Islam-Dialog: Die Erwartungen der beiden Seiten

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ZENIT
ZG09110307 - 03.11.2009
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Islam-Dialog: Die Erwartungen der beiden Seiten
sind sehr verschieden
Der Islamwissenschaftler Ralph Ghadban über Probleme und ungenutzte Chancen des Dialogs
BERLIN; 3. November 2009 (ZENIT.org).- Interreligiöse Gespräche zwischen Christen und Muslimen
nahmen in den letzten Jahrzehnten zu. War der Dialog erfolgreich? Erfüllte er die Erwartungen? Was kann der
christlich-islamische Dialog eigentlich bewirken? Wo stehen wir jetzt? Der deutsche Islamwissenschaftler und
Publizist Ralph Ghadban schildert im Gespräch mit ZENIT seine Sicht der Dinge, gestützt auf eigene
Erfahrungen in Deutschland.Ghadban wurde 1949 im libanesischen Haouche Hala geboren und arbeitet als
Dozent an der Evangelischen Fachhochschule Berlin. Er konzentriert sich dabei auf Migrationsforschung mit
dem Schwerpunkt Islam in Europa. 2006 erschien sein Werk „Tariq Ramadan und die Islamisierung Europas“
im Schiler Verlag. Er verfasste auch Beiträge zum interreligiösen Dialog, etwa bei der Dialog-Tagung an der
Katholischen Akademie Stuttgart-Hohenheim im Jahr 2004. 2008 bis 2009 wirkte er an der School of
Historical Studies von Princeton in den USA.
Der promovierte Politologe studierte zunächst Philosophie in Beirut, nach der Übersiedlung nach
(West-)Berlin Islamwissenschaften. 1976 war er Mitbegründer der Libanonhilfe für Bürgerkriegsflüchtlinge.
1977 bis 1992 war er in der Sozialarbeit mit arabischen Berlinern tätig, unter anderem als Leiter der
Beratungsstelle für Araber beim Diakonischen Werk in Berlin.
Es folgen Ralph Ghadbans ausführliche Darlegungen zum Thema, die aus einem Gespräch stammen, das
ZENIT mit Ghadban am Rande einer Islam-Tagung in Berlin führte.
***
„Der Interreligiöse Dialog hat auf der niederen Ebene eine wichtige Funktion, nämlich die der Integration. Die
Christen versuchen die Muslime, die in ihren Gemeinden eintreffen, besser zu verstehen, um das
Zusammenleben besser zu organisieren. Dieser interreligiöse Dialog auf der Ebene von – sagen wir –
christlichen Gemeinden ist sinnvoll und interessant, denn er dreht sich vor allem um praktische Dinge.
Der bekannte interreligiöse Dialog findet aber auf höherer Ebene, zwischen der Kirche und den offiziellen
islamischen Organisationen, statt. Hier gibt es viele Probleme, unter anderem deshalb, weil die Erwartungen
der beiden Seiten sehr verschieden sind. Ein Hauptaspekt für die Kirche ist nach meiner Beobachtung das
Verständnis des anderen mit dem Ziel, sich selber besser zu verstehen. Es geht ihr vor allem um das
Phänomen des Glaubens. Eine neue Religion an einen Gott tritt auf, die für die Kirche interessant ist. Es
entstehen Fragen, wie: „Wie können wir das vereinbaren? Glauben wir an denselben Gott?“ Und so weiter.
Nach meiner Erfahrung ist diese Intention das Entscheidende. Um das Gespräch zu entwickeln, hat die
evangelische Kirche eine eigene Theologie des Dialogs entwickelt. Bei den Katholiken hat sich seit dem
Zweiten Vatikanischen Konzil der interreligiöse Dialog zwischen Katholiken und Muslimen stark entwickelt.
Die Muslime suchen die Anerkennung ihres Propheten und die Gelegenheit zur Mission
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Aber welche Erwartungen bestanden von der anderen Seite? Was suchten die Muslime bei diesem Dialog? An
erster Stelle Anerkennung. Die Muslime leben seit Ewigkeiten in der Furcht, dass ihre Religion von den
Vorgängerreligionen nicht anerkannt wird. Judentum und Christentum erkennen Mohammed als Propheten
nicht an. Im besten Fall sehen sie in ihm einen Prediger, aber niemals einen von göttlichen Offenbarungen
erleuchteten Propheten. Wenn die Christen so etwas akzeptieren würden, wäre ihr Verständnis von Jesus
völlig falsch. Dann wäre nämlich Jesus nur ein Prophet unter anderen, und Mohammed der letzte Prophet.
Dasselbe sagen ja auch die Muslime. Der Schritt, den die Christen gemacht haben, nämlich der Versuch, den
Weg des anderen anzuerkennen, hat unter den Muslimen überhaupt nicht stattgefunden. Sie suchen nur ihre
eigene Anerkennung. Wenn ein Christ sagt „Mohammed ist ein Prophet“ sind sie glücklich. Aber damit
negieren sie in Wahrheit die anderen Religionen. Diese Erwartungshaltung führt in eine Sackgasse, denn diese
Art von Anerkennung können die Muslime nicht erreichen.
Es gibt noch eine andere Dimension des Dialogs für die Muslime. Die Muslime denken: „Wir machen unsere
Religion bekannt.“ Es geht um eine Art Missionsarbeit. Und da wird von den Muslimen der interreligiöse
Dialog als Aufklärungsdialog betrachtet. Es fehlen dann die theologische Diskussion und der theologische
Hintergrund. Die Muslime weigern sich eisig, theologische Diskussionen zu führen, etwa ob sie den alleinigen
Anspruch auf Wahrheit hätten.
Christen ziehen sich vom interreligiösen Dialog zurück, die Muslime suchen ihn weiterhin
Da fragt man sich: Was bleibt übrig vom interreligiösen Dialog? Es bleibt die integrative Ebene. Aber das
wird von der Politik besser gemacht. In Deutschland hat die Regierung mit der Islamkonferenz mehr
Integrationsarbeit geleistet, als 30 Jahre interreligiöser Dialog zwischen Christen und Muslimen. Das ist im
Grunde noch wichtiger, als die Anerkennung anderer Religionen. Die Christen haben das in den letzten Jahren
gemerkt. Deshalb ist ihr Engagement zurückgegangen.
Papst Benedikt hat die Prioritäten betreffend die Ökumene geändert. Für Benedikt XVI. ist wichtig, dass sich
die Ökumenearbeit an jene Christen wendet, bei denen die theologischen Differenzen nur sehr reduziert sind.
Das sind etwa die Ostkirchen oder auch die anglikanische Kirche. Das zeigen auch seine jüngsten Initiativen.
Die theologischen Probleme sind nicht so enorm. Im Hinblick auf verheiratete Priester hat der Vatikan schon
in der Vergangenheit bei den Anglikanern Konzessionen gemacht.
Die evangelische Kirche hat mit der letzten Handreichung „Klarheit und gute Nachbarschaft“ Klartext
gesprochen. Dabei wurde die Missionierung der anderen als Auftrag und Aspekt genannt. Seither springen die
Muslime bis heute hoch, weil man sie missionieren will. Sie verbinden das mit Kolonialismus. Aber was alle
Muslime machen, ist ohne Ausnahme Missionsarbeit. Auch der interreligiöse Dialog ist für sie
Missionsarbeit. Aber bei den Christen akzeptieren sie das nicht. Auch das Zweite Vatikanische Konzil hält
fest, dass interreligiöser Dialog niemals die Aufgabe der Verbreitung des Glaubens verhindern soll. Die
Einschüchterung vieler christlicher Gemeinden und Christen, vor allem deshalb, weil Muslime christliche
Mission mit Kolonialismus verbinden, hat das verdrängt.
Doch in den letzten Jahren änderte sich auch hier einiges, vor allem seit die Christen bemerkt haben, dass sich
die Muslime in den letzten Jahrzehnten im interreligiösen Dialog keinen einzigen Millimeter – absolut nicht,
gar nicht – bewegt haben. Das ist die jetzige Situation. Ich wäre sehr froh, wenn ich erfahren würde, dass sich
jemand bewegt hat oder eine andere Meinung geäußert hat.
Was wir nun weiter erleben, zeigt, dass die Muslime jetzt, seitdem Benedikt XVI. seine Regensburger Rede
gehalten hat, diejenigen sind, die den Dialog haben wollen. Die Christen ziehen sich langsam vom Dialog
zurück, während die Muslime den Dialog unbedingt haben wollen, weil ihnen der Dialog die Möglichkeit
gegeben hat, den Islam auf Kosten der anderen bekannt zu machen. Es gab offizielle Initiativen: 138
muslimische Gelehrte veröffentlichten 2007 einen 29-seitigen offenen Brief („Ein gemeinsames Wort
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zwischen Uns und Euch“), in dem sie zum Dialog aufforderten. Besonders Saudi-Arabien wurde aktiv.
Mittlerweile fanden Veranstaltungen in Madrid oder an der UNO statt. Und jetzt ist ganz klar, dass es um
Mission geht, denn die Politik hat direkt interveniert. Das sind Dimensionen, wo eigentlich die Christen nichts
mehr zu suchen haben. Erstens, weil sie auf den Dialog keinen Einfluss üben können, weil der von woanders
gesteuert wird. Zweitens, weil das, was sie suchen, dort nicht zu finden ist.
Christen könnten die Integration fördern, indem sie die Scharia ansprechen
Der interreligiöse Dialog könnte aber eine wichtige Funktion übernehmen, wenn sich die Christen nicht mehr
mit sich selbst beschäftigen und in dem Dialog den Beitrag zur Integration besser erbringen. Da gibt es noch
viel zu tun. Ich persönlich denke, dass die Christen den Muslimen zeigen können, wie man als religiöse
Gemeinschaft in einem säkularen Staat leben kann, dass zwischen den beiden kein Widerspruch besteht.
Gerade weil die Ansprechpartner – der organisierte Islam – in der Regel islamistisch ausgerichtet sind, muss
man die Scharia ins Zentrum der Diskussion stellen. Die Scharia umfasst auch die Politik und Bereiche wie
das Familienrecht. Das ist ein Haupthindernis für Integration. Die Christen können hier viel leisten, wenn sie
sich getrauen, so etwas anzusprechen.
Die Menschenrechte und die Verfassung sind die Basis unserer Demokratie. Man muss die Muslime auch
fragen, wie sie mit ihren Frauen umgehen. Sie können nicht sagen: Das ist eine religiöse Angelegenheit. Nein,
das muss dort diskutiert werden. Auch das Kopftuch hätte dort diskutiert werden müssen. Ich halte es für ein
Unding, dass viele Christen den Vergleich zwischen dem Kopftuch und dem Schleier der Ordensfrau
zugelassen haben. Das kann man nicht machen. Das Kopftuch bedeckt die Sexualität der Frau, um sie für den
Mann zu bewahren. Der Mann kann dann seine Frau nutzen, so lange er will. Eine der Hauptpflichten der
Frau ist es, dem Mann für dessen sexuelle Befriedigung zur Verfügung zu stehen. Der Schleier der Ordensfrau
ist hingegen ein Zeichen dafür, dass sie auf Sexualität verzichtet. Das sind zwei verschiedene Welten. Dieser
Vergleich schockiert mich in meinem Gefühl. Das ist eine Ungerechtigkeit.
Auf höherer Ebene gibt es im Moment keinen echten Dialog
Man kann sich nicht den Ansprechpartner aussuchen. Es ist nicht unsere Aufgabe, sich so massiv in die
Religion einzumischen. Wenn die anderen unter dem Banner des Islamismus organisiert sind, dann ist das
deren Problem. Es ist einfacher auf der niedrigeren Ebene, auf Ebene der Kirchengemeinde und der
Moscheegemeinde. Das ist die Ebene, wo man Dinge wie gemeinsame Klassenfahrten, Schwimmen und
anderes diskutieren kann – in einer solidarischen Atmosphäre. Religiöse Menschen sind da unter sich.
Die deutsche Regierung hat sich geschickt verhalten. Sie hat gesagt: Die Personen, die an der Konferenz
teilnehmen, sind keine Vertreter von Organisationen. Natürlich waren auch Vertreter von Organisationen
dabei, aber es wurden auch viele Individuen geholt. Ihr Argument war: Der Islam ist als Kirche nicht
anerkannt. Da gibt es im Prinzip keine Vertreter der Muslime wie bei der Kirche. Diese Organisationen sind
fast alle islamistisch und arbeiten in Richtung Übernahme der Vertretung der Muslime, obwohl der massive
Großteil der Muslime von ihnen nicht vertreten wird. Die Kirchen in Deutschland vertreten über zwei Drittel
der Bevölkerung. Sowohl rechtlich als auch real ist hier ein Anspruch vorhanden, bei den anderen nicht. Die
Lösung, die die Politik angeboten hat, ist anders als bei den Kirchengemeinden, aber die richtige meine ich.
Auf der mittleren Ebene: Mit wem soll die Kirche reden? Da wird das Problem schwieriger. Denn die Kirche
als organisierte Form kann nur mit organisierten Formen reden. Im Moment werden in einigen Städten
Gespräche mit der Schura – einem Sammelbecken von Organisationen – geführt. Von Seiten der Muslime gibt
es schon Bestrebungen, eine breitere Vertretung zu suchen, abseits von den größeren Organisationen. Es gibt
viele Unabhängige und dann auch Unterschiede zwischen Sunniten, Schiiten und Aleviten. Also in der Praxis
wird das zum Teil geregelt.
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Ungeregelt ist das auf höherer Ebene: Da ist etwa die Evangelische Kirche Deutschlands und der
Koordinierungsrat, der schon eine Macht ist. Ich sehe keine andere Möglichkeit, als mit dem
Koordinierungsrat zu reden, der mir aber seit einiger Zeit nicht willig scheint, einen echten Dialog zu führen.
Gerade bei der „Handreichung“ der evangelischen Kirche haben sie die Kirche massiv, aber auch ungerecht
angegriffen. Leider haben sie viele Verbündete unter den Protestanten gefunden. Doch darunter waren
Vertreter des Multi-Religiösen, deren Dialogverständnis in Richtung Selbstauflösung geht. Aber es gibt doch
Grenzen. Auch Jesus hat Grenzen gezogen. Dialog heißt doch nicht, dass man sich selbst auflösen soll. Dialog
heißt, dass man auch eine andere Position vertritt und darüber mit anderen Personen spricht. Diese Leute
haben gegen ihre Kirche gearbeitet und damit den Muslimen gezeigt, wie sie die evangelische Kirche
besiegen.
Es kam auch der Vorschlag, in den Dialog mit den Muslimen die Juden mit einzubeziehen. Die Juden haben
in Deutschland aufgrund ihrer Geschichte eine Sonderstellung, die auch die Muslime auf diesem Weg leichter
erreichen wollen. Die evangelische Kirche hat das freilich durchschaut und den Vorschlag sofort abgelehnt.
Aber Sie sehen nur, mit welchen Tricks wir es hier zu tun haben! Wo ist der Dialog in dieser Angelegenheit?
Ich sehe keinen Dialog“.
[Das Gespräch führte Stefan Beig]
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