Designpraxis Beste Startbedingungen Als „Power Ramping“ bezeichnet man das Anlegen von Spannungen an die verschiedenen Bausteine eines elektronischen Gerätes. Bei komplexen Systemen mit Mikrocontrollern, FPGA, DSP und Peripherie ist es keine triviale Aufgabe, hier die richtige Reihenfolge einzuhalten. Von Derviş H. Günaydin Langsam Einschalten vermeidet Stromspitzen Hat man eingangsseitig eine Gleichstrom-Versorgungsspannung U1 (Bild 1), aus der mehrere kleinere Versorgungsspannungen für unterschiedliche Chips generiert werden sollen, z.B. +1,2 V, +2,5 V und +3,3 V, können beim Einschalten hohe Spitzenströme (in-rush currents) entstehen. Für die EingangsGleichspannung sind in der Praxis +12 V 42 Elektronik embedded September 2013 (Bild: fffranz/Fo tolia.com) U nter Power Ramping versteht man die Reihenfolge, in der Versorgungsspannungen angelegt bzw. abgeschaltet werden. Der Designbzw. Systemingenieur muss sich über die Einschaltreihenfolge Gedanken machen, wenn sein Embedded-System aus komplexen integrierten Schaltungen wie Mikroprozessoren, DSPs (Digital Signal Processors) und FPGAs (Field Programmable Gate Arrays) besteht. Anderenfalls riskiert er Redesigns und Systemfehler und damit Kosten, die das ganze Projekt zum Scheitern bringen können. Moderne FPGAs benötigen z.B. eine andere Spannung für den Core (Ucore) als für ihre I/O-Bänke (UIO). Die I/O-Bänke der FPGAs müssen mehrere Versorgungsspannungen unterstützen, die ohne Power Ramping nicht steuerbar sind. Neben dem Power Ramping der einzelnen Versorgungsspannungen untereinander ist es wichtig, auch ein Augenmerk auf das Verhalten beim Einund Ausschalten des gesamten Embedded-Systems zu legen. oder +24 V üblich. Die entstehenden hohen Spitzenströme können sich pulsartig im Bereich von 10 A bis 100 A oder mehr bewegen, je nach Eingangskapazität des Embedded-Systems. Je höher die Eingangskapazität, desto größer werden die Spitzenströme beim Einund Ausschalten. Müssen große Kapazitäten aufgeladen beziehungsweise entladen werden, so steigt auch der Betrag des Spitzenstroms entsprechend. In Bild 2 ist ein solcher Fall dargestellt. Die hohen Spitzenströme können je nach Einschaltzustand der angeschlossenen Lastkapazitäten (Ladezustand der einzelnen Kondensatoren) unterschiedlich groß sein. In Bild 2 beträgt der Einschaltstrom 35 A (gelbes Signal, Kanal 4). Die Zeitdauer dieser Störung beträgt in diesem Fall ca. 60 µs. Das blaue Signal stellt die DC-Eingangsspannung dar und das rosarote Signal ist die aus der Hauptversorgungsspannung neu generierte niedrigere VersorLastkapazitäten + – U1 C1 C2 C3 RL 12 V/24 V Bild 1. Hohe Lastkapazitäten können sehr hohe Spitzenströme verursachen. gungsspannung. Diese hohen Stromspitzen können unterschiedliche Störungen auf beiden Seiten des Systems hervorrufen. Auf der Spannungsquellenseite, zum Beispiel auf dem externen Netzteil (U1 in Bild 1), können Defekte auftreten, da sehr hohe Ströme entnommen werden. Schäden können genauso auch auf der angeschlossenen Spannungssenke hervorgerufen werden (Bild 1, rechte Seite). Der Begriff Latch-up-Effekt (von englisch: einrasten, auch single event latch-up, SEL genannt) bezeichnet den Übergang eines Halbleiterbauelements in einen niederohmigen Zustand, der zu einem elektrischen Kurzschluss führen kann. Durch diese Störspitzen auf der Versorgungsleitung können Hard- und Software-Fehler verursacht werden. Ein solcher Fehler ist zum Beispiel die Unter- bzw. Überschreitung der zulässigen Spannungsbereiche (Absolute Maximum Ratings) der einzelnen Bauteile. Die Folge kann bis zur Zerstörung der Bauteile des Systems reichen, wird aber mindestens eine Verkürzung der Lebensdauer der Bauteile zur Folge haben, womit die Qualität des Gesamtsystems beeinträchtigt wird. Es können aber auch unvorhersagbare interne Systemzustände hervorgerufen werden, die sehr komplizierte Fehler verur- Designpraxis sachen können und schwer nachvollziehbar sind. Werden von vornherein in der Design­phase des Gesamtsystems die genannten Fehlerquellen ausgeschlossen, dann wird die langfristige Stabilität des Gesamtsystems sowie die damit verbundene Qualität des Produkts gesteigert. Dadurch erreicht man in den kürzeren Entwicklungszyklen qualitativ hochwertige Produkte und reduzierte Entwicklungskosten. Systemfehler vermeiden Folgende Maßnahmen können bereits in der Designphase des EmbeddedSystems in Betracht gezogen werden, um Systemfehler in der Serienphase zu vermeiden, damit Redesigns nicht notwendig und folglich Entwicklungskosten minimiert werden: ➜➜die externe Stromversorgung möglichst wenig kapazitiv belasten, ➜➜die Anstiegszeit (Rise-Time) verlängern; dies wird als „Soft Start“ bezeichnet, ➜➜monotonen Anstieg der Versorgungsspannungen anstreben, ➜➜Spannungsüberschwinger und Spannungseinbrüche vermeiden. Es hat sich in der Praxis gezeigt, dass Lastkapazitäten unter 10 µF nicht Gefahr laufen, hohe Spitzenströme zu verursachen. Auf der anderen Seite kann man für die Verlängerung und die Steuerung der Anstiegszeit bzw. Begrenzung der Ein- und Ausschaltströme Hot Swap Controller einsetzen. In Bild 3 ist das Einschaltverhalten einer größeren Eingangsversorgungsspannung dargestellt. Man erkennt eine lineare Spannungserhöhung mit einer Anstiegszeit von 20,31 ms. In der Praxis genügt meist eine Anstiegszeit im Bereich von 3 bis 10 ms vollkommen. Sie kann je nach Anwendung nach oben oder unten variieren. Man kann von einer gut ausgelegten Spannungsversorgung ausgehen, wenn zur passenden Anstiegszeit keine zusätzlichen Spannungsspitzen und Spannungseinbrüche zu verzeichnen sind. Bild 2. Spitzenströme bei hohen Eingangskapazitäten und schnellem Einschalten. FPGAs sind es bis zu acht Input/OutputBänke, die unterschiedliche Versorgungsspannungen verlangen, da das FPGA an unterschiedliche Bauteile angeschlossen werden muss, beispielsweise an einen 2,5-V-Analog-DigitalUmsetzer (ADC) und an einen 1,8-VDDR3-SRAM. In der Regel fordert der Hersteller des FPGA, dass die CoreVersorgungsspannung vor der I/O-Versorgungsspannung angelegt wird. Ein Gigabit-Ethernet-Switch braucht eine andere Core-Versorgungsspannung als die Center-Tap-Spannung und I/OSpannungsversorgung. Bei manchen Applikationen kann es vorteilhaft sein, wenn die unterschiedlichen Versorgungsspannungen gleichzeitig angelegt werden können (vgl. Bild 3). Bild 4 stellt das Power Sequencing mit drei Versorgungsspannungen 1,2 V, 1,9 V und 2,5 V, dar. Die Toleranzen der Versorgungsspannungen liegen in der Regel bei 5 %. Die Vorgaben des Bauteilherstellers besagen, dass zu keinem Zeitpunkt niedrigere Spannungen die höher angesetzten Spannungen übersteigen dürfen, dass beispielsweise die auf 1,2 V zu begrenzende Versorgung 1,9 V bzw. 2,5 V nicht übersteigt. Die gleiche Anforderung gilt für die nächsthöhere Spannung von 1,9 V. In Bild 3 sind die niedrigeren Versorgungsspannungen maximal so hoch wie die größeren Versorgungsspannungen. Damit werden die Anforderungen des Herstellers eingehalten und Systemfehler vermieden. Ramp-up – geordnetes Einschalten Komplexe integrierte Schaltungen, wie zum Beispiel FPGAs oder Gigabit-Ethernet-Switches, benötigen neben der Core-Spannungsversorgung noch zusätzliche Spannungsversorgungen. Bei Bild 3. Langsames Einschalten mit Anstiegszeit (rise time) = 20,31 ms. Elektronik embedded September 2013 43 Designpraxis Bild 4. Gleichzeitiges Ramp-up von drei Versorgungsspannungen. Dabei wird darauf geachtet, dass die niedriger ausgelegten Versorgungsspannungen zu keinem Zeitpunkt die jeweils nächsthöhere übersteigen, gemäß den Vorgaben des Herstellers. liertes Power Sequencing des FPGA beim Ramp-down, der mit einem Datenspeicher kommuniziert, kann zur Zerstörung der Daten an dem angeschlossenen Datenspeicher führen. Das ist dann der Fall, wenn sich der Datenspeicher im Betrieb befindet, der ansteuernde FPGA hingegen durch die Abschaltung in einen undefinierten Zustand übergeht und deswegen falsche Steuerbefehle an den Datenspeicher sendet. Dadurch können Daten aus dem Speicherelement verloren gehen. Hier muss der Systemdesigner seinen Blick vom Chip auf das Gesamtsystem richten. Bild 5 stellt das Power Sequencing von drei unterschiedlichen Versorgungsspannungen beim Abschalten dar. Diese drei Spannungen versorgen ein einziges Bauteil. Die kleinste Spannung von 1,2 V, Kanal 2 (blau), versorgt den Bauteilkern, die anderen Versorgungsspannungen von 1,9 V (rosa) und 2,5 V (gelb) die jeweiligen Input-/Output-Bänke. Die Anforderung der Abschaltung ist hierbei wie beim Power Sequencing des Einschaltens, dass die niedrigere Spannung zu keinem Zeitpunkt höher werden darf als die höheren Versorgungsspannungen. Sicherer Betrieb durch Einhaltung der Bauteilspezifikationen Bild 5. Ramp-down von drei Versorgungsspannungen. Auch hierbei gilt die Vorgabe des Herstellers, dass wie beim Einschalten eine niedrig spezifizierte Spannung die höheren Spannungen zu keinem Zeitpunkt übersteigen darf. Die alleinige Einhaltung der Anforderungen bezüglich Ramp-up gibt dem Systemdesigner keinen Freibrief, die Anforderungen des Ramp-down zu vernachlässigen. Beim Abschalten der Versorgungsspannungen können die Bauteile ebenso gefährdet werden. Vermeidung von Systemfehlern durch richtiges Abschalten Beim Abschaltung von Versorgungsspannungen ist es genauso wichtig, die Reihenfolge einzuhalten wie beim Einschalten, da die Verletzung der „Abso44 Elektronik embedded September 2013 lute Maximum Ratings“ neben Systemfehlern auch zu Bauteilzerstörungen beim Abschalten führen kann. Komplexe Embedded-Systeme enthalten neben den Mikrocontrollern, DSPs und FPGAs meist noch Elemente zur Datenspeicherung. In diesem Fall reicht es nicht aus, die Anforderungen eines Bauteiles bezüglich Power Sequencing zu erfüllen. Der Systemdesigner muss hier das Gesamtsystem betrachten. Er muss in diesem Fall bei der Abschaltung von Versorgungsspannungen auch auf die Zugriffe der Bauteile untereinander achten. Ein unkontrol- Je nach Hersteller und Art der integrierten Schaltung werden dem Systemdesigner unterschiedliche Power-Sequencing- bzw. Ramp-up-/down-Anforderungen gestellt. Der Systemdesigner muss alle Bedingungen bezüglich Ramp-up/down erfüllen, möchte er keine Risiken und Fehlfunktionen in seinem System vorfinden. In der Praxis kommt es oft vor, dass man das Datenblatt des Herstellers bis zu drei Mal lesen muss, damit man das Kleingedruckte, in diesem Fall die Anforderungen bezüglich der Einschaltreihenfolge, findet und versteht. jk Derviş Günaydin ist Ingenieur der Nachrichtentechnik. Er ist seit vielen Jahren bei Mixed Mode beschäftigt und hat seine Kernkompetenzen im Bereich HardwareEntwicklung, insbesondere ASIC/FPGA. [email protected]