Neue Z}rcer Zeitung ZÜRICH UND REGION Donnerstag, 28.12.2000 Nr.302 37 Zwischen Fasten und Feiern Zum Ende des Fastenmonats Ramadan in Zürich Während die christliche Bevölkerung in Zürich Geschenke gekauft und Weihnachten gefeiert hat, haben die gläubigen Muslime ihren alljährlichen Fastenmonat Ramadan begangen. Was bedeutet der Ramadan für die muslimische Minderheit in Zürich? Und wie sieht die interkulturelle Koexistenz in der Limmatstadt aus? bsp. Am Mittwoch haben die Muslime das Fest des Fastenbrechens gefeiert. Bis gestern verzichteten sie einen Monat lang jeden Tag vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung auf Essen und Trinken sowie auf das Rauchen und sexuellen Verkehr. Auch im Kanton Zürich fastete mehr als die Hälfte der über 15 000 Muslime, die hier ansässig sind. Um am gemeinsamen Terawih-Gebet zum allabendlichen Fastenbruch teilnehmen zu können, richteten sich die Gläubigen in Nebenräumen und sogar auf den Treppen der Gebetshäuser ein. Während der letzten vier Wochen waren viele der zehn islamischen Kulturzentren in Schlieren, Wetzikon und der Stadt Zürich sehr gut besucht oder überfüllt. «Der Ramadan ist für Muslime ein Monat der Besinnung, der Sühne und der Versöhnung», sagt Ismail Amin, der Präsident der Vereinigung der islamischen Organisationen in Zürich (VIOZ). Wer Unrecht getan hat, soll sich jetzt persönlich bei seinem Opfer entschuldigen, Zerstrittene sollen sich versöhnen. Während der dreissig Tage des Ramadans lesen die gläubigen Muslime den ganzen Koran, jeden Tag einen Teil. Zum abendlichen Fastenbruch essen sie drei Datteln und trinken ein Glas Milch. Erst nach dem Abendgebet wird richtig gegessen. Mit einem Imbiss im Morgengrauen unterbrechen die Muslime ihren nächtlichen Schlaf, um morgens nicht mit einem leeren Magen aufstehen zu müssen. Erzieherischer Effekt des Kontrastes Dieses Jahr fiel der Beginn des Fastenmonats Ramadan, der – im Gegensatz zur christlichen Zeitrechnung – nach dem Mondkalender bestimmt wird, auf Ende November. Damit trafen die Weihnachtsfeiertage 2000 mit den letzten Tagen des Ramadans zusammen, der – nach muslimischer Zählung – ins 1421. Jahr seit der Begründung des Islams fällt. Wie nehmen die Muslime in Zürich den Kontrast zwischen Weihnachten und Ramadan wahr? «Der Gegensatz ist gerade für Erwachsene nicht schlecht und zeigt den Sinn des Fastens deutlich auf», meint der VIOZ-Vizepräsident Taner Hatipoglu. Die Fastenden übten sich angesichts der gesteigerten Konsumfreudigkeit und der überall angebotenen Süssigkeiten während der Adventswochen und der Weihnachtsfeiertage in Enthaltsamkeit und Geduld, indem sie freiwillig auf den Sonnenuntergang warteten. Den Jugendlichen – die un- © 2000 Neue Zürcher Zeitung AG gefähr mit Beginn des dreizehnten Altersjahres gemeinsam mit den Erwachsenen fasten – falle der Verzicht natürlich besonders schwer. Doch auch für sie gab es gestern, anlässlich des Eidel-Fitr-Festes zum letzten Fastenbrechen, Geschenke und viele Süssigkeiten (weshalb der festliche Anlass in der Türkei auch «Zuckerfest» genannt wird). Das Fasten gehört zu den fünf Grundpflichten im Islam neben dem Verrichten der täglichen fünf Gebete, der Pilgerfahrt nach Mekka, dem überzeugten Ablegen des Glaubensbekenntnisses und dem Spenden von Almosen. Insbesondere während des Ramadans sollen mit dem Sadaka-i Fitr Minderbemittelte unterstützt werden. Unabhängig davon geben gläubige Muslime jährlich 2,5 Prozent ihres Vermögens an Arme im In- und Ausland ab und verteilen allgemeine Spenden. Von einem zu zehn Zentren Im Kanton Zürich existieren heute zehn Gebetsräume von Muslimen aus Bosnien, dem Libanon, der Türkei, aus Pakistan, Albanien und arabischen Ländern wie beispielsweise Ägypten. Der gebürtige Ägypter Ismail Amin, der im Jahre 1960 nach Zürich kam, um hier zu studieren, erinnert sich an einen ersten Gebetsraum für Muslime in der ETH. 1975 wurde dann das erste islamische Zentrum an der Rötelstrasse gegründet. Mit der steten Zunahme der muslimischen Bevölkerung seit den späten sechziger Jahren entstanden in Zürich immer mehr islamische Kulturzentren, in denen die einzelnen Ethnien die Sprache und das Brauchtum ihrer Herkunftsländer pflegen konnten. Amin stellt einen «Trend zur Moschee» fest, der weniger politisch als individuell und religiös begründet sei: «Seit einigen Jahren ist eine Tendenz festzustellen, zur Religion zurückzukehren. Die Menschen entwickeln wieder ein religiöses Gefühl und suchen Halt in der Religion.» 1994 vereinigten sich die islamischen Organisationen in der VIOZ, um, wie Taner Hatipoglu sagt, «mit einer Stimme gemeinsam nach aussen» aufzutreten. Insbesondere drei Anliegen beschäftigen die VIOZ: Erstens möchte die muslimische Glaubensgemeinschaft im Kanton Zürich wie auch in anderen Schweizer Kantonen öffentlichrechtlich anerkannt werden. Zweitens wollen die Muslime in Zürich ein islamisches Zentrum aufbauen, das eine Moschee mit Platz für mindestens 2000 Betende, eine Bibliothek, Konferenzsäle, Schulzimmer und Gemeinschaftsräume birgt. Drittens strebt die Vereinigung der islamischen Organisationen Zürich seit Jahren die Einrichtung eines eigenen Friedhofes mit geosteten Gräbern an. Diskriminierung im Alltag gration der in den letzten zwanzig bis dreissig Jahren angewachsenen muslimischen Gemeinde eine grosse Aufgabe sein werde, stellt Johanna Tremp, Leiterin der Fachstelle für interkulturelle Fragen, fest. Eine gute Zusammenarbeit sei vor allem im schulischen Bereich nötig, weil die Zahl der Kinder von orthodoxen Muslimen im Kanton Zürich anwachse. Taner Hatipoglu wünscht sich, dass der Staat und die muslimische Bevölkerung in Zukunft noch besser zusammenarbeiten und dass die Arbeit der Migrantinnen und Migranten in diesem Bereich besser gewürdigt werde. Die Zürcherinnen und Zürcher reagieren nach Meinung der muslimischen Gesprächspartner sehr unterschiedlich auf die fremde Kultur. Manche würden sie entschieden ablehnen oder ignorierten sie einfach, andere respektierten die ihnen fremden Lebensformen oder interessierten sich sogar sehr dafür. Am Arbeitsplatz falle die Zugehörigkeit zu einer anderen Religion dann auf, wenn ein gläubiger Muslim seine täglichen, ungefähr zehn Minuten dauernden Gebete, von denen eines oder zwei in die normalen Bürozeiten fallen, nicht verrichten darf oder wenn er mit seinen Arbeitskollegen nicht zum Mittagessen geht, weil er fastet oder religiöse Essensvorschriften beachtet. Ungeliebte Kopftücher Die gläubigen muslimischen Frauen sind indes Vorurteilen und Unverständnis viel stärker ausgesetzt, weil sie sich durch ihre Kopftücher von der übrigen Bevölkerung sichtbar unterscheiden. Im Kanton Zürich werden Frauen, die Kopftücher tragen, immer wieder angepöbelt. Auch abfällige oder spöttische Bemerkungen kommen oft vor. Vor kurzem, erzählt Taner Hatipoglu, erhielt eine Frau eine Stelle als Kassiererin im Detailhandel nicht, weil die Firma befürchtete, dass die Kunden befremdet auf die Angestellte reagieren würden. Auch Lehrstellen bleiben Frauen mit Kopftuch zuweilen verwehrt. Auch die zahlreichen in den Schulen organisierten Weihnachtsveranstaltungen geben immer wieder zu Diskussionen Anlass, wenn die muslimischen Eltern nicht damit einverstanden sind, dass ihr Kind an einer weihnachtlichen Theateraufführung oder einem Schülerkonzert teilnimmt. In solchen Konflikten wirkt die muslimische Stiftung für Erziehung, Ausbildung und Integration (SERA) vermittelnd. Vorurteile, Klischees und Nichtwissen über die muslimischen Mitmenschen abbauen helfen soll eine Ausstellung mit dem Titel «Islamischer Alltag in Zürich», die Ende September nächsten Jahres im Stadthaus stattfindet. Die Ausstellung ist ein gemeinsames Projekt des Präsidialdepartementes und der städtischen Fachstelle für interkulturelle Fragen. Wie gestaltet sich das tägliche Zusammenleben der Muslime und Christen in Zürich? Die Politiker hätten zu wenig daran gedacht, dass die Inte- Blatt 1 Neue Z}rcer Zeitung ZÜRICH UND REGION Donnerstag, 28.12.2000 Nr.302 37 Bemühungen um einen Friedhof bsp. Seit den frühen neunziger Jahren setzen sich die Muslime in Zürich für einen Friedhof ein, in dem sie ihre Toten gemäss den religiösen Regeln des Islam bestatten können. Ein Projekt für einen muslimischen Friedhof in Altstetten wurde 1998 von Vertretern der SVP bekämpft mit dem Hinweis auf die kantonale Bestattungsverordnung von 1963, welche die Ausscheidung von Grabfeldern für Angehörige bestimmter Religionen innerhalb eines Friedhofes untersagt. Die evangelisch-reformierte und die römisch-katholische Kirche haben ein Gutachten in Auftrag gegeben, das Anfang nächsten Jahres Regierungsrätin Verena Diener vorgelegt werden soll. Noch werden rund 90 Prozent der muslimischen Verstorbenen in ihren Ursprungsländern bestattet. Mit der zweiten Generation der Immigranten, die sich hier niedergelassen und die schweizerische Staatsbürgerschaft angenommen hat, wächst aber der Handlungsbedarf bezüglich eines muslimischen Friedhofes. © 2000 Neue Zürcher Zeitung AG Blatt 1