Perspektiven und Limitationen des antiangiogenen Wirkprinzips

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JATROS
Hämatologie & Onkologie 1 I 2012
© Luis Carlos Torres
Maligne Gliome
Perspektiven und Limitationen
des antiangiogenen Wirkprinzips
Der große Gefäßreichtum prädisponiert maligne Gliome theoretisch und auch praktisch für die Behandlung
mit antiangiogen wirksamen Substanzen. Im Rahmen der Vortragsreihe „Cancer Competence“ sprach Prof.
Dr. Roger Stupp, Lausanne, Mitte Dezember in Wien über Schwierigkeiten und künftige Einsatzmöglichkeiten im Zusammenhang mit diesen Therapien.
VEGF-Überexpression als
pathophysiologische Basis
Tumorgefäße weisen im Vergleich zu
normalen Gefäßen Anomalien auf, die
sich sowohl auf ihre Struktur (höhere
Durchlässigkeit, nur lockere Anhaftung
der Perizyten) als auch auf ihre Funktion (inhomogene Perfusion, Hypoxie)
erstrecken. Diverse Zytokine, die entweder inhibierend (Thrombospondin-1,
Angiostatin, Endostatin etc.) oder aktivierend (VEGFs, FGFs,
PDGFB etc.) auf die Angiogenese wirken, befinden sich
normalerweise im Gleichgewicht. Im Rahmen der Tumorgenese
kommt
es
schließlich zur Dominanz
der aktivierenden Faktoren.
„Beim Glioblastom liegt typischerweise eine Überexpression von VEGF und
VEGF-Rezeptoren vor“, berichtete Prof. Dr. Roger Stupp, CHUV
Lausanne, Schweiz. „Diese Expression
korreliert mit Tumorgrad und Outcome,
weshalb sie ein valides therapeutisches
Target darstellt.“
Eine gezielte VEGF-Beeinflussung ist
mittels Anti-VEGF-Antikörper (z.B. Bevacizumab), VEGF-TRAP (Aflibercept),
Anti-VEGFR-Antikörper (IMC-1121b)
oder intrazellulär wirksamen Substanzen
(Cediranib, Sunitinib etc.) möglich. Unter Bevacizumab plus Irinotecan verI 96
zeichneten Vredenburgh et al bei rezidivierten malignen Gliomen bis dahin unerreichte Ansprechraten von ca. 60%.1
Auch in der randomisierten Phase-IIStudie BRAIN wurde in der Rezidivsituation mit derselben Kombination ein
gutes Ansprechen erzielt.2 „Allerdings ist
die Definition der Response in der Neuroonkologie nicht immer so präzise wie
in der medizinischen Onkologie“,
mahnte Stupp zur Vorsicht. In Bezug auf
das progressionsfreie Überleben (PFS)
ken. „Zu den unbeantworteten Fragen im
Zusammenhang mit Bevacizumab zählen
die beste Dosis, das beste Verabreichungsschema und der Einsatz als Kombinationspartner oder Einzelsubstanz.“
Cave „Pseudo-Response“
Cediranib ist ein Pan-VEGF-RezeptorTyrosinkinasehemmer, der intrazellulär
wirksam wird. Auch mit dieser Substanz
konnte ein dramatisches Ansprechen erzielt werden. Batchelor et al
dokumentierten in einer
Phase-II-Studie eine NorR. Stupp, Lausanne: „Es existiert eine
malisierung der Tumorvasgute Rationale dafür, Angiogenesekularisation und eine Verhemmer wie Bevacizumab und andere
ringerung des Ödems bei
Substanzen nicht als Single-Agent zu
Glioblastompatienten.3 Paverwenden, sondern im Rahmen von
tienten mit Rezidiv erhielten
Kombinationsschemen bei malignen
in der Phase-III-Studie REGAL entweder nur LomuGliomen einzusetzen.“
stin (n=65), Cediranib plus
Lomustin (n=129) oder Cefand sich ein geringer Vorteil für die diranib alleine (n=131).4 „In beiden CeKombination (5,6 vs. 4,2 Monate), wäh- diranib-Armen war das Ansprechen mit
rend das Gesamtüberleben (OS) mit je- über 30 Prozent eindeutig besser als im
weils ca. 9 Monaten vergleichbar ausfiel. Kontrollarm mit 8 Prozent“, erklärte
Dennoch konnte der größte Teil der Pa- Stupp. „Das bestätigt die Effekte, die wir
tienten die Steroiddosis reduzieren, was mit Bevacizumab gesehen haben.“ Im
für einen positiven Effekt auf die Le- Hinblick auf das PFS fand sich ein nicht
bensqualität spricht.
signifikanter Vorteil in den Cediranib„Von der FDA wurde Bevacizumab für Armen, für das OS wurde jedoch in aldie Therapie des rezidivierten Glio- len Kollektiven das klassische Outcome
blastoms zugelassen, die Datenlage ist je- von ca. 9 Monaten registriert. Insofern
doch unzureichend“, gab Stupp zu beden- waren die Ergebnisse enttäuschend, eine
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| kongress
Verbesserung der Lebensqualität, welche
allerdings schwer zu messen ist, steht jedoch außer Frage.
Stupp sprach in Bezug auf die Bewertung auffällig rascher Tumorrückbildungen laut MRI ein Caveat aus. „Diese
Dynamik weist darauf hin, dass es sich
um keine echte Response handelt, sondern um ein Imaging-Phänomen.“ Im
Hinblick auf solche „Pseudo-Responses“
nach einer VEGF-Hemmertherapie ist
daher Vorsicht geboten. „T2-gewichtete
Aufnahmen geben eher Auskunft über
die Tumorausdehnung als T1-gewichtete, welche aber in der Routine meistens verwendet werden.“
Eine weitere Herausforderung im Zusammenhang mit der VEGF-HemmerTherapie resultiert aus einem potenziellen Rebound nach dem Absetzen.
Aufgrund der kurzen Halbwertszeiten
von Cediranib und Vatalanib kann ein
Rebound rasch eintreten, unter Bevacizumab bedingt die lange Halbwertszeit eine Latenz von ca. 4 bis 8 Wochen.
„Durch diesen Effekt ergeben sich in
Studien Limitationen der Beurteilbarkeit von Folgetherapien nach der
Upfront-Gabe von VEGF-Inhibitoren“,
unterstrich Stupp. Aktuell laufen zwei
Phase-III-Studien, die Bevacizumab
upfront zusammen mit Temozolomid
und Radiotherapie prüfen. Weiters in
Erforschung befindet sich Lomustin mit
oder ohne Bevacizumab in der Rezidivsituation, wobei verschiedene Sequenzen getestet werden.
Antitumorwirkung via
Integrinhemmung
Bei den Integrinen handelt es sich um
heterodimere Transmembran-Rezeptoren,
die für Zelladhäsion, Proliferation und
Migration bedeutsam sind. Sie werden
sowohl in den Tumorgefäßen als auch in
den Tumorzellen exprimiert. „Einer der
Gründe, warum das Glioblastom so therapieresistent ist, besteht in der Existenz
hoch migratorischer Zellen“, erläuterte
Stupp. In der Klasse der Integrininhibitoren wurde Cilengitid bisher am weitesten entwickelt. Die Substanz entfaltet
ihre Effekte über die Hemmung der Zelladhäsion von endothelialen Zellen und
Tumorzellen; Bildung von Tumorgefäßen, Zellmigration und Differenzierung werden blockiert.
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Potenzielle Kombinationspartner
Integrininhibitoren
PlGF-Inhibitoren (z.B. RO5323441)
cMET-Inhibitoren (z.B. Cabozantinib)
EGFR-Inhibitoren
Tab. 1: Potenzielle Kombinationspartner für
Inhibitoren des VEGF-Pathway
Mögliche Targets
Tumorzellen
Tumor-Stroma-Interaktion
Zellzyklus
DNA
DNA-Reparatur
Signalpathways
Vaskuläre Proliferation und Permeabilität
Zelladhäsion, Invasion und Migration
Tab. 2: Mögliche Targets in der zielgerichteten
Therapie maligner Gliome
Experimentelle Daten führen die Wichtigkeit des Stromas im Kontext von Tumorerkrankungen vor Augen.5 „In unserem Labor transplantierten wir Tumoren in Mäuse“, berichtete Stupp. „Wenn
die Verpflanzung in einen Bereich erfolgte, der vorher bestrahlt worden war,
erwies sich der Tumor als viel invasiver,
und es traten deutlich mehr Lungenmetastasen auf.“ Diese Änderung der Charakteristika des Stromas könnte auf die
Upregulation von Integrinen zurückzuführen sein. „Eine Therapie mit Cilengitid führte in der Folge zu einer Abnahme der Lungenmetastasen und der
Invasivität.“
Cilengitid als Single-Agent in zwei Dosierungen kam in der Studie von Reardon bei Glioblastomrezidiv nach Temozolomid und Radiotherapie zum Einsatz.6 Im Vergleich zur 500mg-Dosis
zeigte die 2.000mg-Dosis bessere Ergebnisse mit einem OS von 9,9 Monaten vs.
6,5 Monaten. Eine andere Untersuchung
testete die Substanz in einer Dosis von
500mg zusätzlich zur Chemo- und Strahlentherapie upfront; es resultierten ermutigende Outcomes mit einem medianen
OS von 16,1 Monaten.7 „Diese Ergebnisse werden derzeit in einer randomisierten Phase-III-Studie, welche nur
MGMT-methylierte Patienten einschließt, verifiziert“, so Stupp.
Wohin geht die Reise?
Trotz der Anwendung von Zweit- und
Drittlinientherapien sowie der Einführung von Bevacizumab und anderen
Substanzen hat in den letzten fünf bis
sechs Jahren keine echte Verbesserung der
tatsächlichen Überlebenszeiten stattgefunden. „Mit ca. 16 Monaten bewegt sich
das OS in demselben Bereich wie früher.“ Nicht abstreiten lässt sich auch eine
gewisse Kontraproduktivität der antiangiogenen Therapie; nach einem kurzzeitigen Benefit kann durch gegenregulatorische Mechanismen ein invasiverer Tumor-Phänotyp entstehen.
Als mögliche Zukunftsperspektiven skizzierte Stupp Kombinationstherapien
(Tab. 1). „Es existiert eine gute Rationale dafür, Bevacizumab und andere antiangiogene Substanzen nicht als SingleAgent zu verwenden, sondern im Rahmen von Kombinationsschemen.“ Für
die Entwicklung entsprechender Regimes
kommen grundsätzlich höchst unterschiedliche Targets infrage (Tab. 2). „Es
lässt sich nicht sagen, welches das richtige Target ist, und möglicherweise eignet sich nicht jedes für jeden Patienten
in gleichem Maße“, betonte Stupp. „Wir
müssen unsere Anstrengungen nicht nur
in Richtung ,bench to bedside‘ verbessern, sondern auch in der umgekehrten
Richtung.“
Referenzen:
1
Vredenburgh JJ et al, Clin Cancer Res 2007; 13(4):
1253-1259
2
Friedman HS et al, J Clin Oncol 2009; 27(28): 47334740
3
Batchelor TT et al, Cancer Cell 2007; 11: 83-95
4
Batchelor TT et al, ESMO 2010, LBA 7
5
Monnier Y et al, Cancer Res 2008; 68: 7323-7331
6
Reardon DA et al, J Clin Oncol 2009; 26: 56105617
7
Stupp R et al, J Clin Oncol 2010; 26: 2712-2718
■
Bericht: Dr. Judith Moser
Quelle: Vortrag von Prof. R. Stupp
„Anti-angiogenic therapy in malignant glioma.
Pitfalls and further prospects”
im Rahmen der Veranstaltung „Grand Rounds“
des Comprehensive Cancer Center Vienna,
14. Dezember 2011, Wien
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