - 12 20 - 60 90 32 abgestumpftes Dodekaeder 7. 3 n - 2n 2 - 2n 4n 2n+2 archimedisches Antiprisma 8. 4 3 - 18 8 - 24 48 26 Rhombenkuboktaeder 9. 3 4 - 8 6 - 12 24 14 Kuboktaeder 10. 3 5 - 20 12 - 30 60 32 Ikosidodekaeder 11. 3 4 - 32 6 - 24 60 38 abgeschrägter Würfel 12. 3 5 - 80 12 - 60 150 92 abgeschrägtes Dodekaeder 13. 4 6 8 12 8 6 48 72 26 abgestumpftes Kuboktaeder 14. 4 6 10 30 20 12 120 180 62 abgestumpftes Ikosidodekaeder 15. 4 3 5 30 20 12 60 120 62 Rhombenikosidodekaeder archimedisches Prisma 5 ERGÄNZUNGEN 5.4 134 Anschauliche Topologie - Graphen In einer weiteren Ergänzung werden einige Aussagen zur anschaulichen Topologie und elementaren Graphentheorie zusammengestellt. Definition 5.4.1 a) Ein Netz (E, K) besteht aus einer Menge E von Ecken und K von Kanten, die die Ecken verbinden. Von jeder Ecke geht mindestens eine Kante aus; jede Kante endet in 2 (nicht notwendig verschiedenen) Ecken. b) Sind die beiden Ecken einer Kante gleich, dann ist dieses ein Schlinge. c) Die Anzahl der Kanten, die an einer Ecke ankommen, heißt die Ordnung der Ecke. Eine Schlinge wird dabei zweimal gezählt. Eine Ecke heißt gerade oder ungerade, jenachdem ob die Ordnung gerade oder ungerade ist. d) (E, K) heißt zusammenhängend, wenn sich je zwei Ecken durch einen Kantenzug verbinden lassen. Eine Kante heißt eine Brücke, wenn durch Wegfall dieser Kante ein zusammenhängender Teil des Netzes zerfällt. e) Ein Kantenzug, in dem alle Kanten verschieden sind, heißt ein Weg. Sind Anfangs- und Endpunkt gleich, dann heißt der Weg geschlossen, andernfalls offen. f ) Ein Weg, der alle Kanten von (E, K) enthält, heißt ein Euler-Weg. Ein Netz heißt durchlaufbar, wenn es in ihm einen Euler-Weg gibt. Problem: Wann ist ein Netz durchlaufbar? Satz 5.4.2 In jedem Netz ist die Anzahl der ungeraden Ecken gerade. Beweis Sei m - Anzahl der Ecken; o(i) - Ordnung der Ecke i (1 ≤ i ≤ m), n - Anzahl der Kanten. Dann ist m X o(i) = 2n - gerade i=1 und daher die Anzahl der ungeraden o(i) ebenfalls gerade, qed. Satz 5.4.3 Ein zusammenhängendes Netz besitzt genau dann einen Euler-Weg, wenn die Anzahl der ungeraden Ecken ≤ 2 ist. Zum Beweis betrachten wir 3 Fälle: 1) (E, K) besitzt keine ungeraden Ecken; 2) (E, K) besitzt zwei ungerade Ecken; 3) (E, K) besitzt mehr als zwei ungerade Ecken. 5 ERGÄNZUNGEN 135 Im 1. Fall können wir bei jeder Ankunft an einem Knoten auch wieder eine abgehende Kante finden mit Ausnahme höchstens beim Startpunkt. Sind wir wieder beim Ausgangspunkt angekommen und haben zwischendurch einen Teilweg ausgelassen, so wird dieser eingefügt. Im 2. Fall verbinden wir die beiden ungeraden Ecken durch eine Hilfskante und gehen zuerst über diese Kante. Nach Fall 1 gibt es einen Euler-Weg mit diesem Start. Die Hilfskante wird nach ihrem Durlaufen wieder entfernt. Im Fall 3 kann es keinen Euler-Weg geben, da höchsten Start- und Zielpunkt ungerade sein können, qed. Plättbare Netze Definition 5.4.4 (E, K) heißt plättbar oder planar genau dann, wenn man es so in der Ebene zeichnen kann, dass sich Kanten nur in Eckpunkten schneiden ((E, K) ist Landkarte). Der Würfel ist plättbar - planar: Bemerkung: Nicht jedes Netz ist plättbar! Für planare Netze bzw. Landkarten gilt der Satz von Euler, wenn wir mit f die Anzahl der durch Kanten begrenzten Flächen einschließlich der äußeren Umgebung, mit e die Anzahl der Ecken und mit k die Anzahl der Kanten bezeichnen: e − k + f = 2. Satz 5.4.5 a) Das Versorgungsnetz ist nicht plättbar. b) Das vollständige 5-Eck ist nicht plättbar. Beweis a) Es ist e = 6, k = 9, ⇒ f = 2 − e + k = 5. Jede Fläche hat mindestens 4 Kanten, daher gibt es mindestens 5 · 4/2 = 10 Kanten - Widerspruch! b) Es ist e = 5, k = 10, ⇒ f = 2 − e + k = 7. Jede Fläche hat mindestens 3 Kanten, daher gibt es mindestens 3 · 7/2 = 21/2, also 11 Kanten - Widerspruch! Versorgungsnetz vollständiges Fünfeck Es gilt allgemein der Satz 5.4.6 (Satz von Kuratowski) Ein Netz (Graph) (E, K) ist nicht plättbar ⇐⇒ (E, K) enthält einen dieser beiden Netze (Graphen) als Teilnetz (Teilgraph). Als Folgerung erhalten wir die Lösung des Erbteilungsproblems: Identifizieren wir jedes Land mit seiner Hauptstadt, dann haben je zwei Länder eine gemeinsame Grenze genau dann, 5 ERGÄNZUNGEN 136 wenn wir je zwei Hauptstädte miteinander verbinden können, ohne dass sich die Verbindungsstrecken kreuzen. Es entsteht ein vollständiges Fünfeck, das diese Bedingung nach Satz 5.4.5 b) nicht erfüllen kann! Färbungsprobleme Definition 5.4.7 Eine Kante des Netzes (E, K) heißt Brücke, wenn das Netz bei Entfernen dieser Kante in 2 nicht-zusammenhängende Teile zerfällt. (E, K) heißt regulär, wenn nur Ecken der Ordnung 3 auftreten. Definition 5.4.8 Wir sagen, eine Landkarte (E, K) ist zulässig gefärbt, wenn je 2 Länder mit gemeinsamer Grenze verschieden gefärbt sind. Stoßen 2 Länder lediglich in einem Eckpunkt zusammen, zählt dieser nicht als gemeinsame Grenze. Unter einem Färbungsproblem verstehen wir nun die Frage, wieviel Farben sind maximal erforderlich, um eine Landkarte zulässig zu färben. Wir werden zeigen, dass hierfür stets 5 Farben ausreichend sind (Fünffarbensatz). Mit 3 Farben kommt man nicht aus (Beispiel?); 4 Farben sind jedoch tatsächlich ausreichend. Der Beweis hierzu übersteigt jedoch die Möglichkeiten dieser Vorlesung erheblich. Zur Vorbereitung für den Beweis des Fünffarbensatzes beweisen wir zwei Lemmata. Lemma 5.4.9 Für den Beweis des Fünffarbensatzes bedeutet es keine Einschränkung, wenn gefordert wird, dass die Landkarte a) zusammenhängend und brückenfrei ist; b) schlingenfrei ist; c) auf beiden Seite einer Kante dasselbe Land nicht zugelassen ist; d) regulär ist. Beweis a) Ist die Landkarte nicht zusammenhängend bzw. nicht brückenfrei, wird zunächst das Äußere bzw. das Land, in dem die Brücke liegt, gefärbt und anschließend jeder verbleibende Teil mit den restlichen Farben. b) Für die Schlinge wählen wir eine Farbe, die von dem Land verschieden ist, in dem die Schlinge liegt. c) Liegt auf beiden Seiten einer Kante dasselbe Land, können wir diese Kante zur Bearbeitung unseres Problems weglassen. d) Wenn wir eine Ecke haben, an der mehr als 3 Länder zusammen stoßen (L1 , L2 , . . .), fügen wir ein Hilfsland“ H ein. Wenn nun H, L1 , L2 , . . . ” zulässig gefärbt sind, lassen wir anschließend H wieder weg und behalten eine zulässige Färbung, qed. Lemma 5.4.10 In jeder brücken- und schlingenfreien, regulären Landkarte gibt es mindestens 3 Länder mit höchstens 5 Grenzen. 5 ERGÄNZUNGEN 137 Beweis Sei fi die Anzahl der Länder mit i Grenzen. Dann ist f = f1 + f2 + . . . + fi + . . . , e = e1 + e2 + . . . + ei + . . . , 2k = 3e und 1 · f1 + 2 · f2 + . . . + i · fi + . . . = 2 · k = 1 · e1 + 2 · e2 + . . . + i · ei + . . . sowie e−k+f =2 |·6 also 6e − 6k + 6f = 12 ⇒ 4k − 6k + 6f = 12 ⇒ 6f = 12 + 2k ⇒ 6(f1 + f2 + . . .) = 12 + 1 · f1 + 2 · f2 + . . . ⇒ 5 · f1 + 4 · f2 + 3 · f3 + 2 · f4 + f5 = 12 + f7 + 2 · f8 + . . . ≥ 12 ⇒ 5 · (f1 + f2 + f3 + f4 + f5 ) ≥ 12 also f1 + f2 + f3 + f4 + f5 ≥ 12 = 2, 4 5 und damit f1 + f2 + f3 + f4 + f5 ≥ 3, qed. Satz 5.4.11 (5-Farben-Satz) Jede ebene (reguläre, brücken- und schlingenfreie) Landkarte kann mit 5 Farben zulässig gefärbt werden. Beweis Induktion über die Anzahl n der Länder: n ≤ 5 ⇒ Aussage klar! Sei n > 5 und angenommen, die Aussage gilt für alle Landkarten mit weniger als n Ländern. Beweisprinzip: - Landkarte um ein Land reduzieren durch öffnen einer geeigneten Grenze - Induktionsvoraussetzung anwenden - Grenze wieder schließen Wegen Lemma 5.4.11 gibt es ein Land mit höchstens 5 Grenzen. Sei L dieses Land mit k ≤ 5 Grenzen. 1) k = 1 Schlinge - ausgeschlossen! 2) k = 2 L1 = L2 ⇒ auf beiden Seiten k1 und k3 liegt dasselbe Land, was nach Lemma 5.4.9 c) ausgeschlossen ist. ⇒ L1 6= L2 ⇒ k2 weglassen, färben, k2 wieder hinzufügen und L so färben, dass die Färbung unterschiedlich zu L1 und L2 ist! 5 ERGÄNZUNGEN 138 3) k = 3 L1 6= L2 6= L3 , da etwa L1 = L2 ausgeschlossen nach Lemma 5.4.9 c); k - weglassen ⇒ 3 Länder färben, k - dazu ⇒ 4. Farbe für L 4) k = 4 Sind die Länder L1 , L2 , L3 , L4 paarweise verschieden (L1 6= L2 6= L3 6= L4 ), haben wir dieselbe Situation wie im Fall k = 3 Sei etwa L1 = L3 , Dann ist L2 6= L4 , denn ein geschlossener Kantenzug von P1 zu P3 durch L1 = L3 und dann von P3 zu P1 durch L trennt die Länder L2 und L4 . Öffnen wir nun k2 , erhalten wir n − 1 Länder, die mit 5 Farben zulässig färbbar sind. Für L1 , L2 , L3 = L1 , L4 benötigen wir 3 Farben und eine 4. Farbe nach Schließen von k2 für L. 4) k = 5 a) L1 = L3 : Dann ist wie im Fall k = 4: L2 6= L4 und L2 6= L5 . Öffnen wir nun k2 , erhalten wir n − 1 Länder, die mit 5 Farben zulässig färbbar sind. Für L1 , L2 , L3 = L1 , L4 , L5 benötigen wir jetzt 4 Farben und eine 5. Farbe nach Schließen von k2 für L. b) Sind die Länder L1 , L2 , L3 , L4 , L5 paarweise verschieden (L1 6= L2 6= L3 6= L4 6= L5 ), können nicht alle aneinander grenzen (siehe Erbteilungsproblem), etwa L1 und L3 haben keine gemeinsame Grenze. Entfernen wir nun die Grenzen k1 und k3 , ergeben sich n − 2 Länder, die mit 5 Farben zulässig färbbar sind. Für L∗ = L1 ∪ L ∪ L3 , L2 , L4 , L5 benötigen wir 4 Farben, die 5. Farbe erhält L, nachdem wir k1 und k3 wieder geschlossen haben, qed. 5 ERGÄNZUNGEN 5.5 139 Planetenbewegungen In diesem Abschnitt wollen wir auf der Grundlage der Newtonschen Gesetze (Sir Isaac Newton, 1643 - 1727) die Keplerschen Gesetze (Johannes Kepler, 1571 - 1630) der Planetenbewegung mit elementargeometrischen Mitteln herleiten. Der historische Weg verlief allerdings umgekehrt. Newton hat sich bei seinen Gesetzen auf die empirisch gewonnenen Gesetze von Kepler gestützt und danach auf dieser Grundlage die Keplerschen Gesetze bestätigen können. Wir stützen uns auf die Ausführungen des Physikers Richard Feynman (1918 - 1988, Nobelpreis 1965), die in dem Erzählband [14] nachzulesen sind. Selbstverständlich kommt man auch hier nicht ohne Grenzübergänge aus und damit halten die Differential- und Integralrechnung über die Hintertür Einzug. Der hier gewählte Weg hat jedoch den Vorteil, dass nicht erst der gesamte Kalkül der Infinitesimalrechnung bereit gestellt werden muss, sondern dem Schüler (anschaulich) klar gemacht werden kann, warum die konkreten Grenzübergänge erforderlich sind und was diese zur Folge haben. Newtons Gesetze (I) Jeder Körper verharrt in seinem Zustand der Ruhe oder der gleichförmig geradlinigen Bewegung, solange die Summe aller auf ihn wirkenden Kräfte Null ist. (II) Die Änderung der Bewegung einer Masse ist der Einwirkung der bewegenden Kraft proportional und geschieht nach der Richtung derjenigen geraden Linie, nach welcher jene Kraft wirkt. (III) Kräfte treten immer paarweise auf. Übt ein Körper A auf einen anderen Körper B eine Kraft aus (actio), so wirkt eine gleichgroße, aber entgegengesetzte Kraft von Körper B auf Körper A (reactio). Eng mit den Keplerschen Gesetzen ist das Newtonsche Gravitationsgesetz verbunden. Danach ist der Betrag der Anziehungskräfte FG zwischen zwei Körpern mit den Massen m und M und der Entfernung R ihrer Massenmittelpunkte FG = G · m·M , R2 wenn G die Gravitationskonstante ist. Newton nutzte die Keplerschen Gesetze für sein Gravitationsgesetz; wir gehen hier den umgekehrten Weg und verwenden die Proportionalität F ∼ 1 . R2 Keplers Gesetze der Planetenbewegung (1) Die Planeten bewegen sich auf ellipsenförmigen Bahnen, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht. (2) Die Verbindungsstrecke Sonne-Planet überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächenstücke. (3) Die zweiten Potenzen der Umlaufzeiten der Planeten sind proportional zu den dritten Potenzen der großen Halbachsen der (elliptischen) Umlaufbahn. Keplers 2. Gesetz 5 ERGÄNZUNGEN 140 Die Verbindungsstrecke Sonne-Planet überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächenstücke. Sei S die Sonne und ein Planet p sei in einem (hinreichend kleinen) Zeitintervall von A nach B gekommen. Wirkt keine Kraft auf p, würde sich dieser in einem gleichen Zeitintervall nach dem I. Newtonschen Gesetz geradlinig zum Punkt C 0 bewegen mit AB ∼ = BC 0 . Durch die Gravitation kommt eine Komponente in Richtung S hinzu, so dass der Planet nach dem zweiten Zeitintervall tatsächlich den Punkt C erreicht. Wir nehmen der Einfachheit halber an, dass diese Kraft konzentriert am Punkt B in Richtung Sonne wirkt und die (Bewegungs−−→ )komponente BV vom Punkt B in Richtung S ergibt. Aus dem Parallelogramm BC 0 CV ergibt sich die resultierende (tatsächliche) Bewe−−→ gung BC des Planeten. Behauptung 5.5.1 Die Dreiecke 4(SAB) und 4(SBC) haben gleichen Flächeninhalt: α(4(SAB)) = α(4(SBC)). In nebenstehender Skizze sei B 0 der Lotfußpunkt des Lotes von A auf die Gerade gSB und B 00 der entsprechende Fusspunkt des Lotes von C 0 auf gSB . Wegen AB ∼ = BC 0 und ](ABB 0 ) ∼ = ](C 0 BB 00 ) haben die Dreiecke 4(SAB) und 4(SBC) kongruente Höhen und dieselbe Grundlinie SB, also gleiche Flächen. Das 2. Keplersche Gesetz erhält man nun, indem man zwei beliebig vorgegebene, gleich grosse Zeitintervalle ∆t in hinreichend kleine Teilintervalle ∆t/n (n 0) aufteilt und damit die vom Strahl Sonne-Planet überstrichenen Flächen durch die Summe von n Dreiecksflächen, die nach obiger Behauptung 5.5.1 sämtlich den gleichen Inhalt haben, mit beliebiger Genauigkeit angenähert wird. Die exakten Flächen erhalten wir für n −→ ∞. Keplers 1. Gesetz Die Planeten bewegen sich auf ellipsenförmigen Bahnen, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht. Wir teilen die Planetenbahn in äquidistante Winkelabschnitte auf und untersuchen den Verlauf des Geschwindigkeitsvektors als Tangentialrichtung der Planetenbahn. Die Planetenbahn ist dann die Hüllkurve der Tangentenschar. Wir werden sehen, dass dieses für Planeten eine Ellipse ist, bei schnell“ fliegenden Himmelskörpern eine Parabel oder Hyperbel. ” 5 ERGÄNZUNGEN 141 Wir betrachten zunächst Bahnsegmente mit gleichem Winkel im Zentrum und beweisen Lemma 5.5.2 Für kleine Winkel verhalten sich die Flächen mit gleichem Winkel im Zentrum wie die Quadrate der mittleren“ ” Abstände zur Umlaufbahn. Beweis Wir legen die beiden Dreiecke übereinander und erhalten nebenstehendes Bild. Wir wählen eine Parallele g(X 0 , W 0 ) zu g(G, H) derart, dass die Flächen der Dreiecke 4(E 0 W W 0 ) und 4(E 0 XX 0 ) gleichen Inhalt haben, also auch α(4(SXW )) = α(4(SX 0 W 0 )). Ist nun R = |SE| und R0 = |SE 0 |, dann ergibt sich aus dem Strahlensatz α(4(SGH)) : α(4(SX 0 W 0 )) = R2 : R02 = α(4(SGH)) : α(4(SXW )). Für kleine Winkel ](GSH) bzw. ](XSW ) können wir R und R0 als mittleren Abstand des Planeten vom Zentrum ansehen, qed. Hieraus folgt: Nach dem 2. Keplerschen Gesetz überstreicht ein Strahl Sonne-Planet in gleichen Zeiten gleiche Flächen, also gilt für ein Zeitintervall ∆t die Proportionalität ∆t ∼ Flächenabschnitt (mit konstantem Winkel θ) ∼ R2 . Andererseits ist wegen F ∼ ∆v ∼ ∆v ∆t , also ∆v ∼ F · ∆t und F ∼ 1 R2 1 · R2 = 1, R2 also ist der Betrag ∆v von ∆~v konstant, wenn der Strahl Sonne-Planet gleiche Winkel überstreicht. Wir zerlegen die Umlaufbahn des Planeten um die Sonne in n gleiche Winkelabschnitte der Größe Θ = 2π n , n 0. Dann haben wir 5 ERGÄNZUNGEN a) im Ortsdiagramm Zwei aufeinander folgende Vektoren ∆~vj und ∆~vk schließen denselben Winkel Θ ein und haben dieselbe Länge. Ordnen wir diese wie in nebenstehendem Geschwindigkeitsdiagramm an, bilden Anfangs- und Endpunkte der ∆~vj für einen Umlauf ein regelmäßiges n-Eck. Das Zentrum S ∗ ist jedoch nicht der Mittelpunkt des n-Ecks bzw. des Umkreises. Zeichnen wir die Vektoren vom Mittelpunkt des Umkreises zu den Ecken, erhalten wir Strahlen, bei denen benachbarte Strahlen gerade den Winkel Θ = 2π n einschließen: 142 b) im Geschwindigkeitsdiagramm 5 ERGÄNZUNGEN 143 Drehen wir den Kreis um 90◦ im Uhrzeigersinn, erhalten wir als Tangentenrichtung die Mittelsenkrechte der Strecke S ∗ P : Lassen wir P den Kreis durchlaufen, also den Planeten die Sonne umkreisen, entsteht als Hüllkurve der Tangenten eine zur Planetenbahn parallele Kurve, hier eine Ellipse. Um die tatsächliche Bahn zu erhalten, also etwa den zweiten Brennpunkt und einen Bahnpunkt zu bestimmen, kommt man ohne konkrete Messungen nicht aus. Wir müssen noch zeigen, dass sich als Hüllkurve tatsächlich eine Ellipse bzw. allgemein ein Kegelschnitt ergibt. Wir behandeln zunächst den Fall der Ellipse und erinnern an die Definition: Definition 5.5.3 Die Ellipse ist der geometrische Ort aller der Punkte der Ebene ε, für die die Summe der Abstände zu zwei festen Punkten F1 und F2 , den Brennpunkten, konstant gleich 2a ist. Die Menge der Punkte X ∈ ε, für die |F1 X|+|F2 X| < 2a ist, heißt das Innere der Ellipse und die Menge der Punkte X ∈ ε, für die |F1 X| + |F2 X| > 2a ist, heißt das Äußere der Ellipse. Eine Gerade g heißt Tangente an die Ellipse im Punkt Y , wenn Y ∈ g und alle anderen Punkte X ∈ g, X 6= Y , äußere Punkte für die Ellipse sind, für die also |F1 X| + |F2 X| > 2a ist. Um die Tangente im Punkt Q der Ellipse zu konstruieren, verlängern wir den Strahl F2 Q über den Punkt Q hinaus um die Strecke F1 Q bis zum Punkt P . Das Dreieck 4(F1 QP ) ist gleichschenklig, das Mittellot m auf F1 P halbiert den Winkel ](F1 QP ). Für einen Punkt X ∈ m, X 6= Q ist |F2 X| + |F1 X| = |F2 X| + |XP | > |F2 P | = 2a, also liegt m bis auf den Berührpunkt Q ganz außerhalb der Ellipse und ist daher Tangente. 5 ERGÄNZUNGEN 144 Für unser Problem der Planetenbahn vertauschen wir die Rolle von F1 und F2 und erhalten nebenstehendes Bild. Durchläuft der Punkt P den Kreis mit Mittelpunkt M und Radius 2a, dann durchläuft Q als Schnittpunkt der Mittelsenkrechten von S ∗ P mit der Geraden g(M, P ) eine Ellipse. Damit ist Q auch gleichzeitig der Berührpunkt des Tangentenvektors ~vP mit der Geraden g(M, P ). Entsprechende Tangentenkonstruktionen finden wir für die Hyperbel (Differenz der Abstände ist dem Betrag nach konstant = 2a) und die Parabel (fällen das Lot von Q auf die Leitgerade, die Länge des Lotes ist gleich dem Abstand von Q zum Brennpunkt F ). Wir erhalten dann folgende Tangentenkonstruktionen: a) Hyperbel b) Parabel Bemerkung 5.5.4 a) Die Punkte S ∗ und M sind die Brennpunkte der Ellipse. b) Die Ellipse wird flacher, je näher S ∗ an der Kreislinie liegt (Komet Halley); sie wird einem Kreis ähnlicher, je mehr S ∗ und M zusammenrücken (Planetenbewegungen). c) Liegt S ∗ außerhalb des Kreise, erhält man die Differenz der Strecken F1 P und F2 P und daher als Bahnkurve eine Hyperbel (der Himmelskörper fliegt an der Sonne vorbei). Keplers 3. Gesetz Die zweiten Potenzen der Umlaufzeiten der Planeten sind proportional zu den dritten Potenzen der großen Halbachsen der (elliptischen) Umlaufbahn. Auch das 3. Keplersche Gesetz lässt sich mit vergleichbaren elementargeometrischen Mitteln herleiten wie die ersten beiden Gesetze. Hierzu benötigen wir den Flächeninhalt einer Ellipse 5 ERGÄNZUNGEN 145 mit den Halbachsen a und b: AEllipse = π · a · b, der im Schulunterricht nicht vorkommt. Man kann die Formel jedoch plausibel aus dem Flächeninhalt des Kreises, etwa mit dem Radius a herleiten: AKreis = π · a2 = π · a · b. Führen wir eine Orthogonalstreckung in Richtung der y-Achse mit dem Faktor ab aus: y= b ∗ y , a b x = x∗ , a -e e erhalten wir b A∗Kreis = π · a · ( a) = π · a · b = AEllipse . a Dieses Ergebnis erhält man auch unmittelbar aus der Integraldarstellung des Flächeninhalts: Für den Kreis ergibt sich aus p x2 + y 2 = a2 , also y = a2 − x2 für y ≥ 0 die Fläche ap Z a2 − x2 dx, AKreis = 4 · 0 und entsprechend für die Ellipse aus x2 y2 + = 1, a2 b2 also y= b p 2 · a − x2 a für y ≥ 0 die Fläche Z AEllipse = 4 · 0 a b p 2 b · a − x2 dx = · AKreis = π · a · b. a a Ist nun T die Umlaufzeit des Planeten um die Sonne, so hat nach dem 2. Keplerschen Gesetz der Strahl von der Sonne zum Planeten im Zeitabschnitt ∆t das Flächenstück π·a·b · ∆t T überstrichen. Wir betrachten nun die Geschwindigkeit des Planeten in zwei Scheiteln der Bahnkurve und bezeichnen diese mit v~1 und v~2 und den Beträgen vi = |~vi |, (i = 1, 2). Im Scheitelpunkt der großen Halbachse haben wir für die überstrichene Fläche im Zeitintervall ∆t (∆t klein, a > b, e2 = a2 − b2 ) 1 π·a·b (a − e)∆s ≈ · ∆t 2 T nach dem 2. Keplerschen Gesetz und daher ∆s 2π · a · b ≈ = v1 ∆t (a − e)T (für ∆t → 0). v1 Ds a-e 5 ERGÄNZUNGEN 146 (In den Skizzen ist ∆s = Ds und v1 bzw. v2 für v~1 und v~2 !) h P Im Scheitelpunkt der kleinen Halbachse haben wir für die überstrichene Fläche im Zeitintervall ∆t (∆t klein) R v2 Q Ds hP Q R Ds a 1 π·a·b a·h≈ · ∆t 2 T O b S bzw. O 2π · b h ≈ . ∆t T Flächenstück Wegen der Ähnlichkeit der Dreiecke h b = , ∆s a also 4(SOQ) S ähnliche Dreiecke ∼ 4(QP R) (rechte Winkel bei O bzw. P ) gilt h b ∆s = · ∆t a ∆t und daher 2π · b h b ∆s ≈ = · T ∆t a ∆t für ∆t → 0, d.h. v2 = 2π·a T . Im Ergebnis haben wir für die Geschwindigkeiten v1 und v2 des Planeten in den Scheitelpunkten der Umlaufbahn erhalten: v1 = 2π · a · b (a − e)T und v2 = 2π · a . T Wir betrachten nun den Geschwindigkeitskreis mit dem Radius q und erhalten die einfache Beziehung (v1 − q)2 + v22 = q 2 Dq oder v12 − 2v1 q + v22 = 0 q v1 M und daraus q= q v12 + v22 . 2v1 S* v2 Einsetzen der obigen Ausdrücke für v1 und v2 ergibt (∆θ ist Dq!) π·a q= · T b2 + (a−e)2 b a−e 1 π·a = · T b2 (a−e) + (a − e) b = π · a (a + e) + (a − e) 2π · a2 · = T b T ·b wegen b2 = (a − e)2 = (a + e)(a − e). Aus ∆v ≈ q · ∆Θ (= Länge des Kreisbogens) erhalten wir ∆v 2π · a2 ≈q= . ∆Θ T ·b Wir zerlegen die Umlaufbahn in n winkelgleiche Abschnitte (n 0), wobei der Teilungspunkt Pi auf der Umlaufbahn den Abstand ri von der Sonne hat, und bi die Beschleunigung des 5 ERGÄNZUNGEN 147 Planeten im Punkt Pi sei (i = 1, . . . , n, P0 = Pn ). Dann ist ∆Θ = Newtonschen Gesetz und dem Gravitationsgesetz m · bi = G · wobei M m ~r G Weiterhin ist - m·M ri2 2π n und nach dem 2. (i = 0, 1, . . . , n), Masse der Sonne Masse des Planeten Vektor von der Sonne zum Planeten Gravitationskonstante. ∆v ∆v ∆Θ M = ≈ bi = G · 2 · ∆ti ∆Θ ∆ti ri und ∆v ≈ q, ∆Θ also ri2 · ∆Θ G·M G·M ·T ·b =: c − konstant ≈ = ∆ti q 2π · a2 und daher r2 ∆ti ≈ i. ∆Θ c Den Inhalt Ai (∆Θ) des (kleinen) Flächensegments Pi SPi+1 mit dem Winkel ∆Θ = ](Pi SPi+1 ) nähern wir durch einen Kreisbogen mit dem Radius ri und dem Winkel ∆Θ an: Ai (∆Θ) ≈ (π · ri2 ) · ∆Θ 1 = ri2 · ∆Θ. 2π 2 Für die Gesamtfläche A(2π) ergibt sich dann A(2π) ≈ n X 1 i=1 2 ri2 · ∆Θ. Entsprechend erhält man für die Umlaufzeit T T = n X i=1 ∆ti = n n X X ri2 ∆ti · ∆Θ ≈ · ∆Θ, ∆Θ c i=1 i=1 und daher für ∆Θ → 0 bzw. n → ∞ 2 · AEllipse = c · T oder auch 2π · a · b = Dieses liefert das 3. Keplersche Gesetz a3 G·M = = const. 2 T 4π 2 G·M ·T ·b · T. 2π · a2 LITERATUR 148 Literatur [1] Euklid; Die Elemente (ca. 300 v.Chr.), Verlag Harri Deutsch 20034 (Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften, Band 235) [2] Hilbert, D.; Grundlagen der Geometrie, Teubner Verlag Stuttgart, Leipzig (1899, 199914 ) [3] Hartshorne, R.; Geometry: Euklid and beyond; Springer Verlag New York, Berlin, Heidelberg 2000 (Undergraduate Texts in Mathematics) [4] Agricola, I. und T. Friedrich; Elementargeometrie, Vieweg Verlag 2005 (Fachwissen für Studium und Mathematikunterricht) [5] Böhm, J.u.a.; Geometrie I, II, Deutscher Verlag der Wissenschaften Berlin 1974, 1975 [6] Cederberg, J.N.; A Course in Modern Geometries, Springer Verlag New York, Berlin, Heidelberg 1995 (Undergraduate Texts in Mathematics) [7] Courant, R. und H. 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