Einführung 1.4. Zielsetzung unseres Werkes Bei der Erarbeitung und Präsentation eines Liechtensteiner Namenbuch denken wir in erster Linie an die heutigen Menschen Liechtensteins, deren Vorfahren diesen zumeist verblichenen und dunkel gewordenen Schatz hinterlassen haben. Ihnen möchte unser Werk Erinnerungshil f e bieten (auf die Fragen: Welche Namen gab es bei uns? Wo? Wofür? Wie lauten sie?), weiter auch Verstän d n ish ilfe (auf die Frage nach der sprachlichen Herkunft und ursprünglichen Bedeutung der Namen). Gleichzeitig will es aber auch aus dem Blickwinkel des Namenforschers eine regionale Forschungslücke füllen, die sich bei uns, in der Nachbarschaft grosser – teils vollendeter, teils in Ausarbeitung befindlicher – namenkundlicher Unternehmen (Rätisches Namenbuch für Graubünden, Vorarlberger Flurnamenbuch, Vorarbeiten zu einem St. Galler Namenbuch) störend bemerkbar gemacht hätte. Liechtenstein ist räumlich und kulturgeschichtlich eingebettet in die churrätischalemannische Überschichtungszone, die das Gebiet zwischen Bodensee und Alpenkamm, Kerenzerberg und Arlberg einnimmt; in diesem räumlichen Zusammenhang bildet die liechtensteinische Namenwelt einen besonderen Ausschnitt aus einem grösseren und jedenfalls äusserst vielfältigen Mosaik, von dem – gleich wie von den übrigen Teilgebieten her – durchaus gewichtige, für das Gesamtbild unentbehrliche Beiträge an die sprachgeschichtliche, namen- und volkskundliche, allgemein: die kulturgeschichtliche Erforschung des ganzen Kulturraumes und seiner Teile zu erwarten sind. 1.5. Interessierte Forschungszweige In sprachlich-formaler Hinsicht werden diese Beiträge vor allem Romanisten und Germanisten interessieren; man denke an die vielfältigen Arbeitsfelder der histori- 89 Forschungsbericht: Ziel schen Sprach-, Mundart- und Namenforschung: Sprachgeographie, Sprachgeschichte, Etymologie (Wortgeschichte), historische Wortbildungslehre, Grammatik und Intonationsforschung; weiter die noch nicht genügend erforschte weitläufige Thematik von Sprachberührung und -überschichtung (Interferenz). Einige erste und bei weitem nicht erschöpfende Einblicke in die formalen Aspekte des Namenwandels im Umfeld von Sprachberührung und Sprachwechsel sind weiter oben (in Teil I, Kapitel C) anhand einer Reihe praktischer Beispiele vorgelegt worden; sie liessen sich nun anhand der neu erarbeiteten Liechtensteiner Materialien sogleich in viel grösserer Breite betrachten und um ein Vielfaches erweitern. Fassen wir neben der formalen auch die inhalts- oder b e d e u tu n g s b e z o g e n e Seite der Namen ins Auge (also die vielfältigen Ergebnisse des sprachlichen Deutungsprozesses), dann erschliessen sich uns auch auf dieser Ebene wiederum reichhaltige Informationsquellen: über ihren primären etymologischen Bedeutungsgehalt geben unsere Namen mannigfaltige Einblicke preis in Aspekte von Geschichte (Siedlungs-, Rodungs-, Wirtschafts-, Religionsgeschichte), Soziologie, Archäologie, Ethnologie, Volkskunde, Naturgeschichte (historische Botanik, Zoologie). Es ist klar, dass die Vertreter dieser Disziplinen an den Ergebnissen der Namenforschung interessiert sein müssen. Eigennamen und insbesondere die raumgebundenen Ortsnamen lassen sich versteinerten Zeugen alter Zeiten, Fossilien, vergleichen. Alteuropäische (im Fall vieler Flussnamen), rätische, keltische, lateinisch-romanische Namen gestatten – vage oder auch spezifisch – Rückschlüsse auf frühere Sprach-, Kultur- und Siedlungsverhältnisse. Namengebung hängt stark von soziokulturell-ökonomischen Bedingungen ab. Der Bauer benennt anders als der Städter. Soziale und wirtschaftliche Veränderungen wirken sich stark auf den Wortschatz und als