Predigt 12.02.2017

Werbung
Reformierter Gottesdienst zum Thema «Reformation»
USZ 12. Februar 2017
«Ich schäme mich des Evangeliums nicht, denn es ist
eine Kraft Gottes zu Rettung für jeden, der glaubt. » Römer 1,16
Kennen Sie bereits das Medikament «Lutherol»?
Darauf steht: «Seit 500 Jahren bewährt». Es hat
die 4-fach-Formel: Sola gratia, sola fide, solus
Christus und sola scriptura. Im Beipackzettel
steht unter der Rubrik Anwendung: «Lutherol ist
vielfach ökumenisch einsetzbar. » und «Eine
Gefahr der Überdosierung besteht in Zeiten
allgemeiner Säkularisierung nicht.» Unter
Gegenanzeigen findet man folgendes:
«Personen mit päpstlichen Hintergrund sollten Lutherol nur nach Rücksprache mit ihrem
Beichtvater anwenden». Als Nebenwirkungen sind zu beachten: «Plötzliche Ausbrüche von
Heiterkeit, lächelnder Erkenntnis und wohlwollende Zustimmung. »
Ich habe mich köstlich über dieses «Medikament» amüsiert. Die Reformation ist im Augenblick
ein beliebtes Thema. Es gibt nun sogar schon Luther-Playmobil-Figuren zu kaufen und angeblich
auch Socken mit der Aufschrift «Hier stehe ich und kann nicht anders. » Vieles davon bringt mich
zum Lächeln und gleichzeitig frage ich mich: Was bleibt für uns persönlich 500 Jahre später von
der Reformation – neben geistesgeschichtlichen und theologischen Umbrüchen? In der
Reformation wurde das «Priestertum aller Gläubigen» postuliert. Das hiess, dass alle Christen
auf ihre Weise priesterlichen Dienst tun können. Das heisst zum einen, dass wir alle direkt zu
Gott in Beziehung treten ohne die Vermittlung durch einen geweihten Priester, der sagt was
richtig und was falsch ist. Das heisst zum anderen, dass jeder Christ und jede Christin befähigt
ist, über seinen Glauben zu reden und seinen Glauben in seinem Umfeld auf seine eigene Art zu
leben. Entscheidend sollte allein die Bibel sein und nicht irgendwelche Gebote von Menschen.
Damit haben einige Zürcher im März 1522 mit dem Zürcher Wurstessen ernst gemacht. Im
Gegensatz zum Thesenanschlag des Theologen Luthers in Wittenberg war das Zürcher
Wurstessen eine Aktion von Laien. Sie haben sich dabei auf die Bibel berufen. Ein
entsprechendes Fastengebot fehlt nämlich in der Bibel. Deshalb nahm sich diese Gruppe, u.a.
waren es Handwerker, die Freiheit, Wurst in der Fastenzeit zu essen. Diese Menschen haben es
gewagt, ihren Glauben konsequent zu denken und zu leben. Die Bibel als entscheidender
Bezugspunkt wurde dann als sogenanntes Schriftprinzip bezeichnet oder lateinisch «sola
scriptura» genannt. Die Bibel heute wieder in den Mittelpunkt zu stellen, heisst für uns vermutlich
etwas Anderes als für die Menschen damals. Mit der Bibel zu leben, kann jedoch damals wie
heute spannend sein. Nämlich dann, wenn es heisst, innere Freiheiten zu ermöglichen. Wenn wir
die Erfahrung machen, dass uns passende Bibelworte nähren und emotional satt werden lassen.
«Sola scriptura» könnte dann für uns heute heissen, den Bibelworten nachzugehen, die uns
guttun. Vielleicht ist es der Konfirmations- oder Taufspruch oder sonst ein Spruch, mit dem wir in
Vergangenheit gelebt haben, weil er uns etwas bedeutete. Eigentlich könnte nun jeder von uns
hier in der Spitalkirche etwas sagen. Alle unsere Glaubensbiographien berechtigen dazu. Das ist
Priestertum aller Gläubigen. Und deshalb möchte ich - exemplarisch sozusagen - nun Max
Hallauer bitten, davon zu erzählen, welche Worte aus der Bibel ihm in seinem Leben begleitet
haben. Max Hallauer ist ein ehemaliger Patient aus dem USZ.
Gerne hätte ich Ihnen etwas über meinen Taufspruch gesagt. Ich kenne ihn nicht und meine
hochbetagte Mutter mag sich nicht mehr erinnern. Mein Konfirmationsspruch tönt im Wortlaut von
damals etwas holperig: «Mir sagt das Herz, dass du gebeutst: Suchet mein Antlitz! Dein Antlitz,
o Herr, will ich suchen. (Psalm 27,8) («An dein Wort denkt mein Herz: sucht mein Angesicht.
Dein Angesicht, Herr, will ich suchen. ») So stand der Vers in der Zürcher Bibel von 1931. Er kam
mir am Anfang etwas fremd vor. Ich erschrak ein wenig. Was meinte wohl der Pfarrer mit diesen
Worten (geschrieben unter ein Bild von Max Hunziker – Jesus und die Samariterin am Brunnen)?
War ich ihm zu wenig „fromm“ oder allenfalls zu eifrig im Konf-Unterricht? Ich glaube, er spürte
meine innere Sehnsucht, mehr und vieles aus der Bibel und von Gott zu erfahren. Mein ganzes
Leben hat er mich begleitet, ermuntert und geholfen, wenn etwas nicht klappte. Zum Beispiel das
spätberufliche Theologiestudium, das ich anstrebte, und als ich dann als grossen Segen über
viele Jahre ein Altersheim leiten und Menschen beim „abschiedlich-leben“ begleiten durfte. Und
auch während den vielen Jahren als Jakobspilger - unterwegs mit den Menschen auf dem Weg
der Sehnsucht. Ein Gehen in der Gegenwart Gottes! Das war mir wichtig.
Im Psalm 91,11f. steht ein Bibelspruch der mich auch immer und überall begleitet hat. »Denn er
hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den
Händen tragen und du deinen Fuss nicht an einen Stein stossest. » In jedes Pilger- und
Gebetsbuch habe ich diesen Spruch eingeschrieben. Diese Hoffnungsworte und der
bedingungslose Zuspruch haben mir immer geholfen. In grosser seelischer Not, als ich nicht
mehr Beten konnte, bei schwerer Krankheit und auch zum Danke sagen. Vor bald 14 Jahren lag
ich hier im Spital. Dem Tod näher als dem Leben. Immer in den wachen Momenten half mir die
Gewissheit von Gottes Ja zu mir und dass am Ende, wie es auch kommt, alles schon richtig wird
und ist! Ich konnte mich auf das Psalmwort verlassen. Besonders nahe und innig habe ich die
von Felix Mendelssohn vertonten Worte beim Mitsingen des Oratoriums Elias erlebt und in
Gedanken berühren mich die Klänge und Worte immer noch.
«Freuet euch im Herrn allezeit! Nochmals will ich sagen:
Freut euch! » (Philipper 4,4) Diesen Spruch hat unser
Traupfarrer meiner Frau und mir zugedacht. Wir haben
uns sehr über diesen Spruch gefreut, ihn ernst
genommen und auf die schönen Bibelworte gebaut.
Gerade auch dann, wenn es schwierig wurde. Auch als
es von uns beiden viel Kraft brauchte, sich wieder zu
finden, um den mit Freude und Heiterkeit begonnenen
gemeinsamen Lebensweg weiter zu gehen.
Auch eine Geschichte hat mich begleitet, die Martin
Luther zugeschrieben wird. So soll er, auf seine
Schiefertischplatte geschrieben haben: „Ich bin getauft“.
Jedes Mal in Momenten des Zweifels habe er das
Tischtuch gehoben und den Spruch gelesen. Das hat
geholfen.
Vielleicht ist das für Sie eine Anregung, selber Ihren Lieblingsbibelversen nachzugehen.
Vielleicht mögen Sie sich eine «Bibelapotheke» für Zeiten machen, in denen Sie ein emotionales
Trostpflaster brauchen. Für Zeiten, wenn Sie verletzt sind. Für Zeiten, in denen Sie Ihre
Abwehrkräfte stärken möchten. Für Zeiten, in denen Sie nach Balsam für Ihre Seele suchen. Und
dann machen Sie hoffentlich die Erfahrung, so wie sie auch Paulus im Römerbrief beschrieb:
dass das Evangelium eine «Kraft Gottes» ist! Amen.
Pfrn. Margarete Garlichs
Herunterladen