Weiterbildungsszene Deutschland 2006 Erst Prozesse verstehen, dann Personen trainieren Jürgen Graf die Legitimationsprobleme, deretwegen sich die Unternehmen von klassischen Trainings und Schulungen zunehmend abwenden: Konkrete Ziele und Nutzen sind unklar, es fehlen klare Evaluationskriterien, die Maßnahme bleibt eine Insellösung und verpufft weitgehend wirkungslos. Auf Grund der vorliegenden Zahlen tun Trainer also gut daran, nicht nur auf das vermeintliche Boomthema Coaching zu setzen. Letztlich bezahlen Unternehmen Trainer für ihren Know-howVorsprung und ihre Problemlösungskompetenz – und nicht dafür, dass sie neben Training auch Coaching anbieten. „Performance-Orientierung” lautet das wohl häufigste Schlagwort, wenn Unternehmen die Neuausrichtung ihrer Weiterbildungsaktivitäten beschreiben. Für Trainer bedeutet dies, sich zunächst einmal mit dem Tagesgeschäft des Kunden vertraut zu machen. Wirkungsgrad auch mit kleinem Budget erhöhen „Wie erhöhe ich den Wirkungsgrad unserer Weiterbildung auch mit einem kleinen Budget?” Fragen wie diese hören Trainer in Kundengesprächen inzwischen öfter. Die Fragen „Welches Training brauchen wir?” und vor allem „Wer braucht es?” rutschen in ihrer Priorität demgegenüber nach hinten. Dass pauschale Antworten à la „Präsentation für die Vertriebler”, „Selbstmanagement für Projektleiter” oder auch „zielorientierte Kommunikation für Führungskräfte” den Kunden kaum zufrieden stellen dürften, bedarf eigentlich keiner besonderen Erwähnung. Vielmehr unterliegen die zu trainierenden Inhalte dem Primat, sich unmittelbar und konsequent am operativen Tagesgeschäft des Kunden zu orientieren. Es gilt, „Seminarangebote für Verantwortliche und Mitarbeiter gemeinsam” zu konzipieren und umzusetzen, beschreibt eine Personalverantwortliche die praktische Konsequenz. Die Zielgruppe des Trainings sind nicht mehr homogene Mitarbeitergruppen, sondern Abteilungen und Teams, deren Arbeitsleistung insgesamt verbessert werden soll. Wirkungsvolles Training in diesem Sinne setzt voraus, dass der Trainer sich mit Schnittstellenproblemen und Prozessabläufen des Unternehmens vertraut macht und seine Aktivitäten auf diese Punkte konzentriert – dann verspricht seine Arbeit auch einen messbaren Nutzen. Offenes Seminargeschäft verliert zugunsten firmenspezifischer Maßnahmen an Bedeutung Angesichts dieser Entwicklung verwundert es nicht, dass das offene Seminargeschäft zugunsten firmenspezifischer Maßnahmen immer mehr an Bedeutung verliert. Dieser Trend bestätigte sich einmal mehr bei der jährlichen Befragung des Verlages managerSeminare, an der sich im Juli 2005 wieder 384 Trainer sowie 84 Weiterbildungsverantwortliche in Unternehmen beteiligten: Letztere konstatierten zu 41 Prozent eine Verringerung des Anteils externer Seminare, nur noch zwölf Prozent der befragten Unternehmen stellen eine Erhöhung fest. Drei von vier Maßnahmen werden inzwischen firmenintern durchgeführt, wissen dann auch die Weiterbildungsanbieter zu berichten. Nur noch jede vierte Maßnahme fällt in die Kategorie „offenes Seminar”. Mitarbeiterführung unangefochtenes Weiterbildungsthema Die zunehmend prozessorientierte Ausrichtung der betrieblichen Weiterbildungsaktivitäten manifestiert sich dann auch in der Frage: „Welche Themenschwerpunkte haben Ihrer Einschätzung Trainer-Kontakt-Brief 6/06 - Nr. 55 nach momentan und zukünftig auf dem Trainingsmarkt die größte Bedeutung?“ Hier allerdings weichen die Einschätzungen von Weiterbildungsanbietern und nachfragenden Unternehmen inzwischen deutlich voneinander ab. Zwar sind sich Trainer und Unternehmen nach wie vor darin einig, dass der Themenbereich Mitarbeiterführung in Sachen aktueller Weiterbildungsbemühungen einen unangefochtenen Spitzenplatz innehat. Dann aber gehen die Meinungen bereits erheblich auseinander. Nach Ansicht der Trainer bestimmen Coaching, Verkauf / Marketing, Konfliktmanagement und Organisationsentwicklung das aktuelle Weiterbildungsgeschehen. Die zentrale Bedeutung der Themen Verkauf/Marketing und Organisationsentwicklung wird von den Unternehmen zwar geteilt. Projekt- / Prozessmanagement spielt für sie hingegen eine wesentlich größere Rolle. Und auch der Weiterbildungsbedarf in Sachen Sprachen / Interkulturelles Training hat seitens der Unternehmen eine wesentlich höhere Priorität. Coaching-Markt boomt auf Grund der Erwartungen der Trainer Ebenfalls auffällig: Das Thema Coaching wird von den Unternehmen längst nicht so hoch gehängt, wie dies auf Anbieterseite der Fall ist. Der Coaching-Markt boomt gegenwärtig vor allem auf Grund der Erwartungen der Trainer – vielleicht weil sie sich davon eine Kompensation für das rückläufige klassische Seminargeschäft erhoffen, vielleicht weil Coaching ihrer Mentalität als freiberuflich agierende Einzelkämpfer entgegenkommt. Zwar erwarten auch die Unternehmen für die Zukunft einen erheblichen Bedarfszuwachs in Sachen Coaching. Dennoch: Der Vergleich über die vergangenen fünf Jahre belegt, dass die Einschätzungen von Anbietern und Unternehmen zunehmend voneinander abweichen (siehe Grafik). Danach halten 64 Prozent der Trainer, aber nur 42 Prozent der Unternehmen Coaching zukünftig für ein zentrales Weiterbildungsthema. Und auch bei der Einschätzung des gegenwärtigen Stellenwertes klaffen die Bewertungen deutlich auseinander. Für 45 Prozent der Trainer zählt Coaching zu den aktuell wichtigsten Weiterbildungsthemen, aber nur für ein gutes Viertel der befragten Betriebe. Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich ist Coaching auch eine logische Konsequenz aus den oben dargestellten Entwicklungen. Es ist individuell, problemlösungsorientiert, zielführend, mit engem Bezug zum Arbeitsalltag und operativen Tagesgeschäft. Klar ist aber auch: Das Gros der Unternehmen befindet sich mit der strategischen Implementierung des Coachings erst ganz am Anfang. Und solange diese nicht gegeben ist, drohen selbst dem Instrument Coaching genau Jürgen Graf, Jg. 1966, arbeitet seit 1990 als Redakteur und Lektor bei der managerSeminare Verlags GmbH, Bonn, und ist Herausgeber des Jahrbuchs „Seminare” sowie Autor der „Weiterbildungsszene Deutschland”. managerSeminare Verlags GmbH Jürgen Graf Endenicher Straße 282, D-53121 Bonn Tel. 0228 - 97791-32, Fax: -97791-99 [email protected] www.managerseminare.de/tb/tb-6093 Jürgen Graf Weiterbildungsszene Deutschland 2006 Studie über den deutschen Weiterbildungsmarkt März 2006, 180 Seiten Verlag managerSeminare 99,90 EURO Trends - 23