4|13 Forschung & Lehre S TA N D P U N K T 261 Wider die ökonomisierte Medizin Die unangemessene Übertragung ökonomischer Rationalität auf die Medizin kann auf Dauer nicht gut gehen. Nicht einmal die erhoffte Reduktion der Kosten ist eingetreten. Stattdessen ist eher eine Zunahme an lukrativen Eingriffen zu verzeichnen, allerdings oft mit fraglicher IndikaGiovanni Maio tion. Schwerwiegender ist Professor für Medizinethik an der Albert-Ludwigsnoch ist die sukzessive Universität Freiburg. Deformation ärztlichfürsorglicher Logik. Heute wird den Ärzten implizit beigebracht, die Patienten in ökonomische Kategorien einzuordnen und bei jedem Patienten mit zu reflektieren, welche Bilanz er verspricht. Eine schlechte Bilanz versprechen vor allem chronisch Kranke, Patienten mit vielen Krankheiten, Patienten mit einem Komplikationsrisiko, Patienten mit hohem Versorgungsaufwand. Solche Patienten versucht man eher zu meiden, weil sie aus dem Raster der Effizienz fallen. Die soziale Frage, wie man Menschen helfen kann, wird ersetzt durch die strategische Frage, wo sich Hilfe noch rentiert. Je unsicherer das vorzuweisende Ergebnis wird, desto größer ist der Rechtfertigungsdruck, sich der hilfsbedürftigen Person überhaupt anzunehmen. Wenn das betriebswirtschaftliche Interesse die Not des Betroffenen so sehr überlagert, dass der Kranke nicht als Aufruf zur Hilfe, sondern als Gefährdung der Bilanzen gesehen wird, dann führt dies zu einer Entfremdung der helfenden Berufe von ihrer eigenen Identität und stürzt sie damit in eine Sinnkrise ihres Tuns. Diese Sinnkrise wird dadurch verstärkt, dass unter der ökonomischen Vorherrschaft auch eine neue Kultur des Umgangs mit dem Patienten etabliert wird. Die Ärzte liefern nach wie vor eine hohe technische Qualität, aber sie sparen an der Kontaktzeit mit dem Patienten. Weil der ökonomisierte Betrieb komplett durchgetaktet ist, wird für alles, was außerhalb des vorgegebenen Taktes liegt, keine Zeit vorgehalten. So wird eine Betriebsamkeit etabliert, die es den Ärzten geradezu verunmöglicht, spontan auf den Patienten zu reagieren und wirklich auf ihn einzugehen. Resultat ist die Einführung einer strukturell bedingten Unpersönlichkeit zwischen Arzt und Patient. Belohnt wird nicht der gewissenhafte Arzt, der sich Zeit nimmt und sich persönlich engagiert, sondern der Arzt, der ohne großen Aufwand an Zeit und Material schnelle Entscheidungen fällt. Viele Ärzte aber haben dann das Gefühl, für so eine Form von Medizin nicht angetreten zu sein, als sie die Hörsäle besuchten. Es wird immer deutlicher: Wenn die Medizin nur noch der ökonomischen Logik folgt, wird sie am Ende keine Medizin mehr sein. Daher muss sich die Medizin auf ihre soziale Grundidentität besinnen und für eine solche Implementierung ökonomischen Denkens eintreten, die es ihr ermöglicht, das zu bleiben, was sie aus Sicht der Patienten sein muss: eine Disziplin der authentischen Sorge für den ganzen Menschen.