P. i. R. Dr. Albrecht Weber (evangelisch) über: Johannes 12, 12-19 Delmenhorst, am 05.04.2009 Palmarum/Palmsonntag Gemeinde Jesu! I. Die Dinge im Leben Jesu spitzen sich zu: Jesus erreicht auf seinem Weg Betanien, wo sein Freund Lazarus seit einigen Tagen tot und inzwischen beerdigt worden ist. Marta, die Schwester des Lazarus, kommt mit Jesus in ein Gespräch über Tod und Leben und bekennt den Glauben an die Auferstehung der Toten am Jüngsten Tag. Daraufhin führt Jesus sie einen Schritt weiter, indem er sagt: "Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben." (Johannes 11, 25) (Das bedeutet: Auferstehung und Leben ist nichts, was irgendwann in ferner Zukunft geschieht. Vielmehr stehen Auferstehung und Leben vor dir. Auferstehung und Leben erhält jeder, der an mich glaubt, der sein Leben auf mich und meine Botschaft gründet. Wer das tut, dem kann der Tod nichts anhaben, der ist in Wirklichkeit unsterblich!) Um diesen Glauben an sich selbst, der Unsterblichkeit verleiht, hervorzurufen und machtvoll zu begründen, darum erweckte Jesus Lazarus, rief ihn für eine Zeit zurück ins irdische Dasein. Aufgrund dieser sensationellen Tat wuchs Jesus eine einzigartige Popularität zu, die bei dem triumphalen Einzug in Jerusalem zum Ausdruck kam. Andererseits fürchteten die religiösen Führer des Landes, Jesus werde nun eine solche Hochschätzung gewinnen, dass die römische Besatzungsmacht ein Wiedererwachen nationaler Unabhängigkeitsgedanken annehme und hart eingreifen werde. Darum beschlossen die religiösen Führer, aufgrund der befürchteten politischen Konsequenzen sowohl Jesus wie auch Lazarus zu töten. Wegen Jesu großer Beliebtheit bei der Volksmenge sollte die beschlossene Verhaftung nach Möglichkeit heimlich stattfinden. II. Seite 1/5 Eine Menge Menschen dachte sicher: Das ist ein großer Held, dieser Totenerwecker. Wer Tote erwecken kann, der vermag noch mehr. Der schafft es auch, die römische Besatzungsmacht aus dem Land zu jagen. Der ist der von Gott versprochene König der Heilszeit. Der ist erfolgreich und führt uns zum Erfolg. Es lebe der Erfolg! Es lebe der Erfolgreiche, der Mächtige! Ein großartige Szenerie: Da reitet ein Mann in die Hauptstadt ein, und die Menge, die von der Erweckung des Lazarus noch ganz begeistert ist, ruft: "Heil sei dir: Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der mächtige König Gottes, der König machtvollen Erfolges!" Mit Palmen als Zeichen des Sieges wird dieser in die Stadt Einziehende bejubelt und begrüßt. Könnten wir in diesen Jubel nicht einstimmen und so unsere Erwartung an Christus zum Ausdruck bringen: SEI DOCH EIN GOTTESBOTE DES ERFOLGS! Wir wissen doch, wie du dich als Heiler von Lahmen, Blinden, Tauben und Leprakranken um Kranke mit Nachdruck gekümmert hast! Sei doch nun ein umfassender Gottesbote des Erfolges etwa in Krankenhäusern gemäß der Botschaft: Steht alle auf im Namen Jesu - kommt herunter von euren Betten, werft die Krücken weg, schaltet die Herz-Lungen-Maschinen und andere medizinische Apparaturen ab, schickt die Fachärzte und Schwestern nach Hause - denn Jesus macht alles neu und heil! SEI DOCH EIN GOTTESBOTE DES ERFOLGS! Wir wissen doch, dass du die Friedensstifter selig gepriesen hast und nichts sehnlicher als Frieden wünschst. Du siehst doch, wie wenig Menschen weltweit dauerhaften Frieden schaffen können. Darum schaffe doch noch heute Frieden in Afghanistan und im Nahen Osten, im Sudan und im Kongo, mach schnell ein Ende der weltweiten Wasserknappheit und den Seuchen, entferne umgehend alle Despoten und Unterdrücker von ihren angemaßten Posten. Kitte doch die zerbrochenen Familien, flöße den Menschen Verständnis und Zuneigung ein. Fege den Spuk aller Terroristen und fanatisierten Selbstmordattentäter hinweg und gebiete Einhalt denen, die meinen, durch brutale Gewalt der Welt Gerechtigkeit bringen zu können. Kaum etwas von alledem geschieht! Auf einem Esel reitet Jesus ein. Offenbar hat er noch nichts gehört von Werbung und werbewirksamen Symbolen. Hätten ihn nicht seine engsten Freunde beraten und ihm klarmachen müssen, dass ein Esel zum Image eines machtvollen Gottkönigs einfach nicht passt? Wäre er auch dann noch auf einem Esel in Jerusalem eingezogen, wenn er gewusst hätte, dass ihn später Heiden mit einer Darstellung eines Gekreuzigten mit einem Eselskopf verschmähen und beleidigen würden? Seite 2/5 Als Machtloser reitet Jesus dem Tod in Jerusalem entgegen, reitet in die Stadt, seinem Verhör, seiner Demütigung, seiner Folter und seiner grausamen Hinrichtung entgegen. III. Er zaubert das Kreuz nicht weg. Jesus zaubert noch immer unsere Krankenstuben und unsere Hilflosigkeit bei vielen Problemen nicht weg. Aber auf diesem machtlosen Weg, auf dem er sich niemandem aufdrängt, könnte wahr werden, was er Marta gegenüber sagt: "Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben." In alledem könnte er uns zu Gott führen, wenn wir uns nur von ihm führen ließen! In alledem könnte der Grundstein für eine neue Welt gelegt sein! An Begeisterung für Jesus, solange die eigenen Erwartungen erfüllt werden, fehlt es ja bekanntlich nicht. Jesus als Hilfsmotor für einen festlichen Familientag, mit vielen Geschenken? Ja! Ob Weihnachten, Ostern oder Konfirmation: Danke, Jesus, dass du uns so tolle Tage und Geschenke vermittelst! Jesus als Energiespender für gelegentliche religiöse Aufschwünge und Stimmungen? Ja! Jesus als Notbremse in verfahrenen Situationen? Ja! Viele beten ja nach dem Motto: Wenn es schon nichts nutzt, ihn anzurufen, schaden wird es ja schließlich auch nicht! Ja, Jesus, du bist unsere Notbremse! Jesus als Zuchtrute in Ersatz für unser pädagogisches Unvermögen: Vielleicht hält er ja den Verfall der Sitten auf? Sogar viele Nichtglaubende sagen hierzu: Ja! Aber Jesus als Erfolgloser, Machtloser und Verlassener? Nein! Jesus reitet an unseren Erwartungen vorbei, er reitet auf einem Esel zum Kreuz. Er hält sich nicht auf bei unseren Erwartungen und Stimmungen. Ohne ein Wort reitet er auf dem Tier der Armen und Machtlosen zu dem Kreuz der Armut und Machtlosigkeit. Er reitet zum Kreuz des Misserfolges, der Krankheit, der Behinderung, der Unwissenheit; er reitet zu dem Kreuz der unschuldig Verfolgten, der vorzeitig Gestorbenen und Verhungerten; er reitet zu dem Kreuz derer, die nach Wasser, Brot und medizinischer Hilfe schreien. Er reitet zu dem Kreuz derer, die im Todesschatten der Gottesferne und Ungewissheit über den lebendigen Gott leben. Seite 3/5 Er reitet zu dem Kreuz der sozial Benachteiligten und Schwachen, zu dem Kreuz der Schuldigen und Bestraften, zu dem Kreuz der Unmöglichen und Unerträglichen. IV. Seit Karfreitag gibt es kein menschliches Kreuz mehr, in dem uns nicht Gott begegnen könnte. In Ohnmacht stirbt Jesus am Kreuz und zeigt damit das Sinnlose alles gottlosen Machtkalküls und die wahre Macht dienst- und opferbereiter Liebe. In dem Bericht des Johannes wird dargelegt, dass die Jünger nicht verstanden, was Jesus mit dieser Zeichenhandlung aussagen wollte: Dass er wirklich der von dem Propheten Sacharja (9, 9) um 520 vor Christus vorausgesagte König Gottes für die Heilszeit sei. Die Menge, die Jesus an diesem Tag mit dem alttestamentlichen Ruf "Hosianna!" zujubelte, rief wenige Tage später "Kreuzige ihn!" Die Begeisterung der Menge war ohne tieferen Wert; durch eine neue Massensuggestion schmolz sie innerhalb weniger Tage wie Schnee in der Sonne. Vielleicht sollten wir seitdem jeder Massenbegeisterung gegenüber ein gesundes Maß an Skepsis entgegensetzen. Ob die Masse einem sportlichen, künstlerischen oder politischen "Held" zujubelt, morgen schon kann ihre Stimmung umschlagen. Ob auch die Masse begeistert "Frieden" ruft, morgen schon kann diese Hochstimmung in Depression umschlagen, wenn sich der erwünschte Frieden nicht auf der Stelle einstellt. (Mögen auch Menschen vieler Länder den wirklich eindrucksvollen neuen amerikanischen Präsidenten Obama wie einen Popstar verehren, in Kürze schon kann er aufgrund der schier unlösbaren heimischen und weltweiten Probleme verwünscht werden.) Ob wir nur zu denen gehören, die am Tage der religiösen Stimmung Jesus zujubeln, für ein paar Stunden Begeisterung zeigen und dann in den alten Trott zurückfallen? Lassen wir Jesus allein, wenn er unseren Erwartungen nicht entspricht? Lassen wir Jesus allein, wenn es auf den Karfreitag zugeht? Lassen wir Jesus allein, wenn er uns im Kreuz und Leiden unseres Lebens und unserer Mitmenschen begegnet? Muss Jesus erneut einsam das Kreuz erdulden, verlassen von den Jüngern, die flohen? Nein, wir wollen es lieber mit Paul Gerhardt, seinem innigen Bekenntnis und seiner Bitte halten: Seite 4/5 "Ich will hier bei dir stehen, verachte mich doch nicht; von dir will ich nicht gehen, wenn dir dein Herze bricht; wenn dein Haupt wird erblassen im letzten Todesstoß, alsdann will ich dich fassen in meinen Arm und Schoß. Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir, wenn ich den Tod soll leiden, so tritt du dann herfür; wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein, so reiß mich aus den Ängsten kraft deiner Angst und Pein." (EG 85, 6 + 9) © Albrecht Weber 2009 Seite 5/5