Proposal zur Tagung „Netzwerke zwischen Gesellschaft und sozialen Situationen“ Thema des Vortragsvorschlags: „Das Verhältnis von Situation und Netzwerk – Einige Überlegungen zu Grundlagen der Netzwerkforschung.“ Christian Stegbauer (Universitäten Erfurt und Frankfurt) Oft wird von Gesellschaft als etwas gesprochen, was man nur begreifen kann, wenn man es in unterschiedliche Ebenen aufteilt. Dies zieht sich bis in die Fachstrukturierung der Soziologie in einen Mikro- und einen Makrobereich. Die Netzwerkforschung wird oft als der Teilbereich angesehen, der sich mit dem „Dazwischen“ (Mesobereich) beschäftigt. In der Makrosoziologie ist man sich bewusst, dass gesellschaftliche Entwicklung nicht auf der Makroebene stattfindet, sondern diese auf der Mikroebene entsteht (Coleman 1991, MCClelland 1961, Lindenberg/ Wippler 1978, Raub 2010) – hier oft als durch eine rational begründete Handlung modelliert. Der Zusammenhang zwischen Mikro und Makro wird als Vermittlung (z.B. Mayntz, Breiger) bezeichnet. Dies meint – so könnte man sagen, die Regel zur Aggregierung der Einzelhandlungen zur oberen gesellschaftlichen Ebene. In der Netzwerkforschung nun wird eine weitere Vermittlungsschicht eingezogen – die Mesoebene, die Ebene des Netzwerkes, die anderen Regeln folgt. Die Mesoebene steht nicht einfach für eine Aggregierung – sie steht vielmehr für Beziehungsstrukturen, die aber ebenfalls nicht dort entstanden sind, wo sie analysiert werden. Sie steht für eine Formung von Verhalten, von Sichtweisen und Kulturen, die hier entstehen. Woraus bestehen (entstehen) also die Netzwerke? Die oft gegebene Antwort ist, sie bestehen aus Beziehungen, wobei es auf deren Struktur ankomme (Radcliffe-Brown 1940). Diese Beziehungen ergeben sich aber aus Situationen. Mit „Situation“ ist die Stelle bezeichnet, in denen Beziehungen aufscheinen – sie werden dort ausgehandelt. Nur wie genau ist die Beziehung zwischen Situation und Netzwerk und wie wird diese operationalisiert? Man könnte sagen, dass soziale Situationen die unterste Ebene des Sozialen darstellen. Eine soziale Situation ist durch Anwesenheit und Kommunikation definiert – hierzu sind mindestens zwei Personen nötig. Die Situationen sind auf verschiedenerlei Weise limitiert (z.B. kognitiv, thematisch, zeitlich, vgl. Luhmann 1975 – durch die Bedingungen der Anwesenheit). Situationen stehen in einem Zusammenhang durch Übertragung, Nachahmung und Geschichten, die über vergangene ähnliche Situationen erzählt werden. In den Situationen werden die tragenden Positionen festgelegt – dies geschieht durch Aushandlung. Man kann nun unterscheiden zwischen Situationen unter Anwesenheit, die selbst schon als Netzwerk aufgefasst werden können (etwa Rauchs 1984 - Großgruppen 1984) und solchen, die auf einer Zusammenfassung von Situationen beruhen.1 Eine weitere sehr häufig anzutreffende Netzwerkkonstruktion folgt Interpretationen von Situationen. Etwa solche Netzwerke, die aus subjektiven Einschätzungen konstruiert werden, etwa der Frage nach Freundschaften oder Unterstützungen – die meist von Situationen abstrahieren und oft auf der Konstruktionsebene viel mehr Subjektivität und Normativität zulassen. 1 1 Wenn man Situationen zu Netzwerken kumuliert, wird häufig keine Rücksicht auf ihren Charakter genommen – verschiedene Situationen hängen nämlich untereinander zusammen: die nachfolgende Situation baut immer auf die vorgängige auf – was bedeutet, dass eine Aggregation von Netzwerken aus sozialen Situationen eine temporale Struktur aufweist in der darüber hinaus auch noch auf „Aushandlungsergebnisse“ von vorgängigen Situationen zurückgegriffen wird. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, bietet sich auf der Modellierungsebene eigentlich ein bimodales Netzwerk an, welches allerdings in der Lage sein muss, unterschiedliche Types-of-Tie zu handhaben. Solche aggregierten bimodalen Situationsnetzwerke lassen sich dann in zeitliche Abschnitte zerlegen – und somit wären die Ergebnisse des Aushandlungsprozesses nachweisbar. Diese bimodalen Situationsnetzwerke weisen also einen horizontalen Zusammenhang auf der untersten Ebene auf. Situationen haben gleichzeitig eine Wirkung auf die Personen, da sie als Nebenergebnis der Aushandlungsprozesse die Identitäten ausbilden helfen. Die personalen Identitäten, die von den Situationen mitkonstruiert werden, stellen ebenfalls eine andere Ebene dar – die auf die Aushandlung der einzelnen Situation zurückwirken mag. Neben dem horizontalen Zusammenhang besteht ein vertikaler Zusammenhang, durch den höhere Aggregatebenen einerseits von „unten“ aus limitiert werden, andererseits wirken die höheren Aggregatebenen in die jeweilige Situation hinein. Hier sind beispielsweise Positionen zu nennen, die für eine Erhöhung der Vorhersagbarkeit von Aushandlungsergebnissen beitragen. Ferner gehört hierzu das Cultural Toolkit (Swidler) – in dem Werkzeuge zur Aushandlung zur Verfügung stehen. Hierzu gehören aber auch „Stories“ (White), die über Narrationen Vorstellungen und Urteile über das Beziehungsgefüge in die Situation einbringen. Im Vortrag soll es also um Überlegungen über das Verhältnis von Situation und Netzwerk gehen. Die vorzustellenden Überlegungen sind nicht abgeschlossen - sie sind vielmehr als Work-in-Progress aufzufassen. Kontakt: PD Dr. Christian Stegbauer Goethe-Universität Frankfurt FB Gesellschaftswissenschaften Institut für Gesellschafts- und Politikanalyse 60054 Frankfurt [email protected] 069 – 798 23543 2