NATUR & WISSENSCHAFT Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.10.2007, Nr. 253, S. N1 Seltenes Lungenleiden rasant erforscht Rührige Vereinigungen von Lam-Patientinnen Patientenvereinigungen haben einen erheblichen Einfluss auf die Medizin. Sie können die öffentliche Auseinandersetzung mit einer Erkrankung erzwingen und dafür sorgen, dass mit mehr Nachdruck nach den Ursachen gefahndet wird. Bestes Beispiel ist die Aidsforschung, die vor 25 Jahren erst durch den Druck der Aktivisten in Gang gekommen ist. Mehr Schwierigkeiten bereitet es, das Interesse auf eine Krankheit zu lenken, an der weltweit nur einige hundert Betroffene leiden. Dieses Kunststück ist bei der Lymphangioleiomyomatose, einer seltenen Lungenerkrankung, gelungen. Dem unermüdlichen Einsatz der Patientenvereinigungen ist es zu verdanken, dass bereits nach zehn Jahren klar ist, wie diese Erkrankung zustande kommt und wie sie möglicherweise behandelt werden kann. In den Vereinigten Staaten ist jetzt sogar schon eine klinische Studie mit einer an den Ursachen ansetzenden Therapie angelaufen. Die fortschreitende Lungenerkrankung, die eher unter dem Namen "Lam" bekannt ist, zählt zu den seltensten Leiden überhaupt. Auf eine Million Menschen kommen nur zwei bis drei Betroffene. In Deutschland sind 120 Patienten namentlich bekannt. Rein rechnerisch gesehen, müssten es zweihundert sein. Die 1995 in den Vereinigten Staaten von Sue Byrnes gegründete Lam-Foundation hat schon mehr als zehn Millionen Dollar Spendengelder für die Forschung gesammelt. Die bemerkenswerten Ergebnisse sind allein durch diese Gelder zustande gekommen. Die Stiftung hat außerdem bewirkt, dass die amerikanischen Behörden ein Patientenregister und eine Gewebebank aufgebaut haben. Hierzulande wird die Forschung durch die vor fünf Jahren gegründete Lam-Selbsthilfe Deutschland mit Susanne Geiling als Vorsitzender unterstützt. Ein jährliches Patiententreffen gibt den Ärzten Gelegenheit, mit nahezu allen deutschen Patienten zu sprechen. Die jüngste Zusammenkunft hat vor kurzem in Frankfurt am Main stattgefunden. Das seltene Lungenleiden befällt vor allem junge Frauen im gebärfähigen Alter. Typisch ist die massenhafte Ansammlung ungewöhnlicher Muskelzellen in der Lunge. Sie liegen in wirren Haufen um die kleinen Atemwege und die Blut- und Lymphgefäße und machen den Gasaustausch zunehmend schwieriger. Außerdem entstehen mit der Zeit luftgefüllte Hohlräume, die in den engen Raum zwischen Rippen- und Lungenfell münden. Dadurch geht der für die Atmung nötige Unterdruck verloren, so dass die Lunge kollabiert. Mitunter wird auch milchiges Sekret in den Hohlräumen eingeschlossen und später in den Brust- oder Bauchraum entlassen. Blockieren die Muskelzellen die Blutgefäße, staut sich der Inhalt, und das Blut wird nach dem Platzen der Gefäße frei. Typische Symptome sind Husten, Atemnot, Brustschmerzen, Erschöpfung und der Kollaps der Lunge. Bei einigen Patienten schreitet die Krankheit schnell voran und macht bald eine Lungentransplantation erforderlich, bei anderen zeigen sich über Jahrzehnte nahezu keinerlei Beschwerden. Dass die Ursache der Erkrankung so schnell gefunden werden konnte, ist einem interessanten Zufall zu verdanken. Die Symptome ähneln nämlich zum Teil jenen der tuberösen Sklerose, einer komplexen geistigen Behinderung. So entwickelt sich bei manchen Patienten mit der seltenen Lungenkrankheit ein für die tuberöse Sklerose typischer, gutartigen Tumor der Niere, und viele Patienten mit tuberöser Sklerose haben ungewöhnliche Muskelzellen in der Lunge. Eine genaue Analyse zeigte, dass beide Erkrankungen auf den gleichen Mutationen beruhen. Bei der Lungenkrankheit treten die Mutationen in einigen Körperzellen auf, bei der tuberösen Sklerose in der Keimbahn und damit in allen Zellen. Mutiert ist entweder das TSC1- oder das TCS2-Protein. Normalerweise lagern sich beide Eiweiße zu einem Komplex zusammen und schalten eine für die Vermehrung der Zellen notwendige Signalkette ab. Durch die Mutation wird das verhindert. Die Zellen wuchern ungebremst weiter, was zu den Ablagerungen in der Lunge und der Niere führt. Das in der Transplantationsmedizin verwendete Mittel Rapamycin wirkt ähnlich wie der intakte Komplex aus TCS1 und TCS2. Es schaltet den Signalweg ab und könnte damit die Aufgabe des ramponierten Komplexes übernehmen. In den Vereinigten Staaten wird das Konzept jetzt in einer klinischen Studie geprüft. Rapamycin könnte folglich bald die erste an den Ursachen ansetzende Behandlung des seltenen Lungenleidens sein. In Deutschland wird das Medikament, wie Hubert Wirtz von der Universitätsklinik Leipzig bei dem Patiententreffen sagte, bereits im Rahmen individueller Heilversuche angewendet. Der genetische Defekt ist aber nicht die einzige Ursache für das Lungenleiden. Weil nur Frauen betroffen sind, nimmt man an, dass auch das Östrogen eine Rolle spielt. Früher wurden den Patientinnen die Eierstöcke entfernt. Heute werden sie mit einem synthetischen Progesteron behandelt. In hohen Konzentrationen senkt es den Östrogengehalt im Blut. Wo die ungewöhnlichen Muskelzellen herkommen, ist nach wie vor völlig offen. Einige Wissenschaftler vermuten, dass sie aus dem Tumor in der Niere stammen und in die Lunge wandern. Weil aber nicht alle Lam-Patienten einen Tumor in der Niere haben, muss es noch einen anderen Ursprung geben. HILDEGARD KAULEN Alle Rechte vorbehalten. (c) F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main