Instruktive oder konstruktive Unterrichtsansätze in der

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Instruktive oder konstruktive
Unterrichtsansätze in der ökonomischen
Bildung?
Rolf Dubs
http://www.sowi-online.de/journal/2004-2/unterrichtsansaetze_dubs.htm
1. Ausgangslage
Obschon in der wissenschaftlichen Debatte die polarisierende Diskussion zwischen Vertretern
instruktiver und konstruktiver Unterrichtsansätze (vergleiche beispielsweise Duffy, Jonassen
1992) weitgehend überwunden ist und massgebliche Wissenschafter eine gemässigtkonstruktivistische Linie vertreten (Gerstenmaier, Mandl 1995 oder Stark 2002), bleibt der
Schulalltag bis auf den heutigen Tag von dieser Kontroverse nicht unbeeinflusst. Da die
Wissenschaft es auch in diesem Bereich bislang mit wenigen Ausnahmen (vergleiche
beispielsweise Achtenhagen, Getsch 2000; Dubs 1995) weitgehend versäumt hat, ihre
Konzepte mit praktischen Anwendungsbeispielen zu konkretisieren, ist es nicht
verwunderlich, dass in der Schulpraxis diese unterrichtlichen Ansätze zu immer
schlagwortartigeren Auseinandersetzungen führen, die für die Qualität des Lehrens und des
Lernens nicht nur förderlich sind. Im Vordergrund der Diskussion stehen die folgenden
Gegensatzpaare: lehrerzentrierter versus schülerzentrierter Unterricht, angeleitetes Lernen
(Lehren) versus selbstgesteuertes (selbstreguliertes) Lernen, produktorientiertes versus
prozessorientiertes Lernen, systematischer Aufbau versus kasuistischer Aufbau des
Unterrichtes und disziplinärer versus interdisziplinärer Unterricht. In der Vereinfachung des
schulischen Alltags will man - bei aller Unbestimmtheit des Begriffes - nur noch
schülerzentrierten Unterricht zulassen, und deshalb glaubt man - in ebenso unklarer Form die Zukunft liege ausschliesslich im selbstgesteuerten, prozessorientieren, kasuistischen und
interdisziplinären Lernen (im Wesentlichen konstruktives Paradigma), während das andere
Paradigma des angeleiteten, produktorientierten, systematischen und disziplinenorientierten
Lehrens und Lernens (im Wesentlichen instruktionales Paradigma) endgültig vorbei sei.
Ziel dieses Beitrages ist der Versuch aufzuzeigen, dass die polarisierende Diskussion dieser
beiden idealtypischen Paradigmen die Praxis der Unterrichtsgestaltung nicht weiterbringt,
sondern dass nach Kombinationen (vielseitiges Repertoire) zu suchen ist. Dies nicht zuletzt,
weil - selbst wissenschaftliche - Vertretende des neuen Paradigmas vier Aspekte nicht immer
genügend würdigen.
1. Die alltägliche Belastungssituation der Lehrpersonen: Neue Ansätze des Unterrichtes
(z.B. die Arbeit mit komplexen Lehr-Lern-Arrangements: Achtenhagen, John 1992,
oder das Scaffolding im täglichen Unterricht: Hogan, Pressley 1997) belasten
Lehrkräfte nicht nur bei den Unterrichtsvorbereitungen, sondern auch im täglichen
Unterricht viel stärker als traditionelle Formen des Lehrens. Deshalb sollte man bei
Empfehlungen neuer Paradigmen diesen Aspekt in Rechnung stellen, denn manchmal
kann traditioneller Unterricht (etwa guter Frontalunterricht) wirksamer sein als
schlecht vorbereitete neue Ansätze.
2. Die Streuung der Lernvoraussetzungen bei den einzelnen Schülerinnen und Schülern
wird immer grösser: Motivation, Konzentration, Vorwissen, Fähigkeit zur Reflexion
usw. Deshalb eignet sich nicht jedes Paradigma gleichermassen für jede Klasse, und
zu apodiktisch geforderte Ansätze behindern die Wirksamkeit des Unterrichtes für
einzelne Schülerinnen und Schüler immer wieder massgeblich.
3. Nicht übersehen werden dürfen Eigenarten und Stärken der einzelnen Lehrkräfte,
welche die Wirksamkeit einzelner Unterrichtsansätze unterschiedlich beeinflussen.
Noch heute gibt es beispielsweise Lehrkräfte, die ein Unterrichtsgespräch so gestalten
können, dass es - wenn man den Begriff überhaupt verwenden will - sehr
schülerzentriert sein kann.
4. Deshalb sind auch Erkenntnisse aus Modellversuchen mit Vorsicht aufzunehmen. Sie
können als Versuch positive Wirkungen zeitigen, weil die Bedingungen besonders
günstig waren (die wissenschaftliche Leitung erstellt die Unterrichtsmaterialien, oder
es wirken nur motivierte Lehrkräfte mit usw.), sie für den Schulalltag aber nicht mehr
zutreffen.
Der Beitrag betrachtet den berufsbildenden und den allgemeinbildenden Unterricht und
versucht im Sinne von "best practice" zu allgemeingültigen Trendaussagen zu gelangen,
welche dazu beitragen möchten, die wenig fruchtbaren, polarisierenden Diskussionen über die
verschiedenen Paradigmen zur Lehrplangestaltung und Unterrichtsführung zu überwinden.
2. Die drei Ebenen von Lehrplan und Unterricht
Viele Missverständnisse bei der Umsetzung der beiden Paradigmen entstehen im Schulalltag,
wenn deren Bedeutung für die einzelnen Ebenen von Lehrplan und Unterricht nicht
differenziert wird. Zwei Beispiele mögen dies zeigen: Oft wird behauptet, das
konstruktivistische Paradigma sei untrennbar mit sozialem Lernen (Gruppenunterricht)
verbunden, und das Entscheidende sei dabei das selbstregulierte Lernen in der Gruppe. Mit
dieser Aussage wird der Konstruktivismus in falscher Interpretation der Mikroebene (siehe
Abbildung 1) zugeordnet. Tatsächlich betrifft er aber die Makro- und die Mesoebene, weil er
in erster Linie die Art der Wissensgewinnung (das Wissen wird durch die aktive, subjektive
Auseinandersetzung mit einem Problem oder einem Objekt gewonnen), und nicht ein
methodisches Vorgehen anspricht. Es ist nämlich - wie es die dialektischen Konstruktivisten
sehen (Moshman 1992) - durchaus möglich, Wissen in einem gut geführten Dialog
(Scaffolding statt Gängelung) im Frontalunterricht zu konstruieren. Oder immer häufiger hört
man die Forderung, zukunftsträchtig sei angesichts des raschen Wandels nur noch das
autonome, selbstgesteuerte Lernen. Deshalb dürfe die Schule nicht mehr lehren, sondern nur
noch zum autonomen Lernen anleiten. Der Begriff autonomes Lernen ist aber vieldeutig, weil
ihm ein verschiedenartiges normatives Verständnis zugrunde liegt. Daher ist zuerst normativ
festzulegen, was autonomes Lernen heisst: Geht es um eine autonome Inhaltsbestimmung (die
Lernenden legen selbst fest, was sie lernen wollen) oder um autonome Lernprozesse (die
Schülerinnen und Schüler lernen im Rahmen vorgegebener Lerninhalte selbstgesteuert)?
Solche Unklarheiten sind erst gelöst, wenn die Problematik um die drei Ebenen geklärt ist.
Um beim letzten Beispiel zu bleiben: Auf der Makroebene wird entschieden, dass im Hinblick
auf lebenslanges Lernen den Jugendlichen gutes Strukturwissen zu geben ist, ihnen also keine
freie Wahl der Unterrichtsinhalte gegeben wird. Deshalb gibt der Lehrplan (Mesoebene) die
Lerninhalte vor. Auf der Mikroebene bleibt es aber der Lehrkraft zum Entscheid überlassen,
ob sie den instruktionalen Unterrichtsansatz (angeleiteter Frontalunterricht) oder den
konstruktivistischen Ansatz (selbstgesteuertes Erarbeiten des im Voraus bestimmten Wissens)
anwenden will.
Abbildung 1: Die drei Ebenen von Lehrplan und Unterricht
Viele Unklarheiten bezüglich der beiden Ansätze liessen sich vermeiden, wenn bei der
Unterrichtsplanung diese drei Ebenen sorgfältiger unterschieden würden.
3. Überlegungen zum konstruktiven Unterrichtsansatz
3.1 Entwicklungstendenzen in der Lehr-Lern-Theorie
Inzwischen haben selbst die radikalen Konstruktivisten (beispielsweise Bednar et al. 1992)
erkannt, dass ihr Unterrichtsansatz der eigenen Wissenskonstruktion an lebensrelevanten
Problemstellungen, bei welcher die Lehrkraft bestenfalls die Rolle der Lernberatung
übernimmt, zu einseitig ist und insbesondere nicht genügt, um ein strukturiertes Wissen und
gute mentale Modelle aufzubauen. Deshalb verlieren auch praxisorientierte Umschreibungen
konstruktivistischen Unterrichts (vergleiche beispielsweise Grennon Brooks, Brooks 1993),
die sich im Schulalltag zudem fälschlicherweise immer mehr zu einer Lehre
schüleraktivierender Unterrichtsmethoden entwickelten, ihren Stellenwert. Trotzdem haben
die Debatten zwischen den Konstruktivisten und den Objektivisten die Lehr-Lern-Theorie ein
gutes Stück vorwärts gebracht, und sie führten dazu, dass inzwischen viele Theoretiker einen
Weg eingeschlagen haben, den man als gemässigt-konstruktivistisch bezeichnen kann
(vergleiche beispielsweise Stark et al. 1995). Gemeinsames Merkmal dieser
Betrachtungsweise ist die Betonung der Lehr-Lernprozesse mit dem Ziel, sie für die
Schülerinnen und Schüler wirksamer zu gestalten (Achtenhagen 2002). Dies gelingt umso
eher, je stärker sich der Unterricht auf das Vorwissen und die Vorerfahrungen der Lernenden
ausrichtet; das vertiefte Verständnis der Lernziele und Lerninhalte in den Vordergrund gestellt
wird; der Unterricht auf sinnvollen und sinnstiftenden Problemstellungen aufbaut; nicht
didaktisch reduktionistisch, sondern bereits im Anfangsunterricht mit komplexen Ziel- und
Inhaltsstrukturen gearbeitet wird, die auch schlecht definierte Probleme beinhalten;
handlungsorientiert unterrichtet wird, um in aktivem Lernen den denkenden Umgang mit
Aufgaben und Problemen zu stärken und den Unterricht verständnisfördernd zu gestalten;
dabei die Metakognition gefördert wird, indem Lern- und Denkprozesse in allgemeiner Form
verstehbar werden und - zusammen mit dem notwendigen Wissen - ihre Übertragbarkeit bzw.
Nichtübertragbarkeit und daher notwendigen Anpassungen erkennbar werden
(Dekontextualisierung), und je zielgerichteter die Wissenserarbeitung mit dem deklarativen
Wissen (Fakten, Begriffe sowie netzwerkartige Strukturen von Fakten und Begriffen), dem
prozeduralen Wissen (Operationen mit den Fakten, Begriffen und Strukturen) und dem
strategischen Wissen (mentale Modelle, die definieren, was zu tun ist, wenn zu einem
bestimmten Zeitpunkt reale Probleme wahrgenommen werden und zu bearbeiten sind) erfolgt
(Bransford, Brown, Cocking 2000).
Mit diesen Merkmalen der Lehr-Lern-Theorie soll das Problem des trägen Wissens (Renkl
1996) überwunden werden, d.h. die Lernenden sollen dank dem vertieften Verständnis des
erarbeiteten Wissens in der Lage sein, Probleme im grösseren Zusammenhang zu erkennen
und zu verstehen, um sie bearbeiten zu können. Das Wissen und die Wissenserarbeitung
bleiben also eine grundlegende Voraussetzung für alles Lernen und Ansätze, wie derjenigen
der Schlüsselqualifikationen, welche das deklarative zugunsten des prozeduralen Wissens
vernachlässigen, haben sich als falsch erwiesen. Die didaktische Frage der Inhaltsauswahl
bleibt also immer bedeutsam. Umstritten ist aber weiterhin, ob dieses Wissen einerseits durch
Konstruktion oder durch Instruktion und andererseits kasuistisch oder systematisch in
wirksamerer Weise aufgebaut werden kann.
3.2 Die Folgerungen für die Mesoebene
In den neueren didaktischen Diskussionen haben die lehr-lern-theoretischen Überlegungen
dazu geführt, dass die Lernumgebungen ins Zentrum der Aufmerksamkeit gelangten, und die
Begriffe situiertes Lernen (Kontextualität jeden Lernens) an authentischen Problemen
(grösstmögliche Realitätsprobleme der Lerninhalte) wurden zur Richtschnur für die
schulischen Gestaltungsprozesse. Erst die Auseinandersetzung mit Problemen in
authentischen Situationen ermöglicht eine aktive und konstruktive Auseinandersetzung mit
Lerninhalten, wodurch zugleich die Dekontextualisierung erleichtert wird und wirksamere
Transfermöglichkeiten geschaffen werden.
Diese zweifellos richtigen lehr-lern-theoretischen Erkenntnisse wurden nun aber meines
Erachtens auf der Mesoebene mit dem Konzept der Lernfelder und der Forderung nach
ausschliesslich kasuistischem Lernen vorschnell überinterpretiert und verallgemeinert, indem
die aus Tätigkeitsfeldern abgeleiteten Lernfelder oder die aus Berufs- und Lebenssituationen
gewonnenen Probleme zur ausschliesslichen Gestaltungsgrundlage für konstruktive, an
authentischen Situationen orientierte Lehrpläne wurden. Damit verlor nicht nur der
systematisch aufgebaute Lehrplan - wie immer systematisch definiert wird - seine Bedeutung,
sondern nicht wenige Verfechter der Lernfelder vertreten auch die Auffassung, die Instruktion
(systematische Anleitung durch die Lehrkraft) werde letztlich hinfällig. Diese
Verallgemeinerung ist kritisch zu hinterfragen.
Zunächst ist - wie Heid (2001) dies in überlegener Weise tut - die dem Lernen zugrunde
gelegte authentische Situation (das Problem, die Lernumgebung oder das komplexe LehrLern-Arrangement: Achtenhagen 1992) aus lehr-lern-theoretischer Sicht kritisch zu
betrachten. Eine einer Klasse vorgelegte Situation als Ausgangspunkt für das Lernen ist nicht
in jedem Fall geeignet, jeden Schüler und jede Schülerin gleichermassen für das Lernen zu
motivieren und Lernprozesse in der erwarteten oder gewünschten Zielrichtung auszulösen.
Die selektive Wahrnehmung und die subjektive Interpretation sowie die persönlichen
Erfahrungen und das Vorwissen führen dazu, dass die Situation in einer bestimmten Weise
wahrgenommen wird, diese Wahrnehmung aber zugleich zu einer für die Schülerinnen und
Schüler individuell verschiedenartigen Problemerkennung und zur Auslösung von
unterschiedlichen - im schlimmsten Fall von irrelevanten - Lernprozessen führt. Für radikale
Konstruktivisten ist dies allerdings kein Nachteil, denn solche unterschiedlich erkannte
Problemfelder, die zu inhaltlich vielfältigen Lernprozessen führen, bedeuten für sie vermehrte
Handlungsspielräume und Kreativität im Lernen. Dies ist richtig; nur garantieren mehr
Handlungsspielräume die Entwicklung von bedeutsamen Wissensbeständen und
Kompetenzen noch keineswegs. Wie Lehrkräfte mit diesem Problem kämpfen, lässt sich im
Unterrichtsalltag vor allem bei improvisierten Situationen immer wieder beobachten. Die
Lernenden nehmen aufgrund der vorgegebenen Situation ganz unterschiedliche Probleme
wahr und wollen Lernprozesse mit unterschiedlichen Zielen einleiten. Das kann zwar
pädagogisch sehr fruchtbar sein. Sobald aber der Zeitfaktor ins Spiel kommt - und er bleibt
vor allem an Berufsschulen bedeutsam -, brechen viele Lehrkräfte solche Lernprozesse ab und
gehen zu einem stark gesteuerten, instruktionalen Unterricht über, damit sie ihre
Unterrichtsziele rascher und wirksamer erreichen. Deshalb ist für den Erfolg eines
konstruktiven Unterrichts die Gestaltung der Situation (des Lernumfeldes oder der komplexen
Lehr-Lern-Arrangements) unter Berücksichtigung der Erfahrungen und des Vorwissens von
entscheidender Bedeutung. Leider tun sich damit viele Lehrkräfte schwer, weil ihnen die
Vorbereitungszeit und gelegentlich auch die Innovationskraft zum Entwurf von wirksamen
Lernumfeldern fehlt. Sind die Lehrpläne oberflächlich und stehen keine guten
Unterrichtsmaterialien zur Verfügung, so verschärft sich das Problem mit ausschliesslich
kasuistischen Lehrplänen zusätzlich. Ebenso schwierig ist die Bestimmung der Komplexität
einer Lernaufgabe. Wie komplex eine Lernsituation ist, lässt sich nicht generell festlegen,
sondern der Komplexitätsgrad hängt vom strukturierten Erschliessungswissen ab, das den
Lernenden verfügbar ist, d.h. über je mehr deklaratives, prozedurales und strategisches
Wissen sie zur Problemerkennung und Problemdefinition in komplexen Lernsituationen
verfügen, desto weniger komplex ist eine Lernsituation. Je heterogener unsere Schulklassen
werden, desto schwieriger wird es, die Komplexität von Unterrichtssituationen zu bestimmen.
Da infolge der vielerorts vorherrschenden Mentalität zur Beliebigkeit der Unterrichtsinhalte
vielen Schülerinnen und Schülern ein gut strukturiertes Erschliessungswissen fehlt, scheitern
sie bereits zunehmend häufiger an relativ "einfachen" Problemsituationen. Deshalb stellt sich
die bis heute nicht abschliessend beantwortete Frage, ob insbesondere in schlechteren Klassen
ein rein kasuistisch, konstruktiver Ansatz des Lehrplanes die vorhandenen Wissenslücken, vor
allem auf höheren Schulstufen, noch zu schliessen vermag, oder ob die ausschliessliche
Kasuistik nicht allein schon daran scheitert. Schliesslich ist auch der Begriff der Authentizität
nicht ganz problemlos. Zunächst kann eine zu aktuelle und eine zukunftsgerichtete Bildung
geradezu behindern, denn nicht jede "Aktualitätenschau", die heute noch so motivierend und
gegenwärtig bedeutsam ist, hat nachhaltige Wirkung. Zudem kann eine zugeschriebene,
selektive Authentizität rasch einmal einen manipulativen Charakter erhalten, wenn die
Zuschreibung der Authentizität nicht reflektiert ist, und deren Begründung nicht transparent
gemacht wird. Dieser Aspekt ist vor allem in der Berufsbildung bedeutsam, wo die
Lernumgebung auf die unmittelbar brauchbare Berufsfertigkeit ausgerichtet ist und deshalb
als besonders wertvoll bezeichnet wird, selbst wenn sie alles andere als zukunftsträchtig ist.
Nun lässt sich einwenden, Achtenhagen habe mit seinen beachtenswerten Arbeiten (Jeans
Fabrik und virtuelles Unternehmen Arnold & Stolzenberg: Achtenhagen 2002) den Beweis
erbracht, dass sich kasuistische, konstruktive Lehrpläne (Mesoebene) ohne weiteres und
erfolgreich umsetzen lassen. Ohne etwa den hohen und innovativen Stellenwert seiner Arbeit
schmälern zu wollen, dürfte damit aber der Beweis einer generellen Überlegenheit solcher
Lehrpläne damit nicht erbracht sein. Seine Beispiele beschränken sich im Wesentlichen auf
die Betriebswirtschaftslehre und auf den Berufsschulunterricht, und sie sind wenig
interdisziplinär. Für kaufmännische Auszubildende kann er zudem auf Erfahrungen im
Betrieb zurückgreifen, was das Situationale am Konzept greifbar macht. Er beschäftigt sich
aber weder mit einem Curriculum, das insgesamt interdisziplinär und kasuistisch aufgebaut ist
(wie etwa der Lehrplan für allgemeinbildende Lerninhalte an schweizerischen industriell-
gewerblichen Berufsschulen, wo nur noch thematisch und unter Verzicht auf
disziplinenorientierte Fächer gearbeitet wird), noch mit den allgemeinbildenden Fächern.
Deshalb ist vor diesem Analogieschluss zu warnen.
Im Sinne einer Zwischenzusammenfassung lässt sich Folgendes festhalten:
1. Die Erkenntnisse aus der neueren Lehr-Lern-Theorie stützen die Bestrebungen zu
einem an komplexen, authentischen Lernumgebungen (Problemen, Lehr-LernArrangements) orientierten Unterricht. Sein Erfolg hängt aber ganz entscheidend von
der Gestaltung der Lernumgebungen ab. Wenig reflektierte und die Voraussetzungen
bezüglich Erfahrung und Vorwissen der Lernenden vernachlässigende Lernsituationen
behindern dessen Wirksamkeit. Zu beachten ist ausserdem, dass mit aller
Wahrscheinlichkeit wichtige Unterschiede zwischen einem berufsbildenden Unterricht
an Berufsschulen und einem allgemeinbildenden Unterricht an Berufsschulen und
Gymnasien bestehen.
2. Die Lehr-Lern-Theorie beschäftigt sich primär mit der Mikroebene des Unterrichtes
und belegt bislang in keiner Weise, dass ausschliesslich kasuistisch und
interdisziplinär ausgestaltete Lehrpläne mit konstruktivem Charakter (Mesoebene) zu
besseren Lehrplänen führen.
3. Um zu einem begründeten Ergebnis zu dieser Kontroverse auf der Mesoebene zu
gelangen, ist zu klären, ob und allenfalls wo ein instruktionaler und ein systematischer
Unterrichtsansatz lernwirksam sind.
4. Überlegungen zum instruktionalen Ansatz
4.1 Missverständnisse um das selbstgesteuerte Lernen
Angesichts des raschen Wandels in der Gesellschaft und in der Wirtschaft ist die Forderung
an die Schule, sie müsse die Jugendlichen zum selbstgesteuerten Lernen befähigen, zur
Selbstverständlichkeit geworden. Lebenslanges Lernen gelingt aber nur, wenn die Lernenden
in der Lage sind, selbstgesteuert zu lernen, d.h. sich selber Lernziele zu setzen, Lernprozesse
selbständig zu durchlaufen und die Lernfortschritte selbst zu überwachen. Leider verwechseln
nun aber viele Leute, welche auf jede Form des Anleitens und des Führens von Lernprozessen
(instruktionaler Ansatz) verzichten wollen, das angestrebte Ziel mit den Mitteln seiner
Erreichung. Dies wird einsichtig, wenn man sich überlegt, was vorausgesetzt werden muss,
damit selbstgesteuertes Lernen überhaupt möglich wird. Längstens ist bekannt, dass ein
blosses Versuchs- und Irrtums-Lernen - sei es einzeln oder im Gruppenunterricht - nicht sehr
lernwirksam ist, nicht nur, weil es sehr zeitaufwändig ist, sondern weil sich auch viele Fehler
einschleichen können. Deshalb muss die Selbststeuerung des Lernens angeleitet und gesteuert
werden. Der instruktionale Ansatz bleibt also weiterhin bedeutsam (vergleiche dazu auch
Weinert 1996). Dafür lassen sich die folgenden Belege anführen: Erstens sind nur wenige
Schülerinnen und Schüler in der Lage, ohne anleitende Hilfe selbst und in wirksamer Weise
Arbeitstechniken (z.B. welches sind die Arbeitsabläufe in einer Gruppenarbeit?),
Lernstrategien (z.B. wie lerne ich Wörter in einer Fremdsprache am Besten?) und
Denkstrategien (z.B. wie löse ich ein Problem?) zu entwickeln. Der Aufbau dieses
prozeduralen und des strategischen Wissens erfolgt unter guter Anleitung besser. Gleiches gilt
für die metakognitive Förderung, also das Nachdenken über das eigene Lernen. Dieser
wichtige Prozess muss durch eine Lehrkraft initiiert, angeleitet und immer wiederholt werden.
Andernfalls findet er nicht statt, denn wie sollten die Lernenden selbst auf die Idee kommen,
ihr eigenes Lernen zu reflektieren (vergleiche dazu Schunk 1994)? Zweitens setzt
selbstgesteuertes Lernen die Verfügbarkeit von Automatismen (Grundfertigkeiten) voraus.
Diese Automatismen müssen durch intensives Üben gewonnen werden, was wiederum nur
möglich ist, wenn es auf den Könnensstand der Lernenden ausgerichtet gesteuert und
unterstützt wird. Auf den Stellenwert des Wissens ist bereits verwiesen worden. Deshalb ist
vor allem in solchen Lernbereichen auf die Instruktion zurückzugreifen, wo viel
Orientierungswissen nötig ist und wenig Erfahrungen vorliegen, um Probleme überhaupt
erkennen und definieren zu können.
4.2 Missverständnisse um die Instruktion
Leider wird der instruktionale Ansatz immer wieder mit dem Lehrervortrag und dem
gängelnden Lehrgespräch (fragend-entwickelnde Unterrichtsmethode) gleichgesetzt. Gute
Instruktion ist aber mehr: Sie ist ein Dialog zwischen der Lehrperson und den Lernenden, in
welchem das prozedurale Wissen im Vordergrund steht, d.h. die Lehrkraft steuert den
Unterricht je nach Situation stärker oder weniger stark, indem sie Lern- und Denkprozesse
anregt und unterstützt (Scaffolding betreibt). In diesem Zusammenhang darf wieder einmal
auf die Führungsstilforschung zurückgegriffen werden, die schon vor zwei Jahrzehnten
gezeigt hat, wie ein auf die Situation (Voraussetzungen bei den Lernenden,
Leistungsvermögen der Lernenden, Stand des Unterrichtes innerhalb eines Lerngebietes)
ausgerichtetes direktes (stark steuerndes) oder indirektes (abschwächend gesteuertes)
Lehrerverhalten im Frontalunterricht sehr wirksam sein kann (siehe ausführlich bei Dubs
1982).
In diesem Zusammenhang liegt häufig ein weiteres Missverständnis vor, indem der
instruktionale Ansatz mit systematischem Unterricht gleichgesetzt wird. Dies muss aber nicht
zwingend so sein. Es ist durchaus möglich oder gar erwünscht, dass dort, wo der Lehrplan
systematisch aufgebaut (Mesoebene) ist, der Unterricht konstruktiv gestaltet wird
(Mikroebene), indem im Rahmen des systematischen Lehrplanaufbaus einzelne, kleinere
Lernabschnitte konstruktiv ausgestaltet werden. Dies sei an einem Beispiel verdeutlicht. Im
Betriebswirtschaftslehre-Unterricht an einer kaufmännischen Berufsschule wird die Thematik
"Warenlager und Lagerhaltung" im Rahmen eines traditionellen, systematischen Lehrplanes
behandelt. Nun kann es durchaus sinnvoll sein, ein komplexes Lehr-Lern-Arrangement über
den Zustand eines Lager zu entwerfen (vergleiche dazu das schulpraktische Beispiel bei Dubs
1996) und den Unterricht als angeleiteten Unterricht mit direktem Lehrerverhalten konstruktiv
zu gestalten. Ein solcher Unterricht ist denn auch gemässigt-konstruktivistisch.
Wünschenswert wäre, dass möglichst viel Unterricht völlig unabhängig von der
Lehrplangestaltung auf diese Weise geführt wird. Er kann aber nicht zum Prinzip erklärt
werden, denn es kann Unterrichtssituationen geben, in denen es durchaus sinnvoll sein kann,
ein bestimmtes Orientierungswissen sogar einmal im Lehrervortrag darzubieten. Dies sei
wiederum an einem Beispiel verdeutlicht. In kasuistisch-konstruktiv aufgebauten Lehrplänen
werden bei einzelnen Lernfeldern oder interdisziplinären Themengebieten immer wieder
Fragen des Rechts angesprochen. Sehr häufig bleiben aber diese rechtlichen Aspekte
oberflächlich behandelt, weil den Lernenden die deklarativen Wissensstrukturen des Rechts
(Gliederung des Rechts, Rechtsverfahren usw.) fehlen, und sie nicht über fachspezifische
prozedurale Wissensbestände (z.B. Wie wird ein Gesetzestext angelegt? Wie wird ein
Rechtsproblem systematisch gelöst?) verfügen, die zur verstehenden und nicht nur
schematischen Bearbeitung der spezifischen Rechtsfragen in einem Lernfeld oder
Themengebiet nötig sind. Zwar glauben insbesondere die radikalen Konstruktivisten immer
noch, dieses deklarative und prozedurale Wissen baue sich im Verlaufe der steten Bearbeitung
in Lernfeldern oder Themengebieten allmählich auf. Sollte dies tatsächlich zutreffen (die
Frage scheint wissenschaftlich immer noch nicht abschliessend geklärt zu sein, wenn auch die
praktische Erfahrung dagegen spricht), so stellt sich doch die Frage der Ökonomie: Macht es
Sinn, immer wieder auf gleiche grundlegende Wissenslücken und Mängel im deklarativen
und prozeduralen Wissen zurückzukommen, wenn diese Grundlagen im Voraus erarbeitet und
gefestigt werden können?
Wiederum im Sinne einer Zwischenzusammenfassung sei Folgendes festgehalten:
1. In bestimmten Situationen (Erarbeiten von grundlegenden Wissensstrukturen, dem
Erlernen und Automatisieren von Grundfertigkeiten sowie dem Aufbau von
prozeduralem und von strategischem Wissen, insbesondere auch als Anleitung zum
selbstgesteuerten Lernen) ist der Instruktionsansatz lernwirksam.
2. Entscheidend ist dabei das Lehrerverhalten. Der gängelnde, fragend-entwickelnde
Unterricht ist wirkungslos. Ein gelegentlich darbietender Unterricht zur Vermittlung
von Orientierungswissen sowie geleitete Dialoge im Frontalunterricht mit direktem
Lehrerverhalten und dem Bemühen, das Verstehen und den Aufbau von prozeduralem
Wissen in den Mittelpunkt des Lehrens zu stellen, bleiben bedeutsam.
3. Ganz wesentlich ist die Erkenntnis, dass auch bei systematischen Lehrplänen
(Mesoebene) im Unterricht (Mikroebene) dem konstruktiven Ansatz genügend
Gewicht gegeben wird. Hier besteht im Schulalltag noch ein grosser Handlungsbedarf.
Vor allem im allgemeinbildenden Unterricht an Berufsschulen und am Gymnasium
herrscht sowohl auf der Meso- als auch auf der Mikroebene die Systematik mit dem
instruktionalen Ansatz noch zu stark vor.
5. Schulpraktische Folgerungen
Die bisherige Darstellung dürfte die Vielgestaltigkeit der einzelnen Aspekte der neuen LehrLern-Theorie deutlich gemacht haben und zum Schluss führen, dass jede einseitige
Festlegung auf eine besonders wirksame Form der Lehrplangestaltung und der
Unterrichtsführung nicht zu den best möglichen Lernergebnissen führt. Obschon leider
umfassende empirische Untersuchungen fehlen, werden zwei alte Erfahrungsregeln weiterhin
ihre Gültigkeit behalten: (1) Jede Gestaltungsform eines Lehrplanes (Mesoebene) und alle
Wege zum Lernen (Mikroebene) haben ihre Stärken und Schwächen sowie erwünschte und
unerwünschte Effekte, wenn die unterschiedlichen Gegebenheiten bei den Schülerinnen und
Schülern und die verschiedenartigen Lernsituationen beachtet werden; und (2) je
vielgestaltiger die anzustrebenden Lernziele sind, desto bedeutsamer wird eine bedachte
Kombination der verschiedenen Ansätze. Nicht ein bestimmter Ansatz, sondern ein
situationsgerechtes breites Repertoire hilft den Lernenden am Meisten. Tabelle 2 schlägt dies
im Sinne von "best practice" vor. Dazu seien zusammenfassend folgende Aspekte
hervorgehoben:
1. Bei der Gestaltung von Lehrplänen wird eine Differenzierung vorgeschlagen: Je
bedeutsamer in einem Lehrgang die kognitiven Aspekte von Wissensstrukturen als
Vorwissen sind, desto ratsamer ist es, anfänglich einen disziplinären, systematischen
Lehrplan zu konzipieren, in welchem die disziplinären Fertigkeiten und
Wissensstrukturen aufgebaut werden, die sowohl für das selbstgesteuerte Lernen als
auch für den späteren interdisziplinären Unterricht unabdingbar sind. Es kann nicht
genügend vor den Tendenzen zur Beliebigkeit der Lerninhalte in kasuistischen
und/oder interdisziplinären Lehrplänen gewarnt werden. Viele Lernschwierigkeiten
älterer Lernenden gehen auf ein nicht verfügbares und genügend strukturiertes
deklaratives, prozedurales und strategisches Wissen sowie auf Schwächen in der
Anwendung von Grundfertigkeiten zurück. Ebenso wichtig sind aber in späteren
Phasen die Fächerintegration (Zusammenfassung mehrerer verwandter Fächer in
einem neuen Fach) und die kasuistischen Lehrpläne (Core Curriculum, d.h. problemoder themenorientierter Aufbau des Lehrplanes), denn vernetztes und
interdisziplinäres Denken muss auch im Lehrplan zum Ausdruck kommen.
Andernfalls verändert sich die traditionelle disziplinenorientierte Schule nicht.
2. Von der Mesoebene zu unterscheiden ist die Mikroebene. Die Unterrichtsgestaltung
muss vielfältig sein. Wichtig ist dabei, dass die Problemorientierung und damit das
Konstruktive in systematischen Lehrplänen sehr früh Eingang findet, weil sie
Lernprozesse wirksamer machen. Dabei ist auf eine gezielte Entwicklung des
Lehrerverhaltens von direkter über indirekte Steuerung bis hin zu Lernberatung und
vom guten angeleiteten Unterricht bis zur Schülerselbsttätigkeit zu achten. Im
Hinblick auf das lebenslange Lernen ist das selbstgesteuerte Lernen bedeutsam. Es
kann aber nicht genug betont werden, dass die Selbststeuerung anfänglich einer sehr
guten Anleitung durch die Lehrperson bedarf. Deshalb ist ein guter Frontalunterricht
mit konstruktiven Dialogen zur Verbesserung des Verständnisses und zur Anleitung
und Interpretation von Lernprozessen (Metakognition) alles andere als überholt.
Seit einiger Zeit wird darüber diskutiert, ob staatlich vorgegebene Lehrpläne durch Leistungsoder Bildungsstandards ersetzt werden sollten. Bei einem positiven Entscheid erhielten die
einzelnen Schulen die Aufgabe, im Rahmen ihrer Schulentwicklungsarbeiten auf die
Standards ausgerichtete eigene Schullehrpläne zu entwickeln. Dieser Prozess kann nur
erfolgreich durchgeführt werden, wenn dogmatische Einseitigkeiten vermieden und ein
breites Repertoire beim Lehrplan und im Unterricht sichergestellt werden. Dazu ist noch viel
differenzierte Arbeit nötig.
Literatur
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"Auftragsabwicklung": Geschäftsprozessmodulierung und rechtliche Aspekte in der
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