Wider die ökonomisierte Medizin

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Forschung & Lehre
S TA N D P U N K T
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Wider die ökonomisierte
Medizin
Die
unangemessene
Übertragung ökonomischer Rationalität auf
die Medizin kann auf
Dauer nicht gut gehen.
Nicht einmal die erhoffte Reduktion der
Kosten ist eingetreten.
Stattdessen ist eher eine Zunahme an lukrativen Eingriffen zu verzeichnen, allerdings oft
mit
fraglicher IndikaGiovanni Maio
tion.
Schwerwiegender
ist Professor für Medizinethik an der Albert-Ludwigsnoch ist die sukzessive
Universität Freiburg.
Deformation ärztlichfürsorglicher Logik.
Heute wird den
Ärzten implizit beigebracht, die Patienten in ökonomische Kategorien einzuordnen und bei jedem
Patienten mit zu reflektieren, welche Bilanz er verspricht. Eine schlechte Bilanz versprechen vor allem chronisch Kranke, Patienten mit vielen
Krankheiten, Patienten mit einem Komplikationsrisiko, Patienten mit hohem Versorgungsaufwand.
Solche Patienten versucht man eher zu meiden,
weil sie aus dem Raster der Effizienz fallen. Die
soziale Frage, wie man Menschen helfen kann,
wird ersetzt durch die strategische Frage, wo sich
Hilfe noch rentiert. Je unsicherer das vorzuweisende Ergebnis wird, desto größer ist der Rechtfertigungsdruck, sich der hilfsbedürftigen Person überhaupt anzunehmen. Wenn das betriebswirtschaftliche Interesse die Not des Betroffenen so sehr
überlagert, dass der Kranke nicht als Aufruf zur
Hilfe, sondern als Gefährdung der Bilanzen gesehen wird, dann führt dies zu einer Entfremdung
der helfenden Berufe von ihrer eigenen Identität
und stürzt sie damit in eine Sinnkrise ihres Tuns.
Diese Sinnkrise wird dadurch verstärkt, dass
unter der ökonomischen Vorherrschaft auch eine
neue Kultur des Umgangs mit dem Patienten etabliert wird. Die Ärzte liefern nach wie vor eine hohe technische Qualität, aber sie sparen an der
Kontaktzeit mit dem Patienten. Weil der ökonomisierte Betrieb komplett durchgetaktet ist, wird für
alles, was außerhalb des vorgegebenen Taktes
liegt, keine Zeit vorgehalten. So wird eine Betriebsamkeit etabliert, die es den Ärzten geradezu verunmöglicht, spontan auf den Patienten zu reagieren und wirklich auf ihn einzugehen. Resultat ist
die Einführung einer strukturell bedingten Unpersönlichkeit zwischen Arzt und Patient. Belohnt
wird nicht der gewissenhafte Arzt, der sich Zeit
nimmt und sich persönlich engagiert, sondern der
Arzt, der ohne großen Aufwand an Zeit und Material schnelle Entscheidungen fällt. Viele Ärzte aber
haben dann das Gefühl, für so eine Form von Medizin nicht angetreten zu sein, als sie die Hörsäle
besuchten. Es wird immer deutlicher: Wenn die
Medizin nur noch der ökonomischen Logik folgt,
wird sie am Ende keine Medizin mehr sein. Daher
muss sich die Medizin auf ihre soziale Grundidentität besinnen und für eine solche Implementierung ökonomischen Denkens eintreten, die es ihr
ermöglicht, das zu bleiben, was sie aus Sicht der
Patienten sein muss: eine Disziplin der authentischen Sorge für den ganzen Menschen.
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