Wenn Blut fließt - Stiftung Weltethos

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»Wenn Blut fließt …«
Um die Welt geht ein Video, das Mohammed schmäht. Zornige Muslime
schlagen zurück. Ist Religion Motor von Gewalt?
Fragen an den Friedens- und Konfliktforscher Markus Weingardt
Von Britta Baas
Herr Weingardt, ein Schmähvideo erschüttert
die Welt: Muslime in vielen Ländern wehren
sich mit Gewalt dagegen; es gibt Todesopfer. Ist
das das Ende Ihrer Hoffnung auf ein Weltethos,
das Menschen verbindet?
Markus Weingardt: Im Gegenteil. Die Ereig­
nisse zeigen, dass ein Weltethos nötiger ist
denn je. Den gewalttätigen Reaktionen auf
das Hassvideo schließt sich weltweit nur eine
verschwindende Minderheit der Muslime an.
Den meisten ist das Video schlichtweg egal,
oder sie reagieren gewaltlos. Gleichwohl
bietet das Weltethos eine wichtige Basis ge­
meinsamer Werte für den Dialog auch mit
radikalen Gläubigen an.
Es sind nicht Massen von Muslimen, die sich
jetzt mit Gewalt wehren?
Weingardt: Diesen Eindruck produzieren die
Medien. In Libyen waren es schätzungsweise
2000 Menschen, die sich den Gewaltprotes­
ten angeschlossen haben. Dass am nächs­
ten Tag über 20 000 Menschen gegen diese
Gewalt protestiert haben, hat kaum noch je­
mand berichtet. Durch solche Mechanismen
entsteht der Eindruck, »die« Muslime seien
gewalttätig. In Indien etwa, wo die zweit­
größte muslimische Gemeinschaft der Welt
lebt, geschah gar nichts.
Warum läuft das so? Sind Religionen nur interessant, wenn sie Gewalt produzieren?
Weingardt: Medien richten ihr Interesse ge­
nerell primär auf Gewaltprozesse. Es gilt:
»When it bleeds it leads« – wenn Blut fließt,
ist das eine Meldung wert. Dass Religionen
in diesem Zusammenhang einer besonderen
Aufmerksamkeit ausgesetzt sind, hat viele
Gründe. In der Mainstream-Meinung sind sie
gefährlich und immer konfliktverschärfend.
Die friedensstiftende Rolle von Religionen
ist hingegen überhaupt nicht im Blick. Vielen
Journalisten und Politikern ist sie auch nicht
bekannt.
Bestätigt die Wirklichkeit nicht die Mainstream-Meinung? Es gibt sechzig Tote, weil
sich Muslime beleidigt fühlen …
Weingardt: Natürlich eignet sich Religion
sehr gut dazu, gewalttätige Konflikte an­
zuheizen. Sie ist – darin ist man sich in der
Forschung heute weitgehend einig – fast nie
die Ursache von Konflikten, wirkt aber als
Brandbeschleuniger. Denn Religion ist für
viele Menschen ein wichtiger Faktor ihrer
Identität. Sie kann diese Identität nach innen
und nach außen stärken. Das ist besonders
in Modernisierungskonflikten, wie wir sie
gerade in einigen arabischen Ländern erle­
ben, sehr wichtig für die Menschen. Zumal,
wenn sie zu den Verlierern dieser Transfor­
mationen gehören. Wenn ihnen Elend droht,
wenn traditionelle Werte und soziale Struk­
turen verfallen, neigen viele dazu, auf einfa­
che Antworten religiöser Leitfiguren zu hö­
ren, die ihnen wieder Halt und Orientierung
geben. Diese Mechanismen haben auch jetzt
funktioniert. Wobei man nicht übersehen
darf, dass es bei den jetzigen Protesten auch
um inner-islamische Machtkämpfe geht.
Artikel: »Wenn Flut fließt …« – © publik forum, Ausgabe 19/2012 – Seite 1
Die Gruppenmitglieder müssen gute Er­
folgschancen sehen, damit sie mitmachen.
Oder ihr Dasein muss so elend sein, dass
ihnen die Todesgefahr unwichtig wird. Wenn
Menschen dagegen viel zu verlieren haben –
wie in Deutschland, wo das Leben der meis­
ten gut abgesichert ist, wo Religionsfreiheit
Dass so etwas funktionieren kann, setzt vor- herrscht und Religion gleichzeitig für viele
aus, dass die persönliche Religiosität beleidig- nicht mehr so wichtig ist –, ist Gewalt ein viel
bar ist, dass Wut und Aggression überhaupt zu großes, ja ein unnötiges Risiko.
entstehen. Die Karikatur eines inkontinenten
Papstes auf dem Titel des Satiremagazins Sie sagen, es gehe um Wertekonflikte und
­»Titanic« hat jüngst keinen wütenden Chris- den Grad menschlicher Opferbereitschaft. In
ten-Mob durch Deutschlands Straßen ziehen westlichen Gesellschaften wird stattdessen
oft argumentiert, das Problem sei eine Frage
lassen. Wo liegt der Unterschied?
der Bildung. Sei erst einmal ein gewisser BilWeingardt: Der Unterschied liegt nicht zwi­ dungsstandard westlicher Prägung in die ganschen Christen und Muslimen. Auch der ze Welt exportiert, seien Konflikte wie der um
allergrößte Teil der Muslime hat ja auf das das Schmähvideo nicht mehr denkbar.
antimuslimische Schmähvideo völlig ge­
waltlos reagiert. Der Anteil derer, die sich Weingardt: Die Neigung zur Gewalt hängt
an der Gewalt beteiligt haben, liegt im Be­ nicht unbedingt mit Bildung zusammen. Ich
reich von 0,000x Prozent. Trotzdem sprechen nannte bereits Indien, wo es keine flächende­
Sie eine wichtige Frage an: Wodurch lassen ckend hohen Bildungsstandards gibt und die
sich Menschen zur Gewalt verführen? Die, Muslime auf das Schmähvideo bislang den­
die zur Gewalt aufrufen, überlegen sich je­ noch friedlich reagiert haben. Und Deutsch­
denfalls vorher, ob ihre Anhänger ihnen land war vor siebzig Jahren ein durchaus
folgen werden. Wenn die Antwort »ja« ist, gebildetes Land; das hat eine Vielzahl von
dann wird diese Mobilisierung in den aller­ Deutschen aber nicht davon abgehalten, die
meisten Fällen auch erfolgen. Ist die Antwort Juden mit brutaler Gewalt zu verfolgen.
»nein«, dann werden sie davon zurückste­
hen. Entscheidend für die Mobilisierbarkeit Bildung hilft nicht?
der Anhänger ist erstens die Frage: Geht es
um einen Interessenkonflikt, der prinzipiell Weingardt: Nur bedingt. Wichtig wäre es, die
kompromissoffen ist? Oder geht es um einen friedensorientierten Überlieferungen und
Wertekonflikt? Streiten wir beispielsweise Vorbilder in den Religionen zum Thema zu
um Land – oder um »Heiliges Land«? Bei machen. Eine solche religiöse Bildung könn­
Wertekonflikten kochen die Gemüter, weil es te vor Gewaltausbrüchen schützen.
um Identität geht, um den Kern des Selbst­
verständnisses einer Person oder Gruppe. Wie kann Religion das Gegenteil von Gewalt
Zum Zweiten hängt die Frage der Mobilisier­ bewirken? Und wo tut sie es?
barkeit von der Opferbereitschaft der Grup­
penmitglieder ab. Gewalt anzuwenden, dabei Weingardt: Es gibt viele Fälle, in denen re­
ein hohes Risiko für das eigene Leben ein­ ligiöse Akteure zur Deeskalation eines Kon­
zugehen, erfordert große Opferbereitschaft. flikts oder zur Überwindung von Gewalt bei­
Beispielsweise in Ägypten, wo Salafisten und
Muslimbrüder um Einfluss konkurrieren. Da
nutzen die Salafisten jede Gelegenheit, der
Welt zu zeigen: ›Schaut her: Wir sind die
wahren Hüter des Glaubens!‹ Zu diesem
Zweck wird jetzt auch das Video genutzt.
Artikel: »Wenn Flut fließt …« – © publik forum, Ausgabe 19/2012 – Seite 2
getragen haben. Bis hin zur Vermittlung von
Friedensverträgen, wie es der katholischen
Laienbewegung von Sant’Egidio im Bürger­
krieg von Mosambik gelungen ist, Anfang
der 1990er-Jahre. Im Zenit des Bürgerkrie­
ges begannen die Akteure von Sant’Egidio
eine Vermittlungsaktion, die nach zwei Jah­
ren zum Abschluss eines Friedensvertrages
führte. Sie waren gerade aufgrund ihrer Re­
ligiosität geeignete Vermittler. Im Mosam­
bik waren beide Konfliktparteien katholisch,
aber ähnliche Beispiele finden wir auch in
gemischtreligiösen Konfliktkonstellationen,
etwa im Sudan.
angegriffen fühlen. Trotzdem vermute ich,
dass sich die Wogen glätten werden. Inter­
essanterweise konnte man beim jüngsten
Papstbesuch im Libanon Mitte September
beobachten, dass sich die Hisbollah zurück­
gehalten und sogar ein gemeinsames christ­
lich-islamisches Gebet akzeptiert hat. Mit
den Aufrufen zur Gewalt hat man abgewar­
tet, bis der Papst abgereist war. Das macht
deutlich, dass zwischen den Religionen doch
ein gewisser Respekt vorhanden ist.
Weingardt: Ich vermute, dass sich die Auf­
regung um dieses unsäglich dumme Video
legen wird. Aber es ist eben nicht nur dumm,
es ist auch böswillig und verleumderisch.
Und deshalb ist es nachvollziehbar, dass sich
Menschen in ihrer Religiosität und Identität
Weingardt: Ja, das würde ich. Denn meines
Erachtens kommt die Meinungsfreiheit hier
an Grenzen. Es gibt kein Grundrecht auf Bös­
willigkeit oder Verleumdung. Im Gegenteil,
die Meinungsfreiheit wird verschiedentlich
eingeschränkt, etwa wo es um üble Nach­
Eine makabere Analyse! Das Führungspersonal der Religionen hat Respekt voreinander,
aber sobald ein Treffen vorbei ist, die Kameras
Waren oder sind irgendwo auf der Welt auch nicht mehr laufen, packt man die Keule wieder
aus? Das spricht nicht dafür, dass die Idee eiMuslime als Friedensstifter unterwegs?
nes Weltethos durchsetzbar ist.
Weingardt: In Ruanda, dem christlichsten
Land Afrikas, haben Muslime – als einzige Weingardt: Ich akzeptiere, dass Sie das ma­
Bevölkerungsgruppe – friedensstiftend ge­ kaber finden. Aber ich sehe in der – wenn
wirkt, indem sie sich während des Genozids auch kurzzeitig – befriedenden Wirkung
1994 der Gewalt verweigert und den Flücht­ des Papstbesuchs im Libanon das Positive:
lingen aktiv geholfen haben. Ein zweites Bei­ Es zeigt doch, dass religiöse Akteure gro­
spiel: Zu Zeiten Gandhis gab es im damali­ ße Chancen haben, in religiös grundierten
gen Britisch-Ostindien einen muslimischen Konflikten vermittelnd aktiv zu werden. Ent­
Friedensaktivisten, Khan Abdul Ghaffar scheidend ist, dass der Akteur selbst – in
Khan, der ähnlich wie Gandhi Gewaltlosig­ diesem Fall der Papst – mit Respekt wahrge­
keit propagiert und praktiziert hat, in seinem nommen wird, dass man ihn akzeptiert und
Fall gestützt auf den Koran. Und auch die seine Position anzuhören bereit ist. Reden
Jemenitin Tawakkul Karman, Friedensno­ und zuhören sind der Beginn des Friedens,
und er gedeiht am besten auf der Basis ge­
belpreisträgerin 2011, ist Muslimin.
meinsamer ethischer Standards.
Wenn Religionen also nicht nur ein Gewalt-,
sondern auch ein Friedenspotenzial haben, Wenn Sie der deutsche Innenminister wären:
könnten sie es jetzt nutzen, um die Konflikte Würden Sie eine öffentliche Vorführung des
um das Schmähvideo zu befrieden? Ist »Frie- Schmähvideos, wie rechte Initiativen sie planen, verbieten?
den schaffen ohne Waffen« noch möglich?
Artikel: »Wenn Flut fließt …« – © publik forum, Ausgabe 19/2012 – Seite 3
rede, Verleumdung oder Beleidigung geht.
Das sind Straftatbestände im deutschen
Gesetz. Hier wird Meinungsfreiheit aus gu­
ten Gründen begrenzt. Und ich meine, die­
se Gründe müssten auch bei einem solchen
Video zum Tragen kommen. Es geht darin
weder um Aufklärung noch um Kunst oder
Satire. Es geht nur um die böswillige Ver­
leumdung einer Religion.
Das Schmähvideo
»Die Unschuld der Muslime« ist der Titel ei­
nes Videos, dessen Trailer auf YouTube zu se­
hen ist. Die englischsprachige Version wur­
de bereits im Juli 2012 veröffentlicht. Doch
erst als Anfang September eine arabische
Version zu kursieren begann, schnellten die
Klickzahlen nach oben. Mit dem 11. Septem­
ber – dem Jahrestag des Anschlags auf das
World Trade Center – begann die intensi­
ve Berichterstattung über blutige Proteste
weltweit: Vor allem im Nahen und Mittleren
Osten demonstrieren Muslime auch weiter­
hin gegen das Schmähvideo. Bei gewaltsa­
men Auseinandersetzungen sind nach offi­
ziellen Angaben bislang etwa sechzig Men­
schen ums Leben gekommen. Ziel der An­
griffe sind amerikanische Botschaften und
Diplomaten westlicher Länder, aber auch
Muslime, die sich gegen die Gewalt wenden.
Experten gehen davon aus, dass weniger
als 0,01 Prozent der islamischen Weltbe­
völkerung zu den zornigen Demonstranten
gehört und darunter nur ein Teil gewalttätig
ist. Unterdessen ist in islamistischen Inter­
netforen auch zu Anschlägen in Deutschland
aufgerufen worden. Die Macher des Videos
sitzen in den USA: Als Produzent wurde der
Kopte Nakoula Basseley Nakoula enttarnt,
der mit einer rechten evangelikalen Gruppe
zusammenarbeitete, zu der der Hasspredi­
ger Terry Jones gehört. Die Darsteller des
Videos wussten angeblich nicht, was ihnen
geschah: Es wurde nach Fertigstellung neu
vertont und erst dann in einen antimuslimi­
schen Zusammenhang gebracht.
Britta Baas
Aus: Publik-Forum, kritisch – christlich – unabhängig, Oberursel, Ausgabe 19/2012.
Mehr im Interview mit Satiriker Jesko Friedrich: www.publik-forum.de/politik-gesellschaft
Markus Weingardt, geboren 1969, promo­
vierter Sozialwissenschaftler, ist Friedensund Konfliktforscher. Seit 2001 ist er Mitar­
beiter der Stiftung Weltethos in Tübingen und
war 2006 Mitbegründer des Forschungsver­
bundes »Religion und Konflikt«. Unter ande­
rem veröffentlichte er das Grundlagenwerk
»Religion Macht Frieden« (Kohlhammer
2007, Bundeszentrale für politische Bildung
2010).
Artikel: »Wenn Flut fließt …« – © publik forum, Ausgabe 19/2012 – Seite 4
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