Heidegger und Husserl

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HJb 6/11 / p. 1 / 22.2.2012
Heidegger-Jahrbuch 6
Heidegger und Husserl
VERLAG KARL ALBER
A
HJb 6/11 / p. 2 / 22.2.2012
Heidegger-Jahrbuch
Herausgeber:
Alfred Denker und Holger Zaborowski
Mitglieder des wissenschaftlichen Beirates:
Pierre Aubenque (Paris)
Damir Barbarić (Zagreb)
Rudolf Bernet (Leuven)
Walter Biemel (Aachen)
Stephanie Bohlen (Freiburg)
Thomas Buchheim (München)
Hartmut Buchner † (Grassau-Rottau)
Adrian Gabriel Cercel (Bukarest)
Chen Xiaowen (Beijing)
Paul G. Cobben (Tilburg)
Ion Copoeru (Cluj-Napoca)
Paola-Ludovika Coriando
(Innsbruck)
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Françoise Dastur (Nizza)
Pascal David (Brest)
Jacques Derrida † (Paris)
Markus Enders (Freiburg)
István M. Fehér (Budapest)
Daniel Ferrer
(Mount Pleasant)
Günter Figal (Freiburg)
Hans-Helmuth Gander (Freiburg)
Jean Greisch (Paris)
Jean Grondin (Montréal)
Arnulf Heidegger (Singen)
Burghard Heidegger (Genf)
Marion Heinz (Siegen)
Christoph Jamme (Lüneburg)
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Shunsuke Kadowaki (Tokyo)
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Rudolf A. Makkreel (Atlanta)
Jean-Luc Marion (Paris)
Henri Mongis (Tours)
Jos de Mul (Rotterdam)
Günther Neumann (München)
Ryôsuke Ohashi (Kyôto)
Theodorus Christiaan Wouter
Oudemans (Leiden)
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Francesc Pereña Blasi (Barcelona)
Herman Philipse (Utrecht)
Claude Piché (Montréal)
Otto Pöggeler (Bochum)
Manfred Riedel † (Halle / Saale)
John Sallis (Boston)
Sun Zhouxing (Shanghai)
Jacques Taminiaux (Chestnut Hill)
Rainer Thurnher (Innsbruck)
Peter Trawny (Wuppertal)
Gianni Vattimo (Turin)
Jean-Marie Vaysse (Toulouse)
Ben Vedder (Nijmegen)
Helmuth Vetter (Wien)
Franco Volpi † (Padua)
Angel Xolocotzi (Mexiko-Stadt)
HJb 6/11 / p. 3 / 22.2.2012
Heidegger-Jahrbuch 6
Heidegger
und
Husserl
Herausgegeben von
Rudolf Bernet
Alfred Denker
Holger Zaborowski
Verlag Karl Alber Freiburg / München
HJb 6/11 / p. 4 / 22.2.2012
© des Dokumentationsteils (S. 9–39 in diesem Band): Springer
Husserl and Schuhmann: Edmund Husserl: Briefwechsel, Band IV (1994): 127–161;
with kind permission from Springer Science+Business Media B.V.
Originalausgabe
© VERLAG KARL ALBER
in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2012
Alle Rechte vorbehalten
www.verlag-alber.de
Umschlagmotiv: Martin Heidegger als Privatdozent in Freiburg im 1920,
Martin-Heidegger-Archiv Meßkirch
Satz: SatzWeise, Föhren
Herstellung: fgb · freiburger graphische betriebe
www.fgb.de
Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier (säurefrei)
Printed on acid-free paper
Printed in Germany
ISBN 978-3-495-45706-1
HJb 6/11 / p. 5 / 22.2.2012
5
Inhalt
Dokumentationsteil
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
Der Briefwechsel zwischen Martin Heidegger und Edmund Husserl . . .
9
Interpretationen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
Renato Cristin
Phänomenologische Ontologie. Heideggers Auseinandersetzung
mit Husserl (1916–1928) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Klaus Held
Husserl und Heidegger über den Anfang der Philosophie . . . . . . .
43
Burt C. Hopkins
Entformalisierung und Phänomen bei Husserl und Heidegger
Rudolf Bernet
Phänomenologische Begriffe der Unwahrheit bei Husserl und
Heidegger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Lilian Alweiss
The „Truth“ of Solipsism . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Günther Neumann
Phänomenologie der Zeit und der Zeitlichkeit bei Husserl und
Heidegger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
John Sallis
The Import of Intentionality . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Daniel O. Dahlstrom
Husserl and Heidegger on Bedeutung . . . . . . . . . . . . . .
Christoph Jamme
Eine Urlaubslektüre und ihre Folgen. Husserl liest Heidegger
Hans Rainer Sepp
Husserl, Heidegger und die Differenz . . . . . . . . . . . . . .
Heidegger-Jahrbuch 6
. . . .
69
87
. . . . 108
. . . . 131
. . . . 153
. . . . 187
. . . . 200
. . . . 218
. . . . 233
HJb 6/11 / p. 6 / 22.2.2012
Inhalt
6
Steven Crowell
Reason and Will. Husserl and Heidegger on the Intentionality
of Action . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
Bernhard Waldenfels
Indirekte Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
Abstracts
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285
Heidegger-Jahrbuch 6
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285
Abstracts
Renato Cristin, Phänomenologische Ontologie. Heideggers Auseinandersetzung mit Husserl (1916–1928)
Die Marburger Jahren sind für Heidegger die Zeit der Auseinandersetzung
mit dem phänomenologischen Denken Husserls sowie der Ausarbeitung der
phänomenologischen Ontologie, die das Kennzeichen seiner Philosophie bis
zur Kehre ist. Die Beziehung zwischen Heidegger und Husserl scheint aber
wie ein Gespräch zu sein, das unvollendet blieb. Vor allem dieses Gespräch wird
hier aufgrund der verschiedenen Materialien analysiert und interpretiert. Es
wird gezeigt, dass es beim frühen Heidegger kein endgültiges Verlassen der phänomenologischen Perspektive gibt, sondern eine Transformation derselben in
eine radikal neue Richtung, aber mit einem gewissen Anklang an die philosophische Grundintention Husserls, so dass unter gewissen Umständen auch für Heideggers Spätdenken dieselbe Maxime gelten kann, die für sein frühes Denken
galt: die Phänomenologie ist als Möglichkeit des Denkens bzw. des Seinsdenkens aufzufassen.
The “Marburg years” are the time in which Heidegger deals with Husserl’s phenomenological thought and develops his own phenomenological ontology,
which characterizes his philosophy until the “turn.” The relation between Heidegger and Husserl, however, seems to be like a conversation that remains unfinished. It is this conversation that is being analyzed and interpreted on the
basis of different materials in this essay. It is shown that there is no radical break
from the phenomenological perspective in the early Heidegger. Rather there is a
transformation of it into a radically new direction, but with a certain resonance
of Husserl’s main philosophical intention such that, under certain circumstances, the very same maxim is effective for Heidegger’s later philosophy that
was valid for his early thought: phenomenology is to be understood as a possibility of thinking or the thinking of Being respectively.
Klaus Held, Husserl und Heidegger über den Anfang der Philosophie
Es geht um eine „Besinnung“ auf den Anfang der Philosophie im Dienste
einer philosophischen Gegenwartsdiagnose. Auf der Grundlage des Krisis-BanHeidegger-Jahrbuch 6
HJb 6/11 / p. 286 / 22.2.2012
Abstracts
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des Husserliana 6 und des Bandes 45 der Heidegger-Gesamtausgabe (Vorlesung
vom WS 1937/38) lässt sich zeigen, dass Husserls und Heideggers Thesen von
der Vergessenheit der Lebenswelt bzw. des Seins einander fruchtbar ergänzen
können: 1. Unser Zeitalter ist – weit über Husserls eigenen Gebrauch des Begriffs „Idealisierung“ hinaus – in allen wesentlichen Lebensbereichen durch eine
auf Idealisierungsprozessen beruhende Lebensweltvergessenheit gekennzeichnet. 2. Die Idealisierungstendenz beginnt schon im Augenblick der „Urstiftung“
von Philosophie und Wissenschaft bei den Griechen, und sie unterscheidet Europa von den anderen Hochkulturen. In Heideggers neuartiger phänomenologischer Analyse der jene Urstiftung motivierenden Grundstimmung des Staunens (thaumázein) ist der Ansatz für eine überzeugende Erklärung der
Idealisierungstendenz zu finden, wenn beachtet wird, dass für das Verständnis
des thaumázein sein Zeitcharakter entscheidend ist. Als besonders aufschlussreich für diesen Zusammenhang erweist sich Platons Bestimmung der Zeit im
Timaios. 3. In Heideggers Gegenwartsdiagnose fallen alle Züge unseres Zeitalters undifferenziert unter die Pauschalcharakerisierung der Seinsvergessenheit
in Gestalt des Gestells. Aus der Erkenntnis, dass sich im anfänglichen philosophischen Staunen die Idealisierungstendenz und damit das Technisch-Wer den
des Denkens im Zeitalter der Metaphysik anbahnt, ergibt sich die Möglichkeit,
jene Diagnose phänomenologisch zu konkretisieren.
This essay provides a “meditation” on the beginning of philosophy in service of
a philosophical diagnosis of our present age. It can be shown, on the basis of
Husserl’s Crisis, Husserliana 6, and volume 45 of Heidegger’s collected works
(the lecture course from winter semester 1937/38), that Husserl’s and Heidegger’s theses concerning the forgetfulness of the life world or of Being, respectively, can fruitfully complement one another: 1. Our present age is – beyond
Husserl’s own use of the concept of “idealization” – characterized by a forgetfulness of the life world that depends upon processes of idealization in all essential areas of life. 2. The tendency to idealize begins already in the moment of the
“primordial foundation” of philosophy and the sciences in Greek culture, and it
distinguishes Europe from other high cultures. In Heidegger’s new phenomenological analysis of wonder (thaumázein) as the basic attunement that motivates
every “primordial foundation,” we can find the beginning for a persuasive explanation of the tendency to idealize, if we consider that the temporal character
of thaumázein is decisive. Plato’s determination of time in Timaeus proves particularly instructive in this context. 3. In Heidegger’s diagnosis of the present
age, all different features of our time fall under the general characterization of
forgetfulness of Being in the form of en-framing. The recognition that the initial
philosophical wonder initiated the tendency to idealize and, therefore, thinking’s becoming technical in the time of metaphysics leads to the possibility to
concretize this diagnosis phenomenologically.
Heidegger-Jahrbuch 6
HJb 6/11 / p. 287 / 22.2.2012
Abstracts
287
Burt C. Hopkins, Entformalisierung und Phänomen bei Husserl und
Heidegger
Die Nähe Heideggers zu Husserl bringt jedoch auch das Problem mit sich,
an dem die Darstellung Husserls krankt, nämlich die irrige Überzeugung, dass
die unbestimmte Einheit, die das material Leere und daher auch das formalisierte „Etwas überhaupt“ charakterisiert, einer Entformalisierung zugänglich sei,
welche zu ihrem Ursprung in der Einheit bestimmter einzelner Gegenstände
zurückführt. Dieses Problem zeigt sich in der Überzeugung Heideggers, dass
die „ursprüngliche Erfüllung“ dessen, was in der formalen Anzeige angezeigt
wird, das „faktische Leben“ sei. So behauptet er, dass die formale Anzeige „als
Annäherungsmethode“ im Bezug auf dieses Leben „faktisch notwendig“ sei.
Das Problem lässt sich hier kurz fassen: Die Behauptung der faktischen Notwendigkeit der Methode der formalen Anzeige setzt voraus, anstatt zu beweisen, dass ihr Richtungssinn in einem Phänomen Erfüllung findet, das in keiner
Weise von ihrem vermeintlich nicht-theoretischen Bezugssinn geordnet wird.
Anders ausgedrückt: Weil bei Heidegger die Formalität des zur formalen Anzeige gehörenden Formalen als vom angezeigten Phänomen ursprünglich getrennt verstanden wird, erweist sich die „phänomenologische“, also die auf
dem Phänomen basierende Rechtfertigung dieser Formalität (d. h. derjenigen
der Anzeige) als unmöglich.
The proximity of Heidegger’s account of formal indication to Husserl’s account
of formalization is shown to bring with it the problem that plagues Husserl’s
account. Namely, Husserl’s misguided conviction that the indeterminate unity
that characterizes the materially empty and therefore formalized “Etwas überhaupt” lends itself to being deformalized in a manner that leads back to its origin
in the unity of determinate individual objects. This problem shows up in Heidegger’s conviction that the “original fulfillment of what is indicated” by the
formal indication is “factical life.” Thus, he holds that formal indication “as the
method of approach” to this life is “factically necessarily.” The problem here
may be put succinctly: the statement of the factical necessity of the method of
formal indication presupposes rather than establishes that its directional sense
finds its fulfillment in a phenomenon that is not ordered in any way by its putatively non-theoretical relational sense. Stated differently: because the formality
of the “formal” proper to “formal indication” is understood by Heidegger to be
initially distinct from the phenomenon that it indicates, justifying this formality
(viz., indication) “phenomenologically,” that is, on the basis of the phenomenon, cannot but prove impossible.
Heidegger-Jahrbuch 6
HJb 6/11 / p. 288 / 22.2.2012
Abstracts
288
Rudolf Bernet, Phänomenologische Begriffe der Unwahrheit bei Husserl und Heidegger
Man hat zu wenig beachtet, wie viel Heideggers Entwicklung eines spezifisch phänomenologischen Verständnisses von Wahrheit in Sein und Zeit Husserls Wahrheitsbegriff verdankt, wie er sich in der 6. Logischen Untersuchung
findet. Die Kritik am „traditionellen Wahrheitsbegriff“, die in Heideggers Texten zum Wesen der Wahrheit nie fehlt, nimmt in erster Linie nicht Husserl ins
Visier und betrifft ihn auch nur sehr beschränkt. Auch Heideggers spätere Bestimmung der Wahrheit als „Un-verborgenheit“ bedeutet keinen Bruch mit seiner früheren Lehre und bewegt sich in Bahnen, die auch Husserl nicht fremd
waren. Husserls und Heideggers Wahrheitsbegriffe werden in diesem Beitrag
vorwiegend mit Bezug auf ihr Verständnis der Unwahrheit interpretiert. Seine
vertiefte Frage nach dem Wesen der Unwahrheit hat Heidegger dann auch über
Husserls Wahrheitsbegriff hinausgeführt. Durch die Aufnahme der Unwahrheit
in den Wesensbestand der Wahrheit ergibt sich bei ihm der neue Zwang, einen
von dieser wahren Unwahrheit geschiedenen Begriff der unwahren Unwahrheit
bzw. Falschheit zu entwickeln. Auch dieser als pseudos verstandenen Falschheit
eignet noch eine Weise der Unverborgenheit bzw. des Erscheinens. Die genauere Bestimmung der gegensätzlichen Phänomene einer als Verborgenheit und
Geheimnis verstandenen wahren Unwahrheit sowie einer als Verstellung, Vertauschung und laute Pseudo-Offenbarung verstandenen Falschheit bildet den
sachlichen Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung.
It has often been overlooked how much Heidegger’s exposition of a specific
phenomenological understanding of truth in Being and Time owes to Husserl’s
concept of truth, as it is found in the sixth Logical Investigation. The critique of
the “traditional concept of truth,” which is always present in Heidegger’s writings on the essence of truth, does not focus on Husserl and only deals with his
concept of truth in a very restricted way. Nor does Heidegger’s later definition
of truth as “unconcealment” imply a denial of his earlier doctrine, but it shifts in
ways not alien to Husserl. In this essay Husserl’s and Heidegger’s concepts of
truth are discussed primarily in relation to their concepts of untruth. Heidegger’s more profound questioning concerning untruth has led him beyond Husserl’s concept of truth. Through integrating untruth into the essence of truth,
Heidegger is forced to develop a concept of untrue untruth or falseness, which
is different from the concept of true untruth. But falseness, understood as pseudos, is also still a form of unconcealment or appearing. A more precise determination of the contradictory phenomena of a true untruth, understood as concealment and mystery, and falseness, understood as disguise, transposition, and
pure pseudo-revelation, are at the heart of this essay.
Heidegger-Jahrbuch 6
HJb 6/11 / p. 289 / 22.2.2012
Abstracts
289
Lilian Alweiss, The Truth of Solipsism
Husserl und Heidegger vertreten beide eine Art von Solipsismus. Husserl
bezieht sich auf einen transzendentalen und Heidegger auf einen existentialen
Solipsismus. Beide vertreten dabei die Meinung, dass wir die Welt und das Sein
nur von unserer Perspektive aus verstehen können, sei es die des Egos (Husserl)
oder des Daseins (Heidegger). Dieser Artikel fragt, inwieweit ein solcher Solipsismus vertretbar ist und bezieht sich dabei auf Wittgensteins Frage, ob man
überhaupt von einer Perspektive sprechen kann, wenn es nicht möglich ist, sich
auf eine andere Perspektive zu beziehen. Der Artikel zeigt, wie beide Denker
bemüht sind, Wittgensteins Fragestellung zu beantworten.
Husserl and Heidegger both defend a form of solipsism. Husserl refers to a
transcendental solipsism and Heidegger to an existential one. Both thereby
claim that we can only know the world and being from our perspective, be it
the Ego’s (Husserl) or Dasein’s (Heidegger). Drawing on Wittgenstein’s question whether we can ever refer meaningfully to a perspective if no other perspective is available to us, this paper asks to what extent we can make sense of Husserl’s and Heidegger’s self-professed solipsism. The article shows how both
Husserl and Heidegger struggle to try to find an solution to Wittgenstein’s question.
Günther Neumann, Phänomenologie der Zeit und der Zeitlichkeit bei
Husserl und Heidegger
Da die objektive Zeit in der Phänomenologie nicht schon vorausgesetzt
werden kann, stellt die Frage nach der Konstitution und dem Wesen der Zeit
eine zentrale Aufgabe jeder phänomenologischen Analyse dar. Ziel dieses Beitrags ist es, eine Gegenüberstellung der phänomenologischen Analysen der Zeit
und der Zeitlichkeit bei Edmund Husserl und Martin Heidegger zu geben und
gerade die fundamentalen Unterschiede ihrer Ansätze zur Zeit herauszuarbeiten. Bei Husserl werden neben den grundlegenden Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins die „Bernauer Manuskripte“ über das
Zeitbewusstsein (1917/18) und die späten Texte über Zeitkonstitution (C-Manuskripte) herangezogen. Bei Heidegger werden außer Sein und Zeit und der
Vorlesung Die Grundprobleme der Phänomenologie vom Sommersemester 1927
vor allem die frühen Vorlesungen und Texte betrachtet, an denen sich die Entfaltung seines Denkens aufweisen lässt. Hierbei zeigt sich, dass Heideggers Frage nach dem Wesen von Zeit und Geschichte im Ausgang vom faktisch-historischen Leben von Anfang an in eine ganz andere Richtung ging als diejenige
Husserls. Die prinzipiellen Unterschiede der beiden phänomenologischen Ansätze zur Zeit werden abschließend am Phänomen des Todes herausgestellt und
verdeutlicht.
Heidegger-Jahrbuch 6
HJb 6/11 / p. 290 / 22.2.2012
Abstracts
290
As objective time cannot be presupposed in phenomenology, the question of the
constitution and nature of time represents a central task of every phenomenological analysis. The purpose of this essay is to offer a comparison of the phenomenological analyses of time and temporality in Edmund Husserl and Martin
Heidegger and thereby to examine the fundamental differences of their approaches. With regard to Husserl, his “Bernau Manuscripts” on time-consciousness (1917/18) and the late texts on temporal constitution (the C-Manuscripts)
are considered alongside the foundational Lectures on the Phenomenology of
Internal Time-Consciousness. In the case of Heidegger, in addition to Being
and Time and the lecture series The Basic Problems of Phenomenology from
summer semester 1927, attention is primarily focused on the early lecture series
and texts in which the development of his thinking becomes evident. It becomes
clear that Heidegger’s question concerning the nature (Wesen) of time and history, with its point if departure in factical-historical life, moved from the outset
in a different direction than that of Husserl. In conclusion, the principal differences of the two phenomenological approaches to time are drawn out and clarified with respect to the phenomenon of death.
John Sallis, The Import of Intentionality
Dieser Aufsatz untersucht den phänomenologischen Begriff der Intentionalität. Zunächst wird erläutert, wie Husserl Intentionalität in ihrer Beziehung
zum Imperativ „Zu den Sachen selbst!“ verstand und zeigt dann, wie Heidegger
sowohl in seinem Früh- als auch in seinem Spätwerk sich diesen Begriff aneignete. Der Aufsatz erörtert so ein zentrales Element der Geschichte der Phänomenologie und stellt abschließend eine wichtige Frage: Ist es möglich, von Heideggers spätem Denken „jenseits der Phänomenologie“ zu der deskriptiven
Präzision, die einst die Phänomenologie kennzeichnete, zurückzukehren?
This essay analyzes the phenomenological concept of intentionality. It first discusses how Husserl understood intentionality in its relation to the imperative
“to the things themselves!” and then goes on to show how Heidegger appropriated intentionality both in his early and in his later philosophy. The essay
thus examines a central feature of the history of phenomenology and concludes
by raising an important question: Is it possible to return from Heidegger’s later
thinking “beyond phenomenology” to the descriptive precision that once characterized phenomenology?
Daniel O. Dahlstrom, Husserl and Heidegger on Bedeutung
Dieser Aufsatz beschäftigt sich mit der Differenz und der Komplementarität von Husserls und Heideggers Bedeutungstheorien. Indem Husserls Theorie
Heidegger-Jahrbuch 6
HJb 6/11 / p. 291 / 22.2.2012
Abstracts
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der wörtlichen, semantischen, okkasionellen und referenziellen Bedeutung und
Heideggers Theorie der funktionalen, zweckbezogenen und existenzialen Bedeutung diskutiert werden, wird gezeigt, dass die beiden Theorien in dem Maße
komplementär sind, als sie sich auf verschiedene Interpretationshorizonte beziehen. Der Aufsatz vertritt zudem die These, dass die beiden Theorien (die eine
nicht-hermeneutisch, die andere hermeneutisch), wenn es um den Sinn von Sein
geht, nicht einfach unterschiedlich, sondern inkompatibel sind.
This paper addresses the difference and complementarity between Husserl’s and
Heidegger’s accounts of meaning. In the course of identifying Husserl’s account
of verbal, semantic, occasional, and referential meanings and Heidegger’s account of functional, purposive, and existential meanings, the paper contends
that the two accounts are complementary to the extent that they correspond to
different horizons of interpretation. The paper argues, however, that the two
phenomenological accounts (non-hermeneutical and hermeneutical) are not
simply different but incompatible, when it comes to the meaning of “being.”
Christoph Jamme, Eine Urlaubslektüre und ihre Folgen. Husserl liest
Heidegger
Der Artikel untersucht zunächst Husserls Kritik an Heideggers „Sein und
Zeit“ anhand von dessen Randbemerkungen aus dem Sommer 1929. Gezeigt
wird, wie und warum Husserl zu seinem Generaleinwand des Anthropologismus kommen musste. Im zweiten Teil des Artikels wird nachzuweisen gesucht,
dass Husserls Sicht auf Heidegger nicht ohne den Einfluss der Göttinger Lebensphilosophie zu verstehen ist. Herangezogen wird dazu eine Analyse von
Mischs „Lebensphilosophie und Phänomenologie“.
The article examines Husserl’s critique of Heidegger’s Being and Time on the
basis of his marginal notes from Summer 1929. It is shown how and why Husserl had to develop his general objection of anthropologism. The second part of
the article tries to show that Husserl’s view of Heidegger cannot be understood
without taking into account the influence of Göttingen life philosophy. For this
purpose, an analysis of Misch’s Lebensphilosophie und Phänomenologie (Life
Philosophy and Phenomenology) is consulted.
Hans Rainer Sepp, Husserl, Heidegger und die Differenz
Die Phänomenologische Bewegung als solche drückt eine Bereitschaft aus,
die jeweilige Perspektive auf Welt als Grundriss des eigenen Philosophierens so
zu äußern, dass dieses mitteilbar wird. Dieses Einende bewirkt nicht Identität,
sondern lässt das Differente der Positionen zu, ohne die Differenz so weit zu
Heidegger-Jahrbuch 6
HJb 6/11 / p. 292 / 22.2.2012
Abstracts
292
treiben, dass es zwischen ihnen keinen Zusammenhang mehr gäbe. Liegt das
Wesentliche der Phänomenologie in der Bewegung, kann es nicht darum gehen,
Heidegger und Husserl gegeneinander auszuspielen. In einem freien Rückbezug
auf Husserl kann jedoch der Versuch unternommen werden, im Sinn einer lebendigen Fortführung des von Husserl Angestoßenen und mit dem Ziel, sich
auch von ihm zu unterscheiden, Grenzen von Heideggers Ansatz aufzuzeigen.
Indem Heidegger Differenz auf das Sein in der Welt bezieht, relativiert er Differenz, wohingegen Husserl sie, sofern transzendentale Epoché aus dem Weltverhältnis austritt, überzeichnet. Damit besteht ein Zusammenhang zwischen
der Problematik der Differenz, mit der sich Heidegger von Husserl zu unterscheiden sucht, mit derjenigen Differenz, welche die Phänomenologische Bewegung in Gang hält: Sie fällt auseinander, wenn die Differenz zu groß wird, wenn
ihre Mitglieder sich verselbständigen, und sie kommt zum Stillstand, wenn die
Differenz zu klein wird, wenn sie in eine Schulbildung ausartet.
The phenomenological movement as such expresses a willingness to articulate
one’s own perspective on the world as the outline of one’s philosophizing in
such a way that it is communicable . This unifying element does not lead to
identity, but allows differences between the positions without driving the difference so far that there is no connection any more. If phenomenology is essentially about movement, the intention cannot be to play Heidegger and Husserl
against one another. Within a free reflection on Husserl, however, one can attempt to show the limits of Heidegger’s approach in the sense of a vital continuation of what Husserl initiated and with the intention of also being different
from him. In relating difference to being in the world, Heidegger relativizes
difference whereas Husserl overemphasizes it insofar as transcendental epoché
leaves the relation to the world behind. This is why there is a relation between
the problem of difference through which Heidegger tries to distinguish himself
from Husserl, and the difference that keeps the phenomenological movement
moving: It falls apart if the difference becomes too big, i. e., if its members become wholly independent, and it comes to a stand-still when the difference
becomes too small, i. e., if it leads to the formation of a school.
Steven Crowell, Reason and Will. Husserl and Heidegger on the Intentionality of Action
Dieser Aufsatz untersucht das Verhältnis zwischen Husserls und Heideggers Zugang zur praktischen Intentionalität (die Bedeutung, welche in Handlungen enthalten ist) mit besonderer Berücksichtigung der Rolle, welche die
Vernunft in diesen Zugängen spielt. Ausgehend von Husserls Unterscheidung
zwischen Entschlusswille und Handlungswille analysiert und kritisiert der Aufsatz Husserls phänomenologische Beschreibung der unbewussten Handlung in
Heidegger-Jahrbuch 6
HJb 6/11 / p. 293 / 22.2.2012
Abstracts
293
Begriffen der begründeten Relationen zwischen Erkenntnisakten (vor allem
Wahrnehmung), Evaluation und Willen. Das Argument konzentriert sich auf
das normative Element, das diese Akten intentional, d. h. bedeutungsvoll im
eminenten Sinne, macht. Anschließend zeigt dieser Aufsatz, wie Heideggers
Phänomenologie der Handlung einen Aspekt zeigt, der in Husserls Analyse
fehlt: der Unterschied zwischen dem Versuchen, etwas zu tun, und dem Versuch, etwas zu sein. Heideggers Einsicht, dass nur Dasein (ein Seiendes, dem es
in allem, was es tut, um sein eigenes Sein geht) und nicht das Bewusstsein wirklich intentional sein kann, ermöglicht es uns zu verstehen, wie Korrelate von
Bewusstseinsakten normativ beurteilt werden können (d. h. wie sie einen intentionalen Inhalt haben können). Husserls Lebensbegriff als eine Art Streben, das
teleologisch auf die Vernunft gerichtet ist (praktisch in dem Sinne, dass es versucht, seinen erkennenden, affektiven und voluntativen Akte in eine vernünftige
Einheit zu bringen) wird anschließend Heideggers Darstellung der Möglichkeit,
auf Normen zu reagieren, entgegengesetzt: weil Dasein „schuldig“ ist (d. h. verantwortlich für die Übernahme von faktischen Gründen als normativen Gründen). Der Schlussabschnitt untersucht Heideggers nach Sein und Zeit entwickelte Idee, dass Praxis an sich („Wille“) die „Wahrheit des Seins“ in unserem
Zeitalter der Vernunft als Recht-fertigung zeige, indem gezeigt wird, dass dies
zu einer Selbstkritik führt, in welcher Heidegger seine frühere Position als wesentlich ununterscheidbar von der Position Husserls betrachtet. An dieser Stelle
verabschiedet sich die normative Dimension der praktischen Philosophie – die
Dimension, die angesichts von Husserls Krisis fragt: „Was sollen wir tun?“ – in
Heideggers Sicht gänzlich von der Phänomenologie der Handlung.
The essay explores the relation between Husserl’s and Heidegger’s approach to
practical intentionality (the meaning that is contained in action), focusing particularly on the role that reason plays in each. Beginning with Husserl’s distinction between “Entschlusswille” and “Handlungswille,” the essay analyzes and
criticizes Husserl’s phenomenological account of non-deliberated action in
terms of the founded relations between acts of cognition (especially perception),
evaluation, and will. The argument focuses on the normative aspect that makes
these acts intentional, i. e., meaning-bearing, in the eminent sense. Turning to
Heidegger, the essay explains how Heidegger’s phenomenology of action provides a dimension missing from Husserl’s: the distinction between trying to do
something and trying to be something. Heidegger’s insight that only Dasein (a
being whose being is “at issue” in everything it does), and not consciousness, can
be intrinsically intentional allows us to understand how correlates of acts of
consciousness can be assessed normatively (i. e., can have intentional content).
Husserl’s notion of life as a kind of striving that is teleologically oriented toward
reason (practically, in the sense of aiming to bring rational unity to its cognitive,
affective, and voluntative acts) is then contrasted with Heidegger’s account of
Heidegger-Jahrbuch 6
HJb 6/11 / p. 294 / 22.2.2012
Abstracts
294
how responsiveness to norms is possible: because Dasein is “guilty” (i. e., responsible for taking over factic grounds as normative reasons). A final section
examines Heidegger’s post-Sein und Zeit idea that practice as such (“will”) reflects the “truth of Being” in our age of reason as “Recht-fertigung,” showing
how this amounts to a self-criticism in which Heidegger treats his own earlier
position as essentially indistinguishable from Husserl’s. At this point, the normative dimension of practical philosophy – the dimension which, in the face of
Krisis, asks “what is to be done?” – parts company, in Heidegger’s view, with the
phenomenology of action altogether.
Bernhard Waldenfels, Indirekte Beschreibung
Husserls Phänomenologie erweist sich als deskriptiv, insofern sie aufzeigt,
was erscheint. Sie beginnt damit, dass sie etwas als etwas erfasst. Sehen und
Sehen-als, Zeigen und Sagen sind eng miteinander verknüpft. Doch eine indirekte Beschreibung geht weiter. Sie bezieht sich auf etwas, indem sie sich zugleich auf etwas anderes bezieht, so wie wir es von Kierkegaards Konzept einer
indirekten Mitteilung und von Bachtins Analyse der indirekten Rede und des
Zitierens kennen. Eine indirekte Annäherung ist erforderlich, sobald unsere Erfahrung den Bereich von Sinn und Intentionalität überschreitet und wir es mit
etwas zu tun haben, von dem wir getroffen sind und auf das wir zu antworten
haben. Die Hauptfiguren der Indirektheit bestehen darin, dass etwas über etwas
hinausschießt, dass etwas von etwas abweicht oder dass etwas sich zeigt, indem
es sich entzieht. Die Eigenart der indirekten Beschreibung wird abschließend
exemplifiziert anhand einiger Kernmotive: des passiven Anteils der Aufmerksamkeit, des responsiven Charakters der Freiheit, der Bezeugung von Gewalt
und der Scheidung in Sagen und Gesagtes.
Husserl’s phenomenology turns out to be descriptive as far as it shows how
things appear. It starts with taking everything as something. Seeing and seeing
as, showing and saying are deeply interconnected. Indirect description, however, goes further. It refers to something by referring simultaneously to something else, as we know it from Kierkegaard’s concept of indirect communication
or from Bakhtin’s analysis of indirect speech and of quotation. An indirect approach is required as soon as our experience surpasses the realm of meaning and
intentionality, and as soon as we are confronted with something that we are
affected by and that we have to respond to. The main aspects of indirectness
are the movements of going beyond by excess, of deviating from, or of withdrawing from. At last the character of indirect description will be illustrated by
referring to some crucial phenomena: the passive part of attention, the responsive character of liberty, bearing witness to violence and the split between saying
and what is said.
Heidegger-Jahrbuch 6
HJb 6/11 / p. 295 / 22.2.2012
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