Pressemitteilung Von der Biophysik zur Neurobiologie

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Pressemitteilung
6. Dezember 2010 / PM3BP
Karl Heinz Beckurts-Preis 2010
- Ernst Bamberg, Georg Nagel und Peter Hegemann ausgezeichnet
Von der Biophysik zur Neurobiologie
Wissenschaftler begründen die Optogenetik und erhalten dafür renommierten
Wissenschaftspreis
Ein revolutionärer Gedanke: Ein Schalter, mit dem sich Nervenzellen nach Belieben an- und
ausknipsen lassen. Drei Wissenschaftler haben im wahrsten Sinne des Wortes einen
solchen Lichtschalter für Nervenzellen gefunden. Dafür wird ihnen nun eine besondere
Ehrung zuteil: Ernst Bamberg, Direktor am Max-Planck-Institut für Biophysik in Frankfurt
am Main, erhält zusammen mit Georg Nagel von der Universität Würzburg und Peter
Hegemann, Humboldt-Universität Berlin, den diesjährigen Karl Heinz Beckurts-Preis für die
Entdeckung der außergewöhnlichen Eigenschaften des Grünalgenproteins
Channelrhodopsin. Die Karl Heinz Beckurts-Stiftung vergibt diesen Preis, um
herausragende wissenschaftliche und technische Leistungen zu würdigen, von denen
erkennbare und von den Preisträgern geförderte Impulse für industrielle Innovationen in
Deutschland ausgehen. Die Preisverleihung findet am 10. Dezember in München statt.
Das Kuratorium der Karl Heinz Beckurts-Stiftung hat die Preisvergabe an die drei Forscher für ihre
Entdeckung der sogenannten Channelrhodopsine beschlossen, einer Familie von lichtaktivierten
Ionenkanälen. Der Einsatz dieser Proteine hat neue Möglichkeiten zur Untersuchung von
Nervenzellen und Netzwerken in Kultur wie auch im Gehirn lebender Tiere geschaffen und das
Forschungsgebiet der Optogenetik begründet. Einzelne Nervenzellen oder Nervennetzwerke
können mit Licht gezielt elektrodenfrei an- und ausgeschaltet werden. Neben dem großen Wert
dieser Entdeckung für die Grundlagenforschung könnten eines Tages Patienten mit
neurodegenerativen Krankheiten wie Makuladegeneration, Parkinson und Epilepsie von der
Entdeckung profitieren.
Licht schaltet gezielt Nervenzellen an und aus
Channelrhodopsine sind Kanalproteine in der Zellmembran und kommen in der einzelligen
Grünalge Chlamydomonas reinhardtii vor. Sie ermöglichen es der Alge, Helligkeit wahrzunehmen
und sich zum Licht hin oder davon weg zu bewegen. Fällt Licht auf die Proteine, werden sie
durchlässig für positiv geladene Ionen. Diese strömen durch die geöffneten Kanäle in die Zelle
und lösen dadurch ein elektrisches Signal aus. Das elektrische Potenzial im Innern der Zelle wird
von stark negativen Werten positiver, d.h. die Zelle wird depolarisiert. Natürlich vorkommende
lichtaktivierte Ionenkanäle waren bis zu dieser Entdeckung in den Jahren 2002, 2003 unbekannt.
Auf der Basis dieser bahnbrechenden Arbeiten ist es den Wissenschaftlern in Zusammenarbeit mit
anderen Arbeitsgruppen gelungen, Channelrhodopsin auf molekulargenetischem Weg in Nervenund Muskelzellen in Kultur wie auch im lebenden Tier einzuschleusen. Auch die lichtgetriebene
Chlorid-Pumpe Halorhodopsin, die ursprünglich aus Archaebakterien stammt und die das
Zellpotenzial weiter ins Negative verschiebt, d.h. hyperpolarisiert, konnten Bamberg und Nagel
wiederum in Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftlern in verschiedene Zelltypen in Kultur
und im lebenden Fadenwurm C. elegans übertragen. Somit war es möglich, die jeweiligen Zellen
mit blauem Licht (Absorptionsmaximum Channelrhodopsin: 480 nm) anzuschalten und mit
gelbem Licht (Absorptionsmaximum Halorhodopsin: 570 nm) abzuschalten und in C. elegans
bestimmte Verhaltensweisen durch Licht zu stimulieren.
Aus der Entdeckung und Anwendung der Channelrhodopsine-1 und -2 und Halorhodopsin ist das
sich schnell entwickelnde Gebiet der Optogenetik entstanden. Inzwischen setzen viele
Forschergruppen die optogenetischen Werkzeuge auf unterschiedlichen Forschungsgebieten der
Neurobiologie erfolgreich ein.
Die Geschichte der Entdeckung der lichtaktivierten Ionenkanäle ist ein Beispiel dafür, wie aus
Grundlagenforschung neue Techniken bis hin zu Behandlungen für den Menschen entstehen
können. Denn diese Kanäle eröffnen eine Fülle von Anwendungsmöglichkeiten. „Die Optogenetik
revolutioniert momentan die neuro- und zellbiologische Forschung“, ist Ernst Bamberg überzeugt.
„Denn jetzt können wir erstmals ohne Elektroden und ohne jedwede chemische Modifizierung die
Aktivität von Neuronen und Muskelzellen störungsfrei und mit bisher nicht erreichter hoher
Ortsauflösung einfach durch Licht steuern.“
Darüber hinaus könnte die Optogenetik in Zukunft auch medizinischen Nutzen haben. So haben
Schweizer und US- amerikanische Forscher bereits 2006 und 2008 Jahren blinde Mäuse wieder
sehend gemacht. Dazu brachten sie Channelrhodopsin in Nervenzellen der Netzhaut von Mäusen
ein, die aufgrund eines Gendefekts keine Lichtsinneszellen ausbilden können. Die Tiere konnten
nach dieser Behandlung zumindest wieder zwischen hell und dunkel unterscheiden. Die
Wissenschaftler hoffen, dass auch Menschen mit einer Erkrankung der Netzhaut – der so
genannten Makuladegeneration – durch eine Gentherapie mit Channelrhodopsinen zumindest
einen Teil ihrer Sehkraft wieder erlangen. Aber nicht nur im Auge, auch im Gehirn könnten
Nervenzellen mit optogenetischen Methoden behandelt werden. So könnten z. B. im Gehirn von
Epilepsie- oder Parkinson-Patienten Nervenzellen mit Hilfe von lichtleitenden Glasfasern nach
Bedarf kontrolliert „an- oder „abgeschaltet“ werden, um die entsprechenden Krankheitsphänomene
aufzuheben.
Abb. 1a: Schematische Darstellung der Funktion von Channelrhodopsin-2 (blau) und Halorhodopsin (gelb) in
Nervenzellen.
Abb. 1b: Auslösen von Aktionspotenzialen durch Channelrhodopsin-2 (blaues Licht) und deren Hemmung durch
Halorhodopsin (gelbes Licht) in kultivierten Hippokampus-Zellen.
Verwandte Links:
[1] Pressemitteilung 2007
[2] Stifterverbandspreis 2009
[3] Wiley Prize 2010
Originalveröffentlichungen:
Nagel, G., Ollig, D., Fuhrmann, M., Kateriya, S., Musti, A.-M., Bamberg, E., and Hegemann, P.: Channelrhodopsin-1,
A Light-Gated Proton Channel in Green Algae.
Science 296 2395-2398 (2002).
Nagel, G., Szellas, T., Huhn, W., Kateriya, S., Adeishvili, N., Berthold, P., Ollig, D., Hegemann, P., and Bamberg, E.:
Channelrhodopsin-2, a directly light-gated cation-selective membrane channel.
Proc. Natl. Acad. Sci. 100 13940-13945 (2003).
Nagel, G., M. Brauner, J. F. Liewald, N. Adeishvili, E. Bamberg, and A. Gottschalk: Light-activation of
Channelrhodopsin-2 in excitable cells of Caenorhabditis elegans triggers rapid behavioral responses.
Curr. Biol. 15 (24) 2279-84 (2005).
Boyden, E. S., F. Zhang, E. Bamberg, G. Nagel, K. Deisseroth: Millisecond-timescale, genetically targeted optical
control of neural activity.
Nature Neurosci. 8 (9) 1263-1268 (2005).
Zhang, F., Wang, L., Brauner, M., Liewald, 000000J. F., Kay, K., Watzke, N., Wood, P. G., Bamberg, E., Nagel, G.,
Gottschalk, A., and Deisseroth, K.: Multimodal fast optical interrogation of neural circuitry.
Nature 446 633-639 (2007).
Weitere Informationen erhalten Sie von:
Prof. Dr. Ernst Bamberg / Heidi Bergemann (Sekretariat)
Max-Planck-Institut für Biophysik, Frankfurt am Main
Tel.: +49 69 6303-2000/2001
e-mail: [email protected]
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