Christian Weigel – Dissertationsprojekt „Hauswirtschaft und Familie

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Christian Weigel – Dissertationsprojekt „Hauswirtschaft und Familie im antiken Roman“
Haus und Familie sind die wichtigste soziale und wirtschaftliche Grundeinheit der meisten
Gesellschaften.
Sie
sind
Wohnund
Lebensgemeinschaft,
Produktionsund
Konsumptionsgemeinschaft, eine primäre Institution für die Sozialisation von Kindern und
Jugendlichen und für eine Versorgung im Alter. Haus und Familie sind die Institution, über die Besitz
weitervermittelt wird und in deren Rahmen durch die Ehe Verbindungen mit anderen Häusern
hergestellt werden. Durch das enge und alltägliche Zusammenleben bieten sie einen Raum zur
Befriedigung emotionaler Bedürfnisse und für eine offene Kommunikation. Das Haus ist oft aber auch
ein hierarchisch strukturierter Herrschaftsraum und kann ein Ort der Gewalt (gegen Kinder, Frauen,
Unfreie) sein. Das Haus und das zugehörige Stück Acker- und/oder Weideland, die Werkstatt und die
Arbeit als Gewerbetreibender, Händler oder Bankier bilden die Grundlage der Ernährung und des
Familieneinkommens der meisten Menschen im Altertum.
Das Dissertationsprojekt legt als Quellenkorpus für eine sozial- und wirtschaftshistorische
Untersuchung die antiken Romane zugrunde, da diese bisher in der Forschung vernachlässigt und in
Menge und Gehalt der enthaltenen wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Informationen unterschätzt
zu sein scheinen. Die fiktiven Prosatexte sind – sieht man von historischen und mythologischen
Romanen ab – seit späthellenistischer Zeit fassbar. Umfangreiche Texte stammen aus dem 2. und 3.
Jh. n. Chr. und reichen bis in die christliche Spätantike. Literarisch lassen sich zwei Hauptgattungen
unterscheiden: Zum einen der idealisierende Liebesroman, der thematisch vor allem durch
Emotionalität, Erotik und Abenteuer gekennzeichnet ist und dessen Protagonisten junge Liebespaare
sind, die einer dramatisierten Handlung und dabei oft einer konstruierten idealisierten griechischen
Vergangenheit unterworfen werden. Zum anderen der komisch-realistische Roman, der den
idealisierenden Roman satirisch nachzeichnet und dabei auch gesellschaftliche Verhältnisse karikiert.
Als Unterhaltungsliteratur versuchen die Texte dabei, ihre Handlung in einen den Zeitgenossen
vertrauten gesellschaftlichen Kontext einzubinden und reflektieren dadurch die Lebensbedingungen
antiker Haushalte und Familien, aber auch die Paideia der Autoren und den darin verankerten sozialen
Normencode.
Methodisch stellt sich dabei die Frage nach der Realität in der Fiktionalität und der Zeitgebundenheit
des Autors. Jenseits davon ermöglichen gerade detaillierte Prosatexte aber zusätzliche
Fragestellungen, die sich z.B. mit der Akkumulation von sozialem Kapital über die Ressource
gesellschaftlichen Ansehens befassen. Dazu sollen verschiedene theoretische Ansätze geprüft und
nach Möglichkeit miteinander verknüpft werden. Dies betrifft zum einen kulturanthropologische und
soziologische Theorien der Reziprozität, aber auch die Frage von Kapitalformen jenseits der rein
ökonomischen Dimension und der Reduktion von Transaktionskosten durch Schaffung von Vertrauen.
Grundsätzlich kennzeichnet die meisten antiken Romane die Dramatisierung der Handlung im Rahmen
einer idealisierten und archaisierten Darstellung einer Vorzeit, die allerdings auch die Lebensrealität
des Autors und seines Publikums spiegelt. Gelingt es, die nicht-fiktionalen Elemente von den rein
dramatischen zu scheiden, erhält man eine Vielzahl an Informationen über die Wirtschafts- und
Sozialgeschichte der ersten nachchristlichen Jahrhunderte im östlichen Mittelmeerraum, mit denen
man im Rahmen von Plausibilitätsprüfungen und Vergleichen mit Inschriften, Rechtsquellen und
archäologischen Befunden neue Erkenntnisse gewinnen kann. Besonders aufschlussreich erscheinen
dabei die griechischen antiken Romane, die zwar oft eine idealisierte klassische Epoche des
Griechentums in der Zeit nach den Perserkriegen stilisieren, in diese jedoch die griechische Identität
des Späthellenismus unter römischer Herrschaft und darin aufgehend die griechisch-römische
Identität der ersten nachchristlichen Jahrhunderte einfließen lassen.
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