Entspannt und achtsam zur inneren Ruhe Ständig diese Sorgen – die Gedanken kommen nicht mehr zur Ruhe. Irgendwann macht Stress krank. Buddhistische Meditation kann helfen. Es geht dabei zwar auch um Entspannung. Man lernt aber vor allem, besser mit negativen Gefühlen umzugehen. Chronischer Stress wird vielleicht deshalb unterschätzt, weil er so allgegenwärtig geworden ist. Viele Menschen haben das Gefühl, permanent unter Druck zu stehen und nicht mehr zur Ruhe zu kommen. Die einen suchen Ausgleich im Sport, andere in der Partnerschaft oder in der Kirche. Manche wenden sich dem Buddhismus zu, nicht nur wegen der Popularität des Dalai Lama und spiritueller Neugier. Für viele Menschen im Westen ist er mehr Lebensphilosophie als Religion. Meditation spielt dabei eine zentrale Rolle. Im buddhistischen Zentrum in Berlin öffnet kein tibetischer Mönch die Tür, sondern Nadia Wyder. Sie gibt einmal pro Woche eine Einführung in den Buddhismus, danach wird gemeinsam meditiert. Die Gäste kommen aus unterschiedlichen Gründen in das Zentrum: "Neugier, wegen Freunden, Suche nach dem Sinn des Lebens, Umbruchsituationen im Leben", erzählt die Buddhistin. Der Dachverband Deutsche Buddhistische Union (DBU) schätzt die Zahl der Buddhisten in Deutschland auf etwa 250.000. Der Buddhismus setzt sich aber aus verschiedensten Strömungen und Lehren zusammen, die für den Laien schwer zu durchschauen sind. Achtsamkeitsübungen beruhigen den Geist Eine buddhistische Praxis, auf die Stressforscher und Therapeuten verstärkt ihren Blick richten, ist die Achtsamkeitsmeditation. "Das Training der Achtsamkeit ist Bestandteil aller Schulen", erklärt Wyder. "Wir hören meist ein inneres Geschwätz, das wir gar nicht bewusst wahrnehmen." Bei der Meditation gehe es darum, den Geist an einer Stelle zu halten, indem man sich zum Beispiel auf den Atem konzentriert. "So einfach es klingt, so schwierig ist es." Der Meditierende durchläuft vier Phasen: fokussieren, abdriften, das Abdriften bemerken, refokussieren. Dadurch lernt er mit der Zeit, Abstand zu schlechten Gefühlen zu bekommen. "Man versteht, dass alle Gefühle vergänglich sind", sagt Wyder. "Das Gefühl war fünf Minuten vorher nicht da und wird auch fünf Minuten später wieder verschwunden sein, es wäre also Unsinn, ihm jetzt zu folgen." Die Erkenntnis: "Das Glück entsteht im eigenen Geist. Die Welt selbst ändert sich nicht." Achtsamkeitsmeditation interessiert auch Ulrich Ott vom Bender Institute of Neuroimaging an der Universität Gießen. "Dazu ist die Forschung in den letzten Jahren extrem angestiegen." Das klinische Meditationsverfahren MBSR sei inzwischen weit verbreitet. "Es ist aus der buddhistischen Tradition abgeleitet, aber weltanschaulich neutral." Stress wird abgebaut und vorgebeugt Meditation ist nicht nur ein Weg, um Stress abzubauen – sie beugt vor allem dem hausgemachten Stress vor: Da sind zum Beispiel Vorwürfe gegen sich selbst, die einen Menschen herunterziehen. Oder Angstspiralen, die durch Gedanken an womöglich negative Erlebnisse in der Zukunft ausgelöst werden. "Meditation lehrt, das Abdriften hin zu bestimmten Gedanken zu bemerken und mit Gleichmut zu reagieren, das Gefühl loszulassen", erklärt Ott. "Es ist so, als würden Sie nach und nach kleine Flammen löschen, die in Ihnen auflodern möchten." Es entstehe quasi eine Lücke zwischen Reiz und Reaktion, erklärt der Meditationsforscher. "Sie fühlen genauer, was in Ihnen vorgeht, nur haben Sie die Freiheit, nicht unbewusst zu reagieren." Rollenverhalten und Imagepflege würden dadurch aufgelöst. Es gehe letztlich um persönliches Glück. "Das Leben wird einfacher." Überhaupt an diesen Punkt zu gelangen, klingt erst einmal mühsam. "Das Ziel der Meditation ist nicht Entspannung, sondern Befreiung und Erleuchtung", sagt Buddhistin Wyder. "Aber durch die Arbeit mit dem Geist wird man entspannter, und das wirkt sich natürlich auf den Körper aus." Der Buddhismus inspiriert damit auch andere Fachgebiete. Wichtige Impulse für die Psychotherapie "Buddhistische Meditationsformen geben über Achtsamkeit wichtige Impulse in Richtung der Entspannungsverfahren und Psychotherapie", sagt Björn Husmann, Diplom-Psychologe und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Entspannungsverfahren. Verfahren wie Autogenes Training oder Progressive Relaxation seien deshalb in den vergangenen Jahren scheinbar etwas in den Hintergrund gerückt, hat der Psychotherapeut beobachtet. Nadia Wyder legt sich nicht darauf fest, ob das Meditieren entspannend oder anstrengend ist. "Das Resultat ist immer eine Erfahrung von mehr Freude und Kraft", sagt sie. Die Anhänger des sogenannten Diamantweg-Buddhismus im Zentrum in Berlin wollen aber mehr, als zufrieden für sich selbst durch das Leben gehen. "Es soll nicht nur einem selbst bessergehen, sondern auch allen anderen", erklärt Wyder. Die innere Ausgeglichenheit werde genutzt, um mit Freude, Furchtlosigkeit und aktivem Mitgefühl zum Besten aller Wesen zu handeln. "Das Loslassen von festen Vorstellungen ist das große Ziel." Erleuchtete Menschen seien völlig entspannt im Hier und Jetzt. "Die offene Frage ist, wie sich die Erfahrung, dass das Selbst und die Welt nicht getrennt sind, auf das Gehirn auswirkt", erklärt Meditationsforscher und Psychologe Ott. Hoher Frequenzbereich bei Hirnströmen von Mönchen Bei tibetischen Mönchen aus dem Umfeld des Dalai Lama hätten Forscher Hirnströme in einem hohen Frequenzbereich gemessen, die in dieser Stärke zuvor noch nicht beobachtet worden seien. "Aber was Erleuchtungszustände sind, muss erst noch erforscht werden." US-Forscher an der Universität Wisconsin in Madison hatten zuvor schon die Gehirne von tibetischen Mönchen mit einer funktionellen Kernspintomografie (fMRT) untersucht. Die Hirnscans zeigten, dass die Aktivität in einem Gehirnbereich für Emotionen bei Menschen mit erheblicher Meditationserfahrung drastisch verändert war. Die Studie war Teil einer größeren Untersuchung von Mönchen mit mindestens 10.000 Stunden Meditationspraxis. Zum Vergleich dienten 32 Menschen, die zwei Wochen zuvor in das Meditieren eingeführt worden waren. Die Stärke der Hirnsignale stimmte mit der von den Mönchen angegebenen Intensität der Meditation überein. Diese Hirnaktivität sei bei den Mönchen wesentlich stärker gewesen als bei der Kontrollgruppe, berichteten die Forscher. Menschen, die zu Depressionen neigen, Kinder, die gemobbt werden, und die Gesellschaft insgesamt könnte von der Achtsamkeits-Meditation profitieren. Die Ausbildung kann jedoch Jahre dauern. Artikel aus „Die Welt“ vom 6.6.2013