Foto: dkfz Prof. Harald zur Hausen IM INTERVIEW „Der Nobelpreis hat insoweit einen hohen Stellenwert für mich, weil mir dadurch gute Möglichkeiten eröffnet wurden, bis zum heuten Tage meinem forscherischen Interesse nachgehen zu können!“ Prof. Dr. med. Dr. h. c. mult. Harald zur Hausen im persönlichen Gespräch 80 Jahre alt wird Professor Dr. Harald zur Hausen im März des kommenden Jahres. Auch das kam mir in den Sinn, als ich mir ausmalte, mit einer so außergewöhnlichen Persönlichkeit der Wissenschaft ein Gespräch führen zu dürfen. Durch den Kontakt mit seinem Sekretariat wurde mir jedoch schnell klar, dass sein Terminkalender vollkommen durchgetaktet und mit Auslandsreisen gespickt ist – ein Zeugnis voller Tatendrang. Umso schöner, dass sich dann doch ein Zeitfenster fand, um dieses Interview zu führen. Somit dürfen wir Ihnen den Krebsforscher aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) vorstellen, dem das Stockholmer Nobelpreiskomitee im Jahre 2008 den MedizinNobelpreis verliehen hat. Sehr geehrter Herr Professor zur Hausen, Sie werden Anfang nächsten Jahres 80 Jahre alt. Seit ihrer Emeritierung im Jahre 2003 sind sie nach wie vor vielfältig wissenschaftlich engagiert und reisen mehr aus dienstlichen als aus privaten Gründen. Wie erklären Sie das jemandem, der zielstrebig auf ein gemütliches Rentnerdasein zustrebt? PROF. ZUR HAUSEN: Die Menschen sind unterschiedlich. Und ein gemütliches Rentnerdasein, wie Sie das nennen, ist für viele Menschen eine schöne Vorstellung. Für mich ist es das nicht. Meine Neugierde ist ungebremst, mir macht die Forschung Freude und ich bin froh darüber, dass ich das tun kann, was ich tue. Wie erleben Sie das Älterwerden persönlich? PROF. ZUR HAUSEN: Gar nicht! Es gibt nichts worüber ich klagen kann. Ich fühle mich fit – ohne Sport, um Ihnen das zu sagen. Neben meiner Forschungsarbeit I/2015 8 RC Premium 3/2015 interessiert mich die Astrophysik, darüber lese ich gerne. Und einmal im Jahr reise ich mit meiner Frau nach Afrika und mache eine Safari. Meine körperliche Aktivität wird allenfalls durch gelegentliche Gartenarbeit geweckt. Und ja, ein wenig spiele ich Schach, was ja auch zum Sport zählt. Was mich fit bleiben lässt, ist meine Arbeit! Also kann ich Ihnen als leuchtendes Beispiel für Gesundheit und Fitness durch Sport leider nicht dienen, das tut mir leid. Ich sehe das nach. Wohl scheint es doch so zu sein, dass geistige Aktivität auch positive Effekte auf körperliche Gesundheit hat …? PROF. ZUR HAUSEN: Das lässt sich durchaus vermuten, jedenfalls kann ich das an mir feststellen. Der positive Einfluss von Bewegung oder gar systematischen Bewegungsprogrammen auf die geistige Fitness ist wohl gut belegt. Insofern ist von einem umgekehrten Effekt durchaus auszugehen. Da dies nicht mein Forschungsgebiet ist, kann ich darüber nur mutmaßen. Von einem aber bin ich überzeugt: Trägheit ist es, was der Gesundheit mit Sicherheit abträglich ist. Und Trägheit beginnt zunächst im Kopf. Neugierig und agil zu bleiben erhöht die Wahrscheinlichkeit, gesund zu bleiben, davon können wir ausgehen! Ist unter den derzeitigen Lebensumständen auch davon auszugehen, dass die Menschen immer länger Leben? Oder muss man denjenigen glauben schenken, die behaupten, dass die Kinder von heute das Alter ihrer Eltern nicht mehr erreichen werden? PROF. ZUR HAUSEN: In der Tat werden die Menschen in entwickelten Industrieländern pro Jahrzehnt etwa zweieinhalb Jahre älter. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts hat sich die Lebenserwartung mehr als verdoppelt. Ob das so weiter gehen wird, kann ich nicht sagen, derzeit jedenfalls ist keine Trendumkehr erkennbar. Irgendwann wird sich die Zunahme abschwächen, das ist sicher so. Und dass die Lebensführung darauf Einfluss nimmt, ebenso! Lässt sich dieser Fortschritt mehr der Prävention oder der Medizin zuschreiben? PROF. ZUR HAUSEN: Eine solche eindeutige Zuschreibung möchte ich nicht vornehmen, sie ist nicht zielführend. Fakt ist, dass die antibiotische Behandlung von Infektionskrankheiten und die Verringerung der Säuglingssterblichkeit große medizinische Errungenschaften sind, die enorm zur Steigerung der Lebenserwartung beigetragen haben. Bei der Hygiene wurden große Fortschritte erzielt. Denken Sie nur an die Erkenntnis, dass Wasserleitungen aus Blei gesundheitsgefährdend sind. Lange Jahre war unser Trinkwasser bleihaltig. Heute haben wir in vielerlei Hinsicht hohe Hygienestandards erreicht – und sie werden fortlaufend weiterentwickelt. Was sich viele Menschen nach wie vor freiwillig selbst antun, ist das inhalieren gifthaltiger Luft. Tabakgenuss ist massiv gesundheitsschädlich. Erfreulicherweise zeichnet die Propaganda gegen das Rauchen weitreichende Erfolge, zumindest in Deutschland. Eine rauchfreie Umgebung ist meines Erachtens wichtig für die Lebensqualität, gerade auch für Menschen, die früher in öffentlichen Einrichtungen unfreiwillig zu Passivrauchern wurden und – wie wir heute wissen – einer starken Gesundheitsgefährdung ausgesetzt waren. 9 Nun ist es ja nicht unbedingt die Frage, wie alt man wird, sondern wie man alt wird. Also besser vorsorgen, als nachsorgen. Eine der besten Formen der Vorsorge ist das Impfen. Dank der Entwicklung von Impfstoffen ist vielen Menschen viel Leid erspart worden, wenn man nur beispielsweise an Kinderlähmung denkt. Trotzdem gibt es eine Gruppe von Menschen, die sich massiv gegen das Impfen stellen. Was sagen Sie denen? PROF. ZUR HAUSEN: Poliomyelitis ist ein gutes Beispiel, denn dank Impfung gilt diese furchtbare und kaum zu behandelnde Kinderkrankheit in Deutschland als ausgerottet. Wichtig ist zu sagen, dass der Impfschutz eben keine rein persönliche Angelegenheit ist. Wer nicht geimpft ist, läuft nicht nur Gefahr, selbst zu erkranken. Der Ungeimpfte ist Überträger, und zwar auch auf solche Menschen, die möglicherweise durch eine Schwächung des Immunsystems selbst nicht geimpft werden können und durch eine Infektion lebensbedrohlich erkranken. Pocken, Mumps etc. sind keine harmlosen Kinderkrankheiten. Oder denken Sie an die Masernepidemie in Berlin im ersten Quartal dieses Jahres. Rein statistisch gesehen ist davon auszugehen, dass von 1.000 Masernerkrankten einer stirbt – und genau das ist in Berlin passiert. Eine Schädigungen des Gehirns, der Lunge etc., all das können Folgen einer Erkrankung sein, die wir bei flächendeckendem Impfschutz längst hätten überwinden können. Nicht umsonst schreitet die Forschung und Entwicklung von Impfstoffen fort. Dies in der heutigen Zeit abzulehnen, ist verantwortungslos. Die Erfindung eines Impfstoffs gegen Ignoranz könnte insofern die größte menschliche Errungenschaft sein, wobei sicherlich auch die schwierigste. Eher noch hofft man auf einen Erfolg bei der Impfung gegen AIDS, gleichwohl trotz langer Forschung bislang keinen Wirkstoff zur Verhinderung einer HIV Infektion gefunden wurde – wohl aber gegen Humane Papillomviren (HPV). PROF. ZUR HAUSEN: Es ist immer eine Errungenschaft, einen Impfstoff zu entwickeln. Dass dies im Falle der HPV gelungen ist, wird in einigen Jahren dafür sorgen, dass die Zahl der Gebärmutterhalskrebserkrankungen drastisch sinkt. 10 RC Premium 3/2015 Derzeit erkranken etwa 6.500 Frauen jährlich an dieser Krebsart. Erste Studien zeigen, dass die Impfung gut verträglich ist und einen vollständigen Schutz vor Krebsvorstufen bietet. Der Rückgang der Gebärmutterhalskrebserkrankungen, immerhin eine der häufigsten Krebsarten bei Frauen, wird die logische Folge sein. Die Voraussetzung dafür ist, Viren als ursächlich für die Entstehung von Krebs zu erkennen. Als Sie vor bald 40 Jahren der Idee nachgingen, dass Krebs auch auf Vireninfektionen zurückgeführt werden können, erging es Ihnen wie vielen Wissenschaftlern mit neuen Ideen: Sie wurden belächelt. PROF. ZUR HAUSEN: Lassen Sie mich zur Ursachenzuschreibung folgendes sagen: bestimmte Erscheinungsformen so genannter Humaner Papillomviren, also um exakt zu sein HPV 6 und 11, 16 und 18, sind eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die Entstehung eines Karzinoms. So sind eben viele Menschen, Männer und Frauen, mit HP Viren infiziert, bilden aber keinen bösartigen Tumor. Umgekehrt aber bildet sich kein Tumor im Gebärmutterhals ohne eine Infektion mit diesen Formen der HP-Viren. Der molekularbiologische Mechanismus, warum das so passiert, ist Interviewpartner Prof. Dr. med. Harald zur Hausen und Dr. Matthias Zimmermann sehr gut erforscht. Diese Forschung war in der Tat ein langer Weg und nicht frei von Widerständen. Viren in Zusammenhang mit Krebserkrankungen zu bringen weckte sehr kritische und bisweilen auch abfällige Kommentare. Von der ersten Formulierung der Hypothese Mitte der Siebzigerjahre bis zum experimentellen Beweis in den Achtzigern waren Durchhaltevermögen und eine feste Überzeugung besonders wichtig – Sie würden das vielleicht auch Sportsgeist nennen. … was auch dazu geführt hat, dass Sie in ihrer Karriere als Wissenschaftler 32 Ehrendoktortitel und eine ganze Reihe an Auszeichnungen erworben haben. Im Jahre 2008 dann der Anruf aus Stockholm. Welchen Stellenwert hat der Nobelpreis für Sie ganz persönlich? PROF. ZUR HAUSEN: Natürlich bedeutet mir der Nobelpreis viel. Ich habe mich riesig darüber gefreut – vielleicht auch deshalb, weil ich nicht mehr damit gerechnet habe. Der Nobelpreis hat auch insoweit einen hohen Stellenwert, weil mir dadurch gute Möglichkeiten eröffnet wurden, bis zum heuten Tage meinem forscherischen Interesse nachgehen zu können. Mein Bestreben galt immer dem Erkenntnisfortschritt in meinem Fachgebiet. Dass dieses Streben Anerkennung findet, freut mich. Sehr berührt hat mich auch, wie sehr sich meine Familie gefreut hat, besonders die Ehrung in Stockholm war insofern ein wirklich ergreifendes Ereignis. Eines darf man dabei nicht vergessen: Auszeichnungen sind zuallererst eine bestätigte Berechtigung, weiterarbeiten zu dürfen. Ich erachte das als Privileg. Auch die Arbeit mit den Forschergruppen am DKFZ (Deutschen Krebsforschungszentrum), welches mir über die vielen Jahre meines beruflichen Engagements eine Art Heimat geworden ist, sehe ich so. Die spontane Feier, die nach dem Anruf aus Stockholm am DKFZ stattgefunden hat, hat nicht nur mir sondern auch den Kollegen und Mitarbeiter sowie den Forschungseinrichtungen – also Krebsforschungszentrum, Helmholtz-Gemeinschaft und der Uni Heidelberg – gebührt. Inwieweit hat der Nobelpreis ihr Leben verändert? PROF. ZUR HAUSEN: Wie gesagt, ich bin weiterhin wissenschaftlich tätig und kann auf meiner – wenn Sie so wollen – Forschungslinie weiterarbeiten. Mich treibt die Frage um, inwieweit karzinogene Erkrankungen infektionsbedingt sind. Bei der Hepatitisforschung konnte der Zusammenhang einer viralen Infektionserkrankung mit der Entwicklung eines Leberkrebses gezeigt werden. Die Epidemiologie des Krebses deutet darauf hin, dass die Ernährung bei Brust- und Dickdarmkrebs eine Rolle spielt, und zwar auch durch die Übertragung von Viren. Wir arbeiten an dem Nachweis, dass spezifisches rotes Fleisch, also von Milchrindern, solchermaßen Einfluss auf die Krebsentstehung hat. Abgesehen davon, dass wir mit weniger Fleischgenuss generell gut beraten sind, meide ich persönlich rohes oder auch halbrohes Rindfleisch – mit einem „Steak english“ können Sie mich also nicht locken. Um Ihre Frage aber nochmals aufzugreifen, möchte ich nicht unerwähnt lassen, wie sehr die zahlreichen Reisen mein Leben bereichern. Dank freundlicher Einladungen zu herausragenden wissenschaftlichen Veranstaltungen lerne ich interessante Menschen auf der ganzen Welt kennen. Ich erlebe Gastfreundschaft in ganz unterschiedlichen Kulturen und pflege einen spannenden Austausch mit Wissenschaftlern rund um den Globus. Wobei man sich im Angesicht Ihrer Arbeit am Schreibtisch und im Labor sowie Ihres Pensums an Veröffentlichungen, Vorträgen und weltweiten Gremientätigkeiten schon wundern darf, wie das alles in den Tagesplan eines einzigen Menschen passt. Viele würden sagen: das ist doch der pure Stress! PROF. ZUR HAUSEN: Natürlich gab es in all den Jahren Phasen von hoher beruflicher Beanspruchung. Aber Stress habe ich persönlich nie in belastendem Umfang erlebt. Schon der Begriff scheint mir eher eine Erscheinung unserer Zeit zu sein. Irgendwie ist jeder im Stress. Ich habe eine sehr positive Wahrnehmung von meiner beruflichen Aufgabe und von meinem privaten Leben. Dass ich Zeiten intensiver Arbeit eher als interessant interpretiere, kann freilich auch damit zu tun haben, dass wir Westfalen ein breites Kreuz haben. Hätte ich je Stress verspürt und diesen als negativ wahrgenommen, dann hätte ich an meinem Verhalten oder an meiner Wahrnehmung etwas Prof. Dr. Harald zur Hausen wurde 1936 in Gelsenkirchen geboren. Er war Medizinstudent an den Universitäten Bonn, Hamburg und Düsseldorf, wo er schließlich 1960 auch promovierte und am Institut für Mikrobiologie arbeitete. Anschließend ging er an die Virus Laboratories des Children‘s Hospital in Philadelphia und habilitierte 1969 an der Universität Würzburg. 1972 ging er als Professor für Klinische Virologie an die Universität Erlangen-Nürnberg, bevor er 1977 dem Ruf der Universität Freiburg an den Lehrstuhl für Virologie und Hygiene folgte. geändert. Als Wissenschaftler habe ich starken Grund zu der Annahme, dass Stress negativen Einfluss auf die Gesundheit hat, und – vice versa – ein positives psychosoziales Umfeld ein wichtiger Präventionsfaktor ist, vermutlich ein ebenso bedeutsamer Faktor wie Ernährung, Bewegungsarmut und ein daraus resultierendes Übergewicht. Ich jedenfalls habe meist gut daran getan, solcherlei Negativeinflüsse oder meinetwegen Probleme selbst und aus eigener Kraft zu lösen. Das führt mich zu einer persönlichen Frage zum Abschluss: Was bedeutet für Sie „Glück“? PROF. ZUR HAUSEN: Nun, ich bin ehrlich gesagt kein Freund derartiger Pauschalfragen. Wenn ich als Wissenschaftler diese Frage beantworten soll, dann nur in dem Sinne, dass sich natürlich ein freudiges Gefühl einstellt, wenn sich eine Vermutung als zutreffend erweist. Eine Forschungsaufgabe erfolgreich zu lösen verschafft mir persönlich Zufriedenheit. Gleichzeitig verweist eine gelungene Beantwortung einer Forschungsfrage immer auch darauf, wie viel es noch zu untersuchen gibt und welche wissenschaftlichen Felder tatsächlich unerschlossen sind. Es kursiert so viel Unwissen und Halbwissen, viel davon ungehemmt verbreitet durch die Medien. Prof. Dr. Harald zur Hausen spezialisierte sich auf die Auswirkungen von Viren auf die Tumorbildung bei Menschen und war 1993-2003 Vorsitzender des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) tätig. Neben vielen internationalen Preisen und Auszeichnungen erhielt Prof. Dr. zur Hausen 2008 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin für seine Erkenntnisse über die Folgen von Virusinfektionen auf Gebärmutterhalskrebserkrankungen bei Frauen. Wahrscheinlich kann kaum mehr als ein Zehntel dessen, was man in herkömmlichen Zeitungen und Magazinen liest, als gesichertes Wissen gelten. Wir tun gut daran, uns der menschlichen Natur mit Bescheidenheit zu nähern und exakt zu formulieren, ob wir etwas gesichert wissen, etwas stark vermuten oder lediglich Hinweise auf etwas erkennen. Die Menschen machen sich viele Gedanken über ihre Gesundheit. Sie lesen aufmerksam in der Presse oder auch im Internet und besuchen Vorträge. Hier ist ein hohes Maß an Verantwortung gefordert. Ich möchte für mich jedenfalls in Anspruch nehmen, sehr wohl zu wissen, wie viel es gibt, was ich nicht weiß …! Lieber Herr Prof. zur Hausen, umso wichtiger ist es, dass wissenschaftliches Arbeiten nicht durch Altersgrenzen gestoppt, sondern durch Erfahrung begleitet wird. Ich wünsche Ihnen alles Gute für die Zukunft, gute Gesundheit und noch zahlreiche freudige Momente im Angesicht spannender und segensreicher Forschungserkenntnisse. Vielen Dank für das Gespräch! Das Gespräch führte Dr. Matthias Zimmermann 11