Sibirische Köstlichkeit Die nordische Maibeere (Lonicera kamtschatica) verwöhnt uns schon im Mai mit ihren süsssauren Früchtchen. Die anspruchslose Pflanze ist hart im Nehmen und lässt sich problemlos im Garten oder selbst auf dem Balkon ziehen. Text und Fotos: Kurt Forster D ie erfrischenden, länglichen, in der Farbe heidelbeerähnlichen Früchtchen kann man schon im Mai ernten. Sie sind reich an Vitamin C, enthalten auch Vitamin B und Carotin. Je nach Sonneneinstrahlung sind die länglichen Beeren im Geschmack süss-säuerlich bis süss. In ihren Heimatgebieten mit den harten, langen Wintern ist die Vegetationszeit nur kurz. Für Blüte und Heranreifen 42 Natürlich | 5-2004 der Beeren bleiben 3 Monate. In Herisau AR, auf 800 m Höhe, blühen die Sträucher selbst bei Schnee. Minustemperaturen vermögen die Blüten nicht zu schädigen. Die zarten, gelb-weissen Glöckchen erscheinen bereits im März, meist kurz vor den gelben Forsythienblüten. Sie sind wie die Weidekätzchen eine frühe, gute Bienenweide. Die behaarten Blättchen erscheinen etwas später, erst nach der Blüte. In Sibirien bei minus 40 °C Im östlichen Russland in Sibirien, dem Kaukasus, im Norden Chinas und auf den Inseln rund um das Ochotskische Meer, den Kurilen und Sachalin, ist die Maibeere heimisch. Ihren Namen «Lonicera kamtschatica» hat sie von der ostsibirischen Halbinsel Kamtschatka erhalten. Zwischen Birken und Föhren im lichten Unterholz am feuchten Waldrand oder Bachufer liegen die bevorzugten Stand- Sie lässt sich von Schnee und Kälte nicht beeindrucken: die nordische Maibeere (Lonicera kamtschatica) orte der Maibeere. Diesen Ansprüchen gemäss gedeiht sie am besten im Halbschatten, wobei Sonnenschein die Reife der Beeren beschleunigt. Sie stellt geringe Bodenansprüche, liebt aber einen feuchten, humosen Boden. Die Maibeere, das zähe Geissblatt, erträgt selbst Minustemperaturen bis minus 40 ° C problemlos. Zähe, kletternde Verwandte Die Maibeeren sind nicht mit den ihnen sehr ähnlichen Kulturheidelbeeren (Vaccinium myrtillus) verwandt, sondern sie gehören zur Familie der Geissblattgewächse. Die Gattung Lonicera umfasst über 200 Arten. Bei uns sind die Geissblattgewächse vor allem als Zierpflanzen bekannt. Besonders beliebt zum Beranken von Pergolen ist Lonicera caprifolium, ein Schlinggewächs mit cremefarbenen, stark duftenden Blüten, das während Monaten unseren Sitzplatz mit seinem Duft verzaubert; mit Lonicera Japonica lassen sich unansehnliche Winkel begrünen. Als Wildpflanzen kennen wir aus unseren lichten Laubwäldern vielleicht das Jelängerjelieber, das echte Geissblatt (Lonicera caprifolium), das Waldgeissblatt (Lonicera periclymenum), die rote Garten NATUR Heckenkirsche (Lonicera xylosteum), die giftige blaue Heckenkirsche (Lonicera caerulea) oder die Schwarze Heckenkirsche (Lonicera nigra). Die Alpenwälder sind die Heimat der Alpen-Heckenkirsche (Lonicera alpigena). Rasch verzehren Der Platzbedarf eines Maibeerstrauches beträgt etwa einen Quadratmeter. Die Sträucher brauchen weder Dünger noch Spritzmittel gegen Schädlinge. Sie lieben aber, ihrem Heimatstandort gemäss, einen feuchten, gut gemulchten Boden. Sie benötigen nicht wie die Kulturheidelbeeren einen sauren, torfigen Boden, sondern sind mit normaler Gartenerde zufrieden. Weil die Pflanzen eine sehr kurze Vegetationszeit haben, welken die Blätter oft schon im Sommer. Damit sie ihre Blätter nicht zu früh verlieren, hält man den Boden gut feucht. Da die Pflanzen gegenMinustemperaturen äusserst widerstandsfähig sind, kann man sie auch in Töpfen, die im Winter im Freien stehen bleiben, auf dem Balkon oder der Veranda ziehen. Die neuen, dünnen Triebe wachsen langsam vom Boden aus. Nach einigen Jahren stehen sie meist zu dicht und benötigen einen Auslichtungsschnitt. Nach 5 bis 6 Jah- ren erreichen die Büsche ihre Maximalgrösse von 1,5 m. Am besten pflanzt man die Sträucher im frühen Frühling, aber auch eine Herbstpflanzung wird erfolgreich sein. Die beste Befruchtung wird erzielt, wenn man mehrere Pflanzen von verschiedenen Sorten zusammen pflanzt. Die etwa 2 cm langen blauen Beeren kann man im Mai gestaffelt ernten. Die Maibeeren sind nicht so ertragreich wie gut gedeihende Kulturheidelbeeren. Sie sind am besten für den Frischverzehr oder das Birchermüesli geeignet, können aber auch zu Marmelade verarbeitet werden. Da verschiedene Vögel die blaue Köstlichkeit lieben, muss die Kultur an gewissen Standorten mit einem Vogelschutznetz bedeckt werden. ■ Bezugsquellen Aus verschiedenen Lonicera-Wildformen wurden für unsere Gärten geeignete unterschiedliche Maibeeren herausgezüchtet und teilweise patentiert. Bei der Firma Häberli in Neukirch-Egnach kann man die beiden Maibeerarten «Maistar» und «Mailon» beziehen. Daneben existiert noch die Art «Maitop». Der Maibeerzüchter Pavel Beco (071 377 19 24) auf seinem Schaubauernhof Albisboden in Dicken nahe St. Peterzell arbeitet mit Lonicera-Arten aus der Tschechei. Etwa die Art «Blue Velvet» oder die «Kamtschatka-Heidelbeere». Wenn alles noch kahl ist, trägt die Maibeere schon einen zart gelb-weissen Blütenschmuck: frühe Bienenweide im März Im Frühling von Vögeln und Menschen begehrt: die länglichen, süsssauren Maibeeren