Gute Ernährung - ethisch und gesund?

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Gute Ernährung
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Ethisch und gesund?
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La Vida: Gibt es eine ethische Ernährung für alle
Menschen, Frau von Rath?
Annette von Rath: Für mich heißt das saisonal einkaufen, um Lagerungs- und Konservierungskosten einzusparen. Und wichtig ist auch der regionale Einkauf, um Transportwege zu verringern.
La Vida: Ist das ethisch gedacht oder wirtschaftlich?
AvR: Beides, denn wir schonen die Umwelt und
den Geldbeutel. Mit Tierglück hat es nichts zu
tun und es ist auch noch nicht ökologisch, denn
das wäre der dritte Punkt: Lebensmittel aus BioAnbau, z.B. um Umweltverschmutzung zu vermeiden.
La Vida: Das passt zum Flyer des Vegetarierbundes „Freiburg is(s)t für Klimaschutz – Was
hat die vegetarisch-vegane Ernährung mit dem
Klima zu tun?“ Im Grußwort der Umweltbürgermeisterin heißt es: „Essen Sie regional, saisonal
und biologisch und wenn Fleisch, dann in einem
vernünftigen Maß!“
AvR: Und dann noch fair! Wenn schon Kakao und
Schokolade, Kaffee oder Tee, dann möglichst fair
gehandelt! Ob die Kakao-Bauern davon leben
können oder ob sich die Bäuerin noch zusätzlich
prostituieren oder ihre Kinder verkaufen muss,
ist ebenfalls von ethischer Bedeutung. Nicht viel
Fleisch zu essen, ist gut für die Umwelt und das
Welthungerproblem; es ist zwar ethisch, aber
nicht zwangsläufig gesund. Und ethisch ist auch
nicht überall das Gleiche.
La Vida: Wie dürfen wir das genau verstehen?
AvR: Zum Beispiel in Alaska ist ethische Ernährung etwas anderes als hier bei uns: Gemüse
und Getreide muss dort von weit her eingeflogen
werden, während Eisbären- und Seehundfleisch
direkt verfügbar sind. Die Eskimos, die Inuit,
waren übrigens sehr gesund, solange sie sich
traditionell ernährt haben, erst durch „Zivilisationsprodukte“ wie Fertignahrung, Alkohol und
raffinierten Zucker hat sich das verändert.
La Vida: Es gibt also ethische Aspekte der Ernährung, die regional verschieden sind.
AvR: Genau. Und ich finde, dass man Ernährung
nicht übers Knie brechen kann, also für allgemein
gültig erklären nach dem Motto: Was ich hier erfunden habe, das gilt für uns alle. Das ist schon
unter den Gesichtspunkten saisonaler und regio-
Interview mit Annette von Rath
naler Auswahl unsinnig, also je nach Jahreszeit
und Ort verschieden.
La Vida: Könnte man nicht sogar behaupten, dass
es um eine individuelle Ernährung gehen muss?
AvR: Auch das. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) unterscheidet nach Lebensalter,
Geschlecht und Lebenssituation, und das ist notwendig. Ob ich eine junge Frau bin, die viel Sport
treibt und deshalb mehr Energie benötigt, ob ich
schwanger oder 80 Jahre alt bin und nur noch im
Sessel sitze. Allerdings geht es hier um die Gesundheit und nicht um ethische Aspekte.
La Vida: Ist vegetarische bzw. vegane Ernährung
generell gesprochen in ethischer Hinsicht empfehlenswert?
AvR: Im Prinzip ja. Viele Menschen ernähren sich
aus ethisch-moralischen Gründen vegan, manche nur aus gesundheitlichen, manche aus beiden Beweggründen. Vegan zu leben ist nicht von
vorn herein gesund und schützt auch nicht vor
Krankheiten. Im Gegenteil: eigentlich ist es eine
Ernährung mit einem hohen Risiko der Mangelernährung. Z.B. muss man als Veganerin Vitamin
B12 nehmen und insgesamt sehr darauf achten
auch mit den anderen Nährstoffen ausreichend
versorgt zu sein.
ren, darauf hat die Deutsche Vegane Gesellschaft
auf ihrer Website hingewiesen.
AvR: Diese Ernährungsweise kann ethisch sein im
Hinblick auf die Kriterien saisonal, regional, biologisch und fair; es werden keine Tiere gequält oder
getötet, und es schont auch die Umwelt. Aber
wenn wir Quinoa aus Südamerika oder Palmöl
aus Indonesien verwenden, ist das nicht optimal,
weil der Quinoa durch die große Exportnachfrage teurer und für die Einheimischen somit unerschwinglich wird, bzw. weil für die Palmölherstellung der Regenwald gerodet und die indigene
Bevölkerung vertrieben wird.
La Vida: Das bedeutet, dass man die Dinge von
verschiedenen Seiten her betrachten muss?
AvR: Ja. Und dabei ist auch der soziale Aspekt
wichtig. Wenn ich vegan lebe und meine Oma, bei
der ich eingeladen bin, hat einen schönen Kuchen
mit Eiern gebacken, will ich dann wirklich meine
Oma vor den Kopf stoßen und mir selber den
Genuss verwehren? Ich würde meine Oma sehr
enttäuschen.
La Vida: Was eigentlich unethisch oder inhuman
wäre?
AvR: Man stellt sich außerhalb der eigenen Familie
und erhebt auch noch den Zeigefinger: „Du hast
da arme Hühner gequält! Weißt Du eigentlich, wie
viel Milch nötig ist für ein Pfund Butter? Und die
armen Kühe! Wie furchtbar!“ - das ist weder nett
noch sozial.
La Vida: Es gab und gibt ja viele verschiedene
Ansichten darüber, was gute oder richtige Ernährung ist. Ich habe manchmal den Eindruck, dass
es sich ähnlich verhält wie mit religiösen Glaubensmeinungen, wo es ebenfalls fanatische und
fundamentalistische Strömungen gibt. Das Ganze
finde ich manchmal fast pseudoreligiös. Wie geht
es Ihnen damit?
AvR: Das finde ich auch. Manchmal stehen sich
fundamentalistische Positionen gegenüber. Denken Sie z.B. an Weihnachten, da sitzt die ganze
Familie am Mittagstisch und es gibt Pute. Und
Ihr Kind erklärt von jetzt auf gleich: „Das esse
ich nicht! Dafür werden Tiere gequält!“ Und dann
wird darüber diskutiert, ob es ethisch-moralisch
vertretbar ist ein Tier zu töten. Das passiert sicher
an vielen Orten so. Selbst Attila Hildmann, der
Autor vieler veganer Bücher, wurde von extremen
Veganern angefeindet, weil er mit Stefan Raab,
der gelernter Metzger ist, im Fernsehen war. „Wie
kannst Du mit einem Mörder kochen?“
La Vida:Das ist ja schrecklich!
AvR: Da dürfen Sie nicht einmal mit Fleischessern
zusammen sein. Dabei könnte man seinem eigenen Kind am Mittagstisch einfach sagen: „Lass
das Fleisch einfach weg.“ Das ist eine Lektion in
Toleranz.
La Vida: Anstatt beleidigt zu sein, dass es nicht
gegessen wird.
AvR: Wenn ich meine Babykurse gebe, dann ist
das Wichtigste, was ich vermittle, dass die Eltern
anbieten und das Kind entscheidet, was und wie
viel es isst. Das wird unser ganzes Leben lang so
sein: Wenn ich Oma bin und meine Enkelin den
Kuchen nicht essen will, weil da Eier drin sind,
dann weiß ich, dass ich es nicht persönlich nehmen muss: Sie ist gerade Lebensabschnittsveganerin.
La Vida: Und die „neuen Alten“ werden vielleicht
fragen, was sie kochen sollen, was gut ankommt;
den Kuchen nach den Bedürfnissen des Gastes
backen.
AvR: Ja. Wenn Besuch kommt, der vegan isst,
dann backe ich einen veganen Kuchen.
La Vida: Aber Fundamentalisten sind überhaupt
nicht flexibel, und sie blenden gern einen Teil der
Komplexität und Vielschichtigkeit aus.
AvR: Wer sich einer neuen Idee zuwendet, wird oft
besonders extrem und dadurch intolerant. Dabei
geht es um den Glauben an ein Heilsversprechen.
Statt ewiger Glückseligkeit im Himmel geht es um
lebenslange Gesundheit, ein langes Leben und
L a V i d a L e i ta rti kel
La Vida: Dass es nötig sei Vitamin B12 zuzufüh-
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eine intakte Umwelt. Es gibt viele Menschen, die
das Rauchen oder Fleisch-Essen hinter sich gelassen haben und es dann den Anderen nicht gönnen, sich moralisch überlegen fühlen. Das kann
wie bei einer Religion mit Schuldgefühlen (wegen
des Verlangens), Sünden (die eine Zigarette oder
die Salami auf der Pizza) und Buße (strengerem
Fasten) einhergehen. Wenn wir uns fragen, was
ein gutes Leben ist, dann gehört dazu doch auch
der gemeinsame Genuss von Essen. Gemeinsame
Mahlzeiten. Genießen heißt auch mal fünf gerade
sein lassen können, wie z.B. die vegane Enkelin,
die bei der Oma den nicht-veganen Kuchen isst,
weil sie keinem Dogma unterliegt. Weil sie nicht
fürchtet, dass sie so nicht in den Himmel kommt.
Außerdem hätte es keinen gesundheitlichen Vorteil, außer sie hätte eine Hühnereiallergie.
La Vida: Sich an eine gesündere oder ethischere
Ernährung zu gewöhnen, das benötigt ja eine gewisse Konsequenz. Nur wird man so auch schnell
rigide, nicht wahr?
AvR: Der Philosoph Epikur soll gesagt haben,
dass das Maß halten nicht maßlos werden dürfe.
Ich möchte beispielsweise ethisch leben und wenig Fleisch essen. Wenn ich aber ein begeisterter
Fleischesser bin und gönne mir ab jetzt kein
Fleisch mehr, dann würde ich verkniffen. Wäre
das wünschenswert? Aber wenn ich einmal oder
auch zweimal in der Woche eine Ausnahme mache, dann wird dieser Sonntagsbraten ein richtiges Fest!
La Vida: Das wäre sozusagen der „mittlere Pfad“.
Vielleicht gibt es deshalb viele Flexitarier, also flexible oder Teilzeit-Vegetarier.
AvR: Das ist möglich. Es darf jedenfalls nicht der
einzige Weg in den Himmel sein, das Fleisch ganz
wegzulassen. Das wäre sehr traurig.
La Vida: Aber die weltweite Umstellung hin zu einer veganen Ernährung sei laut Umweltprogramm
der Vereinigten Nationen entscheidend, um die
Welt vor Hunger, Armut und den schlimmsten
Auswirkungen des Klimawandels zu schützen.
AvR: Ja schon. Aber wenn ich ein ethisches Programm aufstellen würde, dann gehörten dazu
auch: kein industrieller Fischfang mit Schleppnetzen, keine Abholzung zum Sojaanbau, keine
Brandrodung für Palmölanbau, Erhaltung des
Urwaldes, keine Monokulturen, keine Massentierhaltung, aber auch keine Kurz- und Langstreckenflüge, keinen Lufttransport von Lebensmitteln, keine Spekulation mit Lebensmitteln
und noch vieles mehr --- denn das ist streng
genommen alles unethisch. Wenn wir aber Tiere
essen wollen, dann gehören sie achtsam getötet.
Im Vorfeld gut behandelt, auf Weideflächen artgerecht gehalten, später gut betäubt, möglichst
ohne Angst zu erzeugen getötet. Dann könnte
man aus meiner Sicht auch in ethischer Weise
Fleisch essen.
La Vida: Aber es werden für die Fleischerzeugung
viel Ressourcen verbraucht, viel CO2 erzeugt.
AvR: Ja, aber man muss auch genau hinschauen:
Die meisten Menschen auf dieser Erde sind nicht
freiwillig Vegetarier, sondern weil sie zu arm sind.
In Deutschland ist es hip vegan zu leben, wenigstens ein paar Tage in der Woche. Das ist erfreulich für die Tiere und es macht einen kleineren
CO2-Ausstoß. Es ist jedoch nicht zwangsläufig
gesund.
La Vida: Wir essen in gesundheitlicher Hinsicht
allerdings durchaus zu viel Fleisch und Milchprodukte, zumindest laut China Study?
AvR: Diese Studie bzw. das Buch von Campbell
enthält viele Fehler, Lücken und falsche Schlussfolgerungen, das wäre ein ganz eigenes Thema.
Es enthält jedoch viele verständliche Argumente
für vegane Kost, denn auch laut DGE essen wir zu
viel Fleisch. Dr. Nicolai Worm sagt andererseits,
man könne so viel Fleisch essen, wie man will,
wenn es nur begleitet sei von viel Gemüse.
La Vida: Gibt es denn einfache Leitlinien für eine
gesunde Ernährung hier bei uns?
AvR: Die DGE hat 10 Ernährungsregeln, die gut
sind, und auch von Flexi-Carb gibt es 12 sinnvolle
Regeln.
La Vida: Das ist ein bisschen viel für dieses Interview, das kann man ja bei näherem Interesse im
Internet nachschauen. Der Flyer „Freiburg is(s)t
für Klimaschutz“ spricht vom „Pflanzlichen Basisteller“: Die Hälfte des Tellers jeder Mahlzeit sollte
aus Gemüse und/oder Obst bestehen, ein Viertel
mit vollwertigen Kohlenhydraten und das letzte
Viertel mit Eiweißträgern wie Sojaprodukten oder
geht den Ursachen auf den Grund und sucht
Alternativen. Meistens sind es mehrere, die ein
ähnliches Problem haben, so dass man sich
leichter darauf einlassen kann. Bewegung und
Entspannung werden in jede Stunde integriert.
„ ICH nehme ab“ ist für Menschen mit leichtem
Übergewicht geeignet. Bei stärkerem Übergewicht bieten sich Einzelberatungen an. Die kann
der Hausarzt verordnen, dann beteiligen sich die
Krankenkassen an den Kosten.
La Vida: Bei einer Ökotrophologin oder zertifizierten Ernährungsberaterin?
AvR: Eine zertifizierte Ernährungsberaterin; das
kann eine Ökotrophologin oder eine Diätassistentin sein. Als Ernährungsberaterin nehme ich
niemandem etwas weg oder verbiete etwas. Alles
ist freiwillig und selbstbestimmt. Die Teilnehmer
entscheiden selbst, was sie vom Gelernten umsetzen wollen und was nicht.
La Vida: Vielen Dank für unser Gespräch!
Gesundheit
immer noch viele Kohlenhydrate. Es hat sich allerdings gezeigt, dass man dabei relativ viel Hunger hat. Wenn man dagegen Low-Carb isst, also
weniger Kohlenhydrate und insgesamt fett- und
eiweißreicher, dann ist man viel satter und kann
diese Ernährungsumstellung leichter durchhalten.
Noch besser finde ich LOGI- bzw. My-Low-Carb
oder Flexi-Carb: Besonders viel Gemüse essen!
La Vida: Wo liegt da der Vorteil?
AvR: Im Gemüse befinden sich viel Wasser und
wenig Kalorien. Da ist man gleich viel satter
durch das große Volumen. Zusammen mit Tofu,
Eiern, Hülsenfrüchten oder Fleisch und guten
Ölen macht das für längere Zeit richtig satt. Bei
der traditionellen mediterranen Ernährung, haben
die Leute viel Pasta, also Kohlenhydrate gegessen, sich aber auch viel bewegt. Wenn wir uns
dagegen kaum bewegen, dann sollte es heute
besser heißen: Nicht viel Pasta mit wenig Gemüse, sondern lieber viel Gemüse mit wenig Nudeln
auf den Teller!
La Vida: Bei Diäten kennt man ja den Jojo-Effekt,
ist da ein Kurs zur Änderung von Gewohnheiten
nicht sinnvoller?
AvR: Ja, natürlich! „ICH nehme ab“ ist so ein Programm von der DGE, das ich durchführe und das
von Krankenkassen als Präventionskurs gewertet
wird. Zwölf Wochen lang besucht man einen Kurs
mit anderen Abnehmwilligen, die sich gegenseitig motivieren, coachen, bei der Stange halten.
Die Gruppe hinterfragt z.B. eigene Gewohnheiten,
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Hülsenfrüchten. Und das habe ich auch schon gedrittelt gehört.
AvR: Michael Pollan, ein amerikanischer FoodJournalist, hat es besonders schön ausgedrückt:
„Eat food, mostly plants, not too much.“ Das ist
Vollwerternährung in sieben Worten, wobei er ein
ganzes Buch füllt, um zu zeigen, was „food“ ist,
also was „Lebensmittel“ sind. Ein Kriterium für
ein „food“ ist, dass es unsere Oma noch gekannt
hätte, denn zu Omas Zeiten war ein Brot noch ein
Brot aus Sauerteig, Hefe und Getreide und nicht
aus Kunstsauerteig, Emulgatoren und Zusatzstoffen, also aus dem Chemiebaukasten. Und
„not too much“, nur zu essen, was wir brauchen,
wäre eine allgemeine Regel in Hinblick sowohl auf
Gesundheit als auch auf Ethik.
La Vida: Ah, sehr schön! Für viele Menschen hierzulande hieße das also weniger zu essen?
AvR: Ja, aber die Frage ist, was und wie viel man
braucht. Viele Leute essen sehr viel Obst und meinen, das sei ganz gesund, aber z.B. bei Übergewicht oder Diabetes gilt das nicht, weil dann eine
Überschwemmung mit Fruchtzucker stattfindet.
Immer Äpfel oder Obst zu essen kann also genauso ungesund sein wie kaum Obst oder Gemüse zu
essen. Aber viel Gemüse ist fast immer gut!
La Vida: Was heißt denn My-Low-Carb bzw. FlexiCarb?
AvR: Die normalen Regeln der DGE sind HighCarb: Wir sollen viele Kohlenhydrate essen und
zum Abnehmen insgesamt weniger essen, aber
An n e tte von R at h
Diplom-Oecotrophologin
Ernährungsberaterin DGE
Leberfasten-Beraterin
MyLowCarb-Coach
Pochgasse 20
79104 Freiburg
0761 - 53 762
[email protected]
www.ernaehrungsberatungvonrath.de
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