Einführung in die Astronomie und Astrophysik I Teil 3 Jochen Liske Hamburger Sternwarte [email protected] Themen Einstieg: Was ist Astrophysik? Koordinatensysteme Astronomische Zeitrechnung Sonnensystem Gravitation Die Keplerschen Gesetze Strahlung Teleskope Sternaufbau Sternentstehung Sternentwicklung Sternhaufen Interstellare Materie Die Exoten: Neutronensterne und Schwarze Löcher Zeitmessung: wahre und mittlere Zeit Wahre örtliche Sonnenzeit: Stundenwinkel der „wahren“ Sonne + 12 h ( Tagesanfang um Mitternacht) Wird von Sonnenuhren angezeigt In der Praxis nicht brauchbar, da ungleichmäßiger Verlauf wegen: Schiefe der Ekliptik ( 1/2 jährliche Periode) Exzentrische Erdumlaufbahn ( jährliche Periode) Mittlere örtliche Sonnenzeit: Stundenwinkel der “mittleren” Sonne + 12 h „Mittlere Sonne“: gleichmäßige Bewegung in α Mittlere Sonnenzeit / mittlere Ortszeit (MOZ) Zeitmessung: wahre und mittlere Zeit Zeitmessung: was ist eine Sekunde? Bis 1960: Sonnensekunde: 1 / 86400 eines mittleren Sonnentages 1960: Ephemeridensekunde: 1 / 31 556 925.9747 des tropischen Jahres am 0. Januar 1900 um 12 Uhr Seit 1967: Atomsekunde: 9 192 631 770-fache der Periodendauer der dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustands von Atomen des Nuklids Caesium-133 entsprechenden Strahlung Internationale Atomzeit, TAI UT1 = mittlere Sonnenzeit, veränderlich In der Praxis soll die Zeit gleichmäßig verlaufen (wie TAI) sich an der Dauer eines Sonnentages orientieren (wie UT1) Kompromiss: „Gebrauchszeit“ UTC = TAI + unregelmäßige Schaltsekunden, Abweichung von UT1 immer < 0.9 s Heute: UTC = TAI – 36 s Zeitmessung: Tageslänge Zeitmessung: das Jahr Tropisches Jahr (Sonnenjahr Jahreszeiten) Alte Definition: von Frühlingspunkt zu Frühlingspunkt Kalenderjahr; keine gute Definition weil: • Abhängig von der willkürlichen Wahl des Frühlingspunkts • Schwankung aufgrund von: • Elliptizität der Erdumlaufbahn • Bahnstörungen durch Mond und andere Planeten • Präzessionsschwankungen • Gegenwärtig 365.2424 d (1 d = 86400 Atomsekunden) Neue Definition: Zeitraum, in dem die mittlere Länge der Sonne um 360 zunimmt • Im Grunde das langfristige Mittel der alten Definition • Trotzdem noch veränderlich • Gegenwärtig 365.2422 Tage Länge des tropischen Jahrs Abnahme wegen gegenwärtiger Beschleunigung der Präzession Zeitmessung: das Jahr Siderisches Jahr (Sternenjahr) Zeitraum bis die Sonne die gleiche Stelle am Fixsternhimmel einnimmt Veränderlich, definiert für den 01.01.2000 365.2564 d (ca. 20.5 Minuten länger als das tropische Jahr) Anomalistisches Jahr Zeitraum zwischen 2 Periheldurchgängen Veränderlich, definiert für den 01.01.2000 365.2596 (ca. 4.5 Minuten länger als das siderische Jahr) atrop < asid < aanom Zeitmessung: das Jahr Kalenderjahr (richtet sich nach dem tropischen Jahr) Tropisches Jahr ganze Anzahl von Tagen Lösung: gelegentliches Einfügen eines Schalttages Julianischer Kalender (45 v. Chr.): 1 a = 365.25 d 1 Schalttag alle 4 Jahre Gregorianischer Kalender (zuerst 1582): 1 a = 365.2425 d 1 Schalttag alle 4 Jahre, es sei denn Jahr ist durch 100 teilbar, es sei denn Jahr ist durch 400 teilbar ( 2000 war ein Schaltjahr, 1900 nicht) Übergang vom Julianischen zum gregorianischen Kalender: Donnerstag, 04.10.1582 Freitag, 15.10.1582 In den USA: Mittwoch, 02.09.1752 Donnerstag, 15.09.1752 (siehe „cal“ Programm auf Unix-Systemen inkl Mac) Zeitmessung: Julianisches Datum In der Astronomie und anderen Wissenschaften wird eine über Jahrhunderte fortlaufende Tageszählung benötigt, um die Berechnung von Zeitintervallen zu vereinfachen (also ohne sich um verschieden lange Monate, Kalenderreformen, Schalttage und Schaltsekunden kümmern zu müssen). JD = Zeit in Tagen seit 12:00 Uhr UT am 01.01.4713 v. Chr. im proleptischen Julianischen Kalender (= 24.11.4714 v. Chr. im proleptischen gregorianischen Kalender), wobei ein Tag = 86400 Atomsekunden MJD = Modifiziertes Julianisches Datum = JD − 2400000.5 Vorsicht: es werden z.T. verschiedene Zeitskalen für JD verwendet (UT1, UTC, TAI, etc.), bei Anwendungen mit hohen Präzisionsansprüchen muss also die Zeitskala mit angegeben werden Das Sonnensystem Das Sonnensystem 1 Stern 8 Planeten 5 – 11 bekannte Zwergplaneten, insgesamt mehrere 100? 146 Monde um Planeten (+27 Kandidaten) + Monde um Zwergplaneten, Asteroiden, etc. Asteroiden Kometen Meteroiden Innere Planeten Asteroidengürtel Äußere Planeten Kuipergürtel Heliosphäre Oortsche Wolke? ~in Ekliptik Struktur des Sonnensystems Struktur des Sonnensystems Ëntfernungen logarithmisch! Die Sonne Hauptreihenstern der Spektralklasse G2V Mʘ = 1.99 x 1030 kg (= 99.8 % der Masses des Sonnensystems) Rʘ = 6.96 x 108 m ρʘ = 1.41 x 103 kg/m3 (mittlere Dichte) Lʘ = 3.85 x 1026 W Teff = 5777 K Alter = ca. 4.6 x 109 a Differenzielle Rotation P = 25 – 34 d Besteht zu 73.5 % aus H, 24.9 % He, + ... ein ziemlich durchschnittlicher Stern Nomenklatur – babylonische Verwirrung? Kleinkörper Asteroid TNO (Transneptunian Object) Kleinplanet Meteoroid Zwergplanet Meteorit Meteor Planetoid KBO (Kuiper Belt Object) Mond Komet Planet Aktuelle Definitionen Definition der Internationalen Astronomischen Union (2006): The IAU therefore resolves that planets and other bodies in our Solar System, except satellites, be defined into three distinct categories in the following way: 1. A "planet" is a celestial body that (a) is in orbit around the Sun, (b) has sufficient mass for its self-gravity to overcome rigid body forces so that it assumes a hydrostatic equilibrium (nearly round) shape, and (c) has cleared the neighbourhood around its orbit. 2. A "dwarf planet" is a celestial body that (a) is in orbit around the Sun, (b) has sufficient mass for its self-gravity to overcome rigid body forces so that it assumes a hydrostatic equilibrium (nearly round) shape, (c) has not cleared the neighbourhood around its orbit, and (d) is not a satellite. 3. All other objects, except satellites, orbiting the Sun shall be referred to collectively as "Small Solar-System Bodies". Nomenklatur – babylonische Verwirrung? Kleinkörper Asteroid TNO (Transneptunian Object) Kleinplanet Meteoroid Zwergplanet Meteorit Meteor Planetoid KBO (Kuiper Belt Object) Mond Komet Planet Nomenklatur – babylonische Verwirrung? Planeten Ein neunter Planet? Terrestrische Planeten Merkur, Venus, Erde, Mars Fester Aufbau: „rocky planets“ Hohe Dichten: 4 − 5 g/cm3 Massen: MTerr ⪝ 1 M♁ Entfernung zur Sonne: a ≤ 1.5 AU Merkur Venus Erde Mars Gasplaneten Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun Gasbälle mit festem Kern Geringe Dichten: 0.7 − 1.6 g/cm3 Massen: 14 − 318 M♁ Entfernung zur Sonne: a ≥ 5.2 AU Rotationsachsen 58.7 d 243 d 10 h 10.7 h 1d 17.2 h 1d 16.1 h Temperatur der Planeten Temperatur bestimmt Atmosphäre (chemische Zusammensetzung, Aggregatszustand, Dichte, ...) Atmosphäre bestimmt Temperatur komplexes Wechselspiel zwischen Temperatur und Atmosphäre Beispiel: Treibhauseffekt Abschätzung der Oberflächentemperatur Aus der Energiebalance zwischen Sonneneinstrahlung und Abstrahlung entsprechend der Oberflächentemperatur des Planeten Annahme: keine innere Energiequelle Nicht immer zutreffend: Erde: Radioaktivität Jupiter: Kontraktion Abstrahlung bestimmt durch: Gesetze der Thermodynamik Thermodynamisches Gleichgewicht Hohlraumstrahlung (“Schwarzer Körper”) Strahlung hängt nur von T ab Temperatur Sonne Einstrahlung Sonne Abstrahlung Planet Temperatur Planet Abschätzung der Oberflächentemperatur Schwarzkörperstrahlung (Planck-Verteilung): λ: Wellenlänge T: absolute Temperatur kB: Boltzmann-Konstante h: Planck-Konstante c: Lichtgeschwindigkeit Abschätzung der Oberflächentemperatur Wellenlänge des Maximums (Wiensches Verschiebungsgesetz): Beobachtung der Sonnenhelligkeit bei verschiedenen λ λmax Tʘ Gesamtstrahlungsfluss der Sonne (Stefan-Boltzmann-Gesetz): σ = 5.67 x 10−8 W m−2 K−4 (Stefan-Boltzmann-Konstante) Gesamtstrahlungsleistung der Sonne: L ʘ = F ʘ A ʘ = σ T ʘ 4 4π R ʘ2 Abschätzung der Oberflächentemperatur Beim Planeten kommt an: a = Entfernung Planet – Sonne Aber: ein Teil des Sonnenlichts wird vom Planeten reflektiert nur ein Bruchteil wird absorbiert und steht zur Aufheizung zur Verfügung Reflexionsvermögen: Albedo (“Weißheit”): 0 ≤ A ≤ 1 Absorption: 1 − A Albedo Stark abhängig von Oberflächenstruktur Albedo Stark abhängig von Oberflächenstruktur und Atmosphäre Groß für dichte Atmosphären: Venus: 0.76 Uranus: 0.66 Neptun: 0.62 Jupiter: 0.51 Erde: 0.31 Klein bei geringer/klarer Atmosphäre: Mars: 0.15 Merkur: 0.06 Mond: 0.07 Abschätzung der Oberflächentemperatur Energiebalance pro Flächeneinheit auf der Oberfläche des Planeten (kein Energieaustausch mit anderen Regionen): Abschätzung der Oberflächentemperatur Energiebalance bei vollständigem Temperaturausgleich mit anderen Regionen (Winde, schnelle Rotation des Planeten): TP’ = TP / 21/2 Vergleich mit gemessenen Temperaturen Erhöhte Temperatur? Treibhauseffekt: eingehende Strahlung wird an Oberfläche reflektiert, langwellige (ausgehende) Strahlung (IR) wird in der Atmosphäre eingeschlossen höhere Temperatur mit Atmosphäre (chemische Zusammensetzung wichtig: z.B. CO2) Beipiele: Venus, Erde Interne Energiequellen: Kontraktion (Jupiter), Radioaktivität (Erde) Atmosphären Sehr unterschiedliche Atmosphären der Planeten durch: Chemische Zusammensetzung Physikalische Eigenschaften (Größe, Masse, Rotation, ...) U.a.: Temperatur kinetische Energie der Gasteilchen Geschwindigkeit: μ = relatives mittleres Molekulargewicht = m / mp = 2 für H2 In Luft: T 300 K, μ 29 (hauptsächlich N2) v = 515 m/s Etwas größer als Schallgeschwindigkeit cLuft = 343 m/s Atmosphären Vergleich mit Fluchtgeschwindigkeit: ⟹ Ein Planet kann eine Atmosphäre nur „festhalten“, wenn v << v e Leichte Gase entweichen leichter Dichtere Atmosphären bei Niedrigerer Temperatur T Größerer Planetenmasse M Kleinerem Planetenradius R Leichte Elemente H und He nur auf Gasriesen Aber: Atmosphäre beeinflusst Temperatur und umgekehrt Atmosphären Erde: 78% N2 21% O2 0.04% CO2 (seit 1850: 30% Zunahme!) Venus: 96.5% CO2 3.5% N2 Sehr dicht: MVenus,Atm 90 x MErde,Atm, PVenus 92 bar (wie in 900 m Meerestiefe) Mars: 95.9% CO2 2% Ar und N2 Sehr dünn: PMars 6.3 x 10−3 bar Warum sind Venus, Erde, Mars so unterschiedlich? Ähnliche atmosphärische Ausgangslage für alle drei Aber: Venus näher an Sonne wärmer weniger flüssiges Wasser mehr CO2 in Atmosphäre sich selbst verstärkender Treibhauseffekt (visuelle Sonneneinstrahlung fällt ungehindert ein, infrarote Wärmestrahlung wird in Atmosphäre absorbiert) Mars nicht massereich genug, um Atmosphäre zu halten, CO2 hauptsächlich gefroren Atmosphären Hydrostatische Gleichung dP/P ~ g μ /T dh Aufbau einer Atmosphäre hängt von Schwerebeschleunigung, chemischer Zusammensetzung und Temperaturverteilung ( Energietransport) ab Sehr komplexes Zusammenspiel vieler Faktoren