Ökologie Signale von den Messstationen Erwärmung der Nordsee Irene GRONEGGER In der Nordsee werden kontinuierlich höhere Temperaturen gemessen – das setzt Flora und Fauna unter Anpassungsdruck. Gobal gesehen waren die Meere seit Beginn der regulären Aufzeichnungen noch nie so warm wie im Sommer 2009: Die amerikanische Wetterbehörde NOAA meldete für Juni und Juli durchschnittliche Oberflächentemperaturen der Weltmeere von rund 17,0 °C. Die Nordsee als Wärmespeicher Das Meer speichert im Sommer bedeutende Energiemengen. Sie hängen in erster Linie ab von den Temperaturen des Wassers, das aus dem Atlantik einströmt, und von den regionalen meteorologischen Bedingungen über der Nordsee, etwa der Sonneneinstrahlung. Im Sommerhalbjahr aufgenommene und im Wasser gespeicherte Energie wird im Winter wieder abgegeben und mildert dadurch die Temperaturen auf dem angrenzenden Festland. Dabei nimmt die Temperatur des Meerwassers ab. Die Messstationen des BSH in Nord- und Ostsee signalisieren allerdings, dass die tieferen Wasserschichten in der Deutschen Bucht und in der westlichen Ostsee selbst in den Wintermonaten nicht mehr unter das langjährige Mittel abkühlen. Das bedeutet auch einen höheren Ausgangswert für die sommerliche Erwärmung. Erwärmung am Meeresgrund NORDSEE: Oberflächentemperaturen Ende Juli 2009 as sommerliche Wetter seit Ende Juni hat der Nordsee einen deutlichen Temperaturanstieg be- D schert. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) ermittelte für den Juli eine durchschnittliche Oberflächentemperatur von 15,8 °C. Damit sind schon fast die Rekordtemperaturen der heißen Sommer 2003 und 2006 erreicht – damals lag das Julimittel bei 16,0 °C. Zum Vergleich: Das langjährige Julimittel der 10/2009 Bild 1 Nordseeoberfläche liegt bei lediglich 14,3 °C. Die höchsten Monatsmittelwerte der Oberflächentemperaturen werden meistens im August erreicht, ebenso die höchsten Monatsmittel des gesamten Wasserkörpers. In flacheren und gut durchmischten Bereichen der Nordsee fallen die Temperaturen an der Oberfläche kaum anders aus als am Grund, in den tieferen Teilen und bei geringem Seegang sind die Unterschiede deutlicher (Bild 1). Die sommerlichen bodennahen Wassertemperaturen haben sich in der Deutschen Bucht bei rund 2 °C über dem langfristigen Mittelwert eingependelt. Messungen des BSH registrierten dort Junitemperaturen um 13 °C, gegenüber 11 °C in den achtziger und neunziger Jahren. Andere Monate zeigen ganz ähnliche Abweichungen, das gilt meistens auch im Winter. Im Arkonabecken der westlichen Ostsee ist der Trend zur sommerlichen Aufheizung noch deutlicher ausgeprägt: Im Monat Juni liegt dort der langjährige Durchschnittswert in 40 m Tiefe bei knapp 7 °C. Doch etwa seit dem Jahr 2000 herrscht dort eine um 4 °C höhere Temperatur www.wwt-online.de 41 Wartungsarbeiten auf einer BSH-Messstation BILD 2 Grafik/ Fotos: BSH vor, mit einer Zunahme von einigen Zehntelgraden pro Sommer. Diese Daten stammen aus dem Marinen Umweltmessnetz in Nord- und Ostsee (MARNET), das derzeit aus zehn automatischen Stationen besteht. Sie messen die Wassertemperaturen und den Salzgehalt in verschiedenen Tiefenstufen, zum Teil auch die Sauerstoffsättigung, und ergänzende Wetterdaten. Die Tierwelt verändert sich Was die wärmeren Wassertemperaturen angeht, hat die Tierwelt der Nordsee offenbar schon darauf reagiert. Wissenschaftler beobachten, dass sich die Wurfzeiten der Seehunde zum Frühjahr hin verschieben, die Studien dazu sind noch nicht abgeschlossen. Die Bestände des Kabeljaus – ein Fisch, der sich im kalten Wasser wohl fühlt – sind deutlich zurück gegangen. Hier spielt auch die Überfischung eine große Rolle, so dass der Anteil der gestiegenen Temperaturen kaum auszumachen ist. Auffälliger ist, dass mehrere Fischarten aus südlicheren Breiten mittlerweile in der Nordsee leben, die früher nur selten vorkamen, zum Beispiel Sardine, Sardelle, Streifenbarbe, Wolfsbarsch und Goldbrasse, die in der Küche als Dorade bekannt ist. „Für die Ausbreitung vieler neuer Arten in der Nordsee sind die Wintertemperaturen bedeutender als die Sommertemperaturen“, erklärt Heinz-Dieter Franke vom Alfred-Wegener-Institut für Polarund Meeresforschung auf Helgoland. Die Wassertemperaturen vor Helgoland sind in den letzten 25 Jahren um durchschnittlich 1,5 °C angestiegen, dabei entfällt der Hauptanstieg auf den Winter und macht fast 3 °C aus. Die Forscher des Instituts beobachten, dass die Zuwanderung verschiedener Arten aus südlicheren Breiten – Einzeller, Tiere und Pflanzen – um Helgoland seit über 15 Jahren zunimmt. Darunter sind etliche Arten der Borstenwürmer, Einsiedlerkrebse und Krabben, die die früheren Wintertemperaturen kaum überlebt hätten. Asiatische Zuchtaustern werden heimisch Auch die sommerliche Ausbreitung der Pazifischen Felsenauster gibt zu denken: Nachdem die Bestände der Europäischen Auster durch Krankheiten stark dezimiert worden waren, brachten Austernzüchter die Muschel in den achtziger Jahren als Ersatz nach Sylt und an die niederländische Küste. Die Pazifische Felsenauster ist eine Wärme liebende Art, die in Aquarien vermehrt und später in Kästen ins Watt ausgebracht wurde, wo die Tiere heranwuchsen. Man ging davon aus, dass die exotische Auster zur Larvenbildung auf Wassertemperaturen von etwa 17 bis 18 °C angewiesen sei und sich in der Nordsee nicht vermehren konnte. Doch diese Rechnung ging nicht auf: Möglicherweise war die Anpassungsfähigkeit der Tiere doch etwas größer, außerdem haben die wärmeren Sommer die Larvenentwicklung der Felsenauster gefördert. So konnte sich die neue Art im Wattenmeer ausbreiten; mittlerweile hat sie sich in nordfriesischen Miesmuschelbänken angesiedelt. Hier hat sich auch der Muschelwächter eingefunden – ein kleiner Krebs, der aus südlicheren Teilen der Nordsee einge- wandert ist und im Inneren der Miesmuschel lebt. In der Ostsee zeichnet sich ab, dass Wärme liebende Arten ihre Saison ausweiten. Lutz Postel vom Leibnitz-Institut für Ostseeforschung in Warnemünde beobachtet eine signifikante Entwicklung bei den Wasserflöhen: Die Gattung Bosmina in der zentralen Gotlandsee trat in den achtziger Jahren von Mai bis Oktober auf, mittlerweile kommt die einjährige Art fast ganzjährig vor, das Maximum liegt weiterhin im Sommer. Die Eier überdauern den Winter naturgemäß. Sauerstoffmangel und Algenwachstum Höhere Temperaturen begünstigen tendenziell auch das Algenwachstum. Doch in der Nordsee kommen Algenblüten mit großflächigem Sauerstoffmangel praktisch nicht mehr vor, seit sich die Wasserqualität spürbar gebessert hat. Anfang bis Mitte der neunziger Jahre waren Blüten der einzelligen Algen noch ein großes Problem gewesen, die Schaumberge an den Stränden mit sich brachten, und Grünalgenmatten bedeckten das Watt. Die Lage spitzte sich im Sommer 1996 zu, nachdem mehrere belastende Einflüsse zusammen gekommen waren: Über Jahre hatte sich organisches Material im Watt angereichert. Dann wurde durch monatelange Ostwinde nährstoffreiches Tiefenwasser aufgetrieben, die im folgenden Sommer das Algenwachstum begünstigten. Westwinde trieben große Mengen an Algen ins Watt, das schließlich flächendeckend umkippte. Seit diesem extremen Sommer sind Phänomene der Eutrophierung seltener geworden. Allgemein ist die Nordsee dadurch begünstigt, dass Gezeiten und Seegang das Wasser gut durchmischen. Die ökologische Situation der Ostsee ist problematisch: Das Binnenmeer ist ruhiger und auch nährstoffreicher als die Nordsee. Die Eutrophierung fördert das Algenwachstum, so dass an der Wasseroberfläche saisonal Sauerstoff-Überschuss herrscht. Doch wenn abgestorbene Algen auf den Grund sinken, verbraucht deren Zersetzung viel Sauerstoff – das führt zu anaeroben Bedingungen, die in den tiefen Becken der Ostsee ein chronisches Problem sind (siehe wwt 5/ 2007). LITERATUR /1/ Rahmstorf, S.; Richardson, K.: Wie bedroht sind die Ozeane? Fischer Taschenbuch 2007 /2/ Lozan, J. (Hrsg.): Warnsignale aus Nordsee und Wattenmeer: Eine aktuelle Umweltbilanz. Wissenschaftliche Auswertungen 2003 42 10/2009