Versöhnte Verschiedenheit Modelle der Einheit Die Christen stellen sich seit Jahrhunderten der Aufgabe, die sichtbare Einheit der Kirche Christi wiederherzustellen. Auf welche Weise diese Einheit verwirklicht werden könnte, zeigen exemplarisch vier Modelle der Einheit. ■ Von der Gemeinschaft Chemin Neuf Einheit durch Rückkehr Fast fünfzehn Jahrhunderte lang haben die Kirchen über die Einheit in etwa dasselbe gedacht: Auf der einen Seite sagten die Protestanten: „Wir werden die Einheit herstellen, sobald sich alle reformiert haben. Wenn sich sowohl die katholische Kirche als auch die Orthodoxen reformieren, werden wir alle eine Kirche der Reformation sein.“ Die Katholiken hingegen sagten zu den Protestanten: „Hört mal, ihr habt die Kirche verlassen; ihr habt einiges geändert. Kommt zurück zur Mutter Kirche, denn ihr habt diese Rückkehr nötig.“ Die Orthodoxen meinten: „Ihr Protestanten habt einiges abgeschafft, ihr Katholiken habt einiges hinzugefügt; wir hingegen sind dem Ursprungsglauben treu geblieben. Es wäre also notwendig, dass alle zur Orthodoxie zurückkehren.“ Jede Kirche sagt: „Ich bin die Kirche Jesus Christi und werde deshalb die anderen zurückholen und eingliedern.“ Es handelt sich um die Einheit durch Rückkehr. ROM Einheit als Geheimnis Im 19. Jahrhundert wurde die Einheit als Geheimnis verstanden: Der Priester Paul Couturier hat die geistliche Ökumene und das Gebet für die Einheit der Christen ins Leben gerufen. Paul Couturier sprach von einer „Einheit, so wie Gott sie will, wann Gott sie will und durch die Mittel, die Gott will.“ Also eine Einheit, die von Gott abhängt. Das ist wie ein Geheimnis, denn man weiß nicht, wann die Einheit kommen wird, nur dass sie kommen wird. Wir können dafür beten. Nun warten wir. Nach den Ereignissen des Zweiten Weltkrieges entstand eine große Hoffnung. Denn der Krieg weckte die Christen auf, und sie haben sich gesagt, dass es nötig ist, gemeinsam zu beten und für die Einheit der Christen zu arbeiten. Denn im Grunde kam es zum Krieg auch deswegen, weil wir www.missio.at Christen gespalten sind. Diese Hoffnung ist jedoch nie richtig in Erfüllung gegangen. Ein Pastor beschrieb einmal, was viele schon entdeckt hatten: „Zwischen unseren Kirchen gibt es unüberwindbare Mauern.“ Einige meinten, dass diese Mauern nicht bis zum Himmel hinaufreichen. Denn: „Die Mauern der Trennung reichen nicht bis zum Himmel.“ Gott, oben im Himmel, sieht alle Christen – die ganze christliche Familie, die gesamte Kirche – zusammen. Wir hingegen sehen die Mauern, die sehr dick zu sein scheinen. Dieses Modell der Einheit trat nun trat nun auf der Stelle und so brauchte es ein drittes Modell, die Einheit der Christen zu verstehen. Einheit in der Vielfalt Einheit wird in diesem Modell als Gesamtheit der gesammelten Kirchen verstanden, wobei das getrennt bleibt, was die Kirchen trennt. Für gemischte Ehen bedeutet das: Wenn ein Katholik eine Protestantin oder ein Protestant eine Katholikin heiratet: „Ich bleibe katholisch, ich bleibe protestantisch, aber wir sind in derselben Kirche, wir sind im selben Bund.“ Das nennt man die Einheit in der Vielfalt. Der protestantische Theologe Oscar Cullmann definierte das auf folgende Weise: „Was ich vorschlage ist eine Gemeinschaft der Kirchen, also eine Gemeinschaft in der Vielfalt, die sich aus mehreren Kirchen zusammensetzt, die völlig autonom sind. Sie bleiben katholisch, protestantisch, orthodox und bewahren so die Gaben des Heiligen Geistes, die dieser ihnen geschenkt hat. Nicht um sich wieder auf sich selbst zurückzuziehen, sondern um gemeinsam die Communio derer zu formen, die Jesus Christus anrufen.“ Intellektuell kann man das gutheißen, aber man kann es auch hinterfragen: Handelt es sich bei dieser Einheit in der Vielfalt, wo man ein wenig Katholizismus, ein wenig Orthodoxie, ein wenig Protestantismus wieder findet, wirklich um die Kirche Jesu Christi? Ist das wirklich die Kirche, die Jesus wollte? Ist das nicht eine billige Einheit? Ist es nicht vielleicht sogar ein wenig oberflächlich, eine Kirche, die einem Bündnis gleichkommt? Aber der Ver- Missio • Werkmappe Weltkirche 146/2007 • Ökumene 25 Versöhnte Verschiedenheit band der Kirchen ist nicht die Kirche Christi. Und einige sind angesichts dieser ein wenig vagen Lösung, dieser Vielfalt, in der sich alles vermischt, unzufrieden. Viele junge Menschen sind Anhänger dieses Einheitsmodells. Sie sagen: „Wir haben genug von eurer Kompliziertheit, euren intellektuellen Trennungen. Wir sind alle Christen, und fahren von Zeit zu Zeit nach Taize, sind hier und da bei den Katholiken, hie und da bei den Protestanten und sogar bei den Orthodoxen gibt es viel Schönes.“ Sie holen sich also von allen etwas. Aber vielleicht kann man sich mit dieser „billigen“ Einheit nicht zufrieden geben. Einheit durch Umkehr Dank der ökumenischen Bewegung und dank der Arbeit vieler gelangte man zu einer weiteren Konzeption von Einheit, die viele Früchte trägt und voller Hoffnung ist: die Einheit durch Umkehr der Kirchen. Statt von den anderen einfach einzufordern umzukehren, gehen wir selbst diesen Weg der Umkehr. Das bedeutet, dass ich mich als Katholik bemühe, immer mehr Christ zu werden. Wenn ich orthodox bin, will ich immer mehr Richtung Christus wachsen. So sind wir gerufen, uns immer mehr zu bekehren. Nicht nur als Individuum, sondern auch als Kirche. Die Kirchen rufen sich das gegenseitig zu und wachsen so auf dem Weg der Heiligkeit, der Heiligung, der Wahrheit und der Reinigung. Kurzum: Die katholische Kirche soll immer christlicher werden. Und da haben wir noch einen weiten Weg vor uns. Die Kirchen der Reformation sollen sich tatsächlich im tiefsten Sinn des Wortes reformieren, und so immer christlicher werden. Ebenso die Kirchen der Orthodoxie. Mit anderen Worten: Wir alle befinden uns in einer Bewegung der Umkehr. Ein Wort, das das gut ausdrückt, ist metanoia. Dieses griechische Wort hat eine doppelte Bedeutung: Einerseits meint es Umkehr (die metanoia der Kirchen), andererseits auch Buße. So anerkennt man, dass man Sünder ist. Es ist sehr schön zu sehen, dass Johannes Paul II. so oft für die Vergangenheit der katholischen Kirche um Vergebung bat. Jede Kirche ist von den anderen in diesen Prozess der Umkehr hinein genommen, die zur Umkehr aller Kirchen führt. Man kann also sagen, dass wir uns seit einiger Zeit – seit ungefähr einem Jahrhundert, und vor allem seit dem Jahr 2000 – in einer neuen Epoche der Geschichte der Christenheit befinden. Eine Etappe, die voller Hoffnung ist. Wenn sich die Kirchen Christus nähern, werden sie sich auch einander nähern. Quelle: Gemeinschaft Chemin Neuf, 2002, Original in französischer Sprache Impuls ■ Diskutiert die Vor- und Nachteile der unterschiedliche Modelle, die Einheit der Christen zu verwirklichen. Diskussion: Zwei Logos sind Programm Ein Logo stammt von der 9. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Porto Alegre 2006. Das andere ist das offizielle Logo des Ökumenischen Rates der Kirchen. Impulsfragen ■ Welche Symbole kannst du erkennen? (Schiff, Wasser, Kreuz, Hand, Taube, Baum, Ölzweig, Welt, Europa, Weg, Fisch) ■ Welche Bedeutung haben sie in der Bibel? ■ Was sagen die Symbole über die „Ökumene“ aus? 26 Missio • Werkmappe Weltkirche 146/2007 • Ökumene www.missio.at