ADHS im Erwachsenenalter – Störungsbild Diagnostik Behandlung Fortbildung 14.04.2016 Sozialpsychiatrischer Dienst Kreis Borken Thomas Miebach 1 Konzentrations-Bingo Spielregeln Erstellen Sie ein Bingo-Blatt mit jeweils 4-5 Zeilen und Spalten. Füllen Sie das Blatt mit Wörtern, die in der Sitzung / im Seminar / Vortrag… wahrscheinlich benutzt werden. Kreuzen Sie ein Kästchen an, wenn ein bestimmtes Wort fällt. Stehen horizontal, vertikal oder diagonal vier Kreuze in einer Reihe, haben Sie einen Punkt. Loben Sie sich intensiv, weil Sie merken, wie aufmerksam Sie den Ausführungen gefolgt sind und beginnen Sie von vorn. Die Kästchen füllen Sie für jede Veranstaltung individuell neu aus. Ihre Fantasie hat freien Lauf! 2 Konzentrations-Bingo Viagra Erektion Lubrikation Geschlechtsverkehr Vagina Einfühlsam Gestört Angst Potenz Klitoris Penis Kommunikation Sensate Focus Masters & Johnson Verhaltenstherapie Literatur Übung Erregungskurve ICD-10 Differenzialdiagnostik Fragebogen Paarbeziehung Ejaculatio praecox DSM-IV Vaginismus 3 Arbeit mit ADS-Patienten macht • pädagogisch vielseitig • schlau • frustrationstolerant • strukturiert und strukturierend • aktiv • flexibel (im Ggs. zu eingefahren) • dass die Zeit fliegt (viele Töpfe auf dem Herd) 4 Popularität des Themas • Es gibt eine Vielzahl an Menschen, die schon immer das Gefühl haben, „anders“ zu sein – und die gehört / gelesen haben, dass viele von ADHS Betroffene eben dieses Gefühl haben • Es gibt eine kaum mehr überschaubare Fülle von Literaturveröffentlichungen zu allen Facetten des Themas AD(H)S bei Kindern, Erwachsenen, Frauen, im Beruf, in der Partnerschaft… 5 6 Endlich: DER ADS-Test! Von Niko Wager 1. Sind Sie wahrscheinlich männlich? 2. Sind Sie öfters mal wibbelig? 3. Haben Sie schon mal Ihren Hausschlüssel vergessen? 4. Sind Sie fromm? 5. Haben Sie schon mal jemanden geärgert? 6. Lieben Sie ausschließlich dicke Frauen? 7. Haben Sie ein Aquarium mit Algen? 8. Glauben Sie, das ADS-Kritiker Scientologen sind? 9. Steht die Länge Ihrer großen Zehe im Zusammenhang mit Ihrem IQ? 10.Durchforsten Sie täglich einschlägige ADS-Internetforen? 11.Lügen Sie öfters? 12.Sind Sie schon mal vom Stuhl gefallen? 13.Lieben Sie das andere oder das gleiche Geschlecht? 14.Fühlen Sie sich ausgeschlossen, weil Sie noch nicht die Diagnose ADS haben? Auflösung: Wenn du eine dieser Fragen als zutreffend beantwortet hast: Gratulation, welcome 7 to the club! Alle anderen: Nicht traurig sein und weiter anstrengen, es wird schon noch werden!!! Phänomenologie 8 ADHS – ein Konstrukt Bei der Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS) handelt es sich um ein deskriptives klinisches Konstrukt mit den Verhaltensmerkmalen „Unaufmerksamkeit“, „motorische Überaktivität“ und „Impulsivität“. Diese Merkmale sind nicht klar von altersgemäßen Temperamentsvariationen zu trennen, treten aber bei diesen Kindern „öfter“, „häufiger“, „bei längerer Zeit“, „leichter“ oder „schwerer“ ausgeprägt auf. …Diese Verhaltensmerkmale zeigen sich – gegenüber Kindern ohne dieses ADHSVerhaltensmuster typischerweise zeitlich früher und quantitativ stärker auftretend – am deutlichsten in Situationen, die ein hohes Maß an Verhaltenssteuerung, kontrolle und –regulation über einen längeren Zeitraum erfordern. Charakteristisch ist dabei die zeitliche und kontextuelle Variabilität der Merkmalsausprägungen. (Moll, 9 Hüther) ICD, DSM, Wender-Utah 10 DSM-V ICD-10 Wender – Utah-Kriterien ADHS, gemischter Typ, 314.01 Einfache Störung der Aufmerksamkeit und der Aktivität, F90.0 ADHS, überwiegende Unaufmerksamkeit, 314.00 Aufmerksamkeitsstörungen, F98.8, Sammelkategorie Adulte ADHS: Obligatorische Kriterien: - Aufmerksamkeitsstörungen - Hyperaktivität ADHS, überwiegende Impulsivität und Hyperaktivität, 314.01 Nicht vorhanden Nicht vorhanden Hyperaktive Störung des Sozialverhaltens, F90.1, nur für Kinder und Jugendliche geeignet ADHS, residualer Typ, 314.8 Nicht vorhanden Fakultative Kriterien (mindestens 2): - affektive Labilität - Temperament - Emotionale Überreagibilität (Stressintoleranz) - Desorganisation - Impulsivität Verschiedene Kombinationen möglich Keine diagnostischen Subgruppen 11 DSM-V: Allgemeine Kriterien • Ein durchgehendes Muster von Unaufmerksamkeit und /oder HyperaktivitätImpulsivität, welches das Funktionsniveau oder die Entwicklung beeinträchtigt • In einem mit dem Entwicklungsstand nicht zu vereinbarenden Ausmaß • Wirkt sich direkt negativ auf soziale und schulische / berufliche Aktivitäten aus 12 DSM-V Krit. A: Unaufmerksamkeit (für Diagnose mind. 5 erforderlich) a. beachtet häufig Einzelheiten nicht oder macht Flüchtigkeitsfehler b. hat oft Schwierigkeiten,längere Zeit die Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten c. scheint häufig nicht zuzuhören, wenn andere ihn/sie ansprechen d. führt häufig Anweisungen anderer nicht vollständig durch und kann Arbeiten nicht zu Ende bringen e. hat häufig Schwierigkeiten, Aufgaben und Aktivitäten zu organisieren f. vermeidet häufig Aufgaben, die längerandauernde geistige Anstrengungen erfordern g. verliert häufig Gegenstände, die er/sie für Aufgaben oder Aktivitäten benötigt h. lässt sich öfter durch äußere Reize leicht ablenken i. ist bei Alltagstätigkeiten häufig vergesslich 13 DSM-V Krit. A:Hyperaktivität und Impulsivität (für Diagnose mind. 5 erforderlich) a. Zappelt häufig mit Händen und Füßen oder rutscht auf dem Stuhl herum b. Steht oft in Situationen auf, in denen Sitzenbleiben erwartet wird c. Läuft häufig herum oder klettert exzessiv in Situationen, in denen dies unpassend ist (Bei älteren Jugendlichen und Erwachsenen kann dies auf ein subjektives Unruhegefühl beschränkt bleiben.) d. Hat häufig Schwierigkeiten, ruhig zu spielen oder sich mit Freizeitaktivitäten ruhig zu beschäftigen e. Ist häufig „auf dem Sprung“ oder handelt oftmals, als wäre er / sie „getrieben“ (z. B.: kann nicht über eine längere Zeit hinweg ruhig an enem Platz bleiben bzw. fühlt sich dabei sehr unwohl) f. Redet häufig übermäßig viel g. Platzt häufig mit den Antworten heraus, bevor die Frage zu Ende gestellt ist h. Kann häufig nur schwer warten, bis er / sie an de Reihe ist (z. B. beim Warten in einer Schlange) i. Unterbricht oder stört andere häufig 14 15 16 17 DSM-V: B-E B. Mehrere Symptome bereits vor dem Alter von zwölf Jahren (DSM-IV: einige vor dem Alter von sieben Jahren) C. Beeinträchtigungen in zwei oder mehr Bereichen (z. B. zu Hause, in der Schule / bei der Arbeit, mit Freunden oder Verwandten, bei anderen Aktivitäten) D. klinisch bedeutsame Beeinträchtigungen des Funktionsniveaus E. Die Symptome treten nicht ausschließlich ... 18 Anders in DSM-V • Bisher war die ADHS zusammen mit den Störungen des Sozialverhaltens in einer gemeinsamen Kategorie. Neu zählt sie zu den “Neurodevelopmental Disorders”. • Die Zahl der für eine ADHS-Diagnose notwendigen Symptome werden in der DSM-5 für Betroffene ab 17 Jahren (also auch für Erwachsene) für die Störungsbereiche der Aufmerksamkeitsprobleme und der Hyperaktivität/Impulsivität von sechs auf neu fünf Symptome reduziert. • DSM 5 behält die 18 Kernsymptome, ergänzt diese aber teilweise. Beispiel: “Hat bei Aufgaben oder Spielen oft Schwierigkeiten, die Aufmerksamkeit längere Zeit aufrechtzuerhalten” wird neu ergänzt mit: “z.B. Schwierigkeiten während Vorlesungen, Tagungen, Unterhaltungen, Lesen längerer Texte fokussiert zu bleiben”. • Neu ist in der DSM-5 die Diagnose Autismus-Spektrum-Störung (ASS) kein Grund mehr dafür, dass keine ADHS-Diagnose gestellt werden darf. Die ASS zählt also neu zu den möglichen komorbiden Störungen der ADHS. Bisher schlossen sich diese Diagnosen aus. • Alterskriterium für die Erstmanifestation vom siebten auf das 12. Jahr angehoben • DSM 5 hebt hervor, dass neu mehrere Informanten bei der Diagnosestellung beigezogen bzw. berücksichtigt werden sollen. Dabei soll unter anderem klarer ersichtlich werden, ob die Problematik situationsübergreifend ist und sich tatsächlich in verschiedenen 19 Lebensbereichen behindernd stark manifestiert. Wender-Utah-Kriterien Aufmerksamkeitsstörung beide! Motorische Hyperaktivität Affektlabilität Desorganisiertes Verhalten (Tagesstruktur) Affektkontrolle mind. 2 Impulsivität Emotionale Überreagibilität 20 ADS: Hans-guck-in-die-Luft Störung der Aufmerksamkeit 21 ADHS: Zappel-Philipp Hyperaktivität 22 23 ADHS mit Störung des Sozialverhaltens: Der böse Friederich Impulsivität 24 Umfeldabhängigkeit der Störung • Auftreten der Symptomatik insbesondere, wenn sich Betroffene in bestimmten sozialen Situationen (Familie, Peergroup, Schule…) den Vorgaben entsprechend längerfristig verhalten und sich an die jeweiligen geforderten Bedingungen adaptieren müssen. (Moll, Hüther) • DSM-V: „In der Regel variiert die Symptomausprägung innerhalb des jeweiligen Lebensbereichs in Abhängigkeit von dem jeweiligen Kontext. Anzeichen der Störung können minimal sein oder fehlen, wenn die Person häufige Belohnungen für angemessenes Verhalten erhält, engmaschig kontrolliert wird, sich in einer neuen Situation befindet, sich mit besonders interessanten Aktivitäten beschäftigt, ständige Anregung von außen erhält (z. B. über elektronische Medien) oder sich in einer Interaktion mit nur einer Person befindet (. B. in der Sprechstunde). 25 Generelles Defizit? • ADHS-Symptome meist in mehreren Lebensbereichen (in Kindergarten/Schule, in der Familie, im Gleichaltrigenverband) • Oft in den verschiedenen Lebensbereichen unterschiedlich stark ausgeprägt • z. T. in deutlich geringerem Maße oder gar nicht erkennbar in neuer Umgebung, bei Konfrontation mit nur mit einem Gegenüber oder bei Lieblingsaktivität Fehlen von Symptomen in Untersuchungssituation kein eindeutiges Ausschlusskriterium „Die Tatsache, dass die Symptomatik durch Variationen der Situation (Neuigkeit, motivationaler Anreiz) deutlich beeinflussbar ist, lässt Zweifel an der Vorstellung aufkommen, dass sich die Störung durch ein generelles Defizit beispielsweise in der Aufmerksamkeitsfähigkeit erklären lässt.“ (Döpfner, Lehmkuhl, 2006) 26 Ressourcenorientierung! • • • • • Aufmerksamkeitsstörung Motorische Hyperaktivität Impulsivität Affektlabilität Emotionale Überreagibilität • Störung der Affektkontrolle • Desorganisiertes Verhalten • • • • • Hyperfokussierung Energie Risikobereitschaft Phantasie Begeisterungsfähigkeit • Leidenschaft • Kreativität 27 ADHS • 6% bis 10% bei Kindern; Jungen häufiger (m:w = 4:1) • Mädchen weniger „auffällig“, allerdings beim Typus ohne Hyperaktivität häufiger betroffen als Jungen • In der vorherrschend unaufmerksamen Subgruppe geringere intellektuelle Leistungsfähigkeit, höherer Anteil von Schulleistungs- und Lernstörungen 28 Erwachsene und ADHS • Persistieren bis ins Jugendalter bei 30-80% der Betroffenen, bis ins Erwachsenenalter bei bis zu 65% (2-3% aller Erwachsenen) – wobei hier die Diagnosekriterien häufig nicht mehr voll erfüllt sind m:w = 2:1 • Delinquentes Verhalten oder antisoziale Persönlichkeitsstörung bei 25-40% der Erwachsenen, die als Kinder wg. ADHS vorgestellt wurden. Dieses Risiko besonders bei Jungen mit frühen aggressiven Verhaltensauffälligkeiten und ausgeprägter Hyperaktivität / Impulsivität erhöht, hängt nicht mit Aufmerksamkeitsstörungen zusammen. • Zu höherem Alter nur Einzelfälle, die Funktionseinschränkungen berichten 29 Verlaufstypen im Erwachsenenalter • Remission bis zur Adoleszenz • Fortbestehen mit Rückgang Hyperaktivität • Fortbestehen plus Komorbidität 30 Prävalenz • Kindesalter 3-5% • Erwachsenenalter 1-2,5% 31 Beginn • Vor dem 6. Lebensjahr (nach ICD-10) • Erfahrungen zeigen auch einen Beginn erst nach der Grundschulzeit (Hesslinger, 2003) wegen der beginnenden Pubertät eventuell zunächst nicht erkannt 32 Altersabhängige Grundsymptome • Aufmerksamkeitsstörungen (später bemerkbar) • Hyperaktivität (früh bemerkbar) • Impulsivität umso auffälliger, je älter der Betroffene 33 ADHS im Lebenslauf (1) Säugling - ca. 60% zeigen extreme Unruhe häufiges, ausdauerndes und schrilles Schreien - instabiler Schlaf-Wach-Rhythmus - starker Bewegungsdrang - verzögerte Sprach- und Sauberkeitsentwicklung 34 ADHS im Lebenslauf (2) Kleinkindalter - vermehrte Aggressionen - destruktive, chaotisches und wenig zielgerichtetes Spielverhalten - unkontrollierte Wutanfälle 35 ADHS im Lebenslauf (3) Kindergartenalter - Außenseiterrolle wegen Störverhalten und Gruppenunfähigkeit - Zappeln, Zwischenreden im Stuhlkreis - Bewegungsdrang gefährdet Kinder und andere Personen - kein Gefahrenbewusstsein - kein Lernzuwachs durch negative Erfahrung 36 ADHS im Lebenslauf (4) Grundschulalter – (Andauernde) motorische Unruhe volles HKS – Erhöhte Ablenkbarkeit – Gesteigerte Impulsivität – Lernschwierigkeiten – Umschulungen/Klassenwiederholungen – Aggressives Verhalten (30-50%) – Ablehnung durch Gleichaltrige – Selbstunsicherheit – 85% der Schulwegunfälle – Häufiges schlagen und geschlagen werden 37 ADHS im Lebenslauf (5) Jugendalter – – – – – – – – – Rückgang motorischer Unruhe (HKS) Weiterhin Aufmerksamkeitsstörungen Impulsivität Aggressives Verhalten Dissoziales Verhalten und Delinquenz (30%) Alkohol- und Drogenmissbrauch (Sucht) Hochrisikoverhalten Viele Unfälle Emotionale Störungen 38 ADHS im Lebenslauf (6) Erwachsenenalter – Motorische Unruhe (30-60%) – Ausgeprägte Symptomatik bei ca. 30% – Dissoziale Persönlichkeitsstörung bei ca. 15% – Geringere Schulbildung – Häufige Arbeitsplatzwechsel – Partnerschaftsprobleme – Alkohol- und Drogenmissbrauch 39 Im Erwachsenenalter kommen vor ... • Drogenmissbrauch, Störungen des Sozialverhaltens • Angstsymptome, Alkoholprobleme • Strafauffälligkeiten • Erhöhte Unfallneigung • Schlechtere berufliche Position 40 Ursachen 41 Ursachen Es gibt keine einzige und allgemeingültige Ursache. Es gibt keinen genetischen Marker für ADHS. Beobachtete Unterschiede in der Gehirnstruktur und – funktion treten auch bei Kindern mit sog. normalen Temperamentsvariationen auf. ADS als Ergebnis des Zusammenwirkens verschiedener Faktoren auf unterschiedlichen Ebenen 42 Die gängigsten Hypothesen 43 Genetische Faktoren Hypothese: Hohe Bedeutung genetischer Faktoren: – Deutlich höhere Symptomkonkordanz bei eineiigen im Vergleich zu zweieiigen Zwillingen (vgl. Tannock, 1998:EZ: 66 % ; ZZ: 28 % ) 44 Epigenetische Auffälligkeiten • Zigarettenrauchen und Alkoholkonsum während der Schwangerschaft erhöhen das ADHS-Risiko des Kindes um den Faktor 2 bis drei • Psychosoziale Auffälligkeiten; in ADHS-Familien zu finden: - chronische Konfliktsituationen - verminderter familiärer Zusammenhalt - psychopathologische Auffälligkeiten (v. a. der Mütter) • Bei 10% der Betroffenen finden sich NahrungsmittelIntoleranzen. 45 Dopaminmangel Hypothese: Auffälligkeiten in den Neurotransmittersystemen / Auffälligkeiten im dopaminergen System spielen entscheidende Rolle für die Entstehung von ADS – Tierversuch: Gabe eines Neurotoxins, das dopaminerge Neuronen zerstört und die intrasynaptische DopaminKonzentration vermindert, löst ADS-Symptomatik aus – Gabe von Ritalin: Dopaminverfügbarkeit wird erhöht und ADS- Symptomatik gemindert 46 Dopaminüberschuss Hypothese: Das dopaminerge System ist zu stark ausgeprägt, daher die erhöhte Dichte an Dopamintransportern. Folge: Übererregung bestimmter Hirnregionen. Wirkweise von Stimulanzien: Verfügbares Dopamin wird ausgeschüttet und die Wiederaufnahme wird blockiert. An dopaminergen Präsynapsen lokalisierte Dopaminautorezeptoren werden aktiviert, impulsgetriggerte Dopaminfreisetzung wird unterbunden – und so wird Dopamin nicht mehr übermäßig freigesetzt, das überstark ausgebildete dopaminerge System ist ausgeschaltet. – Tierversuch: Ritalingabe bei präpubertären Ratten führte zu einer dauerhaften Verringerung der Dopamintransporterdichte. Bis zur Pubertät nimmt die Dichte des dopaminergen Systems zu. Interpretation der Befunde: Rechtzeitige Verabreichung des Medikaments hemmt die übermäßige Ausprägung des dopaminergen Systems. Findet erst später eine Behandlung statt, muss dauerhaft das Medikament verabreicht werden, da das dopaminerge System seine endgültige Ausprägung gefunden hat. 47 Funktion von Dopamin Zur Aktivierung dopaminerger Neurone im Mittelhirn kommt es immer dann, - wenn etwas Neuartiges wahrgenommen wird, - wenn neue assoziative Verknüpfungen hergestellt werden - wenn unerwartet auftretende Reize eine Aktivierung stresssensitiver neuronaler Netzwerke auslösen (Bedrohung) - wenn diese Aktivierung durch eine erfolgreich eingesetzte Bewältigungsstrategie abgestellt werden kann Das vermehrt zur Verfügung stehende Dopamin führt dann zur Freisetzung von Wachstumsfaktoren, die Umorganisationsprozesse fördern. 48 Noradrenalinmangel Hypothese: Ein Mangel an Noradrenalin begünstigt die Entstehung von ADS. Noradrenalinmangelhypothese – erfolgreiche Behandlung von ADS-Patienten mit Antidepressiva: Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer und Medikamente , die die Monoaminoxidase (Abbauprozess der Katecholamine) vermindern, kamen zum Einsatz 49 Hirnschädigung: MCD Hypothese: Hirnschädigung durch prä-, peri-, oder postnatale Einwirkungen • Viele Studien lassen Hypothese als nicht haltbar erscheinen: – MCD ist nicht bei allen ADS-Kindern nachweisbar – Lediglich 5 % der betroffenen Kinder zeigen eine MCD 50 Neurologische Ursachen Hypothese: Ein geringes Geburtsgewicht erhöht das Risiko für Veränderungen der weißen Hirnsubstanz mit Ventrikelerweiterung • Erklärungswert: – Empirie zeigt, dass Kinder mit geringem Geburtsgewicht öfter ADS entwickeln als normalgewichtige Kinder 51 Intoxikation Hypothese: – Alkoholkonsum der Mutter während der Schwangerschaft führt zu einem fetalen Alkoholsyndrom des Kindes, welches das Auftreten von ADS begünstigen soll • Erklärungswert: – Studien zeigen, dass ADS bei diesen Kindern vermehrt auftritt 52 Kortikale Untererregung Hypothese: – ADS-Kinder leiden an einer chronischen corticalen Untererregung • Die bekannten Symptome als Folgen: – vermehrte Reizsuche – unzureichende zentralnervöse Hemmungskontrolle – mangelnde Fähigkeit zw. relevanten und irrelevanten Reizen zu diskriminieren 53 Integratives Modell Integratives Modell zur Entstehung und Aufrechterhaltung von ADS: – Darstellung des Zusammenwirkens versch. Faktoren, die letztendlich zur Manifestation von ADS führen – Biologischen Faktoren wird der höchste Stellenwert eingeräumt – Psychosoziale Faktoren beeinflussen Verlauf und Schweregrad von ADS 54 Allgemeines biopsychosoziales Modell von ADHS Ursachen Prozesse Genetische Disposition Störungen des neuronalen Netzes / der Neurotransmitter (v.a. dopaminerg / noradrenerg) Erworbene biologische Faktoren Störungen der Selbstregulation (mangelnde Inhibition / Verzögerungsaversion) Ebenen Neurobiologie Neuropsychologie •Arbeitsgedächtnis •Regulation von Affekt, Motivation und Aufmerksamkeit •Automation von Sprache •Entwicklung von Handlungssequenzen ADHS-Symptomatik Symptome •Impulsivität •Unaufmerksamkeit •Hyperaktivität Ungünstige Bedingungen in Familie / Schule Negative Interaktion mit Bezugspersonen / Misserfolge Interaktionen Komorbide Symptome •Leistungsstörungen •Aggressives Verhalten •Emotionale Störungen Komorbide 55 Symptome Kognitiv-verhaltensorientiertes Modell (1) Neurobiologisch determinierte Kernsymptome -Aufmerksamkeitsstörung -Impulskontrollstörung -Hyperaktivität (2) Lerngeschichte (5) Mangelnde Kompensationsstrategien -Misserfolge -Mangelndes Leistungsvermögen -Vermeidungsverhalten -Beziehungsprobleme (4) Erlernte Hilflosigkeit Stimmungsbeeinträchtigung (3) Negative Gedanken / automatisiertes Denken / dysfunktionale Grundannahmen -Depression -Selbstwertprobleme -Schuldgefühle -Misserfolgsorientierung -Angst (6) Funktionsstörungen -Ärger 56 Biologie • Unterschiedliche Befunde je nach eingesetztem bildgebenden Verfahren • Meiste Befunde zu Noradrenalin- und v.a. Dopamin-System 57 ADHS aus klinisch-neurobiologischer Perspektive Untersuchungsebene Morphologie Auffälligkeiten Konstrukt Kleinere Volumina, v. a. frontaler Kortex, Basalganglienbereich, Neocerebellum Entwicklungsabweichung frontokortikal- subkortikaler und zerebellärer Neuronensysteme - Unter Ruhebedingungen Geringerer zerebraler Blutfluss und Glukoseutilisation, v. a. frontraler Kortex, Basalganglienbereich, Neocerebellum Aktivitätsdefizit in frontokortikalsubkortikalen und zerebellären Neuronensystemen - Unter Aktivierungsbedingungen Geringere Aktivitätszunahmen, v. a. frontaler Kortex, Basalganglienbereich; diffuses Aktivierungsmuster Aktivierungsdefizit neuronaler Systeme zur Verhaltenssteuerung Neurophysiologie Höherer Anteil langsamer Wellen (EEG), niedrigere Amplituden ereignisbezogener Potenziale; diffusere Verteilung elektrischer Hirnaktivität (EP); niedrigere intrakortikale Inhibition (TMS) Arousal-Defizit („energetishces Defizit frontal-parietaler Aufmerksamkeitsprozesse“); Intrakortikales Inhibitionsdefizit („kortikales Regulationsdefizit) Neurochemie Höhere Dopamintransporterbindungsdichte Entwicklungsabweichung im dopaminergen System Genetik Assoziationen mit DAT-Gen, DRD4Gen, DBH-Gen Aktivitäts- / Expressionsabweichung 58 im dopaminergen System Funktionelle Bildgebung Strukturell und funktionell veränderte Hirnregionen bei ADHS-Patienten Präfrontaler Kortex Corpus callosum Kleiner Kleiner, weniger Stoffwechsel, weniger Blutfluss Anteriorer zingulärer Kortex Kleiner, weniger aktiviert Basalganglien Kleinhirn Kleinhirn-Wurm kleiner Kleiner, weniger aktiviert 59 Noradrenalin-System 60 Dopamin-System 61 Neurobiologische Auswirkungen therapeutischer Interventionen Verfahren Konstrukt Psychostimulanzien (orale Einnahme in klinischer Dosierung von Methylphenidat, D-Amphetamin) Modulation der dopaminergen Aktivität Neurofeedback Modulation der hirnelektrischen Aktivität Prozess Effekt Hemmung der Dopaminwiederaufnahme; Erhöhung des extrazellulären Dopaminspiegels; Aktivierung dopaminerger Autorezeptoren „Normalisierung“ eines hypoaktiven dopaminergen Systems (Ausgleich eines Dopamindefizits) oder „Normalisierung“ eines hyperinnervierten dopaminergen Systems (Hemmung der impulsgetriggerten Dopaminfreisetzung) EEG-Frequenzbandtraining Erhöhung höherer und Reduzierung niedrigerer EEGFrequenzanteile „Stärkung“ tonischer kortikaler Aktivierungsprozesse („Aufrechterhaltung neuronaler Ressourcen“) Training langsamer kortikaler Potenziale Verbesserung der Regulation von Negativierung (Erniedrigung der Erregungsschwelle) und Positivierung (Erhöhung der Erregungsschwelle) „Stärkung“ phasischer kortikaler Aktivierungsprozesse („Mobilisierung neuronaler Ressourcen“) 62 Diagnostik, Differenzialdiagnose und Komorbidität 63 Diagnostik (entsprechend DGPPN-Leitlinien) • Vollständige psychiatrische Exploration • Erfassung von Differenzialdiagnosen und Komorbiditäten • Ausschluss organischer psychischer Störungen • Interview mit wichtigen Vertrauenspersonen und / oder Eltern • Standardisierte Untersuchungsinstrumente (WURS, ADHS-SB, Elternfragebogen, WIE, TAP) • Grundschulzeugnisse • Verhaltensbeobachtung 64 65 Wender Selbstbeurteilungsskala; „Als Kind zw. 6 und 10 war oder hatte ich...“ 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. Konzentrationsprobleme Ängstlich, besorgt Nervös, zappelig Unaufmerksam, verträumt Rasch wütend, aufbrausend Wutanfälle, Gefühlsausbrüche Geringes Durchhaltevermögen Hartnäckig, willensstark Oft traurig, depressiv, unglücklich Ungehorsam, rebellisch, aufsässig Geringes Selbstwertgefühl Leicht zu irritieren Starke Stimmungsschwankungen Häufig ärgerlich 15. 16. 17. 18. 19. Nicht =0, gering =1, mäßig = 2, deutlich =3, stark = 4; HKS wahrsch. >= 30 25. 11. 12. 13. 14. 20. 21. 22. 23. 24. Impulsiv Tendenz zu Unreife Häufige Schuldgefühle Verlust der Selbstkontrolle Neigung zu unvernünftigen Handlungen Probleme mit anderen Kindern Unfähigkeit, Dinge vom Standpunkt des anderen aus zu betrachten Probleme mit Autoritäten Insgesamt mäßiger Schüler mit langsamem Tempo Probleme mit Zahlen und Rechnen Meine Möglichkeiten nicht 66 voll ausgeschöpft Elternbeurteilungsbogen (in Anlehnung an die Parents‘ Rating Scale nach Wender, 1995) Beurteilen Sie bitte, inweiweit Ihre Tochter /Ihr Sohn zwischen dem Alter von 6 und 10 Jahren folgende Verhaltensweisen aufwies: Antwortkategorien 0 = gar nicht, 1 = etwas, 2 = deutlich, 3 = sehr viel 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. unruhig-hyperaktiv Erregbar-impulsiv Störte andere Kinder Fing etwas an und führte es nicht zu Ende, kurze Aufmerksamkeitsspanne Zappelte dauernd Leicht abgelenkt Wünsche mussten sofort erfüllt werden, war leicht zu frustrieren Weinte häufig Stimmung wechselte rasch und extrem Neigte zu Wutausbrüchen und unvorhersagbarem Verhalten 67 Grundschulzeugnisse „Die Schulzeugnisse der ersten vier Schuljahre auf der Grundschule geben Hinweise auf eine leichte Ablenkbarkeit, eine langsamen Arbeitsstil und desorganisiertes Verhalten: „Im Unterricht verhält sie sich häufig unbeteiligt und ist leicht ablenkbar.“, „Sie arbeitet bei schriftlichen Aufgaben meistens langsam und lässt sich durch Nachbarn leicht ablenken.“, „…, indem sie Buchstaben auslässt oder verwechselt.“, „Ihre Hausaufgaben erledigte sie mit wenig Sorgfalt und nicht immer vollständig.“ 68 TAP (1) Alertness (2) Arbeitsgedächtnis (in 3 Schwierigkeitsabstufungen) (3) Augenbewegung (4) Daueraufmerksamkeit (in 2 Varianten) (5) Flexibilität (in 6 Varianten) (6) Gesichtsfeld- bzw. Neglectprüfung (in 5 Varianten) (7) Geteilte Aufmerksamkeit (in 6 Varianten) (8) Go/Nogo-Test (in 2 Varianten) (9) Inkompatibilität (10) Crossmodale Integration (11) Verdeckte visuelle Aufmerksamkeitsverschiebung (12) Vigilanztest (in 3 Varianten) (13) Visuelles Scanning 69 TAP Alertness: Die Probanden sollen so schnell wie möglich nach Darbietung eines Zielreizes eine Taste drücken. Bei einem Teil der Zielreize geht ein ankündigender Piepton voraus. Daueraufmerksamkeit: Es werden auf dem Bildschirm nacheinander Reize gezeigt, die in Farbe, Form, Größe und Füllung variieren. Ein kritischer Reiz, auf den mit einem Tastendruck zu reagieren ist, liegt dann vor, wenn ein gezeigter Reiz in einer oder zwei vorher festgelegten Reizdimension mit dem vorangehenden Reiz übereinstimmt. Flexibilität: Es werden simultan rechts und links vom Fixationspunkt konkurrierende Reize dargeboten, wobei jeweils die Taste auf der Seite zu drücken ist, auf welcher sich der Zielreiz befindet. Geteilte Aufmerksamkeit: Es handelt sich um "dual-task" Aufgaben, in denen gleichzeitig zwei Reizdarbietungen beachtet werden müssen. Bei diesem Test sind parallel eine visuelle und eine auditive Aufgabe zu bearbeiten. 70 TAP Go-Nogo: Im Test werden auf dem Bildschirm in wechselnder Abfolge ein stehendes und ein liegendes Kreuz dargeboten. Bei Erscheinen des liegenden Kreuzes hat der Proband so schnell wie möglich mit einem Tastendruck zu reagieren; bei einem stehenden Kreuz soll er nicht reagieren. Intermodaler Vergleich: Bei den Aufgaben der Skala soll die kritische Kombination von einem vorausgehenden Ton (hoch oder tief) und einem nachfolgenden visuellen Reiz (ein nach oben oder unten gerichteter Pfeil) entdeckt werden. Ein Zielreiz liegt dann vor, wenn die Tonhöhe und die Richtung des Pfeils übereinstimmen (hoher Ton und nach oben gerichteter Pfeil oder tiefer Ton und nach unten gerichteter Pfeil). 71 Validität der Messung: Umfeldabhängigkeit der Störung • Symptomatik v. a. in bestimmten sozialen Situationen (Familie, Peergroup, Kindergarten/Schule) bei langandauernden Anforderungen => neg. Testergebnisse schließen die Diagnose nicht aus, aber auch => ADHS-typische Symptomatik kann auch andere Ursachen haben 72 Validität der Messungen • „Die Testleiterin war so unsympathisch, der wollte ich‘s zeigen!“ (Zitat eines Pat., der in einer anderen Institution untersucht wurde) TAP in Laborsituation, ADHS-typische Defizite im Alltag • Grundschule: enormer Stellenwert Passung Lehrer – Schüler Kompensation mit Hilfe hoher Intelligenz / Unterstützung durch die Eltern • Motivationale Effekte • Gedächtnislücken 73 ADHS und Leistungstests 2 Metaanalysen: Schoechlin und Engel (2005), Hervey, Epstein und Curry (2004) (vorgestellt im QZ von Klaus Höschel): • Die ADHS-Gruppe zeigt in allen Bereichen Leistungsdefizite gegenüber HC mit kleinen bis moderaten Effektstärken • Die größten Defizite zeigen sich bei Aufgaben, die komplexe Aufmerksamkeitsanforderungen, Arbeitsgedächtnisanforderungen oder Anforderungen an das verbale Gedächtnis stellen • Bei „exekutiven“ Funktionen, die dem Frontalhirn zugeordnet werden, zeigen sich nur kleine Defizite in der ADHD-Gruppe • Differentialdiagnostisch sind die Testergebnisse nur begrenzt nutzbar – und auch nur für die Differentialdiagnose von ADHD vs. Gesund • Da Patientengruppen mit psychiatrischen Störungsbildern eher ähnliche Leistungsergebnisse wie die ADHD-Patienten erzielen, können die Defizite als relativ störungsunspezifisch gesehen werden 74 Fragestellung Differenzialdiagnose: Bei welchen Erkrankungen sind welche Kriterien-überlappungen zu beachten? Komorbidität: Welche Erkrankungen treten gehäuft gemeinsam mit ADHS auf? 75 Erschwerendes Differenzialdiagnose z.T. erhebliche Kriterien-Überlappungen mit zahlreichen anderen Erkrankungen Hohe Komorbidität mit zahlreichen anderen Erkrankungen 76 Erschwerendes II Sucht Impulsivität Schlafstörung Angst ADHS Arbeitslosigkeit Beziehungsabbrüche Zwang Depression 77 78 79 Psychiatrische Komorbidität • Edel und Schmidt (2003): 90% der untersuchten Erwachsenen mit ADHS erfüllten Kriterien für mind. 1 Persönlichkeitsstörung • Biedermann et al.: 20% der Erwachsenen mit ADHS leiden an zwei oder mehr komorbiden Störungen 80 Orientierung im Wald • Krankengeschichte muss über mindestens ein Jahrzehnt bestehende Symptome erhalten • „Positive“ Familiengeschichte! • Fremdanamnese, alte Schulzeugnisse, berufliche Entwicklung • Checklisten (WURS, Connors-Scale…) 81 Psychiatrische Komorbiditäten • Borderline-Persönlichkeitsstörung • Substanzmissbrauch • Affektive Störungen • Angststörungen • Posttraumatische Belastungsstörungen • Teilleistungsstörungen • Tourette-Syndrom • Psychosen • Antisoziale Persönlichkeitsstörung 82 Erschwerendes Komorbiditäten der Borderline-Störung: 50-60% Angststörung, 40% affektive Störungen, oft weitere Persönlichkeitsstörungen = häufig bei ADHS zu findende Komorbiditäten „Es gibt bisher kaum fundierte Untersuchungen zur differentialdiagnostischen Abgrenzung zwischen ADHS und Borderline-Störung, so dass der psychiatrischen Erfahrung des jeweiligen Untersuchers hier eine ganz wesentliche Rolle zukommt.“ (Krause und Krause, 2005) Faustregel: Bei Borderline-Verdacht auf alle Fälle auch 83 an ADHS denken! DSM-IV: Borderline-Persönlichkeitsstörung 1. Verzweifeltes Bemühen, Verlassenwerden zu vermeiden 2. Instabile, intensive Beziehungen mit Wechsel zwischen Idealisierung und Abwertung 3. Ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes 4. Impulsivität in mindestens zwei potenziell selbstschädigenden Bereichen 5. Wiederholte suizidale Handlungen 6. Affektive Instabilität 7. Chronisches Gefühl von Leere 8. Unangemessene heftige Wut 9. Vorübergehende paranoide Vorstellungen, Dissoziation84 ADHS - Borderline Emotional instabile Persönlichkeitsstörung: ADHS • Probleme meist erst in der Adoleszenz • in Kindheit eher zurückgezogen • größere Identitätsprobleme • bei komorbiden Depressionen eher: Leere, Ärger und Furcht • Probleme meist schon in der frühen Schulzeit • in Kindheit hyperaktiv/unaufmerksam • komorbide Depressionen eher Reaktionen auf Wahrnehmung eigener 85 Defizite ADHS - Borderline Emotional instabile Persönlichkeitsstörung: ADHS • deutlich reduzierte Bindungsfähigkeit • ausreichende Beziehungs- und Integrationsfähigkeit • manipulative Beziehungsgestaltung bei hoher Aggressivität 86 ADHS - Borderline Dowson et al. (2004): Werte auf der Selbstbeurteilungsskala ADSA bei ADHS-Patienten 195,7 +/- 20, bei Borderline-Patienten 169,9 +/- 26,2 (= deutlich erhöht im Vergleich zu einem Normalkollektiv; 172 entspricht T-Wert von 65) Paranoide Anteile bei ADHS-Patienten eher nicht. Schultz et al. 1988: Borderline-Patienten mit solchen Anteilen reagierten auf Amphetamin-Gabe mit verstärkter Symptomatik. Patienten ohne solche Symptomatik mit Verbesserung (ADHS-Patienten?) 87 ADHS Substanzmissbrauch • Deutlich erhöhte Komorbidität bei: Alkohol, Nikotin, illegalen Drogen (v.a. THC) • Illegale Drogen v.a. bei komorbidem Vorliegen von antisozialer Persönlichkeitsstörung • Risikofaktor ADHS: vermehrte Impulsivität, Anschluss an problematische Peer groups, soziale Probleme infolge von Schulabbrüchen, Ärger am Arbeitsplatz, familiäre Probleme • Empirische Hinweise, dass rechtzeitige medikamentöse Behandlung betroffener Kinder das Risiko eines späteren Drogenabusus mindert 88 ADHS - Substanzmissbrauch • Höheres Risiko für Nikotinabusus; (beruhigende Wirkung von Nikotin) • Kahn et al.: Höheres ADHS-Risiko bei Kindern, deren Mütter in der Schwangerschaft geraucht hatten – aber keine Kontrolle auf Vorliegen von ADHS bei den Eltern • Deutlich erhöhtes Risiko für Alkoholabusus (bis zu 44%) bei ADHS-Patienten. • Hoher Prozentsatz an ADHS-Patienten bei Alkoholkranken (bis 30%) => wichtig zu erkennen und zu behandeln, da Therapie der ADHS die Rückfallgefahr mindern kann 89 ADHS-affektive Störungen Affektive Störungen: • Schlafstörungen vermehrt in den Morgenstunden ADHS • keine ausgeprägte tageszeitliche Bindung der Depressivität • Morgentief • Realitätsverlust bei Scham- und Schuldgefühlen • nicht durch Außenreize beeinflussbar • häufiger, grundloser Wechsel der Stimmung im Tagesverlauf • Veränderbarkeit der Stimmung durch Außenreize 90 ADHS – bipolare Störungen Bipolare Störungen: • Emotionale Erreichbarkeit in manischer Verfassung aufgehoben • depressive Verstimmung nicht durchbrechbar durch als positiv erlebte äußere Anlässe • Angstzustände, die zu nicht kontrollierbarer Getriebenheit führen ADHS • Emotionale Erreichbarkeit meist nicht völlig aufgehoben • Oft Aufhellbarkeit bei als positiv erlebten Anlässen • Getriebenheit meist nicht ängstlich bedingt 91 ADHS-bipolare Störungen Anamnestische Unterscheidungsmerkmale: Zeigen sich in der Anamnese Hinweise auf ADHSSymptomatik in Kindheit und Jugend? Bei Verwandten? Manien üblicherweise erst im Jugendalter! 92 ADHS-Angststörungen Angststörungen • pos. Familienanamnese bzgl. Angststörungen • bis zum Auftreten der Angst keine ADHSSymptomatik ADHS • ADHS-Symptome vor Auftreten von Angst • Vermeidung z.T. wg. Reizoffenheit / • Vermeidungsverhalten Ablenkung aus Angst (Menschenmengen) 93 ADHS-Teilleistungsstörungen • Häufigkeit von Lernstörungen bei Kindern mit ADHS wird auf 50-80% geschätzt. Es dominieren Lese- und Rechtschreibschwäche. => Gesamt-IQ wird bei Messung unterschätzt • ADHS behindert Erlernen von Kompensationsmechanismen Teilleistungsstörungen ADHS • keine wesentliche Besserung • Verbesserung durch bei interessanten Aufgaben vermehrte Fokussierung 94 ADHS-Posttraumatische Belastungsstörung Posttraumatische Belastungsstörung • Symptome von Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität – aber erst nach einem traumatischen Erlebnis ADHS • Symptome der ADHS schon vor dem traumatischen Erlebnis Aufgrund der familiären Häufung von ADHS dort potentiell traumatische Dauerbelastung: => erhöhte Impulsivität, Substanzmissbrauch, oft niedriger sozialer Status 95 ADHS - Denkstörungen im Rahmen von Psychosen Denkstörungen bei Psychosen: • wahnhafte Gedankeninhalte • Antriebsstörungen ohne Impulsdurchbrüche • keine Distanzierung von extremen Gefühlszuständen • gute Schulleistungen bis zum „Knick“ ADHS • Konzentrationsstörungen aber kein Wahn • gelegentliche Impulsdurchbrüche • extreme Emotionen oft ichdyston • durchgängig problematische Schullaufbahn 96 ADHS - Tourette-Syndrom • Prävalenz Tourette-Syndrom bis zu 3% • Komorbidität Tourette-ADHS 31-86%; problematisch, da Patienten mit Tourette-Syndrom oft Aufmerksamkeitsprobleme haben (durch die Tics selbst , oder durch deren Unterdrückung) • 12% von 312 ADHS-Patienten hatten Tics, 4% einer Kontrollstichprobe; Reihenfolge beachten: ADHS-Symptomatik vor Auftreten von Tics? 97 ADHS - Antisoziale Persönlichkeitsstörung • „selten gesehen“ wg. mangelnder Kooperations-bereitschaft • Biedermann 1993, Faraone 1997: Hinweise, dass Störungen des Sozialverhaltens und ADHS unabhängig voneinander vererbt werden, Komorbidität zufällig – und gehäuft bei Gefängnisinsassen zu beobachten • Unterscheidungsmerkmal: ADHS-Patienten eher „Ichdystone Außenseiter“ 98 ADHS als „Spektrum-Störung“? Ein bisschen „atze“? 99 ADHS als „Spektrum-Störung“? In den diganostischen Manuals der ICD-1o und der DSM-IV taucht der immer öfter verwendete Begriff der ADHS-Spektrum-Störung nicht auf. Wieso eigentlich? Und was genau ist eine ADHS-Spektrum-Störung? Worin unterscheidet sie sich von einer ADHS? 2009 habe ich diesen Begriff (von dem ich übrigens nicht weiss, wer ihn ‘erfunden’ hat) mit meiner Kollegin in einem Aufsatz erstmals öffentlich verwendet. Reklamiert hat bisher niemand. Wir haben damals unter anderem Folgendes ausgeführt: So wichtig die diagnostischen Kriterien der Klassifikationssysteme DSM-IV-TR und ICD-10 für die Therapieforschung und Krankenkassenentscheide auch sein mögen: In einer klinisch-therapeutischen Perspektive erscheinen sie in Bezug auf erwachsene ADHS-Patientinnen und -Patienten unpraktisch. Je mehr erwachsene ADHS-Betroffene wir untersuchten und behandelten, umso deutlicher wurde, dass die ADHS-Diagnose im Sinne der gemäss DSM-IV-TR geforderten klinisch akuten Zustandsstörungen (Achse-IStörung) nur selten vorkommt. Was uns begegnet, sind vielmehr Menschen mit chronifizierten ADHScharakteristischen Verhaltensweisen und festgefahrenen ADHSPersönlichkeitszügen. Wir sehen des Öfteren mehr oder weniger gut kompensierte ADHS-Kernsymptome und Vermeidungsstrategien, die von verschiedenen akuten psychopathologischen Störungsbildern wie etwa 100 Suchtstörungen überlagert werden und die ADHS maskieren können. Daneben begegnen uns vor allem bei Frauen sowie bei intelligenten Patientinnen und Patienten akute, ADHS-ähnliche Beschwerdebilder, welche die diagnostischen Kriterien der Klassifikationssysteme zwar nicht erfüllen, in ihrer Gesamtheit sowie nach Würdigung sämtlicher Differenzialdiagnosen einer ADHS aber sehr nahe kommen. Wiederholt haben wir in diesem Zusammenhang beobachtet, dass Patientinnen und Patienten mit der Begründung einer zu späten Erstmanifestation (beeinträchtigende ADHS-Symptome müssen nach DSMIV-TR vor dem siebten Lebensjahr vorliegen) eine sich später als wirksam erweisende ADHS-Therapie vorenthalten blieb. Generell: Als Praktiker begegnen wir der ADHS in allen nur erdenkbaren Dimensionen und Schattierungen. Eine dimensionale Sichtweise der ADHS erlaubt es uns daher, in der Therapie die Einzigartigkeit jedes betroffenen Individums zu berücksichtigen. Wir behandeln Menschen und keine Diagnosen. Mit der Bezeichnung ADHS-Spektrum-Störung, welche übergeordnet sowohl die ADHS gemäss DSM-IV-TR als auch atypische und subklinische Bilder umfasst, versuchen wir somit – bei aller diagnostischen Sorgfalt – auch ‘atypischen’ ADHS-Patientinnen und -Patienten und ihren Beschwerden klinisch-therapeutische Evidenz zukommen zu lassen. (Pierro Rossi, 2012) 101 Behandlung 102 103 Behandlung der Wahl 104 Noradrenalin 1 Aufmerksamkeit Motivation 4 Angst Irritabilität 5 Stimmung Emotion Kognition 6 Dopamin 1 NARI (z.B. Reboxetin) 2 SSRI (z.B. Fluoxetin) 3 Stimulanzien (z.B. Methylphenidat) 3 Antrieb Serotonin 2 Impuls Appetit Sex Aggression 4 Trizyklika (z.B. Imipramin) 5 SNRI (z.B. Venlafaxin) 6 MAO-Hemmer 105 (z.B. Moclobemid) Was bewirken Stimulanzien? Bei hoher Dosierung und rascher Anflutung (schnupfen oder injizieren) => massive und impulsunabhänige Dopaminfreisetzung => antriebssteigernde und die Umsetzung innerer Impulse verstärkenden Effekten, euphorisierende Effekte, Allmachtsgefühle, Größenphantasien und Potenzsteigerungen => Abhängigkeitspotenzial In geringen Dosierungen oral eingenommen => langsamere Anflutung, niedrigere Konzentrationen => lediglich eine Hemmung der Dopaminwiederaufnahme, leichte Erhöhung der extrazellulären Dopaminkonzentration (2-10 fach gegenüber 100 – 1000 fach). => Unterbindung weiterer impulsgetriggerter Dopaminfreisetzung Im Gegensatz zu den Vorstellungen einer durch Psychostimulanzien hervorgerufenen vermehrten Dopaminfreisetzung muss nach diesen Befunden von einer Inhibition der impulsgetriggerten Dopaminfreisetzung nach oraler Einnahme von Amphetaminen, Methylphenidat oder Kokain ausgegangen werden. Ein überstark ausgebildetes dopaminerges System würde so gewissermaßen „stillgelegt“, die Aufmerksamkeit würde besser fokussierbar, Impulse besser kontrollierbar. 106 Off-Label-Verordnungen Drei Bedingungen müssen zutreffen: Schwere, behandlungsbedürftige Erkrankung Kein vergleichbares zugelassenes Medikament auf dem Markt Nachgewiesene Wirksamkeit 107 Psychotherapie? 108 Psychotherapie? Psychotherapie ist sinnvoll, weil • die Komorbidität fast immer im Vordergrund steht. • es Menschen gibt, die keine Medikamente wollen. • die Mehrzahl der Patienten eine Behandlung wünscht, bei der nicht nur Pillen verordnet werden. • bei vielen psychischen Erkrankungen die Kombination von Psychotherapie und Psychopharmakologie zu besseren Therapieergebnissen führt. • die ärztlichen Leitlinien eine multimodale Therapie empfehlen. (nach Pütz, 2006) 109 Verhaltenstherapeutische Interventionsmöglichkeiten Coach statt Couch? 110 Fallkonzeption Diagnostik Informationsvermittlung „Modularbeit“: - Achtsamkeit - „Chaos und Kontrolle“ - Emotionsregulation - Impulsivität - Stressbewältigung - … (z. B. Angehörigen-Kontakt) 111 Besonderheiten der Beziehungsgestaltung • Besonderes Maß an Frustrationstoleranz erforderlich (Verspätung, Ablenkung, Impulsivität, Chaos…) • Medieneinsatz und –wechsel • Humor • Überraschungen zum „Zurückholen“ – ruhig mal Faxen machen! • Direktivität; zupackend, aktiv • Konfrontationsvermögen (auf dem Boden guter Beziehung), z. B.: „Kommen sie wieder runter.“ – und Akzeptanz, wenn das auch öfters mal nicht klappt • Geduld, Redundanz – die Patienten brauchen viiiiiiel mehr Zeit für Veränderungen • Rollenflexibilität (Sozialarbeiter, Erzieher: „Aufräumen, Anträge verfassen, zu Behörden begleiten) – immer unter dem Aspekt „Hilfe zur Selbsthilfe“ 112 Ist das nicht banal? • Viele der Inhalte der typischen ADHSBehandlung scheinen banal, haben mit eleganten, intellektuell anspruchsvollen Hypothesen zu Metakognitionen gar nichts zu tun – es geht z. B. eher darum, wie man effektiv aufräumen kann. • Das heißt nicht, dass die Pat. dumm sind. Sie sind aber in einem stärkeren Maße als andere Pat. auf einen Coach, auf praktische Tipps und oft auch auf praktische Hilfe angewiesen. 113 Therapievereinbarung 114 Informationsvermittlung Gemeinsame Bearbeitung eines selbst gewählten Selbsthilfe-Buchs, z.B. 115 Informationsvermittlung • Eingehen auf die Informationsbedürfnisse des Patienten. • Zeit begrenzen! Aufnahmekapazität begrenzt! Besser therapiebegleitend immer wieder Häppchen, als Vorträge, von denen nichts hängen bleibt (viele Töpfe!) • Inhalte: - Diagnosekriterien - Ursache - Ressourcen - Behandlungsmöglichkeiten (Medikation, Coaching, Psychotherapie) 116 Warum sollen ADHS-Patienten und Borderline-Patienten Achtsamkeit trainieren? 117 Achtsamkeit 118 Achtsamkeit Gefühl Intuitives Wissen und Verstehen Verstand Im Augenblick habe ich das Gefühl… Im Augenblick habe ich den Gedanken… Aber auch: Ich bin nicht das Gefühl. Es gibt nicht nur diesen Gedanken. 119 Für die Einzeltherapie bedeutet dies: • Üben, üben, üben – Erfolg mit achtsamkeitsbasierten Methoden setzt viel Training voraus! • eine achtsame, aufmerksame Haltung des Therapeuten; dem Pat. demonstrieren, was Achtsamkeit und Emotionsregulation bedeuten, z. B.: „Kann es sein, dass sie gerade unruhig werden? Würde eine Bewegungsübung jetzt Sinn machen?“ • Selektiv arbeiten! Manche Pat. können z. B. mit Atemübungen gar nichts anfangen, aber vielleicht mit Bewegunsübungen 120 121 122 123 Aufmerksamkeitsstörungen Ermitteln der Aufmerksamkeitsspanne • Mit Stoppuhr messen, wie lange an anstehender Aufgabe gearbeitet werden kann • Mehrmals • Aufgaben in Teilaufgaben splitten, so dass passend für die ermittelte Spanne • Stoppuhr stellen – zunächst nicht länger als Spanne arbeiten • im Weiteren in kleinen Schritten Spanne erweitern 124 Aufmerksamkeitsstörungen Hinauszögern des Moments der Ablenkung • Notizbuch am Schreibtisch zum Festhalten von Ideen; ist die für die Aufgabe festgelegte Zeit abgelaufen, kann der Idee nachgegangen werden (alternativ: Eintrag in Prioritätenliste). • Hilfreich hierbei: Selbstverbalisationen z. B. „Jetzt erst mal nur aufschreiben, später drum kümmern.“ (mit Pat. in Sitzung erarbeiten, zw. den Sitzungen in Verh.-Exp. ausprobieren) 125 Aufmerksamkeitsstörungen • nicht bis zum geht nicht mehr arbeiten; Pausen einplanen und sinnvoll einsetzen! (surfen weniger geeignet als z. B. Bewegung oder bewusst anderer Tätigkeit widmen) • Umgebung verändern (Distraktoren identifizieren und ausschalten) • Alarmsignal (z. B. Handy: „Tue ich gerade das, was ich tun wollte?“) • Rote Punkte an Stellen / Gegenstände mit Ablenkungscharakter (z. B. Kühlschrank); beim Anblick eines Punktes fragen: „Tue ich gerade das, was ich mir vorgenommen habe?“ 126 Umgang mit Ablenkbarkeit • Erarbeiten typischer Sit., in denen Aufg. wg. Ablenkung nicht effizient durchgeführt werden konnten / unterbrochen / nicht beendet wurden. Erarbeitung der ablenkenden Gedanken, Handlungen, Ereignisse. Bewerten lassen: Waren die resultierenden Handlungsimpulse wirklich wichtig? => Erarbeitung der Vor- und Nachteile von Kontrollstrategie zur Verringerung von Ablenkbarkeit • Erfassung Aufmerksamkeitsspanne: im Laufe einer Woche mehrmals langweilige Aufgabe und mit Stoppuhr messen, wie lange ohne Unterbrechung gearbeitet werden kann => mittlere Zeit ist dann Referenzwert • Kontrolle von Ablenkbarkeit: Aufgabe suchen, Uhr auf Aufmerksamkeitsspanne stellen, ablenkende Gedanken / Impulse in bereitgelegtes Notizbuch und nach abgelaufener Zeit: „Wirklich sofort zu erledigen?“ => weiter arbeiten bis Aufgabe erledigt, dann erneut die notierten Gedanken / Impulse überprüfen auf Wichtigkeit. Mit zunehmender Übung wird der Drang, ablenkenden Impulsen nachzugeben, seltener und schwächer, die Aufmerksamkeitskapazität kann vergrößert werden. • Kontrolle des Arbeitsumfelds: ablenkende Gegenstände / Bedingungen; Klebepunkte; Verlegen von Gegenständen 127 Strategien zur Verringerung von Ablenkbarkeit Art der Ablenkung Kontrollstrategie 128 Überaktivität / Rastlosigkeit • Aktive Freizeitgestaltung • Regelmäßig Sport • Skills aus dem Hochspannungsbereich: Treppenlaufen, 90°-Sitz, Gaspedal-Übung, Igel-Ball • Aktivitäten sorgfältig auswählen (eher DVD als Kino) • Arbeitsplatz: Stelle, an der Bewegung zumindest erlaubt ist, wo Pausen möglich sind • Mittagspause bewusst und sinnvoll nutzen • Kritzeln als Ventil, wenn keine Bewegung möglich 129 Desorganisation Chaos und Kontrolle 130 Organisation und Planung Liste mit Therapiezielen Schreiben Sie in der folgenden Liste Ihre Ziele auf, die Sie durch die Therapie erreichen wollen. Legen Sie fest, ob es sich um ein kurz- oder ein langfristiges Ziel handelt und wie hoch die Kontrollierbarkeit in % ist. Therapieziele Kontrollierbarkeit (in %) Kurz- oder langfristig? 131 ABC-Liste Bewertung der Priorität Aufgabe Begonnen am: Beendet am: ABC-Liste A B C 132 Beispiel Mindmap „Tagesplan“ Freundin mitnehmen Badreiniger besorgen Tochter ans Üben erinnern Zeitpunkt festlegen Klavierunterricht Tochter Elternabend Bad putzen Telefonnummer der Werkstatt heraussuchen Tagesplan Babysitter anrufen Zahnarzttermin Wocheneinkauf machen Auto zur Inspektion anmelden KFZ-Papiere suchen Zeitpunkt festlegen Versichertenkarte heraussuchen Kühlschrank kontrollieren Einkaufsliste schreiben 133 Wahl eines Handlungsplans Beschreiben Sie zunächst das Problem in wenigen Worten (max. 2 Sätze) Notieren Sie alle möglichen Reaktionen, die Ihnen einfallen. Notieren Sie diese auch wenn Sie glauben, dass sie wenig sinnvoll sind oder Sie sie möglicherweise gar nicht einsetzen würden. Die Idee dahinter ist, so viele Lösungen wie möglich zu nennen. Notieren Sie die Vor- und Nachteile jeder Lösung. Bewerten Sie nach der Auflistung aller Vor- und Nachteile jede einzelne Reaktion auf einer Skala von 1-10. Problembeschreibung:____________________________________________________ Reaktion Vorteile Nachteile Bewertung (1-10) 134 Ablagesystem für Post Bestimmen Sie einen Ort in Ihrer Wohnung als definitiven Aufbewahrungs- und Bearbeitungsplatz für Posteingänge, Rechnungen, und Schreibarbeiten. Für diesen Zweck eignen sich z.B. ein Korb, ein Ablagekorb, eine Schublade oder eine Schachtel. Alle Posteingänge, Rechnungen und Schreibarbeiten werden hier aufbewahrt, geöffnet, sortiert und bearbeitet. Legen Sie jedes Poststück und jede zu bearbeitende Rechnung sofort nach Erhalt dort ab. Ort des Arbeitsplatzes zur Bearbeitung von Rechnungen und Post: Führen Sie alle notwendigen Bedarfsgegenstände, z.B. Briefmarken, Stifte, Taschenrechner oder Adressbuch für die Bearbeitung von Rechnungen und Post an dem von Ihnen gewählten Arbeitsplatz zusammen, damit Sie nicht erst nach diesen Gegenständen suchen müssen, wenn Sie Ihre Post und Unterlagen bearbeiten. Bestimmen Sie zwei oder drei Zeitpunkte pro Woche, an denen Sie Post und Rechnungen bearbeiten, bzw. bezahlen, Anrufe tätigen und Briefe beantworten. Benutzen Sie Ihr Zeitplanbuch und ABC-Listen/Mindmaps, um die hierfür notwenigen Arbeitsschritte zu planen. Notieren Sie diese Zeitpunkte in Ihrem Kalender/Organizer. Stellen Sie hierbei sicher, dass Sie keine Zeiten wählen, in denen Sie nicht ausreichend Zeit für die Bearbeitung haben. Vermeiden Sie Zeiten, in denen Sie zu müde oder gestresst sind, um an diese Aufgabe effektiv heranzugehen. Nehmen Sie bei der Bearbeitung jedes Schriftstück nur einmal in die Hand, entscheiden Sie sofort, was damit zu tun ist, und führen die notwendige Handlung dann durch. 135 Ablagesystem für Unterlagen Entscheiden Sie, wo Sie Ihre Unterlagen aufbewahren wollen. Wählen Sie eine oder zwei Aktenschubladen oder einen kleinen Aktenschrank. Halten Sie es so einfach wie möglich! Sie brauchen nur all jene Dinge aufzubewahren, die Sie wirklich benötigen. Kaufen Sie Aktenordner und Register für Haupt- und Unterkategorien. Bestimmen Sie Ihre wichtigsten Hauptkategorien (z.B. Auto, Gesundheit. Steuern, Kontoauszüge, Versicherungen). Bestimmen Sie Ihre Unterkategorien (z.B. Versicherungen: KFZ, Haushalt, Gesundheitsvorsorge, Sonstiges). Versuchen Sie das System so einfach wie möglich zu halten. Je komplizierter das System, je geringer die Wahrscheinlichkeit, dass Sie es tatsächlich anwenden. Planen Sie einen festen Zeitpunkt pro Woche für Ihre Ablage. Wählen Sie Zeitpunkte, an denen Ihnen ausreichend Zeit zur Verfügung steht und in denen Sie ausgeruht und wach sind. Vermerken Sie diesen Zeitpunkt in Ihrem Terminkalender/Organizer. Denken Sie daran, dass es wichtig ist diese Strategien ausreichend lange zu üben, damit sie zur Gewohnheit werden. Geben Sie nicht zu schnell auf! 136 Emotionsregulation 137 Emotionsregulation Übungen 138 Impulsivität und Handlungsplanung 139 Typische Probleme der Impulskontrolle • Schwierigkeiten, die Konsequenzen vor der Handlung zu antizipieren • Unterbrechen anderer im Gespräch • Schwierigkeiten zu warten, z. B. in einer Schlange stehen • Reizvolle kurzfristige Belohnung vs. Anstrengung zur Erreichung längerfristigen Ziels • Den kürzeren Weg nehmen (z. B. mangelnde Sorgfalt bei einer Arbeit) • Schwierigkeiten, eine Aufgabe sofort zu erledigen • Forderndes Verhalten: Pat. erscheint fordernd und egozentrisch, wenn jemand anders den Zugang zu etwas Gewolltem verhindert (z. B. letztes Brot beim Bäcker) • Mangelnde Einsicht: Pat. sieht nicht, dass er sich impulsiv verhält, verneint es • Abrupte Bewegungen (z. B. plötzliches Aufstehen, abruptes mit der Hand Ausschlagen) • Rücksichtslosigkeit und Sorglosigkeit (z. B. im Straßenverkehr) • Schnelle Schlussfolgerungen (z. B. Treffen von Entscheidungen auch mit wenigen Informationen) 140 Faktoren, die zu einer Zunahme an Impulsivität führen können • Lärm • Bestimmte Personen sind anwesend • Bei Frauen: prämenstruelles Syndrom • Unter vielen Menschen sein • Hektik • Alkoholkonsum • Gefühl von Traurigkeit • Einsamkeit • Müdigkeit 141 Strategien im Umgang mit Impulsivität • Körperliche Anspannung monitorieren und in Bereiche einteilen: grün, gelb, rot (entsprechend handeln: Skills) • Dialog mit sich führen und Situation neu beurteilen: Impuls unterbrechen („Stopp!“, „Erst denken, dann sprechen!“…), innerlich zurücktreten, Sit. neu beurteilen • Selbstinstruktionstraining; Impuls zunächst aufschieben und versch. Handlungsmöglichkeiten abwägen (z. B. in der Kassenschlange); ergänzen für versch. Sit.: Hinweiskärtchen: - Ist es die Konsequenz, die ich wirklich möchte? - Wie lange habe ich auf die Gelegenheit gewartet? - Was wird passieren, wenn ich xxx tue? - Was wird passieren, wenn ich xxx nicht tue? - Was sind die längerfristigen Konsequenzen? 142 Strategien im Umgang mit Impulsivität • Ablenkungstechniken für „rote Situationen“ Stresstoleranztechniken: Externe Achtsamkeit, fünf Sinne-Übungen, Rechenaufgaben… • Hilfreiche Fragen: - Was ist meine Aufgabe? - Was will ich tun? - Wie mache ich es am besten? - Was mache ich jetzt als erstes, zweites und drittes? 143 Hilfen im Umgang mit meiner Impulsivität Es ist alles in Ordnung Der grüne Bereich Jetzt wird es problematisch Der gelbe Bereich Jetzt ist Alarm Der rote Bereich Typische Situationen __________________________ __________________________ __________________________ Typische Situationen __________________________ __________________________ __________________________ Typische Situationen __________________________ __________________________ __________________________ Woran merke ich es? Woran merke ich es? Woran merke ich es? In meinem Körper: In meinem Körper: In meinem Körper: In meinen Gedanken: In meinen Gedanken: In meinen Gedanken: In meinem Verhalten: In meinem Verhalten: In meinem Verhalten: In meinen Gefühlen: In meinen Gefühlen: In meinen Gefühlen: Was habe ich jetzt zu tun: Was tut mir gut und stabilisiert mich? __________________________ __________________________ __________________________ Was habe ich jetzt zu tun: Wie komme ich wieder von meiner Anspannung herunter? __________________________ __________________________ __________________________ Was habe ich jetzt zu tun: Ich muss entgegensteuern und meinen Notfallkoffer hervorholen! __________________________ 144 __________________________ __________________________ Fragen zur Ausarbeitung der Verhaltensanalyse • In welcher Situation passiert es, dass Sie impulsiv reagieren? • Ab welchem Moment merken Sie, dass Sie dabei sind, impulsiv zu reagieren? • Gibt es Faktoren, die darauf Einfluss haben, wie frühzeitig Sie Ihre Impulsivität bemerken? • Was sind Ihre Gedanken, Gefühle und körperlichen Reaktionen, wenn impulsives Verhalten droht? • Was waren die Konsequenzen, wenn Sie diesem Handlungsimpuls nachgegeben haben? • Gab es Situationen, in denen Sie Ihrem Impuls widerstehen konnten? • Was ist anschließend in einer solchen Situation geschehen? • Welche Strategien kennen Sie, die Ihnen helfen, sich wieder zu beruhigen? • Welche Strategien kennen Sie, um sich dauerhaft vor Impulsivität zu schützen? 145 Impulsivität und Handlungsplanung: Verhaltensanalyse kurz Was fühle ich, bevor ich die Kontrolle verliere? Was spüre ich körperlich, bevor ich die Kontrolle verliere? Was ist der zugehörige Handlungsimpuls? Was sind die Konsequenzen – kurz- und langfristig? Was kann mir helfen, die Kontrolle zu behalten? 146 Zielorientierung und Handlungsplanung Nehmen Sie nochmals die Situation, in der Sie die Kontrolle verloren haben: Was wollte ich eigentlich in dieser Situation – was war mein Ziel? Was hat mich von meinem Ziel abgehalten? Wie hätte ich mein Ziel erreichen können? Was bin ich bereit, für das Erreichen meines Ziels zu opfern? 147 Prokrastination Mögliche Gründe für das Aufschieben: • Perfektionismus/ Angst vor Abwertung bei nicht perfektem Ergebnis • Zeitdruck muss noch höher sein • Unüberschaubarkeit der Aufgabe („Ochs vorm Berg“) • Wo soll ich anfangen? • Die Aufgabe ist unattraktiv, und es erfordert Anstrengung, damit zu beginnen • Jetzt ist nicht ausreichend Zeit, um die Aufgabe komplett zu erledigen • Schwierigkeiten, einen passenden Zeitpunkt zum Starten zu finden • Ich bin noch nicht in der richtigen Stimmung • Durch Aufschieben muss keine Entscheidung getroffen werden Weitere Gründe? 148 Prokrastination Pro Kontra Bewerbung fertigstellen • Bekomme Perspektive • Selbstwertgefühl wird besser • Habe mehr Geld • Muss mich anstrengen • Sehe das Chaos meiner Unterlagen Bewerbung weiter aufschieben • Muss mich nicht damit auseinandersetzen • Kann mich anderen Dingen widmen • Muss meine Papiere nicht suchen • Werde immer älter • Rutsche immer mehr in Schulden • Angst vor Versagen wird immer größer • Mit „Pro Aufschieben“ beginnen 149 Prokrastination • Mit Veränderung erst bei sehr deutlicher Motivation beginnen • Formulierung von Teilzielen (SalamiTaktik) • Aufmerksamkeitsspanne beachten • Terminkalender / To do – Liste nutzen; einzelne Schritte sehr konkret mit Pat. ausarbeiten 150 Prokrastination Mögliche Sabotagegedanken • • • Ich warte, bis ich in der richtigen Stimmung bin. Ich bin unachtsam und werde die Aufgabe eh falsch machen. Es ist zu anstrengend. • • • • • Ich habe noch jede Menge Zeit. Ich arbeite sowieso unter Druck besser, mache das also besser später. Ich habe einfach keine Lust. Ich fange morgen an. Die Aufgabe wird ewig dauern. => Funktionalere Alternativen erarbeiten. 151 152 153 154 Regeln für Angehörige • Weniger reden, mehr handeln • Diskussionen, Predigten und abwertende Kommentare, so sehr sie auch auf der Zunge liegen: liegen lassen! • Klare Rückmeldungen, unmittelbar • Klare Anweisungen und Wünsche, wenn Sie etwas wollen • Regeln und Rituale als hilfreiche Orientierungshilfen • Sehen Sie über Kleinigkeiten hinweg. • Freuen Sie sich über Positives und sagen Sie es. • Handeln Sie nicht nach dem Motto: „Nicht geschimpft ist Lob genug.“ Loben, loben, loben… • Fördern Sie untereinander Einfühlungsvermögen und Geduld: Miteinander statt gegeneinander 155 Kognitive Therapie: Denkfehler • • • • • • • • • • • • Dichotomes Denken: Es gibt nur extreme Beurteilungskategorien (schwarz oder weiß, gut oder schlecht), „Alles oder Nichts“-Prinzip. Übergeneralisierung: Wenn es in einem Fall stimmt, trifft es in jedem ähnlichen Fall auch zu. Selektive Abstraktion: Die einzigen Ereignisse, die zählen, sind negative Ereignisse (Misserfolge, Irrtümer, Schwächen …). Realitätsverzerrung: Positive Erfahrungen werden verworfen und zählen aus irgendwelchen Gründen nicht. Voreilige Schlussfolgerungen: Dinge werden negativ interpretiert, obwohl es keine Fakten gibt, die diesen Schluss überzeugend stützen. Falsche Vorhersagen: Erwartung, dass sich die Dinge 100%ig schlecht entwickeln. Übertreibung/Bagatellisierung: Die Bedeutung bestimmter Dinge (wie z.B. die eigenen Fehler oder die Leistungen/Fähigkeiten der anderen) wird überschätzt oder unterschätzt (wie z.B. eigene Fähigkeiten oder die Fehler anderer). Katastrophisieren: Das Denken ist bestimmt von Schwarzmalerei, negativen Zukunftserwartungen und einer tiefgreifenden pessimistischen Grundtendenz. Emotionale Beweisführung: Negative Gefühle reflektieren notwendiger Weise Tatsachen: „Ich fühle es, also muss es da sein.“ Wunschaussagen: Motivation wird durch Aussagen wie „ich sollte“ und „ich sollte nicht“ aufgebaut. Anforderungen wie „man muss“ oder „es hätte sich gehört“ gehören ebenfalls dazu. Gegenüber anderen entstehen oft Ärger, Frustration und Ablehnung. Etikettierungen: Übertriebene Form der Verallgemeinerung. Anstatt sich über eigene Irrtümer klar zu werden und sie zu ändern, wird zu einem negativen Etikett/Selbstbeschreibung gegriffen „ich bin ein ewiger Versager“. 156 bei Internale Attribution: Verantwortlichkeit und Schuld werden häufig nicht in der Situation, den anderen, sondern bei sich selbst gesucht. Kognitive Therapie: Leitfaden funktionales Denken • Welchen Beweis habe ich, dass dieser Gedanke richtig ist? • Gibt es eine andere Erklärung? • Was kann im schlimmsten Fall passieren? • Hat diese Situation unangemessen an Bedeutung gewonnen? • Was würde ein guter Trainer dazu sagen? • Habe ich mein Möglichstes getan, um die Situation zu bewältigen? • Würde es hilfreich oder hinderlich sein, wenn ich etwas anderes tun würde? • Mache ich mir übermäßige Sorgen? • Was würde ein guter Freund zu mir sagen? • Was würde ich einem guten Freund sagen, wenn er sich in einer ähnlichen Situation befindet? 157 • Warum handelt es sich bei diesem Gedanken um einen Denkfehler? 158 159 160 161 Safren et al.: Kognitive Verhaltenstherapie der ADHS des Erwachsenenalters 162 Inhalt des Programms 5 Module 1. Psychoedukation. Organisation und Planung 2. Umgang mit Ablenkbarkeit 3. Kognitive Umstrukturierung und funktionales Denken 4. Emotionsregulation 5. Optionale Sitzungen (Vermeidungsverhalten, Partner, Rückfallprophylaxe) 163 Modul 1: Organisation und Planung • Erarbeitung von Therapiezielen, Besprechen der Veränderungsmotivation, Erklärung der Strukturmerkmale des Programms • Psychoedukation: Besprechung eines Informationstextes (im Buch enthalten) • Einführung eines Zeitplanbuches / Etablierung Zeitmanagementsystem • Prioritäten setzen: ABC-Listen, Mindmap • Schwierige Aufgaben: Handlungsplan und Salamitaktik • Arbeitsplatzorganisation: Ordnungssysteme Post / Unterlagen 164 Vor- und Nachteile von Veränderung Neues Verhalten: Vorteil Nachteil Kurzfristig Langfristig 165 Zielerreichungsskala Legen Sie 3 bis 5 Therapieziele fest und formulieren Sie für jedes Ziel Verhaltenserwartungen von -2 (schlechtmögliches Ergebnis) über +2 (realistisches Ziel) bis +4 (bestmögliches Ergebnis). Beginnen Sie mit der Beschreibung des Ist-Zustands in der Mitte (0) und bestimmen anschließend, wie eine Verbesserung bzw. eine Verschlechterung für jedes der Ziele aussehen müsste: +4 Idealzustand +2 Realistische Ziele 0Ist-Zustand 166 -2 Verschlechterung Modul 3: Kognitive Umstrukturierung und funktionales Denken • Vorstellung des kognitivverhaltensorientierten Modells der Funktionsstörungen bei ADHS • Gestufte Gedankenprotokolle mit 3, 4, 5 Spalten (Sit., Ged., Gefühl, Fehler, funktionaler Gedanke) 167 Modul 3: Kognitive Umstrukturierung und funktionales Denken Dreispaltiges Gedankenprotokoll Zeitpunkt und Situation Automatischer Gedanke Gefühl (Intensität) 168 Beispiel Zeitpunkt und Situation Ich denke darüber nach, meine Steuererklärung zu machen Automatischer Gedanke Gefühl (Intensität) Die wird sehr viel Arbeit sein. Überforderung (80) Angst (75) Ich werde nie damit fertig werden. Frustration (80) Ich werde nicht alle Unterlagen finden, die ich dafür brauche. Meine Erklärung wird geprüft werden. Ich werde am Ende sehr viel Geld nachzahlen müssen. 169 Kognitives Modell der Funktionsstörungen bei ADHS (1) Neurobiologisch determinierte Kernsymptome Aufmerksamkeitsstörung Impulskontrollstörung Hyperaktivität (2) Lerngeschichte (5) Mangelnde Kompensationsstrategien Misserfolge Mangelndes Leistungsvermögen Beziehungsprobleme Vermeidungsverhalten (3) Negative Gedanken/ Automatisiertes Denken Dysfunktionale Grundannahmen Misserfolgsorientierung Selbstwertprobleme (4) Erlernte Hilflosigkeit Stimmungsbeeinträchtigung Depression Schuldgefühle Angst Ärger (6) Funktionsstörungen 170 Vierspaltiges Gedankenprotokoll Zeitpunkt und Situation Ausarbeitung eines Berichts für die Firma Automatische Gedanken Ich muss das alles heute schaffen. Ich muss das perfekt erledigen. Wenn ich nicht fertig werde, ist mein Chef verärgert. Wenn ich nicht fertig werde, verliere ich meinen Arbeitsplatz. Gefühl (Intensität) Überfordert (80) Ängstlich (75) Ängstlich (90) Denkfehler Dichotomes Denken Dichotomes Denken Voreilige Schlussfolgerungen Katastrophiesieren Ängstlich (100) 171 Fünfspaltiges Gedankenprotokoll Zeitpunkt und Situation Automatisierte Gedanken (was ging Ihnen durch den Kopf) Stimmung und Intensität der Gefühle Denkfehler (suchen Sie den passenden Denkfehler aus der Liste) Funktionaler Gedanke 172 Modul 4: Emotionsregulation • Kognitives Modell zur Gefühlsentstehung • ABCDEK-Schema (D= Impuls, E=Verhalten, K= Konsequenz) bzw. ABCDEZ (Z=Zielsetzung) • Umgang mit intensiven Gefühlen: Ärger und Wut / emotionale Verletzbarkeit (Notfallkoffer) 173 Modul 4: Emotionsregulation Gefühlsprotokoll: ABCDEK-Schema Wählen Sie ein Gefühl aus, das Sie jetzt empfinden oder das Sie vor kurzem empfunden haben. Füllen Sie dieses Blatt aus, so weit es Ihnen möglich ist: • Ich hatte/habe folgendes Gefühl: • Intensität des Gefühls (von 0-100 • Auslösendes Ereignis (A) für mein Gefühl war (wer, was, wann, wo?): • Interpretation/Bewertung (B): Was habe ich in der Situation (als erstes) gedacht (persönliche Sichtweise von A)? • Schlussfolgerungen/vermutete Konsequenzen? • Bewertung des auslösenden Ereignisses? • Gefühlskonsequenzen (C): Welches Gefühl empfinde ich? 174 Fortsetzung ABCDEK-Schema • Körperwahrnehmung/körperliche Veränderung: Was nehme ich in meinem Körper wahr? • Körpersprache: Wie ist meine Körperhaltung? Mein Gesichtsausdruck? • Handlungsimpuls (D): Was würde ich gerne tun? Was möchte ich gerne sagen? • Verhalten/Handlung (E): Was habe ich in der Situation gesagt und getan? (beschreiben Sie möglichst präzise) • Welche Auswirkungen hat dieses Verhalten (K): (Befinden, andere Gefühle, Verhalten, Gedanken, Gedächtnis, Körper, etc.) • Kurzfristig? • Langfristig? 175 Gefühlsqualitäten Gefühlsqualität Körperreaktion Handlungsimpuls Angst Trauer Ärger Scham Abneigung Niedergeschlagenheit Zuneigung Freude 176 Gefühlsstern (nach Stavemann) ANGST Panik TRAUER 3 Gefühlskategorien: Positive Gefühle: Freude, Zuneigung Neutrale Gefühle: Gleichgültigkeit Negative Gefühle: Angst, Ärger, Scham, Trauer, Abneigung, Niedergeschlagenheit. ÄRGER Angst Kummer Schiss Mitleid Wut Bammel Enttäuschung Ärger Genervtheit Besorgnis Unzufriedenheit Bedauern SCHAM Scham Geniertheit Zufriedenheit GLEICHGÜLTIGKEIT Sympathi e Abneigung – Antipathie - Hass ABNEIGUNG Bedrücktheit Niedergeschlagenheit Freude Glück Zuneigung FREUDE Liebe ZUNEIGUNG Verzweiflung NIEDERGESCHLAGENHEIT 177 Gefühlsprotokoll II: ABCDEZ-Schema Wählen Sie ein Gefühl aus, das Sie jetzt empfinden oder das Sie vor kurzem empfunden haben. Füllen Sie dieses Blatt aus, so weit es Ihnen möglich ist: • Ich hatte/habe folgendes Gefühl: • Intensität des Gefühls (von 0-100): • Auslösendes Ereignis (A) für mein Gefühl war (wer, was, wann, wo?): • Interpretation/Bewertung (B): Was habe ich in der Situation (als erstes) gedacht (persönliche Sichtweise von A)? • Schlussfolgerungen/vermutete Konsequenzen? • Bewertung des auslösenden Ereignisses? • Gefühlskonsequenzen (C): Welches Gefühl empfinde ich? 178 Gefühlsprotokoll II: ABCDEZ-Schema • Körperwahrnehmung/körperliche Veränderung: Was nehme ich in meinem Körper wahr? • Körpersprache: Wie ist meine Körperhaltung? Mein Gesichtsausdruck? • Handlungsimpuls (D):Was würde ich gerne tun? Was möchte ich gerne sagen? • Verhalten/Handlung (E): Was habe ich in der Situation gesagt und getan? (beschreiben Sie möglichst präzise) • Welche Auswirkungen hat das Gefühl auf mich? (K): (Befinden, andere Gefühle, Verhalten, Gedanken, Gedächtnis, Körper, etc.) • Zielsetzungen (Z): Welches Gefühl finde ich in Situation A angemessen und zielführend? • Welches Verhalten finde ich in der Situation A angemessen und zielführend? • Welche Gedanken will ich künftig in A denken lernen? • Was sind Merksätze für mich? 179 ABDEK-Schema Ärger und Wut Situation (A) Handlungsimpuls (D) Konsequenz (K) Impuls ausleben Ja (E) Nein (E) 180 Persönlicher Notfallkoffer • • • Für den Umgang mit sehr intensiven Emotionen haben Sie in der Therapie Notfallstrategien erarbeitet. Diese Strategien sollen Ihnen helfen, diese intensive Emotion auszuhalten, bis sie abgeklungen ist. Bitte notieren Sie sich ihre 4 effektivsten Strategien und trainieren Sie diese so oft wie möglich. Meine vier effektivsten Notfallstrategien: 1. 2. 3. 4. 181 Arbeit mit ADS-Patienten macht • pädagogisch vielseitig • schlau • frustrationstolerant • strukturiert und strukturierend • aktiv • flexibel (im Ggs. zu eingefahren) • dass die Zeit fliegt (viele Töpfe auf dem Herd) 182 Modul 5: Optionale Sitzungen Beurteilung der Vor- und Nachteile von Vermeidungsverhalten Vorteile Nachteile Kurzfristige Konsequenzen Langfristige Konsequenzen 183 Auswirkungen von ADHS auf die Paarbeziehung Benutzen Sie die folgenden Arbeitsblätter, um zu besprechen, wie sich ADHS auf Ihre Beziehung auswirkt. Bitte beantworten Sie die folgenden Fragen zunächst jeder für sich. Klient Welche Symptome der ADHS sind für Sie am problematischsten? Nennen Sie die drei wichtigsten Bereiche/Probleme, von denen Sie denken, dass diese Symptome in Ihrer Beziehung mit _______________________ eine Rolle spielen. I. __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ II.__________________________________________________________________ __________________________________________________________________ III._________________________________________________________________ _________________________________________________________________ 184 Auswirkungen von ADHS auf die Paarbeziehung Benutzen Sie die folgenden Arbeitsblätter, um zu besprechen, wie sich ADHS auf Ihre Beziehung auswirkt. Bitte beantworten Sie die folgenden Fragen zunächst jeder für sich. Partner/in Welche Symptome der ADHS sind für Sie am problematischsten? Nennen Sie die drei wichtigsten Bereiche/Probleme, von denen Sie denken, dass diese Symptome in Ihrer Beziehung mit ____________________ eine Rolle spielen. I. ________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________ II.________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________ III._______________________________________________________________________ _______________________________________________________________________ 185 Bewertung einzelner Behandlungsstrategien Behandlungsstrategie Bitte bewerten Sie, wie nützlich jede der nachfolgenden Strategien für Sie war (0 = hat überhaupt nicht geholfen, 100 = sehr wichtig). Überlegen Sie sich zu jeder gelisteten Strategie außerdem, warum sie funktioniert hat oder warum nicht, und machen sich entsprechende Notizen. Überlegen Sie auch, was Sie in den nächsten Monaten vermehrt üben sollten. Nützlichkeit Notizen zur Anwendung/ Nützlichkeit der Strategie Rückblick: Psychoedukation. Werkzeuge/Instrumente für Organisation und Planung Informationstext ADHS Zeitmanagementsystem für den Umgang mit Terminen Zeitplanbuch ABC-Listen zur Einstufung von Aufgaben nach Priorität Mindmap zur Planung Aufstellen eines Handlungsplans Salamitaktik Ablagesystem für Unterlagen und Post 186 Bewertung einzelner Behandlungsstrategien Behandlungsstrategie Nützlichkeit Notizen zur Anwendung/ Nützlichkeit der Strategie Rückblick: Strategien zur Verringerung von Ablenkbarkeit Unterteilung von Aufgaben entsprechend der individuellen Aufmerksamkeitsspanne Anwendung von Stimuluskontrolle und Entfernen von Ablenkungen aus dem Arbeitsumfeld Strategien gegen das Verlegen wichtiger Alltagsutensilien Gedächtnisstützen gegen die Ablenkbarkeit (Punkte und Alarmsignal): „Mache ich tatsächlich das, was ich im Moment erledigen sollte?“ Rückblick: Kognitive Umstrukturierung und funktionales Denken Einsatz des Gedankenprotokolls, um automatisierte/behindernde negative Gedanken zu identifizieren Liste möglicher Denkfehler Einsatz von Gedankenprotokollen, um situationsbewältigende hilfreiche Bewertungen zu finden 187 Bewertung einzelner Behandlungsstrategien Behandlungsstrategie Nützlichkeit Notizen zur Anwendung/ Nützlichkeit der Strategie Rückblick: Emotionsregulation Erarbeitung von Gefühlsqualitäten ABCDEK(Z)-Schema zur Gefühlsanalyse Umgang mit Ärger und Wut oder emotionaler Verletzbarkeit Rückblick: Optionale Sitzungen Reduktion von Vermeidungsverhalten Handlungsplan aufstellen Salamitaktik ABC-Listen Mindmap Denkfehler identifizieren, funktionales Denken Partner Psychoedukation ADHS (Partner) Auswirkungen von ADHS auf die Paarbeziehung Rolle des Partners für die Therapie 188 Ressourcenorientierung Konnotationen 189 Übungen 190 Lauschpatroullie Problem: Sie haben Schwierigkeiten durchgängig zuzuhören. Wenn jemand mit Ihnen spricht, klinken Sie sich schnell aus Gesprächen aus, wirken desinteressiert, vielleicht arrogant und ziehen sich zurück. Lösung: Sie gehen auf Lauschpatroullie. Kein Wort wird Ihnen mehr entgehen, so konzentriert sind Sie bei der Sache. Sie haben eine Aufgabe zu erledigen: Lauschen. Der ADHSler kann so gut aufpassen, dass ihm nichts entgeht. Dann beteiligen Sie sich an dem Gespräch, und stellen eine Frage zu dem, was gerade gesagt wurde. Nehmen Sie dazu Blickkontakt auf. Wenden Sie Ihre gesamte Aufmerksamkeit dem Gesprächpartner zu. Richten Sie sich nur an einen Partner! Hören Sie genau zu und konzentrieren sich. Achten Sie dabei darauf, ob Sie wirklich zuhören! Kein Wort ist unwichtig, jedes wollen Sie mitbringen von Ihrem Patroulliengang. So machen Sie weiter. Immer auf der Hut, wachsam, beteiligt, eben ein Patroulliengänger, und halten Sie Augenkontakt. 191 Schatzstücke Problem: Sie verlegen alles. Nichts finden Sie wieder. Manchmal finden Sie Dinge, von denen Sie gar nicht wussten, dass Sie sie verloren hatten. Lösung: Erstellen Sie eine Liste aller derjenigen Dinge, die Sie besonders häufig verlegen oder nicht wiederfinden. Das sind Ihre Schatzstücke. Sie hüten sie von nun an, wie Ihren Augapfel. Mehrmals am Tag nehmen Sie sie zur Hand, den Autoschlüssel, die Brille, die Geldbörse. Sie schauen sie an, gönnen ihnen ein gutes Wort und legen oder stecken sie wieder dahin, wo sie hingehören. Zuhause haben sie einen Ehrenplatz, auf dem sie sofort landen, bevor Sie weitergehen oder etwas unternehmen. Ihre Regel lautet: Erst mein Schatz, dann alles andere. Sie werden schnell feststellen, dass es gar nicht so viele Dinge sind, die Sie hüten müssen, wie einen Augapfel. Und wenn dann doch einmal etwas 192 verschwindet? Keine Sorge, das passiert den anderen Menschen auch! Stressabbau kognitiv Hilfreiche Überlegungen zum Stressabbau • Was könnte jemand denken, den das alles weniger belastet als mich? • Werde ich morgen, in einem Monat, in einem Jahr immer noch so denken? • Was kann im schlimmsten Fall passieren und was genau wäre daran so schlimm? (Zu Ende denken!). • Wie wahrscheinlich ist es, dass das auch eintrifft? • Gibt es etwas, das schlimmer ist als diese Situation? • Hatte ich so etwas nicht schon einmal? Wie habe ich es damalsgeschafft? • Was würde ich jemand anderem sagen, um mit dieser Situation umzugehen? • Wie wichtig ist das alles überhaupt für mich? • Gibt es etwas anderes, etwas das mir sehr wichtig ist, etwas,an das ich mich jetzt erinnern könnte, das mir Sicherheit, Mut und 193 Durchhaltevermögen gibt? Stressabbau „organisch“ King Kong Arme vor die Brust gewinkelt, Ellenbogen in Schulterhöhe, Fäuste geballt, stehen Sie da. Die Augen geschlossen. Ihre mächtigen Armund Oberkörpermuskeln spannen Sie kräftig an und dann Fäuste, Unterarme, Oberarme, Schultern, Brust. Kräftig, aber nicht schmerzhaft ... Jetzt fallen die Arme locker an die Seite. Sie atmen betont aus, lassen den Kopf nach vorne sinken und spüren, wie sich Entspannung breit macht: In den Händen, Unterarmen, Oberarmen. Auch die Schultern und Brustmuskeln entspannen. Sie atmen ruhig und gleichmäßig. Dann wiederholen Sie die Übung einmal. 194 Kinesiologische Konzentration Seien Sie ein Elefant. Stellen Sie sich hin und nehmen die Füße etwas auseinander. Neigen Sie den Kopf sanft zur linken Seite, so dass das linke Ohr die Schulter berührt. Vielleicht müssen Sie die Schulter dazu etwas hoch ziehen. Nehmen Sie den linken Arm hoch und strecken ihn nach vorn. Machen Sie die Knie locker, indem Sie sie etwas beugen. Nun beginnen Sie, mit dem linken Arm eine große, liegende Acht in die Luft zu malen; machen Sie sie möglichst groß und malen beide Kreise schön rund. Tun Sie das ganz langsam. Lassen Sie Ihre Augen den Fingerspitzen folgen, wenn Sie diese wunderschöne schlafende Acht in die Luft malen. Machen Sie das fünfmal und wechseln dann die Seite. Sie werden sehen, diese klassische Übung aktiviert Ihr Gehirn, macht Sie aufnahmefähiger und verbessert die Sinneswahrnehmung. 195 Gefühlserkundung Beschäftigen Sie sich mit einigen Ihrer Gefühle, indem Sie die Satzanfänge ergänzen. Gefühle können angenehm oder unangenehm sein. Aber sie sind nicht gut oder schlecht. Sie sind auch nicht richtig oder falsch: Sie sind einfach da! • • • • • • • • • Ich bin glücklich, wenn ... Ich werde wütend, wenn ... Ich bin traurig, wenn ... Ich bekomme Angst, wenn ... Ich fühle mich einsam, wenn... Ich fühle mich zufrieden, wenn ... Ich bin frustriert, wenn ... Ich hasse es, wenn ... Ich liebe es, wenn ... 196 Ausredendetektor Verwenden Sie diese Woche darauf, sich darüber klar zu werden, wie häufig Sie sagen, dass Sie keine Zeit haben, obwohl es nicht stimmt! Mit dieser Ausrede entschuldigen Sie sich dafür, dass etwas anderes wichtiger ist oder Ihnen die Nase bzw. der Wunsch des anderen nicht passt. Machen Sie sich den Unterschied klar und verzichten Sie zukünftig auf diese Ausrede. Stellen Sie sich vor den Spiegel, betrachten Sie Ihr Gesicht und formulieren Sie die Lieblingsausrede: "Keine Zeit!" Dann antworten Sie sich selber, mit gehetzter Stimme und traurig: "Ich armer Mensch, ich habe ja auch keine Zeit / so viel zu tun / ADHS, was kann ich da nur machen?" Ändern Sie die Stimmungslage und ändern Sie Ihre Stimme, sagen Sie es laut, leise, wütend, entschlossen, ironisch ... 197 Routinenrüttler Diese Woche dient dazu, Neues zu probieren. Wenn Sie bestimmte Zeitabläufe haben, verändern Sie mindestens einen davon. Stehen Sie eine halbe Stunde früher auf, gehen Sie eine halbe Stunde später zu Bett, essen Sie 15 Minuten früher, lesen Sie keine Zeitung beim Frühstück, sehen Sie beim Essen nicht mehr fern ... Und achten Sie darauf, wie verändertes Verhalten zu veränderten Gedanken und Gefühlen führt. 198 Versau-Anleitung Überlegen Sie nun bitte, was Sie tun oder lassen, wenn es Ihnen nicht gut geht. Dann schreiben Sie sich ein Negatives Rezept. Damit Sie dabei nicht in Selbstmitleid verfallen, schreiben Sie es für eine andere Person. Das beste Rezept. um gute Stimmung zu vermiesen! Rezept für Herrn / Frau ... "Bereits morgens im Bett denke daran, wie schlecht der Tag werden wird. Was du alles nicht schaffen wirst und wie übel der gestrige Tag schon war. Sei sicher, dass es heute auch schlimm wird. Nichts wird klappen. Du wirst der Depp der Nation sein. Mach dir klar, wie viel du noch zu erledigen hast, wie groß das Chaos ist und vergiss nicht, dass du ADHS hast!" Vervollständigen Sie Ihr Rezept jeden Tag nach ausführlicher Selbstbetrachtung und tun Sie sich richtig leid! Könnten Sie vielleicht auch anders handeln? 199 Feedback Nun füllen Sie Ihr Wohlfühlkonto mit reichlich guten Nachrichten. Fragen Sie sich und Ausbildungskollegen, die Sie gut kennen: • • • • • Was findet ihr gut an mir? Gibt es etwas, für das ich dankbar sein kann? Wo liegen meine Fähigkeiten? Was schätzt ihr an mir? Wollt ihr wissen, was ich an euch schätze? 200 Obst schälen Schälen Sie Obst und Gemüse im Kopf. Sie stellen sich das Obst vor, das Messer, den ersten Schnitt, die Schale und los geht's? Nein! Welche Sorte Gemüse ist es? Welche Größe? Farbe? Oberfläche? Farbschattierungen? Und das Messer? Holzgriff? Kunststoff? Oder Schälmesser? Gebogene Klinge? Glattschliff? Wellenschliff? Küchenmesser? Taschenmesser? Und dann? Wie schneiden? Streifen um Streifen? Vierkant? Erst vierteln, dann die Schale abschneiden? Und alles, ohne den Faden zu verlieren. Für ADHSler eine schwierige Aufgabe. Aber Sie werden erleben, dass Sie im Laufe der Woche immer sicherer werden und mehr Erfahrung bekommen. Es gelingt und Ihnen wird sehr bewusst, wie wenig sich Ihre Vorstellung mit der Wirklichkeit deckt. 201 Perspektivenwechsel Versuchen Sie nun, eine andere Perspektive einzunehmen. Gehen Sie rückwärts. Hier im Raum, die Treppen, den Flur. Wenn Sie sich trauen, auch draußen. Passen Sie auf, dass Sie sich nicht verletzen, anderen nicht schaden und genießen Sie das Kribbeln beim Rückwärtsgehen. Plötzlich haben Sie eine ganz andere Sicht. Sie nehmen nicht nur Ihre Umgebung wahr, sondern auch sich selbst. Sie erfahren dadurch, dass verändertes Tun zu einer anderen Sicht der Dinge führt. Wiederholen Sie die Übung, wann immer Sie Lust dazu haben und verändern Sie diese. Nehmen Sie zwei, drei ganz viele andere Perspektiven ein! Und seien Sie stolz auf sich! 202 Lebensskript Nutzen Sie diese Woche dazu, ein Lebensskript zu schreiben. Vergleichen Sie Ihr Leben mit einem Theaterstück und beantworten Sie sich zum Beispiel folgende Fragen: • • • • • • • • • • • • • Wie heißt der Titel dieses Theaterstücks? Was ist das Thema? Worum geht es vor allem? Wer sind die wichtigsten Akteure? Welche Rolle spielt jeder von ihnen? Was sind die wesentlichen Schauplätze? Gibt es Wendepunkte in der Handlung? Welche? Was geschieht im letzten Akt? Wie reagiert das Publikum auf dieses Stück? Welche meiner Handlungen möchte ich ändern? Welche Versäumnisse nachholen? Was würde ich anders machen, könnte ich das Stück neu schreiben? Diese Aufgabe weckt oft das Bedürfnis, eingefahrene Gleise zu verlassen und hilft das eigene Leben mit mehr Abstand und kritischer zu sehen. 203 Atemübung • Verschließen Sie das rechte Nasenloch mit dem Daumen der rechten Hand. • Atmen Sie langsam und geräuschlos durch das linke Nasenloch ein. • Verschließen Sie das linke Nasenloch mit dem Ringfinger, nehmen Sie gleichzeitig den Daumen vom rechten Nasenloch und geben es frei. • Atmen Sie langsam, geräuschlos und so tief wie möglich durch das rechte Nasenloch aus. Atmen Sie durch das rechte Nasenloch ein. Verschließen Sie das rechte Nasenloch mit dem Daumen und geben • Sie das linke Nasenloch frei. • Atmen Sie durch das linke Nasenloch aus. • Wiederholen Sie diesen Atemablauf mindestens fünfmal. • Setzen Sie sich bequem und gerade hin. • Legen Sie Zeigefinger und Mittelfinger der rechten Hand auf die Stirn, atmen Sie tief ein und aus und seien Sie nun wach, konzentriert und bereit für alles, was kommt! 204 Gegenstandsbetrachtung Nehmen Sie einen Gegenstand aus Ihrer unmittelbaren Umgebung, der Ihnen wichtig ist. Setzen Sie sich bequem hin, atmen Sie einige Male tief ein und aus, und legen Sie den Gegenstand so hin, dass er sich in Augenhöhe befindet und etwa eine halbe Armlänge von Ihnen entfernt ist. Betrachten Sie ihn aufmerksam. Lassen Sie Ihren Blick entspannt auf ihm ruhen. Starren Sie nicht. Entspannen Sie dabei Ihre Gesichtsmuskeln, lassen die Stirn glatt werden und vermeiden Sie es, die Augen zuzukneifen. Nehmen Sie Form, Größe, Beschaffenheit, Farbe und Material auf. Lassen Sie den Blick ganz langsam über die Umrisse wandern, streicheln Sie ihn mit Ihren Augen. Dann gleitet Ihr Blick langsam über ihn hinweg, hin und her, während Sie jeden Millimeter des Gegenstandes in sich aufnehmen. Versuchen Sie nicht, ihn mit Worten zu beschreiben. Versuchen Sie nur mit den Augen zu fühlen, ob er weich ist oder hart, scharfkantig oder glatt, schwer oder leicht ... Geben Sie sich ganz dem Erlebnis hin, diesen Gegenstand zu erforschen, so als hätten Sie ihn bisher noch nie gesehen. Wird Ihnen kalt oder warm, akzeptieren Sie das und bleiben bei der Betrachtung. Nach etwa zehn Minuten stehen Sie auf, recken sich, strecken sich und sind entspannt und konzentriert. Üben Sie diese Form der Meditation mehrmals in der Woche, verwenden Sie immer neue 205 interessante Gegenstände. Sitzen In dieser Woche achten Sie immer wieder darauf, wie Sie eigentlich sitzen: bei der Arbeit, zu Hause, aber auch bei anderen Anlässen. • Wie sitze ich? Welche Sitzhaltung könnte ich noch einnehmen? Wie fühlt sich diese Haltung an? • Darf ich bequem sitzen? Darf ich es mir bequem machen, wenn ich doch zu arbeiten habe? Darf ich mir das erlauben? • Was könnte ich tun, um tatsächlich bequem zu sitzen? Darf ich mir ein Kissen holen? Den besten Stuhl aussuchen? • Welche Verhaltensnormen, welche Vorschriften, welche Gebote, welche Glaubenssätze halten mich davon ab, es mir beim Arbeiten bequem zu machen? • Was nehme ich mir zukünftig vor, in Bezug auf's Sitzen? Wie kann ich das erreichen? Kann ich mein erreichtes Ziel überprüfen? Üben Sie mehrmals die Woche und machen sich dabei klar, dass es nicht darum geht, es sich immer und ständig nur bequem und angenehm zu machen. So ist Leben nun einmal nicht. Es geht darum, die eigene Energie, die zum Sitzen notwendig ist, optimal einzusetzen. Finden Sie einen guten Ausgleich zwischen 206 Anspannung und Entspannung. Atem 2 Spielen Sie nun mit Ihrem Atem. Setzen Sie sich in eine bequeme Position und atmen Sie ganz normal weiter. Bitte verändern Sie noch nichts. Dann fragen Sie sich: • Wie weit geht mein Atem in den Körper? • Wo überall kann ich ihn spüren? Wie weit? Ist er flach, hier oben im Hals, reicht er bis in die Brust? • Hebt und senkt sich mein Brustkorb? • Spüre ich den Bauch beim Atmen? • Ist mein Mund offen? Welchen Weg nimmt die Luft? Durch den Mund, die Nase? • Wie atme ich ein? Wie aus? • Wie fühlt sich mein Oberkörper an? Groß? Schmal? Lang? Klein? Nun verändern Sie Ihre Sitzhaltung und befragen sich erneut. Dann spielen Sie wieder mit dem Atem. Zum Schluss setzen Sie sich bequem hin, atmen ruhig und prüfen erneut: • • • • Wie atme ich jetzt? Was spüre ich vom Körper am meisten? Welche Körperregion spüre ich am intensivsten? Möchte ich jetzt etwas tun? Aufatmen, seufzen, Hände auf Brust oder Bauch legen - so, wie Sie es wollen. Tun Sie es! 207 Kontakt zum Körper Nehmen Sie intensiven Kontakt zu Ihrem Körper auf. Sie glauben immer, er habe für Sie da zu sein, die Frage ist nur, was tun Sie für ihn? Außer waschen, kämmen, föhnen ... Deshalb halten Sie kurz inne, nehmen Sie wahr und prüfen Sie: • • • • • • • Was möchte Ihr Körper gerade jetzt von Ihnen? Wann hat er zuletzt gegessen? Wann getrunken? Ist er satt, womöglich übervoll, verspürt er Durst/Hunger? Was würde er gerne zu sich nehmen? Fühlt er sich wohl? Ist er gepflegt oder hat er das Bedürfnis nach Pflege? Wann war er zuletzt auf der Toilette? Ist dafür wieder Zeit? Ist ihm angenehm warm? Oder zu warm oder zu kalt? Kann ich es ihm bequemer machen? Den Gürtel lockern, die Brille abnehmen, den Schlips ...? Wie lange arbeitet er heute schon? Kann er sich überhaupt noch konzentrieren? Hat er ein Bedürfnis nach Abwechslung / Pause? Möchte er bewegt werden? Nun prüfen Sie, welche Bedürfnisse Sie Ihrem Körper erfüllen können und tun es. Sehen Sie genau hin, wenn dem etwas entgegensteht und überlegen Sie, ob es nicht doch einen Weg gibt. Seien Sie hochaktiv auf dem Weg, Ihrem Körper 208 Gutes zu tun! Batterien aufladen Nutzen Sie den Rest des Wochenendes – und vielleicht die nächste Woche? - ganz besonders dazu, die Batterien aufzuladen. Sie brauchen eine Auszeit. Lassen Sie sich einfach gehen. Sie benötigen nun täglich auch Zeit, die Sie verschwenden können. Tun Sie, was Sie nicht lassen können, ohne deshalb ein schlechtes Gewissen zu haben. Ausruhen, fernsehen, nichts tun, etwas Ruhiges, Beruhigendes, Entspannendes tun. Oder jagen Sie sich laute Musik in den Kopf, essen Sie üppig zu Mittag, gehen Sie in einen Spielsalon, einen Pornoshop, tun Sie, was immer Sie wollen und die Rechte anderer Menschen nicht stört! 209 Literatur • Claus et al.: ADS. Das Erwachsenen-Buch. Oberstebrink, 2004 • Dieter Pütz. ADHS-Ratgeber für Erwachsene. Hogrefe, 2006 • Döpfner et al.: Hyperkinetische Störungen, 2000 • Döpfner, Manfred; Lehmkuhl, Gerd: Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung – Neuropsychologie. In: Förstl, Hans; Hautzinger, Martin; Roth, Gerhard (Hrsg.): Neurobiologie psychischer Störungen. Springer 2006 • Hesslinger et al.: Psychotherapie der ADHS im Erwachsenenalter. Hogrefe, 2004 • Krause et al.: Neurobiologie der ADHS. Psycho 26 (2000) • Joanna Moncrieff (2003) Is Psychiatry for Sale? An Examiniation of the Influence of the Pharmaceutical Industry on Academic and Practical Psychiatry • Gunther H. Moll und Gerald Hüther: Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung. In: Förstl, Hans; Hautzinger, Martin; Roth, Gerhard (Hrsg.): Neurobiologie psychischer Störungen. Springer 2006 • P. Riedesser: Einige Argumente zur ADHS-Kontroverse in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. In: Marianne Leuzinger-Bohleber/Yvonne Brandl/Gerald Hüther (Hrsg.): ADHS – Frühprävention statt Medikalisierung. Theorie, Forschung, Kontroversen. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, 2006 • Safren, Steven A.: Kognitive Verhaltenstherapie der ADHS des Erwachsenenalters. MWV 2008 • Stieglitz, Rolf-Dieter, Nyberg, Elisabeth, Hofecker-Fallahpour, Maria: ADHS im Erwachsenenalter. Hogrefe, 2012 210