Elektrik: Neue Wege

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INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort zur zweiten Auflage
Hinweise zur Benutzung des Buches
1 Beweggründe für eine Umgestaltung des Elektrikunterrichts
1.1 DIE EMPIRISCHE SITUATION DES ELEKTRIKUNTERRICHTS
1.2 ZIELE EINES ALLGEMEINBILDENDEN ELEKTRIKUNTERRICHTS
1.3 GRUNDSÄTZLICHE ANMERKUNGEN ZUR ROLLE DER SPRACHE UND
DER ERFAHRUNG BEIM PHYSIKLERNEN
1.3.1 Zur Semantik physikalischer Größen und Gleichungen
1.3.2 Gleich oder Maß für? – Probleme mit dem Gleichheitszeichen
1.3.3 Zur Rolle des Erfahrens und Erlebens
2 Elektrische Anlagen zur Energieübertragung – Grundlagen
2.1 BEDEUTSAME SPRACHPROBLEME IM UMFELD DES STROMBEGRIFFS
2.1.1 Elektrizität, Ladung und Ladungsträger – klar definierte Begriffe?
2.1.2 Zum Begriff elektrischer Strom, oder: „Was macht der Strom,
wenn er nicht fließt?“
2.2 DIE SACHSTRUKTUR ELEKTRISCHER ANLAGEN ZUR
ENERGIEÜBERTRAGUNG UND IHRE VERSPRACHLICHUNG
8
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18
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2.3 DER SPANNUNGSBEGRIFF IM KONZEPT DER ENERGIEÜBERTRAGUNG
2.3.1 Voraussetzungen einer sachgerechten Vorstellung von elektrischer Spannung
2.3.2 Energieströme und elektrische Spannung
2.3.3 Spannung als Relation zwischen zwei Punkten
2.3.4 Kraft und Spannung – ein Zusammenhang mit Problemen
2.3.5 Spannung und elektromotorische Kraft
2.3.6 Fachliche und semantische Probleme des Widerstandsbegriffs
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37
42
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51
53
3 Energieübertragung durch Stromkreise – ein handlungsorientierter Unterrichtsgang
3.1 EINFÜHRUNG IN DAS KAPITEL
59
59
3.2 VORBEMERKUNGEN ZU EINIGEN BESONDERHEITEN
DES UNTERRICHTSGANGES
Aufbau energetischer Vorstellungen
Energiestrom
Handgetriebene Generatoren
Glühlampen
Wasserkreislauf als Analogiemodell
61
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64
64
67
67
3.3 ÜBERBLICK ZUR ABFOLGE DER UNTERRICHTSEINHEITEN
68
3.4 BESCHREIBUNG DER UNTERRICHTSEINHEITEN
69
3.4.1 Wofür dienen elektrische Anlagen?
A Unterrichtsziele
B Unterrichtsweg
Ba Wozu brauchen wir elektrische Anlagen?
Bb Gemeinsame Elemente elektrischer Anlagen
Bc Energieübertragung durch Kreisläufe
Bd Der Energiestrom als physikalische Größe
C Didaktische, fachliche und technische Anmerkungen
3.4.2 Was kann sich in elektrischen Leitern bewegen?
Elektrischer Strom als bewegte Elektrizität
70
70
70
70
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72
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A Unterrichtsziele
B Unterrichtsweg
Ba Zirkulation in massiven Drähten?
Bb Elektrostatische Erscheinungen
Bc Strom als bewegte Elektrizität
C Didaktische, fachliche und technische Anmerkungen
3.4.3 Wie kann man Elektronen anschieben?
A Unterrichtsziele
B Unterrichtsweg
Ba Konstanter Strom als Gleichgewichtszustand
Bb Wirkungsweise elektrischer Energiequellen
C Didaktische, fachliche und technische Anmerkungen
3.4.4 Einführung der Strommessung
A Unterrichtsziele
B Unterrichtsweg
C Didaktische, fachliche und technische Anmerkungen
3.4.5 Elektronenstrom und Energietransport
A Unterrichtsziele
B Unterrichtsweg
Ba Qualitativer Zusammenhang von Energiestrom und Elektronenstrom
bei einfachen Stromkreisen
Bb Vervielfachung der Energieströme durch parallelgeschaltete Verbraucher
Bc Die Belastungsgrenze von Energiequellen
Bd Elektronenstrom und Energiestrom beim Elektromotor
C Didaktische, fachliche und technische Anmerkungen
3.4.6 Vorstellungen zur Quellenspannung
A Unterrichtsziele
B Unterrichtsweg
Ba Gleiche Elektronenströme – unterschiedliche Energieströme
Bb Die Spannung von Energiequellen und ihre Messung
Bc Spannung und Energieumsatz am Elektromotor
C Didaktische, fachliche und technische Anmerkungen
3.4.7 Spannungen an beliebigen Leitern im Stromkreis Widerstandsvorstellung
A Unterrichtsziele
B Unterrichtsweg
Ba Spannung zwischen beliebigen Leiterpunkten
Bb Widerstandsbegriff und Modellvorstellung zur Leitung in Drähten
Bc Die Maschenregel
C Didaktische, fachliche und technische Anmerkungen
3.4.8 Ohmsches Gesetz, Widerstandsdefinition und Gesetze
bei kombinierten Widerständen
Ohmsches Gesetz
Widerstandsdefinition
Gesetze für kombinierte Widerstände
3.4.9 Die Berechnung von Energieumsätzen – Definition der elektrischen Spannung
A Unterrichtsziele
B Unterrichtsweg
Ba Die Definition der elektrischen Spannung
Bb Energieumsätze in einzelnen Elektrogeräten, Energieberechnung
C Didaktische, fachliche und technische Anmerkungen
Zur Spannungsdefinition
Zum Wirkungsgrad
Elektrische und andere Energieströme als Bausteine ökologischer Bildung
3.4.10 Von Oerstedt zum Elektromotor
6
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147
149
Unterrichtsziele
Hinweise zur Anordnung und Auswahl der Inhalte
3.4.11 Von Faraday zum Transformator
Unterrichtsziele
Hinweise zur Anordnung und Auswahl der Inhalte
Induktion
Selbstinduktion (Drosselspule)
Der Transformator
Kraftwerke und Verbundnetz
3.5 ANMERKUNGEN ZUR EINORDNUNG DER ELEKTRIK INS CURRICULUM
Dankworte
4 Zur Physik elektrischer Stromkreise
4.1 ÜBERSICHT UND SPRACHREGELUNGEN
149
149
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159
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163
165
165
4.2 ELEKTRONENBEWEGUNG IN METALLEN
4.2.1 Das Elektronenfluid
4.2.2 Die Driftbewegung der Elektronen
4.2.3 Geschwindigkeit der Driftbewegung
167
168
170
171
4.3 FELDERZEUGUNG IM LEITER
4.3.1 Ursache der Elektronen-Drift
4.3.2 Erzeugung von „Strömungs“-Feldern
4.3.3 Felder bei Querschnittsänderungen, Krümmungen und an Grenzschichten
Drahtkrümmungen
Querschnittsänderungen
Materialinhomogenitäten
4.3.4 Anlauf – und Abklingvorgänge
172
172
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176
176
177
177
178
4.4 VORGÄNGE IN DEN WANDLERN
4.4.1 Verbraucher (Senken)
Heizelemente (ohmsche Verbraucher)
Induktive Wandler
4.4.2 Erzeuger (Quellen)
Induktive Quellen
Quellen mit mechanischem Ladungstransport
Spaltquellen
4.5 PHYSIKALISCHE GRÖßEN IM ENERGIE – UND
ELEKTRONEN- STROMKONZEPT
4.5.1 Quellenspannung (EMK), ohmsche Spannung
4.5.2 Ohmscher Widerstand
4.5.3 Energiestrom, Leistung
4.5.4 Energieströmung in den Feldern
4.6 DIE POTENTIAL-VORSTELLUNG (PEGELKONZEPT)
4.6.1 Schwerkraft-Modell und Pegelkonzept
4.6.2 Potentialschienenmodell für Schaltungstechnik
4.6.3 Einfache Beispiele für das Pegelkonzept
4.6.4 Digitale Schaltungen arbeiten mit zwei Pegeln
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190
193
194
198
Literaturverzeichnis
203
Bildquellen
204
7
Vorwort zur zweiten Auflage
Das Erscheinen der ersten Auflage dieses Buches hat viele Reaktionen ausgelöst. Besonders das Unterrichtskonzept wurde von der Lehrerschaft sehr positiv aufgenommen. Dies hat dazu geführt, daß sich auch der Lehrmittelhandel noch stärker engagiert
hat. Es werden nun eine Reihe von Lehrgeräten angeboten, die speziell im Hinblick
auf den hier vorgeschlagenen Unterrichtsgang entwickelt wurden. Die handgetriebenen Generatoren haben ihre „Kinderkrankheiten“ überwunden und sind zu einer lohnenden Anschaffung für selbsttätiges Experimentieren im Elektrikunterricht geworden. Der überarbeitete Text der zweiten Auflage enthält entsprechend aktualisierte
Hinweise und Abbildungen.
Dankbar haben wir Kritik aus der Praxis und Anregungen für Veränderungen entgegengenommen. Sie haben an manchen Stellen zu stringenteren Formulierungen geführt. Dazu gehört u. a. der Verzicht auf die Größe Arbeit bei der sprachlichen Darstellung energetischer Vorgänge. Dies kommt der zunehmenden Zahl von Lehrplänen
und curricularen Vorschlägen entgegen, in denen der Energiebegriff als Grundgröße
eingeführt wird.
Die Modellvorstellung von Energieströmen und die Darstellung des Energiestroms als fundamentale physikalische Größe haben unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Während diese Betrachtungsweise im gymnasialen Unterricht vielfach bereits
zu den Selbstverständlichkeiten gehört – wozu die didaktische Diskussion um den
„Karlsruher Physikkurs“ sicher wesentlich beigetragen hat –, ist diese Betrachtungsweise im Bereich der Real- und Hauptschulen umstrittener. Es sind uns aber keine
Argumente bekannt geworden, die uns hätten bewegen können, auf diese Anschauungen zu verzichten – im Gegenteil: Von Schulen, an denen bereits mehrere Kurse auf
der Grundlage dieser Konzeption unterrichtet wurde, erreichte uns die Bestätigung,
daß – nach einer Umgewöhnungsphase der Lehrkräfte – mit Hilfe der hier vorgeschlagenen Begrifflichkeit der Aufbau konsistenter Vorstellungen weitaus problemloser möglich ist als in der traditionellen Terminologie.
Bei den Unterrichtseinheiten wurde für die zweite Auflage das methodische Vorgehen im Abschnitt Die Berechnung von Energieumsätzen – Definition der elektrischen Spannung (Einheit 9) geändert. Dies hängt zum einen mit technischen Veränderungen bei den Generatoren zusammen, zum anderen aber auch mit der Kritik am offenbar unverhältnismäßig großen Zeitaufwand, den die Meßreihen des methodischen
Vorschlags der ersten Auflage erfordern. Gleichzeitig wurde die pädagogische Funktion dieser Einheit für den Aufbau ökologisch relevanter Kenntnisse und Einstellungen stärker betont.
Einige Experimente und Aufgaben, die sich besonders bewährt haben, wurden
neu integriert, ohne daß sich dadurch Grundsätzliches am methodischen Weg zu tragfähigen Begriffen und Vorstellungen geändert hat. Wir hoffen, daß diese zweite Auflage ebenso positiv aufgenommen wird wie die erste und freuen uns über Anregungen
und Kritik, die uns aus der Lehrerschaft erreicht.
Weingarten, im Juli 1996
8
Hinweise zur Benutzung des Buches
Bekanntlich ist es ziemlich anstrengend, Fachbücher an einem Stück durchzulesen.
Man mutet sich dabei zu, eine Entwicklung in wenigen Stunden nachzuvollziehen, die
sich bei den Autoren oft über Jahre hinzog. Daß dies meist nur fragmentarisch gelingt,
hängt sicher unter anderem mit der Unvollkommenheit zusammen, über die auch Autoren nicht erhaben sind. Das vorliegende Büchlein macht da sicher keine Ausnahme.
Mit den nachfolgenden Hinweisen zur Benutzung soll es dem Leser leichter gemacht
werden, sich jene Aspekte herauszugreifen, die seiner momentanen Interessenlage am
ehesten entsprechen. Das Buch ist nicht so abgefaßt, daß es am Stück gelesen werden
muß. Weit eher sollte es als fachdidaktisches Handbuch dienen, das es auch erlaubt,
einzelne Kapitel oder Unterkapitel für die Unterstützung der eigenen Arbeit heranzuziehen.
Dem „Handbuchcharakter“ wurde durch viele Querverweise im Text Rechnung
getragen, die besonders in den dargestellten Unterrichtseinheiten auf Ausführungen in
anderen Kapiteln Bezug nehmen. Denn viele didaktische Probleme werden in unterschiedlichen Zusammenhängen und Aspekten diskutiert. Zusammen mit dem differenzierten Inhaltsverzeichnis sollte es möglich sein, für die Behandlung der wichtigsten Begriffe, Vorstellungen, Größen und Gesetze die didaktische Argumentation im
Buch zu verfolgen.
Das Buch wendet sich in erster Linie an Lehrkräfte, die Elektrizitätslehre in der Sekundarstufe I unterrichten. Aus diesem Grunde sind die Kapitel auch verschieden lang
ausgefallen. Die Darstellung des Unterrichtsganges im dritten Kapitel durch mehr
oder weniger ausführliche Vorschläge für 11 Unterrichtseinheiten nimmt den größten
Raum ein.
Wer sich nur einen Überblick zum vorgeschlagenen Unterrichtsgang verschaffen
will, dem sei das Studium der Abbildung 9 auf S. 68 besonders ans Herz gelegt. Ergänzend dazu wird man durch die Lektüre der Unterrichtseinheiten 3.4.1, 3.4.9 und
3.4.11 am schnellsten mit den unterrichtsmethodischen Konsequenzen der didaktischen und fachlichen Überlegungen vertraut. Im übrigen werden die Ausführungen zu
den einzelnen Unterrichtseinheiten immer dann von besonderem Nutzen sein, wenn
die konkrete Unterrichtsplanung im Rahmen der vorgelegten Gesamtkonzeption ansteht.
Jede Lehrerin, jeder Lehrer ist zugleich Fachdidaktiker. Für diesen Leserkreis –
einschließlich derer, die sich im Studium dieses Gegenstandsfeldes befinden – dürften
die beiden ersten Kapitel besonders bedeutsam sein. Das erste Kapitel befaßt sich von
einer pädagogischen Position aus mit den gravierenden Problemen des konventionellen Elektrikunterrichts. Es wird versucht aufzuzeigen, daß diese Schwierigkeiten unter anderem damit zusammenhängen, daß übergeordnete (außerphysikalische) Zielsetzungen nicht in ausreichendem Maße den Unterricht leiten. Eine solche Zielsetzung des Unterrichts wird vor dem Leitbild des verstehenden Laien herausgearbeitet.
9
Das zweite Kapitel enthält eine differenzierte Diskussion der fachlichen und fachdidaktischen Grundlagen für den einführenden Elektrikunterricht, in dem Stromkreise
als Anlagen zur Energieübertragung interpretiert werden. Semantische Probleme der
Fachbegriffe und Größenbezeichnungen werden zu lösen versucht, indem ihre Bedeutung in Bezug auf die Energieübertragung herausgearbeitet und zur Bildung tragender
Vorstellungen genutzt wird. Besondere Beachtung wird dabei der Schwierigkeit gewidmet, sogenannte Alltagsvorstellungen mit fachlich konsistenten Vorstellungen in
Beziehung zu setzen. Dieses zweite Kapitel wird überall dort seinen Platz haben, wo
der Vorsatz gefaßt wurde, sich gründlich mit den fachdidaktischen Problemen des Elektrikunterrichts auseinanderzusetzen.
Das vierte Kapitel von Adolf Walz bietet eine in sich geschlossene Darstellung der didaktischen und fachlichen Grundlagen des Elektrikunterrichts. Knappe Wiederholungen wichtiger Inhalte aus Kapitel 2 machen das Kapitel unabhängig von den vorangehenden lesbar. Dieses vierte Kapitel spannt dabei den Bogen über den einführenden
Unterricht hinaus. Stromkreise als Systeme zur Energieübertragung erscheinen in diesem umfassenderen Zusammenhang als zwar wesentlicher aber nicht alles erschöpfender Inhalt der Elektrik. Grundsätzliche Fragen z. B. der Ladungsträgerkonzentration und -geschwindigkeit, der energietransportierenden Felder, der Vorgänge in Quellen und Verbrauchern u. ä. werden so diskutiert, daß die fachlichen Zusammenhänge
didaktisch nutzbringend für die Unterrichtsplanung zugänglich werden.
Wer z. B. Elektronik unterrichtet, oder in höheren Klassenstufen festkörperphysikalische Inhalte, elektrische und elektrodynamische Felder in die unterrichtliche Perspektive mit einbezieht, wird schon im einführenden Unterricht von der Frage bewegt,
wie die Begriffsinhalte und Vorstellungen anzulegen sind, um durchgängig tragfähig
zu sein. Das vierte Kapitel verdeutlicht, welche Voraussetzungen unsere Unterrichtsvorschläge für später folgende Einheiten bereitstellen, und wie der Unterricht verschiedener Schulstufen verknüpft werden kann. Für eine umfassende fachliche und
didaktische Orientierung ist es auch möglich, die Lektüre des Buches mit dem vierten
Kapitel zu beginnen. Vielleicht erzeugt ein solcher Einstieg in den Gesamtzusammenhang die Neugier und das Durchhaltevermögen für die Lektüre der Diskussionen
in den Kapiteln 2 und 3.
10
1
Beweggründe für eine Umgestaltung des
Elektrikunterrichts
Die vorliegende Arbeit entspringt zwei Wurzeln:
Zum einen hat die fachdidaktische Forschung etwa seit Ende der 70er Jahre den
Befund erbracht, daß die inhaltlichen Ziele des Elektrikunterrichts kaum erreicht werden.1 Dies ist um so bemerkenswerter, als der zeitliche Anteil der Elektrik am Physikunterricht, den die meisten Lehrpläne vorsehen, höher ist als bei allen anderen physikalischen Teilgebieten. Es spricht auch viel für die Annahme, daß Mißerfolgserfahrungen im Elektrikunterricht bei vielen Schülerinnen und Schülern wesentlich zur
Unbeliebtheit des Faches Physik beitragen. Unterricht wird dadurch kontraproduktiv:
er wirkt entmutigend, anstatt eine konstruktive Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften zu fördern.
Zum anderen zwingt die pädagogische Gegenwartssituation zu einer Neubesinnung bezüglich der Frage, welches Wissen, welche Fähigkeiten, Zusammenhänge,
Problemfelder usw. durch den Unterricht erschlossen werden sollen. In der Vergangenheit wurde vielfach der Versuch unternommen, das komplexe Wissen der Fachwissenschaften unter didaktischen Gesichtspunkten zu ordnen. Für den Physikunterricht zählen dazu beispielsweise sowohl die Einteilung des Stoffes nach den traditionellen Gebieten der Experimentalphysik (Mechanik, Wärmelehre usw.) als auch nach
anderen sogenannten Strukturelementen der Physik, etwa nach grundlegenden Konzepten (Teilchenkonzept, Wechselwirkungskonzept, Erhaltungskonzepte usw.), oder
nach analogen Gesetzmäßigkeiten (z. B. „Der Karlsruher Physikkurs“; vgl. FALK, G.
& HERRMANN [10], F, HERRMANN, F. [18]). Diese Bemühungen um eine Strukturierung sind noch immer aktuell und unerläßlich. Schulwissen läuft aber trotz allem
mehr denn je Gefahr, sich aus der Sicht der Schülerinnen und Schüler in einem Konvolut einzelner Wissenselemente zu erschöpfen, deren (partielle) Synthese zu einem
aktiven geistigen Werkzeug, das für die Bewältigung von Lebenssituationen verfügbar ist, allenfalls durch den Zufall bewirkt wird. Die fachdidaktischen Versuche zu
einer neuen Strukturierung des Physikunterrichts haben sich in den Lehrplänen und
im Unterricht allenfalls punktuell niedergeschlagen. Dies ist auch eine Konsequenz
der Didaktik der 60er Jahre, durch die eine pädagogisch verkürzte Sicht der Aufgabe
der Unterrichtsfächer begünstigt wurde. In dieser Sichtweise bildet die Physik implizit selbst das Ziel, dem der Lernende entgegengeführt werden soll. Allerdings ist diese Zielsetzung auch in den Versuchen zur Neustrukturierung meist nicht überwunden.
Dabei wird zu wenig berücksichtigt, daß sich der Unterricht in der Sekundarstufe
I an Schülerinnen und Schüler wendet, die in den meisten Fällen später weder im Beruf noch privat Physik treiben werden. Eine pädagogisch begründete Struktur muß
1
Auf die detaillierte Darstellung der vielschichtigen empirischen Analysen und ihre Deutungen
kann hier nicht ausführlich eingegangen werden. Siehe dazu z. B. die Beiträge zu [3], [4], [31],
[32], sowie MAICHLE [23], S. 113 ff. In diesen Publikationen finden sich zahlreiche weitere Literaturhinweise.
11
auch in der inhaltlichen und methodischen Gestaltung des Unterrichts erkennbar machen, daß die Physik im Dienst übergeordneter pädagogischer Ziele steht und nicht
das oberste Ziel des Unterrichts darstellt. In einem solchen Rahmen geht es nicht darum, die Schülerinnen und Schüler der Physik zuzuführen, sondern umgekehrt: Die
Physik wird daraufhin „abgeklopft“, welchen Beitrag sie für die Erziehung zur allgemeinen Lebenstüchtigkeit leisten kann. Unter dieser Zielsetzung wird sie im Interesse
der Schülerinnen und Schüler „ausgebeutet“. Diese Funktionalisierung der Physik,
bedeutet dennoch keinen Gegensatz zur Möglichkeit, durch den Unterricht eine Einführung in die wissenschaftliche Disziplin zu leisten. Wenn sich die Schülerinnen und
Schüler mit den übergeordneten pädagogischen Anliegen identifizieren können, wird
schon allein durch das höhere Motivationsniveau mehr zur Einführung in das zur Diskussion stehende Wissensgebiet beigetragen, als dies im Zeichen einer ständig virulenten und unbeantworteten Sinnfrage der Schülerinnen und Schüler („wozu soll ich
das lernen?“) möglich ist.
Die empirisch ermittelten Mißerfolge des Physikunterrichts sind eng mit seinen pädagogischen Zielsetzungen verflochten. Ein tieferes Verständnis der aktuellen Schwierigkeiten ist nur im Rahmen einer umfassenderen Analyse und Bewertung möglich,
als sie innerhalb des Teilgebietes Elektrizitätslehre erfolgen kann. Für eine Auseinandersetzung mit diesem grundsätzlicheren Fragenkreis sei auf MUCKENFUß (1995) [26]
verwiesen. Das Anliegen des vorliegenden Buches ist bescheidener: Es soll in Bezug
auf den Elektrikunterricht Möglichkeiten aufzeigen, wie bestehende Defizite überwunden werden können. Zu den Voraussetzungen gehört, daß der Unterricht jederzeit
von einer pädagogischen Leitidee geformt wird, die auch für die Schülerinnen und
Schüler erkennbar ist und dadurch sinnstiftend wirkt. Es geht also nicht einfach um
eine optimale Vermittlung der „Elektrizitätslehre“ (was ist das?), sondern darum, die
Inhalte so auswählen, zu aspektieren und aneinanderzufügen, daß sich die Sinnfrage
für die Schülerinnen und Schüler jederzeit selbst beantwortet.
1.1
DIE EMPIRISCHE SITUATION DES
ELEKTRIKUNTERRICHTS
Eine große Zahl von jüngeren Berichten und Untersuchungen zeigt, daß der Elektrikunterricht seine Ziele praktisch nicht erreicht. Inhaltlich beziehen sich die Defizite auf
alle Begriffe und Gesetze der Elektrik. Schon die Größen Spannung und Stromstärke
werden i. allg. nicht sachgerecht differenziert. Sofern Kenntnisse in der Elektrik vorhanden sind, herrscht ein Regelwissen vor, das nur in speziellen Abfragesituationen
eine gewisse Zeit lang aktiviert werden kann. Durchgängig tragende gedankliche Anschauungen zu den Vorgängen und Gesetzmäßigkeiten in Stromkreisen können bei
Schülerinnen und Schülern im großen und ganzen nicht nachgewiesen werden. Die
Vorstellungen sind überwiegend von Denkmustern geprägt, die den Unterrichtsabsichten zuwiderlaufen. (Z. B. Strom nicht als Strömungsvorgang, sondern als men-
12
Empirie
genartige Größe, variabel durch „Verbrauch“ und „Erzeugung“, gespeichert in Batterien usw. Spannung als Eigenschaft des Stroms, u. v. a.)2
Inwieweit die Diskrepanzen zwischen Sachstrukturen und Schülervorstellungen –
sogenannte Mißkonzepte – unbeabsichtigt im Unterricht erzeugt oder stabilisiert werden, ist wohl nicht definitiv geklärt. In der Fachdidaktik herrscht die Meinung vor,
daß fehlerhafte Denkmuster überwiegend durch sehr resistente Alltagsvorstellungen –
also durch außerunterrichtliche Einflüsse – erzeugt werden. Zwischen den Alltagsvorstellungen und den Fachstrukturen besteht jedoch ein wechselseitiger Einfluß, der
insbesondere im Überlappungsbereich von Fach- und Alltagssprache erkennbar wird.
Die Fachsprache ist historisch aus der Alltagssprache und deren Vorstellungshintergrund erwachsen. Umgekehrt finden zahlreiche fachsprachliche Begriffe wieder Eingang in die Alltagssprache. Beim Wechsel der Verwendungszusammenhänge „emanzipieren“ sich die Begriffe von der speziellen Bedeutung im jeweiligen Herkunftskontext bis hin zu einem völligen Bedeutungswechsel.
Die Art, wie im Unterricht physikalische Zusammenhänge versprachlicht werden, ist
daher für den Lernenden von entscheidender Bedeutung. Die bloße Einführung der
Fachsprache dient nicht immer der Erhellung der Zusammenhänge, auch dann nicht,
wenn die Begriffe scheinbar „exakt“ normiert sind. Dies wird im Abschnitt 1.3 weiter
ausgeführt.3 Weil die Begriffs- und Vorstellungsbildung ein zentrales Anliegen jedes
Unterrichts ist, besteht kein Grund zur Annahme, Unterricht sei am Aufbau von Fehlvorstellungen völlig unbeteiligt. Es ist keineswegs so, daß die falschen Vorstellungen
aus dem Alltag, die richtigen dagegen aus dem Unterricht stammen. Bezogen auf den
Elektrikunterricht wird uns dies in den folgenden Kapiteln noch öfters beschäftigen.
Die Schwierigkeiten bezüglich der Vermittelbarkeit der Elektrik haben auch im Defizit der Fachdidaktik eine Wurzel, die Zusammenhänge zwischen Alltagssprache,
Fachsprache und Vorstellungsbildung transparent zu machen.
Didaktisch neuartige Anstrengungen können nur erfolgreich sein, wenn Alltagsvorstellungen und ihre Ursachen berücksichtigt werden. Die Sprache, in der über die
physikalischen Zusammenhänge im Alltag geredet wird, ist dabei oftmals zugleich
Ursache und Indikator für didaktisch bedeutsame gedankliche Konzepte.
2
3
Die Begriffe „Verbrauch(er)“, „Erzeuger“ u. ä. sind bis zu ihrer Klärung in Abschnitt 2.2 in Anführungszeichen gesetzt.
Vergleiche hierzu auch MUCKENFUß [29] und [26] (Kap. 4.3).
13
1.2
ZIELE EINES ALLGEMEINBILDENDEN
ELEKTRIKUNTERRICHTS
Die Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe I wird weder Physiker noch Ingenieur. Die wenigsten werden später noch Physik im gängigen Sinne
treiben, also experimentierend, messend und rechnend den Gesetzen der Natur nachspüren! Dennoch wird auch ihnen Physik in ihrem späteren Leben ständig begegnen,
in der Natur, in den technischen Objektivationen und vor allem in kommunikativen
Zusammenhängen, z. B. in Reportagen, Artikeln, Berichten, Büchern, Diskussionen.
Die Frage, wozu, was und wie Schülerinnen und Schüler Physik lernen sollen, denen
sie später nur noch im Alltag und nicht in spezifischen beruflichen oder wissenschaftlichen Zusammenhängen begegnet, bleibt auch in den Lehrplänen meist in sehr allgemeinen und damit wenig verbindlichen und hilfreichen Statements stecken.
Auch die Untersuchungen zur Wirksamkeit des Elektrikunterrichts verzichten
bisher weitgehend darauf, Unterrichtsergebnisse in Abhängigkeit von pädagogischen
Zielsetzungen zu bewerten, die dem Elektrikunterricht – auch für die Schülerinnen
und Schüler erkennbar – zugrunde liegen. Eine pädagogisch begründete Gewichtung
der Unterrichtsinhalte könnte aber eine entscheidende Variable erfolgreichen Lernens
sein, insbesondere, wenn für den Lernenden jederzeit erkennbar ist, daß nicht physikalisches Expertenwissen die Richtschnur des Unterrichts bildet, sondern der Aufbau
einer Alltagskompetenz für Laien. Pädagogische Zielsetzungen des Elektrikunterrichts
werden in differenzierter Form wenig diskutiert und kaum in Beziehung gesetzt zur
Inhaltsauswahl, zu den Unterrichtsmethoden und den Medien (einschließlich der didaktischen Experimente). Offenbar ist die Elektrik als notwendiger Unterrichtsinhalt
so unumstritten, daß eine pädagogische Legitimation im Detail kaum erforderlich erscheint.
Im folgenden ist eine differenzierte Abstimmung der didaktischen Felder (Ziele, Inhalte, Methoden, Experimente und Präsentationsmittel) aufeinander angestrebt. Unzureichend in diesem Sinne ist eine Pauschallegitimation der Elektrik als Unterrichtsinhalt z. B. in folgendem Sinne: „Elektrizität durchdringt unser tägliches Leben. Aufklärung, gesellschaftliche Partizipation und private Lebensführung erfordern Grundkenntnisse in der Elektrik.“ So richtig dies ist, so wenig läßt eine derart globale Zielformulierung schon erkennen, welche Inhalte, Methoden und Präsentationsweisen bevorzugt werden sollen. Es könnte sich bei dieser Begründung des Elektrikunterrichts
um eine Art „Freibrief“ dafür handeln, den Unterricht nur noch nach innerfachlichen
(fachsystematischen) und vielleicht noch lernpsychologischen Kriterien zu strukturieren.
Wenn aber der Unterricht unter Motivationsproblemen leidet, wenn er Interesse
an der Naturwissenschaft nicht fördert sondern abbaut, und wenn er seine inhaltlichen
Ziele nicht erreicht, dann ist es unerläßlich, eine genauere, pädagogisch begründete
Struktur der angestrebten Ziele und ihres Begründungszusammenhangs mit den Inhal-
14
ten und Methoden zu erarbeiten. Die Rede ist vom einführenden Unterricht an allgemeinbildenden Schulen. Zu beantworten ist demnach die Frage, wozu (und in Folge
was, womit und wie) Schülerinnen und Schüler Elektrik lernen sollen, die diese
Kenntnisse künftig nicht als Handlungswissen in beruflichen Feldern benötigen. Man
tut gut daran, sich bei der Begründung z. B. Mädchen vorzustellen, die später Bankkauffrau, Lehrerin für Geschichte, Arzthelferin usw. werden, um nicht der Gefahr zu
erliegen, die Ziele des Unterrichts nur auf jene kleine Gruppe zuzuschneiden, zu deren beruflicher Grundqualifikation Kenntnisse aus der Elektrik gehören (z. B. Ingenieure, Physiker, Techniker, Physiklehrer). Es wird unterstellt, daß die allgemeinere Orientierung auch die Basisqualifikationen für eine spezifische berufliche Bildung umfaßt. (Dies wird in MUCKENFUß [26] 1995 ausführlich erörtert.)
Die genannten Beispiele übergeordneter Zielsetzungen des Elektrikunterrichts (Befreiung von Abhängigkeiten durch Aufklärung, gesellschaftliche Partizipation, vermitteln von Kriterien für die private Lebensführung) bilden noch keine ausreichende
Basis für eine differenzierte Begründung der Inhaltsauswahl, der methodischen Wege
und der medialen Präsentation der Elektrik im Unterricht. Kriterien hierzu ergeben
sich aus der Frage, in welchen Lebenszusammenhängen die Elektrik bedeutungsvoll
ist oder werden kann. Dahinter steht zunächst die schlichtere Frage, wo Elektrizität
vorkommt und wozu sie dient. Man wird die Vielfalt möglicher Einteilungen z. B. in
folgender Struktur ordnen können:
Elektrizität
technische Anlagen
Energie:
Übertragung und
-Umwandlung
Information:
Übertragung und
-umwandlung
Naturerscheinungen
unbelebte Natur
(z. B. Gewitter)
belebte Natur
(z. B. Reizleitung)
Abbildung 1: Eine mögliche Struktur für Gebiete der Elektrizität
Die Einteilung soll es erleichtern, innerhalb des komplexen Gebietes der Elektrik pädagogische Prioritäten zu setzen, die eine Grundorientierung für didaktische Entscheidungen bilden. Daher verzichtet die Grafik auf die Darstellung der sicherlich
vorhandenen Verflochtenheit der Bereiche. Z. B. dient die Leistungsendstufe eines
NF-Verstärkers sowohl der Energie – als auch der Informationsübertragung; oder die
elektrostatischen Erscheinungen in der Natur (z. B. Gewitter) könnten auch bei der
Begriffsbildung im Rahmen der Erklärung von Energieübertragungssystemen eine
Rolle spielen usw. Die unterrichtliche Behandlung der einzelnen Bereiche erfordert
jedoch jeweils andere Akzente bezüglich der ausgewählten Inhalte, Methoden und
experimentellen Präsentation. Man wird beispielweise für die Darstellung physikalischer Prinzipien der Informationsübertragung andere Inhalte auswählen und Wege beschreiten, als wenn es um die Energieübertragung geht. Auch die Begriffsinhalte sind
15
in beiden Kontexten verschieden, z. B.: Die elektrische Spannung wird in Anlagen zur
Informationsübertragung und -verarbeitung sinnvollerweise als Signalpegel interpretiert („high“, „low“). In Anlagen zur Energieübertragung ist die Spannung einer der
Parameter, der den Energieumsatz bestimmt. Derartige Unterschiede hinsichtlich der
funktionalen Bedeutung, spiegeln sich notwendigerweise in der Sprache wider, in der
über die Größen geredet wird. Der semantische Gehalt einer physikalischen Größe
liegt also durch ihre formale Definition nicht fest, sondern bildet sich im Kontext ihres Verwendungszusammenhangs.
Kriterien für eine Prioritätensetzung bezüglich der Gebiete in Abbildung 1 können
sowohl innerfachlich (physikalisch) als auch außerfachlich – z. B. pädagogisch – sein.
Innerfachlich scheint ein Konsens darüber zu bestehen, daß die Systeme zur Informationsübertragung nach den Energieübertragungsanlagen behandelt werden. Jedenfalls
gibt es z. Zt. keinen Lehrplan, der die Elektronik (Informationsübertragung und umwandlung bilden den überwiegenden Zweck der Elektronik) vor den Stromkreisen
mit Lampen, Drähten und Motoren behandelt sehen will. Ein Grund liegt in der größeren Komplexität elektronischer Schaltungen gegenüber einfachen Stromkreisen zur
Energieübertragung.
Ebenfalls herrscht Einigkeit darüber, im einführenden Unterricht technischen
Systemen gegenüber den Naturerscheinungen Priorität einzuräumen. Innerfachlich
läßt sich das z. B. durch zwei Argumente rechtfertigen: Elektrische Vorgänge in der
Natur sind an Leitungsmechanismen gekoppelt, die komplizierter sind (z. B. Ionenleitung, komplexe Genese atmosphärischer E-Felder) als die in einfachen technischen
Stromkreisen. Sie sind auch experimentell schwer zugänglich. Zum anderen können
wichtige Vorgänge in der Natur partiell innerhalb der Behandlung technischer Systeme besprochen werden, nämlich insoweit ein Transfer der Strukturen einfacher technischer Systeme auf die komplexeren Zusammenhänge in der Natur möglich ist.
Pädagogische Argumente für eine vorrangige Behandlung technischer Systeme
liegen in deren Dominanz und Allgegenwart, in der mit diesen Anlagen verbundenen
gesellschaftlichen Problematik (Partizipation) und in der Betroffenheit und Abhängigkeit des Einzelnen von dieser kulturprägenden menschlichen Technik.
Die Energieversorgung dürfte noch über Generationen hinweg ein gesellschaftspolitisches Problem darstellen, dessen mögliche Bewältigung in einer Demokratie eng mit
der Sachkompetenz der Bevölkerung und dem Verhalten des Einzelnen verknüpft
bleiben wird. Die Sinnhaftigkeit dieser Thematik im Elektrikunterricht kann – für die
Schülerinnen und Schüler nachvollziehbar – in mannigfacher Weise plausibel gemacht werden. Zu wissen, wie die Energieübertragung durch elektrische Anlagen
funktioniert, stellt eine der Voraussetzungen dar, ohne die ein problembewußtes Verhalten und eine kompetente Partizipation an der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um die Entwicklung des Energiesektors kaum möglich ist.4
Deshalb ist der Unterrichtsvorschlag, der hier unterbreitet wird, so angelegt, daß
die Aufklärung der Mechanismen elektrischer Anlagen zur Energieübertragung eine
4
16
Siehe dazu auch die Ausführungen auf S. 147 und im Abschnitt 3.5 .
pädagogische Leitidee bildet, die bestimmend ist für die Auswahl der Inhalte und die
Gestaltung des Unterrichts bis hin zu den Teilzielen einzelner Unterrichtsstunden.5
Die deduzierbare Begründung dieser Zielsetzung des einführenden Elektrikunterrichts
liefe ins Leere, wenn der Nachweis nicht gelänge, daß ein so ausgestalteter Unterricht
nicht zugleich motivierend und interessefördernd im Rahmen realistisch eingeschätzter Unterrichtsbedingungen gestaltet werden kann. Dieser Forderung nach der empirischen Realisierbarkeit sollen die Unterrichtsvorschläge in Kapitel 3 Rechnung tragen.
5
Die Leitidee „Energieübertragung“ schließt nicht aus, daß im Rahmen dieser Akzentuierung andere Gegenstandsfelder partiell behandelt werden. Insbesondere wird die Elektrostatik keineswegs ausgeklammert, sondern unter dem Aspekt der übergeordneten Zielsetzung integriert (→
Kap. 3.4.2). Aspekte der Informationsübertragung bieten sich beim Elektromagnetismus (Relais,
Telefon) zur Behandlung an. Im wesentlichen wird die Informationsübertragung aber eine Leitidee der Elektronik darstellen. Sie erfordert erweiterte Begriffsinhalte – z. B. beim Spannungsbegriff – (→ dazu Kap. 3.4.1, Abschnitt C).
17
1.3
GRUNDSÄTZLICHE ANMERKUNGEN ZUR
ROLLE DER SPRACHE UND DER ERFAHRUNG
BEIM PHYSIKLERNEN
1.3.1 Zur Semantik physikalischer Größen und Gleichungen
Der Zusammenhang zwischen physikalischen Größen wird durch mathematische
Gleichungen beschrieben. Als rein formale Terme sind diese wenig dazu geeignet, bestimmte Realitätsbereiche verstehbar zu machen. Hinter den Zeichen stehen ja die
kumulierten Erfahrungen der Menschheit, soweit sie sich in der Wissenschafts- und
Technikgeschichte manifestieren. Der formale Kalkül ist in der Regel das Ergebnis
eines Jahrhunderte dauernden Prozesses. Die heutigen Definitionen physikalischer
Größen stehen am Ende einer lang währenden Ausprägung von Vorstellungen, die –
meist über vielfache Irr- und Umwege – aus den Erfahrungen der Wissenschaft erwachsen sind. Die Definitionen und Meßvorschriften machen die Physiker unabhängig vom „Kampf um’s rechte Wort“, der die Geisteswissenschaften so nachdrücklich
prägt. Wenn sich zwei Physiker über Größen wie Spannung oder Masse unterhalten,
so ist es weitgehend gleichgültig, ob die Semantik, die sie den Begriffen unterlegen,
bei beiden identisch oder abweichend ist; Hauptsache man ist sich einig, wie man die
Größen mißt, und wie sie in den formalen Beziehungen (in den Formeln) zu verwenden sind.
Die historisch gewachsenen Vorstellungen sind im Formalismus nicht mehr
zwangsläufig zu erkennen. Oft überlebt die formale Struktur den Nährboden, dem sie
entwachsen ist, aber sie wäre ohne diesen nicht entstanden. Dies gilt beispielsweise
für die „Maxwellschen Gleichungen“, die bis heute die formale Grundlage der Elektrizitätslehre bilden, obwohl die mechanistischen Äthervorstellungen Maxwells aus
dem physikalischen Weltbild getilgt wurden. Andererseits haftet den Fachbegriffen
durch ihre Entwicklung aus der Alltagssprache die historische Vorstellung oft noch
als Rudiment an. Man denke an Begriffe wie Wärme, Kraft, Arbeit u. v. a., aber auch
Spannung und Stromstärke, bei denen es sehr schwer fällt, eine Diskrepanz zwischen
dem semantischen und dem definitorischen Bedeutungsgehalt zu vermeiden.
Ein Lernender kann die jeweiligen Menschheitserfahrungen nicht replizieren, sondern
er ist auf ein verkürztes Verfahren der Kulturaneignung angewiesen. Das wichtigste
Mittel des Menschen Kultur weiterzugeben, ist seine Sprache.
Die einzelnen Zeichen einer physikalischen Formel müssen mit Bedeutungen
versehen werden, aus denen sich für den Lernenden eine sinnvolle neue Organisation
seines Denkens ergibt. Diese Bedeutung entsteht jeweils zu einem wesentlichen Teil
aus der sprachlichen Darstellung der Zusammenhänge. Zwar steht bei der Gestaltung
des Physikunterrichts das didaktische Experiment im Mittelpunkt, aber ohne sprachliche Be- und Verarbeitung könnte keine Gesetzmäßigkeit dargestellt werden.
18
Jede Verständigung setzt einen graduellen Konsens bezüglich der Semantik einer
gemeinsamen Sprache voraus. Im Unterricht ist dieser Konsens zunächst nur auf der
Ebene der Alltags – oder Umgangssprache gegeben. Daher gilt hier die Überlegung
C. F. v. WEIZSÄCKERS bezüglich des Weges, auf dem neues Wissen erschlossen werden muß, in besonderem Maße:
„Es gibt einen immer schon erschlossenen Bereich, in dem man sich gut genug
verständigen kann, um – auf das dort herrschende Verständnis aufbauend – neue
Bereiche zu erschließen. Der schon erschlossene Bereich, in dem wir uns verständigen können, ist uns erschlossen nicht nur, aber weitgehend durch die Sprache, die wir immer schon sprechen. Daher ist die 'natürliche' Sprache, d. h., die
Sprache, die wir jeweils schon haben und die die Logiker heute manchmal Umgangssprache nennen, die Voraussetzung der weiteren Erkenntnis und damit auch
der weiteren Verschärfung der Begriffe. Verschärfung der Begriffe heißt aber:
Korrektur der Umgangssprache. Und so ist diese Sprache ein Mittel, das uns immer von neuem Wirklichkeit erschließt und uns an Hand der erkannten Wirklichkeit gestattet, jenes Mittel selbst zu korrigieren. Dieser, wenn man so will, zirkelhafte Vorgang scheint mir derjenige zu sein, der, von der sprachlichen Seite her
gesehen, in einer Wissenschaft wie der Physik unablässig geschieht.“
(v. WEIZSÄCKER [47], S. 105)
Formale und abstrakte Sachverhalte der Physik erzeugen für Nicht-Fachleute (Schülerinnen und Schüler) ähnliche Probleme, wie z. B. ein Kunstwerk. Steht ein Laie vor
einem abstrakten Gemälde, so ist es leicht möglich, daß er nichts von dem versteht,
was der Künstler ausdrücken wollte. Ein Fachmann wird ihm einiges davon nahebringen können, indem er ihm das Bild mit Hilfe der Alltagssprache erläutert. Eine vollständige Versprachlichung des Sinngehaltes eines Gemäldes ist aber nicht möglich.
Sonst wäre das Bild überflüssig, weil durch Sprache ersetzbar.
Analoges findet sich in der Gegenüberstellung des Laien mit einer mathematischen Beziehung aus der Physik. Jede sprachliche Interpretation eines formal dargestellten physikalischen Beziehungsgefüges bewirkt die Veranschaulichung bestimmter Aspekte – und damit eine Zunahme des subjektiven Sinngehaltes – unter Inkaufnahme eines Verlustes an Allgemeingültigkeit. Eine sachgerechte sprachliche Interpretation eines formalen Zusammenhanges tritt aber zu diesem nicht in Widerspruch.
Sie stellt vielmehr eine Teilklasse aller möglichen gültigen Aussagen dar, die sich am
jeweiligen Erkenntnisinteresse orientiert. Es ist jedoch stets zu bedenken: Eine physikalische Gleichung ist ebensowenig vollständig durch Sprache zu ersetzen, wie ein
Kunstwerk. Das gilt im Prinzip sowohl für die Fachsprache in verbaler Form als auch
für die Alltagssprache, wenngleich graduelle Unterschiede erheblich sein mögen.
Diese Ausführungen begründen die These, daß semantische Unschärfen – wie sie z. B.
den Begriffen der Alltagssprache zueigen sind – auf dem Weg zu einer möglichst
sinnstiftenden physikalischen Kompetenz nichts Schädliches sind, sondern etwas
Produktives, dem unsere didaktische Aufmerksamkeit gelten muß.
Die Versprachlichung physikalischer Strukturen ist also für den Verstehensprozeß eine unabdingbare Voraussetzung, denn erst dadurch gewinnen sie für den Ler19
nenden Sinn. Aus einer Vielzahl von Möglichkeiten, formale Zusammenhänge in
Sprache zu fassen, wird man diejenige auswählen, die bezüglich der verwendeten
Begriffe und Sätze die größte Gewähr dafür bietet, daß alle an einem Verständigungsprozeß Beteiligten weitmöglichst gleichartige gedankliche Verknüpfungen vornehmen. Eine völlig identische Einordnung einer Information in das Denken verschiedener Menschen kann es jedoch niemals geben, weil es keine identischen kognitiven Strukturen bei zwei Individuen gibt.6
Die Fachsprache der Physiker codiert physikalische Erfahrung, die Physiker beim
Treiben von Physik machen. Man denke z. B. an die Größenbezeichnungen als wesentliches Element der Fachsprache. Daß diese Begriffe häufig auch in der Umgangssprache vorkommen, dort aber Alltagserfahrung und nicht physikalische Erfahrung
umfassen, stiftet oft Verwirrung. Für Lernende ist es meist kaum möglich, den Bedeutungswechsel zu erkennen, weil dieser zwischen den Sprachebenen der Alltags – und
Fachsprache oft unbemerkt und mit fließendem Übergang erfolgt. Ein Beispiel soll
dies illustrieren:
Im Elektrikunterricht meint der Physiklehrer mit dem Begriff „Strom“ praktisch
immer die zirkulare Elektrizitätsströmung in einem Stromkreis. Außerhalb des Physikunterrichts wird er den Strombegriff ebenso verwenden, wie es im Alltag üblich
ist, nämlich zur Bezeichnung elektrischer Energie oder elektrischer Energieumsätze,
d. h., in diesem Sinne wird er seine „Stromrechnung“ bezahlen, seine Familie zum
„Stromsparen“ animieren, politisch Stellung zu Problemen der „Stromerzeugung“ beziehen usw. Möglicherweise muß der Physiklehrer nichteinmal den Physikraum verlassen, um die Sprachebene zu wechseln: schon beim Übergang zu einem anderen
Teilgebiet der Physik nehmen Begriffe gelegentlich eine andere Bedeutung an, wie in
dem Bereich, für den sie definiert wurden.
Die fachsprachliche Darstellung physikalischer Zusammenhänge dient dazu, den Gültigkeitsbereich von Aussagen innerhalb des Gegenstandsfeldes der Physik möglichst
scharf zu konturieren. Das funktioniert dort problemlos, wo alle Kommunikationspartner über einen hinreichend identischen physikalischen Erfahrungshintergrund verfügen, also dann, wenn sich Physiker untereinander verständigen. Für die Schülerinnen und Schüler (oder Laien) kann die Fachsprache ihre eigentliche Funktion nicht
entfalten. Denn sie verfügen i. d. R. nur über eine fragmentarische physikalische Erfahrung. Die Begriffe beziehen sich für sie in ihrem physikalischen Sinn nur auf jenen
engen Ausschnitt des physikalischen Anwendungsfeldes, der im Unterricht konkretisiert werden kann.
An die Stelle physikalischer Erfahrung treten für den Laien lebensweltliche Zusammenhänge, in denen die Inhalte eine Rolle spielen. Fachsprachliche Begriffe werden dann leicht und unkontrolliert in alltagssprachlicher Bedeutung verwendet: die
Begriffe verlieren ihre scharfe Kontur, Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler reden u. U. verschiedene Sprachen trotz gleicher Wörter.
6
20
Diese Problematik ist in MUCKENFUß [29] und [26] (Kap. 4.3) weiter ausgeführt.
Die Darstellung von Stromkreisen als Systeme zur Energieübertragung begrenzt die
Bedeutung der elektrischen Begriffe zunächst auf dieses Erfahrungsfeld. Im Unterrichtskonzept wird als didaktische Lösung des Kommunikationsproblems angestrebt,
die physikalischen Zusammenhänge für die Energieübertragung zunächst in einer
möglichst alltagsnahen Sprache darzustellen. Die Fachbegriffe werden dabei mit einer
vorläufigen Semantik in die Alltagssprache eingebunden. Erst nach und nach werden
die alltagssprachlichen Ausdrucksformen enger mit der fachlich formalen Struktur
verknüpft. Dadurch wird die Bedeutung der Begriffe präziser in dem Sinne, daß sie
enger mit den formalen Definitionen verknüpft werden. Dadurch lösen sie sich aus
dem „jetzt-und-hier“ aktuell erlebter Erfahrungszusammenhänge. Der Gewinn liegt in
der größeren Allgemeingültigkeit, verknüpft mit entsprechend größerer Flexibilität
bei der sachgerechten Anwendung in beliebig vielen Situationen. Durch die höhere
Abstraktion zugleich entfernt sich die Sprache nicht nur zunehmend von unmittelbar
gegebenen Erfahrungszusammenhängen, sondern auch von der alltagssprachlichen
Semantik.
So wie dies in dem obigen Zitat v. WEIZSÄCKERs beschrieben ist, gewinnt die
Fachsprache auf quasi hermeneutischem und nicht auf definitorischem Wege sukzessiv eine präzisere Bedeutung.
Die fachwissenschaftlichen Ausdrucksformen (z. B. Gesetze, Bezeichnungen, Definitionen, Gleichungen) erlangen für den Lernenden angesichts der notwendig eingegrenzten Zielsetzung des Unterrichts allerdings nicht das abstrakte und umfassende
Bedeutungpotential, die sie für Physiker haben. Dazu wäre ja der Überblick über das
gesamte relevante physikalische Erfahrungsfeld erforderlich. Die Bereitstellung der
Fachsprache schafft aber eine Plattform für spätere Bedeutungserweiterungen. Bezüglich der Fachbegriffe muß daher beim Lernenden über die aktuelle Sinngebung hinaus
die Bereitschaft aufgebaut werden, weitere Bedeutungsaspekte, Verallgemeinerungen
und in deren Folge eine zunehmende Abstraktion zu akzeptieren. In den Abschnitten
2.3 und 3.4.6 ist dieses Vorgehen für den Spannungsbegriff genauer beschrieben.
Die Benutzung der Fachsprache stellt demnach i. allg. keineswegs sicher, daß die
Sachstrukturen im obigen Sinne „präzise“ aber abstrakt und allgemeingültig erfaßt
sind. Für den Lernenden ändert die Benutzung der Fachsprache nichts daran, daß das
Denken einerseits an den begrenzten physikalischen Erfahrungszusammenhang gekoppelt bleibt, der im Unterricht erschlossen wurde und andererseits von den alltagssprachlichen Bedeutungen beeinflußt wird, die den Fachbegriffen zurecht oder zuunrecht anhaften.
Physiker ziehen sich für die Verständigung untereinander gern auf die normierte
Fachsprache zurück. Sie betreten dabei gewissermaßen festen und vertrauten Boden.
Für den Laien gleicht die Benutzung der Fachsprache eher einem Rückzug in den
Schutz der Dunkelheit. Während sich die Physik innerwissenschaftlich von der alltagssprachlichen Semantik soweit wie möglich unabhängig macht, sind Lernende in
Alltagssitiuationen geradezu darauf angewiesen, die abstrakte Fachsprache mit Bedeutungen aus der Alltagswelt zu füllen. Der Transfer des Fachwissens in die Lebenssituation erfordert demgemäß ein Verlassen des Schutzes innerfachlicher Bedeutungs-
21
festlegungen, also die bewußt gestaltete Übertragung der Fachsprache auf alltägliche
Sinnzusammenhänge. Die pädagogische Floskel „sag’s mit deinen eigenen Worten“
soll diesen Prozess anregen. Das Insistieren auf fachsprachlich „korrekter“ Ausdrucksweise kann durchaus das Gegenteil bewirken.
In diesem Licht geht es im Unterricht zur Elektrik darum, Aspekte aus dem Ganzen
der Theorie so zu präsentieren und in Sprache zu fassen, daß für Laien subjektiv ein
Sinngefüge entstehen kann. Seine Alltagsrelevanz erhält das entsprechend aspektierte
Fachwissen unter der Voraussetzung, daß es Lebenserfahrung des Lernenden strukturieren kann. Dazu bedarf es auch einer diesem Erfahrungsfeld angemessenen Sprache.
1.3.2 Gleich oder Maß für? – Probleme mit dem
Gleichheitszeichen
Das Bemühen der Naturwissenschaften um exakte Begriffe hat die Definitionen physikalischer Größen hervorgebracht und damit die Gefahr erzeugt, daß der qualitative
Erkenntnis – und Verstehensprozeß, durch welche diese Definitionen erst möglich
wurden, hinter den Setzungen verschwindet. NEWTON unterschied z. B. noch sehr
wohl (wenn auch nicht immer expressis verbis) zwischen „Definitionen“, die das
Begriffsverständnis ausdrücken, und den „Gesetzen“, welche die mathematischen Beziehungen zwischen Größen festlegen. In den „Definitionen“ spricht NEWTON z. B.
von einem „Maß“ (mensura) für die Bewegungsgröße und nicht von Gleichheit der
Bewegungsgröße mit dem Produkt aus Masse und Geschwindigkeit.7 Dieser Unterscheidung von beschreibender Bedeutungsgebung und setzender Festlegung – also
der mathematisch formulierten Definition – sollte didaktisch stets eine große Aufmerksamkeit gelten. Sie beinhaltet nichts weniger als das Verstehen eines Gesetzes.
Möglicherweise wird Verstehen in vielen Fällen durch das Gleichheitszeichen in
den Definitionsgleichungen blockiert. Man denke z. B. an die Formel, mit der in der
Sekundarstufe I üblicherweise die Größe Geschwindigkeit definiert wird: v = s/t. Wird
dieser Zusammenhang so gelesen und versprachlicht, als seien Quotient und Größe
bedeutungsmäßig identisch – „Geschwindigkeit ist dasselbe wie der Quotient Weg
durch Zeit“ – kann eine gewisse Orientierungslosigkeit beim Lernenden nicht ausbleiben. Sie drückt sich beispielsweise in der Unsicherheit aus, welches Zeichen in
der Formel an welcher Stelle zu stehen hat. Diese Unsicherheit wäre kaum zu erklären, wenn der subjektive Sinngehalt des Geschwindigkeitsbegriffs in der Formel begründet läge. Aber lange bevor Schülerinnen und Schüler den Quotienten kennen, haben sie bereits ein qualitatives Verständnis von Geschwindigkeit. Es ist an Erlebnisse
und Erfahrungen (vom „Schneckentempo“ bis zum „Affenzahn“) gekoppelt. Der Zusammenhang dieses durchaus adäquaten Vorverständnisses mit dem Quotienten muß
durchsichtig gemacht werden, wenn die physikalische Größe in den Erfahrungsbereich transferierbar werden soll. Dies ist dann möglich, wenn sich die Zweckmäßigkeit
7
22
Siehe dazu die Hinweise von JUNG [20].
der Definition darin zeigt, daß dieser Quotient ein vernünftiges „Maß für“ das ist, was
man als Geschwindigkeit wahrnimmt und in praktischen Fällen bezeichnet.
Was hier für den Geschwindigkeitsbegriff dargestellt wurde, gilt für die meisten
Definitionsgleichungen. Was man z. B. unter Druck verstehen soll, ist im erfahrungsmäßig erworbenen Vorverständnis durchaus enthalten. „Unter Druck stehen“ bezeichnet alltagssprachlich jenen Zustand im Sinne einer Ausweich – oder Ausbreitungstendenz, eines „Eingesperrtseins“ o. ä., für dessen Beschreibung in flüssigen und
gasförmigen Systemen der Quotient F/A ein Maß darstellt. Die verbreitete Verwechslung von Druck und Kraft ist wohl auch eine Folge der unpassenden Interpretation
des Gleichheitszeichens in p = F/A, als sei der Druck semantisch identisch mit einer
flächenspezifischen Kraft. Ebensowenig sollte man Geschwindigkeit als „zeitspezifischen Weg“ zu vermitteln versuchen.
Die formelmäßige Darstellung bleibt von der Problematik unberührt, betroffen ist
lediglich die Versprachlichung des Gleichheitszeichens als „Maß für“ anstelle von
„ist das gleiche wie“. Die Definition schafft nicht den Begriff. In ihr „kristallisiert“ im
günstigen Fall nur das vorab vorhandene Verständnis zu einem zweckmäßigen quantitativen Maß für den verstandenen physikalischen Zusammenhang.
Eine Unterscheidung zwischen definierter Größe und ihrem semantischen Gehalt wird
gelegentlich auch dadurch gesucht, daß man der Größe eine andere Bezeichnung zuweist wie dem Begriff, der das Verständnis bereitstellt. Das geschieht beispielsweise,
wenn man die Feldstärke E vom Feld unterscheidet, oder die Stromstärke I vom
Strom. Daß man sich gerade im letzteren Beispiel dadurch massive Schwierigkeiten
bezüglich der semantischen Unterscheidung von Strom und Spannung einhandelt,
statt Probleme zu lösen, wird im Abschnitt 2.1.2 weiter erläutert. Eine derartige Unterscheidung von Größe und Phänomen wird allerdings nur bei sehr wenigen Größen
auf fachsprachlicher Ebene vorgenommen. Masse, Kraft, Spannung, Temperatur sind
nur einige Beispiele für den Verzicht auf diese Differenzierung.
„Maß für ... “ als zwischen Vorverständnis und Definitionsgleichung vermittelnde
Formulierung muß aber nicht unbedingt das Gleichheitszeichen repräsentieren. In vielen Fällen wird dadurch nur eine zweckmäßige Proportionalität erfaßt. Der Proportionalitätsfaktor wird in der Regel nur dann 1, wenn das Definiendum in seiner allgemeinen Form8 keine Beziehungen oder Bedingungen enthält, die den Vorstellungsinhalt des Definiens überschreitet.9 Das soll ein triviales Beispiel verdeutlichen: Im
Sport ist beim 100-Meter-Lauf der Quotient 1/t ein Maß für die Geschwindigkeit der
Läufer. Würde man den Geschwindigkeitsbegriff nur im Zusammenhang mit 100Meter-Läufen benötigen, wäre es überflüssig, vom Weg zu reden. Man könnte direkt
8
9
Vergleiche Abschnitt 1.3.1.
Bei mehrfach abgeleiteten Größen könnte man es für nötig halten, das Definiens bis zu den
Grundgrößen zurückzuverfolgen, um seinen semantischen Gehalt zu prüfen. Bei den Basiseinheiten endet dieses Verfahren allerdings in einer Sackgasse, weil die heutige Definition der Basiseinheiten nicht am Vorverständnis, sondern an systematischen Kriterien orientiert ist. Aus diesem
Grunde halte ich hermeneutische Verfahren zur Bedeutungserschließung physikalischer Begriffe
für unentbehrlich, auch wenn sie der Fachsystematik fremd sind.
23
definieren: v = 1/t. In diesem Fall wirkt das zwar etwas unsinnig, weil jedermann sofort weiß, daß man Geschwindigkeiten für beliebige Wegstrecken angeben können
sollte. Andererseits wäre es genauso überflüssig, würde man – um den Sieger eines
100-Meter-Laufs zu ermitteln – stets die 100 m-Strecke durch die gestoppte Zeit teilen. Schon allein die „Kürze der Zeit“ (oder der Quotient 1/t) ist bei der eingeschränkten Bedingung ein Maß für die Geschwindigkeit.
Das Beispiel soll zeigen, daß man den Bedeutungsinhalt einer physikalischen
Größe dadurch ausdrücken kann, daß man Begriffe mit bekannter Semantik so verknüpft, daß sie ein Maß für die neue Größe darstellen. Dies erleichtert vor allem dann
das Verständnis, wenn der semantische Gehalt der Größe nur in Bezug auf einen eingeschränkten Realitätsbereich erfaßt zu werden braucht.
1.3.3 Zur Rolle des Erfahrens und Erlebens
Wenn Lernen im Bereich der Elektrik bisher weder zum gewünschten kognitiven Ergebnis führt, noch positive Einstellungen (Motivation, Interesse) für die weitere Auseinandersetzung mit den Inhalten aufbaut, so sind die pädagogischen und psychologischen Bedingungen des Unterrichts grundsätzlich in Frage zu stellen. Offenbar reicht
die Art der sprachlichen und experimentellen Präsentation und Bearbeitung der Elektrik weder aus, erfahrungsmäßig erworbene Denkmuster („Alltagsvorstellungen“) zu
substituieren, noch erzeugt sie bei der Mehrheit der Schülerinnen und Schüler das Interesse an der lebenspraktischen Bedeutsamkeit an der Elektrik.
Erfahrungswissen ist in so komplexer Form im Gedächtnis verankert (emotional,
sprachlich, ikonisch usw. in verschiedensten assoziativen Kontexten aus der Lebenspraxis), daß es verständlicherweise nicht dadurch korrigiert, umorganisiert oder gar
eliminiert werden kann, daß man Mitteilungen dagegenhält.
Der Erwerb neuer Konzepte kann nur gelingen, wenn diese die gleiche Eindringlichkeit und vielschichtige Verankerung erfahren, wie das dagegenstehende (oder
auch stützende) Erfahrungswissen. Letzteres muß – wenn es umorganisiert werden
soll – außerdem explizit aufgegriffen und im Unterricht bearbeitet (nicht nur für
falsch erklärt) werden.
Abfolge und Aufbereitung der Unterrichtsinhalte in Kapitel 3 folgen daher in erster Linie dem Erfordernis, die Präsentation der Grundstrukturen der Elektrik möglichst eng mit dem Sprachgebrauch und den alltäglichen Erfahrungen mit Elektrizität
zu verknüpfen. Dies geht zu Lasten der traditionellen fachsystematischen Abfolge der
Unterrichtsinhalte.
Erfahren und Erleben sind aber nicht nur unter kognitionspsychologischen Gesichtspunkten positiv wirkende Faktoren für das Lernen, sondern dienen zugleich dem Aufbau von Motivation und Interesse. Gelingt es im Unterricht nicht, Interesse an den Inhalten zu erhalten oder aufzubauen, so ist er auch dann erfolglos, wenn er Faktenwissen erzeugt. Dieses ist nämlich nicht lange aktiv, d. h., es gerät rasch in Vergessenheit, wenn es außerunterrichtlich nicht sinnvoll angewendet wird. Wissen und Fähig-
24
keiten zu entfalten, anzuwenden, auf Neues zu übertragen usw. setzt Aktivität (Motivation) und eine positive Person–Gegenstandsbeziehung (Interesse) voraus.
Stromkreise als Anlagen zur Energieübertragung sind vor diesem Hintergrund für
den Lernenden verstehbar, wenn die Energieübertragung erfahren und erlebt wird.
Dem stehen mancherlei Hinternisse entgegen, vor allem der Umstand, daß elektrische
Vorgänge nicht unmittelbar sinnlich zu erfassen sind. Um so mehr sollte die mediale
Präsentation der Sachverhalte die Erfahrbarkeit oder Be-greifbarkeit unterstützen.
Dies ist zum Beispiel für die energetischen Zusammenhänge dann möglich, wenn die
Energieumsätze durch physiologische Anstrengung erzeugt werden. Dazu haben wir
handgetriebene Generatoren entwickelt, mit deren Hilfe die Schülerinnen und Schüler selbst die für Unterrichtsversuche erforderliche elektrische Energie erzeugen. Die
Energieumsätze in Elektrogeräten können anschaulich verglichen werden mit dem
mechanischen bzw. physiologisch erlebten Energieaufwand. Das gilt insbesondere
auch für den Vergleich von Elektromotoren mit entsprechenden nichtelektrischen Maschinen. Aus diem Grund spielt die Energieumwandllung in Motoren im vorgeschlagenen Unterrichtskonzept schon von Anfang an eine größere Rolle als bisher üblich.
Die handgetriebenen Generatoren können für entsprechende Experimente problemlos
zu Motoren umgerüstet werden. Eine differenzierte Darstellung dieser Zusammenhänge erfolgt bei der Beschreibung des des Unterrichtsganges in Kapitel 3.
25
2
Elektrische Anlagen zur
Energieübertragung – Grundlagen
In diesem Kapitel werden die fachlichen und fachdidaktischen Grundlagen sowie die
wichtigsten methodischen Folgerungen für einen Unterrichtsgang ausgeführt, der den
Aspekt der Energieübertragung durch Stromkreise als Verständnisziel in den Mittelpunkt rückt. Die folgenden Abschnitte sind sämtlich von der Voraussetzung geprägt,
daß der Weg der Begriffsbildung im Unterricht nicht bei einer Definition beginnt.
Wie dies im Abschnitt 1.3 dargelegt wurde, geht einer Definition immer ein in der Erfahrung und Anschauung gründendes Verständnis voraus. Auch aus psychologischer
Sicht wird es kaum Zweifel daran geben können, daß abstraktes Denken erst durch
Generalisierungen aus dem anschaulichen Denken erwächst.
Die „Korrespondenz zwischen semantischem Wissen und Regelwissen ist bei 13
bis 15-jährigen Schülern nur unzureichend ausgebildet: Das semantische Wissen
der Schüler über elektrische Phänomene und Sachverhalte weist kaum Beziehungen zum entsprechenden im Unterricht erworbenen Formelwissen
auf.“ (MAICHLE [23], S. 207). Das in fachlicher Hinsicht inkonsistente semantische Wissen bleibt im Langzeitgedächtnis aktiv. Unterrichtlich erworbenes Regelwissen wird wieder vergessen.
Diese empirisch abgesicherten Feststellungen bilden den fachdidaktischen Ausgangspunkt für die Erörterungen dieses Kapitels. Sie erfordern eine gezielte Strategie zur
Verknüpfung von Semantik und Regel, Vorstellung und Begriff, Sprachform und
Sachstruktur.
Methodisch ist es daher notwendig, vor jeder Definition physikalischer Begriffe
Vorstellungen aufzubauen, die in der Erfahrung und der Alltagssprache wurzeln, und
die erst nach ihrer Stabilisierung in einer Definitionsgleichung „kristallisieren“ können. Physikunterricht ist allzuoft dadurch geprägt, formale Definitionen in den Vordergrund zu stellen, lange bevor sich konsistente Vorstellungen gebildet haben. Das
hat (scheinbare) Vorteile bezüglich der (vermeintlichen) Anforderungen des Schulsystems, weil rasch mit scheinbar „exakten“ Begriffen und quantitativen Übungen gearbeitet werden kann, die auch bestimmte Lernleistungen vergleichbar machen. Die
„Exaktheit“ erweist sich allerdings meist als inhaltsleer, der quantitative Umgang mit
Größen als verständnislose „Rechnerei“. Die von den Schülerinnen und Schülern den
Begriffen unkontrolliert und oft unwillkürlich zugeordneten Vorstellungsinhalte führen dann zu den beklagten „Mißkonzepten“.
Die Ausführungen dieses Kapitels dienen der Erhellung des Zusammenhangs
zwischen Vorstellungen und Definitionen, oder anders ausgedrückt: Es geht um die
Herstellung von Beziehungen zwischen dem subjektiven Sinngehalt und dem objektiven Bedeutungspotential der Grundbegriffe der Elektrizitätslehre. Damit soll der Begründungszusammenhang für den in Kapitel 3 vorgeschlagenen Unterrichtsgang hergestellt werden.
26
2.1
BEDEUTSAME SPRACHPROBLEME IM UMFELD
DES STROMBEGRIFFS
2.1.1 Elektrizität, Ladung und Ladungsträger –
klar definierte Begriffe?
Gemäß DIN 58 122 sind die fachsprachlichen Begriffe „elektrische Ladung“ und „Elektrizitätsmenge“ synonym. Weitgehend ohne didaktische Diskussion, wurde im Unterricht der Begriff Elektrizität-(smenge) zugunsten des Ladungsbegriffs in den letzten Jahren zurückgedrängt. „Elektrizität“ tritt überwiegend in Wortzusammensetzungen wie „Elektrizitätslehre“, „Elektrizitätswerk“ usw. auf. Als eigenständiger Begriff
wird „Elektrizität“ i. allg. weder zur Beschreibung von Phänomenen geschweige denn
als Größenbezeichnung verwendet.
Eine Ausnahme bildete z. B. der Lehrplan für die Realschulen in BadenWürttemberg (gültig bis 1994), laut dem „Strom als Kreislauf der Elektrizität“ gedeutet werden soll. Etwas mehr im Trend der Zeit lernten die Gymnasiasten desselben
Bundeslandes „Strom als bewegte Ladung“ kennen.10 Sind das wirklich semantisch
identische Formulierungen?
Für die Theoriebildung war die Abkunft des Begriffs Elektrizität vom griechischen
elektron (Bezeichnung für „das Strahlende“ und für Bernstein) von untergeordneter
Bedeutung. Im Altertum fußte diese Bezeichnung in der Erfahrung, daß sich elektrostatische Erscheinungen an Bernstein und anderen „glänzenden“ Mineralien besonders leicht beobachten lassen. Aber etwa seit Beginn der neuzeitlichen Wissenschaft
wird der Begriff Elektrizität in jenem Sinne verwendet, wie dies der zitierte Lehrplan
für Realschulen in Übereinstimmung mit den traditionsreichen Hochschullehrbüchern
tut. Diese Begriffsverwendung geht auf den Arzt Dr. William GILBERT (1544–1603)
zurück. Er wird auch als „Vater der Elektrizität“ bezeichnet, weil er den Kern formuliert hat, um den herum sich in den folgenden Jahrhunderten die Theorie der Elektrizitätslehre entwickelt hat. Er bezeichnete Elektrizität als materielles „Fluidum“11, das
durch Reiben bei bestimmten Körpern zum Vorschein gebracht werden kann (HOPPE
[19], S. 344; FRAUNBERGER [13], S. 15 ff).
Bei Benjamin FRANKLIN (1706–1790) wurde diese Theorie nach HOPPE etwa so
formuliert: „Durch die ganze körperliche Natur ist eine feine Materie verbreitet, deren
Teile sich abstoßen, aber die Teile der Materie anziehen. Hat ein Körper soviel von
dieser Elektrizität angezogen, als er in sich, ohne Anhäufung auf der Oberfläche, enthalten kann, so ist er neutral, hat er mehr, so ist er plus, weniger, so minus elektrisch“
(HOPPE [19], S. 354).
10
11
Zum Schuljahr 94/95 trat ein neuer Lehrplan in Kraft. In diesem wurde der Begriff Elektrizität
durch Ladung substituiert. Eine Begründung oder gar eine didaktische Diskussion hierzu wurde
nicht öffentlich bekannt. Die gängigsten Lehrwerke haben allerdings die Terminologie des vorausgegangen Lehrplans beibehalten – mit gutem Grund!
Zur Verwendung des Begriffes „Fluid“ siehe auch Kapitel 4, S. 170.
27
Die historische Entwicklung des Ladungsbegriffs braucht hier nicht im Detail
nachgezeichnet zu werden. Einige Hinweise mögen genügen: Der Begriff geht auf
Benjamin FRANKLIN zurück. FRANKLIN bildete seine Vorstellungen über die Elektrizität vermutlich über assoziative Verknüpfungen mit dem Kreislauf des damals neu
eingeführten Papiergeldes, das zwischen verschiedenen Bankkonten verschoben werden konnte. Das Gutschreiben eines Betrages wurde im Englischen mit dem Wort
„charge“, das Belasten eines Kontos mit „discharge“, bezeichnet.12 Bei der Übertragung der Begriffe ins Deutsche ergab sich im Zusammenhang mit Experimenten jedoch eine Veränderung der Semantik. Beim „Laden“ von sogenannten Leydener Flaschen – eine spezielle Kondensatorform – ließ sich Elektrizität substanzähnlich „einfüllen“. Diese „Ladung“ der Flasche war nicht zuletzt deshalb mit der Ladung einer
Kanone vergleichbar, weil die Entladung hier wie da mit einem gewaltigen Knall erfolgte. Entlud man mehrere Leydener Flaschen gleichzeitig, so verstärkte sich die
Wirkung, ähnlich wie wenn man mehrere Kanonen gleichzeitig abfeuerte. Mehrere
Kanonen bilden eine „Batterie“. Die Begriffe erhielten im Deutschen also eine (militärische) Semantik, die keineswegs mit der Idee FRANKLINs vom Verschieben einer
invarianten Elektrizitätsmenge identisch war.
Es gibt eine Reihe von Gründen, die Eliminierung des Begriffs Elektrizität zugunsten
von Ladung mit einiger Skepsis zu betrachten. Der Ladungsbegriff ist semantisch
auch heute keineswegs so deutlich umrissen, wie dies zumindest historisch für „Elektrizität“ gilt. Er wird auch im Unterricht oftmals in unterschiedlicher Bedeutung verwendet.
Vor allem in der Elektrostatik spricht man z. B. von einem „geladenen
(makroskopischen) Körper“. Mit dessen Ladung ist jene Elektrizitätsmenge (im Sinne
GILBERTs und FRANKLINs) gemeint, die der Körper über den Neutralzustand hinaus
trägt. Ladung in diesem Sinne bezeichnet also immer einen Überschuß an positiver
oder negativer Elektrizität. Verzichtet man auf den Begriff Elektrizität, so entstehen
Schwierigkeiten. Denn fragt man danach, woraus denn die Ladung des betreffenden
Körpers besteht – sowie die Ladung eines LkW’s beispielsweise aus Sand bestehen
kann – so ist die Antwort möglicherweise wieder „aus (positiver oder negativer) Ladung“. Damit hat sich aber die Bedeutung des Ladungsbegriffs geändert, denn er bezeichnet jetzt nicht mehr jene bloße Quantität, durch die sich der Körper vom Neutralzustand unterscheidet, sondern die Art der Substanz, mit der dieser Zustand verändert wurde, also eben dies, was historisch gesehen mit positiver oder negativer Elektrizität bezeichnet wird.
Ladung in der Bedeutung von Elektrizität ist auch gemeint, wenn der Strom in
einem metallischen Leiter als „bewegte Ladung“ bezeichnet wird. Denn der Leiter an
sich ist neutral. Elektrostatisch ist er „ungeladen“, trägt also keine Ladung im Sinne
der erstgenannten Bedeutung. Wenn sich trotzdem „Ladung“ bewegt, muß damit etwas anderes gemeint sein – nämlich Elektrizität – als das, was nicht vorhanden ist.
12
28
Siehe dazu z. B. FRAUNBERGER [13], SIBUM [37]. Umfassend und didaktisch höchst aufschlußreich ist die Darstellung von MEYA & SIBUM in [24].
Schließlich begegnet uns der Ladungsbegriff noch in einer dritten Bedeutung, besonders dann, wenn er im Plural verwendet wird. Mit „Ladungen“ sind oft jene mikrophysikalischen Ladungsportionen gemeint, die auf den Quasi-Körperchen einer atomaren Theorie der Elektrizität sitzen, oder die Elektronen, Protonen, Ionen bzw.
Atomrümpfe selbst.
Im unterrichtlichen Sprachgebrauch und in der Schulbuchliteratur taucht der Ladungsbegriff in allen drei genannten Bedeutungen auf, oft zeitgleich, ohne daß der
Bedeutungswechsel thematisiert wird.
Um die damit verbundenen Probleme zu vermeiden, bietet sich die Lösung an,
die Begriffe gemäß ihrer historischen Bedeutungsentwicklung zu verwenden. Dies
bedeutet, daß Materie positive und negative Elektrizität enthält, die – wenn sie sich
bewegt – einen Strom bildet. Neutrale Körper enthalten beide Elektrizitätssorten, sind
aber ungeladen und tragen daher keine Ladung. Ladung bezeichnet die Elektrizitätsmenge, die einen Körper vom Neutralzustand unterscheidet, hat also kein Vorzeichen.
(Dieses kommt nur der Elektrizität zu.)
Dieser Sprachgebrauch wird auch auf die modellhaft gedachten Quasi-Körper der
Atomtheorie übertragen. Ionen tragen z. B. eine Ladung mit dem n-fachen Betrag der
kleinstmöglichen Elektrizitätsportion (Elementarladung). Die gesamte Elektrizitätsmenge, die ein Ion enthält, ist allerdings von seiner Ladung verschieden; denn dazu
zählen auch jene Elektronen und Protonen des Atomrumpfes, die nach außen nicht
durch elektrostatische Kraftwirkungen in Erscheinung treten.
In diesem Punkt unterscheiden sich Elektronen und Protonen von Ionen. Sie tragen immer genausoviel Ladung, wie sie negative bzw. positive Elektrizität enthalten.
Nur bei Elektronen und Protonen wäre also ein synonymer Gebrauch der Begriffe Ladung und Elektrizität zu rechtfertigen.
Die mikrophysikalischen Quasi-Körper selbst werden nicht als Ladungen sondern als „Ladungsträger“ bezeichnet.
Dieser Sprachgebrauch ist konsistent über die ganze Elektrik einhaltbar. Er erfordert
u. U. eine Umgewöhnung für Lehrerinnen und Lehrer, die zugleich eine bewußtere
Wahrnehmung der wechselnden Bedeutungsnuancen von Begriffen bewirken kann.
2.1.2 Zum Begriff elektrischer Strom, oder:
„Was macht der Strom, wenn er nicht fließt?“
Der Begriff „elektrischer Strom“ begegnet den Schülerinnen und Schülern (und Erwachsenen) außerhalb des Unterrichts in Zusammenhängen, die sich keineswegs auf
die zirkulare Elektrizitätsströmung beziehen, die im Physikunterricht üblicherweise
als einzige Bedeutung des Begriffs „elektrischer Strom“ zugelassen wird. Man kann
tagtäglich in Broschüren der Energieversorgungsunternehmen, in Tageszeitungen,
Zeitschriften, Prospekten usw. Aussagen lesen, in denen der Begriff „elektrischer
Strom“ andere Bedeutungen hat. Dazu einige willkürlich herausgegriffene Beispiele:
29
Strom spart Öl
„ ... Rund 40% des Endenergieverbrauchs für
Wärmezwecke werden durch Öl gedeckt, 30%
durch Gas, 17% durch Kohle. Strom steuert
10%, Fernwärme knapp 4% bei.“
45 Millionen Kilowattstunden an einem kalten Wintertag
„Bei Tag und Nacht kaufen wir elektrischen
Strom. Aber Strom ist keine Ware im üblichen
Sinn. Wir können ihn nicht auf Vorrat kaufen
und lagern. Er muß in jeder Sekunde in der
Menge erzeugt und verteilt werden, in der er
verbraucht wird.“
Strom aus Wind
„... Bislang wurden nur kleinere Windenergieanlagen gefördert, die in der Regel bis zu 250 Kilowatt
Strom erzeugen ...“
Gut geplant und schon gespart
Energieeinsparung beginnt bei der richtigen Planung neuer Beleuchtungsanlagen. Um z. B. ein
Wohnzimmer richtig zu beleuchten, beträgt der
Strombedarf für Glühlampen etwa 30 Watt pro
Quadratmeter Wohnfläche. Verwendet man sogenannte „Energiesparlampen“, reduziert sich dieser ... .
Flexibel mit Strom
„Strom steht immer für Sie bereit – sauber,
vielseitig und genau in der Menge, die Sie benötigen ...“
Je kälter, desto mehr Strom
Im Kühlschrank reicht normalerweise eine Temperatur von sieben Grad aus. Wird der Thermostat
auf fünf Grad gestellt, verbraucht Ihr Kühlschrank
gleich 15 Prozent mehr Strom.“
Strom ersetzt den Öltank
„... Mit Zinssubventionen für die Umstellung
auf Stromheizung werben Fachverbände und
Stromerzeuger dafür, Strom in Nachtstromspeicheröfen und Durchlauferhitzern zu verheizen ...“.
„Das neue Umspannwerk sorgt dafür, daß immer
ausreichend Strom in die Steckdosen der Haushalte
und Betriebe ... fließt. Der Leiter der Abteilung
Hochspannung betonte, daß der Strombedarf von
9200 Kilowatt im Jahr 1980 auf derzeit
13500 Kilowatt gestiegen sei.“
(Zitate aus verschiedenen Werbe- und
Zeitungstexten)
Offenbar gibt es neben dem Ladungsträgerstrom (Elektronenstrom, Elektrizitätsstrom) weitere Sachverhalte, die mit dem Begriff „Strom“ in Zusammenhang gebracht
werden. Die gelegentlich angegebenen Maßeinheiten zu der Größe, die hier mit
„Strom“ gemeint ist, verdeutlichen, daß von der Energie (gemessen in „Kilowattstunden“; → Zitate linke Spalte) die Rede ist, oder vom Energieumsatz (Energie durch
Zeit, gemessen in der Einheit „Watt“ oder „Kilowatt“; → Zitate rechte Spalte).
Die vorstellungsbildende Funktion derartiger Sprachregelungen wird oft unterschätzt. Für den Bereich der Elektrik sind die außerunterrichtlichen Einflüsse über die
Sprache besonders gravierend, weil praktisch alle gesellschaftlichen Gruppen mehr
oder weniger intensiv angesprochen werden. Daß wir „Strom verbrauchen“, der in
„Kraftwerken erzeugt“ wird, und daß jährliche Statistiken uns über die „Steigerung
der Stromerzeugung“, über Probleme der „Stromverteilung“ des „Stromsparens“ der
sinnvollen „Stromverwendung“ u. v. a. informieren, daran haben sich auch die Schülerinnen und Schüler schon gewöhnt. Für die Begriffsbildung muß daher als Gegebenheit berücksichtigt werden:
Der Begriff „Strom“ wird außerhalb des Physikunterrichts überwiegend nicht
zur Beschreibung der zirkularen Ladungsträgerbewegung verwendet.
Dem gilt es didaktisch Rechnung zu tragen. Es sind keineswegs nur „Laien“, die an
Energie oder deren Übertragung denken, wenn sie „Strom“ sagen. Aussagen der genannten Art findet man gerade in den Fachpublikationen der Energieversorgungsun30
ternehmen. Auch ein Wissenschaftsjournalist klärt z. B. sein Publikum darüber auf,
daß Strom zu den Endenergien gehört, die der Verbraucher nach einer technischen
Umwandlung kauft. Dadurch gewinnen diese Sprachregelungen eine lebenspraktische
Gültigkeit, welcher der Physikunterricht gewöhnlich nichts anhaben kann.
Auch die scheinbar unproblematische Formulierung „der Strom fließt“ unterstützt
den Substanzcharakter des Begriffs Strom und steht damit der Intention entgegen,
Strom nicht als Sache sondern als Prozeß im Sinne von Strömung zu begreifen. Der
Satz „Der Strom fließt“ hat dieselbe grammatikalische Struktur wie beispielsweise der
Satz „Das Auto fährt“. Die Prädikate beschreiben jeweils die Aktion eines Subjekts.
Das Subjekt tut etwas, zu dem es prinzipiell Alternativen gibt. Das Auto kann z. B.
auch in der Garage stehen. Entsprechend naheliegend ist die Vorstellung, der Strom
könne in einer Batterie verweilen. Von der Sprache her ist es jedenfalls nicht naheliegend zu denken, daß der Strom nicht mehr existiert, wenn er nicht fließt.
Der sprachlich unterstützte Dingcharakter für Strom paßt assoziativ problemlos zu der
mengenartigen Größe Energie. Es ist daher nicht verwunderlich sondern geradezu logisch, daß „Strom“ im alltäglichen Sprachgebrauch synonym zu elektrischer Energie
oder zum Energieumsatz verwendet wird.
Um den Prozeßcharakter des Strömungsvorganges zum Ausdruck zu bringen,
müßten nicht nur die Begriffe geändert werden, sondern auch die grammatikalischen
Strukturen, durch welche eine bestimmte Semantik entweder unterstützt wird oder eben nicht zum Tragen kommt. Es wäre viel günstiger, von einer Strömung zu reden,
die entsteht oder die vorhanden ist, statt von einem Strom, der fließt. Was fließen
kann oder auch nicht, ist die Elektrizität. Wenn strömende Elektrizität den Vorstellungsinhalt bilden soll, der mit dem Strombegriff verknüpft wird, so ist es erforderlich
auch in dieser Weise zu sprechen.
Eine Synonymisierung von Formulierungen wie „eine Strömung ist vorhanden“
und „ein Strom fließt“ ist andererseits möglich, nachdem der Vorstellungsinhalt „bewegte Elektrizität“ gesichert ist. Dieser Vorgang hat z. B. auch in der Alltagssprache
stattgefunden, wenn gesagt wird „der Rhein fließt ... “. Hier ist sofort jedermann klar,
daß die Bewegung des Wassers im Rhein gemeint ist. Die sprachliche Verkürzung hat
hier keine negativen Konsequenzen für das Vorstellungsgefüge, weil dieses unabhängig von der Differenziertheit der sprachlichen Darstellung stabil existiert. Beim elektrischen Strom ist das Vorstellungsgefüge zunächst noch instabil und erfordert daher
differenzierte Formulierungen.
Ein weiteres Problem steckt im Begriff „Stromstärke“. Seine Unterscheidung
vom Spannungbegriff bildet eine der größten Verständnishürden für Lernende. Auch
dies ist mit Sicherheit zumindest teilweise auf eine unglückliche Wahl der Fachbegriffe zurückzuführen. Dies läßt sich leicht belegen:
In einer regionalen Tageszeitung war zu lesen, daß Oberschwaben „Strom mit der
Stärke von 110 kV “ aus Vorarlberg bezieht. In dieser fachsprachlich unrichtigen
Formulierung steckt ein Alltagsverständnis des Spannungsbegriffs, das in vielen Fällen auch den Physikunterricht „überlebt“. Es gibt ja eine Kommission, die den „common sense“ deutscher Begriffe beobachtet und in einem semantischen Wörterbuch be-
31
schreibt, nämlich im DUDEN, Deutsches Universal-Wörterbuch. Dort steht unter dem
Stichwort „Spannung“ folgende Ausführung:
„Spannung, die: ... 2. Stärke des elektrischen Stromes“ (!!)
Das Vorverständnis der Laienwelt bezüglich des Ausdrucks Stärke des elektrischen
Stromes ist offenbar ein völlig anderes, als das eines Physikers oder Physiklehrers.
Auch wenn die Umschreibung im Duden, Spannung sei die Stärke des elektrischen
Stromes, bei Physiklehrkräften eher Entsetzen als Verwunderung, keineswegs aber
Zustimmung auslösen wird, trifft sie doch im Hinblick auf das Anliegen einer allgemeinverständlichen Explikation ziemlich ins Schwarze! Unter „Stärke“ assoziiert man
alltagssprachlich etwas wie „Kraft“, „Potenz“, „großer Wirkung fähig“ usw. Im Alltagsverständnis bezieht sich Stärke immer auf eine Qualität oder Fähigkeit, nie auf
eine reine Quantität. Wir wissen andererseits, daß ein bestimmter Elektronenstrom
sehr unterschiedliche Wirkungen zeitigen kann. Fließt z. B. ein Strom von 1 A im
230-Volt-Netz durch eine Küchenmaschine, so wird die anstrengende Arbeit des
Teigknetens in kürzester Zeit erledigt. Derselbe Strom ist in einem Auto kaum in der
Lage, den Scheibenwischermotor anzutreiben. Eine 60-Watt-Haushaltsglühlampe beleuchtet den Schreibtisch viel „kräftiger“ als das Lämpchen einer Taschenlampe bei
gleichem Ladungsträgerstrom.
Wie man sieht: Bei einer großen Spannung erreicht man mit demselben Strom
u. U. viel mehr (einen höheren Energieumsatz) als bei niedriger Spannung. Was liegt
näher als die Ansicht „Spannung macht die Ströme stark“? – Wohlgemerkt: „Stark“
im Sinne von kraftvoll! Wer so denkt, wird durch den Fachjargon bestätigt. „Starkstrom hat 380 Volt“, „Schwachstromanlagen haben nur 24 Volt“. Hinter diesen Sätzen stecken handfeste und durchaus differenzierte Erfahrungen. Auch der von Lehrkräften oft beklagte Ausdruck „Stromspannung“ hat hier seine Wurzel.
„Stromstärke“ ist in diesem Licht gesehen eine äußerst unglückliche Wahl für die Bezeichnung der betreffenden – rein mengenartigen – physikalischen Größe. Der Ausdruck „Stärke“ taucht übrigens auch in der Physik bei anderen Begriffen mit durchaus
alltagssprachlicher Semantik auf (z. B. „Feldstärke“, „Polstärke“, „Pferdestärke“
u. ä.). Auf der anderen Seite ist mit heftigen Wirkungen zu rechnen, wenn z. B. eine
Feder, die Sehne einer Armbrust oder eine soziale Beziehung unter starker Spannung
stehen.
Die oft beobachtete Verwechslung von Stromstärke und Spannung hat eine wesentliche Ursache in der mißverständlichen Semantik der Fachbegriffe. Um zu verstehen, daß mit Stromstärke eine rein mengenartige Größe gemeint ist, muß man gegen
die Sprache andenken.13
Auf die sprachlich bedingte Gefahr der Verwechslung von Stromstärke und
Spannung setzt das traditionelle methodische Vorgehen im Unterricht noch eins
drauf: Indem nahezu ausschließlich Schaltungen betrachtet werden, bei denen zumin13
32
Auf die kontraproduktive Semantik des Begriffs Stromstärke wird seit einigen Jahren von verschiedenen Autoren hingewiesen, z. B. WALZ [46], S.379; HÄRTEL [16], S.40 f.; MAICHLE [23],
S. 132; MUCKENFUß [27], S.403.
dest der qualitative Zusammenhang gilt, „je größer die Spannung, desto größer die
Stromstärke“, erfährt das Denkmuster eine zusätzliche Legitimation, die beiden Größen seien zumindest sehr ähnlich. Formal gesehen unterscheiden sie sich bei „ohmschen Verbrauchern“ nur durch einen Proportionalitätsfaktor, ähnlich wie Masse und
Gewichtskraft, spezifisches Gewicht und Dichte, Druck und Kraft etc. Wenn man die
Unterscheidung von Stromstärke und Spannung erreichen will, dann müssen Stromkreise verglichen werden, bei denen z. B. gleich große Ströme durch unterschiedliche
Spannungen hervorgerufen werden; oder bei denen sich die Ströme ändern, ohne daß
die Spannung verändert wird (z. B. unterschiedlich belastete Motoren).
Im Unterrichtvorschlag wird der Begriff Stromstärke nicht zugleich mit der Strommessung eingeführt, sondern erst erheblich später. Bis zur Stabilisierung der Vorstellungen wird anstelle von „Stromstärke“ von „großen“ und „kleinen“ Strömen geredet.
Gemessen werden zunächst „Ströme“, nicht „Stromstärken“. Dieses Vorgehen begegnet oft dem Einwand, der Begriff Stromstärke sei unentbehrlich zur Unterscheidung
der Meßgröße vom phänomenologischen Begriff. Jedoch wird eine solche Unterscheidung in der Physik bei nur wenigen Größen sprachlich getroffen. Warum diese
Differenzierung ausgerechnet bei einer Größe unentbehrlich sein soll, bei der dadurch
erhebliche Lernschwierigkeiten geschaffen werden, ist logisch nicht einzusehen. Allerdings verbietet es die weite Verbreitung des Begriffs „Stromstärke“, den Terminus
völlig zu ignorieren. Er wird deshalb unter Erläuterung der semantischen Klippen gegen Ende des Unterrichtsganges eingeführt (→ S. 141).
Aus der Mehrdeutigkeit des Strombegriffs ergibt sich didaktisch die Aufgabe, die
diversen Bedeutungen für Schülerinnen und Schüler zu erhellen. Es dürfte sich als
zwecklos erweisen, einfach zu sagen „Strom wird nicht verbraucht“; denn wenn die
Schülerinnen und Schüler lebenslang mit einer das Gegenteil behauptenden Sprechweise konfrontiert werden, sind sie wohl eher geneigt, dem Physikunterricht Lebensferne zuzuweisen, als offenkundig praktisch brauchbare Formulierungen und damit
verbundene Vorstellungen zu ignorieren!
Die hier unterbreiteten Unterrichtsvorschläge tragen gerade der Tatsache besonders
Rechnung, daß alltagssprachliche Ausdruckformen oft besonders erklärungsmächtig
und zweckmäßig erscheinen: Betrachtet man Stromkreise unter dem Gesichtspunkt
der Energieübertragung, so ist der Sinngehalt der verschiedenen Sprachregelungen
leicht durchschaubar. Ebenso können in diesem Zusammenhang begriffliche Vereinbarungen getroffen werden, die weder zu den physikalisch-fachsprachlichen noch zu
den ingenieur- und alltagssprachlichen Ausdruckformen in Widerspruch treten. Dies
soll der folgende Abschnitt verdeutlichen.
33
2.2
DIE SACHSTRUKTUR ELEKTRISCHER
ANLAGEN ZUR ENERGIEÜBERTRAGUNG UND
IHRE VERSPRACHLICHUNG
Sofern Stromkreise der Energieübertragung dienen, liegt ihnen folgende Struktur
zugrunde (Abbildung 2):
Erzeugerseite
Übertragungsweg
Licht
Wärme
mech. Energie
chem. Energie
Energiewandler
I
(Quelle)
elektrischer
Energiestrom
Verbraucherseite
Licht
EnergieWärme
wandler
II
mech. Energie
(Verbrauchem. Energie
cher)
Abbildung 2: Idealisierte Darstellung des Energiestroms
Auf der „Verbraucherseite“ steht die Energie in Form von Licht, Wärme, mechanischer oder chemischer Energie o. a. zur Verfügung, auf der „Erzeugerseite“ muß sie
ebenso in einer dieser Formen zugeführt werden. Die dem Energiewandler I („Erzeuger“) zugeführten und vom Energiewandler II („Verbraucher“) abgegebenen Energieformen sind beliebig kombinierbar. Dies bedeutet, daß die Energie nicht nur übertragen, sondern auch umgewandelt wird.
Man kann den Vorgang der Energieübertragung in einer elektrischen Anlage mit dem
bei einer mechanischen Übertragung über eine Riementransmission vergleichen. Mechanische Transmissionsanlagen füllten noch bis weit in unser Jahrhundert hinein die
Fabrikhallen. Heute sind sie weitgehend durch elektrische Stromkreise ersetzt. Da
diese denselben Zweck erfüllen wie früher die Transmissionen, sind strukturelle Identitäten naheliegend. Sie werden an den beiden Systemen nach Abbildung 3 und
Abbildung 4 deutlich.
Die Analogien sind schon äußerlich sehr weitreichend. Die Bildlegenden beschreiben die Beobachtungen und Erfahrungen, die an der realen Anordnung auffällig
sind. (Zu den Analogiegrenzen vgl. auch S. 124.)
Es gibt demnach in den elektrischen Anlagen zur Energieübertragung zwei Ströme,
den linearen Energiestrom und den zirkularen Ladungsträgerstrom. Letzterer wird
auch als Elektrizitätsstrom, oder – im Fall der metallischen Leitung – Elektronenstrom
bezeichnet. Der Begriff Energiestrom bedarf einer Erläuterung:
Je nach angeschlossenem Gerät wird in jeder Sekunde ein bestimmter Energiebetrag übertragen. Um Kaffeebohnen zu mahlen, sind beispielsweise pro Sekunde etwa
100 J erforderlich. Einer elektrischen Kaffeemühle muß pro Sekunde (mindestens)
dieser Energiebetrag zugeführt werden. Deshalb fließt ein Energiestrom von (mindestens) 100 J/s = 100 W „vom Kraftwerk zum Verbraucher“. Man kann den Energiestrom daher als Quotient Energie durch Zeit berechnen:
34
Energiestrom: Pstr =
Abbildung 3:
Mechanische Transmission
W
t
Abbildung 4:
Elektrische Energieübertragung
• Auf der „Verbraucherseite“ wird Hubenergie • Auf der „Verbraucherseite“ wird Hubenergie
zugeführt. (Die Leistung beträgt z. B.
zugeführt. (Die Leistung beträgt z. B. 10 W.)
10 J/s = 10 W.)
• Auf der „Erzeugerseite“ wird mechanische • Auf der „Erzeugerseite“ wird mechanische
Energie durch Drehen der Kurbel zugeführt.
Energie durch Drehen der Kurbel zugeführt.
(Die Leistung beträgt z. B. mindestens 10 W.)
Der Generator „erzeugt“ elektrische Energie.
(z. B. 10 W)
• Ein Riemen läuft im Kreis. Er überträgt die • Elektrizität läuft im Kreis. Es fließt ein ElektEnergie von der „Erzeuger“- zur „Verbrauronenstrom. Er überträgt die Energie „Erzeucherseite“.
ger“- zur „Verbraucherseite“.
• Von der „Erzeuger“- zur „Verbraucherseite“ • Von der „Erzeuger“- zur „Verbraucherseite“
fließt ein Energiestrom von ca. 10 W.
fließt ein Energiestrom von ca.10 W.
• Wird auf der „Erzeugerseite“ nicht mehr ange- • Wird auf der „Erzeugerseite“ nicht mehr angetrieben, so dreht das Wägestück das Wellrad
trieben, so dreht das Wägestück den Motor
und die ganze Anlage rückwärts.
und die ganze Anlage rückwärts.
• Dreht man die Kurbel schneller, so wächst der • Dreht man die Kurbel schneller, so wächst der
Energiestrom, der durch die Anlage fließt.
Energiestrom, der durch die Anlage fließt.
• Belastet man die „Verbraucherseite“ mit einem • Belastet man die „Verbraucherseite“ mit einem
schwereren Wägestück, so ist auf der Anschwereren Wägestück, so ist auf der Antriebsseite eine größere Kraft an der Kurbel ertriebsseite eine größere Kraft an der Kurbel erforderlich. Bei gleicher Geschwindigkeit der
forderlich. Bei gleicher Geschwindigkeit der
Kurbel auf der Antriebsseite wächst der EnerKurbel auf der Antriebsseite wächst der Energiestrom durch die Anlage mit der Antriebsgiestrom durch die Anlage mit der Antriebskraft.
kraft.
Der Quotient W/t wird gewöhnlich als Leistung P bezeichnet. Darunter versteht man
das „Arbeitstempo“, also die pro Sekunde umgewandelte oder auf ein anderes System
übertragene Energie. Im „Verbraucher“ und „Erzeuger“ wird Energie umgewandelt.
Dementsprechend ist es sinnvoll, dort von Leistung zu sprechen. Wenn die Energie
innerhalb eines Systems lediglich transportiert wird, ist der Begriff des Energiestroms14 angemessener; denn auf dem Übertragungsweg wird ja nichts geleistet. Deshalb beschreibt der Quotient W/t dort nicht die Leistung („Arbeitstempo“), sondern
den Transport der Energie, also den Energiestrom.
14
Teilweise hat sich zur Beschreibung einer – über eine gewisse Zeit betrachtet – kontinuierlichen
Energieübertragung auch der Begriff Energiefluß eingebürgert. Didaktisch hat der Ausdruck Energiestrom aber den Vorteil, die alltagssprachliche Semantik des Strombegriffs (→ Kapitel
2.1.2) weitgehend abzudecken.
35
Wenn im folgenden das Formelzeichen P mit dem Index „str“ versehen ist (Pstr), so ist
der Energiestrom durch eine elektrische Anlage gemeint. Das enthebt uns der schwierigen Aufgabe festzulegen, welcher Umwandlungsprozeß als elektrische Leistung bezeichnet werden soll! (Eine elektrische Bohrmaschine liefert ja durchaus mechanische
Energie. Ihre Leistung ist also mechanisch, der Energiestrom, der in sie hineinfließt,
aber elektrisch.) Die Einheit des Energiestroms ist dieselbe wie bei der Leistung:
1 J/1 s = 1 W.
Im Gegensatz zum Ladungsträgerstrom fließt der Energiestrom nicht im Kreis,
sondern durch das elektrische Gerät z. B. als Licht oder Wärme in die Umgebung.
Meist kann die Energie dann nicht weiter genutzt werden. Aus diesem Grunde spricht
man oft vom Energieverbrauch und von Verbrauchern obwohl die Energie lediglich
umgewandelt wird. Der Begriff Verbrauch ist also keineswegs sinnlos und widerspricht nicht den gegebenen Sachverhalten. Dies gilt gleichermaßen für die Erzeugung elektrischer Energie. Als elektrische Energie ist sie vor deren Umwandlung aus
anderen Energieformen nicht vorhanden. Ein Widerspruch zum Erhaltungsatz der Energie entsteht nicht, wenn entsprechende Erläuterungen gegeben werden. Im Alltag
gibt es genügend analoge begriffliche Beispiele: Trinkwasser wird erzeugt und verbraucht, obwohl die Wassermenge dadurch nicht verändert wird. Ebenso verbrauchen
wir manchmal viel Geld – zur Freude anderer.
Bezüglich der Begriffe Verbraucher und Erzeuger bzw. Quelle ist noch darauf zu
verweisen, daß diese Bezeichnungen nicht die Geräte an sich, sondern den Betrachtungsstandpunkt charakterisieren. Jede Quelle ist zugleich Verbraucher und jeder
Verbraucher ist zugleich Quelle: Eine Glühlampe kann Lichtquelle sein oder
Verbraucher in einer elektrischen Anlage. Ein Heizkörper ist für die Bewohner eines
Hauses Energiequelle, im Hinblick auf den Heizstoffbedarf ist er aber Verbraucher.
Und in einem Wärmekraftwerk wird zwar elektrische Energie erzeugt, aber auch viel
Kohle verbraucht.
Es ist offenkundig, daß sich die Begriffe Stromerzeugung und -verbrauch, Quelle,
Generator, Verbraucher usw. auf die Energie oder den Energiestrom beziehen. Sie
sind auch da noch erläuterungsbedürftig, aber das hoffnungslose Unterfangen, diese
Begriffe ausrotten zu wollen, erübrigt sich, wenn man sie auf das Energiestromkonzept bezieht. Nach ihrer sinnvollen Deutung werden die entsprechenden Begriffe im
folgenden daher nicht mehr in Anführungszeichen gesetzt.
In lebenspraktischer Hinsicht ist es ausgesprochen naheliegend, daß die Alltagssprache „Strom“ nicht mit dem zirkularen Strömungsvorgang der Elektrizität sondern
mit der Energie verbindet. Denn es ist für den Anwender ziemlich bedeutungslos,
wieviel Ampere zur Erzeugung eines bestimmten Energiestroms erforderlich sind.
Die erwartete Wirkung eines Gerätes hängt vom Energieumsatz (also vom Energiestrom) ab. Entsprechend ist auch nur die Energie (gemessen in kWh) zu bezahlen.
Vom Standpunkt des Energienutzers aus gesehen, ist das Problem, wieviel Ampere
eines Ladungsträgerstromes zur Erzeugung des Energiestromes im Kreis herumlaufen
müssen, nicht interessanter als für den Radfahrer die Umlaufgeschwindigkeit und
Gliederzahl der Fahrradkette!
36
Erst die Frage, wie denn die Energieübertragung zustande kommt oder wovon es
z. B. abhängt, ob ein Stromkreis viel oder wenig Energie in jeder Sekunde überträgt,
rechtfertigt eigentlich die Beschäftigung mit dem rundlaufenden Ladungsträgerstrom.
Der Riemen einer mechanischen Transmission ist ja im allgemeinen auch nicht von
sich aus interessant, sondern erst oder allenfalls, wenn sein Aufbau oder seine Bewegung für die Übertragungsfunktion ins Blickfeld rückt!
Damit ist die grundlegende Fragestellung des Elektrikunterrichts deutlich geworden:
Wie gelingt es, Energie auf elektrischem Wege zu übertragen?
Die elementaren Begriffe (Strom, Spannung, Widerstand) und die sie verknüpfenden
Gesetzmäßigkeiten sind in dem Maße von Interesse, als sie zur Klärung dieser pädagogischen Leitfrage beitragen.
2.3
DER SPANNUNGSBEGRIFF IM KONZEPT DER
ENERGIEÜBERTRAGUNG
2.3.1 Voraussetzungen einer sachgerechten Vorstellung von
elektrischer Spannung
Für das Verständnis der folgenden Ausführungen sei besonders nochmals auf den Abschnitt 1.3 verwiesen. Dort wurde dargelegt, daß die Versprachlichung formaler physikalischer Terme einen Verlust an Allgemeingültigkeit der Aussagen bedeutet, dem
ein Zuwachs an subjektivem Sinngehalt entgegensteht. Der subjektive Sinngehalt eines Begriffes resultiert aus der Erklärungskraft für die Zusammenhänge eines besonderen aber auch eingegrenzten Realitätsbereichs. Elektrische Anlagen zur Energieübertragung stellen einen solchen Realitätsbereich dar. Innerhalb desselben hat der
Spannungsbegriff eine spezielle Bedeutung. Sie umfaßt zwar nicht das ganze semantische Volumen, das potentiell mit der formalen Begriffsfestlegung erschließbar ist, jedoch wird der Begriffsinhalt dafür anschaulicher und konkreter.
Welchen Grad an Verlust von Allgemeingültigkeit und Abstraktheit man durch
eine Konkretisierung und Veranschaulichung des Spannungsbegriffs in Kauf nehmen
soll, muß vor dem Hintergrund der pädagogischen Ziele des Unterrichts begründet
werden. Aus der Entscheidung, Stromkreise vorrangig als Anlagen zur Energieübertragung zu behandeln, folgt, daß der Spannungbegriff „nur“ die Deutung energetischer Vorgänge in einfachen Stromkreisen ermöglichen muß. Es geht also darum, den
Spannungsbegriff mit Sinn zu füllen, ohne den Anwendungsbereich dynamischer
Stromkreise zu verlassen. Daraus resultiert dann bei geeigneter Vorgehensweise eine
anschauliche Bedeutung, die nicht in Widerspruch zu den formalen Begriffsfestlegungen tritt.
Allerdings ist es wichtig, daß sich eine eingeschränkte Bedeutung des Spannungsbegriffs später widerspruchsfrei erweitern läßt. Um dies sicherzustellen, darf die formale
Definition der elektrischen Spannung als potentieller „Endpunkt“ einer sukzessiven
37
Bedeutungserweiterung nicht dem didaktischen Blick entschwinden. Dabei muß der
Zusammenhang zwischen der Begriffsdefinition und daraus abgeleiteten Gesetzen
prinzipiell auch auf sprachlicher Ebene darstellbar bleiben. Dies läßt sich erreichen,
wenn die Versprachlichung des Spannungsbegriffs an den Gleichungen „ausgerichtet“
wird, die sich für den jeweiligen Anwendungsbereich aus der umfassenden formalen
Definition des Spannungsbegriffs herleiten lassen.
DIN 1324 nennt als Definitionsgleichung für die Spannung
U12 = 1∫²Eds.15
DIN 1323 gibt eine sprachliche Interpretation dieses Zusammenhangs, die nur für
Fachleute verständlich ist:
„Ein kleiner Körper, der die gleichbleibende Elektrizitätsmenge Q trägt, legt in
einem elektrischen Feld (→ DIN 1324) einen Weg s von einem Anfangspunkt 1
zu einem Endpunkt 2 zurück. Dabei verrichten die Feldkräfte an dem Körper eine
Arbeit A12, die proportional zur Elektrizitätsmenge Q ist. Der Quotient A12/Q ist
deshalb eine von Q unabhängige, dem Weg s von 1 nach 2 zugeordnete Größe.
Diese wird elektrische Spannung U zwischen 1 und 2, kurz U12 genannt. ... “
(DIN 1323, Abschnitt 1.1.).
Trotz ihrer Abstraktheit enthält bereits diese sprachliche Formulierung eine Bedeutungseinschränkung gegenüber DIN 1324, weil sie sich nur auf bewegte geladene
Körper in elektrischen Feldern bezieht. Die Definitionsgleichung und aus ihr abgeleitete Gleichungen beziehen sich dagegen auch auf andere mehr oder weniger abstrakte
Anwendungsbereiche. Die Grafik nach Abbildung 5 kann dies verdeutlichen:
Der Spannungsbegriff ist bekanntlich nicht nur auf die Bewegung einzelner geladener
Körper in statischen Feldern anwendbar, sondern ebenso z. B. auf geschlossene
Stromkreise oder – unabhängig von konkreten Bewegungen, Körpern und Energieumsätzen – auf die Beschreibung elektrischer Felder, z. B. elektromagnetischer Wellen
im Vakuum. Die wichtigsten Gleichungen mit der formal gleichen Aussage („Spannung U gleich ‘xyz’”) sind in der Grafik unterschiedlichen Anwendungs- oder Erfahrungsbereichen zugeordnet, die zugleich als „Abstraktionsebenen“ dargestellt sind.
Diese didaktische Strukturierung erleichtert die Aufgabe, den Spannungsbegriff für
einen bestimmten Anwendungsbereich widerspruchsfrei zu deuten.
15
38
Für den Fall einer Induktionsspannung in einer geschlossenen Leiterschleife ist das Linienintegral durch das Ringintegral zu ersetzen (Umlaufspannung, DIN 1323, Punkt 3).
Ebene
fachlicher
Gleichungen (Operationen)
Einheitengleichungen
Anwendungsbereich
2
IV
Potentialdifferenzen in
E-Feldern
U12 =
⌠
⌡1 E ·ds
1 V = 1 (V/m)·1 m
für homogene Felder: U = E·s
III
(für E =
Bewegung elektrischer
Ladungen in E-Feldern
F
Q
2
U12 =
⌠ F ·ds
Q
⌡1
U=
bzw. F·s = W):
N
·1 m
As
J
= 1
As
1V=1
F·s
Q
II
Stromkreise mit
(Multiplikation mit t/t):
kontinuierlicher
F
U = ·v
Ladungsträgerbewegung
I
I
Ströme durch ohmsche
Leiter
U=
W
Q
P
U=
I
m
s
W
1V= 1
= 1
A
A
N·
(Substitution: P = I²·R):
U = I·R
1 V = 1 A·1 Ω
Abbildung 5: Abstraktionsebenen und Anwendungsbereiche auf die sich der Spannungsbegriff bezieht
Die Ebenen weisen eine von IV nach I zunehmende Konkretisierung (bzw. Spezialisierung der Anwendungszusammenhänge) auf, was gleichbedeutend ist mit einer von
I nach IV zunehmenden Abstraktion und Allgemeingültigkeit:
•
Ebene IV:
Die Gleichungen beschreiben Spannung als Potentialdifferenz. Damit eine Spannung vorliegt, muß also nur ein E-Feld vorhanden sein. Es ist weder eine Ladung
erforderlich noch ein konkreter Energieumsatz. Das E-Feld kann z. B. ein „Stück“
aus einer elektromagnetischen Welle sein oder durch eine B-Feldänderung erzeugt werden.
Potentialdifferenzen definieren die Bedingungen für Energieumsätze, ohne
selbst Energieumsatz zu sein. Ihre Existenz ist im Prinzip nicht an tatsächliche
Energieumsätze, bewegte Ladung oder Kräfte auf Ladungsträger gebunden.
•
Ebene III:
Die Gleichungen dieser Ebene setzen voraus, daß eine elektrische Ladung oder
ein geladener Körper mitgedacht werden, auf die eine Kraft wirkt, und die dabei
die Ortsveränderung ds erfahren; oder man hat die Energie im Blick, welche im
Falle der Bewegung des betrachteten Körpers umgesetzt wird.
Der Anwendungszusammenhang ist also konkreter und spezieller als derjenige in Ebene IV. Die Gleichungen können sich sowohl auf eine kontinuierliche
Ladungsträgerbewegung beziehen als auch auf einzelne geladene Körper, die sich
z. B. in einem elektrostatischen Feld befinden.
39
•
Ebene II:
Diese Gleichungen sind dort anwendbar, wo kontinuierliche Ladungsbewegungen in homogenen Feldern vorliegen. Sie beschreiben also stationäre Ladungsströme jeder Art und deren Zusammenhang mit dem Energiestrom (Pstr) bzw. dem
Energieumsatz (Leistung P). Stromkreise als Anlagen zur Energieübertragung
bilden den Anwendungsbereich, auf den sich diese Ebene bezieht.
•
Ebene I:
Die Beziehung U = I·R betrifft den sogenannten Spannungsabfall an einem „ohmschen“ Verbraucher. Nur bei diesen ist die Definition des elektrischen Widerstandes R im Sinne einer Bauteileigenschaft hilfreich. Die Gleichungen dieser
Ebene haben deshalb einen sehr engen aber auch konkreten Anwendungsbereich.
Über die Spannung an einer Quelle läßt sich in diesem Kontext nichts Näheres
ausführen. Oft wird als Hilfe die mehr oder weniger nichtssagende Explikation
zur Quellenspannung vorgeschlagen, es handle sich um „eine Eigenschaft der
Quelle“. Die genauere Umschreibung dieser Eigenschaft ist auf dieser Ebene
nicht möglich. Dazu sind „Anleihen“ auf der Ebene II oder III erforderlich, wenn
inhaltliche und nicht nur formale Aussagen zur Quellenspannung gemacht werden sollen.
Jeder Anwendungsbereich einer der Ebenen I, II oder III kann als Spezialfall der darüber liegenden Ebene betrachtet werden. Die Zusammenhänge der jeweils konkreteren Ebene bilden eine Teilklasse der allgemeineren Aussagen, z. B.: Die ohmsche
Spannung U = I·R ist ein Spezialfall der in einem Stromkreis mit stationären Strömen
möglichen Spannungen U = P/I. Die Spannung U = P/I beschreibt den Sonderfall des
auf die Elektrizitätsmenge Q bezogenen Energieumsatzes (U = W/Q), wenn die Ladungsträgerbewegung im zeitlichen Mittel kontinuierlich verläuft (stationäre Ströme),
usw.
Wie bereits auf S. 19 dargestellt wurde, bewirkt die sprachliche Interpretation der
formalen Zusammenhänge die Veranschaulichung bestimmter Aspekte – und damit
eine Zunahme des subjektiven Sinngehaltes – unter Inkaufnahme eines Verlustes an
Allgemeingültigkeit.
Aus dieser Darstellung der Sachstruktur, insbesondere aus der Berücksichtigung der
Teilklassenverhältnisse bei den Gleichungen und Anwendungsbereichen, läßt sich eine didaktische Maxime gewinnen:
Die Vorstellungen (Bilder, Begriffe, Sprachregelungen, Modelle, Beziehungen,
usw.), die auf einem beliebigen Niveau der Abstraktion erzeugt werden, müssen
jeweils eine Teilklasse der Zusammenhänge wiedergeben, die in den formalen
Gleichungen der Fachwissenschaft hergestellt werden. Als Teilklasse sind die
konkreteren Vorstellungen potentiell in der jeweils übergeordneten, abstrakteren
und allgemeineren Darstellung enthalten. Unter dieser Voraussetzung können die
Vorstellungen und Sprachregelungen durch Erweiterung unter übergeordnete
(allgemeinere) Zusammenhänge subsummiert werden.
40
Diese didaktische Maxime erfordert für den Aufbau von Vorstellungen zumindest auf
einer der Abstraktionsebenen Widerspruchsfreiheit, sonst scheitert sie schon innerhalb des jeweiligen Anwendungsbereichs (z. B. geschlossene Stromkreise). Ein Beispiel für eine verbreitete Vorstellung, die dieser Forderung widerspricht, ist die Annahme, Elektronen würden im Widerstand durch „Bremsvorgänge“ einen Teil ihrer
Geschwindigkeit verlieren, d. h., sie seien im und nach dem Widerstand langsamer als
vor demselben (Modell der „Autobahn-Engstelle“). Dieses Bild würde in unmittelbaren Widerspruch zu zwei fundamentalen Invarianzen der klassischen Theorie treten,
nämlich daß der Strom im ganzen Kreis gleich groß ist, und daß die Elektronendichte
in einem metallischen Leiter unveränderlich ist. (Bezüglich der Imkompressibilität
des Elektronenfluids → Kap. 4.2.1.)
Als Zweites muß die Vorstellung die Zusammenhänge zwischen den Größen veranschaulichen, die in den Gleichungen vorkommen.
Ein Beispiel für eine ungeeignete Darstellung wäre das sogenannte „Rucksackmodell“, bei dem die Spannung als Maß für die „Energieportion“ dargestellt ist, die
jedem Elektron von der Quelle „aufgepackt“ wird. Dieses Bild leistet keine Darstellung des Zusammenhangs zwischen Strom und Spannung. Größere Spannung würde
größere Energiepakete bedeuten. Denken wir uns den einfachsten Stromkreis mit konstantem Widerstand: Es gibt in diesem Modell keinen Grund, von der Verdoppelung
der Spannung auf die Verdoppelung des Stromes zu schließen. Die Elektronen packen
doppelt so große Pakete auf, bewegen sich aber im übrigen gleich weiter, d. h., der
Strom könnte gleich groß bleiben. Für die Tatsache, daß I von U abhängig ist, wäre
bereits ein weiteres Modell erforderlich. Im übrigen wäre diese Vorstellung auch
nicht widerspruchsfrei; denn müßte die Energie den Elektronen in der Quelle zunächst aufgepackt werden, so würde es sehr lange dauern, bis eine Lampe leuchtet
oder wieder erlischt. (Die Ladungsträgergeschwindigkeit liegt in der Größenordnung
von Millimetern pro Sekunde; → S. 170 ff.)
Das Verständnis des Spannungsbegriffs auf dem umfassenden und abstrakten Niveau
der Ebene IV erfordert eine Vertrautheit mit den Vorstellungen, die dem Feldbegriff
zugrunde liegen, einschließlich gedanklich verarbeiteter Erfahrungen bezüglich des
Energieumsatzes bei Bewegungen von Körpern bzw. Elektrizitätsmengen in Feldern.
Ein entsprechendes Curriculum zum Feldbegriff dürfte sich nicht nur auf elektrische
Felder gründen, sondern hätte vor allem das der Erfahrung zugängliche Gravitationsfeld mit einzubeziehen, um erfahrungsgestützte Analogien bilden zu können.16,17 Im
16
Siehe dazu die Vorschläge zur Begriffserweiterung in Kapitel 4.6. Außerdem: GROB, K./ RHÖNCh. v./ VÖLKER, B. /WETTERN, K., Die Gravitationsanalogie zur Einführung des Spannungsbegriffs [14], S.14–19 und HÄRTEL, H. Spannung als Ladungsunterschied [17], S. 36/37.
Damit soll nicht in Frage gestellt werden, daß der Spannungsbegriff vom Feldbegriff her erschlossen werden kann. Da das Feld Definitionselement des Spannungsbegriffs auf seiner allgemeinsten Ebene ist, führt dieser Zugang zielstrebig zu einer allgemeingültigen Festlegung des
Begriffsinhalts. Andererseits ist damit die Aufgabe noch nicht gelöst, den Spannungsbegriff gewissermaßen „von oben nach unten“ auf dynamische Stromkreise zu übertragen und dort seine
Bedeutung für die Energieübertragung zu erfassen. Im Bilde gesprochen: Man klettert im Baum
zum Gipfel hoch, um an der Leiter wieder auf die Höhe herunterzusteigen, in der die Kirschen
ECK,
17
41
Hinblick auf die Leitidee des Unterrichtskonzepts wäre dieses Vorgehen nur zu rechtfertigen, wenn es keinen direkteren und problemloseren Weg zum Verständnis der
Rolle der Spannung in Energieübertragungsanlagen gäbe.
Auf der Ebene III sind alle Unterrichtsvorschläge angesiedelt, die den Spannungsbegriff über elektrostatische Versuche aus dem Energieaufwand für die Ladungstrennung
oder den Ladungstransport in Feldern veranschaulichen. Der Transfer von Vorstellungen, die an elektrostatischen Anordnungen gewonnen wurden, auf dynamische
Stromkreise beinhaltet eine Reihe didaktischer Schwierigkeiten, auf die teilweise in
Kapitel 3 näher eingegangen wird. Der gesamte Erfahrungsbereich, den die Schülerinnen und Schüler für das Verständnis der Grundbegriffe überblicken müssen, wird
durch die Einbeziehung der Elektrostatik in die Begriffsbildung verbreitert. Außerdem muß der Transfer von elektrostatischen Erscheinungen in die phänomenologisch
völlig andersartigen Anordnungen unter Beibehaltung der Begriffsinhalte geleistet
werden. Für den Spannungsbegriff wird dieser Weg hier nicht weiter verfolgt, weil
seine Deutung für dynamische Stromkreise ohne diesen Umweg möglich ist.
Stromkreise als Energieübertragungssysteme werden über die Zusammenhänge der
Ebene II beschrieben. (Die Ebene I ist als Teilklasse enthalten.) Gelingt es, die Vorgänge im Energieübertragungssystem „Stromkreis“ – also ausschließlich auf der Ebene II – begrifflich und sprachlich zu fassen, so wird der Wechsel auf andere Anwendungsbereiche und höhere Abstraktionsebenen innerhalb dieser Zielsetzung entbehrlich. Ein entsprechender Weg zum Spannungsbegriff wird unter Beachtung der didaktischen Maxime zum Teilklassenverhältnis im folgenden aufgezeigt.
2.3.2 Energieströme und elektrische Spannung
Für die Beschreibung der Energieübertragung im Stromkreis reicht der Strom als Vorstellung und physikalische Größe nicht aus. Dies läßt sich durch experimentelle Erfahrungen verhältnismäßig einfach vermitteln. Vor den Ausführungen zur sprachlichen Explikation dessen, was man sich unter Spannung im Kontext der Energieübertragung vorstellen kann, sollen sowohl Beispiele für Sachverhalte genannt werden,
bei denen die Energieübertragung proportional zum Elektronenstrom ist, als auch solche, bei denen ein und derselbe Elektronenstrom unterschiedlich große Energieströme
erzeugt:18
Folgende Sachverhalte verweisen auf einen konstanten Quotienten P/I; dies bedeutet,
daß bei jedem Beispiel der pro Ampere erzeugte Energiestrom einen bestimmten Wert
hat:
18
42
hängen. Steigt man gleich an der Leiter zu den Kirschen hoch, handelt man sich allenfalls den
Nachteil ein, den Ausblick vom Gipfel nicht genossen zu haben.
Die Versuche sind im Kapitel 3.4 ausführlich beschrieben.
•
•
Schließt man an den Generator oder ein Netzgerät mehrere Lampen parallel an,
so wächst der Energiestrom proportional zum elektrischen Strom I, der insgesamt
durch die Quelle angetrieben wird (für Ri = 0).
Belastet man die Schnurwelle eines Gleichstrommotors mit zunehmend schwereren Wägestücken, so wächst der Elektrizitätsstrom (korrigiert um den Leerlaufstrom) proportional zum Drehmoment bei gleichbleibender Hubgeschwindigkeit.
Der für das Anheben jeder Masseneinheit erforderliche Energiestrom und der Elektronenstrom sind konstant.
Folgende Versuche sind Beispiele dafür, daß ein und derselbe Ladungsträgerstrom
völlig verschiedene Energieströme erzeugen kann:
• Mißt man die Ströme durch eine 230 V/60 W-Haushaltslampe und eine 4 V/0,3 A
Lampe (im verdunkelten Raum), so ist offenkundig, daß in der Haushaltslampe
bei etwa gleicher Stromstärke weit mehr Energie umgesetzt wird.
• Quantitativ unterscheidbare Energieströme erhält man durch den Vergleich der
Reihenschaltung zweier Lampen gleicher Nenndaten mit einem Stromkreis, der
nur eine Lampe enthält. Es ergibt sich, daß derselbe Strom im ersten Fall die
doppelte Energie in der gleichen Zeit transportiert.
• Betreibt man die Lampen mit dem handgetriebenen Generator (→ Abschnitt 3.2
und 1.3.3), so erlebt man auch, daß an der Handkurbel in gleicher Zeit die doppelte Energie umgesetzt werden muß. (Man muß doppelt so schnell drehen.)
• An der Motor-Generator-Kombination nach Abbildung 4 (S. 35) stellt sich derselbe Sachverhalt so dar: Dreht man die Generatorkurbel doppelt so schnell, so
bewegt sich das Wägestück auf der Verbraucherseite in gleicher Zeit um die doppelte Höhe nach oben. Trotz dieser Verdoppelung des Energiestroms ändert sich
der Elektrizitätsstrom kaum.
Ein rundlaufender Elektrizitätsstrom gleicher Größe kann also in jeder Sekunde völlig
verschiedene Energiebeträge übertragen. Es muß demnach eine vom Strom unabhängige Größe geben, die bestimmt, wieviel Energie bei einem bestimmten Elektrizitätsstrom in jeder Sekunde übertragen wird. Bei dieser Größe handelt es sich um die elektrische Spannung.
Es soll nun dargelegt werden, wie die Bedeutung des Spannungsbegriffs auf unterschiedlichem Abstraktionsniveau erschlossen werden kann. Dabei wird der umgekehrte Weg beschritten, der für den Unterricht vorgeschlagen wird: Wir beginnen mit
einer den experimentellen Sachverhalten entsprechenden mathematischen Fassung
des Spannungsbegriffs. Dann lehnt sich die Sprache zunächst noch eng an die formale
Struktur der mathematischen Gesetzmäßigkeit an und ist daher zwangsläufig stark
fachsprachlich. In dem Maße, wie man sich sprachlich von der mathematischen Beziehung entfernt – ohne zu dieser in Widerspruch zu treten – wächst der alltagssprachliche Charakter der Aussagen. Insgesamt werden Formulierungsalternativen angeboten, die in einer Auswahl unterrichtlich umgesetzt werden können.
Im Unterricht wird dann dieser Weg rückwärts beschritten (→ Kap. 3.4.6 ff): methodisch gelangt man von einer weitgehend alltagssprachlichen und erfahrungsnahen
43
Umschreibung des Spannungsbegriffs über seine fachsprachliche Fassung zum mathematischen Ausdruck, der als Definitionsgleichung fungiert. Dieses Vorgehen sichert die Erweiterbarkeit der für einen begrenzten Erfahrungsbereich gewonnenen
Vorstellung von elektrischer Spannung in Richtung einer allgemeingültigen Definition. Alle vorgeschlagenen Versprachlichungen beziehen sich auf die Ebene II der
Abbildung 5.
Der experimentelle Zusammenhang wird durch die Gleichung U = P/I beschrieben. Dies ergibt sich aus der Auswertung der Experimente, die in Kapitel 3 näher dargestellt wird. Diese Gleichung fungiert als Definitionsgleichung für die elektrische
Spannung U. P steht für den Quotienten Energie durch Zeit (W/t). Als äquivalente
Beziehung kann daher auch U = W/I·t geschrieben werden.
P kann z. B. als Energiestrom Pstr interpretiert werden (→ Abschnitt 2.2) oder als
Leistung im Sinne der pro Sekunde umgewandelten Energie („Arbeitstempo“). Bei
parallel geschalteten elektrisch gleichen Verbrauchern wächst der Energiestrom Pstr
proportional mit dem Elektrizitätsstrom I. Voraussetzung dabei ist, daß die Quelle unabhängig von der Zahl der Verbraucher durch jeden derselben den gleichen Elektrizitätsstrom treibt („Konstantspannungsquelle“). Der Quotient Pstr/I ist konstant. Die
Konstante heißt elektrische Spannung U, oder anders ausgedrückt:
Die Spannung ist ein Maß für den von der Quelle zum Verbraucher fließenden
Energiestrom, der durch einen zirkulierenden Ladungsträgerstrom von 1 Ampere
erzeugt wird.
Soll derselbe Sachverhalt mit Hilfe der Energie anstelle des Energiestroms beschrieben werden, so ist die Gleichung U = W/I·t sprachlich umzusetzen. Von einem bestimmten (gleichbleibenden) Strom wird um so mehr Energie pro Sekunde übertragen, je größer die Spannung U ist:
Die Spannung ist ein Maß für die Energie, die pro Sekunde und pro Ampere
durch den Stromkreis übertragen wird.
Als Einheit der Spannung ergibt sich 1 W/1 A oder 1 J/A·s, wofür dann 1 Volt (1 V)
geschrieben wird. Im Beispiel: Die Spannung 230 Volt bedeutet, daß bei einem Strom
von 1 Ampere ein Energiestrom von 230 Watt fließt; (oder daß in jeder Sekunde
230 Joule übertragen werden.) Bei einer Spannung von 12 Volt fließt bei einem Strom
von 1 Ampere nur ein Energiestrom von 12 Watt; (bzw. es werden nur 12 Joule pro
Sekunde übertragen.) Ist der elektrische Strom größer oder kleiner, so wird ein um
denselben Faktor größerer oder kleinerer Energiestrom erzeugt bzw. in der gleichen
Zeit wird entsprechend mehr oder weniger Energie übertragen. Daher gilt:
Die Spannung ist ein Maß für die Leistung, die quellenseitig aufgebracht werden
muß, um in einem Leiter eine Elektrizitätsströmung von 1 A zu erzeugen („Quellenspannung“), und die an den Verbrauchern pro 1 A verfügbar ist („Verbraucherspannung“).
Zur weiteren Versprachlichung der Beziehung U = W/I·t wird der Strom in metallischen Leitern als Elektronenbewegung betrachtet:
44
Die Zahl der durch eine Stelle des Stromkreis pro Sekunde strömenden Elektronen ist proportional zum elektrischen Strom I. Wächst der Energiebetrag W, der in einer bestimmten Zeit t durch den gleichbleibenden Strom I übertragen wird – wächst
also die Spannung –, so verändert sich dazu proportional der Energiebetrag, der durch
die Bewegung eines einzelnen Elektrons übertragen wird.
Die Spannung ist ein Maß für die Energie, die durch die Bewegung eines einzelnen Elektrons übertragen wird.
An den handgetriebenen Generatoren werden die Zusammenhänge in einer Form erlebbar, die eine weitere sprachliche Elementarisierung des Spannungsbegriffs ermöglicht:
Ein Strom, also eine Bewegung der Elektrizität, kommt nur zustande, wenn die
Kurbel des Generators angetrieben wird. Dazu muß eine Kraft Fmech ausgeübt und in
einer bestimmten Zeit eine bestimmte Strecke auf dem Kurbelumfang zurückgelegt
werden. Am Generator wird also eine mechanische Leistung verrichtet, für die gilt:
s
Pmech = Fmech· t oder Pmech = Fmech·v
(v = Umfangsgeschwindigkeit am Kurbelgriff).
Sieht man von Reibungsverlusten ab, so dient die mechanische Leistung am Generator dazu, einen elektrischen Energiestrom Pstr zu erzeugen. Dazu muß im Leiter die
Elektrizität angetrieben werden, d. h., während auf die Elektrizität im Stromkreis eine
Kraft Fel wirkt, bewegt sie sich mit der Geschwindigkeit vel. Die Werte von Fel und vel
hängen mit der mechanischen Leistung zusammen:
Pmech = Pstr → Fmech·vmech = Fel·vel
Dabei wurde Pstr = U·I gesetzt und weiterhin substituiert durch die Beziehungen
U · I = E · s · I → U · I = E · I · t · vel → U · I = E · Q · vel (E · Q = Fel)
(E: elektrische Feld in einem Leiter; s: Leiterlänge; Q: bewegte Elektrizitätsmenge;
vel: Strömungsgeschwindigkeit.)
Es ist daher sinnvoll, wenn man die Vorstellung aufbaut, daß mit Hilfe des Generators
die Elektrizität im Stromkreis angetrieben wird. Dabei findet allerdings eine Art „Übersetzung“ statt: Die Kraft, die man an der Kurbel spürt, ist nicht gleich groß wie die
antreibende Kraft auf die Elektrizität. Gleiches gilt für die Umfangsgeschwindigkeit
an der Kurbel und die Strömungsgeschwindigkeit der Elektrizität, aber es gilt:
Fmech·vmech = Fel·vel
Das ist wie beim Fahrradfahren (oder jeder anderen mechanischen Transmission): Die
Pedalkraft und die Vortriebskraft sind in der Regel verschieden groß. Weil die Pedalkraft größer ist, muß man mit den Beinen einen kleineren Weg zurücklegen als es das
Fahrrad tut, aber letztlich muß das Produkt aus Kraft und Geschwindigkeit immer
gleich groß sein.19
19
Der Zusammenhang liefert ein bemerkenswertes Ergebnis, bezüglich der unserer Erfahrung
fremden Coulomb-Kräfte: Die Elektronengeschwindigkeit in üblichen Leitern beträgt weniger als
1 mm/s (→ S. 170). Sie liegt daher um zwei bis drei Zehnerpotenzen unterhalb der Kurbelumfangsgeschwindigkeit. Daher ist die Kraft auf das elektrische Fluid 100- bis 1000-fach größer als
die an der Kurbel erfahrbaren Kräfte. Schon bei einem ganz gewöhnlichen Konstantandrähtchen
45
Die quellenseitig in einem Stromkreis investierte Leistung ist erforderlich, um die
Elektronenbewegung zu erzeugen, oder – anders ausgedrückt – um die Elektronen anzutreiben. Bei einem bestimmten (gleichbleibenden) Strom I wird jedes einzelne Elektron um so mehr angetrieben, je größer der Energiestrom ist, der durch die Anlage
fließt. Für die Bewegung jedes Elektrons, das sich durch den Generator bewegt, ist
ein bestimmter Energiebetrag nötig. Dieser verändert sich proportional mit der Energie W, die durch einen bestimmten Strom (z. B. 1 A) in einer bestimmten Zeit (z. B.
1 s) übertragen wird (U = W/I·t). Damit ist auch folgende Umschreibung der elektrischen Spannung möglich:
Die elektrische Spannung ist ein Maß dafür, wie sehr jedes einzelne Elektron auf
seinem Weg durch die Quelle angetrieben wird (Quellenspannung), oder wie sehr
es auf seinem Weg durch einen Verbraucher angetrieben werden muß (Verbraucherspannung).
Z. B.: Eine Quelle mit 24 V Spannung treibt jedes Elektron 12 mal mehr an, als eine
Quelle mit 2 V. Diese Interpretation ist auch auf die Spannung zwischen zwei beliebigen Punkten im Stromkreis übertragbar. Die Anzeige des Spannungsmessers ist immer ein Maß dafür, wie sehr ein Elektron angetrieben werden muß, damit es sich mit
der erforderlichen Strömungsgeschwindigkeit zwischen den beiden Anschlußstellen
bewegt.
In dieser Formulierung ist der Spannungsbegriff für Schülerinnen und Schüler elementar, die über längere Zeit Gelegenheit hatten, am handgetriebenen Generator
selbst physisch zu erleben, welchen Aufwand es erfordert mehr oder weniger viele
Elektronen „durch Stromkreise zu treiben“. Bei einem sinnvollen didaktischen Aufbau des Unterrichtsgangs wird für die Schülerinnen und Schüler offensichtlich, daß
dieser Aufwand (Leistung P) sowohl von der Anzahl der pro Sekunde angetriebenen
Elektronen abhängt (P ∼ I) als auch davon, wie sehr jedes einzelne Elektron angetrieben wird (P ∼ U). Diese Deutungsmöglichkeit ist natürlich nicht auf die Generatoren
begrenzt. Batterien und Netzgeräten sieht man allerdings nicht an, wie „anstrengend“
es für sie ist, einen bestimmten Energiestrom zu erzeugen. Der in Kapitel 3 vorgeschlagene Unterrichtsgang wird diese elementare Deutung des Spannungsbegriffs in
den Vordergrund rücken.
Das konkrete methodische Vorgehen muß auch der Gefahr wirkungsvoll begegnen,
daß die Spannung als „Eigenschaft des Stromes“ in dem Sinne mißverstanden wird,
als sei sie dem Strom „aufgeprägt“. Dadurch, daß in einem Stromkreis bei gleichbleibendem Strom verschiedene Spannungen gemessen werden (gedeutet z. B. als Erfordernis, die einzelnen Elektronen in den verschiedenen Leiterstücken unterschiedlich
anzutreiben, um die Strömung zu erhalten), wird dem falschen Denkmuster der Boden
entzogen.
treten im Innern Coulombsche Wechselwirkungskräfte von einigen 1000 N auf. Im Abschnitt
2.3.4 wird dieser Zusammenhang noch unter anderer Perspektive spezifiziert.
46
2.3.3 Spannung als Relation zwischen zwei Punkten
In den Indizes „12“ der DIN Definition U12 = 1∫²Eds wird zum Ausdruck gebracht, daß
eine Spannungsangabe nur zwischen zwei Punkten eines elektrischen Feldes möglich
ist. Nicht alle oben genannten Formulierungen betonen explizit, daß die Spannung
immer zwischen zwei Punkten angegeben werden muß. Diese Denkstruktur kommt
aber insbesondere im Zusammenhang mit der Spannungsmessung zur Geltung und
kann dementsprechend auch in den sprachlichen Ausdrucksweisen verankert werden:
Ein Spannungsmesser zeigt die Spannung zwischen seinen Anschlußstellen an.
Mißt man die Spannung zwischen den Anschlußklemmen einer Quelle, so besagt die
Angabe in unterschiedlichem Abstraktionsgrad:
• wie sehr ein Elektron von der Quelle auf seinem Weg zwischen den Anschlußstellen angetrieben wird;
• wieviel Energie für die Bewegung jedes einzelnen Elektrons vom Plus- zum Minuspol der Quelle aufgebracht wird (U = W/Q);
• wieviel Energie pro Ampere und pro Sekunde zwischen den Anschlußstellen der
Quelle umgewandelt und die Übertragungsanlage eingespeist wird (U = W/I·t);
• wie groß der Energiestrom ist, der die Quelle bei einem Elektronenstrom von
1 Ampere verläßt (U = Pstr/I).
Mißt man die Spannung zwischen den Anschlüssen eines Verbrauchers, so ändert sich
die Beschreibung. Dort ist die Spannung ein Maß dafür:
• wie sehr ein Elektron zwischen den Anschlußstellen des Verbrauchers angetrieben werden muß, damit der jeweilige Strom entsteht; (Das Elektron muß mit der
Strömungsgeschwindigkeit v durch den Verbraucher getrieben werden.);
• wieviel Energie für die Bewegung jedes Elektrons notwendig ist, um es mit der
(durch I vorgegebenen) Strömungsgeschwindigkeit durch den Verbraucher zu
schieben (U = W/Q);
• wieviel Energie pro Ampere und pro Sekunde zwischen den Anschlußstellen des
Verbrauchers umgewandelt wird (U = W/I·t);
• wie groß der Energiestrom ist, der bei einem Elektronenstrom von 1 Ampere in
den Verbraucher einströmt und diesen in nichtelektrischer Form verläßt.
(U = Pstr/I).
Eine Spannung am Verbraucher wird nur angezeigt, wenn tatsächlich Strom fließt.
Dagegen liegt zwischen den Anschlußklemmen einer Quelle die Spannung unabhängig von einem tatsächlich vorhandenen Strom. Es ist daher notwendig, den Gedanken,
der im Begriff „Potentialdifferenz“ enthalten ist (→ Kap. 4), vorstellungsmäßig auch
auf der Ebene der Energieübertragung zu formulieren. Sprachlich ist dies kein Problem. Die Quellenspannung gibt eben nicht nur an, wie sehr die Elektronen angetrieben
werden, wenn sie sich bewegen, sondern auch, wie sehr sie die Elektronen antreiben
könnte, falls die Bedingungen eine Bewegung zuließen. Entsprechend wird nicht der
tatsächliche Energieumsatz pro Ampere angezeigt, sondern der mögliche.
Vorstellungsmäßig entstehen durchaus didaktische Schwierigkeiten: Die Quelle
schiebt die Elektrizität am einen Pol hinaus und zieht sie am anderen herein, völlig
47
unabhängig von der tatsächlichen Bewegbarkeit. Ein unterbrochener Stromkreis wirkt
sich aus, als wäre der „elektrische Riemen“ festgeklemmt. Er wird zwar von der Quelle quasi permanent gespannt, kann sich jedoch nicht bewegen. Das Wort „antreiben“
verliert hier seine Berechtigung, weil von seinen sinngebenden Merkmalen Kraft und
Bewegung nur noch die Kraft übrig bleibt. Die Beschreibung der Quellenspannung
unabhängig von einem tatsächlich vorhandenen Energieumsatz bildet daher den
Grenzfall, für den der explizierte Sinngehalt des Spannungsbegriffs zwar noch gerechtfertigt werden kann, jedoch nicht mehr in gleichem Maße erklärungsmächtig ist,
wie für die Beschreibung tatsächlicher Energieumsätze. Diese Nahtstelle zum Begriffsinhalt „Potentialdifferenz“ gewinnt inbesondere in der Elektronik didaktische Bedeutung. Moderne Schaltungen kommen ohne nennenswerte Ladungs- und Energieströme aus. Der Spannungsbegriff bedarf dort der Bedeutungserweiterung in Richtung
„Potentialdifferenz“. Ein sinnvoller didaktischer Weg dahin führt über die bereits erwähnten Analogien zwischen dem Gravitationsfeld und dem elektrischen Feld.20 Da
wir uns hier auf die Betrachtung der Energieübertragungssysteme beschränken, wird
auf die Vorschläge zur Begriffserweiterung in Kapitel 4.6 verwiesen.
Die Quellenspannung bei geöffnetem Stromkreis bildet die Grenze der hier vorgeschlagenen Sinngebung für den Spannungsbegriff. Es ist pädagogisch wichtig, daß
auch die Schülerinnen und Schüler diese Grenze soweit wie möglich erkennen. Diese
Einsicht bildet die Voraussetzung für die Bereitschaft, das Begriffsverständnis erforderlichenfalls zu erweitern,21 und hilft, den fatalen Glauben an ein „abgeschlossenes
Wissen“ zu verhindern.
2.3.4 Kraft und Spannung – ein Zusammenhang mit
Problemen
Es ist didaktisch zweckmäßig, den Bedeutungsaspekt der potentiellen Energieumwandlung erst dann im Unterricht herauszuarbeiten, wenn sich die energetischen Vorstellungen im Bewußtsein der Schülerinnen und Schüler bereits stabilisiert haben.
Andernfalls tritt der Kraftbegriff sehr stark in den Vordergrund und provoziert eine
gedankliche Verkürzung im Sinne „Spannung gleich Kraft“. Diese Verkürzung kann
man solange verhindern, als tatsächlich etwas angetrieben wird. Dort beschreibt
„Kraft“ nur die „halbe Wahrheit“, weil die Vorstellung einer Bewegung über eine
Strecke s im Kraftbegriff noch nicht enthalten ist. Richtig bleibt, daß auf die Elektronen (Ladungsträger) eine Kraft wirken muß; denn der Zusammenhang U12 = 1∫²Eds beinhaltet, daß E und damit F/Q nicht 0 sein können, solange eine Spannung vorhanden
ist.
Wenn man den Zusammenhang zwischen Kraft und Spannung näher betrachten will,
so muß eine wichtige Differenzierung für die Anschauung getroffen werden: Die
Kraft pro Elektron (formal der Quotient F/Q) ist streng von der Kraft auf das gesamte
20
21
48
Siehe auch Kapitel 2.3.1. und 4.6.1
Siehe dazu Kapitel 1.3.1 .
Fluid (bisher mit Fel bezeichnet) zu unterscheiden. Die Kraft auf ein einzelnes Elektron (F/Q) ist nur dann proportional zur Spannung, wenn Spannungsänderungen ausschließlich durch eine Veränderung der elektrischen Feldstärke E erzeugt werden. Bei
einem Generator trifft dies zu, weil sich die Länge s des Spulendrahtes, in dem das elektrische Feld induziert wird, nicht verändert. Drehzahländerungen ändern die Spannung ausschließlich über E (und damit durch die Kraft auf die Ladungsträger), nicht
über s. Bei einem Netzgerät muß dies schon nicht mehr gelten. Dort kann die Spannung beispielsweise durch die Anzahl der Windungen geändert werden, die an der
Sekundärspule des Transformators abgegriffen wird. In diesem Fall ändert sich die
Kraft auf ein Elektron nicht, sondern nur die Strecke s, längs der diese Kraft auf jedes
Elektron wirkt.
Bei einem Thermoelement ändert sich die Kraft pro Elektron (E) mit der Temperatur. Die Spannung ist dort also eine Funktion der Kraft. (Die Strecke für die Thermodiffusion bleibt etwa gleich.) Schaltet man dagegen gleiche galvanische Elemente
in Reihe, so addieren sich die Spannungen, weil sich die Strecken s addieren, längs
denen das Feld (gleichbleibender Stärke F/Q) die Ladungsträger antreibt.
In ähnlicher Weise kann man auch die Verbraucherspannung in manchen Fällen als
Funktion der Kraft pro Elektron interpretieren, in anderen dagegen als Funktion der
Strecke s, längs der ein Feld konstanter Stärke wirkt: Die Spannung an einem Draht
variiert z. B. bei konstantem E im Leiterinnern mit der Drahtlänge s. Erzeugt man dagegen in Drähten gleicher Länge s aber verschiedenen Durchmessers einen gleich
großen Strom I, so erfordert dies eine unterschiedliche Spannung, die in diesem Fall
eine zur Spannungsänderung proportionale Änderung der Kraft auf die Ladungsträger
bewirkt.22
Diese Beispiele sollen verdeutlichen, warum das Denkmuster vermieden werden
sollte, die Spannung sei eine direkte Funktion der Kraft auf die Ladungsträger oder
sogar mit dieser identisch.
Die Kräfte, die zwischen zwei Stellen des Stromkreises auf das gesamte Fluid
wirken, hängen natürlich sowohl von der Kraft auf den einzelnen Ladungsträger als
auch von deren Zahl ab. In einem dünneren Draht werden gleichzeitig weniger Elektronen vom Feld erfaßt, wie im dickeren. Die Kraft auf das gesamte Fluid ist daher bei
gleicher Spannung im dünneren Draht kleiner. Eben dies erfährt man beim Drehen der
Kurbel handgetriebener Generatoren: Bei einem dünneren Draht (allgemein: bei höherem Widerstand) läßt sich die Kurbel bei gleicher Drehzahl leichter bewegen, weil
pro Sekunde weniger Ladungsträger angetrieben werden. Erst wenn die Kurbel so
schnell gedreht wird, daß aufgrund der höheren Spannung derselbe Strom fließt wie
beim dicken Draht, ist auch die Kraft an der Kurbel wieder gleich; denn dann werden
pro Sekunde wieder ebensoviele Elektronen angetrieben, wie vorher beim dicken
Draht. Diesem Sachverhalt können die entsprechenden Gleichungen zugeordnet werden:
22
Bezüglich der entsprechenden Feldstärken siehe Kapitel 4, insbesondere S. 185
49
W
Setzt man in der Beziehung U = I·t für W = Fel·s so folgt:
v
Fel·s
bzw. U = Fel· I . (Fel ist die Kraft auf das gesamte Fluid.)
I·t
In einem metallischen Leiter ist der Quotient aus Strömungsgeschwindigkeit v und elektrischem Strom I (durch einen bestimmten Leiterquerschnitt) eine Konstante, weil
bei gegebener Volumendichte der Elektrizität Stromstärke und Strömungsgeschwindigkeit proportional sind (v/I = c). Daher besagt die Gleichung U = Fel·v/I = c·Fel für einen bestimmten metallischen Leiter, daß die Spannung proportional zur Kraft Fel ist,
die auf das elektrische Fluid wirkt und dadurch die Bewegung erzeugt. Die Konstante
v U
c= =
I Fel
drückt aus, wieviel Volt erforderlich sind, um auf das gesamte Fluid eine Kraft von
1 N auszuüben. Bei gleich großen Strömen in metallischen Leitern wächst diese
Spannung verständlicherweise mit der Ladungsträgergeschwindigkeit v, d. h., dünnere
Drähte erfordern höhere Spannungen für den gleichen Ladungsträgerdurchsatz.
U=
Die Spannung ist daher ein Maß für die Kraft, die in einem vorgegebenen Leiter
auf das (über die Leiterlänge verteilte) elektrische Fluid wirkt.
Die Absolutwerte dieser Kraft lassen sich für übliche Leiter aus der Konstanten c = v/I
abschätzen: Aus der Zahl der Leitungselektronen pro Kubikzentimeter errechnen sich
bei Strömen von 1 A und Leiterquerschnitten von 0,1 mm2 Ladungsträgergeschwindigkeiten von etwa 1 mm/s. (Zur Berechnung → Kap. 4.2.3, S. 171.) Für die Konstante c ergibt sich folgende Größenordnung:
m
10-3
V
s
v U
c= = ≈
≈ 10-3 N
I Fel 1 A
Die Spannung von 1 mV bewirkt also bei den betrachteten Leitern Kräfte von 1 N auf
das Fluid. Bei einer Spannung von 1 V liegen die Kräfte in der beachtlichen Größenordnung von 1000 N!
Man kann diese Zusammenhänge noch mit Erfahrungen verbinden, die bei üblichen
Unterrichtsexperimenten mit dem handgetriebenen Generator entstehen. Spannt man
zwischen die Anschlüsse der Quelle einen Konstantandraht von ca. 20 cm Länge und
0,2 mm Durchmesser (A ≈ 0,03 mm2) so fließt bei einer Spannung von 1 V ziemlich
genau ein Strom von 1 A. Die Volumenkonzentration der Leitungselektronen entspricht etwa der von Kupfer, so daß die Geschwindigkeit v etwa 3 mm/s beträgt.
-3 V
Für c ≈ 3 · 10 N folgt für die Kraft auf das elektrische Fluid im Draht:
U 1V·1A
Fel = ≈
≈ ‚1.
c
-3 m
3·10
s
Angesichts des relativ kurzen (l ≈ 20cm) und dünnen (∅ ≈ 0,2 mm) Drähtchens erscheint diese Kraft erstaunlich groß. Aber auch an der Handkurbel des Generators ist
50
diese Kraft mit entsprechender „Untersetzung“ zu spüren. In Kapitel 2.3.2 wurde dargelegt, daß die Produkte Fmech·vmech = Fel·vel gleich groß sind (→ S. 45). Am Kurbelumfang werden bei einer Spannung von 1 V etwa 0,3 m/s zurückgelegt (abhängig u. a.
von der Kurbellänge), also eine etwa 100-fache Strecke wie die Elektronen in der
gleichen Zeit im Draht. Entsprechend kleiner ist die Kraft an der Handkurbel. Sie beträgt dort etwa 3 N und liegt damit genau in der Größenordnung, wie dies didaktisch
bei den handgetriebenen Generatoren wünschenswert ist (→ Fußnote 19, S. 45).
Es sollte hiermit auf den Weg hingewiesen werden, auf dem auch unter Einbeziehung
des Kraftbegriffs die formalen Strukturen in sinnstiftende Sprachformen zu übertragen und mit Erfahrungen in Beziehungen zu setzen wären. Insgesamt würde die Deutung der Gleichungen aber schwieriger, weil die Zahl der zu berücksichtigenden Variablen größer ist. Substituiert man die Produkte Fel·v bzw. Fel·s/t durch P, so reduziert
sich zugleich die Komplexität der sprachlich zu bewältigenden Aussagen.
Im vorgeschlagenen Unterrichtskonzept wird der Zusammenhang zwischen den
Größen Kraft und Spannung auch deshalb nicht weiter verfolgt, weil die gewählten
Experimente einfacher zu interpretieren sind, wenn der Energiebegriff statt des Kraftbegriffes im Vordergrund steht. Bei den handgetriebenen Generatoren müßten die
Schülerinnen und Schüler gewissermaßen gegen das physische Erleben andenken.
Denn die Kraft an der Handkurbel des Generators verändert sich proportional zur
Stromstärke bzw. mit der Kraft auf das gesamte Fluid. Die am Generator spürbare
Kraft ist daher kein Maß für die Kraft auf einzelne Ladungsträger oder „-portionen“
(F/Q) und damit auch kein Maß für die Spannung.
Der Kraftbegriff braucht andererseits nicht zwanghaft ausgeklammert zu werden,
wenn es darum geht zu erläutern, was Spannung ist. Es gilt nur zu betonen, daß die
Kraft über eine bestimmte Strecke wirken muß und sowohl die Länge dieser Strecke
als auch der Betrag der Kraft auf einzelne Ladungsträger die Spannung bestimmen.
Der in Kapitel 1.2 dargelegte Wechselbezug zwischen Zielen, Inhalten, Experimenten
und Methoden legt es aber nahe, die am Generator erlebbaren energetischen Zusammenhänge in den Vordergrund der Deutungen zu stellen.
In den konkret gesprochenen Aussagen des Unterrichts ist es nicht immer möglich
und sinnvoll, jeden Begriff oder Satz auf seine völlige Kompatibilität mit den formalen Strukturen hin zu formulieren. Die Sprache würde dadurch oft umständlich und
unnatürlich wirken. Jedoch sollte der Lehrende die formale Beziehung stets als Hintergrund seines Redens verfügbar haben, um bei auftretenden Verständnisproblemen
entsprechend sachgerechte Erläuterungen oder auch Korrekturen der Sprache vornehmen zu können.
2.3.5 Spannung und elektromotorische Kraft
Im Unterrichtsgang wird auf eine begriffliche Differenzierung von Spannung und elektromotorischer Kraft verzichtet. Beide Größen spielen zwar in den Denkmustern
immer eine Rolle, aber ihre konsequente sprachliche Unterscheidung schafft nach un-
51
serem gegenwärtigen Erfahrungsstand mehr Lernschwierigkeiten als sie Probleme
löst. Die fachlichen Zusammenhänge sollen kurz erwähnt werden:23
Die Potentialdifferenz (Spannung U) zwischen den Polen einer elektrischen Quelle treibt die Ladungsträger innerhalb der Quelle entgegen (!) der Richtung des Stromes, der im Falle eines geschlossenen Stromkreises durch die Quelle fließt. Der jeweilige in der Quelle ablaufende Umwandlungsprozeß von nichtelektrischer Energie
in elektrische bewirkt die Bewegung der Ladungsträger in der Quelle entgegen den
Kräften, die das Feld der Potentialdifferenz zwischen den Polen ausübt. Betrachtet
man z. B. den Elektronenstrom in der Quelle, so bewegen sich die Elektronen vom
Pluspol zum Minuspol, während die Potentialdifferenz für sich genommen sie –
ebenso wie außerhalb der Quelle – vom Minuspol zum Pluspol treiben würde. Der
Vorgang, der die Potentialdifferenz erzeugt und die Elektronen ihr entgegen vom Plus
zum Minuspol treibt, wird auf die sogenannte elektromotorische Kraft (EMK) zurückgeführt. Diese ist ihrer Art nach keine Kraft im newtonschen Sinne, sondern eine
elektrische Spannung.
Laut DIN 1323 (Punkt 4.14 i. d. F. 1985) ist die elektromotorische Kraft EMK definiert als die negativ genommene Quellenspannung Uq
EMK = –Uq 24
In einem Stromkreis mit stationären Strömen herrscht zwischen den Enden eines beliebigen makroskopischen Leiterstücks im ganzen Kreis (einschließlich der Quelle)
stets ein Kräftegleichgewicht am elektrischen Fluid. Die Kraft in Richtung der Ladungsträgerbewegung wird außerhalb der Quelle durch die elektrische Spannung
hervorgerufen, innerhalb der Quelle durch die elektromotorische Kraft. Wäre im
Stromkreis außerhalb der Quelle nur die Spannung vorhanden, so würden die Ladungsträger zwischen den Polen der Quelle stetig beschleunigt.
R
U
Spannung (Potentialdifferenz)
elektromotorische Kraft
23
24
52
Dies ist z. B. zwischen der Kathode und der
Anode einer Elektronenstrahlröhre der Fall.
In einem Leiter kommt es dagegen zu einer
konstanten mittleren Geschwindigkeit der
Ladungsträger, weil diese Bewegungswiderstände erfahren, im Falle eines Drahtes
beispielsweise durch die Wechselwirkungen
mit dem Kristallgitter; (Stöße mit fehlgeordneten Atomrümpfen; vgl. dazu auch Kapitel 4.2.2, S. 170 ff.) Auch die nach der
Lenzschen Regel durch einen Strom her-
Siehe dazu DIN 1323 Abschnitt 4.15. sowie die „Vorzeichen- und Richtungsregeln für elektrische Netze“ DIN 5489 besonders Abschnitt 2.7.
Da aktive Quellen grundsätzlich einen Innenwiderstand haben, ist die betragsmäßige Gleichheit
zwischen der elektromotorischen Kraft und der gemessenen Spannung Uq genaugenommen nur
im unbelasteten Zustand gegeben. Im Belastungsfall ist die elektromotorische Kraft betragsmäßig
größer als die gemessene Spannung, weil ein Teil der Spannung am Innenwiderstand abfällt.
Abbildung 6: Zum Gleichgewicht zwischen
den elektromotorischen Kräften und der elektrischen Spannung
vorgerufene Selbstinduktion in einer Leiterschleife bewirkt ein solches Gleichgewicht.
Man spricht deshalb auch außerhalb einer Quelle von elektromotorischen Kräften, die
dort allerdings entgegen der Stromrichtung orientiert sind, während die von der Quelle erzeugte Potentialdifferenz (Spannung) die Ladungsträger im äußeren Kreis in
Richtung des Feldes und damit in Strömungsrichtung treibt.
In einem unverzweigten Stromkreis ist – wie in jeder Leiterschleife – die Summe
aller Spannungen gleich groß wie die Summe aller elektromotorischen Kräfte und sie
beträgt jeweils 0, wenn man die Größen in Bezug auf den Umlaufsinn mit entsprechenden Vorzeichen versieht.
Die vorgeschlagenen Formulierungen für den Spannungsbegriff beziehen sich im
Falle der Quellenspannung dann auf die elektromotorische Kraft, wenn z. B. Spannung als Maß dafür bezeichnet wird, wie sehr die Quelle jedes Elektron in ihrem Innern antreibt, um es vom Pluspol zum Minuspol zu bewegen. Dagegen ist die von der
Quelle erzeugte Potentialdifferenz gemeint, wenn beurteilt wird, wie sehr ein Elektron
angetrieben wird, während es sich durch einen Verbraucher bewegt. Wird z. B. bei der
Erklärung der Wirkung von Widerständen davon gesprochen, daß die Elektronen in
diesen gehemmt werden, so bezieht sich diese Formulierung auf die elektromotorische Kraft, die durch die joulsche Wechselwirkung entsteht, und die der Potentialdifferenz am Widerstand das Gleichgewicht hält.
Es wäre im Prinzip möglich, in Analogie zum Newtonschen Kräftegleichgewicht
bei dynamischen Vorgängen (z. B. wenn ein Auto mit konstanter Geschwindigkeit auf
der Autobahn fährt), auch die elektromotorischen Kräfte von den Spannungen zu unterscheiden. Die Terminologie sollte dann jedoch geändert werden, um einer Verwechslung von Kraft und Spannung zu begegnen. Didaktisch dürfte diese Unterscheidung darüber hinaus aber zumindest nicht weniger Probleme beinhalten, als die Unterscheidung von Gleichgewichts – und Wechselwirkungspaaren bei mechanischen
Kräften.
Angesichts dieser Schwierigkeiten, wird im Unterricht auf die Differenzierung
verzichtet, zumal die grundsätzliche Erkenntnis der Energieübertragungsvorgänge dadurch nicht beeinträchtigt wird. Die Gleichgewichtssituation wird aber gedanklich im
Unterricht des öfteren auch für die Schülerinnen und Schüler virulent. Es ist dann besondere Sorgfalt bei den Formulierungen zur Spannung anzuwenden, damit die oben
näher beschriebenen „Antriebsrichtungen“ für die Schülerinnen und Schüler nicht
durcheinander geraten.
2.3.6 Fachliche und semantische Probleme des
Widerstandsbegriffs
Die Ausführungen zu den didaktischen Grundlagen des Unterrichtskonzepts sollen
nicht abgeschlossen werden, ohne einen Blick auf die besonderen fachlichen und semantischen Probleme des Widerstandsbegriffs zu werfen. Der Begriff Widerstand
53
wird in der (deutschen) Fachsprache in verschiedenen Bedeutungsvarianten verwendet. Bekanntlich bezeichnet man mit dem Wort Widerstand sowohl bestimmte elektrische Bauteile („resistor“) als auch die physikalische Größe R (resistance). Die Differenzierung dieser beiden Bedeutungen wird didaktisch in der Regel bewältigt und
braucht hier nicht vertieft zu werden. Jedoch gibt es einige subtile didaktische Probleme im Zusammenhang mit den methodischen Verfahren zur Definition der physikalischen Größe R und mit den im Wortsinn des Begriffes Widerstand steckenden Vorstellungen. Diese beiden Problemfelder sollen uns eine kurze Betrachtung wert sein.
Die Definition der Größe Widerstand R = U/I erfolgt in der Regel im Zusammenhang
mit dem Ohmschen Gesetz. Dieses Vorgehen hat zahlreiche Entsprechungen bei anderen Größen der Physik. Man stellt fest, daß sich unter definierten Bedingungen
zwei Größen proportional zueinander verändern und damit einen konstanten Quotienten bilden. Dieser konstante Quotient wird dann als neue physikalische Größe definiert, wobei ihm eine Bezeichnung zugeordnet wird, deren Semantik möglichst den
Vorstellungen entspricht, die dem zur Definition führenden Vorverständnis entsprechen.25 Um die spezielle Problematik der der Definition der Größe R richtig erfassen
zu können, sollen zunächst zwei bekannte analoge Definitionen aus dem nichtelektrischen Bereich als Beispiele betrachtet werden:
In Systemen mit ruhenden Flüssigkeiten und Gasen herrscht ein Druck, der sich
als Zustand beschreiben läßt, in welchem das Medium eine Ausbreitungs – oder Ausweichtendenz o. ä. aufweist. Der Quotient F/A ist ein Maß zur Beschreibung dieses
Druckzustandes und wird deshalb zur Definition der Größe Druck herangezogen. Das
ist im allgemeinen unproblematisch, weil innerhalb ruhender Flüssigkeiten und Gase
dieser Quotient überall gleich groß ist. Der empirische Nachweis einer das System
charakterisierenden Konstanten, läßt die Zuordnung einer eigenen Bezeichnung auf
dem Weg einer Größendefinition sinnvoll erscheinen. Lernschwierigkeiten entstehen
allenfalls im Bereich der Semantik, weil der Wortsinn von „Druck“ nicht identisch ist
mit „flächenspezifischer Kraft“.
Schwieriger ist es bereits bei der Definition v = s/t für die Geschwindigkeit. Sie
wird durch die Analyse der gleichförmigen Bewegung gewonnen. Dieser Sonderfall
einer Bewegung kommt in der Praxis nur in Ausnahmefällen bzw. während sehr begrenzter Zeitspannen vor. Um die Geschwindigkeit eines realen bewegten Körpers
anzugeben, ist man in der Regel gezwungen, den Zeitpunkt zu berücksichtigen, in
dem er diese Geschwindigkeit aufweist. Dazu greift man auf die Möglichkeit zurück,
ihn nur über eine kurze Zeitspanne zu beobachten und seine „Momentangeschwindigkeit“ anzugeben. Sie wird durch den Quotienten vM = ds/dt ausgedrückt.
Für die meisten Körper ist der Quotient v = s/t eine reine Fiktion, die nur angibt, mit
welcher Geschwindigkeit sich ein Körper gleichförmig bewegen müßte, um die
Meßstrecke in der gleichen Zeit zurückzulegen, wie der real beobachtete Körper. Man
nennt diese oft zweckmäßige Fiktion bekanntlich Durchschnittsgeschwindigkeit vD.
Es besteht durchaus die Möglichkeit, daß der Körper, dem diese Durchschnittsge25
54
Siehe Kapitel 1.3.
schwindigkeit zugeschrieben wird, diese während keiner meßbaren Zeitspanne tatsächlich aufweist, sondern daß ihm lediglich viele verschiedene Momentangeschwindigkeiten real zugeordnet werden können.
Es ist leicht einzusehen, daß die Definiton des elektrischen Widerstandes in der Form
R = U/I dieselbe Problematik aufweist wie das Beispiel der Geschwindigkeitsdefinition v = s/t. In den meisten realen Fällen ist R keine Konstante, weil sich z. B. die Temperatur des Leiters ändert. Ähnlich wie bei der gleichförmigen Bewegung müssen die
Bedingungen spezifisch arrangiert werden, wenn man die aus der Theorie der Festkörper ableitbare Proportionalität zwischen Strom und Spannung tatsächlich in einem
größeren Stromstärkebereich beobachten will. Man braucht z. B. Konstantandraht, der
eigens die Eigenschaften durch die Produktion erhalten hat, die den als naturgegeben
dargestellten Zusammenhang nachweisbar machen.
R ist daher ebenso wie die Durchschnittsgeschwindigkeit in den meisten realen
Fällen eine Fiktion, die keineswegs eine Eigenschaft des Leiters in dem Sinne wiedergeben muß, daß sie dem Leiter unabhängig von äußeren Umständen zugeordnet
werden kann. Der real vorhandene Widerstand eines Leiters, wäre analog zur Momentangeschwindigkeit als differentieller Widerstand RM = dU/dI anzugeben. Leider verfügen wir im Schulunterricht nicht über ein Instrument zur Messung des differentiellen Widerstandes, wie es beispielsweise der Tachometer für die Momentangeschwindigkeit darstellt. Der differentielle Widerstandswert würde eine Körpereigenschaft bei
gegebener Strombelastung beschreiben. Er wäre jedoch vom Quotienten U/I verschieden.
Berechnet man mit der Beziehung R = U/I z. B. den Widerstand einer Lampe, so
erhält man einen Wert, den R de facto nur für ein einziges Stromstärke-SpannungsWertepaar aufweist, wobei dieser Wert noch zusätzlich von der Umgebungstemperatur abhängig ist. Ebensowenig wie es sinnvoll ist, einem Auto eine bestimmte Durchschnittsgeschwindigkeit als Fahrzeugeigenschaft zuzuordnen, die ja von sehr vielen
äußeren Parametern abhängig ist, kann man bei einer Lampe von ihrem Widerstand
sprechen. Dies wird besonders deutlich, wenn man z. B. fragt, was die Betriebsdaten
„4 V/0,3 A“ einer Glühlampe bedeuten. Die Antwort könnte etwa lauten: „Es ist eine
Spannung von 4 V erforderlich, um den Betriebsstrom 0,3 A durch die Lampe zu treiben“. Mehr steckt in den Gerätedaten nicht drin. Es ist überflüssig und irreführend,
darüber hinaus zu behaupten, die Lampe habe einen Widerstand von ca. 13 Ω. Denn
aus der Angabe „13 Ω“ läßt sich ohne zusätzliche Kenntnis des Betriebsstroms nichts
ableiten. Die Überprüfung der aus R = U/I formal gefolgerten Annahme, bei 13 V
würde ein Strom von etwa 1 A fließen, würde zu einem erwartungswidrigen Ergebnis
führen. Wenn aber die elektrischen Eigenschaften der Lampe ohnehin nur bei vorgegebenen Betriebsdaten festgelegt sind, wozu sollte dann die zusätzliche Angabe eines
Widerstandswertes nützlich sein?
Diese Überlegungen gelten für viele – vermutlich die meisten – Verbraucher in Energieübertragungsanlagen. Entweder ist die Widerstandsangabe sinnlos, weil sie ohnehin nur für ein konstruktiv bedingtes Strom – Spannungswertepaar gilt; oder die
Funktion der Geräte ist an eine bestimmte Spannung (z. B. 230 V) geknüpft, wobei
55
der Strom von verschiedensten Bedingungen abhängen kann, beispielsweise bei Elektromotoren von der Belastung, bei einer Stereoanlage von der Lautstärkeeinstellung, bei der Waschmaschine vom gerade ablaufenden Programmschritt usw. Im ersten Fall ist es aussagekräftig, von der Spannung zu reden, die für den Betriebsstrom
erforderlich ist, im zweiten Fall käme es mehr auf die Aussage an, daß die Betriebsspannung den jeweils erforderlichen Energiestrom hervorruft. Die physikalische Größe R – nicht dagegen die Vorstellung einer „Behinderung“ der Elektrizitätsströmung –
ist jedenfalls im Grundsatz für das Verständnis der Energieübertragung entbehrlich.
Es ist deshalb höchst fragwürdig, dem Quotienten R = U/I die herausragende Rolle zuzuschreiben, die er im traditionellen Unterricht hat. Zumindest ist einige Vorsicht
dabei geboten, diesen Quotienten bei üblichen Verbrauchern als Bauteileigenschaft zu
apostrophieren. Der Umstand, daß es auch in Energieübertragungsanlagen Verbraucher gibt, für die das Ohmsche Gesetz anähernd gilt (z. B. Heizgeräte), ist für sich genommen noch keine Rechtfertigung dafür, die Definitionsgleichung R = U/I im Unterricht zu behandeln. Die Untersuchung der Eigenschaften der Drähte von Heizgeräten
könnte aber zum Anlaß genommen werden, das Ohmsche Gesetz U ∼ I zu behandeln.
Für die Theoriebildung war dieses Gesetz ja von besonderer Bedeutung. Gegen eine
diesen Umstand würdigende unterrichtliche Behandlung soll hier natürlich keinesfalls
argumentiert werden.
Probleme der Differenzierung von Ohmschem Gesetz und Definitionsgleichung,
sowie Vorschläge und vergleichende Empfehlungen zur unterrichtlichen Behandlung
sind in der Schulbuchliteratur und in didaktischen Beiträgen ausführlich dargestellt
worden, so daß hier auf eine noch differenziertere Betrachtung verzichtet werden
kann.26
Die mit der Semantik des Wortes Widerstand zusammenhängenden Lernschwierigkeiten haben weit weniger Beachtung gefunden als die Differenzierung von Ohmschem
Gesetz, Widerstandsdefiniton und Bauteilbezeichnung. Dabei resultieren aus der Übertragung alltagssprachlicher Bedeutungen des Wortes „Widerstand“ auf die Situation im elektrischen Stromkreis Vorstellungen, die durchaus in Konflikt mit der Spannung an Verbrauchern geraten können. „Widerstand“ enthält zunächst semantisch
soetwas wie „entgegengerichet“. Es muß also ein gerichteter Vorgang o. ä. gedacht
werden, gegen den ein Widerstand entsteht oder ausgeübt wird. Soziale Widerstände
richten sich gegen gesellschaftliche oder politische Entwicklungen, die als solche diagnostiziert sind. Redet man vom Luftwiderstand, so ist damit meist die aktuell auf
einen bewegten Körper ausgeübte Kraft gemeint.
Verwendet man nun im elektrischen Bereich Formulierungen wie „der Strom erfährt einen Widerstand“, so wird eine aktuell wirkende „Hemmung“ assoziiert, die ein
Strom in einem Leiter erfährt. Diese „Hemmung“ entspricht aber vorstellungsmäßig
nicht der Größe R, sondern dem Betrag nach der ohmschen Spannung U = I·R und der
Richtung nach der elektromotorischen Kraft, wie dies im vorangehenden Kapitel er26
56
Einen guten Überblick zur Problematik und auch über relevante Literatur zu diesem Thema erhält
man in [1].
läutert wurde. Denn die Strömung wird – im stationären Zustand – in jedem Augenblick in dem Maße „gehemmt“, wie sie angetrieben wird. Dies steckt in der sogenannten „Maschenregel“, nach der die Summe aller „Spannungsabfälle“ gleich dem
„Spannungsanstieg“ in der Quelle ist.
Dem Luftwiderstand als geschwindigkeitsabhängiger Größe entspräche also im
elektrischen Fall betragsmäßig die Spannung I·R (bzw. die entsprechende elektromotorische Kraft) oder – bei induktiven Bauteilen (z. B. Motoren) – die nach der Lenzschen Regel induzierte Gegenspannung. Im Unterricht ist es daher nicht günstig,
sprachliche Ausdrucksformen zu verwenden, die mit der Vorstellung „Widerstand
bieten“ verbunden sind. Die zu diesem Bild gehörende physikalische Größe ist stets
eine Spannung. Semantisch deutet das Wort Widerstand weit mehr auf das Phänomen
einer der Quellenspannung entgegengericheten elektromotorischen Kraft hin als auf
die „Hinderniseigenschaft“ eines Bauteils, die quantitativ mit der Größe R erfaßt
wird. Die quantifizierbare Eigenschaft elektrischer Leiter, ein Hindernis für die Ladungsträgerbewegung zu sein, existiert unabhängig von einem tatsächlich fließenden
Strom. „Widerstand“ richtet sich aber gegen aktuelle Vorgänge, ist somit ohne tatsächlich fließenden Strom nicht vorhanden. Das Phänomen „Widerstand bieten“ ist
also nicht identisch mit der Eigenschaft „Hindernis sein“.
Zur Größe R würde von der Semantik her ein Begriff wie z. B. „Hindernis“ besser
passen. Wie groß dann die jeweils vom Hindernis R erzeugte „Hemmung“ I·R (!) ist,
hängt vom Strom ab, der durch das Bauteil getrieben werden muß. Will man verschiedene Hindernisse vergleichen, so kann dies durch den Vergleich der Spannungen
geschehen, die erforderlich sind, um einen vorgegebenen Strom durch die Bauteile zu
treiben. Man vergleicht also die „Hemmung“ (I·R) bei festgelegtem Strom um ein
Maß für das Hindernis zu haben. Nichts anderes geschieht durch die Definitionsgleichung.
I·R U
= ist ein Maß für die Höhe des „Hindernisses“.
Der Quotient R =
I
I
Es ist nicht die Aufgabe des allgemeinbildenden Unterrichts, die gewachsene Fachsprache zu ändern. Wohl aber müssen die Schwierigkeiten klar gesehen und didaktisch berücksichtigt werden, die aus dem Konflikt zwischen alltagssprachlicher Semantik und definitorischem Begriffsinhalt resultieren können. Im vorliegenden Fall
bedeutet dies die sorgfältige Verwendung des Begriffs Widerstand im Sinne einer
Bauteileigenschaft. Dies schließt Formulierungen wie „Widerstand bieten“, „Widerstand entgegensetzen“ o. ä. aus. Angesichts der oben dargelegten untergeordneten Bedeutung der Definitionsgleichung R = U/I in Energieübertragungsanlagen ist auch die
Überlegung nicht abwegig, die „ohmschen“ Bauteile und damit auch das Ohmsche
Gesetz und die Definition der Größe R erst dort zu besprechen, wo sie unentbehrlich
sind, nämlich in Anlagen zur Informationsübertragung, also in der Elektronik. Die
Beschreibung des Unterrichtsganges verzichtet daher auf die differenzierte Darstellung einer Einheit zur Definition der Größe R. Da dies andererseits von allen Lehrplänen gefordert wird, ist in der Abfolge der Unterrichtseinheiten die Stelle markiert und
57
kommentiert, an der die Behandlung in der üblichen Form erfolgen kann (→ Einheit 8
in Abbildung 9, S. 68).27
27
58
Siehe die ergänzenden Ausführungen in Kapitel 3.4.8, S. 132.
3
Energieübertragung durch Stromkreise –
ein handlungsorientierter Unterrichtsgang
3.1
EINFÜHRUNG IN DAS KAPITEL
In diesem Kapitel wird ein Unterrichtsgang zur Einführung in die Elektrik beschrieben, dessen vorrangiges Ziel der Aufbau konsistenter Vorstellungen über den Vorgang der Energieübertragung durch Stromkreise ist. Es handelt sich dabei um eine –
nicht die einzig mögliche – Konkretisierung der fachdidaktischen Überlegungen aus
den Kapiteln 1 und 2. Die Leitidee der Energieübertragung bildet den Rahmen, innerhalb dem jene Begriffe und Gesetze erarbeitet werden, die von den Lehrplänen für die
Sekundarstufe I als elementare Kenntnisse zur Elektrik ausgewiesen werden. Die
Fachbegriffe und die Gesetze des Stromkreises erhalten durch die methodische Akzentuierungen eine Semantik, mit deren Hilfe die Vorstellung erzeugt und gefestigt
wird, daß ein rundumlaufender Ladungsträgerstrom Energie von einem Ort zum anderen transportiert.
Die Probleme einer für Mensch und Umwelt verträglichen Energieversorgung gehören zu den großen Herausforderungen der Gegenwart und der nahen Zukunft. Die
damit verbundene vielseitige Betroffenheit des Einzelnen erleichtert die Aufgabe, den
Lernenden den Sinn der Beschäftigung mit dem Unterrichtsinhalt zu erschließen. Der
Aufbau eines subjektiven Sinngefüges für die Unterrichtsinhalte beinhaltet auch eine
ausgeprägte Handlungsorientierung als Maxime der methodischen Gestaltung. Damit
soll keinesfalls einer scheinbaren Dichotonomie zwischen „praktischem“ und „theoretischem“ Wissen Rechnung getragen werden, im Gegenteil: Ziel des Unterrichts ist
es, theoretisch-fachwissenschaftliche Zusammenhänge so aufzubereiten, daß ihre Bedeutung für die Lebenspraxis jederzeit sichtbar bleibt. Der Elektrikunterricht soll einen Beitrag zur Handlungsfähigkeit in den gesellschaftlichen und privaten Lebensbereichen der Schülerinnen und Schüler leisten, also die Fähigkeit und Bereitschaft zur
aktiven Auseinandersetzung mit Fragen, Problemen und Erfahrungen im angesprochenen Gegenstandsfeld fördern. Daß dies am ehesten gelingen kann, wenn schon im
Unterricht der Erfahrungsbezug psychisch und physisch hergestellt wird, also auch
„praktisches Tun“ ein wichtiges methodisches Gestaltungskriterium ist, braucht nicht
weiter betont zu werden.
Während in den meisten üblichen Lehrgängen zur Elektrizitätslehre, die elektrische Energie in einer gesonderten Unterrichtseinheit im Anschluß an die Behandlung
der Größen Strom, Spannung und Widerstand behandelt wird, ist es das Kennzeichen
des hier vorgeschlagenen Unterrichtsganges, den Energieumsatz in elektrischen Anlagen in möglichst vielen Unterrichtseinheiten – d. h. kontinuierlich und von Anfang
an – mit einem starken Bezug zu lebenspraktisch bedeutsamen Sachverhalten zu thematisieren. Möglichst oft soll dabei der Energiebedarf von Elektrogeräten, mit denen
auch die Schülerinnen und Schüler täglich umgehen, Ausgangspunkt und Ziel des Un59
terrichts sein. Da die Motivation der Mädchen nach allen vorliegenden Erfahrungen
und Berichten gerade in der Elektrizitätslehre auffallende Probleme bereitet, sollte auf
sie – wo immer möglich – z. B. durch die Auswahl der behandelten Geräte und lebensweltlicher Kontexte besondere Rücksicht genommen werden. (Es muß ja nicht
die Bohrmaschine sein, an der die Umwandlung elektrischer Energie in mechanische
besprochen und demonstriert wird. Das Küchenrührgerät erfüllt den gleichen Zweck.)
Dem didaktischen Konzept liegen zahlreiche Unterrichtsversuche und –
evaluationen aus den letzten 15 Jahren zugrunde. Methodische Schritte und vor allem
die experimentelle Präsentation haben manche „Metamorphose“ durchlaufen, bis sie
den hier dargestellten Stand erreicht haben. Eine wesentliche Schwierigkeit bestand in
der Entwicklung geeigneter Experimentiergeräte, insbesondere der handgetriebenen
Generatoren. Eine mittlerweile bewährte und im Hinblick auf die Konzeption optimierte Variante ist im Lehrmittelhandel erhältlich.28
Einen methodischen „Königsweg“ kann es nicht geben, wenn die situativen Lernbedingungen nicht als Störfaktoren, sondern als pädagogisch ernstzunehmende Voraussetzungen angesehen werden. Die Beschreibung des Unterrichtsgangs erfolgt deshalb
nicht in der Form eines „geschlossenen Curriculums“, sondern als noch auszugestaltendes didaktisches Rohmaterial. Es wird erforderlich sein, diesen „Rohling“ zu bearbeiten, gemäß den Erfordernissen, die sich von Klasse zu Klasse, Jahrgang zu Jahrgang, Schulart zu Schulart usw. ganz wesentlich verändern können; gemäß auch den
subjektiven pädagogischen Vorstellungen und den jeweiligen Lehrplananforderungen.
Die methodische Offenheit bedeutet auf der anderen Seite nicht, daß die Darstellung Lehrerinnen und Lehrer an den konzeptionellen „Schlüsselstellen“ allein läßt.
Dort, wo neue Wege beschritten werden, sind auch die methodischen Anregungen
und die Formulierungen der Unterrichtsziele weitgehend ausgestaltet. Dagegen werden Inhalte, deren Behandlung durch die besonderen Zielsetzungen nur wenig tangiert
wird, allenfalls im Hinblick auf ihre Einordnung in den Unterrichtsgang angesprochen. Ob ein Thema, wie beispielsweise der spezifische Widerstand, mehr oder weniger ausführlich oder auch gar nicht behandelt wird, ist für den dargestellten Unterrichtsgang solange unerheblich, als die Leitfrage des Unterrichts („wie wird die Energie übertragen“) nicht durch Details und Randprobleme „verschüttet“ wird.
Die Integrierbarkeit des Unterrichtsganges in die Lehrpläne mehrer Schularten und
Bundesländer wurde geprüft und in verschiedenen Varianten erprobt. Dabei bleiben
Probleme nicht aus; denn kaum ein Lehrplan ist in seinen übergeordeneten Zielsetzungen so spezifiziert, daß für den einführenden Elektrikunterricht das Konzept der
Energieübertragungssysteme als Richtschnur erkennbar im Vordergrund steht.29 An28
29
60
Fa. Gambke, CORNELSEN EXPERIMENTA, Holzhauser Str. 76, 13509 Berlin. Das Gerät trägt die
Firmenbezeichnung DYNAMOT. Die Firma bietet auch die auf den Generator abgestimmten Bauteile an, sowie weitere Lehrmittel, die im Zusammenhang mit der hier vorliegenden Konzeption
entwickelt bzw. in das Angebot aufgenommen wurden.
Es gibt allerdings einige aktuelle Lehrpläne in Deutschland, die eine Einführung des Energiebegriffs im Sinne einer Grundgröße schon in einer frühen Phase des Physikunterrichts vorsehen. In
diesem Fall bietet es sich an, Stromkreise als Systeme zur Energieübertragung zu behandeln.
dererseits fehlt dieser Aspekt auch in keinem Lehrplan. Ihn zur pädagogischen Leitidee zu machen, ist daher generell möglich.
Gegenüber den meisten konventionellen Unterrichtsgängen ergibt sich aus der
Betonung des Aspekts der Energieübertragung eine andere Abfolge der Unterrichtseinheiten (→ Abbildung 9, S. 68). Energetische Betrachtungen erfolgen notwendigerweise zeitlich nicht nach der Einführung der Begriffe Strom, Spannung und Widerstand, sondern begleiten diese oder gehen ihr jeweils voraus. In der Regel ist es jedoch möglich, durch eine Umschichtung der Unterrichtsinhalte innerhalb der behördlich eingeräumten Spielräume, die Lehrpläne effektiv umszusetzen.
Dort, wo der Energiebegriff in den Lehrplänen in einem späteren Schuljahr angesiedelt ist als die ersten Unterrichtseinheiten zur Elektrik, muß der vorgeschlagene
Unterrichtsgang etwas modifiziert werden. In diesen Fällen ist die Elektrik in den
Lehrplänen zweigeteilt. Der erste Teil in den früheren Schuljahren verlangt meist die
Begriffe Strom, Spannung und Widerstand, das Ohmsche Gesetz und die Gesetze der
Reihen- und Parallelschaltung. Außerdem werden unter dem Stichwort „Wirkungen
des elektrischen Stroms“ meist mehr oder weniger viele „Anwendungen“ qualitativ
besprochen. Die Aspekte der Energieübertragung werden erst in einem späteren
Schuljahr im Zusammenhang mit dem Wechselstromnetz quantitativ behandelt. Im
Kapitel 3.5 sind die grundsätzlichen Möglichkeiten der Einpassung des Konzeptes in
diese Lehrplanvarianten und die damit verbundenen Modifikationen näher erläutert.
Die Erprobung im Bereich der Realschulen Baden-Württembergs hat ergeben, daß die
zweigeteilte Anordnung des Lehrstoffs kein grundsätzliches Hindernis für die Umsetzung der Grundideen darstellt.
Unterrichtszeit ist immer (zu) knapp bemessen. Es wurde daher in den unterrichtlichen Erprobungen darauf geachtet, ob die zeitlichen Lehrplanvorgaben die Umsetzung des Konzepts beeinträchtigen. Es gibt aber bisher keine Hinweise darauf, daß
die Integration der Leitidee „Energieübertragung“ in den Lehrstoff eine Ausweitung
der Unterrichtszeit erfordert, im Gegenteil: Das in sich stimmige Begriffssystem
bringt soviel förderliche Redundanz in den Unterricht, daß manche quälende „Paukminute“ überflüssig wird.
3.2
VORBEMERKUNGEN
ZU EINIGEN BESONDERHEITEN DES
UNTERRICHTSGANGES
Für den Weg der Begriffsbildung Unterrichtsgang sind einige methodische DetailEntscheidungen von besonders prägender Bedeutung. Soweit diese „Feinheiten“ mehrere der unten dargestellten Unterrichtseinheiten übergreifen, werden in diesem Abschnitt vorab einige Begründungen und Hinweise gegeben.
Leider ist dieser Weg in den entsprechenden Lehrplänen nicht konsequent vorgesehen. Oft folgt
die inhaltliche Anordnung eher unterrichtlichen Traditionen als den durch die Überschriften und
Präambeln gesetzten Akzenten.
61
Aufbau energetischer Vorstellungen
Es wird davon ausgegangen, daß der Energiebegriff nicht innerhalb der Elektrik vermittelt wird, sondern im vorangegangenen Unterricht. Die meisten Lehrpläne sehen
dies in der Mechanik im Anschluß an den Arbeitsbegriff vor. Alternativ dazu gibt es
den Vorschlag, die Einführung nicht durch eine definitorische Ableitung aus anderen
Größen vorzunehmen, sondern durch erfahrungsmäßigen Umgang zu lernen, was mit
der Größe Energie gemeint ist. In diesen Fällen werden auch Unterrichtseinheiten
vorgeschlagen, die inhaltlich quer zur Struktur der traditionellen Einteilung physikalischer Stoffgebiete liegen.30
Die beiden genannten methodischen Hauptwege zum Energiebegriff sind gleichermaßen geeignet, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, elektrische Anlagen als
Systeme zur Energieübertragung zu verstehen. Es kommt jedoch unabhängig vom
methodischen Weg, auf dem der Energiebegriff eingeführt wird, darauf an, energetische Vorstellungen im Denken der Schülerinnen und Schüler zu verankern. Energie
und Energieumsätze müssen dazu in den Erlebnisbereich der Schülerinnen und Schüler gerückt werden.31 Was die Maßeinheiten „Joule“ bzw. „Watt“ in Bezug auf die
Erfahrungswelt der Schülerinnen und Schüler bedeuten, sollte durch möglichst viele
Beispiele und Aktivitäten vermittelt werden.
Ein lernpsychologisch sinnvoller Weg zu einer verständnisvollen Einordnung von
Zahlenwerten, die sich auf die Energie und auf Energieumsätze beziehen, beginnt bei
den subjektiven physiologischen Energieumsätzen. Einige Versuche zur körperlichen
Leistung sollten unbedingt zum Erfahrungsschatz aller Schülerinnen und Schüler gehören, z. B.:
• Die Schülerinnen und Schüler steigen (im Klassenverband) nach ihrem eigenen
Vermögen mindestens 5 Minuten lang auf ihre Stühle und wieder herab. Dabei
sollte die physische Anstrengung so dosiert werden, daß sie auch über eine Stunde durchzuhalten ist (Bergwanderung). Jeder zählt, wie oft er es in der vorgegebenen Zeitspanne schafft, seinen eigenen Körper um die Stuhlhöhe (ca. 0,5 m)
anzuheben. Daraus berechnen die Schülerinnen und Schüler ihren individuellen
Energieumsatz (Dauerleistung). Die Ergebnisse liegen in der Regel zwischen 100
und 200 Watt.
• Kurzfristig (d. h. während weniger Sekunden) ist der Mensch zu wesentlich größeren Leistungen fähig: Schülerinnen und Schüler messen gegenseitig (in Partnerarbeit), wie lange sie brauchen, um die Treppe im Schulhaus hochzurennen.
Die Höhe wird gemessen, die für jeden einzelnen erforderliche Energie und der
Energieumsatz werden berechnet (meist 500 – 800 Watt).
30
31
62
Siehe hierzu beispielsweise „Projektorientierter Unterrichtsvorschlag: Energie“ in den Nordrhein-Westfälischen Richtlinien für die Hauptschule [22] oder „Das Energiebuch“ von
Falk/Herrmann [10].
Siehe dazu Kapitel 1.3.3: Zur Rolle des Erfahrens und Erlebens.
•
Sportliche Schülerinnen und Schüler wenden das beschriebene Verfahren auf
Klimmzüge und Liegestützen32 an und ermitteln den Energieumsatz (körperliche
Spitzenleistung) bei ausschließlichem Einsatz der Oberkörpermuskulatur. Man
wird etwa 100 bis 200 Watt errechnen.
Aus unseren Messungen bei vielen Schülerinnen und Schülern in verschiedenen Situationen erhielten wir für körperliche Spitzenleistungen über einige Sekunden etwa
fünfach höhere Werte wie für Dauerleistungen über ca. 0,5 Stunden. Beträgt z. B. die
Spitzenleistung für Klimmzüge oder Liegestützen 200 W so liegt die Dauerleistung
beim Kurbeln an einer Getreidemühle mit einem Arm bei ca. 20 W (1/5 · 100 W). Dies
ist ein wichtiger Orientierungswert für den Betrieb des handgetriebenen Generators.
Es wäre beispielweise aus ergonomischen Gründen sinnlos, eine Maschine für Energieumsätze von 100 W für den Handbetrieb konstruieren zu wollen. Sie könnte höchstens sekundenlang bedient werden.
An den experimentellen Messungen am eigenen Körper kann z. B. angeknüpft werden, wenn die Energieaufnahme durch Nahrungsmittel besprochen wird. Sicher wird
es viele Schülerinnen und Schüler überraschen, daß sie den Energieverlust während
einer sehr anstrengenden Sportstunde (ca. 100 W physiologische Ausgangsleistung),
nach der sie schweißgebadet und total erschöpft in den Bänken der Umkleidekabine
„hängen“, durch eine Scheibe trockenes Brot oder durch 10 g Wurst wieder ausgleichen können. (ca. 250 kJ; berücksichtigt man den Wirkungsgrad des Körpers von ca.
25 %, so muß die über die Nahrung aufgenommene Energie etwa dem Vierfachen der
angegebenen Beträge entsprechen.)
An Beispielen aus allen möglichen Bereichen kann von diesen subjektiven Erfahrungswerten ausgehend auf größere gesellschaftlich relevante Energieumsätze hochgerechnet werden, z. B. indem man den mittleren Energiebedarf eines Autos über
100 km berechnet (ca. 400 000 kJ eingesetzte Treibstoffenergie entsprechend ca.
110 kW), den Jahresbedarf einer Familie (einer Stadt, eines Landes) an Heizenergie
ermittelt, oder indem man den „Pro-Kopf-Umsatz“ an kommerzieller Energie eines
Mitteleuropäers (Größenordnung 5000 W) mit dem Bewohner eines Entwicklungslandes (Größenordnung 200 W) vergleicht usw. Auch die im Jahresmittel auf einen
Quadrateter des Erdbodens eingestrahlte Solarenergie liegt in Deutschland in dieser
Größenordnung (ca. 120 W). Solche Überlegungen sollten immer wieder während des
gesamten Physikunterrichts angestellt werden, keinesfalls nur innerhalb einer einzelnen Unterrichtseinheit. Der Vergleich körperlicher Energieumsätze mit denen anderer
Systeme kann in den meisten Fällen eine hervorragende Veranschaulichung leisten.
Die Entwicklung des Verständnisses für die Bedeutung von Energieumsätzen wird in
den nachfolgenden Kapiteln für den Bereich der elektrischen Energie beschrieben.
Der entscheidende methodische Weg, nämlich von der subjektiven physischen und
psychischen Erfahrung ausgehend allmählich immer größere und komplexere Ener32
Da bei Liegestützen nicht der ganze Körper angehoben wird, stellt der Schüler bzw. die Schülerin
die Füße während der Messung auf eine Badezimmerwaage. Die dort angezeigte mittlere Masse
wird vom Körpergewicht abgezogen. Die mittlere Hubhöhe mißt man etwa im Schulterbereich.
63
gieversorgungsprobleme ins Blickfeld zu nehmen, läßt sich aber auf alle Gebiete der
Physik übertragen.
Energiestrom
Die Betrachtung der Energieübertragung durch Stromkreise legt den Energiestrom als
beschreibenden Begriff und als physikalische Größe nahe. Die Einführung der Vorstellung von strömender Energie, sei es nun zunächst nur qualitativphänomenologisch oder quantitativ-definitorisch (als Quotient Pstr = W/t), braucht natürlich nicht notwendigerweise erst im Elektrikunterricht zu erfolgen. Je nach den
(lehrplanbedingten) Voraussetzungen leistet das Bild vom kontinuierlichen Energietransport auch in vielen anderen Teilgebieten gute Dienste. „Energiefluß-Diagramme“
begegnen den Schülerinnen und Schülern auch außerhalb des Physikunterrichts, und
die Zuordnung einer entsprechenden physikalischen Größe empfiehlt sich im Zusammenhang mit der Einführung des Energiebegriffs. Dazu liegen z. B. mit dem „Energiebuch“ von FALK/HERRMANN zahlreiche gute Anregungen vor [10].
Aber auch dann, wenn man den Energiestrom nicht wie FALK/HERRMANN zu einem durchgängigen Konzept des gesamten Physikunterrichts aufwerten will, bietet er
zumindest innerhalb der Elektrizitätslehre die Möglichkeit, Mehrdeutigkeiten des
Strombegriffs – insbesondere den scheinbaren Widerspruch zwischen Alltags- und
fachsprachlicher Verwendung – sinnvoll aufzuklären.33
Handgetriebene Generatoren
Bei der Auswertung früherer Unterrichtsprojekte hat sich gezeigt, daß die vorrangige
Verwendung von Batterien als Quellen den Aufbau der Stromkreisvorstellungen beeinträchtigt. Mehrere Monate nach Abschluß eines entsprechenden Unterrichtskonnten wir mehrfach in Interviews und Tests zeigen, daß sich bei relativ vielen Schülerinnen und Schülern die Batterie als „Behältnis für den Strom“ – gewissermaßen als
„Elektronenfaß“ – im Vorstellungsgefüge festgesetzt hatte. Dies konnte offenbar auch
durch eine explizite Besprechung der Funktion der Batterien (Pumpe in einem geschlossenen Kreislauf) im Unterricht nicht durchgängig verhindert werden. Die alltägliche Redeweise von „vollen“ und „leeren“ Batterien, vom „Strom, der aus der Batterie kommt“ (aber nicht in sie hineinfließt!), die Evidenz, daß eine „leere“ Batterie tatsächlich „nichts mehr hergibt“ usw., sind weitaus vorstellungsprägender, als es die
wenigen Aussagen einiger Fachunterrichtsstunden sein können. Dazuhin bleibt gerade
bei Batterien die simultan zum Verbrauch erforderliche Energieumwandlung in der
Quelle der Sinneswahrnehmung verborgen. Dies erschwert es sehr, die Verbrauchsvorstellung bei der Batterie mit der Umwandlung von nichtelektrischer in elektrische
Energie zu verknüpfen.
Verwendet man statt Batterien Netzgeräte, so kann man wenigstens noch darauf
verweisen, daß sich die Scheibe des „Stromzählers“ zu drehen beginnt, sobald ein
Verbraucher angeschlossen ist. Energetische Vorstellungen sind damit aber noch nicht
verbunden, auch wenn die Schülerinnen und Schüler darüber informiert werden, daß
33
64
Siehe dazu Kapitel 2.1.2 und 2.2 .
der Zähler im Haushalt Energie mißt. Die Beobachtung einer drehenden Scheibe erzeugt für sich genommen noch keine Erfahrung von Energieumsätzen im oben ausgeführten Sinne.34
Versuche mit Solarzellen und Thermoelementen zeigen schon deutlicher, daß
quellenseitig etwas getan werden muß, wenn der Stromkreis seine Aufgabe erfüllen
soll. Die Einsatzmöglichkeiten bleiben aber auf wenige Experimente mit geringem
Energieumsatz beschränkt.
In diesen Erfahrungen wurzelt die Idee, als Energiequelle handgetriebene Generatoren zu verwenden. Die ersten Versuche mit Fahrradlichtmaschinen waren bereits
vielversprechend. Das physische Erleben unterschiedlicher Energieumsätze war jedoch wenig ausgeprägt, weil praktisch nur Verbraucher mit geringer Leistung angeschlossen werden können. Der Einsatz blieb auch punktuell, weil quantitativem Arbeiten aus technischen Gründen enge Grenzen gesteckt sind.35
Die in der Folge entwickelten Generatoren ermöglichen es, daß die Schülerinnen
und Schüler im Unterricht die elektrische Energie für die meisten Experimente selber
erzeugen. Dadurch treten auch Zusammenhänge in den Erlebnisbereich, die sonst in
der Batterie, im Netzgerät oder hinter der Steckdose verborgen bleiben. Die zentralen
Experimente des Unterrichtsganges sind in der Dimensionierung auf die entwickelten
Generatoren abgestimmt. Damit diese ihre didaktische Funktion erfüllen können,
müssen sie vielfachen Anforderungen genügen:
• Im Handbetrieb sollen Spannungen bis zu maximal 8 V erreichbar sein. Bei einer
physiologisch angenehmen Drehzahl der Kurbel (ca. 2 Umdrehungen/Sek.) soll
die Spannung 3–4 V betragen. Damit können die meisten unterrichtsüblichen
Glühlämpchen betrieben werden. Die weit verbreitete 4 V-Serie ist auch dann
noch kaum gefährdet, wenn Schülerinnen und Schüler „testen“, was die Lampe
aushält.
• Der Generator muß kurzschlußfest sein. Die im Kurzschlußbetrieb auftretenden
Kräfte an der Kurbel dürfen das Gerät auch mechanisch nicht gefährden.
• Der Generator muß Energieumsätze ermöglichen, die physiologisch deutlich
wahrnehmbare Antriebsleistungen erfordern. Diese liegen im Bereich von etwa
2 W bis 30 W (Obergrenze der mit einer Hand aufzubringenden Leistung im
Kurzschlußbetrieb). Eine Strombelastung bis zu 10 A soll daher kurzzeitig mög-
34
35
Gleichwohl ist ein viel häufigerer Einsatz des Wechselstromzählers sinnvoll, als dies üblicherweise im Physikunterricht geschieht. Erstens mißt der Zähler die für private Elektrizitätsanwendungen wichtigste Größe, nämlich die Energie und damit die Kosten. Zweitens ist er das einzige
Meßgerät für elektrische Stromkreise, das in jedem Haushalt vorhanden und daher jeder Schülerin und jedem Schüler auch außerhalb des Unterrichts zugänglich ist. Siehe hierzu auch die methodischen Hinweise bei der Unterrichtseinheit 1 auf S. 76.
Fahrraddynamos werden unter Belastung in der Nähe der magnetischen Sättigung des Eisenkernes betrieben, damit bei schneller Fahrt die Lämpchen nicht durchglühen. Dadurch läßt sich die
Spannung nicht linear zur Drehzahl und nur bis zu einem Grenzwert steigern. Der damit verbundene hohe Innenwiderstand bewirkt auch, daß mit wachsendem Strom die Klemmenspannung
rasch sinkt.
65
•
lich sein. Die Reibung im Gerät muß so gering sein, daß Änderungen des Energiestroms um 2 W fühlbar sind.
Der Innenwiderstand des Generators muß besonders niedrig sein. Dadurch wird
erreicht, daß die Spannung fast ausschließlich von der Drehzahl und nicht von der
Belastung abhängt, wogegen der Strom praktisch nur proportional zum Drehmoment an der Rotorwelle ist.
Abbildung 7: Der handgetriebene Generator (DYNAMOT der Firma Cornelsen Experimenta;
→ Fußnote 28)
Diese Anforderungen erfüllt eine Kombination aus einem robusten Spielzeugmotor
mit einer maximalen Nennleistung von ca. 60 W und einem reibungsarmen Stirnradgetriebe (Abbildung 7). Der Gleichstrommotor hat einen rotierenden Anker mit Kollektor und einen Permanentmagneten als Stator. Die Spannung im Generatorbetrieb
ist weitgehend proportional zur Drehzahl. Das Drehmoment wächst etwa proportional
zur Stromstärke. Das Getriebe bewirkt eine Drehzahlübersetzung von ca. 1 : 33 und
hält an der Abtriebswelle einem Drehmoment von 300 Ncm stand. Das Gerät wird mit
einer Tischklemme an den Experimentiertischen befestigt. Die Handkurbel kann gegen eine Schnurwelle ausgewechselt werden. Dadurch ist auch ein Betrieb als Gleichstrommotor möglich.
Betreibt man das Gerät als Motor, so bietet es erhebliche Vorteile gegenüber „ohmschen“ Widerständen: Belastet man die Motor- bzw. Getriebewelle mit unterschiedlichen Drehmomenten, so ändert sich dabei der Strom bei konstanter Spannung. Andererseits ist die Drehzahl in weiten Grenzen nur spannungsabhängig. Der Energieumsatz läßt sich daher ohne Änderung des Stroms variieren. Diese Möglichkeit, den Energiestrom in Abhängigkeit von nur einer Variablen zu untersuchen, bieten „ohmsche“ Verbraucher nicht, weil sich mit der Spannung auch der Strom ändert.
66
Glühlampen
Am Generator ist der Leistungsbereich zwischen 4 W und 20 W physiologisch gut
wahrnehmbar. Daher sind Lampen mit 4 V/1 A für viele Experimentierschaltungen
gut geeignet. Aber auch die 6 V/5 A-Lampe aus einer Experimentierleuchte kann noch
an den Generator angeschlossen werden. Das Drehen der Handkurbel ist dann allerdings bereits sehr beschwerlich. Die Spannung am Generator nimmt oberhalb von 2 A
auch bereits so deutlich ab, daß Meßversuche in diesem Bereich fragwürdig werden.
Die Getriebeübersetzung des Generators ist so gewählt, daß Glühlampen der 4 V–
Serie bei der bequemsten Drehzahl betrieben werden können. Ein geeigneter Satz
farblich gekennzeichneter Lämpchen mit E 10–Gewinde zwischen 4 V/0,04 A und
4 V/1 A sowie mit einigen anderen Spannungswerten ist im Lehrmittelhandel erhältlich (→ Fußnote 28).
Wasserkreislauf als Analogiemodell
Beim Aufbau der „Kreislaufvorstellung“ ist auch ein Wasserkreislauf als Analogiemodell hilfreich,
bei dem mit einer handgetriebenen
Pumpe eine Wasserströmung erzeugt wird (Abbildung 8). Diese
treibt z. B. eine Turbine an. Wir
haben mit „Wassermodellen“ im
Unterricht teilweise gute Erfahrungen gemacht. Eingesetzt wurden
geschlossene Kreisläufe mit handgetriebener Impellerpumpe in zwei
Varianten:
Abbildung 8: Handgetriebener Wasserkreislauf mit
Pumpe und Turbine
Einmal fungiert eine Turbine als Analogon zum Motor und einmal ein dünner
Schlauch als „Verbraucher“, der das Analogon zum dünnen Draht einer Lampenwendel darstellt (Abbildung 23, S. 92). Der Eigenbau derartiger Kreisläufe ist relativ aufwendig. Besonders gut funktionierende Turbinen erfordern feinmechanische Arbeit.
Im Lehrmittelhandel erhältliche, vergleichbare Systeme sind recht teuer. Aus diesem
Grunde, aber auch wegen einiger didaktischer Ambivalenzen, hat der Einsatz dieser
Kreisläufe als Anschauungsmittel in unseren Unterrichtsversuchen in den letzten Jahren an Bedeutung verloren. Die Vorteile dieser Veranschaulichung, die Grenzen des
„Wassermodells“ und didaktische Gefahren sind bei den Unterrichtseinheiten dargestellt (→ vor allem S. 95 ff).
67
3.3
ÜBERBLICK ZUR ABFOLGE DER
UNTERRICHTSEINHEITEN
1 Wozu dienen elektrische Anlagen?
Energieübertragung als Zweck von Stromkreisen. Stoffkreisläufe erzeugen Energieströme.
Der Energiestrom als physikalische Größe. Erleben von Energieumsätzen, z. B. an handgetriebenen Generatoren. Der rundumlaufende
‘elektrische Riemen’ als Hypothese.
2 Was kann sich in elektrischen Leitern
bewegen?
Strom als bewegte Elektrizität. Vorstellungen
vom Aufbau der Materie m. H. elektrostatischer Versuche. Elektronenstrom als rundum
laufender ‘Treibriemen’, der den linearen Energiestrom erzeugt.
3 Wie kann man Elektronen anschieben?
Möglichkeiten, Elektrizitätsströme zu erzeugen
(phänomenologisch). Z. B. mit Licht (Solarzelle), mechanischer Energie (Spule und bewegter Magnet), Wärme (Thermoelement), chemischen Vorgängen (galvanisches Element).
4 Einführung der Strommessung
Strom als Maß für die Elektronenzahl pro Zeiteinheit. Vergleich, bzw. Messung von Strömen.
Übung der Strommessung.
5 Elektronenstrom und Energietransport
Unterschiedlich große Elektrizitätsströme erzeugen unterschiedliche Energieströme, wenn
alle Elektronen gleich stark angetrieben werden.
Parallelschaltung und Knotenregel.
6 Vorstellung zur Quellenspannung
Gleich große Elektrizitätsströme erzeugen unterschiedliche Energieströme. Spannung als
Maß dafür, wie stark die einzelnen Elektronen
angetrieben werden.
7 Spannung an Leitern
Widerstandsvorstellung
Die Spannung zwischen zwei beliebigen Stellen im Stromkreis als Maß dafür, wie stark jedes Elektron angetrieben werden muß. Teilspannungen in der Reihenschaltung. Maschenregel.
8 Ohmsches Gesetz
Widerstandsdefinition und die Gesetze bei
kombinierten Widerständen (didaktische Hinweise).
9 Berechnung von Energieumsätzen
Die Definition der el. Spannung
U = P/I. Quantitative Betrachtung von Energieumsätzen unter wirtschaftlichen und ökologischen Gesichtspunkten.
10 Von Oerstedt zum Elektromotor
Elektromagnetismus, Motor und andere Anwendungen (didaktische Hinweise).
11 Von Faraday zum Transformator
Induktion, Selbstinduktion, Transformator,
Generator, Energieübertragung im Verbundsystem (didaktische Hinweise).
Abbildung 9: Überblick zur Abfolge der Unterrichtseinheiten
Die Übersicht in Abbildung 9 zeigt die Abfolge des Unterrichts in thematischen Einheiten. Die kurzen Inhaltsangaben sind im Kapitel 3.4 in unterschiedlicher Ausführlichkeit erläutert. Die dick umrandeten Einheiten sind konstitutiv für den vorgeschlagenen speziellen methodischen Weg. Sie werden daher in der notwendigen Differenziertheit beschrieben.
Bei den dünn umrandeten Einheiten wird auf eine detaillierte Darstellung verzichtet; entweder, weil sich zu der jeweiligen Einheit traditionelle und gleichwertige
methodische Alternativen herausgebildet haben (z. B. bei der Strommessung), von
68
denen für diesen Unterrichtsgang keine besonders favorisiert zu werden braucht, oder
weil die entsprechenden Inhalte in den Lehrplänen in sehr unterschiedlicher Weise
und Ausführlichkeit verankert sind (z. B. Induktion und Transformator), so daß ein
methodischer Weg ohnehin nur begrenzt umsetzbar wäre. Bei diesen Einheiten beschränkt sich die Darstellung auf didaktische und methodische Anregungen, die zu
einer Abrundung und Stabilisierung der Gesamtkonzeption führen sollen.
3.4
BESCHREIBUNG DER
UNTERRICHTSEINHEITEN
Die folgenden Erläuterungen beziehen sich auf die nummerierten Unterrichtsabschnitte der Übersicht in Abbildung 9, S. 68. Die letzte Ziffer der Unterkapitel entspricht
der Nummer der Einheit in Abbildung 9.
Die Beschreibung der Unterrichtseinheiten ist keine Darstellung des Verlaufs
einzelner Unterrichtsstunden. Vielmehr umfassen die Einheiten in der Regel mehrere
Unterrichtsstunden, deren Zahl erheblich variieren kann, je nach inhaltlicher Gewichtung einzelner Aspekte, nach den Anteilen informierenden und erarbeitenden Unterrichts u. v. m. Aus diesem Grund sind die Unterrichtseinheiten nicht in Phasen einzelner Unterrichtsstunden gegliedert wie z. B. Einstieg, Hypothesenbildung, Erarbeitung, Ergebnissicherung o. ä. Stattdessen wird der Unterrichtsgang in einer thematisch
gegliederten Abfolge des angestrebten Erkenntnisfortschrittes dargestellt. Gleichwohl
werden – der didaktischen Anschaulichkeit wegen – auch Hinweise zur möglichen
methodischen Gestaltung einzelner Abschnitte gegeben. Die Ausführlichkeit der Beschreibung hängt jeweils vom Grad der Neuartigkeit der methodischen Vorschläge ab.
Die Beschreibung jeder Unterrichtseinheit erfolgt in drei Abschnitten:
A
Unterrichtsziele: Dieser Abschnitt enthält eine Beschreibung der inhaltlichen
Ziele der Einheit, aus der auch der Zusammenhang mit der übergeordneten pädagogischen Leitidee der Energieübertragung hervorgeht. Die Zielformulierungen folgen keiner Taxonomie, enthalten also auch keine hierarchische Stufung. (Dies würde ja eine konkrete und spezifizierbare pädagogische Situation
voraussetzen und damit der erforderlichen und angestrebten Offenheit entgegenstehen.) Die Ziele sollen eine schnelle Orientierung über den Sinn der Einheit und ihre Inhalte liefern.
B
Unterrichtsweg: Hier werden die wesentlichen methodischen Unterrichtsschritte für die entsprechende Einheit beschrieben.
Methodische Details wie Sozialformen, Experimentierhinweise, Ergebnissicherungen u. ä. fließen in dem Maße in die Beschreibung mit ein, wie dies zur
Veranschaulichung des Unterrichtsablaufes erforderlich erscheint. Die Offenheit für Alternativen und inhaltliche Erweiterungen soll durch diese Konkretisierungen nicht beeinträchtigt werden.
C
Didaktische, fachliche und technische Anmerkungen: Besonders diskussionsbedürftige methodische Schritte, fachliche Zusammenhänge, pädagogische
69
und technische Schwierigkeiten werden hier ergänzend zu den Ausführungen
der Kapitel 1 und 2 kommentiert. Teilweise geschieht dies durch den Verweis
auf Textstellen in anderen Abschnitten oder in der Literatur.
3.4.1 Wofür dienen elektrische Anlagen?
A
•
•
•
•
•
B
Unterrichtsziele
Den Schülerinnen und Schülern soll bewußt werden, daß die alltäglichen elektrischen Anlagen im wesentlichen zwei Aufgaben erfüllen: Sie dienen der Befriedigung unseres Bedarfs an Energie (z. B. Lampen, Heizquellen, Motoren) und an
Information (z. B. Rundfunk, Fernsehen, Telefon, elektrische Uhren, Computer).
Die Schülerinnen und Schüler sollen wissen, daß die verbreitete Anwendung elektrischer Anlagen eine Errungenschaft des 20. Jahrhunderts darstellt und historisch gesehen zunächst der Energieübertragung und Energieumwandlung dienten.
Die Struktur einer Energieübertragungsanlage soll den Schülerinnen und Schülern in der Form bekannt sein, daß diese Anlagen aus zwei Energiewandlern
(„Erzeuger“ und „Verbraucher“) und einem Übertragungsweg bestehen.
Die Schülerinnen und Schüler sollen die Strukturmerkmale der elektrischen Energieübertragung auch in anderen (nichtelektrischen) Energieübertragungssystemen erkennen. Aus der Analogie elektrischer und nichtelektrischer Anlagen zur
Energieübertragung soll die Hypothese entwickelt werden, daß die Energieübertragung in Stromkreisen durch ein rundum laufendes „Mittel“ bewirkt werden
könnte.
Der Energiebedarf einer Lampe (10–30 Watt) soll erlebnishaft mit physiologischen Eindrücken verknüpft werden, indem die Schülerinnen und Schüler die erforderliche elektrische Energie mit dem handgetriebenen Generator erzeugen.
Unterrichtsweg
Ba Wozu brauchen wir elektrische Anlagen?
Die Schülerinnen und Schüler bekommen beispielsweise die Aufgabe, in Gruppen –
oder Partnerarbeit zu sammeln, welche elektrischen Anlagen und Geräte sie kennen
und wozu diese dienen. Dabei können den Gruppen verschiedene Anwendungsbereiche zugeordnet werden, z. B. privater Haushalt, Freizeitbereich, Industrie und übrige
Arbeitswelt, öffentliche Einrichtungen (Verkehrsnetz, Nachrichtensysteme, Krankenhäuser, Stadt als Lebensraum). Die Aufgabe erhält einen besonderen Reiz, wenn sie
um die Frage erweitert wird, wie das Leben ohne die jeweilige Einrichtung aussehen
würde, und wie die entsprechenden Anwendungen der Elektrizität vor deren technischer Nutzung bewältigt worden sind.
Die von den Schülerinnen und Schülern erarbeiteten Beispiele für „Verbraucher“
werden im Klassengespräch in zwei Gruppen eingeteilt: auf der einen Seite die „elektrischen Sklaven“, die für uns arbeiten oder uns mit Licht und Wärme versorgen
70
und auf der anderen die „Transportmittel für Kultur“, die das Wissen über das Weltgeschehen verbreiten, unserer Unterhaltung dienen, und die es ermöglichen, daß sich
die Menschen um die ganze Erde herum verständigen können. Die erste Gruppe der
Geräte versorgt uns mit Energie36, die zweite Gruppe dient der Übermittlung von Information.37
Bb Gemeinsame Elemente elektrischer Anlagen
Die Schülerinnen und Schüler werden erfahrungsgemäß als Ergebnis der Gruppenarbeit vorwiegend die „Verbraucherseite“ beschreiben. (Beispiele: Elektrisches Licht
vs. Gasbeleuchtung, elektrische Waschmaschine vs. Waschkessel und Waschbrett,
Dampflokomotive vs. elektrische Eisenbahn usw.) Der Übertragungsweg und die „Erzeugerseite“ liegen weniger im Blickfeld. Dies kann im Klassengespräch nachgeholt
werden. Es bietet sich z. B. an, die technischen Voraussetzungen zu diskutieren, die
geschaffen werden mußten, bevor bestimmte Anwendungen realisiert werden konnten, beispielsweise:
• Vor einer Verbreitung des elektrischen Lichtes und anderer Haushaltsgeräte mußten „Kraftwerke“ gebaut und über ein Leitungsnetz mit allen Häusern verbunden
werden.
• Vor der Versorgung der Bevölkerung mit Rundfunk – und Fernsehsendungen
mußten Sendestationen gebaut und Übertragungswege erschlossen werden.
• Vor der elektrischen Beleuchtung der Autos und Fahrräder mußten die Lichtmaschinen (Dynamos) erfunden werden. Bis dahin mußte man sich z. B. mit Carbidlampen als Scheinwerfer behelfen. (Es werden entsprechende Bilder alter Autos
gezeigt.)
• Vor der Verbreitung von Taschenlampen, Walkmen, tragbarer Radiorecorder
usw. mußten Batterien erfunden werden.
Auf der Grundlage dieser Erörterung ist es dann möglich, die drei Strukturelemente
elektrischer Anlagen zu benennen: Erzeuger (Quelle), Übertragungsweg, Verbraucher. In dieser Phase kann die Schemadarstellung nach Abbildung 2, S. 34 erarbeitet
werden. Aus lernpsychologischen Gründen ist es sinnvoll, einige Anlagen in prototypischer Form zur Veranschaulichung aufzubauen. Dabei sollten vor allem auch verschiedenartige Quellen zum Einsatz kommen.
Elektrische Anlagen dienen also der Übertragung von Energie oder Information.
Jedoch werden auch Rundfunkgeräte warm, Fernsehgeräte und Computerbildschirme
strahlen Licht ab, Lautsprecher lassen eine Membran, das Trommelfell oder sogar die
Fensterscheiben vibrieren. Zur Übermittlung von Information wird immer auch Energie benötigt. Daher spielt die Energieübertragung in allen elektrischen Anlagen eine
wichtige aber unterschiedliche Rolle. Bei den Anlagen, die ausschließlich der Energieübertragung dienen, ist es wichtig, möglichst viel von der Energie, die im Erzeuger
zugeführt wird, beim Verbraucher in der gewünschten Form zur Verfügung zu haben.
36
37
Zu den Voraussetzungen, die hier bezüglich des Energiebegriffs gemacht werden, siehe oben, ab
S. 62.
Zum Informationsbegriff siehe Abschnitt C.
71
Bei der Informationsübertragung geht es dagegen meistens darum, die Information
mit möglichst wenig Energie zu übermitteln (→ dazu Abschnitt C).
Den Schülerinnen und Schülern wird mitgeteilt und begründet, daß sich der Unterricht zunächst vorwiegend mit der Energieübertragung befaßt. Die Informationsübertragung erfolgt heute überwiegend mit sogenannten elektronischen Geräten und
ist daher (später) Gegenstand der Elektronik.
Die Begriffe Erzeuger und Verbraucher sollten entsprechend den Erläuterungen auf
S. 36 erklärt werden. Dabei wird auch die Energieumwandlung in den beiden Energiewandlern besprochen. Elektrische Energie wird aus anderen Energieformen als
solche erzeugt und sie „verschwindet“ im Verbraucher als elektrische Energie auch
wieder, um je nach angeschlossenem Gerät in einer anderen Energieform zu erscheinen. Die Begriffe Erzeugung und Verbrauch beziehen sich auf die Energie in einer
bestimmten Form (→ dazu die Ausführungen auf S. 36).
Bc Energieübertragung durch Kreisläufe
Im Klassengespräch wird die
Einsicht in die allgemeine
Struktur erarbeitet, daß Energie mit Hilfe von Stoffkreisläufen transportiert werden
kann. Man führe zur UnterQuelle Energiestrom
Verbraucher
stützung ein mit einem Fön
angeblasenes Windrad und
ein Wasserrad vor. Dabei
kommt es darauf an, den
sichtbaren Ausschnitt des
Abbildung 10: In vielen Fällen wird Energie durch ein im
Kreis strömendes Mittel von einer „Energiequelle“ zu einem Geschehens gedanklich zum
„Energieverbraucher“ transportiert
notwendig
geschlossenen
Kreislauf zu ergänzen.
Oft werden lehrplanmäßig bereits aus der Wärmelehre Kenntnisse zu solchen Kreisläufen vorhanden sein, z. B. Warmwasserheizung, Kühlmedien in Kühlschränken oder
Wärmepumpen, Passatwinde, Raumluftzirkulation, Meeresströmungen u. ä.
Aber auch wenn die Wärmelehre nicht vorangegangen ist, läßt sich die Struktur
nach Abbildung 10 erarbeiten. Geeignete Anknüpfungspunkte können die o. g. Demonstrationen oder Bilder von Windmühlen und Wasserrädern sein (Abbildung 11).
Damit ein Windrad angetrieben wird, muß „ein Wind gehen“, es muß also Luft zirkulieren. Der von der Sonne in Gang gehaltene Kreislauf der Luft überträgt Energie aus
erwärmten Zonen der Atmosphäre. Bei Wasserrädern liegen die Verhältnisse ähnlich.
Auch hier ist es der Wasserkreislauf, der Sonnenenergie aus den Verdunstungs – in
die Niederschlagsgebiete transportiert.
72
Abbildung 11: Auch
Windmühlen und Windgeneratoren beziehen
die umgewandelte Energie über zirkulierende „Mittel“
Bilder und Beschreibungen von Fabriken aus dem Ende des 19. Jahrhunderts (oft in
Geschichts – und Gemeinschaftskundebüchern enthalten!) stellen den Zusammenhang
dieser allgemeinen Überlegungen mit den Vorgängen in technischen Anlagen zur Energieübertragung her. Die Fabrikhallen waren voll mit Transmissionen und rundumlaufenden Riemen, die zu den verschiedenen Maschinen führten. Außerhalb der Fabrikhalle wurde als Energiequelle eine Dampfmaschine eingesetzt, die über einen Riemen die erste Transmissionswelle antrieb.
An einer Spielzeugdampfmaschine kann die Energieübertragung durch eine mechanische Riementransmission im Demonstrationsversuch gezeigt werden. Gewöhnlich wird ein Schüler bereit sein, seine Spielzeugdampfmaschine38 für den Unterricht
zur Verfügung zu stellen (Abbildung 12). Es wird herausgestellt, daß die Energie, die
an den Maschinen zur Verfügung steht, aus der Verbrennung in der Feuerstelle der
Dampfmaschine stammt und durch rundumlaufende Riemen übertragen wird.
Abbildung 12: Die
mechanische Energieübertragung von
der Spielzeugdampfmaschine über
eine Riementransmission zum Verbraucher
Als Fazit dieses Unterrichtsabschnittes wird die Einsicht festgehalten, daß ein im
Kreis strömendes „Mittel“ Energie von der Quelle zum Verbraucher übertragen kann.
Unabhängig von der Erscheinungsform des zirkulierenden „Mittels“ (Riemen, Luft,
Wasser, Kette u. ä.) erzeugt der Kreislauf einen kontinuierlichen Energietransport.
Vom Erzeuger zum Verbraucher strömt also Energie.
38
Siehe dazu die technischen Hinweise in Abschnitt C.
73
Abbildung 13: Die
elektrische Energieübertragung vom
Generator zum Verbraucher. Ob es
auch hier einen rundlaufenden „Riemen“
zwischen Generator
und Motor gibt?
Nun überspringen wir einige Jahrzehnte der Geschichte: An die Spielzeugdampfmaschine wird ein robuster Gleichstrommotor (ohne Getriebe) in der Funktion eines Generators angeschlossen. Der Generator wird über eine längere Leitung mit einem anderen Spielzeugmotor verbunden, der eine „Maschine“ betreibt (Abbildung 13). Das
Prinzip ist offenkundig noch gleich wie in Abbildung 12, jedoch ist kein rundumlaufender Riemen mehr zu erkennen.39
Vor dem Hintergrund der oben genannten Beispiele für die Grundstruktur, daß
Energie durch zirkulierende Mittel übertragen wird, ist es aber naheliegend, auch in
diesem Fall eine Art Riemen zu vermuten, der sich unsichtbar in den Verbindungsdrähten bewegt.
In der Regel werden Schülerinnen und Schüler – teilweise auch wegen ihres
Vorwissens über Stromkreise – an dieser Stelle entsprechende Vermutungen entwickeln. Die Idee bleibt zunächst als Hypothese stehen, die vom Erscheinungsbild her
zwar naheliegt, aber keineswegs durch diese Experimente beweisbar ist. (Ob es einen
„elektrischen Riemen“ gibt, und was man sich gegebenenfalls darunter vorzustellen
hätte, ist Gegenstand der nächsten Unterrichtseinheit.)
Die Demonstration wird um die Mitteilungen erweitert, daß moderne „Dampfmaschinen“ heutzutage als riesige Dampfturbinen in Kraftwerken ihren Dienst tun. Die
zentrale Versorgung der Bevölkerung durch wenige große Kraftwerke erfordert auch
große Übertragungsstrecken. Bei elektrischen Anlagen kann der Übertragungsweg
zwischen vielen Kilometern (z. B. Hochspannungsleitungen) und wenigen Millimetern (z. B. miniaturisierte elektronische Geräte) betragen.
Bd Der Energiestrom als physikalische Größe
Nachdem auf qualitativer Ebene ein begriffliches Grundverständnis angelegt wurde,
ist die quantitative und definitorische Betrachtung der Größe Energiestrom angezeigt.
Die didaktischen Implikationen dazu wurden in Kapitel 2.2 erörtert (→ S. 34 ff). Für
die quantitative Darstellung des Energiestroms werden zunächst Demonstrationsversuche gemacht, die das Prinzip der Energieübertragung in den Fabriken vor der Jahr-
39
74
Als Generator kann dabei auch ein Fahrraddynamo eingesetzt werden. Die Wechselspannung
muß aber dann mit Hilfe eines kleinen Brückengleichrichters in Gleichspannung umgewandelt
werden, bevor ein Gleichstrommotor als Verbraucher angeschlossen wird.
hundertwende (Riementransmission) mit dem der entsprechenden elektrischen Anlagen vergleicht.
Abbildung 14: Eine einfache Meßanordnung zur mechanischen Energieübertragung
Abbildung 14 und Abbildung 15
zeigen Realaufbauten der schematischen Darstellungen auf
S. 35. Es ist zweckmäßig, die Übertragungsstrecke in den Anordnungen nicht zu klein zu wählen.
Eindrucksvoll und plausibel werden die Überlegungen zur Energieübertragung, wenn diese z. B.
von vorne nach hinten im Klassenzimmer erfolgt. An der mechanischen Anlage wird deutlich,
daß auf der Antriebsseite (an der
Quelle) in jedem Augenblick
(mindestens) soviel Energie zugeführt werden muß, wie auf der
Verbraucherseite umgesetzt wird.
Bei gleichmäßiger Energiezufuhr
und -abgabe kann man von einem
gleichmäßigen
Energiestrom
sprechen, der auf der Übertragungsstrecke von der Energiequelle zum Verbraucher fließt.
Abbildung 15: Die elektrische Energieübertragung zwischen Generator und Motor40
Sofern der Energiebegriff in der Mechanik angelegt wurde, eignet sich die rein mechanische Anordnung nach Abbildung 14 (bzw. Abbildung 3, S. 35) besonders gut zur
Ermittlung der Hubenergie und der Hubleistung. Ersetzt man den rundlaufenden Riemen der mechanischen Transmission durch eine elektrische Leitung41 (Abbildung
15), so wird die Vorstellungsbildung unterstützt, wenn auf möglichst weitgehende
Analogie geachtet wird. Als Energiequelle dient der handgetriebene Generator42, als
Verbraucher ein gleichartiges Gerät im Motorbetrieb. Man kann den Motor mit ver40
41
42
Aus fototechnischen Gründen wurde die Übertragungsstrecke in Abbildung 14 und Abbildung 15
kleiner gewählt als im Text empfohlen.
Der Begriff Leitung wird hier ebenso verwendet wie in der Technik. Er beschreibt die vollständige Verbindung zwischen Quelle und Verbraucher (z. B. „Überlandleitung“). Davon zu unterscheiden ist der elektrische Leiter, der als Einzelleiter Bestandteil einer Leitung aus mehreren
Leitern sein kann.
Der Generator wird den Schülerinnen und Schülern zunächst als Gerät erklärt, das dem Fahrraddynamo ähnlich ist, aber in der gleichen Zeit mehr Energie liefern kann.
75
schieden großen Wägestücken belasten. An der Handkurbel des Generators ist dann
deutlich eine mit dem Energiestrom wachsende Kraft zu spüren.
Wenn der Durchmesser der Schnurwelle zwischen 4 und 7 cm liegt, lassen sich
Wägestücke bis 2 kg anheben.
Wieviel Energie in einer bestimmten Zeit übertragen wird, hängt in den beiden Beispielen einmal von der Geschwindigkeit ab, mit der das Wägestück angehoben wird,
und zum anderen von der Gewichtskraft, die auf dieses wirkt. Eine größeres Wägestück erfordert auch eine größere Kraft an der Handkurbel, und für eine größere
Hubgeschwindigkeit muß die Kurbel entsprechend schneller gedreht werden. Am
rundlaufenden Riemen der mechanischen Anlage ändert sich im ersten Fall die mechanische Spannung in einer Seilhälfte im zweiten Fall die Umlaufgeschwindigkeit.
Mißt man auf der Verbraucherseite die Hubenergie und die dazu erforderliche
Zeit, so läßt sich der Energiestrom quantifizieren. In den abgebildeten Versuchsanordnungen beträgt er z. B. 5 J/s also 5 W. Als Größe definiert man den Energiestrom
in Analogie zu anderen Strömen über den Quotienten Energie durch Zeit:
Energiestrom gleich Energie durch Zeit
W
Pstr =
t
Je nach unterrichtlichen Voraussetzungen ist es erforderlich, den Begriff des Energiestroms (für die Beschreibung des Energietransports) von dem der Leistung (für die
Beschreibung der Energieumwandlung) zu unterscheiden, wie dies in Kapitel 2.2 begründet wurde.
Bei allen elektrischen Geräten, die im Haushalt verwendet werden, ist der für den
Betrieb erforderliche Energiestrom in der Einheit W(att) auf dem Typenschild angegeben. Es werden einige Beispiele genannt, u. a. die Angabe auf einer elektrischen
Kaffeemühle (100 W).
Es ist durchaus sinnvoll, bereits an dieser Stelle den Energiezähler (Haushaltszähler) vorzustellen und mit seiner Hilfe Energien zu messen (→ Fußnote 34 auf
S. 65). Die Umlaufgeschwindigkeit der Zählerscheibe ist ein Maß für den Energiestrom.43 Zweckmäßig ist auch ein elektronisches Leistungsmeßgerät, das dementsprechend unmittelbar den Energiestrom anzeigt (→ Abbildung 16).44
Die Energieströme und die korrespondierenden Energieumwandlungen (Leistungen) in Erzeugern und Verbrauchern werden von der Größenordnung her anschaulicher, wenn man ihnen Erfahrungswerte zuordnen kann. Um einen physiologischen
43
44
76
Sind z. B. für die Zählerscheibe 96 Umdrehungen pro Kilowattstunde (3,6 MJ) angegeben, so
entspricht dies dem Energiestrom von 37500 Joule/Umdrehungszeit. Für Messungen im Demonstrationsversuch sind aus praktischen Gründen Heizgeräte, Bügeleisen, Tauchsieder o. ä.
vorzuziehen, weil dann die Zeitdauer für die Messung einer Umdrehung in vertretbaren Grenzen
bleibt.
Das Meßgerät für Energie (0–9999 kWh) und Energieströme (0–4000 W) in Abbildung 16 ist
erhältlich bei Fa. Gambke, Cornelsen Experimenta, Berlin. Es unterscheidet sich als Sonderanfertigung für Unterrichtszwecke durch eine höhere Auflösung im Energiebereich (Ws statt Wh)
von gleichartigen Geräten, die im Elektronikhandel erhältlich sind. Bei der Beschaffung vergleichbarer Geräte sollte auf eine ausreichend große LED-Anzeige geachtet werden.
und psychologischen Bezug zu den Energieumsätzen in Elektrogeräten herzustellen,
wird zunächst ein Demonstrationsversuch gemacht (Abbildung 16):
Zwei Schülerinnen oder Schüler mahlen eine bestimmte
Menge Kaffeebohnen um die
Wette, der eine mit einem elektrischen Gerät, der andere
„wie in früheren Zeiten“. Die
Zeit wird in beiden Fällen gestoppt. Es wird sich herausstellen, daß der „Handbetrieb“
auch bei größter Anstrengung
mindestens die vierfache Zeit
erfordert. Entweder über eine
Messung oder aus dem Typenschild der elektrischen
Kaffeemühle ist zu entnehmen, daß der Energiestrom
Abbildung 16: Die elektrische Kaffeemühle braucht für die etwa bei 100 W liegt.
gleiche Menge Kaffeebohnen nur einen Bruchteil der Zeit
Entsprechend muß die mechanische Leistung beim „Kurbeln“ etwa in der Größenordnung von 25 W liegen. Der Versuch macht es möglich, die Größenordnung abzuschätzen, die Energieströme an dem handgetriebenen Generator annehmen können.45
Sie liegen bei mehreren Watt und sicherlich weit unter 100 Watt. Was dies bedeutet,
wird klar und einprägsam durch die konkrete Tätigkeit. Daher werden im Schülerexperiment Lampen mit möglichst großer Leistung an den Generator angeschlossen.
Geeignet sind z. B. die Glühlampen 6 V/5 A bzw. 6 V/30 W (üblich für Experimentierleuchten). Diese Lampe erfordert am Generator bereits eine mechanische
Leistung, die an der Handkurbel nur über kurze Zeit aufzubringen ist. Schätzungen zu
den Beträgen der Energieströme durch die Lampen können mit Hilfe der aufgedruckten Wattzahl überprüft werden.
Vergleicht man die Energieumsätze elektrischer Geräte mit den handbetriebenen
Anlagen, so wird damit eine unmittelbare Anschauung für die Größe der Energieströme erzeugt. Immerhin müßten beispielsweise ca. 10 Schülerinnen und Schüler
kräftig an ihren Generatoren drehen, wenn sie die elektrische Energie für ein kleines
Küchenrührgerät selbst erzeugen wollten (→ die Experimente der Einheit 3.4.9,
S. 136 ff).
45
Dieser Versuch soll an physiologischen Leistungsmessungen anknüpfen und von diesen ausgehend einen Bezug zu elektrischen Energieströmen herstellen. Dieser Sinnzusammenhang entsteht
zwangsläufig, wenn in der Mechanik Versuche in der Art gemacht wurden, wie sie auf S. 62 f beschrieben sind. Andernfalls sind diese Versuche hier einzuflechten.
77
Diese Thematik könnte nahezu unbegrenzt weiter ausgebaut werden. Man kann die
gemachten Erfahrungen mit den durchschnittlichen elektrischen Energieströmen in
Beziehung setzen, die beispielsweise jeder Bürger der Bundesrepublik durch seine
Lebensweise verursacht. (1989 lag der entsprechende Wert bei etwa 700 Watt, rund
um die Uhr, das ganze Jahr. Bildlich gesprochen müßten mehr als zehn Sklaven permanent an Generatoren drehen, um den Bedarf eines Bundesbürgers an elektrischer
Energie zu befriedigen.) Auch die Resourcen – und Umweltproblematik können bereits an dieser Stelle erstmals angesprochen werden. In der Regel wird jedoch der
Lehrplan die Vertiefung dieses Themas an späterer Stelle nahelegen (vor allem in den
Unterrichtseinheiten 9 und 11), so daß man sich hier aus Zeitgründen mit ersten Hinweisen begnügen kann. Gerade diese Hinweise sind aber aus motivationalen Gründen
unentbehrlich. Sie verdeutlichen den Schülerinnen und Schülern die existentielle Bedeutung des Themas.
C
Didaktische, fachliche und technische Anmerkungen
Obwohl gerade diese Unterrichtseinheit praktisch keine Tradition hat, also nur auf einer relativ schmalen Erfahrungsgrundlage didaktisch bewertet werden kann, ergeben
die Erprobungen doch ein recht unproblematisches Gesamtbild. Die Verbindung der
Betrachtungsweise elektrischer Anlagen mit der Technikgeschichte, die Einbeziehung
der Spielzeugdampfmaschine und die Deutung bereits bekannter aber bislang undurchschauter alltagssprachlicher Wendungen im Umfeld der Begriffe Stromerzeugung, und -verbrauch, Stromsparen usw. sichert ein reges Interesse der Schülerinnen
und Schüler, das allenfalls die Schwierigkeit aufwirft, den „roten Faden“ des Unterrichtsganges nicht zu verlieren. Auf einige Detailprobleme soll aber noch hingewiesen werden:
Der Informationsbegriff wird hier nicht in seiner alltagssprachlichen Bedeutung verwendet, sondern im Sinne der Informationstheorie. Insofern umfaßt er alles, was
durch Signale übermittelt und durch Zeichen kodiert werden kann. Falls der Begriff
den Schülerinnen und Schülern in dieser allgemeineren Bedeutung nicht aus dem Informatikunterricht bekannt ist, bedarf er in dieser Unterrichtseinheit einer Erläuterung. Etwas ausführlicher als bisher soll begründet werden, warum die Informationsübertragung zunächst aus dem Unterrichtsgang ausgeklammert wird:46
Die Systeme zur Informationsübertragung unterscheiden sich nicht nur in ihrer
Zielsetzung, sondern auch in ihrer elementaren technischen Struktur von den Energieübertragungsanlagen. Letztere sollen relativ große Energieströme ermöglichen, bei
minimierter unerwünschter Umwandlung auf dem Übertragungsweg. Reihenschaltungen von Verbrauchern sind in Energieübertragungsanlagen meist disfunktional, weil
sie den Energiestrom verkleinern, wenn – wie im Regelfall – die Quelle eine konstante
Spannung aufweist. Deshalb tut man sich so schwer dabei, im einführenden Elektrikunterricht vernünftige Anwendungen für die Reihenschaltung zu finden. Außer der
Christbaumbeleuchtung findet man kaum attraktive Beispiele.
46
78
Vergleiche dazu auch die Ausführungen zu den Zielen des Unterrichts in Kapitel 1.2
Die Eigenschaften der Quelle sind für die Energieübertragung besonders wichtig,
denn sie muß in der Lage sein, große Energieströme über eine lange Zeit zum
Verbraucher zu übertragen. Dabei soll sich die Spannung auch bei erheblichen Belastungsschwankungen nicht merklich ändern. Wegen der riesigen Energieströme, die
durch die großtechnische Nutzung elektrischer Energie entstehen, sind die Resourcen
(Energieträger) für die Erzeugung der elektrischen Energie wichtig, ihre kontinuierliche Verfügbarkeit und die Begrenzung der unerwünschten Belastungen für die Umwelt bei den Umwandlungsprozessen.
Ganz anders liegen die Verhältnisse bei den Anlagen zur Informationsübertragung. Der Energieaufwand soll möglichst gering bleiben, im Extremfall – wie in modernen CMOS-Schaltungen – kommt man fast ohne Ströme aus, lediglich die variablen Spannungspegel sind wichtig. Wegen des geringen Energiebedarfs ist es meist
problemlos möglich, die Quelle so großzügig zu dimensionieren, daß sie unter allen
Umständen die erforderliche Potentialdifferenz aufrecht erhält. Hohe elektrische Widerstände sind in diesen Schaltungen ebenso unentbehrlich wie Reihenschaltungen
zur Einstellung von Spannungspegeln oder als Schutz – und Vorwiderstände. In der
Elektronik haben wir daher keine Mühe, Anwendungen für die Reihenschaltung zu
finden. Schon die einfachste elektronische Schaltung besteht aus zwei in Reihe geschalteten Bauelementen. Die ausführliche Behandlung der Gesetze zur Reihenschaltung (einschließlich des belasteten und unbelasteten Spannungsteilers) hätte eigentlich – entgegen den vorhandenen Lehrplänen – vor allem in der Elektronik ihren
Platz.
Für die Begriffsbildung ist dies nicht ohne Bedeutung. Das Konzept des Energiestroms verliert sein Gewicht, wenn die Energie praktisch keine Rolle mehr spielt. Und
die Definition der Spannung U = P/I ist wenig sinnvoll, wenn elektrische Ströme fehlen oder nur eine unbedeutende Rolle für die Funktion einer Schaltung spielen. In der
Elektronik ist es sinnvoll, den Spannungsbegriff mit dem Signalbegriff zu verbinden
und z. B. die Pegel „high“ und „low“ als Spannungsmerkmale zu begreifen; denn in
Anlagen zur Informationsübertragung bildet die Verarbeitung und Übertragung von
Signalen das wichtigste Funktionskriterium.
Bei der Beschreibung elektrischer Anlagen werden die Schülerinnen und Schüler von
sich aus immer wieder den Begriff Strom verwenden, meist im Sinne von elektrische
Energie. Es wird nicht unbedeutend sein, wie man pädagogisch mit der Tatsache umgeht, daß das Wort Strom bereits zum Sprachschatz der Schülerinnen und Schüler gehört. Es erscheint zweckmäßig, den Schülerinnen und Schülern anzuraten, das Wort
Strom im Unterricht vorläufig nur sehr zurückhaltend zu gebrauchen, weil seine verschiedenen Bedeutungen noch nicht geklärt sind. Andererseits kann der Gebrauch im
Sinne von Energiestrom erläutert und mit Beispielen als (alltagssprachlich) gängig
belegt werden.47 Der „Vorname“ „Energie-“ sollte aber im unterrichtlichen Sprachgebrauch nicht weggelassen werden.
47
Siehe die Zitate in Kapitel 2.1.2 auf S. 30
79
Der Begriff Stromkreis wird in der Unterrichtseinheit noch nicht verwendet, weil
hier nicht der Kreislauf der Elektrizität, sondern der lineare Energietransport betrachtet wird. Der Ausdruck „elektrische Anlage“ ist bezüglich der Präjudizierung von
Vorstellungen neutraler.
In Lehrerfortbildungsveranstaltungen wurde öfters die Schwierigkeit diskutiert, den
„Strömungskanal“ für die Energie zu lokalisieren. Merkwürdigerweise wird diese
Problematik im Zusammenhang mit elektrischen Energieströmen häufig aufgeworfen,
während sie bei mechanischen Systemen trotz gleichartiger Schwierigkeiten anscheinend weniger dringlich erscheint. (Auch in mechanischen Übertragungssystemen
stimmt die Richtung der Energieströme nicht mit denen des Impulses oder der Bewegung überein. Der gespannte Teil der Fahrradkette bewegt sich beispielsweise vom
Hinterrad zum Pedal. Die Energie dissipiert aber an ganz anderen Stellen und in anderen Richtungen in die Umgebung.) Die sprachliche Manifestation des Energiebegriffs
als quasi-stoffliche Größe suggeriert eine Anschaulichkeit der physikalischen Größe,
die vergessen läßt, daß diese Anschauungen modellhafte Bedeutungszuweisungen
bzw. Qualitäten enthalten, die der Abstraktheit des Energiebegriffs nicht gerecht werden können. Exakt beschrieben werden können nur die Quantitäten als Bilanzen der
Energieumsätze (→ Abschnitt 1.3.1, S. 18). Damit hängt es zusammen, daß die Suche
nach dem genauen Pfad, auf dem die Energie sich bewegt, im Unterricht erfolglos
bleiben muß. Letztlich kann diese Problematik auch nur scheinbar über die Vorstellung des Energietransports in Feldern aufgelöst werden. Sie ist eine Folge der prinzipiell begrenzten Möglichkeit, formalen Begriffen ihre Abstraktheit zu nehmen.48
Bei der Spielzeugdampfmaschine (→ Abbildungen S. 73) sollte man im Falle einer
Anschaffung für die Physiksammlung die Kosten für eine große Ausführung nicht
scheuen. Bei kleinen und mittleren Ausführungen ist unter Umständen mit dem Betrieb eines Lämpchens 4 V/0,6 A die Belastungsgrenze bereits überschritten. Falls an
die Dampfmaschine eine Fahrradlichtmaschine angeschlossen wird, ist zu beachten,
daß es sich dabei um Wechselspannungsgeneratoren handelt. Will man damit einen
gewöhnlichen Spielzeugmotor betreiben, so muß am Dynamo ein kleiner Brückengleichrichter angebracht werden. Bereits in Kapitel 3.2 (→ Fußnote 35, S. 65) wurde
auf die technisch absichtlich begrenzte Leistung des Fahrraddynamos hingewiesen.
Deshalb verwendet man besser einen robusten Spielzeugmotor als Generator (Langsamläufer mit Pmax > 10 W), der ohne Getriebe direkt mit der Schwungwelle der
Dampfmaschine verbunden wird.
48
80
Siehe dazu WALZ [41] und RANG [34]
3.4.2 Was kann sich in elektrischen Leitern bewegen?
Elektrischer Strom als bewegte Elektrizität
A
Unterrichtsziele
In der Regel provoziert die vorangegangene Unterrichtseinheit Schülerfragen, die sich
auf das Problem beziehen, was in einer elektrischen Anlage im Kreis strömen könnte.49 Die Fragehaltung – und damit die Motivation für diese Unterrichtseinheit – ist
zumindest latent vorhanden und allenfalls dadurch verschüttet, daß die Hypothese von
einem zirkulierenden Mittel bereits als „bewiesene“ Realität betrachtet wird. Das didaktische Problem liegt nicht in der Plausibilität der Kreislaufidee, sondern in der Gefahr, daß die Schülerinnen und Schüler eine empirische Bestätigung für überflüssig
halten, bzw. die Strukturidentitäten der auf S. 75 abgebildeten Anordnungen für völlig
überzeugend ansehen.
Das übergreifende Ziel dieser Einheit ist es, Vorstellungen zur Elektrizitätsleitung wenigstens in Ansätzen in der atomistischen Theorie zu verankern. Trotz des experimentellen Vorgehens soll den Schülerinnen und Schülern aber jederzeit bewußt
bleiben, daß sie die Theorie nur partiell und im wesentlichen als Information mitgeteilt bekommen. Auch diese Mitteilungen sollten nicht als „hard facts“ („so ist es!“)
dargestellt werden, sondern als vorläufige Theorie („so kann man sich das vorstellen“). Im einzelnen werden folgende Ziele angestrebt:
Den Schülerinnen und Schülern soll mitgeteilt und – soweit möglich – durch Experimente plausibel gemacht werden,
• daß jegliche Materie zwei verschiedene Arten von Elektrizität enthält;
• daß Körper elektrisch geladen sind, wenn auf ihnen eine der beiden Elektrizitätsarten überwiegt, und daß diese elektrische Ladung sich durch Kräfte auf andere
Körper bemerkbar macht;
• daß die Elektrizitätsarten in der Weise Kräfte bewirken, daß sich mit gleichartiger
Elektrizität geladene Körper abstoßen, mit ungleichartiger dagegen anziehen;
• daß beide Elektrizitätsarten aus kleinsten Elektrizitätsteilchen bestehen, die zugleich Bausteine der Materie sind;
• daß die Kräfte, die von den Teilchen ausgehen, bei einem Körper nach außen
nicht in Erscheinung treten, solange dieser von beiden Elektrizitätsarten die gleiche Anzahl Teilchen enthält (Neutralzustand);
• daß eine der beiden Elektrizitätsarten positiv und die andere negativ genannt
wird, und daß die Elektrizitätsteilchen der negativen Elektrizität Elektronen heißen;
49
Stellt man die Frage explizit, so ist stets mit der Antwort „Strom“ zu rechnen! Eine konkretisierbare Vorstellung ist aber selten gemeint. Der Begriff fungiert als Platzhalter für Rätselhaftes. Die
Frage, „was ist eigentlich Strom?“ kann durchaus als Zielfrage dieses Unterrichtsabschnittes fungieren.
81
•
daß die Elektronen in manchen festen Stoffen – vor allem in Metallen – beweglich und in anderen fest mit den Atomen verbunden sind, und daß die erste Stoffgruppe zu den Leitern, die zweite zu den Isolatoren (Nichtleitern) gehört;
Darüber hinaus sollen die Schülerinnen und Schüler wissen,
• daß die Bewegung von Elektrizität als elektrischer Strom bezeichnet wird;
• daß es sich bei dem elektrischen Strom in metallischen Leitern um eine Elektronenströmung handelt und die Elektronen im Metall ein „Fluid“ bilden, das sich
praktisch nicht zusammenpressen läßt;
• daß in metallischen Leitern wegen der Imkompressibilität des „Fluids“ nur dann
eine Strömung entstehen kann, wenn sich alle Elektronen gleichzeitig bewegen
und im Leiter nirgends eine Anhäufung oder Verdünnung an Elektronen stattfindet, und daß diese Bedingungen nur erfüllt sind, wenn eine Kreisströmung entsteht.
B
Unterrichtsweg
Ba Zirkulation in massiven Drähten?
Die Vorstellung eines rundlaufenden „Riemens“ durch die mechanischen Analogien
wird im Unterrichtsgespräch aufgegriffen und problematisiert. Die Schülerinnen und
Schüler werden eine Reihe von Vorschlägen unterbreiten, wie man dem „Riemen“
(„dem Strom“; vgl. dazu Fußnote 49) auf die Spur kommen könnte. Man sollte diese
Vorschläge sehr ernst nehmen und möglichst die zugrundeliegenden Ideen auch als
historisch relevant darstellen. Die Geschichte der Elektrik ist voll von Spekulationen
über die Natur der Elektrizität, die auch in den Denkmustern der Schülerinnen und
Schüler wieder vorkommen. Es ist für die Schülerinnen und Schüler ermutigend und
dadurch kreativitätsfördernd, wenn sie erfahren, daß ihre Ideen früher auch von Wissenschaftlern verfolgt wurden, selbst wenn sie sich schließlich als Irrweg herausgestellt haben.
Unter anderem wird von den Schülerinnen und Schülern die Untersuchung elektrischer Leitungen vorgeschlagen werden. Diese wird jedoch nur weitgehend Bekanntes zutage fördern, nämlich daß Leitungen aus mindestens zwei mit Kunststoff umhüllten Kupferdrähten bestehen. Auch das Mikroskop liefert keine weiteren Hinweise.
(Von Schülerinnen und Schülern wurde schon öfters der Vorschlag gemacht, einen
blanken Draht mal mit und mal ohne „Strom“ unter dem Mikroskop zu betrachten.)
Angesichts der makroskopischen Struktur eines massiven Metalldrahtes scheint ein
bewegliches „Mittel“ höchst rätselhaft zu sein.
Mit dem Vorschlag der Schülerinnen und Schüler, statt in den Drähten doch mal
in einer Batterie nachzusehen „was elektrischer Strom ist“, sollte man rechnen und
eine Batterie zum Zersägen bereit halten. Es wird kein Zweifel zurückbleiben, daß es
nicht der Inhalt der Batterie sein kann, der sich durch die Drähte bewegt. Es lohnt sich
auch, eine „volle“ Batterie über eine niederohmige Lampe zu „entleeren“ und ihr Gewicht vorher und nachher auf der Waage so genau wie möglich zu vergleichen. Die
Tatsache, daß die Batterie durch die „Entleerung“ nicht leichter wird, werten Schüle-
82
rinnen und Schüler oft als Beweis dafür, „daß Strom nichts wiegt“. Auch die Zerlegung eines Fahrraddynamos oder anderer Energiewandler bringt – bezüglich der Frage, was sich in den Drähten bewegen könnte – keine neuen Einsichten.
Bb Elektrostatische Erscheinungen
Nachdem die Untersuchung der Elemente einer elektrischen Anlage keine Hinweise
darauf liefert, was sich in metallischen Drähten bewegen könnte, ist es naheliegend,
andere Erscheinungsformen der Elektrizität zu befragen. Es ist sinnvoll, die Schülerinnen und Schüler auch über die Tatsache zu informieren, daß die elektrischen Anlagen erst am Ende einer langen historischen Entwicklung standen. Vorher wurden elektrostatische Erscheinungen untersucht, die auch den Schülerinnen und Schülern
aus ihrer eigenen Erfahrung bereits bekannt sind. Die Erzählung von den Unterhaltungs-Experimenten der Barockzeit mit geriebenen Glasröhren und Schwefelkugeln
stößt im allgemeinen auf reges Interesse bei den Schülerinnen und Schülern (FRAUNBERGER [13], S. 43–145; FRAUNBERGER & TEICHMANN [12], S. 64–112).
Im Klassengespräch werden elektrostatische Phänomene aus der Erfahrung der Schülerinnen und Schüler diskutiert und möglichst demonstriert. Es wird mitgeteilt, daß im
weiteren Unterricht mit Hilfe dieser Erscheinungen verdeutlicht werden soll, was man
sich unter Elektrizität50 vorstellen kann, und was sich in einem elektrischen Leiter abspielt.
Im folgenden werden nur einige ausgewählte Experimente und die mit ihnen verknüpfte Information beschrieben. Jeder dargestellte Versuch steht exemplarisch für
eine ganze Gruppe von Experimenten, von denen im Unterricht mehrere gemacht
werden sollten. In der fachdidaktischen Literatur und in den Schulbüchern finden sich
eine Fülle von möglichen Alternativen und weiterführenden Versuchen zur Elektrostatik. Bei den hier ausgewählten Beispielen wurde vor allem darauf geachtet, die
Experimente mit einfachen Mitteln zu gestalten, so daß sie von den Schülerinnen und
Schülern auch außerhalb des Unterrichts durchgeführt werden können. In Abschnitt
C sind die Auswahl- und Gestaltungskriterien näher beschrieben. Dort finden sich
auch noch einige ergänzende technische Hinweise zu den elektrostatischen Versuchen.
Experimentiermaterialien: Die Schülerinnen und Schüler sollen die Experimente
möglichst selbst durchführen. Dies ist für alle Experimente auch als Hausaufgabe
möglich. Es werden pro Schülergruppe folgende Materialien benötigt:
• 1 (alte) Langspielplatte;
• 2 Klarsichtfolien (Overhead – oder Kopierfolien);
• 2 gleichgroße Konservendosen mit abgemanteltem Papier;
• 3 Hartschaumstücke zum isolierten Aufstellen geladener Gegenstände;
• 2 Flaschenkorken;
• 2 größere Nadeln;
50
Zur Differenzierung der Begriffe Ladung und Elektrizität siehe Kapitel 2.1.1. Zum Gebrauch der
Begriffe Leiter und Leitung siehe Fußnote 41, S. 75.
83
•
•
•
•
2 Spitzen von Glasampullen (beim Hausarzt erhältlich);
1 Bogen holzhaltiges (leitendes) Papier (z. B. Zeitungspapier);
1 Streifen Styropor ca. 10 cm·2 cm, Dicke ca. 0,5 cm;
evtl. Blechteller (Alu-Grillpfanne oder Pizzateller aus Alu);
1 „Phasenprüfer“-Schraubendreher (wahlweise).
Zur Vorbereitung: Es werden ein Ladungsanzeiger und ein Elektrizitätsartenzeiger
gemäß Abbildung 17 gebaut.
Der Ladungsanzeiger mit einem Zeiger aus (leitendem) Zeitungspapier wird aufgrund der Influenz von allen geladenen Körpern angezogen, unabhängig von der Polarität der Elektrizität.
Ampullenspitze
_____ _
_
++ +
+ +++
Styropor
Abbildung 17: Zeiger zur Anzeige der
Elektrizitätsart
Beim Elektrizitätsartenzeiger besteht der Zeiger aus einem Streifen Styropor. Hält man
den Zeiger in das relativ starke Feld zwischen
einer Folie und einer Schallplatte, so lädt er
sich dauerhaft so auf, daß die Zeigerenden die
jeweils entgegengesetzte Elektrizitätsart tragen. Daher dient dieses Gerät zur Anzeige der
Elektrizitätsart. Die Funktionsweise entspricht
der einer Magnetnadel.
Aufgrund von Influenz kommt es auch
zwischen (leitenden) ungeladenen Körpern und
dem Zeiger zur Anziehung (→ Versuche 6 und
7).
Um diesen Effekt von der Anziehung zwischen ungleichartig geladenen Körpern zu
unterscheiden, muß zunächst mit dem Ladungsanzeiger festgestellt werden, ob der
Körper überhaupt geladen ist.
Neben der hier beschriebenen Möglichkeit, Ladung und Elektrizitätsarten nachzuweisen, ist dies auch mit einem „Phasenprüfer“-Schraubendreher möglich. Sie sind
in fast allen Haushalten vorhanden oder leicht zu beschaffen.
Die eingebaute Glimmlampe ist aber meist so klein, daß nicht beobachtet werden
kann, welche der beiden Elektroden leuchtet. Im Unterricht eignet sich die im Lehrmittelhandel erhältliche Glimmlampe UR 110.
Versuch 1
Versuchsziel: Es soll verdeutlicht werden, welche Erscheinungen das Vorhandensein
einer elektrischen Ladung indizieren.
Experiment: Eine Klarsichtfolie wird auf eine Langspielplatte gelegt und fest an diese
gepreßt (mit dem Handballen über die Folie streichen).
Platte und Folie werden anschließend zusammen vom Tisch genommen und dann
getrennt.
84
Abbildung 18: Schallplatte und Folie ziehen Abbildung 19: Zwei Folien stoßen sich ab,
wenn sie beide an der Schallplatte elektrisch
sich an, wenn sie vorher fest zusammengeladen wurden
gepreßt wurden
Beobachtungen: Nach dem Zusammenpressen haften Schallplatte und Folie aneinander. Um sie zu trennen, ist eine Kraft erforderlich. Beim Trennen ist ein Knistern zu
hören. Nach dem Trennen ziehen sich Schallplatte und Folie an, wenn man sie in einem Abstand von weniger als 20 cm nebeneinander hält (Abbildung 18).
Streicht man mit dem „Phasenprüfer“-Schraubendreher über Schallplatte oder
Klarsichtfolie, so leuchtet die eingebaute Glimmlampe auf. (Bei der UR 110 leuchtet
bei der Schallplatte die eine und bei der Folie die andere Elektrode.)
Erklärungen, Erläuterungen: Im Unterrichtsgespräch wird der Versuch zunächst mit
ähnlichen Erscheinungen verglichen, die die Schülerinnen und Schüler aus ihrer Erfahrung kennen, z. B.: Knistern (im Dunkeln auch beobachtbare Funken) beim Ausziehen eines Synthetik-Pullovers; Papierschnitzel am geriebenen Füllhalter springen
lassen, Kräfte und Knistern von frisch gewaschenen Haaren beim Kämmen, usw.51
Falls nicht schon im vorangegangen Unterrichtsabschnitt geschehen, sollten die
Schülerinnen und Schüler jetzt darüber informiert werden, daß man derartige Beobachtungen schon seit dem Altertum kennt. Viele Körper lassen sich durch innigen
Kontakt (reiben, zusammenpressen) mit einem Körper aus einem anderen Stoff so
verändern, daß Kräfte, Knistern, und Funken zu beobachten sind. Man sagt dann, die
Körper seien elektrisch geladen. Ihre Ladung besteht aus Elektrizität. Was man sich
unter Elektrizität genauer vorstellen kann, ist zunächst noch ebenso unklar, wie für
die Wissenschaftler der 17. und 18. Jahrhunderts.
Versuch 2
Versuchsziel: Anziehende und abstoßende Kräfte sollen die Hypothese von der Existenz (mindestens) zweier Elektrizitätsarten plausibel machen.
Experiment: Nacheinander werden zwei Folien auf gleiche Weise durch Zusammenpressen mit der Schallplatte geladen. Anschließend hält man beide Folien an einer
Seite zusammen.
Beobachtung: Die Folien stoßen sich kräftig ab (Abbildung 19).
51
Weitergehende Erläuterungen zu den Versuchen finden sich im Abschnitt C.
85
Erklärungen, Erläuterungen: Da zwischen Schallplatte und Folie anziehende, zwischen zwei Folien aber abstoßende Kräfte auftreten, liegt die Vermutung nahe, daß es
nicht nur eine Art von Elektrizität gibt.
Versuch 3
Versuchsziel: Es soll eine Möglichkeit gefunden werden, geladene Körper von ungeladenen zu unterscheiden, und bei geladenen Körpern zugleich die Elektrizitätsart zu
identifizieren.
Experiment: Es wird versucht, verschiedene Körper elektrisch zu laden, und der Erfolg wird mit dem Ladungsanzeiger (Zeiger aus Zeitungspapier) überprüft. Beim Elektrizitätsartenzeiger (Zeiger aus Styropor) wird der Zeiger geladen, indem man
ihn zwischen Schallplatte und Folie hält. Die Reaktion der Zeiger auf geladene und
ungeladene Körper wird überprüft.
Beobachtung: Der Ladungsanzeiger wird von der Schallplatte und auch von der Folie
angezogen. Elektrisch ungeladene Körper üben keine Kraft auf den Zeiger aus.
Beim Elektrizitätsartenzeiger wird von geladenen Körpern je nach Elektrizitätsart das eine oder das andere Ende angezogen. Die Schallplatte zieht das eine Ende, die
Klarsichtfolie das andere an. Zwischen dem Zeiger und ungeladenen Körpern (Nachweis mit Ladungsanzeiger) wirken oft anziehende aber niemals abstoßende Kräfte.
Erklärungen, Erläuterungen: Man kann mit dem Ladungsanzeiger feststellen, ob ein
Körper elektrisch geladen ist oder nicht. Die nähere Wirkungsweise des Ladungsanzeigers kann erst später erklärt werden (→ Versuch 6).
Im Elektrizitätsartenzeiger rufen die Kräfte von Schallplatte und Folie Veränderungen hervor, die bewirken, daß der Zeiger sich gewissermaßen „merkt“, welcher
Elektrizitätsart er zugewandt war. Entsprechend reagieren die Zeigerenden gegensätzlich auf geladene Körper. (Die Aufladung der Zeigerenden erfolgt im starken Feld
durch Ionenwanderung oberflächlich sitzender Fremdionen. Wegen der schlechten
Leitfähigkeit des Hartschaums bleibt die Aufladung der Zeigerenden über einige Zeit
erhalten.)
Diese Einsichten sollten unbedingt durch weitere Versuche zur Anziehung und
Abstoßung gefestigt werden, z. B.: Abstoßung und Anziehung zwischen „Ladungskugeln“ (aus Holundermark oder aus mit Graphitspray behandelten Tischtennisbällen;
diese an Perlonfaden bifilar aufhängen und mit Glas – und Kunststoffstäben laden);
Luftballone reiben und an Perlonfaden aufhängen usw.
Als Konvention wird festgelegt, daß die Elektrizitätsart positiv genannt wird, mit
der die Klarsichtfolie geladen wird und die der Schallplatte negativ. Körper, auf denen sich weder positive noch negative Elektrizität nachweisen läßt heißen ungeladen
oder neutral.
Versuch 4
Versuchsziel: Der Versuch soll zeigen, daß Elektrizität von einem Körper auf einen
anderen übertragen werden kann. Die Versuche sollen den Substanzcharakter der Elektrizität unterstreichen.
86
Experiment: Eine Blechdose wird zur Isolierung auf ein Hartschaumstück (z. B.
Styropor) gestellt. Die negativ geladene Schallplatte wird an der Dose „abgestreift“.
Der Ladungszustand nach der Berührung wird untersucht. Der Versuch wird mit der
geladenen Folie wiederholt.
Beobachtung: Mit dem Elektrizitätsartenzeiger oder mit der Glimmlampe läßt sich
nach der Berührung auf der Dose jeweils die Elektrizitätsart nachweisen, mit der
Schallplatte bzw. Klarsichtfolie geladen waren.
Erklärungen, Erläuterungen: Elektrizität kann wie ein materieller Stoff von einem
Körper auf einen anderen übertragen werden. Diese Information sollte durch ergänzende Versuche mit dem sogenannten „Ladungslöffel“ noch vertieft werden. Benutzt
man dazu zwei Elektroskope als Ladungsanzeiger, so kann man die Elektrizität von
einem Elektroskop auf das andere „umlöffeln“.52
Versuche mit dem Ladungslöffel legen gleichzeitig das Denkmuster der „Portionierbarkeit“ der Elektrizität an. Deshalb kann sich hier die zusätzliche Information für
die Schülerinnen und Schüler anschließen, daß man sich die Ladung eines Körpers
aus winzigen Elektrizitätsteilchen zusammengesetzt denken kann. Die Teilchen der
negativen Elektrizität heißen Elektronen, die der positiven Protonen.
Es ist naheliegend, die Kräfte zwischen geladenen Körpern auf Kräfte zwischen
den Elektrizitätsteilchen zurückzuführen. Demnach stoßen sich Elektronen bzw. Protonen untereinander ab, gegenseitig ziehen sie sich jedoch an.
Versuch 5
Versuchsziel: Es soll gezeigt werden, daß die Elektrizität auf manchen Stoffen festsitzt, auf anderen dagegen beweglich ist.
Experiment: Ein Becherelektroskop wird geladen. Zunächst wird untersucht, ob sich
der Ladungszustand ändert, wenn man den Elektroskopbecher mit einem Kunstoffstab, einem Glasstab oder einem anderen Isolator berührt. Anschließend erfolgt
die Berührung mit dem Finger, einem metallischen Gegenstand, einem Holzstück, mit
Papier, einer wassergetränkten Perlonschnur usw.53
Beobachtung: Das Elektroskop entlädt sich bei manchen Materialien nicht, bei anderen mehr oder weniger schnell.
Erklärungen, Erläuterungen: Das Versuchsergebnis läßt sich erklären, wenn man annimmt, daß sich die Elektrizität bzw. die Elektrizitätsteilchen auf oder in den Körpern
mehr oder weniger leicht bewegen lassen. Die schlagartige Entladung bei metallischen Körpern deutet auf eine gute Beweglichkeit der Elektrizität hin. Solche Stoffe
nennt man elektrische Leiter. Bei Kunststoffen, Glas oder Gummi ist die Elektrizität
offenbar ziemlich ortsfest gebunden. Solche Stoffe nennt man elektrische Isolatoren.
Zwischen den Isolatoren und den Leitern gibt es keine scharfe Grenze. Papier oder
52
53
Der „Ladungslöffel“ (Messing-Hohlkugel an isoliertem Stiel) wird am einen Elektroskopbecher
durch Berühren der Außenseite geladen. Die Entladung erfolgt am anderen Elektroskop durch
Berührung der feldfreien Innenseite des Bechers.
Zur Durchführung des Versuches mit „Alltagsmaterialien“ siehe die Hinweise in Abschnitt C.
87
Holz können beispielsweise weder zu den guten Leitern noch zu den Isolatoren gerechnet werden, weil sie die Elektrizität zwar leiten, aber ziemlich schlecht.
Hinweis: Der Nachweis, daß in festen Stoffen nur die negative Elektrizität beweglich
ist, die positive dagegen ortsfest, kann mit den beschriebenen einfachen Mitteln nicht
erbracht werden (→ Abschnitt C).
Versuch 6
Versuchsziel: Dieses Experiment soll den Vorgang der Influenz zeigen und durch seine Deutung die Theorie unterstützen, daß die Elektrizität Bestandteil der Materie ist.
Abbildung 21: Nachweis der influenzierten LaAbbildung 20: Die Dosen berühren sich, die dung auf den Dosen, nachdem die Dosen gegeladene Schallplatte wird genähert
trennt wurden
Experiment: Zwei Blechdosen (Konservendosen mit abgemanteltem Papier) werden
zur Isolierung jeweils auf ein Hartschaumstück (z. B. Styropor) gestellt. Man stellt
die Dosen so nebeneinander, daß sie sich berühren und weist nach, daß sie ungeladen
sind. Dann bringt man die Schallplatte bis auf wenige Zentimeter in die Nähe einer
der beiden Dosen (Abbildung 20). Keinesfalls soll die Schallplatte die Dosen berühren. Auch darf keine Elektrizität durch Funkenüberschläge von der Platte auf die Dose übergehen. Während sich die Schallplatte dicht bei einer der beiden Dosen befindet, werden diese am Isoliersockel auseinander gezogen. Nun entfernt man die
Schallplatte und weist mit dem Elektrizitätsartenzeiger (oder mit der Glimmlampe)
den Ladungszustand der Dosen nach (Abbildung 21).
Der Versuch wird wiederholt, wobei die Schallplatte gegen die Klarsichtfolie
ausgetauscht wird.
Beobachtung: Bringt man die mit negativer Elektrizität geladene Schallplatte in die
Nähe der sich berührenden Dosen und trennt diese anschließend, so läßt sich auf einer
Dose negative und auf der anderen positive Elektrizität nachweisen. Dabei ist die der
Schallplatte zugewandte Dose mit positiver Elektrizität geladen. Bei der Klarsichtfolie vertauschen sich die Polaritäten.
Schiebt man die beiden geladenen Dosen wieder auf Berührung zusammen, ohne
sie vorher zu entladen, so sind sie danach wieder neutral.
88
Erklärungen, Erläuterungen: Offenbar wurde keine Elektrizität von einem anderen
Körper auf die Dosen gebracht. Wenn sie trotzdem nach der Trennung elektrisch geladen sind, so gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder die beiden Elektrizitätsarten
werden unter dem Einfluß der Schallplatte erst erzeugt, oder die Elektrizität ist schon
vorher vorhanden, jedoch ohne daß die Körper elektrisch geladen sind.
Gegen die erste Möglichkeit spricht, daß die Ladung beider Dosen wieder spurlos
zu verschwinden scheint, wenn man sie erneut auf Berührung bringt. Erklärt man aber
dieses „Verschwinden“ damit, daß sich die beiden Elektrizitätsarten auf den Dosen
mischen und dadurch in ihrer Wirkung nach außen nicht mehr in Erscheinung treten,
so enthält diese Deutung bereits die Hypothese, daß die Existenz beider Elektrizitätsarten auf ungeladenen Körpern möglich ist. Solange beide Arten in gleicher Menge
vorhanden sind, heben sich ihre gegensätzlichen Wirkungen nach außen auf.
Mit dieser Hypothese lassen sich die Versuchsergebnisse erklären, wenn man folgende Erkenntnisse mit in Betracht zieht:
• auf oder in Metallen ist die Elektrizität beweglich und
• Elektrizitätsteilchen der gleichen Art stoßen sich gegenseitig ab.
Bringt man die mit Elektronen geladene Schallplatte in die Nähe der Dosen, so werden in ihnen die Elektronen abgestoßen, die Protonen von der Schallplatte angezogen.
Auf der von der Schallplatte entfernteren Dose sammeln sich daher Elektronen an, auf
der zugewandten Dose überwiegt die positive Elektrizität. Trennt man die Dosen, so
kann kein Ausgleich zwischen den Elektrizitätsarten mehr erfolgen. Man nennt diesen
Vorgang Influenz.
Experimentell ist mit diesen einfachen Experimenten nicht plausibel zu machen, daß
sich nur die Elektronen bewegen können. Es ist zu empfehlen, dies als reine Information an dieser Stelle einzufügen und aufzuzeigen, daß sich dadurch an der Deutung
der Experimente im Grundsatz nichts ändert. Eine Simulation des „Sortiervorgangs“
mit beweglichen verschiedenfarbigen „Teilchen“ auf der Magnet - oder Hafttafel ist
sehr zu empfehlen. Diese Visualisierung gedanklicher Prozesse stabilisiert die Vorstellungen.
Mit diesen Kenntnissen ist nun auch zu erklären, warum beispielsweise der Ladungsanzeiger von geladenen Körpern unabhängig von deren Elektrizitätsart angezogen
wird: Da auf ihm die Elektronen beweglich sind, werden sie an dem Zeigerende, das
dem geladenen Körper am nächsten ist, je nach Elektrizitätsart entweder angezogen
oder abgestoßen. In jedem Fall verbleibt überwiegend die Elektrizitätsart in dem Zeigerende, die von dem geladenen Körper angezogen wird. In gleicher Weise ist die
Wirkung des geladenen Elektrizitätsartenzeigers auf ungeladene Körper zu erklären.
Der Vorgang der Influenz ist also durch die Annahme erklärbar, daß sich Elektrizität bewegen kann und daß sie Bestandteil der Materie ist. Hier sollte den Schülerinnen und Schülern mitgeteilt werden, daß sich diese Idee für die Wissenschaft im Laufe der vergangenen vier Jahrhunderte durch ihre Erklärungskraft in vielen Gebieten
der Physik zur Gewißheit verfestigt hat. Es ist i. allg. auch sinnvoll, ein einfaches Atommodell einzuführen oder die Einführung in Abstimmung mit dem Chemieunter-
89
richt vorzunehmen. Für den Physikunterricht braucht das Modell nicht mehr zu leisten, als die Lokalisierung der Elektronen in einer Atomhülle und der Protonen im
Kern. Bei festen Körpern sind die Atome starr miteinander verbunden. Dies führt zur
makroskopisch beobachtbaren Festigkeit. Eigentlich wäre aus der Ortsgebundenheit
der Elektronen und Protonen zu schließen, daß die Elektrizität allen festen Körper ebenfalls festsitzt. Für die Nichtleiter trifft dies zu, ebenso wie für die allermeisten Elektrizitätsteilchen der leitenden Festkörper. Zu einer Bewegung, Übertragung oder
Verschiebung der Elektrizität kann es nur kommen, weil in manchen festen Stoffen –
vor allem in den Metallen – von den vielen Elektronen, die in jedem Atom gebunden
sind (z. B. 29 bei Kupfer, 47 bei Silber) ein oder zwei frei beweglich sind.
Versuch 7
Versuchsziel: Durch die beliebig oft wiederholbare Elektrizitätsverschiebung zwischen mehreren Körpern soll einerseits die Vorstellung von der Invarianz der Elektrizitätsmenge stabilisiert und andererseits die Kreislaufvorstellung vorbereitet werden.
Experiment: Ein einfacher Grillteller aus Aluminium (oder ein beliebiger anderer Teller aus Blech) wird zur Isolierung auf Hartschaumstücke gestellt (Abbildung 22). Nun
wird die Schallplatte geladen und so auf den Grillteller gelegt, daß sie ihn nicht völlig
bedeckt. Noch günstiger ist es, die Platte nicht auf den Teller zu legen, sondern sie
wenige Millimeter über den Teller zu halten. Man nähert nun einen Finger dem unbedeckten Teil des Tellers. Die Schallplatte wird anschließend hochgehoben (ohne sie
aus der Hand zu legen), und wieder wird der Finger dem Grillteller genähert. Dieser
Vorgang kann beliebig oft wiederholt werden.
Beobachtung: Jedesmal, wenn der Finger auf 1–2 cm dem Grillteller angenähert ist,
springt ein Funke über, und man spürt einen kleinen „elektrischen Schlag“. Dies läßt
sich im Prinzip beliebig oft wiederholen, ohne daß die Stärke der „elektrischen Wirkung“ nachläßt.
Erklärungen, Erläuterungen:
Grillteller
Nähert man die negativ geladene Schallplatte dem Metallteller bis auf einige Millimeter,
so werden durch Influenz im
Isolierung
Teller Elektronen zum Rand
Abbildung 22: Auf dem Grillteller wird durch Influenz Ehin weggeschoben.
lektrizität verschoben
Die Ladung der Schallplatte bleibt (weitgehend) erhalten, weil die Platte den Teller
höchstens punktuell berührt (je weniger desto besser). Der Elektronenüberschuß am
Tellerrand wird durch den Übergang negativer Elektrizität über den Finger auf den
Körper und die mit ihm verbundene Erdoberfläche verteilt. Entfernt man nun die
Schallplatte, so fehlt auf dem Blechteller die abgeflossene negative Elektrizität: der
Teller ist positiv geladen. Nähert man den Finger wieder dem Tellerrand, so fließt die
negative Elektrizität über den Körper und den Finger wieder zurück auf den Teller.
90
Da die Schallplatte ihre Ladung noch besitzt, kann der Vorgang beliebig oft wiederholt werden.
Die Erklärung des Versuchs ergibt, daß Elektrizität nicht verloren geht oder verbraucht wird, sondern nur zwischen verschiedenen Körpern oder Teilen von Körpern
hin – und hergeschoben wird.
Bc Strom als bewegte Elektrizität
Die Mitteilung, daß die negative Elektrizität im geschlossenen Leiterkreis einer elektrischen Anlage den rundumlaufenden „elektrischen Riemen“ bildet, kann durch den
Einsatz geeigneter Unterrichtsfilme o. ä. dynamischen Darstellungen unterstützt werden. Der lernpsychologische Vorteil der visuellen Darbietung im Trickfilm braucht
nicht eigens betont zu werden.
In diesem Zusammenhang sollte den Schülerinnen und Schülern auch die Information gegeben werden, daß sich die Elektronen mit einer mittleren Geschwindigkeit
in der Größenordnung von 1 mm/s bewegen. Diese Mitteilung löst meist zunächst
kein großes Erstaunen aus, weil sich die Geschwindigkeitsangabe nicht mit Erfahrungswerten verbindet. Daher werden die Schülerinnen und Schüler aufgefordert, in
ihr Heft einen Bleistiftstrich mit dieser Geschwindigkeit zu ziehen. Der Eindruck der
„Langsamkeit“ (1 Kästchen im karrierten Heft, während fünf Sekunden!), löst dann
meist Überraschung aus. Diese wird noch größer, wenn ausgerechnet wird, daß die
Elektronen in einer Viertelstunde weniger als einen Meter weit vorwärtskommen.
Müßten wir beim Einschalten des Lichtes auf die gewünschte elektrische Energie
warten, bis sich die Elektronen z. B. vom Kraftwerk oder auch nur vom örtlichen Umspannwerk bis zur Lampe bewegt haben, säßen wir wochenlang im Dunkeln.54,55
54
55
Geeignet ist z. B. der Trickfilm „Elektrischer Strom in metallischen Leitern“, FWU Nr. 360 460;
gezeigt wird nur die erste Hälfte des Films (ohne thermische Bewegung). Ein Nachteil vieler
Bildmedien – so auch bei diesem Film – liegt in der Darstellung der Energiewandler. Die Elektronenbewegung könnte dort oft als „unterbrochen“ gedeutet werden, weil ein Strom durch die
Wandler nicht dargestellt wird.
Siehe dazu WALZ [46] S. 377.
91
Abbildung 23: „Wassermodell“ zur Veranschaulichung der Strömung eines imkompressiblen Mediums
Vor diesem Hintergrund gewinnt die
„Gleichzeitigkeit“ der Bewegung in einem
Stromkreis – auch bei sehr langen Leitungen – an Bedeutung. Sie hat ihre anschauliche Grundlage in der Imkompressibilität
des elektrischen Fluids. Der Wasserkreislauf in Abbildung 23 eignet sich gut, gerade diesen Aspekt der Elektrizitätsbewegung zu veranschaulichen. Gegenüber dem
rundumlaufenden Seil kann an dem Wasserkreislauf auch noch diskutiert werden,
wie sich die Geschwindigkeit bei einer imkompressiblen Strömung mit dem Querschnitt der Leitung verändert.
Der gleiche Strom erfordert in einer Leitung mit kleinerem Querschnitt eine entsprechend größere Strömungsgeschwindigkeit (Kontinuitätsgleichung der Strömungslehre).
An dieser Stelle sollte man die Schülerinnen und Schüler darüber informieren,
daß es auch in Flüssigkeiten und Gasen (Blitz, Funkenüberschläge) die Möglichkeit
einer Elektrizitätsleitung gibt. Die Beweglichkeit der Teilchen ist bei Flüssigkeiten
und Gasen ohnehin gegeben. Bewegt sich aber das gesamte Medium, so treten nach
außen keine elektrischen Erscheinungen auf, weil sich die Wirkungen beider Elektrizitätsarten aufheben. Nur wenn sich in einem Gas oder einer Flüssigkeit positive und
negative Elektrizität relativ gegeneinander bewegen, spricht man von Elektrizitätsleitung.
Diese Informationen können selbstverständlich zusätzlich zu Versuch 5 durch
Leitfähigkeitsexperimente unterstützt werden.56
Da in jeder elektrischen Anlage sowohl der rundlaufende Elektrizitätsstrom als auch
der lineare Energiestrom existiert, kann es Mißverständnisse geben! An Beispielen
aus Zeitungen und Prospekten wird erarbeitet, daß im Alltag mit „Strom“ meistens
Energie oder der Energiestrom gemeint ist. Die Auswertung von Broschüren oder
Zeitungsausschnitten bezüglich der Bedeutung des dort verwendeten Strombegriffs
eignet sich auch als sinnvolle Hausaufgabe.57
56
57
92
Wenn vorgesehen ist, die Strommessung über den „Blasenzähler“ einzuführen oder die Einheit
Coulomb über chemische Äquivalente darzustellen, ist es sinnvoll, schon vorab zu zeigen, daß
mit der Elektrizitätsleitung in Flüssigkeiten und Gasen chemische Stoffumwandlungen verknüpft
sind.
Siehe z. B. die Zitate auf S. 30.
Als Sprachregelung für den Unterricht wird festgelegt, daß mit Strom in der Physik der rundumlaufende Elektrizitätsstrom gemeint ist, wogegen wir den Energiestrom immer eigens als solchen bezeichnen.
C
Didaktische, fachliche und technische Anmerkungen
Bezüglich der Verwendung der Begriffe Ladung, Elektrizität, Ladungsträger u. ä.
wird auf die Ausführungen in Kapitel 2.1.1 verwiesen.
Zum Stellenwert der Unterrichtseinheit: Ein Exkurs zur Elektrostatik ist an dieser
Stelle des Unterrichtsganges aus verschiedenen Gründen nicht ohne didaktische Probleme:
Zum einen bringt die Elektrostatik zusätzliche begriffliche und vorstellungsmäßige Schwierigkeiten, deren Bearbeitung man sich sparen könnte, solange man nur die
elementaren Mechanismen des dynamischen Stromkreises besprechen will. Es wäre
durchaus möglich und auch pädagogisch vertretbar, auf diesen Unterrichtsabschnitt zu
verzichten. Stattdessen könnte die Vorstellung des Elektronenstroms durch Informationen vermittelt werden, die durch Experimente mit dynamischen Stromkreisen unterstützt werden, etwa in dem Sinne, wie es bei WALZ [43] im Schulbuch vorgeschlagen
wird.58 Auch die Verknüpfung der Stromvorstellung mit galvanischen Experimenten
und der Ionenwanderung böte reizvolle Möglichkeiten, den hier vorgeschlagenen Unterrichtsabschnitt zu ersetzen.
Zum anderen steht die Elektrostatik in den Lehrplänen – wenn überhaupt – nicht
immer unter der hier vorgegebenen Zielsetzung, nämlich zu klären, was man sich unter elektrischem Strom vorzustellen hat. Oft ist sie außerhalb des Unterrichtsgangs zur
Elektrodynamik angeordnet mit dem Ziel, den Begriff des elektrischen Feldes bzw.
Vorstellungen zu den Coulomb-Kräften zu erarbeiten. Dabei steht meist die Absicht
im Hintergrund, den Spannungsbegriff mit den elektrostatischen Vorstellungen zu
verknüpfen, z. B. über die Trennarbeit beim Erzeugen von Oberflächenladungen.
Ein völliger Verzicht auf die Elektrostatik – und damit auf die Thematisierung der
Kräfte zwischen Ladungsträgern oder geladenen Körpern – erscheint schon aus pragmatischen Gründen nicht zweckmäßig zu sein. Die Elektrik liefert insgesamt einen
erheblichen Beitrag zum Verständnis des Aufbaus der Materie, das sowohl innerhalb
verschiedener Gebiete der Physik als auch in der Chemie ein wesentliches Unterrichtsziel darstellt. Kraftwirkungen müssen auch unterstellt und daher vorstellungsmäßig grundgelegt werden, wenn man die Kopplung der Elemente des Fluids im
Stromkreis begreiflich machen will. Zwar ist diese Kopplung nicht durch eine unmittelbare Wechselwirkung zwischen den Elektronen gegeben (etwa wie wenn Kugeln
durch ein Rohr geschoben werden), sondern über das äußere Feld, das den Leiter umgibt. Dieses Feld wird schon durch eine geringfügige Deformation der Raumladungsdichte durch Ladungsträger auf der Leiteroberfläche erzeugt oder verändert und ruft
das achsiale Feld im Leiterinnern hervor.59 Der Gedanke elektrostatischer Wechsel58
59
WALZ [43], S. 12/13, Kapitel „Was geht im Stromkreis vor ?“
Siehe dazu Kapitel 4.3, S. 172 ff.
93
wirkungen ist daher grundsätzlich unentbehrlich. Dies gilt auch für spätere Unterrichtseinheiten in der Elektronik. Die Leitungsmechanismen in Halbleitern, der Aufbau von Sperrschichten, die Deutung galvanischer Vorgänge usw. erfordern Denkmuster, die in diesem Unterrichtsabschnitt ihre Grundlage haben.
Die Unterrichtseinheit wird also auch über Zielsetzungen legitimiert, die über das elementare Verständnis der Energieübertragung zunächst hinausweist. Die pädagogischen Probleme des „Lernens auf Vorrat“ treten in der vorgeschlagenen Unterrichtseinheit jedoch nicht auf, weil alle Experimente auf die Fragestellung „was ist Strom?“
bezogen bleiben. Der Spannungsbogen zwischen der Fragestellung (z. B.: „Was ist
Strom?“) und der Antwort, sollte zeitlich nicht zu weit gedehnt werden. Bei dem vorgeschlagenen Unterrichtsgang ist es möglich, die Unterrichtsabschnitte Ba und Bb in
etwa drei Unterrichtsstunden zu behandeln, wenn die Schülerinnen und Schüler auch
zu Hause gezielt experimentieren.
Zu den Experimenten: Sollten bei der Durchführung der Experimente Schwierigkeiten bei der Aufladung von Folie und Schallplatte oder beim Ladungsnachweis entstehen, so sind diese meist auf folgende Umstände zurückzuführen:
• Der Experimentator ist selbst elektrostatisch aufgeladen. Abhilfe: In Socken experimentieren; bei hochisolierenden Synthetik-Böden über ein Kabel eine leitende Verbindung zur Erde herstellen (z. B. über den Schutzkontakt einer Steckdose).
• Die Unterlage (meist Tischplatte), auf der Schallplatte und Folie aufliegen, während sie zusammengepreßt werden, ist selbst hochisolierend. In diesem Fall sollte
dafür gesorgt werden, daß die influenzierte Ladung von der Unterlage abfließen
kann, weil sie andernfalls dem Ladungsübergang zwischen Folie und Schallplatte
entgegenwirkt.
Holztische oder Tische mit Metallfüßen werfen dieses Problem meist nicht auf.
Wenn es bei isolierenden Tischplatten entsteht, kann eine Zeitung als Unterlage
Abhilfe schaffen, die notfalls noch über ein Kabel geerdet werden kann.
Die Experimente sind bewußt sehr „schlicht“ gehalten. Der weitreichende Verzicht
auf Lehrmittel ist zugleich ein Verzicht auf die spezielle Experimentalkompetenz
ausgebildeter Lehrkräfte zugunsten der Handlungskompetenz der Schülerinnen und
Schüler. Dies erscheint um so notwendiger, als die vermittelte Theorie komplex ist.
Fremdartige Lehrmittel würden es zusätzlich erschweren, mit den neuen Inhalten in
den psychischen Stand der Vertrautheit zu gelangen. Außerdem sollten die Experimente von den Schülerinnen und Schülern zu Hause zumindest teilweise nachvollzogen werden können. Entsprechende Hausaufgaben werden im allgemeinen gern gemacht und helfen, die Unterrichtszeit für diese Einheit auf 3–4 Stunden zu beschränken.
Eine Ausnahme von dieser Anforderung stellt der Versuch 5 in der vorliegenden
Beschreibung dar. Eine Variante, die allerdings von den Schülerinnen und Schülern
einiges Experimentiergeschick erfordert, führt zu den gleichen Einsichten:
94
Eine Konservendose wird zur Isolierung auf ein Stück Hartschaum geklebt. Nun
lädt man die Dose auf, entweder mit der Schallplatte, die an der Dose „abgestreift“
wird, oder indem man mit der zusammengerollten Kunststoffolie im Innern der Dose
die Ladung überträgt. Die Ladung der Dose wird mit dem Ladungsanzeiger nachgewiesen. Dann wird die Dose mit verschiedenen Materialien berührt. Bei den Leitern
wird sich die Entladung nachweisen lassen.
Probleme der Modellbildung: Besondere Beachtung verdient die Gefahr, daß die
Elektrostatik auch zu Fehlvorstellungen für den Stromkreis führen kann. Wie in Kapitel 4 gezeigt wird, sind elektrische Leiter im Innern raumladungsfrei (vgl. vor allem
S. 169 ff und Kapitel 4.3.2, S. 173 ff). Äußere elektrostatische Felder werden ebenso
wie das achsiale Feld im Innern eines Leiters durch Änderungen der Ladungsträgerdichte auf der Leiteroberfläche hervorgerufen. Diese Oberflächenladung wird durch
verschwindend geringe Elektrizitätsmengen gebildet, verglichen mit der Elektrizitätsmenge, die im Innern des Leiters bei einem Strom bewegt wird.60 Das Verhältnis
der felderzeugenden Elektrizitätsmenge zur strömenden liegt in der Größenordnung
von 1:1016. Eine Methapher vermag vielleicht zu veranschaulichen, was dieses Zahlenverhältnis bedeutet: Gelingt es einem einzelnen Menschen – z. B. einem religiösen
Führer – Milliarden Menschen auf der Welt zu bewegen, so ist diese gewaltige Wirkung in quantitativer Hinsicht immer noch völlig vernachlässigbar (millionenfach geringer) gegenüber dem Effekt, den ein einzelnes überzähliges Elektron auf der Leiteroberfläche im Innern des Leiters zeitigt.
Die Konsequenz dieser Überlegung steckt in der Vorstellung von der Imkompressibilität des elektrischen Fluids. Wird dagegen die Vorstellung von einer höheren oder niedrigeren Raumladungsdichte auf das Leiterinnere übertragen, so bleiben Widersprüche nicht aus. Sie kommen z. B. in der Abbildung 24 zum Ausdruck: Schreibt
man dem Leiterinnern in der Nähe des Minuspols einen Elektronenüberschuß und
beim Pluspol einen Elektronenmangel zu und unterstellt, daß dieses Dichtegefälle
z. B. längs eines Drahtwiderstandes abgebaut wird, dann müßten die Elektronen im
Widerstand beschleunigt und in der Quelle verzögert werden. Ansonsten entstünden
Widersprüche zur Aussage der Stromkonstanz im ganzen Kreis.
Gespräche mit Schülerinnen und Schülern und Studenten, die das Bild des „Elektronenüberschusses bzw. -mangels“ im Zusammenhang mit dem Spannungsbegriff vermittelt bekommen haben, zeigten, daß erhebliche Vorstellungsprobleme entstehen,
wenn z. B. der Effekt der raschen Umpolung einer Quelle bei Wechselstrom angesichts der minimalen Ladungsträgergeschwindigkeit erklärt werden soll (→ S. 170).
Die enge Verknüpfung des Spannungsbegriffs mit Überschuß-MangelVorstellungen kann demnach rasch in gedankliche Sackgassen führen. Die Schwierigkeiten wären keinesfalls völlig beseitigt, wenn es gelänge, den Unterschied zwischen Raum- und Oberflächenladung und die Wechselwirkung zwischen beiden zu
erklären.
60
Im Kapitel 4 werden die entsprechenden Zahlenwerte für die Ladungsträgerdichte im Leiterinnern (→S. 168 und auf der Oberfläche (→S. 176) erarbeitet.
95
Das für die Spannung konstitutive
E-Feld ist nicht zwangsläufig mit
der Existenz von Oberflächenladungen verknüpft. Abbildung 25
zeigt beispielweise eine Situation,
in der eine Induktionsspannung bei
absolut symmetrischer Anordnung
„polfrei“ entsteht, oder Abbildung
26 zeigt den Fall ungleich verteilAbbildung 24: Zur Fehlvorstellung einer vom Minuspol zum Pluspol abnehmenden Raumladungsdichte ter Oberflächenelektrizität, ohne
der Elektronen im Stromkreis
daß eine Spannung vorhanden ist.
U=0V
V
_
Abbildung 25: „Polfreie“ Induktionsspannung in einer geschlossenen Leiterschleife
_
_
_
_
+
+
+
+
_
_
_
_
+
+
+
+
+
Abbildung 26: Keine Spannung trotz asymmetrischer Verteilung der Elektrizität
Aus diesem Grunde wird in dem Unterrichtsgang betont, daß die Ladung der Körper
auf einer minimalen Umlagerung der Elektrizitätsmengen beruht, die sich ausschließlich auf der Leiteroberfläche abspielt. Eine Veränderung der Elektrizitätskonzentration im Leiterinnern ist mit der Umlagerung praktisch nicht verbunden:
Das elektrische Fluid in einem Leiter läßt sich nicht zusammenpressen oder verdünnen.
Der Vergleich elektrischer Stromkreise mit Wasserströmungen ist einerseits gängig,
andererseits von vielfacher Kritik begleitet. Diese Kritik reicht von der grundsätzlichen Ablehnung einer Veranschaulichung durch Analogien mit sinnlich wahrnehmbaren Prozessen, bis hin zur Kritik an einzelnen unvergleichbaren Aspekten, die möglicherweise zu Fehlvorstellungen führen.
In der Tat ist didaktische Sorgfalt angemessen, jedoch ist eine völlige Ablehnung
sogenannter „Wassermodelle“ lernpsychologisch abwegig. Schon durch Wörter wie
„fließen“, „Strom“, „Quelle“ usw. werden im Denken der Schülerinnen und Schüler
präsente Assoziationen aktualisiert. Die Wasserströmung ist aufgrund der biographischen Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler der dominierende gedankliche Kontext, der den Begriffen „Strom“, „fließen“ usw. apriori Bedeutung verleiht. Geht man
auf Wasserströmungen nicht ein – und sei es nur um zu zeigen, daß elektrische Strö96
mungen anders sind – ignoriert man damit zwangsläufige Gedankenverbindungen,
von denen die Einordnung neuen Wissens unmittelbar abhängt.
Evidente Grenzen der Wassermodelle brauchen hier nicht diskutiert zu werden.
Einige nicht-triviale Grenzen der Analogie, wie sie in den meisten Modellen auftreten, sollen aber beispielhaft erwähnt werden:61
• Mögliche Fehlvorstellungen resultieren aus dem Bild der materiellen Umschlossenheit eines Wasserstroms (z. B. im Schlauch), aus der Strömungswiderstände
resultieren. Dieses Bild darf auf elektrische Leiter z. B. nicht übertragen werden.
Strömt eine Flüssigkeit durch einen Kanal mit rechteckigem Querschnitt, so hat
dieser bei gleicher Fläche einen größeren Strömungswiderstand als bei kreisförmigem Umfang. Im elektrischen Fall ist aber nur die Fläche nicht der Umfang des
Leiterquerschnitts für den Widerstand von Bedeutung, weil „Randeffekte“ keine
Rolle spielen.
• Problematisch ist die Darstellung von Stromverzweigungen bei Wasserströmungen. Flüsse und die meisten anderen Wasserströme, denen Schülerinnen und
Schüler im Alltag begegnen, sind im Rahmen der betrachteten Zeitspannen Konstantstromquellen! Gabelt sich ein Fluß an einer Insel, so teilt sich der Gesamtstrom auf, ohne daß er sich betragsmäßig verändert. Genau dies ist in elektrischen
Stromkreisen nicht der Fall, wenn sie wie üblich mit konstanter Spannung betrieben werden: Schließt man in einer Parallelschaltung den Schalter zum zweiten
Zweig, so addiert sich der Strom dieses Zweiges zum ursprünglichen Strom hinzu.
• Auch viele mit Pumpen betriebene geschlossene Wasserkreisläufe weisen diese
Problematik auf (→ Fußnote 61). Wasserpumpen sind in der Regel – im Gegensatz zu den gängigen elektrischen Quellen – Konstantstromquellen. Die Fördermenge ist drehzahlabhängig, der Pumpendruck variiert entsprechend dem Strömungswiderstand. Dagegen arbeiten elektrische Quellen üblicherweise (nicht
notwendigerweise) als Konstantspannungsquellen.
Vergrößert man in einer Wasserströmung den Strömungswiderstand, so
steigt die Druckdifferenz am Widerstand soweit an, daß die von der Pumpe oder
Quelle pro Sekunde geförderte Wassermenge fließen kann. Für eine Pumpe bedeutet daher ein größerer Widerstand auch einen größeren Energieaufwand. In
einem elektrischen Stromkreis sinkt dagegen – bei konstanter Spannung – der
Strom und damit die quellenseitig verrichtete Leistung, wenn sich der Widerstand
vergrößert. Für eine Konstantspannungsquelle „geht es leichter“, je größer der
Widerstand ist.
• Zur Veranschaulichung des Spannungsbegriffs über den Begriff der Druckdifferenz, wäre von der Sachstruktur her die notwendige Isomorphie gegeben. Ein solches Vorgehen stößt jedoch an didaktische Grenzen. Eine Schwierigkeit bildet
der erwähnte Umstand, daß Wasserströmungen in der Praxis kaum durch druck61
Die von der weiter unten erwähnten Bremer Forschungsgruppe entwickelten Modelle vermeiden
manche der didaktischen Nachteile, insbesondere arbeitet die „Doppelwassersäule“ als Konstantdruckquelle [36], [6].
97
konstante Pumpen erzeugt werden. Dazuhin ist der Druckbegriff, soll er sich vom
Kraftbegriff „emanzipieren“, für Schülerinnen und Schüler vermutlich nicht
leichter zu begreifen als der Spannungsbegriff. Außerdem erfordert eine Analogie
zum Spannungsbegriff die Betrachtung von Druckdifferenzen zwischen zwei
Punkten einer Strömung. Technisch können diese mit U-Manometern gemessen
werden.62 Ansonsten wären zwei Manometer für eine Differenzmessung erforderlich. Geschlossene Wasserstromkreise, in denen Stromstärke und Druckdifferenz
ermittelt werden, nehmen schnell eine Gestalt an, die in ihrer Komplexität elektrischen Stromkreisen kaum nachsteht. Dadurch verlieren solche Wasserstromkreise ihre heuristische Funktion.
Nimmt man die Höhendifferenz in einem offenen Wasserkreislauf als Spannungsanalogie, so ist zwar die Isomorphie gegeben, jedoch ist der ikonische Hintergrund für
die Vorstellungen weit entfernt von der Topologie einfacher Stromkreise. Sich in einer elektrischen Schaltung „Höhenunterschiede“ vorzustellen, setzt eine begriffliche
Abstraktion voraus, die vermutlich einen höheren Erfahrungs – und Wissenstand voraussetzt, als ihn Schülerinnen und Schüler im einführenden Unterricht haben.63 Eine
Bremer Forschungsgruppe hat über viele Jahre hinweg Erfahrungen mit sehr differenzierten Wasserkreislaufanalogien gesammelt und konnte auch positive Effekte beim
Aufbau von Vorstellungen nachweisen [36], [6]. Der dafür erforderliche Aufwand an
Unterrichtszeit und Geräten wirft allerdings die Frage auf, ob nicht auch die etwa
nach dem hier vorgelegten Unterrichtsgang aufgebauten Vorstellungen zum Spannungsbegriff das Verständnis komplexer Wasserkreisläufe erheblich erleichtern könnten. M. a. W.: Wassermodelle, die den Zusammenhang zwischen Druckdifferenzen,
Strömungswiderständen und Durchflußmengen in Analogie zu elektrischen Stromkreisen darstellen können, sind nach unseren Unterrichtserfahrungen ähnlich komplex
und mit Begriffsbildungsproblemen behaftet, wie elektrische Stromkreise selbst. Ihre
heuristische Funktion wird damit fragwürdig.
Den Schwierigkeiten ist im methodischen Gang des Unterrichts und bei der Gestaltung der konkreten Anschauungsmodelle für Wasserströmungen Rechnung zu tragen. Dies sollte nicht dadurch geschehen, daß man ohnehin assozierte Beziehungen zu
sinnlich wahrnehmbaren Strömungen nicht thematisiert, im Gegenteil: Entsprechungen sind sinnvollerweise herauszustellen, Widersprechungen aufzuzeigen.
Der geschlossene Wasserkreislauf in Abbildung 23 (S. 92) demonstriert vor allem
das Verhalten imkompressibler Strömungsmedien. Dazu gehören
• die völlige Gleichzeitigkeit aller Bewegungsänderungen im geschlossenen Kreislauf,
62
63
98
Für unsere vertikal aufgebauten Kreisläufe ließen wir dazu U-Manometer anfertigen, bei denen
ein Druckausgleich in den Schenkeln bei ruhendem Wasser hergestellt werden konnte. Dies ist
erforderlich, um den Einfluß des hydrostatischen Druckes auf die Meßwerte zu kompensieren.
Das Analogon zur Spannung in einem offenen Wasserkreislauf ist nicht die Höhendifferenz direkt, sondern das Produkt g*·h (g*: Gravitationsfeldstärke). Dieser Sachverhalt und die isomorphen Strukturen werden in Kapitel 4.6 – insbesondere im Abschnitt 4.6.1, S. 191 – ausführlich
erörtert.
•
•
der Zusammenhang zwischen Strömungsgeschwindigkeit und Leiterquerschnitt,
sowie die Veranschaulichung des verzögerungsfreien linearen Energietransportes
durch eine zirkulare Bewegung.
Bezüglich dieser Aspekte sind der geschlossene Wasserkreislauf und der elektrische
Stromkreis isomorph. Unsere Erfahrungen haben die Meinung unterstützt, daß es sich
didaktisch nicht lohnt, Wasserkreisläufe technisch und didaktisch bezüglich der Analogie zu elektrischen Stromkreisen durch Druck- und Strömungsmessungen zu perfektionieren. Bei einer didaktischen „Überstrapazierung“ des Modells greifen die oben
genannten Einwendungen. In jüngeren Unterrichtsversuchen haben wir auf den Einsatz der geschlossenen Kreisläufe (Abbildung 8 und Abbildung 23) verzichtet. Die
Kontinuitätsvorstellung und entsprechende Sachverhalte wurden dennoch an Wasserströmen entwickelt. Verwendet wurden jedoch nur noch einfache Spritzen, wie dies in
der Einheit 7 (→ S. 125 ff und Abbildung 47, S. 127) beschrieben ist. Nachteile auf
das Lernen der Begriffe der Elektrik konnten wir nicht beobachten. Das kann aber
auch mit der gewachsenen Erfahrung der Lehrenden mit der vorliegenden Unterrichtskonzeption zusammenhängen. Hat man sie mehrfach realisiert, so weiß man beispielsweise schon in der 3. Unterrichtsstunde, welche Akzente im Hinblick auf Probleme zu setzen sind, die erst in der 25. Unterrichtsstunde auftauchen werden.
Insofern spielt der Wasserkreislauf zeitlich nur eine untergeordnete Rolle im Unterricht. Keineswegs darf jedoch daraus geschlossen werden, daß die Veranschaulichung einer imkompressiblen Strömung grundsätzlich nicht angemessen sei. Entsprechende Anschauungen sind lernpsychologisch schlicht unentbehrlich. Ein Verzicht
auf entsprechende einfach gehaltene Anschauungsmittel würde nur dazu führen, daß
sich die Schülerinnen und Schüler in unkontrollierbarer Weise selbst mehr oder weniger angemessene Vorstellungsbilder zu den Strömungsprozessen entwerfen.
3.4.3 Wie kann man Elektronen anschieben?
A
Unterrichtsziele
Den Schülerinnen und Schülern ist aus dem bisherigen Unterricht und aus Erfahrung
geläufig, daß in den Verbrauchern einer elektrischen Anlage Energie in unterschiedliche Formen umgewandelt wird. In dieser Einheit sollen die Schülerinnen und Schüler
erkennen, daß auch im Erzeuger prinzipiell dieselben Energieumwandlungen –
allerdings in umgekehrter Richtung – möglich sind. Die Schülerinnen und Schüler
sollen also
• die wichtigsten Umwandlungsprozesse zur Erzeugung elektrischer Energie vom
Phänomen her kennen;
• das Prinzip der jeweiligen Umwandlungsart in den technisch gebräuchlichen
Quellen wiedererkennen;
• das Erfordernis der Energiezufuhr bei einem Stromkreis mit der Vorstellung verbinden, daß die Elektrizität im Stromkreis angetrieben werden muß.
99
Die Präsentation der Möglichkeiten zur Energieumwandlung soll nur die Phänomene
zeigen und den Schülerinnen und Schülern helfen, verschiedene elektrische Energiequellen nach der Umwandlungsart zu ordnen. Sie hat nicht zugleich das Ziel, die Vorgänge in den Quellen mit Hilfe von mikrophysikalischen und chemischen Theorien zu
erklären. Gleichwohl ist dies auf einem einfachen Niveau bei entsprechenden Lernvoraussetzungen möglich (→ Abschnitt C).
B
Unterrichtsweg
Ba Konstanter Strom als Gleichgewichtszustand
Bis hierher haben die Schülerinnen und Schüler in den Experimenten bereits erlebt,
daß sich die Elektrizität nicht „von selbst“ in Gang setzt. Dies kann im Klassengespräch mit den Erfahrungen und dem Wissen verknüpft werden, das die Schülerinnen
und Schüler bezüglich der mechanischen Bewegung von Körpern mitbringen. Weil
Bewegungswiderstände die Körper bremsen – z. B. beim Fahrradfahren –, erfordert
eine ständige gleichmäßige Bewegung, daß die Körper entsprechend stetig angetrieben werden. Es wird mitgeteilt, daß es auch für die Elektronen auf ihrem Weg durch
die Leiter solche Bewegungswiderstände gibt, welche die Bewegung hemmen. Daher
müssen die Elektronen (bzw. muß die Elektrizität) ständig angetrieben werden, wenn
sie sich bewegen sollen.
Die Strömung sollte auch als Ergebnis eines Gleichgewichtszustandes verstanden
werden. Man kann dies am Beispiel des Fahrradfahrens veranschaulichen. Der Fahrtwind übt seine hemmende Wirkung erstens nur aus, wenn tatsächlich eine Bewegung
stattfindet, zweitens hemmt er die Bewegung um so mehr, je größer die Geschwindigkeit ist. Daher muß man beim Fahren mit größerer Geschwindigkeit auch stärker antreiben. Erst wenn das Fahrrad (Auto, Flugzeug) genauso stark angetrieben wie gehemmt wird, stellt sich eine gleichmäßige Geschwindigkeit ein. Ebenso ist es im elektrischen Stromkreis. Eine gleichmäßige Strömung bzw. ein konstanter Strom ist
das Ergebnis eines Gleichgewichts.64 Die Elektrizität wird durch die Quelle genauso
stark angetrieben, wie durch die Verbraucher gehemmt.65
Die Schülerinnen und Schüler werden von sich aus den Begriff Kraft ins Gespräch
bringen. Es ist sehr zu empfehlen, diesen Begriff aufzugreifen und zu zeigen, daß eine
Kraft unentbehrlich ist, wenn ein Körper angetrieben werden soll. Die Kraft alleine
reicht aber nicht aus, eine Bewegung zu erhalten, es muß dazu auch noch eine Strecke in einer bestimmten Zeit zurückgelegt werden. Das bedeutet, daß der Körper, der
einen anderen antreibt, eine Kraft ausüben und sich mit einer bestimmten Geschwin64
65
100
Auf die Ausführungen zum Unterschied zwischen elektromotorischer Kraft und Spannung in
Kapitel 2.3.5 wird verwiesen. Siehe dazu auch die Unterrichtseinheiten 3.4.5 und 3.4.6, sowie die
fachlichen Grundlagen in Kapitel 2.3.2 und 2.3.4.
Der Begriff Widerstand sollte mit großer Umsicht verwendet werden. Der Widerstand ist als Folge einer Bauteileigenschaft die Ursache dafür, daß die Elektronenströmung gehemmt wird, er
entspricht jedoch nicht dieser Hemmung selbst. Wollte man der Hemmung eine physikalische
Größe zuordnen, wäre dies die Verbraucherspannung, z. B. das Produkt I·R. Dies ist in Kapitel
2.3.5 genauer erläutert (→ S. 51 ff).
digkeit bewegen muß. Dies kann an vielen mechanischen Beispielen verdeutlicht
werden. Das Verb „antreiben“ enthält mehr als die fachsprachliche Formulierung
„Kraft ausüben“, weil es den Aspekt mit erfaßt, daß eine Bewegung mit einer bestimmten Geschwindigkeit erfolgt. Durch diese Akzentuierung wird die Beziehung
der alltagssprachlichen Ausdrucksweise zu den energetischen Größen gewahrt.
Bb Wirkungsweise elektrischer Energiequellen
Die Frage, wie man die Elektronen antreiben kann, legt die Untersuchung des inneren
Aufbaus von Energiequellen nahe. Die Schülerinnen und Schüler werden daher
schnell den Vorschlag machen, einen Dynamo, eine Batterie oder ein Netzgerät zu
zerlegen. Entsprechend vorbereitete Teile werden an die Schülerinnen und Schüler
zur genaueren Betrachtung ausgegeben.
Mit Hilfe eines besonders empfindlichen Solarmotors läßt sich in einfachen
Schülerexperimenten das Funktionsprinzip der wichtigsten Energiewandler zeigen.
Als Motoren kommen verschiedene Typen in Betracht. Besonders entscheidend sind
die Anlaufdaten. Der Anlaufstrom sollte nicht größer als 15 mA, die Anlaufspannung
kleiner als 30 mV sein. (Die niedrige Anlaufspannung wird vor allem beim Thermoelement benötigt. Handelsübliche Motoren für Solarspielzeuge erfüllen die Bedingungen nicht!)66
Folgende Versuchsserie liefert wichtige qualitative Einsichten. Die Reihenfolge der
Experimente sollte sich nach der Einstiegsdiskussion richten. In vielen Fällen wird
sich der Induktionsversuch als erstes anbieten, weil er durch den Fahrraddynamo und
den Generator sehr eng an vorhandenen Erfahrungen anknüpft.
1. Dynamoprinzip: (Abbildung 27) Auf
eine leere Kraftmesserhülse werden etwa
50 Windungen Kupferlackdraht (ø 0,3–
0,6 mm) gewickelt. Die Drahtenden
werden abisoliert und an den Motor angeschlossen. Legt man einen kurzen
Stabmagneten in das Röhrchen und
schüttelt ihn darin hin und her, dann bewegt sich auch die Motorwelle hin und
her.
Der Magnet kann auch mit der Hand
in die Spule gestoßen und wieder herausgezogen werden. Der Motor reagiert
umso deutlicher, je rascher der Magnet
Abbildung 27: Elektronen werden durch Spule
bewegt wird.
und Magnet angetrieben
Den Schülerinnen und Schülern wird mitgeteilt, daß überwiegend diese Art, die
Elektrizität in den Leitern anzutreiben, unserer Elektrizitätsversorgung zugrunde liegt.
66
Ein Gerätesatz für Schülerexperimente für die nachfolgend dargestellten Versuche wird von der
Fa. Gambke, CORNELSEN EXPERIMENTA, Holzhauser Str. 76, 13509 Berlin angeboten.
101
Auch die handgetiebenen Generatoren funktionieren auf der Grundlage dieses Prinzips. Die Abhängigkeit der elektrischen Wirkung von der Geschwindigkeit der Bewegung des Magneten sollte besonders hingewiesen werden. Dieser Zusammenhang
spielt später eine wichtige Rolle, wenn erklärt wird, wie es am handgetriebenen Generator zu Spannungserhöhungen kommt (Unterrichtseinheit 6, S. 118 ff).
Abbildung 28: Elektronen werden mittels
Thermoelement angetrieben (verknoteter Kupfer- und Konstantandraht)
Abbildung 29: Elektronen werden durch chemische Vorgänge angetrieben (mit Zitronensaft getränktem Zeitungspapier zwischen Cuund Zn-Blech)
67
102
2. Thermoelement: (Abbildung 28) Die
Schülerinnen und Schüler verknoten
selbst je ein etwa 5 cm langes Drahtstück
aus Kupfer und Konstantan (oder Eisen).
Der Knoten sollte möglichst klein sein,
die überstehenden Enden werden abgeschnitten. Die freien Enden des Drahtes
werden an den Solarmotor angeschlossen.
Dieses Experiment zeigt besonders
deutlich, daß kein „Stromreservoir“ („Elektronenfaß“) vorhanden ist, sondern
nur ein über den Motor geschlossener
Leiterkreis. Eine Verbrauchsvorstellung
hinsichtlich der Elektrizität erscheint
unlogisch.
3. Voltazelle: (Abbildung 29) Je ein
Kupfer – und Zinkblech werden an den
Motor angeschlossen. Den Schülerinnen
und Schülern wird eine Zitronenscheibe
zum auspressen ausgeteilt. Ein Blatt Toilettenpapier wird mit Zitronensaft getränkt und zwischen beide Bleche geklemmt. Der Motor läuft über längere
Zeit, ohne daß eine Energiezufuhr von
außen erkennbar wird. (Natürlich funktioniert der Versuch auch mit jedem beliebigen anderen Elektrolyten, die ausgepreßte Zitrone ist aber sehr erfahrungsnah.)67
Es kommt vor, daß der Motor mit dem frisch gepreßten Saft einer Orangen- oder Zitronensäure
nicht läuft. Dies liegt meist an zu kleinen Flächen der Bleche oder nicht mehr blanken Oberflächen. Auch soll das isolierende Papier zwischen den Blechen möglichst dünn sein.
Den Schülerinnen und Schülern kann gezeigt werden, daß sich die Oberfläche der
Bleche nach einiger Zeit verändert. Es entstehen neue chemische Stoffe. Offenbar ist
es die chemische Reaktion, die die Energie liefert, um die Elektronen von einer Platte
auf die andere zu treiben. Den Schülerinnen und Schülern wird mitgeteilt, daß in allen
Batterien und Akkumulatoren ähnliche chemische Vorgänge die Energie für die
Stromkreise liefern. Eine Batterie ist „leer“, wenn sich keine chemischen Prozesse
mehr abspielen können, weil z. B. die ganze Oberfläche der Bleche mit einem neuen
Stoff überzogen ist.
Man sollte nicht darauf verzichten, die Schülerinnen und Schüler die Bleche
selbst wieder blank schmirgeln zu lassen. Diese Tätigkeit stützt die Erinnerung an die
abgelaufene chemische Reaktion.
Abbildung 30: Elektronen werden durch Licht
angetrieben (Solarzelle)
4. Solarzelle: (Abbildung 30) Eine kleine Solarzelle (z. B. 2 cm2) wird an den
Motor angeschlossen. Im Demonstrationsexperiment kann die ganze Anordnung auf den Arbeitsprojektor gelegt
werden. Für Schülerexperimente empfiehlt sich die Verwendung einer preiswerten gekapselten Zelle.
Auch die Solarzelle bietet den Vorteil, daß der Zusammenhang zwischen
Energiezufuhr und Strom zeitlich koinzident und unmittelbar beobachtbar ist.
Als Ergebnis dieser Versuche wird festgehalten, daß elektrische Energie aus Wärme,
Licht, mit durch Kraft erzeugter Bewegung oder aus chemischen Vorgängen gewonnen werden kann. Auch weitere Energieformen wären möglich. Erforderlich ist jeweils ein geeigneter Energiewandler.
Oft tauchen Fragen zur die technischen Bedeutung der verschiedenen Energiequellen auf. Sie stehen manchmal auch im Zusammenhang mit dem ökologischen
Bewußtsein (Solarenergie). Die Schülerinnen und Schüler wollen wissen, ob man mit
den einfachen Quellen etwas „Praktisches“ anfangen kann. Wichtig ist die Information, daß das Generatorprinzip für unsere Energieversorgung unentbehrlich ist, und daß
in verschiedenen Kraftwerksarten – einschließlich der Wasser – und Windkraftwerke –
riesige Generatoren laufen, um unseren Bedarf an elektrischer Energie zu decken. Inwieweit auf die Grenzen und Möglichkeiten der technischen Nutzung anderer elektrischer Quellen eingegangen wird, kann an dieser Stelle der jeweiligen Situation anheimgestellt bleiben.
Es ist durchaus sinnvoll, innerhalb dieser Unterrichtseinheit die physische Erfahrung mit dem handgetriebenen Generator mit der Formulierung zu verknüpfen,
„daß der Generator zeigt, wie schwer es geht, Elektronen im Kreis herumzuschieben“.
103
C
Didaktische, fachliche und technische Anmerkungen
Wegen des Zusammenhangs der Größen Leistung, Kraft, Geschwindigkeit und Spannung mit der Vorstellung des Antreibens wird auf die Erläuterungen in den Abschnitten 2.3.2 bis 2.3.5 verwiesen.
Die Beschreibung des Gleichgewichtszustandes einer stationären Strömung mit Hilfe
der Substantive Antrieb und Hemmung ist möglich und wurde von uns im Unterricht
auch praktiziert.68 Dies hat jedoch zahlreiche didaktische Diskussionen ausgelöst.
Der Grund liegt in der Gefahr, den Substantiven – vorschnell – eine physikalische
Größe zuordnen zu wollen. So kommt es immer wieder zu Verkürzungen wie z. B.
„Spannung gleich Antrieb“ oder „Hemmung gleich Widerstand“ usw. Diese Gefahr
ist geringer, wenn statt der Substantive entsprechende Verbalformen verwendet werden. Daher wird hier in den Kapiteln 2 und 3 vom substantivischen Gebrauch der
Begriffe abgesehen und stattdessen von „antreiben“ und „hemmen“ oder in verwandten verbalen Formen gesprochen. In Kapitel 4 wird dies nochmals wesentlich, weil
vieles auch für die Einführung der Begriffe Hemmer und Treiber (anstelle von
Verbraucher bzw. Quelle) spricht (vgl. dazu S. 182).
Sinn der einfachen Versuche dieser Unterrichtseinheit kann es nicht sein, die in den
Energiewandlern ablaufenden mikrophysikalischen bzw. chemischen Prozesse im Detail aufzuklären. Das wäre Aufgabe jeweils eigener Lehrplaneinheiten (z. B. Induktion, Elektrochemie, Fotoeffekt usw.). An dieser Stelle geht es lediglich um die Erkenntnis, daß den elektrischen Anlagen in irgendeiner Weise Energie zugeführt werden muß, mit deren Hilfe der „elektrische Riemen“ angetrieben wird. Denkbar wäre
eine informelle Vertiefung der Einsicht in die Funktionsweise der Quellen 2 bis 4
(Abbildung 28 bis Abbildung 30) durch die Betonung folgender Struktur:
Bei allen drei Energiewandlern sind zwei unterschiedliche Materialien leitend
miteinander verbunden. Durch äußere Einwirkung (Wärme, Licht, chemische Prozesse) wird erreicht, daß in einer dünnen Grenzschicht (atomare Größenordnung) mehr
Elektronen vom einen Material in das andere getrieben werden als umgekehrt. Ist bekannt, daß Atome und atomare Teilchen eine thermische Bewegung ausführen, so erleichtert sich die Erklärung.69
Beim Dynamoprinzip liegen die Verhältnisse etwas anders: hier ist der Spulendraht materialmäßig homogen. Das sich ändernde Magnetfeld übt auf einer relativ
langen Strecke gleichsinnige Kräfte (bezüglich der Leiterrichtung) auf die Elektronen
aus, d. h., es wird ein achsiales elektrisches Feld im Leiterinnern erzeugt. Der formale
Zusammenhang für die Spannung bei homogenen Feldern ist durch die Gleichung
U12 = E·s gegeben. Eine bestimmte Spannung wird bei induktiven Quellen i. d. R.
68
69
104
Die Behandlung einer modellmäßigen Deutung des Widerstandes erfolgt sinnvollerweise in der
Unterrichtseinheit 3.4.7. Hier sollte man sich auf vorläufige Antworten beschränken, falls die
Problematik der Modellvorstellungen von den Schülerinnen und Schülern angesprochen wird. Es
dürfte aber legitim sein, zu sagen, daß die Elektronen gegen Atomrümpfe stoßen und dabei Energie verlieren können. Eine weitergehende Erörterung und die Probleme der Modellbildung werden im Kapitel 3.4.7 insbesondere ab S. 128 besprochen.
Siehe dazu Kapitel 4.4.2, S. 181 ff.
durch ein schwaches Feld bei großem Weg (Länge des Spulendrahtes) erreicht, wogegen bei den sogenannten Diffussionsquellen verhältnismäßig starke Felder über
kurze Strecken wirken (→ Kapitel 2.3.4 und Kapitel 4, S. 185).70
3.4.4 Einführung der Strommessung
A
Unterrichtsziele
In dieser Einheit sollen die Schülerinnen und Schüler lernen bzw. erkennen,
• daß man Ströme vergleichen und messen kann;
• daß für den Vergleich von Strömen ersatzweise die Wirkungen herangezogen
werden müssen, die durch fließende Elektrizität hervorgerufen werden, weil die
Elektrizitätsbewegung nicht direkt beobachtbar ist;
• daß man Ströme im Prinzip dadurch vergleichen könnte, daß man die Zahl der
pro Zeiteinheit durch einen Leiterquerschnitt fließenden Ladungsträger angibt,
m. a. W. daß die Strommessung ein indirektes Maß für den Quotienten Elektrizitätsmenge durch Zeit darstellt.
• daß man Ströme in der Maßeinheit 1 Ampere angibt;
• wie man mit einem Strommesser umgeht, und wie man ihn in einem Stromkreis
verschaltet.
B
Unterrichtsweg
Auf die Schilderung eines speziellen Unterrichtsweges kann hier verzichtet werden,
weil die Ziele praktisch auf allen üblichen Wegen zu erreichen sind. Insoweit wird auf
die Vorgehensweisen in der Schulbuchliteratur verwiesen.
Keinesfalls sollte der Unterrichtsweg auf Schülerexperimente mit dem handgetriebenen Generator verzichten. Es sollte vorgesehen werden, u. a. die Ströme durch verschiedene Lämpchen zu messen. Dabei müssen die Schülerinnen und Schüler lernen,
die Kurbel so gleichmäßig zu drehen, daß das Lämpchen nicht flackert und der Zeiger
des Instrumentes immer an der gleichen Stelle stehen bleibt. Dies erfordert einige
Übung. Um nicht durch zuviele Variablen die Sachanalyse zu erschweren, ist zu empfehlen, die Strommessung an Lämpchen der 4 V-Serie mit verschiedenen Nennstromstärken zu üben. Dies bedeutet, daß die Generatorkurbel immer gleich schnell gedreht
werden muß. Dabei prägt sich auch eine „normale“ Drehfrequenz ein, die in späteren
Einheiten Vergleiche bei variablen Spannungen erleichtert.
70
Wenn in der Mechanik das Newtonsche Wechselwirkungsgesetz behandelt wurde, können Faradays Symmetrieüberlegungen auch für Schülerinnen und Schüler naheliegend sein: Wenn bewegte Magneten Elektrizität antreiben können, so sollte bewegte Elektrizität ihrerseits Magnete bewegen können. Faraday ging bei der Entdeckung der Induktion von dieser Überlegung aus, – allerdings in umgekehrter Richtung. Sie würde bereits eine vorläufige Erklärung dafür liefern, warum Generatoren auch als Motoren (und umgekehrt) verwendet werden können. Eine ausführliche Behandlung dieses Zusammenhangs ist aber erst für die Unterrichtseinheiten 3.4.10 und
3.4.11 vorgesehen.
105
Einige Erfahrungen fallen für die Schülerinnen und Schüler beim Betreiben verschiedener Lämpchen „en passant“ an, auf die in den nachfolgenden Unterrichtseinheiten zurückgegriffen werden kann; vor allem erleben die Schülerinnen und Schüler,
• daß größere Ströme eine größere Kraft an der Kurbel erfordern,
• und daß der Strom durch einen bestimmten Verbraucher davon abhängig ist, wie
schnell die Generatorkurbel gedreht wird.
Falls das Auftreten unterschiedlicher Kräfte an der Generatorkurbel zu einer entsprechenden Fragehaltung der Schülerinnen und Schüler führt, können die experimentellen Beobachtungen bereits hier mit dem einsichtigen Argumenten erklärt werden: Es
erfordert eine entsprechend größere Kraft wenn in der gleichen Zeit eine größere Anzahl Elektronen angetrieben werden muß. Jedes einzelne Elektron bewegt sich um so
schneller, je mehr es angetrieben wird, was im Umkehrschluß bedeutet, daß die Geschwindigkeit, mit der die Kurbel gedreht wird, ein Maß dafür ist, wie stark jedes Elektron angetrieben wird.
Diese Erklärungen sind andernfalls Gegenstand der nachfolgenden Unterrichtseinheit.
C
Didaktische, fachliche und technische Anmerkungen
Der Begriff Stromstärke sollte hier noch nicht zur Bezeichnung der Meßgröße verwendet werden. Die damit verbundenen Gefahren für die Unterscheidung vom Spannungsbegriff wurden in Kapitel 2.1.2 (→ S. 30 ff) eingehend erörtert. Sofern der Begriff dennoch eingeführt wird, z. B. weil er im Schulbuch oder im Technikunterricht
häufig vorkommt, sollte ausdrücklich auf die mögliche Mißdeutung des Ausdrucks
„Stärke“ eingegangen werden. Auch daß die Begriffe „Starkstrom“ oder „Schwachstrom“ nichts mit der Stromstärke zu tun haben, wäre zu erläutern. Diese Erörterungen fallen aber auf fruchtbareren Boden, wenn der Spannungsbegriff bereits zur Verfügung steht. Die Unterrichtseinheit 9 bildet den didaktisch sinnvollen Rahmen, in
dem der Begriff Stromstärke eingeführt und einschließlich seiner semantischen Klippen erläutert werden kann (→ S. 141).
Es entsteht kein Verständnisdefizit, wenn der Vergleich von Strömen sprachlich
mit den Begriffen „groß“ oder „klein“ bzw. mit den entsprechenden Komperativen
belegt wird. Einen „großen“ Strom von einem „kleinen“ zu unterscheiden, verweist
direkter auf den Mengenvergleich als andere Ausdrücke. Spricht man von „starken“
und „schwachen“ Strömen, so sind Fehldeutungen im Sinne unterschiedlicher Energieumsätze sprachlich programmiert.
In einer 8. Realschulklasse machte ein Schüler im Rahmen einer entsprechenden Diskussion den Vorschlag, vom „Durchsatz“ (genauer: Elektrizitätsdurchsatz) zu reden.
Dieser Begriff leuchtete den Schülerinnen und Schülern so unmittelbar ein, daß er von
ihnen langfristig verwendetet wurde, ohne daß der Lehrer diesen Sprachgebrauch aktiv unterstützte. „Durchsatz“ wäre jedenfalls sprachlich weitaus treffender als „Stromstärke“.
Da der Unterrichtsgang darauf angelegt ist, ausgeprägte Vorstellungen von den dynamischen Prozessen im Stromkreis zu erzeugen, wird man auch der Frage nachge106
hen, wie die Strömungsgeschwindigkeit mit dem Strom (bzw. der Stromstärke) zusammenhängt. Spontan einleuchtend erscheint, daß sich die Strömungsgeschwindigkeit in einem bestimmten Leiterstück proportional mit dem Strom verändert. Dies ist
dann der Fall, wenn die Ladungsträgerkonzentration konstant bleibt. Bei Metallen
trifft dies zu, bei Halbleitern ist die Ladungsträgerdichte bekanntlich von der Temperatur und anderen Faktoren abhängig.
Es ist jedoch unerläßlich, zu betonen, daß in einem Stromkreis trotz konstantem
Strom in verschiedenen Leiterstücken unterschiedliche Geschwindigkeiten auftreten
können. Aus der Imkompressibilität der Elektrizität folgt die Gültigkeit der Kontinuitätsgleichung v1·A1 = v2·A2 (v : Strömungsgeschwindigkeit, A : Leiterquerschnitt), wenn
sich die Ladungsträgerdichte nicht ändert. Dieser Sachverhalt wird sinnvollerweise an
einer Wasserspritze oder am „Wassermodell“ gemäß Abbildung 23 (S. 92) erläutert.
Der Verwendung von Meßinstrumenten sollte ebenfalls didaktische (nicht nur die übliche technische) Aufmerksamkeit gelten. Die meisten Schulen verfügen über analoge
Zeigerinstrumente für Schülerversuche. Man sollte diese Zeigerinstrumente der
Strommessung vorbehalten (Spannungsskala zukleben, Drehschalter durch Anschläge
im Strommeßbereich fixieren). Für die Spannungsmessung sollten vom Strommesser
deutlich unterscheidbare Geräte verwendet werden. Geeignet sind preiswerte Digitalgeräte. Die Differenzierung von Strom und Spannung fällt den Schülerinnen und
Schülern leichter, wenn sich nicht nur die Meßmethoden sondern auch die Meßgeräte
deutlich unterscheiden; oder anders ausgedrückt: wenn zwei Größen mit ein- und
demselben Instrument gemessen werden, liegt das Mißverständnis auf der Hand, daß
diese Größen eigentlich nicht so sehr verschieden sein können.
Im Zusammenhang mit dem Generator eignen sich analoge Zeigerinstrumente für
die Strommessung besser als Digitalgeräte. Es ist am Anfang nicht ganz leicht, die
Kurbel gleichmäßig zu drehen. Durch die Trägheit des Zeigers wird die Ablesbarkeit
von Meßwerten dadurch kaum beeinträchtigt. Bei digitalen Instrumenten wechseln
ständig die Ziffern der beiden letzten Vorkommastellen (in mA-Bereichen), wodurch
die Ablesung erschwert wird. Bei der Beschaffung digitaler Meßinstrumente sollte auf
die Möglichkeit geachtet werden, die angezeigten Dezimalstellen auf eine zu begrenzen.
3.4.5 Elektronenstrom und Energietransport
A
Unterrichtsziele
Die Schülerinnen und Schüler wissen, daß z. B. Haushaltsgeräte einen unterschiedlichen „Stromverbrauch“ haben, und daß um so mehr Energie umgewandelt wird, je
mehr Elektrogeräte gleichzeitig betrieben werden. Diese Unterrichtseinheit soll die
Erkenntnis vermitteln, daß sich der Energiestrom durch eine elektrische Anlage – und
damit der Energieumsatz in den Energiewandlern – proportional zum Elektronenstrom
verändern, solange die einzelnen Elektronen in gleichem Maß angetrieben werden.
Dabei werden im einzelnen folgende Einsichten angestrebt:
107
•
•
•
•
•
•
B
Unterschiedliche Elektronenströme durch Verbraucher, können zugleich unterschiedliche Energieströme bewirken.
Man kann den Energiestrom, der von einer Quelle ausgeht, dadurch verdoppeln,
verdreifachen, vervielfachen, daß man mehrere gleichartige Verbraucher parallel
an eine Quelle anschließt. Dabei vervielfacht sich in entsprechender Weise der
Elektronenstrom.
Bei dem handgetriebenen Generator vergrößert sich mit dem Energiestrom auch
die Zahl der pro Sekunde angetriebenen Elektronen. Dadurch erhöht sich die erforderliche Kraft an der Handkurbel bzw. die mechanische Leistung.
Elektrische Energiequellen können nicht beliebig viele Elektronen gleichzeitig in
gleichem Maße antreiben. Die Belastung einer Quelle durch den Elektronenstrom
stößt an bauartbedingte Obergrenzen.
Auch bei Elektromotoren vergrößert sich mit der Belastung der Motorwelle der
Elektronenstrom proportional zum Energiestrom innerhalb bauartlich bedingter
Grenzen.
Die Gesetzmäßigkeiten sind an die Voraussetzung geknüpft, daß die einzelnen
Elektronen von der Quelle alle in gleichem Maß angetrieben werden.
Unterrichtsweg
Ba Qualitativer Zusammenhang von Energiestrom und Elektronenstrom
bei einfachen Stromkreisen
Es wäre möglich, in diese Unterrichtseinheit einzusteigen, indem man direkt an die
Erfahrung der Schülerinnen und Schüler aus den vorangegangenen Übungen zur
Strommessung anknüpft. Dort haben die Schülerinnen und Schüler festgestellt, daß –
obwohl sie die Generatorkurbel immer gleich schnell drehen – durch verschiedene
Lämpchen unterschiedlich große Ströme fließen. Dieser Einstieg könnte – auf dem
unten skizzierten Weg – direkt in die fachsystematische Darstellung des Gesetzes
P ∼ I führen.
Von den übergeordneten Zielen des Unterrichts her ist es jedoch angemessener,
zunächst Zusammenhänge aus dem Alltag aufzugreifen, in dem die darzustellende
Gesetzmäßigkeit von Bedeutung sind. Den Einstieg könnte z. B. ein Unterrichtsgespräch über Fragen des Energiesparens bilden. Auch das Problem, was in der Umgangssprache mit dem Begriff des „Stromsparens“ gemeint sein könnte, eignet sich
als Anknüpfungspunkt. Der Einsatz von elektrischen Haushaltsgeräten wird zur Sprache kommen. Sowohl die Art des einzelnen Gerätes als auch deren gleichzeitig betriebene Anzahl bestimmen, wie groß der Energiestrom ist, der vom Versorgungsunternehmen über den Hausanschluß fließen muß. (Die Thematik verzahnt sich stark mit
der Einheit 3.4.9, so daß mit einiger Sorgfalt der Problembereich, um den es zunächst
geht, nämlich den Zusammenhang zwischen Energiestrom (Pstr) und Elektronenstrom
(I) zu erarbeiten, eingegrenzt werden muß. Messungen am Haushaltszähler stehen in
dieser Einheit nicht im Vordergrund (→ dazu Abschnitt C).
Die Schülerinnen und Schüler wissen bereits, daß zum Betrieb verschiedener
Haushaltsgeräte unterschiedliche Energieströme erforderlich sind (Unterrichtseinheit
108
3.4.1, Abschnitt Bd, S. 74 f. Falls dies nicht zutrifft, könnte als vorbereitende
Hausaufgabe dienen, an den Typenschildern einiger Geräte den Energiestrom abzulesen, der zu ihrem Betrieb erforderlich ist (z. B. Bügeleisen, Kaffeeautomat, Küchenrührgerät, Kochplatte, verschiedene Glüh – und Leuchtstofflampen usw.).
Von den Schülerinnen und Schülern werden in derartigen Diskussionen eine Vielzahl
von Fragen und Erfahrungen eingebracht. Der Zusammenhang von Energiestrom und
Elektronenstrom steht im allgemeinen nicht gerade im Vordergrund der Schülerinteressen. Es bedarf daher gegenüber der Legitimation, warum im Unterricht gerade dieses Problem in den Vordergrund gerückt wird. Dazu ist es zweckmäßig, den Schülerinnen und Schülern die Zielsetzung dieser und der folgenden Unterrichtseinheiten
etwa in folgender Weise zu erklären:
Der Unterricht soll die Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzen zu beurteilen, von welchen physikalischen Größen der Energiebedarf eines Elektrogrätes abhängt, welche Energieumsätze in Geräten, Haushalten, Gemeinden usw. stattfinden,
welche Belastungen und Kosten mit der Nutzung elektrischer Energie verbunden sind
usw. Da dieser Problemkreis sehr umfangreich ist, wird er in einzelnen Schritten erarbeitet. Die erste Frage, der z. B. nachgegangen wird, ist, in welcher Weise der Energiestrom in einem Stromkreis mit dem Elektronenstrom zusammenhängt.71
71
Grundsätzlich ist es möglich und je nach Verlauf des einführenden Klassengesprächs auch sinnvoll, die Einheiten 3.4.5 und 3.4.6 zu vertauschen. In den bisherigen Erprobungen hat sich die
vorgeschlagene Reihenfolge vor allem deshalb bewährt, weil das Verfahren zur Strommessung
weiter geübt und gefestigt werden kann, ohne daß gleich ein weiteres Meßverfahren und eine
weitere Größe (Spannung) differenziert werden müssen.
109
Im Demonstrationsexperiment werden die Elektronenströme durch verschiedene Haushaltsgeräte gemessen.
Geeignet sind in dieser Unterrichtsphase vor allem Geräte mit konstantem Energieumsatz (also noch keine
motorgetriebenen Geräte bei unterschiedlicher Belastung). Es zeigt
sich, daß der Elektronenstrom um so
größer ist, je größer die angegebene
Wattzahl des Gerätes ist. Zu betonen
ist an dieser Stelle, daß mit dem
Wort „Stromverbrauch“ nicht der Elektronenstrom gemeint sein kann,
weil dieser ja als „elektrischer Riemen“ im Kreis herum läuft. Es ist
unschwer einzusehen, daß nur der
Energiestrom gemeint sein kann,
wenn in diesen Zusammenhängen
von „Stromsparen“ die Rede ist.
Abbildung 31: Ein modernes und vielseitiges Meßgerät erlaubt auch die Messung von Energieströmen am handgetriebenen Generator, oder – wie
abgebildet – die Bestimmung des Wirkungsgrades
(vgl. dazu S. 146).72
Selbstverständlich kann bei den Haushaltsgeräten auch ein Leistungsmeßgerät zur
Bestimmung des Energiestroms eingesetzt werden, z. B. das in Abbildung 16, S. 77
gezeigte. Der Lehrmittelhandel bietet seit geraumer Zeit Vielfachmeßgeräte an, mit
denen der Energiestrom nicht nur im Bereich technischer Wechselspannungen gemessen werden kann, sondern auch im Kleinspannungsbereich an Gleichstromgeräten.
Mit diesen – allerdings noch relativ teuren Instrumenten können auch Energieströme
am handgetriebenen Generator gemessen werden (Abbildung 31).
Von den Erfahrungen bei den Übungen zur Strommessung ausgehend, lohnt es sich,
im Schülerexperiment nochmals die Ströme durch zwei Glühlampen verschiedener
Leistung (gleiche Nennspannung) mit ihrer Energieabgabe zu vergleichen. Man gibt
an die Schülerinnen und Schüler je ein Lämpchen mit den Betriebsdaten 4 V/0,1 A
und 4 V/1 A (oder 4 V/0,6 A) aus. Die Lämpchen werden am Generator unter der Fra72
110
Abgebildet ist das Energie- und Leistungsmeßgerät der Firma CORNELSEN EXPERIMENTA;
(→ Fußnote 28). Es zeigt außerdem Strom- und Spannungswerte, sowie den cosϕ bei Blindleistungen an. Schnittstelle und Meßwertspeicher zur PC-gestützten Datenauswertung gehören ebenfalls zur Ausstattung.
gestellung betrieben, welches wohl mehr Energie in Form von Licht abstrahlt (zunächst ohne Strommessung). Weil die Helligkeit von Lampen vor allem über die
Farbtemperatur der Wendel beurteilt wird, ist nicht ohne weiteres ersichtlich, daß die
Glühlampe mit dem größeren Strom auch mehr Licht aussendet. Dazu ist es hilfreich,
den Raum zu verdunkeln und den Helligkeitsunterschied anhand der Beleuchtung eines Buchtextes zu beurteilen. (Die Schülerinnen und Schüler werden aufgefordert,
den Text in einem bestimmten Abstand von der Lampe zu lesen.)
Nun werden die beiden Elektronenströme gemessen. Als qualitatives Ergebnis
wird festgehalten, daß in diesen Anordnungen der größere Elektronenstrom auch einen größeren Energiestrom erzeugt.
Am handgetriebenen Generator wird die Leistung mit zunehmendem Elektronenstrom dadurch größer, daß die Kurbel (bei gleichbleibender Drehgeschwindigkeit) mit
größerem Kraftaufwand gedreht werden muß. Die Erfahrung läßt sich in einsichtiger
Weise deuten: Bei größerem Strom wird auch der Generator in einer bestimmten Zeit
von mehr Elektronen durchströmt. Mehr Elektronen in der gleichen Zeit anzutreiben,
erfordert mehr Kraft an der Kurbel.
Auf eine quantitative Formulierung der Proportionalität P ∼ I kann und sollte in diesem Unterrichtsabschnitt noch verzichtet werden. Ein zu frühe Formalisierung der
Zusammenhänge könnte den Aufbau konsistenter Vorstellungen behindern, weil die
abstrakteren Darstellungen durchaus die Modellvorstellungen ersetzen können, ohne
daß sie anschaulich fundiert sind.
Bb Vervielfachung der Energieströme durch parallelgeschaltete
Verbraucher
Im Unterrichtsgespräch wird erörtert, daß der Energiebedarf – beispielsweise im
Haushalt – nicht nur vom einzelnen Gerät abhängt, sondern auch von der Anzahl der
Geräte, die gleichzeitig betrieben werden. Alle Geräte sind letztlich mit einer einzigen
Energiequelle verbunden. Ein einfaches Beispiel für den Anschluß von zwei Verbrauchern an einen Generator ist den Schülerinnen und Schülern von der Fahrradbeleuchtung her bekannt. Es ist leicht nachvollziehbar, daß sich der elektrische Energiestrom,
den eine Quelle erzeugen muß, verdoppelt, wenn zwei gleiche Verbraucher betrieben
werden und entsprechend vervielfacht, wenn mehrere gleiche Verbraucher an einer
Quelle betrieben werden. Damit ergibt sich eine einfache Möglichkeit, den Zusammenhang zwischen Energiestrom und Elektronenstrom quantitativ zu erfassen.
Im Schülerexperiment werden an einem einzigen Generator zunächst eine und
dann zwei gleiche Lampen (4 V/1 A) zu betrieben und die am Generator beobachtbaren Unterschiede festgehalten. Aus Gründen der Übersichtlichkeit der Schaltungen
sollte in diesem Erperimentierstadium auf die Strommessung noch verzichtet werden.
Es ist sehr zu empfehlen, an dieser Stelle die Parallelschaltung nicht vorzugeben.
Die Schülerinnen und Schüler sollen durch Versuch und Irrtum selbst einen der beiden Wege finden, beide Lampen gleichzeitig zu betreiben. Erfahrungsgemäß wird bei
mehreren Gruppen immer eine Minderheit dabei sein, die die Aufgabe zunächst mittels der Reihenschaltung löst.
111
Abbildung 32: Zwei voneinander unabhängige gleich große Ströme übertragen die
doppelte Energie pro Sekunde
Abbildung 33: Zwei elektrische Riemen treiben
voneinander unabhängig je einen Verbraucher
Die Versuchsergebnisse sorgfältig aufgearbeitet werden. Falls beide Schaltungsarten
realisiert wurden, sind zunächst die äußerlichen Beobachtungen zu vergleichen:
• In beiden Schaltungen hat sich der gesamte Energiestrom verdoppelt, denn beide
Lampen leuchten jeweils gleich hell.
• Auffällig ist, daß bei einer Schaltungsart (Parallelschaltung, Abbildung 32) für
den Betrieb beider Lampen eine größere Kraft an der Kurbel aufgebracht werden
muß, während die Drehgeschwindigkeit unabhängig von der Lampenzahl gleich
bleiben kann. Schaltet man die zweite Lampe hinzu oder aus, so bleibt die erste
Lampe davon unbeeinflußt.
• Bei der zweiten Schaltungsart werden die Lampen beim Zuschalten der zweiten
Lampe zunächst auffällig dunkler. Erst wenn man die Drehzahl an der Kurbel
verdoppelt, leuchten beide Lampen wieder normal hell. Ein höherer Kraftaufwand wie bei einer einzelnen Lampe ist nicht zu beobachten. Dreht man eine der
beiden Lampen aus der Fassung, so erlischt auch die andere.
Den Schülerinnen und Schülern wird mitgeteilt, daß zunächst eine der beiden Schaltungsarten näher untersucht wird und zwar diejenige, die auch im Haushalt und beim
Fahrrad angewendet wird. Daß es sich dabei um die Schaltungsart handeln muß, bei
der die Drehzahl an der Kurbel gleich bleibt (Parallelschaltung), kann in der Diskussion von den Schülerinnen und Schülern anhand folgender Argumente selbst herausgefunden werden: Schaltet man im Haushalt mehrere Lampen ein, so werden diese
nicht dunkler. Es ist aber nicht möglich, daß das Elektrizitätswerk stets die Drehzahl
des Generators ändert, wenn weitere Verbraucher zugeschaltet werden, zumal Tausende von Haushalten gleichzeitig bedient werden müssen. Haushaltsgeräte müssen
also über diejenige Schaltungsart betrieben werden, bei der die Funktion eines
Verbrauchers nicht von weiteren angeschlossenen Geräten beeinflußt wird.
112
In weiteren Schülerexperimenten werden die Ströme
bei der Parallelschaltung durch die einzelnen Lampen
und der Gesamtstrom gemessen. Die Interpretation der
Experimente und die Darstellung der Parallelschaltung
in Schaltbildern fällt den Schülerinnen und Schülern
leichter, wenn man zunächst die folgende Struktur darstellt (Abbildung 33):
• Der Strom über eine Lampe kann als „elektrischer
Riemen“ aufgefaßt werden. Er dreht sich unabhängig von weiteren „Riemen“, die vom Generator
angetrieben werden. Man nennt diese SchaltungsAbbildung 34: Iges = I1 + I2
art Parallelschaltung.
• Die Parallelschaltung ist mit den Keilriemen an einem Automotor vergleichbar,
bei dem von der Kurbelwelle aus ein Riemen die Wasserpumpe und ein anderer
den Kühlerventilator treibt.Die Elektronen eines Stromkreises bewegen sich unabhängig davon, ob noch weitere Stromkreise angeschlossen sind oder nicht.
Dies bedeutet, daß alle Elektronen gleich stark angetrieben werden.
• Bei der Parallelschaltung können die verschiedenen „Riemen“ teilweise auch in
einem einzigen Leiter verlaufen (Abbildung 34). Die Teilströme addieren sich in
diesem Leiterstück zu einem Gesamtstrom (vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt C), der auch durch die Quelle fließt. Für die Darstellung in einem Schaltbild gibt es verschiedene gleichwertige Möglichkeiten (Abbildung 35).
• An einem Verzweigungspunkt der Parallelschaltung ist die Summe der in den
Punkt hineinfließenden Ströme gleich der Summe der abfließenden Ströme.
(Knotenregel).
G
G
G
Abbildung 35: Verschiedene gleichwertige Darstellungen der Parallelschaltung
Die Identifizierung von Parallelschaltungen in unterschiedlichen realen Anordnungen
sowie in Schaltbildern muß geübt werden (Abbildung 35).
Anschließend ist die Parallelschaltung in weiteren Schülerexperimenten mit drei und
vier Lämpchen zu erweitern. Zunächst werden nur baugleiche Lämpchen verwendet.
Die Lämpchen sollten vorerst so ausgewählt werden, daß der Gesamtstrom kleiner als
113
2 A bleibt, weil sonst die Generatorspannung deutlich kleiner wird. Geeignet sind
z. B. die Lämpchen 4 V/0,3 A. Aus diesen Versuchen ergibt sich dann das Gesetz:
Je größer der Energiestrom wird, desto größer ist auch der Elektronenstrom
(Pstr ∼ I)
dessen Gültigkeit zunächst auf die untersuchten Parallelschaltungen beschränkt ist.73
Bc Die Belastungsgrenze von Energiequellen
Die Schülerinnen und Schüler werden beobachten, daß sich die Ströme nicht mehr
genau vervielfachen, wenn sie zu groß werden. Es ist sinnvoll, dies im Schülerexperiment zu untersuchen. Dazu werden bis zu 5 Lämpchen mit den Daten 4 V/0,6 A am
Generator parallelgeschaltet.
Das Versuchsergebnis kann durch den Hinweis erklärt werden, daß jede elektrische Energiequelle das Gesetz Pstr ∼ I nur in bestimmten Grenzen erfüllen kann. Die
Anzahl der Elektronen, die gleichzeitig angetrieben werden können, ist durch die
Bauart begrenzt. Aus diesem Grunde gibt es beispielsweise unterschiedlich große
Batterien, die zwar die Elektronen in gleichem Maße antreiben, sich aber durch die
maximalen Ströme unterscheiden, bis zu der ihre „Antriebsfähigkeit“ weitgehend erhalten bleibt (Abbildung 36).
Abbildung 36: Unterschiedlich große
Abbildung 37: zwei Batterien können einen beBatteriezellen können in der gleichen
stimmten Strom länger aufrecht erhalten, als eine
Zeit verschieden viele Elektronen antrei- einzige
ben
Je weniger Elektronen eine Batterie in einem Zeitabschnitt antreiben muß, desto länger kann sie einen bestimmten Strom aufrecht erhalten, desto länger dauert es also, bis
die Batteriezelle „leer“ ist. Um die Betriebszeit und die maximalen Ströme zu vergrößern, kann man mehrere Batterien parallel schalten. Dies kann mit der Schaltung nach
Abbildung 37 im Demonstrationsversuch gezeigt werden. Jede der beiden parallel geschalteten Batterien muß nur die halbe Anzahl der Elektronen antreiben.
73
114
Die Art, wie dieses Gesetz dargestellt wird, ist hier noch nicht von Bedeutung. Man wird aufgrund des Leistungs- und Kenntnisstandes zwischen einer rein verbalen Formulierung, dem konstanten Quotienten, der graphischen Darstellung oder der Proportionalschreibweise zu entscheiden haben. Die formale Ausformulierung erfolgt in der Einheit 9 (S. 136 ff).
Bd Elektronenstrom und Energiestrom beim Elektromotor
Sowohl im Alltag als auch im Unterricht spielen Elektromotoren immer eine wichtige
Rolle. Im Gegensatz zu einer Glühlampe, einem Draht u. ä. können Elektromotoren an
ein und derselben Energiequelle unterschiedlich „schwer arbeiten“. Dies muß sich
auch an dem Energiestrom bemerkbar machen, der in das jeweilige Elektrogerät hineinfließt.
In einem qualitativen Demonstrationsexperiment wird der Zusammenhang von
Elektronenstrom und Energiestrom bei einem Küchenrührgerät untersucht:
Zunächst wird der Strom im Leerlauf
der Maschine gemessen. (Die zusätzliche
Messung des Energiestroms mit einem elektronischen Meßgerät ist empfehlenswert.) Dann wird das Rührwerk in Wasser
getaucht. Anschließend wird sukzessive
Mehl in das Wasser geschüttet, bis ein
zäher Teig entsteht (Abbildung 38).
Abbildung 38: Je mehr ein Motor leisten muß,
um so größer wird der Elektronenstrom
A
3V
Ergebnis: Je mehr der Elektromotor leisten muß, um so größer wird der Elektronenstrom.
In einem weiteren Demonstrationsexperiment wird dieser Zusammenhang quantitativ dargestellt. Verwendet wird der
zum Motor umgerüstete Generator aus
Abbildung 15 (S. 75). Um sicherzustellen,
daß die Elektronen gleichmäßig angetrieben werden, wird er statt an den handgetriebenen Generator an ein Netzgerät
(U = 3 V) angeschlossen (Abbildung 39).
In einem Vorversuch wird der Motor
nacheinander mit ein, zwei und drei
Abbildung 39: Anordnung zur Darstellung von 100 g-Wägestücken belastet.
P∼I
Mißt man die Zeit, die der Motor benötigt, um eine unterschiedliche Anzahl von Wägestücken jeweils um die gleiche Strecke (1 m) hochzuziehen, so stellt man fest, daß
sich diese Zeit trotz unterschiedlicher Belastung kaum verändert, d. h., die Drehzahl
des Motors wird durch die Belastung kaum beeinflußt. (Die Drehzahl des Motors ist
im Idealfall nur von der angelegten Spannung und nicht vom Drehmoment abhängig.)
115
Bereits im „Leerlauf“ (kein Wägestück an der Schnurwelle) fließt ein Strom. Er ist erforderlich, um den Motor und das angeschlossene Getriebe zu drehen (Reibung).
Belastet man die Schnurwelle mit einem Wägestück, so wird der Strom größer.
Die Zunahme ist also eine Folge des nun zusätzlich auftretenden Energiestroms. Dieser kann leicht ermittelt werden: Man berechnet die Hubarbeit WH = FG·h und stoppt
die Zeit t, die erforderlich ist um das Wägestück um h anzuheben. Die Hubleistung
erfordert, daß (mindestens) der in jeder Sekunde umgesetzte Energiebetrag auch dem
Generator zufließt. Der Energiestrom Pstr ist daher (mindestens) so groß wie die Hubleistung Pmech = WH/t.74 Die Tabelle in Abbildung 40 zeigt die Meßwerte einer entsprechenden Versuchsreihe.
Das Versuchsergebnis zeigt: Ein rundumlaufender Elektronenstrom von jeweils
ca. 70 mA überträgt im genannten Beispiel eine Energie von etwa 0,2 Joule pro Sekunde. Der Energiestrom wächst proportional zum Elektronenstrom. Im allgemeinen
wird sich die graphische Dargestellung des Versuchsergebnisses anbieten (Abbildung
41).
el. Strom
Belastung
des Motors
mech.
Hubleistung
Strom für
die Hubleistung
340 mA
412 mA
480 mA
550 mA
625 mA
Leerlauf
100 g
200 g
300 g
400 g
0
0,21 W
0,42 W
0,63 W
0,85 W
0
72 mA
140 mA
215 mA
285 mA
Abbildung 40: Meßwertebeispiel zu P ~ I
beim Elektromotor
1
Hubleistung (Energiestrom)
0,8
0,6
0,4
0,2
0
0
50
100 150 200 250 300 350
Elektronenstom
Abbildung 41: Graphische Darstellung des
Meßergebnisses aus der Tabelle nach
Abbildung 40
74
116
Zur Problem des Wirkungsgrades und seiner Messung werden in der Einheit 9, S. 146 Ausführungen gemacht.
C
Didaktische, fachliche und technische Anmerkungen
Die Thematisierung der Energieströme, die in Haushaltsgeräte fließen, wirft Abgrenzungsprobleme zur Unterrichtseinheit 9 auf (S. 136 ff), die situationsbezogen gelöst
werden müssen. Der Energiebedarf im Haushalt kann in differenzierter Form erst diskutiert und mit dem nicht netzgebundener Geräte verglichen werden, wenn der Spannungsbegriff bereits zur Verfügung steht. Deshalb folgt der Unterrichtsgang insofern
auch den Lehrplänen, als die ausführliche Betrachtung des Energiebedarfs in Haushalten erst in der Einheit 9 im Anschluß an die Spannungsdefinition vorgesehen ist.
Soweit die Schülerinnen und Schüler spontan interessiert sind, bietet sich dessen unbeschadet bereits hier der Vergleich von Energieströmen an, evtl. durch die Messung
mit einem elektronischen Gerät (→ Fußnote 44, S. 76 und die Erläuterungen zu
Abbildung 31, S. 110).
Die Behandlung der Gesetze der Reihen- und Parallelschaltung ist in konventionellen
Unterrichtsgängen oft mit einem Absinken des Motivationsniveaus verbunden. Dies
resultiert zum Teil aus der oft im Vordergrund stehenden mathematischen Darstellung
(Widerstandsgleichungen); denn der Sinn entsprechender Aufgaben bleibt den Schülerinnen und Schülern oft verborgen. Weil die Vorstellungen für die Deutung von
Vorgängen in komplexeren Stromkreisen nicht genügend ausgeprägt sind, entstehen
oft Schwierigkeiten bei der Zuordnung von Schaltbildern zu beiden Schaltungsarten.
(Vgl. dazu die Ausführungen zur Differenzierung der Begriffe Stromstärke und Spannung auf S. 30 ff.)
Diesen didaktischen Schwierigkeiten wird hier dadurch begegnet, daß den Schaltungsarten keine selbständige Zielsetzung zugesprochen wird, sondern daß sie im Zusammenhang mit der Frage behandelt werden, welche unterschiedlichen Möglichkeiten es gibt, den Energiestrom in elektrischen Anlagen zu verändern. Die Formulierung
der Gesetze für die Reihen- und Parallelschaltung verteilt sich durch diesen Aufbau
auf mehrere Unterrichtseinheiten (3.4.5 bis 3.4.9). Dadurch treten die erforderlichen
Vorstellungen zur Schaltungstechnik über längere Zeit und unter unterschiedlichem
Blickwinkel immer wieder auf. Die Mathematisierung der Gesetze erfolgt in entsprechend kleinen Schritten und zeitlich entzerrt. Es soll aber nicht verschwiegen werden,
daß der Formulierung von Widerstandsgleichungen in diesem Unterrichtsgang allenfalls eine untergeordnete Bedeutung zugemessen wird (vgl. dazu auch S. 135). Wichtig ist das Verständnis, wie man über die verschiedenen Schaltungsarten die Energieumsätze beeinflussen kann.
Bei der Erklärung der Summenregel für die Teilströme (Iges = I1 + I2+ ... In) ist die Gefahr einer Fehlinterpretation zu beachten, die häufig sprachlich unterstützt wird:
Formuliert man z. B. „Der Gesamtstrom verteilt sich auf die einzelnen Zweige“, so
kann leicht das Denkmuster entstehen, ein konstant bleibender Strom verteile sich so
auf die Zweige, daß die Teilströme um so kleiner werden, je größer die Zahl der
Zweige ist. Dieses Bild trifft nur auf Konstantstromquellen zu, die ja im einführenden
Unterricht im allgemeinen nicht verwendet werden. Auch die meisten „Wassermodelle“ zu Stromverzweigungen unterstützen dieses Denkmuster. Denn bei Pumpen (oder
117
bei einem Fluß, der sich an einer Insel gabelt), bleibt der Strom konstant und teilt sich
auf.75
Im Gegensatz dazu ist zu betonen, daß in elektrischen Anlagen bei der Parallelschaltung mit jedem Zweig ein zusätzlicher Teilstrom entsteht. Der Begriff verteilen
sollte in diesem Zusammenhang nach Möglichkeit vermieden werden.
Die Entscheidung, in dieser Unterrrichtseinheit auch die Energieübertragung an
Gleichstrommotoren zu betrachten, ist wohl begründet:
• Neben den Verbrauchern, bei denen der Elektronenstrom seine Energie in Drähten abgibt, spielen im Alltag Elektromotoren eine erhebliche Rolle. Da sie auch
im Unterricht bereits mehrfach vorgekommen sind, ist es naheliegend, den Zusammenhang von Elektronenstrom und Energiestrom auch beim Elektromotor zu
untersuchen.
• Die Betrachtung des Elektromotors wirkt einem verkürzten UrsacheWirkungsschema im Hinblick auf den Zusammenhang von Spannung und Strom
entgegen. Am (idealen) Motor zeigt sich, daß Strom und Spannung unabhängig
voneinander variiert werden können.
Das spezielle Verhalten des Elektromotors muß an dieser Stelle zunächst ebenso als
empirische Tatsache hingenommen werden, wie jenes der Lampen und Widerstandsdrähte. Die Abhängigkeit des Stromes von der Spannung bei letzteren kann erst gedeutet werden, wenn die Wechselwirkungen der Elektronen in Drähten mit einer Vorstellung unterlegt sind (Unterrichtseinheit 7). Ohne eine solche Vorstellung bleibt es
reine Spekulation, bei welchen Verbrauchern das Ohmsche Gesetz gilt und bei welchen nicht. In entsprechender Weise wird das Verhalten des Motors im Zusammenhang mit der Behandlung der Lenzschen Regel aufgeklärt (Unterrichtseinheit 11,
S. 151 ff).
Bei den Experimenten mit dem Motor sollte vorab beobachtet werden, ob der
Leerlaufstrom stabil ist. Bei zu großer Drift kann meistens dadurch Abhilfe geschaffen werden, daß der Motor einige Zeit mit hoher Drehzahl betrieben und eventuell mit
Kontaktspray geschmiert wird.
3.4.6 Vorstellungen zur Quellenspannung
A
Unterrichtsziele
Die Beschreibung der Energieübertragung durch Stromkreise erfordert neben der
Vorstellung des zirkulierenden „Transportmediums“ ein begriffliches Instrumentarium zur quantitativen Darstellung des spezifischen Energiestroms, d. h., es ist eine
Größe erforderlich, die beschreibt, welcher Energieumsatz (oder Energietransport)
75
118
Siehe dazu auch die Ausführungen zu den Grenzen der Analogie von „Wassermodellen“ im Abschnitt C zur Unterrichtseinheit 2 (S. 95).
mit einem bestimmten Elektronenstrom gekoppelt ist. Bei dieser Größe handelt es
sich um die elektrische Spannung.76
Die Spannung wird zunächst als Größe eingeführt, mit der beschrieben wird, wie
sehr eine Energiequelle die Elektronen antreibt. Der Schwerpunkt dieser ersten Unterrichtseinheit liegt beim Aufbau einer auf die Energieübertragung bezogenen Semantik
des Spannungsbegriffs. Eine entsprechende Definition im strengen Sinne wird vorbereitet. Sie erfolgt aber erst, nachdem einige Erfahrung mit der Bedeutung der neuen
Größe gesammelt wurde (→ Abschnitt 3.4.9). In der vorliegenden Einheit sollen die
Schülerinnen und Schüler
• erkennen, daß der Elektronenstrom allein nicht ausreicht, um den Vorgang der
Energieübertragung quantitativ zu erfassen, weil gleich große Ströme in gleicher
Zeit unterschiedlich viel Energie transportieren können;
• erfahren, daß man Elektronen in verschiedenen Stromkreisen unterschiedlich antreiben muß, um einen bestimmten Elektronenstrom zu erzeugen;
• erkennen, daß der Energiestrom bei gleichbleibendem Elektronenstrom umso
größer wird, je mehr die einzelnen Elektronen von der Energiequelle angetrieben
werden;
• lernen, daß die elektrische Spannung ein Maß dafür ist, wie sehr die (einzelnen)
Elektronen von der Quelle angetrieben werden, und daß die Spannung in der
Maßeinheit 1 V(olt) angegeben wird;
• erkennen, daß die elektrische Spannung ein wichtiges Charakteristikum elektrischer Energiequellen ist;
• darüber belehrt werden, daß nur mit Spannungsquellen gefahrlos experimentiert
werden kann, deren Spannung wenige Volt beträgt (Spezifikation → S. 122).
• Darüber hinaus sollen die Schülerinnen und Schüler die Handhabung des Spannungsmessers und die Meßmethode für die Spannung kennenlernen.
B
Unterrichtsweg
Ba Gleiche Elektronenströme – unterschiedliche Energieströme
Unter den verschiedenen Möglichkeiten, in die Problemstellung dieser Unterrichtseinheit einzusteigen, hat sich folgendes Demonstrationsexperiment als besonders motivierend erwiesen:
Eine Fahrrad-Scheinwerferlampe (6 V/2,4 W) wird mit dem handgetriebenen Generator oder mit einem Dynamo so betrieben, daß sie normal hell leuchtet. Gleichzeitig wird eine Schreibtischlampe mit einer 230 V/60 W-Glühlampe eingeschaltet
(Abbildung 42). Die Schülerinnen und Schüler werden aufgefordert, die beiden Elektronenströme zu schätzen. Aufgrund ihrer bisherigen Erfahrung, werden sie den Strom
durch die Fahrradlampe der Größenordnung nach richtig einschätzen. Der Strom
durch die 60 W-Glühlampe wird von den Schülerinnen und Schülern in der Regel als
vielfach größer angenommen.
76
Siehe Kapitel 2.3, S. 37.
119
A
A
Abbildung 42: Trotz eines kleineren Elektronenstroms liefert die Haushaltsglühlampe mehr
Energie in jeder Sekunde
In einer Messung werden beide Ströme verglichen. Die Feststellung, daß der Strom
durch die Haushaltsglühlampe sogar kleiner ist als derjenige durch das Fahrradlämpchen, erzeugt einen kognitiven Konflikt, der zu der Frage führt, warum die Haushaltslampe dann viel heller leuchtet, bzw., warum sie trotz des kleineren Stroms mehr Energie in jeder Sekunde abgibt.
Die Erfahrung, daß man vom Elektronenstrom nicht ohne weiteres auf den Energieumsatz schließen kann, wird im Schülerexperiment vertieft:
Es werden am handgetriebenen Generator Lämpchen mit gleicher Nennstromstärke (0,1 A) aber verschiedener Nennspannung (z. B. 2,5 V; 4 V; 6 V; 10 V) betrieben. Die Schülerinnen und Schüler werden zunächst aufgefordert, die Generatorkubel
wie gewohnt gleichmäßig zu drehen. Nacheinander werden die Lämpchen angeschlossen, ohne daß die Drehzahl des Generators geändert wird. Dabei werden auch
die Ströme gemessen.
Beobachtung: Bei gleichbleibender Drehzahl des Generators leuchten nicht alle
Lämpchen gleich hell. Durch die Lämpchen, die hell leuchten fließt auch ein größerer
Strom als durch die anderen.
Den Schülerinnen und Schülern wird mitgeteilt, daß alle Lämpchen so gebaut sind,
daß sie bei einem Strom von 0,1 A normal leuchten. Sie werden aufgefordert, den Generator nun jeweils so schnell zu drehen, daß durch die Lämpchen immer ein Strom
von 0,1 A fließt. Sie sollen herausfinden, wie man die Lämpchen in der Reihenfolge
des für den Betrieb erforderlichen Energiestroms ordnen kann.
Beobachtung: Bei manchen Lämpchen muß die Generatorkurbel schneller gedreht
werden, damit der erforderliche Strom von 0,1 A fließt. Die Lämpchen lassen sich
nach der Reihenfolge ordnen, nach der die erforderliche Drehzahl der Kurbel zunimmt.
In einem weiteren Schülerexperiment werden die Erfahrungen mit der Reihenschaltung aufgegriffen, die in der vorangegangenen Unterrichtseinheit gemacht wurden.
Die Schülerinnen und Schüler bauen die Schaltung nach Abbildung 43 auf (Lampen
4 V/1 A.) Die Kurbel soll so schnell gedreht werden, daß beide Lampen normal leuchten bzw., daß ein Strom von 1 A fließt. Die erforderliche Drehzahl an der Kurbel wird
– durch Zählen im Takt – verglichen mit derjenigen, die bei nur einer Lampe notwendig ist.
120
Der Versuch kann auf die Reihenschaltung von bis zu 4 Lämpchen erweitert
werden, wenn diese eine kleinere Nennspannung haben (z. B. 2,5 V).
Beobachtung: Je mehr Lampen sich
im Stromkreis befinden, desto
schneller muß am Generator gedreht
werden, damit wieder ein Strom in
der richtigen Größe fließt.
Abbildung 43: Trotz gleichbleibendem Elektronenstrom verdoppelt sich der Energiestrom, wenn die
Generatorkurbel doppelt so schnell gedreht wird
Ergebnis: Die Diskussion der Versuchsbeobachtungen sollte die Schülerinnen und Schüler zu folgenden
Erkenntnissen führen:
Verbraucher hemmen die Elektronenbewegung. Damit überhaupt ein Strom fließt,
müssen die Elektronen angetrieben werden. Um einen bestimmten Strom zu erreichen, kann es in verschiedenen Stromkreisen erforderlich sein, die Elektronen unterschiedlich anzutreiben. Am Generator geschieht dies durch eine mehr oder weniger
große Drehgeschwindigkeit der Kurbel. Wenn gleiche Ströme fließen, so werden auch
immer gleich viele Elektronen pro Sekunde angetrieben. Deshalb ist dabei die Kraft
an der Kurbel immer gleich groß. Jedes einzelne Elektron wird aber um so mehr angetrieben, je schneller die Kurbel gedreht wird.
Vergrößert man die Leistung am Generator durch die Erhöhung der Drehzahl, so
werden die einzelnen Elektronen stärker angetrieben. Die Bewegung der gleichen
Anzahl Elektronen transportiert dann entsprechend mehr Energie von der Quelle
zum Verbraucher.
Den Schülerinnen und Schülern wird mitgeteilt, daß die Schaltungsart nach
Abbildung 43 Reihenschaltung genannt wird. Im Unterschied zur Parallelschaltung
müssen alle Elektronen der Reihe nach durch alle Verbraucher. Die Schaltung ist
vergleichbar mit einer mechanischen Anordnung, in der ein Riemen über mehrere
Verbraucher läuft. Weil der „elektrische Riemen“ nun auch von mehreren Verbrauchern gehemmt wird, muß er entsprechend stärker angetrieben werden, damit er wieder mit der vorgesehenen Geschwindigkeit läuft.77
Der Energiestrom ist also von zwei Faktoren abhängig, nämlich von der Größe des
Elektronenstroms und davon, wie sehr die einzelnen Elektronen angetrieben werden.
Dies ist ähnlich, wie bei der mechanischen Energieübertragung (→ Abbildung 3,
S. 35). Dort kann sich einerseits die Umlaufgeschwindigkeit des Riemens ändern (entspricht der Stromänderung) zum andern aber auch die Riemenspannung (bei größerer
Belastung des Wellrades). Auch beim elektrischen Stromkreis spricht man von einer
Spannung. (Zu den Grenzen der Analogie zwischen mechanischer und elektrischer
Spannung vgl. den Hinweis in Abschnitt C.)
77
Vergleiche die Ausführungen dazu auf S. 113 und S. 123.
121
Die elektrische Spannung ist ein Maß dafür, wie sehr die einzelnen Elektronen
von der Energiequelle angetrieben werden.
Je größer die Spannung ist, mit der eine Quelle die Elektronen antreibt, desto größer
ist auch der Energiebetrag, der in jeder Sekunde mit Hilfe des Stromkreises übertragen wird, oder anders ausgedrückt:
Bei gleichem Elektronenstrom wächst der Energiestrom mit der elektrischen
Spannung (P ~ U).
Als Maßeinheit der elektrischen Spannung wird das V(olt) unter Verweis auf die
Leistungen Alessandro VOLTAs (1745–1827) eingeführt. Man kann darauf hinweisen,
daß die Spannung von 1 V etwa derjenigen der chemischen Energiequelle entspricht,
die aus den Versuchen bekannt ist (Abbildung 29, S. 102).78
Bb Die Spannung von Energiequellen und ihre Messung
Bevor die Schülerinnen und Schüler Spannungen messen, muß ihnen die prinzipielle
Funktionsweise des Spannungsmessers als Information gegeben werden. Der Spannungsmesser wird als Instrument erklärt, das mißt, wie sehr die Elektronen zwischen
den Anschlußstellen des Spannungsmessers angetrieben werden. Im Gegensatz zum
Strommesser müssen dazu nicht alle Elektronen durch das Instrument, vielmehr genügen bei modernen Spannungsmessern verschwindend wenig Elektronen um festzustellen, wie sehr sie angetrieben werden. Spannungsmesser sind deshalb für Elektronen nahezu undurchlässig.
Aufgrund der Eigenschaften des Spannungsmessers hat der Meßvorgang keinen
Einfluß auf die Funktionsweise eines geschlossenen Stromkreises. Allerdings darf der
Spannungsmesser nicht wie der Strommesser in den Stromkreis hineingeschaltet werden, weil dies praktisch einer Unterbrechung des Stromkreises gleichkommt.79
Im Schülerexperiment werden zunächst die Spannungen an den Anschlüssen des Generators bei verschiedenen Drehzahlen gemessen. Außerdem empfiehlt sich die Spannungsmessung an unterschiedlichen Batterien und Akkumulatoren, die den Schülerinnen und Schülern von mancherlei Geräten her bekannt sind (z. B. Monozellen, Flachbatterien, Knopfzellen, Autobatterie).80
An dieser Stelle ist der Gefahrenhinweis angebracht, daß Spannungen oberhalb von
25 V gefährlich werden können, Spannungen von mehr als 50 V – also auch die Netzspannung von 230 V – lebensgefährlich sind und deshalb an solchen Quellen von
Schülerinnen, Schülern und Laien keine Messungen durchgeführt werden dürfen.
78
79
80
122
Einen raschen Aufschluß über Voltas Arbeiten erhält man bei FRAUNBERGER [13].
Zur Auswahl des Meßgerätes und der Meßmethode siehe Abschnitt C sowie die Hinweise zum
Einsatz der Meßgeräte auf S. 107.
Zunächst sollte die Quellenspannung nur bei angeschlossenem Verbraucher gemessen werden.
Zur Interpretation der Spannung bei geöffnetem Stromkreis siehe die Hinweise in Abschnitt C.
Bei vielen Energiequellen ist die Spannung unveränderlich. Dies gilt vor allem für
Batterien und Akkumulatoren. Deshalb müssen die Quellen so ausgewählt werden,
daß ihre Spannung den richtigen Betriebsstrom für den Verbraucher erzeugt.
Im Klassengespräch kann die Schaltung
von Batterien anhand einer Betrachtung
der Batteriefächer schülernaher Geräte
(z. B. Taschenrechner, Radiorecorder) besprochen werden. In der Regel reicht die
Spannung einzelner Batteriezellen nicht
aus. Daher werden mehrere Zellen in einer
Reihenschaltung angeordnet. Die einzelnen Elektronen müssen durch alle Zellen
Abbildung 44: Durch Reihenschaltung einhindurch und werden jedesmal angetriezelner Batteriezellen addieren sich die Spannungen. Bei der 4,5-V-Flachbatterie sind drei ben. Aus diesem Grunde addieren sich die
Zellen, beim 9-V-Block 6 Zellen mit je 1,5 V
Spannungen der Zellen.
in Reihe geschaltet
Im Unterschied zur Reihenschaltung wird bei parallelgeschalteten Quellen jedes Elektron nur durch eine Quelle angetrieben (Abbildung 37, S. 114). Bei vielen Batterien wird die angegebene Quellenspannung erreicht, indem mehrere Zellen innerhalb
eines Gehäuses in Reihe geschaltet werden (Abbildung 44). Geöffnete Blöcke sollten
als Anschauungsmaterial zur Verfügung stehen.
Bc Spannung und Energieumsatz am Elektromotor
Was geschieht, wenn man die Spannung an Elektromotoren erhöht?81 Schülerinnen
und Schüler haben viel Freude daran, dies an einer elektrischen Eisenbahn zu untersuchen (Gleichspannungssystem, möglichst mit einer Spurweite von 5 cm). Selbstverständlich wird zur Energieversorgung der handgetriebene Generator verwendet. Veranstaltet man mit mehreren Lokomotiven ein „Eisenbahnrennen“, so wird besonders
deutlich: Je schneller die Generatorkurbel gedreht wird, desto schneller laufen auch
die Lokomotiven.82
Der Schluß liegt nahe, daß sich beim Elektromotor der Lokomotive die Drehzahl
mit der angelegten Spannung erhöht. Die kann nun genauer untersucht werden:
Im Demonstrationsversuch wird einer der Generatoren als Motor betrieben. Verbindet
man den Motor mit einem handgetriebenen Generator, so zeigt sich qualitativ, daß ein
schnelleres Drehen der Generatorkurbel eine höhere Drehzahl des Motors bewirkt.
81
82
Dieser Unterrichtsabschnitt kann an hier auch entfallen, wenn die Unterrichtseinheit 9 mit der
Spannungsdefinition im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang behandelt wird.
Es ist nicht notwendig, daß die Schulsammlung über eine elektrische Spielzeugeisenbahn verfügt
(wenngleich diese besonders im Bereich der Mechanik hervorragende Dienste leisten kann). Die
Identifikation mit dem unterrichtlichen Geschehen wird nur erhöht, wenn die Schülerinnen und
Schüler eigene Lokomotiven und Schienen einsetzen dürfen. Nach unseren Erfahrungen gibt es
in jeder Klasse geeignete Spielgeräte.
123
A
In der Anordnung nach Abbildung 45 werden
verschiedene Spannungen zwischen 2 V und
6 V angelegt und jeweils die Leerlaufströme
gemessen. Dann wird der Motor bei den entsprechenden Spannungen mit einem Wägestück von 100 g belastet.
Beobachtung: Der Laststrom (um den Leerlaufstrom korrigierter Meßwert) hat bei allen
V
Spannungen etwa den gleichen Wert. Das
Abbildung 45: Je höher die Spannung am Wägestück wird um so schneller hochgezoMotor ist, desto höher ist seine Drehzahl.
gen, je höher die Spannung ist.
Der (um den Leerlaufstrom korrigierte)
Laststrom ist weitgehend unabhängig von
der Drehzahl
Ergebnis: Erhöht man an einem Motor die Spannung, so erhöht sich seine Drehzahl
und damit die Leistung. Der Laststrom ist von der Spannung weitgehend unabhängig.
C
Didaktische, fachliche und technische Anmerkungen
Der Spannungsbegriff bleibt in dieser Darstellung eng mit seiner Bedeutung für die
Energieübertragung gekoppelt. Dies wurde in Kapitel 2.3 auf S. 37 ff ausführlich begründet. Damit hängt es auch zusammen, daß die Reihenschaltung gewissermaßen
„en passant“ behandelt wird. Sie wird zwar in den folgenden Einheiten bis zur „Maschenregel“ ausgebaut, – ist also noch mehrmals Gegenstand des Unterrichts – jedoch
immer nur in Funktion für eine übergeordnete Zielsetzung. (Zur untergeordneten Bedeutung der Reihenschaltung in Energieübertragungsanlagen → S. 78.)
Die Analogie zwischen der mechanischen und elektrischen „Riemenspannung“ hat
hier nur den Charakter einer „Eselsbrücke“. Eine direkte Übertragung des Bildes vom
„gespannten Riemen“ ist wegen der spezifischen Weise der Wechselwirkung zwischen Elektronen problematisch. Es ist auch zu beachten, daß bei der mechanischen
Transmission die Riemenspannung mit der Belastung des Wellrades wächst
(Abbildung 3, S. 35), während im elektrischen Fall die Belastung der Motorwelle zu
einer Stromerhöhung führt. Umgekehrt erhöht sich im mechanischen Fall mit der
Drehgeschwindigkeit des Handrades die Umlaufgeschwindigkeit des Riemens (entspräche größerem Strom), während im elektrischen Fall sich nicht die Elektronengeschwindigkeit sondern die Spannung verändert. Diese Grenzen der Analogie sollte
man den Schülerinnen und Schülern keinesfalls verschweigen. Sie aufzuzeigen ist didaktisch wichtig; denn eine allzugroße Übereinstimmung zwischen Modell und Realität verdeckt nur den Modellcharakter und erzeugt ein „mechanistisches Weltbild“, das
dem komplexen Charakter des „elektrischen Fluidums“ nicht gerecht würde (vgl. dazu auch S. 131).
Es ist zu empfehlen, die Spannung zunächst mit einfachen digitalen Instrumenten
zu messen, die sich deutlich von den Strommessern unterscheiden (z. B. auch in der
Farbe; → Hinweise zum Einsatz der Meßinstrumente auf S. 107). Außerdem sollten
124
an die Spannungsmesser nur Prüfspitzen angeschlossen werden, die zur Messung lediglich kurzzeitig an die Meßpunkte der Schaltung gehalten werden. Damit wird die
Unterscheidung der Begriffe Strom(-stärke) und Spannung nicht nur vom Begriffsinhalt sondern auch vom Meßinstrument und der Meßmethode her unterstützt.
Gelegentlich löst die Erfahrung bei einzelnen Schülerinnen und Schülern Überraschung aus, daß an Quellen auch dann eine Spannung gemessen werden kann, wenn
kein Verbraucher angeschlossen ist. Von diesen Schülerinnen und Schülern wird argumentiert, daß bei geöffnetem Stromkreis keine Elektronen angetrieben würden. Es
sind deshalb Vorstellungshilfen erforderlich, die dieser semantischen Grenzsituation
des angelegten Spannungsbegriffs Rechnung tragen. Auf S. 47 wurde bereits erörtert,
wie man mit dieser Nahtstelle zur Potentialvorstellung didaktisch umgehen kann.
Darüber hinaus ist für Schülerinnen und Schüler vielleicht der Hinweis hilfreich, daß
der angeschlossene Spannungsmesser einen Stromkreis schließt, in dem sich –
wenngleich nur wenige – Elektronen bewegen. Als Lehrerin oder Lehrer sollte man
auf alle Fälle der Vorstellung entgegenwirken, dernach die Spannung einem Strom in
der Weise „aufgeprägt“ ist, daß sie überall und nur dort zu messen ist, wo ein Strom
fließt. Dieser möglichen Fehlvorstellung bzw. der „Entkoppelung“ von Strom und
Spannung wird auch durch den methodischen Weg der nachfolgenden Unterrichtseinheit besonders Rechnung getragen (→ Einheit 7).
Eine Definition der elektrischen Spannung (U = P/I) und die daraus resultierende
Maßeinheit (1 V = 1 W/1 A) könnte bereits im Rahmen dieser Einheit erfolgen. Die
Unterrichtserfahrungen legen jedoch nahe, zunächst mit der Spannung in der Art einer
Grundgröße zu arbeiten und dabei die Vorstellungen zum Spannungsbegriff auf qualitativem Niveau zu erweitern und zu festigen. Darauf aufbauend erfolgt dann in der
Unterrichtseinheit 9 die Spannungsdefinition.
3.4.7 Spannungen an beliebigen Leitern im Stromkreis
Widerstandsvorstellung
A
Unterrichtsziele
In dieser Unterrichtseinheit soll eine Vorstellung dazu aufgebaut werden, warum in
einem Stromkreis zwischen verschiedenen Meßpunkten unterschiedliche Spannungen
auftreten. In diesem Zusammenhang wird die Widerstandsvorstellung phänomenologisch eingeführt und für die Leitung in Drähten auch in einem Modell erklärt. Außerdem wird die sogenannte „Maschenregel“ interpretiert. Die Schülerinnen und Schüler
sollen im einzelnen
• die für Verbraucher angegebene Spannung als ein Maß dafür interpretieren, wie
sehr die Elektronen zwischen den Anschlüssen des Verbrauchers angetrieben
werden müssen, damit sich der bauartlich vorgesehene Strom einstellt;
• erkennen, daß prinzipiell zwischen zwei beliebigen Punkten eines Stromkreises
eine Spannung gemessen werden kann. Diese ist groß, wenn es schwer geht, die
125
•
•
B
Elektronen zwischen den Meßstellen zu bewegen und klein, wenn die Elektronenbewegung wenig gehemmt wird;
wissen, daß jeder elektrische Leiter für die Elektronenbewegung ein Hindernis
darstellt. Sie sollen modellmäßig deuten können, auf welche Weise die Elektronenbewegung in Drähten gehemmt wird;83
herausfinden und erklären können, daß die Summe der an Leiterstücken und
Verbrauchern gemessenen Spannungen eines Stromkreises die Quellenspannung
weder über- noch unterschreiten kann (Maschenregel).
Unterrichtsweg
Ba Spannung zwischen beliebigen Leiterpunkten
Diese Unterrichtseinheit bildet zusammen mit der vorangegangenen Einführung des
Spannungsbegriffs einen untrennbaren Komplex. Es kann sich ohne weiteres ergeben
und als sinnvoll erweisen, die hier getrennt dargestellten Einheiten ineinander zu verweben. Die Aspekte der Verbraucher – und Quellenspannung werden an den gleichen
experimentellen Anordnungen erarbeitet. Sie treten ja faktisch auch immer gleichzeitig auf. Die Aufteilung in zeitlich aufeinander folgende Schritte erfolgt hier, um die
Darstellung des Unterrichtswegs übersichtlich zu halten. Wenn Schülerinnen und
Schüler von sich aus – z. B. bei der Einführung der Spannungsmessung – eine Fragehaltung bezüglich der Vebraucherspannung entwickeln oder nach einer Deutung des
Widerstandes verlangen u. ä., so ist es pädagogisch angemessen, den Unterrichtsgang
entlang den Schülerfragen zu entwickeln. Innerhalb der beiden Einheiten gibt es praktisch von jedem inhaltlichen Punkt aus zu allen anderen sinnvolle methodische Wege.
Entsprechend der Verzahnung der beiden Einheiten zum Spannungsbegriff, wird
man an einer im vorangegangenen Unterricht aufgetretenen Frage anknüpfen. So ergibt sich z. B. fast immer ein Anlaß, die Schülerinnen und Schüler aufzufordern, in
der Schaltung nach Abbildung 46 die Spannungen vorherzusagen und im Schülerexperiment zu messen, die zwischen den angegebenen Punkten liegen. In jeder Klasse
wird es eine mehr oder weniger große Anzahl von Schülerinnen und Schülern geben,
die erwarten, daß die Spannung zwischen allen Meßpunkten immer so groß ist wie die
Quellenspannung.
Eine der Ursachen hierfür ist das falsche Denkmuster, die Spannung sei dem
Strom gewissermaßen aufgeprägt (vgl. die Ausführungen zum Begriff Stromstärke
auf S. 31). Deshalb führt das Meßergebnis zu einem Erklärungsbedarf.
83
126
Die fachliche Fragwürdigkeit von Modellvorstellungen zur mikrophysikalischen Deutung der
Energieabgabe im Leiter wird in Abschnitt C diskutiert.
C
D
A
A
G
B
Abbildung 46: UAB = 4,0 V;
UBC = 0,1 V; UCD = 3,9 V; UDA = 0,0 V. Die Meßwerte
verlangen eine Deutung
Ideen zur Deutung des Meßergebnisses kann der Wasserkreislauf in der Version nach Abbildung 23 (S. 92)
liefern. An den Schwebeteilchen, die sich in der Flüssigkeit befinden, ist zu erkennen, daß sich das Wasser in
der Kapillare wesentlich schneller bewegen muß als in
den dicken Schläuchen. Pro Sekunde wird aber an allen
Stellen des Kreislaufes die gleiche Wassermenge durchgeschoben. Es ist einsichtig, daß es schwerer geht, eine
bestimmte Wassermenge schnell durch eine Engstelle
zu schieben als gemächlich durch ein weites Rohr.
In ähnlicher Weise könnte die Elektronenbewegung in den dünnen Drähten der Lampenwendel gehemmt werden. (Der hypothetische Status dieser Erklärung muß betont
werden.)
Eine andere Möglichkeit, entsprechende Hypothesen zu
bilden, bietet das Schülerexperiment nach Abbildung 47.
Verwendet werden einfache Einmalspritzen mit 10 cm3.
Für jede Spritze sollen zwei Nadeln zur Verfügung stehen, eine mit sehr feiner und eine mit weiter Kanüle. Die
Spritze wird aufgezogen und zunächst die feine Kanüle
aufgesteckt. Nun wird die Zeit gestoppt, die erforderlich
ist, um die Spritze leerzupressen. Was für ein Wasserstrom ist entstanden? (Meßwert z. B. 1,6 cm3/s).
Nun wird der Versuch mit der zweiten Kanüle so
wiederholt, daß der gleiche Strom fließt (Stempel gleich
schnell wie vorher hineinschieben)!
Abbildung 47: Es geht viel
schwerer, einen bestimmten
Strom durch einen engen
Kanal zu erzeugen als durch
einen weiten
Beobachtung: Es geht viel leichter, den Strom durch die
weite Kanüle zu erzeugen als durch die enge.
Der Wasserkreislauf liefert uns die Idee, daß sich auch das elektrische Fluid unterschiedlich schwer durch verschiedene Leiter bewegen läßt. Aber das Bild einer durch
Röhren strömenden Flüssigkeit sollte ausdrücklich mit Fragezeichen versehen werden. Auf welche Weise Elektronen bei ihrer Bewegung durch das Kristallgitter gehemmt werden, läßt sich nicht aus dem „Spritzenversuch“ ableiten.84
Ergebnis: Elektronen lassen sich nicht auf allen Teilstücken eines Stromkreises gleich
leicht bewegen. Die Spannung ist ein Maß dafür, wie sehr die Elektronen zwischen
84
Auf S. 95 wurde diese Modellgrenze näher diskutiert.
127
den beiden Meßpunkten angetrieben werden müssen, damit sich der jeweilige Strom
(die notwendige Strömungsgeschwindigkeit) einstellt.
Der Spannungsaufdruck bei Verbrauchern hat demententsprechend eine andere Bedeutung als bei Quellen: Während die Quellenspannung angibt, wie sehr die Elektronen von der Quelle angetrieben werden, ist die auf einem Verbraucher angegebene
Spannung ein Maß dafür, wie sehr die Elektronen angetrieben werden müssen, damit
der vorgesehene Betriebsstrom fließt.
Bb Widerstandsbegriff und Modellvorstellung zur Leitung in Drähten
Nachdem der bisherige Unterricht schon mehrfach
die Vorstellung vorausgesetzt hat, daß die Ladungsträgerbewegung in elektrischen Leitern gehemmt wird, ist es naheliegend, eine Modellvorstellung zu entwickeln, die erklärt, auf welche
Abbildung 48: In Legierungen sind
mehrere Metallarten gemischt. Das
Weise die Elektronen gehemmt werden, und wie
Gitter enthält daher besonders viele
sie ihre Energie im Leiter abgeben.
„Fehlordnungen“ und die Elektronen
Trotz aller fachlichen Schwierigkeiten, die
stoßen sehr häufig gegen Atome
man sich mit Modellvorstellungen im atomaren
Bereich zwangsläufig einhandelt (→ Abschnitt C
und Kapitel 4.4, S. 179 ff), dürfte es lernpsychologisch sinnvoll sein, sich auf dieses „Glatteis“ zu
begeben. Nur dadurch läßt sich vermeiden, daß
die Schülerinnen und Schüler unkontrolliert selbst
kalter Draht: Wenig Stöße bei niedrimehr oder weniger zutreffende Analogien zur Erger Temperatur
fahrungs- bzw. Sinnenwelt entwickeln.
Zweifellos wird eine Theorie zur ElektronGitter-Wechselwirkung nur als Information gegeben werden können. Die folgende Darstellung
sollte den Schülerinnen und Schülern daher ausdrücklich als Vorstellungshilfe angeboten werden,
heißer Draht: Wenig Stöße bei nied- die sich mit einfachen Experimenten weder bestäriger Temperatur
tigen noch widerlegen läßt:
Die Atomrümpfe eines Metalls bilden ein
Abbildung 49: Je höher die Temperatur eines Drahtes ist, desto weniger Kristallgitter. Dies bedeutet, daß sie sehr regelmäbefinden sich die Atomrümpfe an ihßig angeordnet sind. Bewegen sich die „freien“
rem „idealen“ Platz. Die Elektronen
stoßen daher im gleichen Leiter um Elektronen durch das Gitter, so werden sie durch
so öfter gegen die Atomrümpfe, je
die Kräfte zwischen den Atomen und Elektronen
höher seine Temperatur ist
im Idealfall auf Bahnen gehalten, auf denen sie
nicht mit den Atomrümpfen zusammenstoßen.
Dann geben sie auch keine Energie ab: Die Bewegung verliefe in diesem Idealfall ungehemmt.
Kein Metall ist jedoch so ideal geordnet, daß das Gitter völlig regelmäßig ist. Immer
wird es „fehlgeordnete“ Atomrümpfe geben.Ursache für die Fehlordnungen sind Un128
regelmäßigkeiten im Kristallgitter, hervorgerufen beispielsweise durch Fremdatome.
Da sich darüberhinaus die Atomrümpfe eines Metalls bei üblichen Temperaturen
ständig um ihre Ruhelage bewegen, befinden sie sich auch im reinsten Metall nicht
immer an der für die Elektronenbewegung „idealen“ Position. Die von der thermischen Bewegung erzeugten Verschiebungen bewirken eine „Fehlordnung“. Mit fehlgeordneten Atomrümpfen stoßen die Elektronen zusammen und geben dabei Energie
ab, d. h., sie werden durch den Stoß abgebremst und müssen erneut beschleunigt (angetrieben) werden. Die Atomrümpfe werden durch die Stöße zu Zitterbewegungen um
ihre Ruhelage angeregt, d. h., die Temperatur des durchströmten Metalls steigt. Damit
läßt sich erklären (Versuchsergebnisse!85):
• warum in Legierungen die Zahl der Stöße höher ist, als in reinen Metallen
(Abbildung 48);
• warum der Widerstand von Metallen mit der Temperatur zunimmt (Abbildung
49).86
• warum die Spannung für einen bestimmten Strom an einem Draht umso höher
sein muß, je länger der Draht ist (Abbildung 50);
• warum derselbe Strom in einem Draht mit kleinem Querschnitt eine größere Erwärmung hervorruft und einen größere Spannung erfordert als bei einem dickeren
aber sonst gleichen Draht (Abbildung 51);
Abbildung 50: Je länger der Draht ist, desto öfter stößt jedes Elektron mit Atomrümpfen zusammen. Mit der Zahl
der Stöße wächst die Energieabgabe und damit die für die
Bewegung erforderliche Spannung
85
86
Leiter stellen für die Elektronenbewegung ein Hindernis
dar. Deshalb müssen Elektronen in einem Leiter angetrieben werden, wenn sie sich mit
einer bestimmten Durchschnittsgeschwindigkeit durch
den Leiter bewegen sollen.
Es wird davon ausgegangen, daß die entsprechenden Versuche in diesem Unterrichtsabschnitt
gemacht werden. Auf die Beschreibung wird wegen der Gängigkeit verzichtet. Erwähnenswert
ist, daß sich mit dem handgetriebenen Generator ein 3–5 cm langes Stück Konstantandraht
durchglühen läßt – für Schülerinnen und Schüler immer wieder ein Erlebnis!
Die Temperaturabhängigkeit des Widerstandes metallischer Leiter kann in dieser Einheit erklärt
werden. In diesem Fall wären entsprechende Experimente zu ergänzen. Aus Gründen der „Dosierung“ der Information ist es jedoch zu erwägen, ob dieser Teil nicht ausführlich in der Unterrichtseinheit 8 erfolgen soll (→ Ohmsches Gesetz, S. 132 f).
129
Man kann Leiter – z. B. Drähte – unter dem Gesichtspunkt
vergleichen, wie sehr sie die
Elektronenbewegung
behindern. Man braucht dazu nur
die Spannung anzugeben, die
erforderlich ist, um einen
Abbildung 51: Im dünneren Draht bewegen sich die Elektgleich großen Strom durch die
ronen bei gleichem Strom schneller als im dicken Draht.
Sie stoßen daher heftiger auf die Atomrümpfe und geben zu vergleichenden Leiter zu
mehr Energie ab. Entsprechend stärker müssen sie ange- erzeugen.
trieben werden
Man sagt dann, der Leiter habe einen mehr oder weniger großen Widerstand.87
Je größer die Spannung an einem Leiter ist, um einen vorgegebenen Strom
durchzutreiben, desto größer ist der Widerstand des Leiters.
Bc Die Maschenregel
Mit den nun vorhandenen Informationen läßt sich beispielsweise das Meßergebnis zu
dem Versuch in Abbildung 46 (S. 127) deuten. Interessanter wird dies, wenn die Erarbeitung mit einem Schülerexperiment verbunden wird, bei dem mehrere Lämpchen in
Reihe geschaltet werden. Zunächst werden gleiche Lämpchen verwendet. In einer Variante empfiehlt sich dann die Reihenschaltung verschiedener Lämpchen (verschiedene Nennspannung, gleicher Nennstrom). Die Schülerinnen und Schüler sollen die
Teilspannungen messen und empirisch versuchen, einen Zusammenhang mit der
Quellenspannung zu ermitteln.
Die Deutung der Meßergebnisse zeigt: Die einzelnen Spannungen sind dort hoch,
wo das Leiterstück zwischen den Anschlußstellen des Spannungsmessers einen großen Widerstand hat. Dort stoßen die Elektronen oft oder heftig gegen Atomrümpfe
und geben entsprechend viel Energie an den Leiter ab. Bei einem bestimmten Strom
ist die Spannung an einem Leiter auch ein Maß für die pro Elektron abgegebene Energie.
Die Summe aller Teilspannungen in einem einzigen Stromkreis muß die Quellenspannung ergeben;88 denn die Elektronen transportieren Energie von der Quelle zu
den Verbrauchern. Mehr Energie als die Quelle durch das Antreiben der Elektrizität
liefert, kann insgesamt nicht abgegeben werden:
UQ = U1 + U2 + ... Un („Maschenregel“).
87
88
130
Vergleiche die Ausführungen zur Problematik des Widerstandsbegriffs in Kapitel 2.3.6, S. 53
und im Kommentar zur Unterrichtseinheit 8, S. 132.
Siehe dazu auch die Analogie zum Fahrradfahren auf S. 100 und die Darstellung des Gleichgewichts zwischen der EMK und der Potentialdifferenz S. 52.
C
Didaktische, fachliche und technische Anmerkungen
In dieser Einheit stecken einige fachliche Probleme, die im Unterricht nicht explizit
thematisiert werden, weil sie die prinzipiellen Grenzen der Anschaulichkeit überschreiten. Dazu gehört, daß sich die Schülerinnen und Schüler vorstellen, die Elektronen würden sich gegenseitig durch den Leiter schieben. Dies trifft unter dem Gesichtspunkt der möglichen Wechselwirkungen zwischen Elektronen im Leitungsband
nicht zu.
Stellt man sich Elektronen als Quasi-Körperchen in regeloser thermischer Bewegung vor, so läßt sich auch nicht anschaulich plausibel machen, warum sie nur mit
„fehlgeordneten“ Gitterstrukturen in Wechselwirkung treten. Diese Modellgrenzen
sind zugleich Grenzen der klassischen Elektronentheorie. Da quantenmechanische
Erklärungen nicht möglich sind, bliebe als Alternative nur der Verzicht auf eine modellmäßige Deutung der experimentellen Befunde.89 Ein solcher Verzicht könnte einerseits nicht ausschließen, daß sich die Schülerinnen und Schüler selbst weitaus unangemessenere Vorstellungen bilden, andererseits würde er ein demotivierendes Regellernen erfordern. Denn warum sich Spannungen an Widerständen im Stromkreis
verteilen, warum sie nicht überall gleich groß sind, oder warum die Teilspannungen in
der Summe die Quellenspannung ergeben u. ä. könnte nicht in einem einheitlichen
Bild erklärt werden. Viele der im ersten Kapitel erwähnten Defizite konventionellen
Unterrichts haben ihre Ursache in der Mühe, die es macht, experimentelle Fakten nur
als Regel zu lernen.90
Angesichts des quantenmechanischen Charakters der atomaren und subatomaren
Strukturen (→ auch Kapitel 4.4, S. 179 ff) ist die pädagogische Gefahr eines allzu
„mechanistischen“ Weltbildes um so weniger von der Hand zu weisen, je plausibler
und widerspruchsfreier die vermittelten klassischen Modellvorstellungen sind. Dies
ist ein gewichtiges Argument gegen einen stark vorstellungsorientierten Unterricht
überhaupt. Die ohnehin offenbar genetisch vorhandene Präferenz menschlichen Denkens für mechanistische Erklärungen, einfache Kausalketten, lineare Zusammenhänge
usw. könnte möglicherweise durch den hier skizzierten Unterricht eine Pflege erfahren, die eingedenk der Komplexität unserer Lebenszusammenhänge nicht wünschenswert ist.
Eine Überwindung zu schlichter Denkmuster oder eines zu apodiktischen Glaubens an die Einfachheit der „Strickmuster“ unserer Welt, setzt aber die Kenntnis dieser Muster voraus. Erst die deutlichen Konturen einer an der Sinneserfahrung orientierten Sicht machen es möglich, deren Grenzen aufzuzeigen. Unterricht erfordert –
wenn dies richtig ist – sowohl die „mechanistische“ Weltdeutung als auch die Bereitschaft, die darin enthaltenen Vereinfachungen wieder zu verlassen und als solche zu
akzeptieren. Erreicht werden soll dies durch die Betonung des Modellcharakters der
Erkärungen und – wo immer möglich – durch das Aufzeigen von Grenzen unserer
89
90
Eine vertiefende fachliche Diskussion der hier problematisierten Vorstellungen findet im Kapitel
4 statt, dort vor allem in den Abschnitten 4.2 und 4.3. Zur „Kopplung“ der Elektronen über das
äußere Feld siehe S. 93.
Siehe dazu das Zitat von MAICHLE [23] auf S. 26.
131
Vorstellung. So sollte man nicht nur darstellen, daß die Vorstellungen keine logischen
Folgerungen aus den Experimenten sind, sondern darüber hinaus auch mitteilen, daß
die vermittelten Bilder „Erfindungen“ sind, die zwar zweckmäßig aber nicht „wahr“
im Sinne von „identisch mit der Wirklichkeit“ sind.
Der Wasserkreislauf aus Abbildung 23 (S. 92) war einmal so gestaltet, daß Druckdifferenzen an allen Leitungsabschnitten mit dem U-Manometer gemessen werden konnten.91 Der erforderliche technische und unterrichtliche Aufwand war erheblich. Nach
mehrjähriger Erfahrung erscheint es uns heute zweifelhaft, ob diese Mühen gerechtfertigt sind. Die Schülerinnen und Schüler hatten mit der Vorhersage von Druckdifferenzen die gleiche Mühe wie bei der Spannung. Die heuristische Funktion des Wasserkreislaufes stößt unseres Erachtens hier an didaktische Grenzen. Die Unverzichtbarkeit einer Anschauung zur Kreisströmung imkompressibler Medien, der Nutzen
und die Grenzen einfacher Wasserkreisläufe wurden weiter oben bereits dargestellt
(→ S. 95 ff).
Einer der wichtigsten Aspekte dieser Einheit ist die „Entflechtung“ von Strom
und Spannung durch den Nachweis, daß ein und derselbe Strom je nach den Leitereigenschaften mit Hilfe unterschiedlich großer Spannungen durch die Leiterstücke getrieben wird. Gerade die Spannungsmessungen an praktisch widerstandslosen Zuleitungen oder am Strommesser sind für die Vorstellungsbildung unentbehrlich.
3.4.8 Ohmsches Gesetz, Widerstandsdefinition und Gesetze
bei kombinierten Widerständen
Zu dieser Unterrichtseinheit wird hier kein differenzierter Unterrichtsvorschlag unterbreitet. Aus zwei Gründen scheint dies entbehrlich zu sein: Erstens spielt die Beziehung U ∼ I in der dargestellten Konzeption bei weitem nicht die herausragende Rolle,
die ihr traditionell zugeschrieben wird. Dies wurde in Kapitel 2.3.6 näher begründet
(→ S. 53 ff). In fast allen dargestellten Experimenten dieses Unterrichtsganges sind
die Bedingungen für die Proportionalität von Strom und Spannung nicht gegeben.
Zweitens ist die Behandlung des Ohmschen Gesetzes und die Definition der Größe
Widerstand auf konventionellen Wegen möglich, ohne daß die hier vorgelegte Konzeption davon berührt wäre.
Der stark vorstellungsorientierte Unterricht schafft jedoch einige Lernvoraussetzungen, die pädagogisch berücksichtigt werden sollten. Daher werden zu den Teilthemen dieser Einheit einige knappe Hinweise gegeben:
Ohmsches Gesetz
Aufgrund ihrer Vorstellungen erwarten die Schülerinnen und Schüler, daß Strom und
Spannung proportional sind. Es ist daher reizvoll, diese Erwartungen zunächst mit
91
132
Siehe dazu MUCKENFUß [28] und [27].
entsprechend widersprüchlichen Meßergebnissen an Lampen, einem Eisendraht u. ä.
zu konfrontieren.92
Es bietet sich auch an, die erwartungswidrigen Ergebnisse mit den entsprechenden historischen Erfahrungen von Georg Simon OHM (1789–1854) zu verknüpfen.
OHM hatte die Idee eines mathematischen Zusammenhangs zwischen den (damals
noch nicht klar definierten und unterschiedenen) elektrischen Größen. Er hielt an dieser Idee fest, obwohl seine experimentellen Befunde jahrelang alles andere als eine
Bestätigung des vermuteten einfachen Zusammenhangs lieferten. Er suchte solange
nach definierbaren Randbedingungen (z. B. konstanter Innenwiderstand der Energiequelle, konstante Leitertemperatur), bis er einen seiner Erwartung entsprechenden
mathematischen Zusammenhang formulieren konnte (→ z. B. TEICHMANN [39]).
OHMs Arbeit ist u. a. ein schönes Beispiel dafür, daß Experimente nicht schlichte Bestätigungen oder Widerlegungen von Hypothesen sind, sondern daß sie erst in mühsamen Prozessen zu Prüfsteinen vorab vorhandener Ideen entwickelt werden müssen.
Wer das Ohmsche Gesetz im Unterricht mit Konstantandraht „beweist“, verdeckt genau diese Prozesse, weil sie in der Entwicklung dieser Legierung stecken.
Aufgrund der Vorstellungen aus der vorangegangenen Unterrichtseinheit zum elektrischen Widerstand, sind die Schülerinnen und Schüler in der Lage, die Temperatur als relevante Einflußgröße zu erkennen. Man kann daher in einem Schülerexperiment mit einem Eisendraht den Einfluß der Temperatur auf den Widerstand qualitativ
darstellen, zunächst indem man eine Drahtspirale bei kleinem Strom mit einer Flamme von außen erwärmt (Strom wird kleiner), danach indem man den Einfluß der Eigenerwärmung nachweist (gestreckter Draht, gewendelter Draht, große und kleine
Ströme als Parameter). Diese Betrachtung des Einflusses der Temperatur führt fast
zwangsläufig zu einem Experiment, bei dem der Draht auf einer definierten Temperatur gehalten wird (Wasserbad). Aus den entsprechenden Meßdaten läßt sich das Gesetz U ∼ I in üblicher Weise gewinnen.
Bei Konstantandraht und ähnlichen metallischen Widerstandsmaterialien ist der
Temperatureinfluß relativ zum Störstelleneinfluß der Legierung so gering, daß er
nicht auffällt. Auch dies kann den Schülerinnen und Schülern auf der Grundlage ihrer
Vorstellungen erklärt werden (→ Abbildung 49, S. 128).
Die Gültigkeit des Ohmschen Gesetzes ist neben der Bedingung einer konstanten
Temperatur auch noch an die Konstanz der Ladungsträgerdichte geknüpft. Diese ist
bei vielen Halbleiterbauteilen nicht gegeben. Fotowiderstände, Dioden oder Varistoren sind Bauteile, an denen sich dies demonstrieren läßt.
Insgesamt sollten bei der Behandlung des Ohmschen Gesetzes die Grenzen seiner
Gültigkeit mindestens ebenso betont und dargestellt werden, wie das Gesetz U ∼ I
selbst.
92
Lämpchen sollten dazu mit 50–200 % ihrer Nennspannung belastet werden.
133
Widerstandsdefinition
Das Ohmsche Gesetz wird im Unterricht oftmals nicht wegen der historischen Bedeutung für die Begriffsbildung behandelt, auch nicht, um die Konsistenz von Modellvorstellungen zu überprüfen, sondern nur um die Definitionsgleichung für den elektrischen Widerstand plausibel abzuleiten. Dabei bleibt oftmals undurchsichtig, wozu die
Definitionsgleichung überhaupt behandelt wird (vgl. dazu Kapitel 2.3.6, S. 53 ff). Für
eine derartig verkürzte didaktische Sicht sollte in diesem Unterrichtsgang allerdings
kein Raum sein.
Es ist empfehlenswert, die verschiedenen Aspekte des Ohmschen Gesetzes und
des Widerstandsbegriffs methodisch zu trennen. Diese Trennung ist im vorgeschlagenen Unterrichtsgang angelegt. Bereits in der vorherigen Unterrichtseinheit (Abschnitt
3.4.7) wurde die Einsicht erzeugt, daß für einen bestimmten Strom eine um so größere
Spannung erforderlich ist, je größer das Hindernis (der Widerstand) ist, den der Leiter
für die Elektronenbewegung darstellt. Man könnte daher Widerstände von Leitern dadurch vergleichen, daß man die Spannungen vergleicht, die erforderlich sind, um einen Strom von z. B. 1 A zu erzeugen. Man erhält dann Angaben in x V bei 1 A. Diesen
Sachverhalt sollte man an verschiedenen Leitern bei einem Strom von 1 A demonstrieren.
Verwendet man nun Leiter, bei denen ein Strom von 1 A nicht möglich ist, weil die
erforderliche Spannung nicht zur Verfügung steht, oder weil sie vorher zerstört werden, so ist die Möglichkeit gegeben, den Wert „pro 1 A“ zu berechnen. Man wird dazu den Quotienten U/I bilden. Sinnvoll ist dies allerdings nur, wenn dieser Quotient
eine Aussage bei verschiedenen Strömen zuläßt. Dies trifft zu, wenn er konstant ist,
also in eben jenen Fällen, in denen das Ohmsche Gesetz Gültigkeit hat. Diese Leiter
haben einen bestimmten Widerstand, für den die Konstante R = U/I charakteristisch
ist. R wird daher als elektrischer Widerstand eines Leiters definiert.
Wie bereits in Kapitel 2.3.6 diskutiert wurde (→ S. 53 ff), ist die Aussage, ein
Leiter habe eine bestimmten Widerstand nur solange sinnvoll, als R tatsächlich eine
Leitereigenschaft darstellt. Eigenschaften schreibt man Gegenständen zu, wenn sie
charakteristische Merkmale des Gegenstandes für den „Normalfall“ – d. h. relativ unabhängig von situativen Bedingungen – beschreiben. Elektrische Leiter, für die das
Ohmsche Gesetz gilt, erfüllen diese Bedingung zweifellos. Bei anderen Leitern ist es
sehr fragwürdig, ob die Größe R als sinnvolles Charakteristikum zugeordnet werden
kann. Tut man dies beispielsweise bei einer Lampe oder einem Motor, so sind immer
zusätzliche situative Bedingungen anzugeben (z. B. Nennbetrieb der Lampe, Belastung der Motorwelle usw.). Der Quotient U/I beschreibt dann eine Situation und nicht
eine Bauteileigenschaft.
Um den Widerstand in Situationen zu beschreiben ist es aussagekräftiger, die
Spannungen anzugeben, die für den aktuell fließenden Strom erforderlich sind. Bei
einer Glühlampe bedeutet dies z. B. folgende – an den Nenndaten orientierte – Formulierung: „Im Betriebszustand sind 4 V erforderlich, damit ein Strom von 0,1 A fließt“.
Dagegen ist die Aussage „Die Lampe hat einen Widerstand von 40 Ω“ wenig hilfreich
und daher überflüssig, weil sie nur für den Betriebszustand gültig ist. Ihn zu beschrei-
134
ben erfordert dann genau die in der ersten Formulierung enthaltene Information (→
S. 53 ff).
Gesetze für kombinierte Widerstände
In den Einheiten 5 und 6 haben die Schülerinnen und Schüler erfahren, daß sich bei
der Parallelschaltung die Teilströme, bei der Reihenschaltung die Teilspannungen addieren. In der Einheit 9 wird noch zu zeigen sein, wie diese Anschauungen für die
quantitative Betrachtung der Energieumsätze in Reihen- und Parallelschaltungen zu
nutzen sind. Diese Gesetze werden oft noch mit Hilfe der Definitionsgleichung
R = U/I zu Gleichungen umgeformt, mit denen sich Gesamtwiderstände berechnen
lassen:
1
1
1
Rges = + R2 ... + Rn bzw. Rges = R1 + R2 ... + Rn .
Angesichts der Tatsache, daß den Schülerinnen und Schülern in Energieübertragungsanlagen kaum Verbraucher begegnen, in denen mehrere Festwiderstände so verschaltet sind, daß diese Beziehungen sinnvoll angewendet werden können, kann bezweifelt
werden, daß die Herleitung dieser Gesetze und die erforderliche mathematische Übung in diesem Kontext pädagogisch zu rechtfertigen sind. Wenn auf diese Gleichungen hier verzichtet wird, bedeutet das lediglich eine Beschränkung im Bereich der
formalen Darstellung und einiger „exotischer“ Anwendungen (z. B. Berechnung von
Meßbereichserweiterungen, Schaltung der Heizdrähte in Kochplatten), nicht jedoch
den Verzicht auf auf die grundlegenden Einsichten in die Zusammenhänge, die das
Verständnis der Knoten- und Maschenregel bewirken.
Der Energieumsatz sowie die Spannungen und Ströme einzelner Verbraucher, die
von derselben Quelle durch Reihen – oder Parallelschaltung versorgt werden, sind
ohne die hier problematisierten Gleichungen bestimmbar. Grundlage dafür sind die
Anschauungen, die in den bisherigen Einheiten 5 und 7 sowie in der folgenden Einheit 9 aufgebaut werden.
Diese Einschätzung der Bedeutung der Widerstandsgleichungen ist ausdrücklich auf
die Behandlung von Anlagen zur Energieübertragung unter allgemeinbildenden Gesichtspunkten beschränkt! Für die Berechnung von elektronischen Schaltungen sind
die formalen Darstellungen sicher wichtiger. Sofern die Fähigkeit zur Dimensionierung von elektronischen Schaltungen ein relevantes Bildungsziel darstellt, – z. B. im
Rahmen der Behandlung von Anlagen zur Informationsübertragung – muß die didaktische Bewertung der Widerstandsgesetze einschließlich ihrer methodischen Bearbeitung sicher anders ausfallen.
135
3.4.9 Die Berechnung von Energieumsätzen –
Definition der elektrischen Spannung
A
Unterrichtsziele
In dieser Unterrichtseinheit soll auf der Grundlage einer Definition des Spannungsbegriffs die Möglichkeit geschaffen werden, Energieumsätze in elektrischen Anlagen
aus den Strom- und Spannungswerten zu bestimmen. Quantitative physikalische Zusammenhänge sollen dabei auch zu ersten energiewirtschaftlichen und ökologischen
Fragestellungen führen. Dazu sollen die Schülerinnen und Schüler im einzelnen
• erfahren, daß die Spannung als Quotient aus Leistung und Strom definiert ist
(U = P/I);
• die Energieströme durch Verbraucher mit Hilfe der Strom- und Spannungswerte
berechnen können, sowie aus bekannten Energieströmen auf Strom- und Spannungswerte schließen können;
• Energie und Energiekosten im Zusammenhang mit alltagsnahen Anwendungen
der Elektrizität berechnen können;
• lernen, wirtschaftliche und ökologische Überlegungen auf der Grundlage quantitativer physikalischer Daten anzustellen.
B
Unterrichtsweg
Ba Die Definition der elektrischen Spannung
Die Definiton des Spannungsbegriffs knüpft an die Begriffsbildung der Unterrichtseinheit 6 an. Die folgenden Vorschläge zur Begründung einer quantitativen Definition
des Spannungsbegriffs bevorzugen einen Weg, der den Schülerinnen und Schülern
nicht abverlangt, neue Sachverhalte zu durchschauen, um damit neue formale Beziehungen zu erschließen. Der den Zugang zum Neuen soll von vertrautem Boden aus
möglich sein.
Dies bedeutet, daß dieser Unterrichtsschritt auch innerhalb der Einheit 6 untergebracht werden könnte. Die didaktisch motivierte Trennung der Vorstellungsbildung
von der formalen Begriffsdefinition wurde oben begründet (→ S. 125 und Kapitel
1.3.2, S. 22 ff). Sie trägt vor allem der Überzeugung Rechnung, daß Definitionen am
Ende und nicht am Anfang des Verstehensprozesses ihren Platz haben.
Wenn der Unterricht zur Elektrik auf zwei Schuljahre verteilt ist, bildet die hier
vorgestellte Einheit einen sinnvollen Wiedereinstieg mit einer gegenüber dem vorangegangenen Schuljahr stärkeren Betonung definitorischer und formal-mathematischer
Aspekte.
Als Einstieg in die Thematik könnte z. B. ein Gespräch über die Frage dienen, warum
eigentlich in unseren Haushalten die Spannung 230 V beträgt, obwohl bekannt ist, daß
Menschen bei dieser Spannung gefährdet sind. Meistens argumentieren die Schülerinnen und Schüler, daß unsere Geräte nicht mehr richtig funktionieren würden, wenn
die Spannung weniger als 230 V betrüge. Dem läßt sich entgegnen, daß sich die Hersteller statt auf 230 V auch 12 V Normspannung hätten einigen können. Immerhin
136
leuchtet auch bei einem Auto das Licht, es läuft der Kassettenrecorder und auch der
Anlassermotor, obwohl die Elektrizität im Auto nur mit 12 V angetrieben wird.
Durch den bisherigen Gebrauch des Spannungsbegriffs ist er den Schülerinnen und
Schülern als Maß dafür geläufig, wie sehr jedes Elektron von der Quelle angetrieben
wird (Quellenspannung), oder wie sehr jedes Elektron angetrieben werden muß, damit
ein bestimmter Strom fließt (Verbraucherspannung). Dies sollte nochmals im Schülerexperiment vergegenwärtigt werden: Zwei einfache Stromkreise werden jeweils
mit einem Lämpchen gleicher Nennstromstärke (z. B. 0,1 A) aber unterschiedlicher
Nennspannung (z. B. 2,5 V und 6 V) nacheinander an den handgetriebenen Generator
angeschlossen (vgl. dazu auch den Versuch in Abbildung 42 auf S. 120).93 Strom und
Spannung werden gemessen. Die Schülerinnen und Schüler erfahren zunächst nichts
Neues, wenn sie feststellen, daß bei einem der beiden Lämpchen die Kurbel viel
schneller gedreht werden muß, damit der Strom von 0,1 A fließt. Sie werden dies damit erklären, daß die Elektronen durch eine der beiden Lampen mehr gehemmt werden als durch die andere. Daher müssen die Elektronen unterschiedlich angetrieben
werden, wenn der gleiche Strom fließen soll.
Die Auswertung dieses Experiments muß im Gespräch um die Einsicht erweitert
werden, daß die höhere Leistung am Generator auch zu einem höheren Energieumsatz
in der Lampe führt. Entsprechend größer ist der Energiestrom vom Generator zur
Lampe – trotz des gleichen Elektronenstroms in beiden Stromkreisen.
Diese Erkenntnis ist – evtl. durch die Wiederholung weiterer Versuche – zu verallgemeinern: Bei gleichem Strom wächst mit der Spannung auch die Leistung in den
Energiewandlern und der Energiestrom zwischen Quelle und Verbraucher.
Die Schülerinnen und Schülern müssen nun zu der Einsicht geführt werden, daß sich
dieser Zusammenhang dazu eignet, die Spannung mit Hilfe der Größen Leistung und
Strom zu definieren. Will man Spannungen vergleichen oder messen, so kann man
dies tun, indem man die Leistung in dem entsprechenden Energiewandler (Quelle,
Verbraucher, Leiterstück) mißt. Man muß die Leistungen aber immer bei gleichem
Strom messen oder (rechnerisch) auf den gleichen Strom beziehen. Dadurch wird
auch immer die gleiche Anzahl an Elektronen verglichen, die den Energietransport
bewirken.
Um dies im praktischen Experiment umzusetzen, bieten sich mehrere Möglichkeiten an (vgl. dazu Abschnitt C). Wie dies auch in bisherige Unterrichtsvorschlägen
vorgesehen ist, kann an der Bestimmung der thermischen Leistung elektrischer
Tauchsieder angeknüpft werden. Dazu hat sich ein qualitatives Experiment bewährt,
mit dessen Hilfe ein Bezug zwischen den relativ hohen Energieumsätzen in netzspannungsbetriebenen termischen Energiewandlern zu den physiologischen Erfahrungen
am hangetriebenen Generator hergestellt werden kann:
93
Der Vorschlag geht davon aus, daß die Behandlung der Einheit 3.4.6 einige Zeit zurückliegt.
(Viele Lehrpläne sehen die Energieberechnungen für ein anderes Schuljahr vor als die Enführung
des Spannungsbegriffs). Das Schülerexperiment wird zur Wiederholung des Sachverhaltes empfohlen, weil es ein breiteres Assoziationsrepertoire aktiviert als Demonstrationen.
137
Generator
Temperaturfühler
21,5°C
Suppenwasser,
ca. 150 ml
Spule aus
Chromnickeldraht 0,3 mm,
20 cm lang
Abbildung 52: Mit dem handgetriebenen Generator wird versucht, das Wasser für eine
Suppe zu erwärmen
Es wird eine Drahtspule gewickelt und an
den handgetriebenen Generator angeschlossen. Die Drahtdimensionierung
wird so gewählt, daß der Draht beim Drehen der Kurbel fast zum Glühen kommt
und ein Strom von 3–5 A fließt. Man sollte ein geeignetes Päckchen mit Suppenpulver und Zubereitungshinweisen bereithalten. (Z. B.: „Suppenpulver in ca.
150 ml siedendes Wasser geben und
5 Minuten ziehen lassen!“).
Den Schülerinnen und Schülern wird zugesagt, daß sie die Suppe auslöffeln dürfen,
wenn sie das Wasser mit dem Generator zum Sieden kriegen. (Bisher hat es noch keine Gruppe geschafft, so daß wir seit vielen Jahren immer noch dasselbe Suppenpäckchen einsetzen können.) Die Leistung am Generator beträgt 10–20 Watt. Mit diesem
Wert sind die Schülerinnen und Schüler bereits vertraut. Aber auch bei grosser Anstrengung, wird nur eine gringe Temperaturerhöhung erreicht. (Bei 150 ml sind
630 J/K erforderlich. Nach einer Minute hat sich also die Temperatur erst um 1 K erhöht!) Manchmal kommen die Schülerinnen und Schüler auf die Idee, mit mehreren
Generatoren und Tauchsiederspulen das Wasser in einem Glas zu erwärmen. Aber
auch diese Leistungsvervielfachung führt nur zu begrenztem Erfolg.
Nun wird dieselbe Menge Suppenwasser auf der höchsten Heizstufe einer elektrischen Kochplatte erwärmt.94 Nach weniger als einer halben Minute siedet das Wasser. Das wirft die Frage auf, wie groß der Energiestom ist, der aus der Kochplatte in
das Suppenwasser strömt, und was sich ändert, wenn zwischen den Heizstufen umgeschaltet wird. Für eine entsprechende Messung wird zweckmäßigerweise ein
Leistungsmeßgerät und ein Strommesser eingesetzt (Anordnung analog zu Abbildung
38). Die Tabelle in Abbildung 53 zeigt die Meßwerte für eine handelsübliche Kochplatte, die durchgezogene Linie in Abbildung 54 den proportionalen Zusammenhang.
1
342
1,5
228
P W
HeizPstr
I
1,5
456
2,0
228
I in A
stufe (in W) in A
2 1265
5,6
226
0,5
230
1,0
230
2,5 1710
7,6
225
94
138
Ein Arikel von VOLKMER [40] enthält technische und didaktische Informationen über die Kochplatte.
3
2530
11,3
224
Abbildung 53: Meßwerte für Energie- und
Elektronenstrom an einer 7–Stufen–
Kochplatte
3000
2500
Kochplatte
2000
1500
1000
Haarfön
500
Glühlampe
0
0
2
4
6
8
10
12
Abbildung 54: Grafische Darstellung des
Zusammenhangs zwischen P und I an Netzspannungsgeräten
Es zeigt sich, daß Energiestrom und Elektronenstrom proportional zueinander wachsen, ein Sachverhalt, der den vorangegangen Erfahrungen bei der Parallelschaltung
entspricht. Der Quotient P/I weist einen etwa konstanten Wert von 225 W/A auf. Dies
bedeutet, daß bei der Kochplatte mit jedem Ampere ein Energiestrom von 225 Watt in
die Umgebung fließt. Schließt man weitere Geräte an die Steckdose an –
beispielsweise einen Haarfön oder eine 100–W-Lampe –, so liegen die entsprechenden Wertepaare ebenfalls auf der Geraden (Abbildung 54). Diese charakterisiert also
keine Eigenschaft der Kochplatte, sondern der Energiequelle. Am Zahlenwert erkennen die Schülerinnen und Schüler, daß es sich dabei um die elektrische Spannung an
der Steckdose handeln muß.
Daß der Wert des Quotienten aus Energiestrom und Elektronenstrom mit dem Meßwert für die Spannung übereinstimmt, ist natürlich kein Zufall. Man hat die elektrische Spannung per Definition so festgelegt, daß dieser Quotient ein Maß für die
Spannung ist.
Diese Einsicht sollte nun unbedingt für Energiequellen mit anderer Spannung bestätigt werden. Geeignet sind u. a. Verbraucher für 12 V-Quellen, wie sie als Auto- und
Campingzubehör erhältlich sind (Scheinwerferlampen, Zigarettenanzünder, Autostaubsauger, Campingtauchsieder u. ä.). Der Energiestrom dieser Geräte wird entweder mit einem modernen Leistungsmeßgerät gemessen (→ Abbildung 31 und Fußnote 72, S. 110), oder dem Typenschild auf den Geräten entnommen. Man mißt die
Quellenspannung und den Elektronenstrom. Der Quotient aus Energiestrom und Elektronenstrom hat wieder den gleichen Betrag wie die Quellenspannung.
Aus den Experimenten folgt:
Der Quotient aus dem Energiestrom und dem Elektronenstrom ist ein Maß für die
elektrische Spannung. Diese ist daher definiert als:
P
U = str
I
oder – wenn man P als Leistung der Energiewandler interpretiert:
139
P
I
Die Maßeinheit 1 Volt ist daher gleichbedeutend mit dem Einheitenquotienten
1 Watt durch 1 Ampere:
W
1V=1
A
(In den Schulbüchern wird meistens die äquivalente Gleichung U = W/Q zur Definitionsgleichung erklärt. In Abschnitt C wird dies kommentiert.)
U=
Die Interpretation dieser Definitionsgleichung soll nun an möglichst vielen Beispielen
erfolgen. Es ist wichtig, entsprechende Aufgaben zur Berechnung elektrischer Leistungen bzw. Energieströme u. ä. zunächst nicht durch das allgebraische Umformen
der Definitionsgleichung zu lösen, sondern „bürgerlich“ und „überschlägig“. Dabei
sollte die sprachliche Interpretation der Gleichung im Vordergrund stehen. Diese lautet beispielsweise:
• Die Spannung entspricht dem Quotienten aus Energiestrom und Elektronenstrom.
Die Betriebsspannung eines Gerätes besagt also, wie groß der Energiestrom bei einem Elektronenstrom von 1 A ist.
• Die Spannung gibt an, wieviel Watt die Energiewandler (Quelle und Verbraucher)
bei einem Strom von 1 A leisten. Beträgt die Spannung an einer Quelle typischerweise 1,5 V (Monozelle) so bedeutet dies, daß die Quelle bei einem Strom vom 1 A
1,5 W leistet. Ebensogroß ist dann der Energiestrom von der Quelle zu den
Verbrauchern.
Die Spannungsdefinition macht deutlich, daß ein bestimmter Strom um so mehr Energie übertragen kann, je höher die Spannung ist. Fließt ein Strom von 1 A, so ist damit
bei der Netzspannung von 230 V ein Energiestrom von 230 W verbunden. Bei einer
Autobatterie (12 V) wäre bei gleicher Leistung schon fast der 20-fache Strom notwendig (19,17 A). Dieser Zusammenhang verdeutlicht nun, warum in Anlagen zur
Energieübertragung mit möglichst großen Spannungen gearbeitet wird:
Aus dem in Abbildung 52 dargestellten Experiment, aber auch schon aus der Unterrichtseinheit 7, ist den Schülerinnen und Schülern bekannt, daß Drähte vom Strom
erwärmt werden und sogar durchglühen können (→ S. 128 und den experimentellen
Hinweis in Fußnote 85, S. 129). Je größer der Strom durch einen Leiter ist, desto mehr
wird dieser erwärmt. Diese Erwärmung ist unerwünscht, denn die Energie wird ungenutzt an die Umgebung abgegeben. Außerdem kann von heißen Drähten eine Brandgefahr ausgehen.
Wollte man die Energie für unsere Haushaltsgeräte bei einer Spannung von 12 V
übertragen, müßten die Drähte in den elektrischen Leitungen um ein Vielfaches dicker sein.95 Dicke Drähte wären teuer. Ihre Herstellung würde viel Rohstoffe und
95
140
In Klassen mit entsprechendem fachlichem Anspruch (z. B. 10. Klassen des Gymnasiums) wird
man den Energieumsatz in den Drähten auch berechnen. Dabei wird dann die quadratische Abhängigkeit der Verlustleistung vom Strom ins Blickfeld rücken. Dabei sollte man nicht nur von
der formalen Herleitung der Gleichung P = I2·R ausgehen. Da der Strom durch einen Draht nur
erhöht werden kann, indem man auch die (Teil-)Spannung am Draht erhöht, der Energieumsatz
auch Energie erfordern. Es ist daher in elektrischen Anlagen sinnvoll, die Energie bei
möglichst hohen Spannungen und niedrigen Strömen zu übertragen. Sicherheitsaspekte begrenzen allerdings je nach Anwendungsbereich die Höhe der maximal möglichen
Spannung.96
Hier ist nun auch der Ort, an dem der Begriff Stromstärke als Meßgröße eingeführt
und hinsichtlich seiner semantischen Probleme besprochen werden kann.97 Denn nun
verfügen die Schülerinnen und Schüler über das begriffliche Inventar für die Einsicht,
daß der Begriff „Stärke“ nicht auf einen größeren Energieumsatz hindeutet, sondern
nur auf eine größere „Quantität“. „Schwache“ Ströme können u. U. mehr Energie pro
Sekunde übertragen (und damit größere Wirkungen haben) als „starke“, nämlich
dann, wenn sie mit einer größeren Spannung durch Verbraucher getrieben werden.
Bb Energieumsätze in einzelnen Elektrogeräten, Energieberechnung
Der semantische Gehalt der Definitionsgleichung muß nun durch seine konkrete Anwendung auf schülernahe Beispiele veranschaulicht werden. Vertraut sind die Schülerinnen und Schüler in der Zwischenzeit mit Energieströmen bzw. Leistungen in „physiologischer“ Größenordnung. Nun bietet sich an, Energieumsätze in weiteren elektrischen Geräten quantitativ zu bestimmen, die den Schülerinnen und Schülern aus ihrem Alltag bekannt sind. Erst wenn in diesem Bereich eine Reihe von Kenntnissen
und Erfahrungen vorliegen, werden größere, gesellschaftlich, wirtschaftlich und ökologisch bedeutsame Energieströme zum Unterrichtsthema gemacht. Diese Thematik
wird dann in der Einheit 11 weitergeführt.98
Aus der Vielzahl möglicher Anwendungsbeispiele werden einige wenige genannt, die jeweils als typisch für eine ganze Gruppe gelten können.
Beispiel 1:
Ein elektrischer Toaster trägt den Aufdruck „230 V – 1100 W“. Das Gerät muß an eine Spannung von 230 V angeschlossen werden. Bei einem Strom von 1 A würde ein
Energiestrom von 230 W fließen. Da die Leistung tatsächlich das Fünfache beträgt,
muß der Elektronenstrom ca. 5 A betragen. Dies ist im Lehrerexperiment nachzumessen!
Beispiel 2:
Der Strom durch verschiedene Haushaltsgeräte wird gemessen. Eine elektrische Küchenmaschiene ist z. B. besonders geeignet. (Das Gerät kann im Fachbereich Hauswirtschaft ausgeliehen werden!) Man mißt die Ströme bei verschiedenen Schaltstufen
96
97
98
aber sowohl mit dem Strom als auch mit der Spannung wächst, ist die quadratische Abhängigkeit
für ohmsche Verbraucher (aber auch nur für diese) plausibel.
Diese Überlegung führt direkt zur Notwendigkeit, für große Energieströme, wie sie beim Überregionalen Transport nötig sind, Spannungswandler einzuführen. Der Gedanke, daß man Energieströme bei relativ kleinem Elektronenstrom durch die Erhöhung der Spannung vergrößern kann,
führt direkt zum Transformator als dem Schlüsselgerät für leistungsfähige Versorgungsnetze. In
der Einheit 11 wird auf diese Einsichten zurückgegriffen.
Siehe dazu die Erörterungen auf den Seiten 30, 31 und 106).
Dieser methodische Weg wurde auf S. 62 ff begründet.
141
beim Teigkneten. Ein Kilogramm Mehl sollte dabei schon „geopfert“ werden. Wie
groß ist die Leistung in den einzelnen Stufen? (Jedes Ampere erzeugt einen Energiestrom von 230 W.)
Beispiel 3:
Ein Gerät (z. B. Lautsprecherbox, Autoradio o. ä.) ist mit einer Schmelzsicherung von
2,5 A abgesichert. Außerdem ist die Leistungsangabe „max. 60 W“ aufgedruckt. An
welche Spannung darf das Gerät höchstens angeschlossen werden? Bei 60 V wäre nur
1 A notwendig, um die Leistung von 60 W zu erreichen. Da diese Leistung bei einem
2,5 mal größeren Strom erreicht wird, beträgt die Spannung nur den 2,5-ten Teil, also
24 V.
Beispiel 4:
In einem Prospekt ist zu lesen: „Der Stromverbrauch der neuen Gerätegeneration ist
20% niedriger. Bei Apparaten mit einer Bildschirmdiagonale von 37 cm beträgt er nur
noch 65 Watt“. Die Rede ist von Fernsehapparaten. Es werden folgende Fragen diskutiert und Berechnungen angestellt:
• Was ist hier mit „Stromverbrauch“ gemeint?
• Wie müßten die Zahlenwerte lauten, wenn sich die Aussage auf den Elektronenstrom beziehen soll? (Anschlußspannung 230 V)
• Warum sind Angaben zum Elektronenstrom für Geräte des täglichen Gebrauchs
verhältnismäßig selten? (Für die Benutzer ist es normalerweise unwichtig, mit
welchen Strom die erforderliche Energie transportiert wird.)
Für den Gebrauch elektrischer Geräte ist die tatsächlich umgewandelte elektrische
Energie von besonderer Bedeutung. Denn diese kostet nicht nur Geld, sondern verursacht im Kraftwerk den Einsatz von Rohstoffen und die Belastung der Umwelt. Aus
dem Energiestrom kann die Energie berechnet werden, wenn man weiß, wie lange das
Gerät betrieben wird:
W = P·t oder W = U·I·t
Man erhält aus dieser Beziehung die Energie in der Einheit Wattsekunden bzw. Joule.
Im Bereich elektrischer Energie ist es üblich geworden, die Energie in Kilowattstunden zu messen. Die Umrechnung 1 kWh = 3,6 MJ muß mit den Schülerinnen und
Schülern erarbeitet werden.
In diesen Zusammenhängen sollte nicht darauf verzichtet werden, einen Haushaltszähler einzusetzen und die berechneten Werte für die Energie nachzumessen.
Die Fähigkeit, dieses Gerät richtig abzulesen und für Verbrauchsmessungen einzusetzen sollte aufgebaut werden!
Auch für die Bestimmung von Energiebeträgen ist es wichtig, daß sie auf möglichst
viele Anwendungen übertragen werden, die für Schülerinnen und Schüler von Interesse sind. Typische Beispiele werden aufgeführt:
Beispiel 5:
Die Schülerinnen und Schüler sollen sich erkundigen, wieviele Waschmaschinen
Schmutzwäsche pro Monat in ihrem Haushalt anfallen. Dann werden beispielhafte
142
Verbrauchswerte für die elektrischer Energie aus Herstellerprospekten (oder Testberichten) angegeben, z. B.:
• Kochwäsche
95°C 2,4 kWh
• Buntwäsche
60°C 1,6 kWh
• Buntwäsche
30°C 0,6 kWh
Die Schülerinnen und Schüler berechnen den Bedarf an elektrischer Energie für die
Wäsche in ihrem Haushalt (Kostenberechnungen → Beispiel 8).
Es wird diskutiert, welches Geräteteil (Heizung, Laugenpumpe oder Motor) der
Waschmaschine die meiste Energie benötigt (Heizung). Daraus lassen sich die wirkungsvollsten Maßnahmen zur Einsparung von Energie beim Waschen ableiten (möglichst niedrige Waschtemperatur).
Warum darf man eine Waschmaschine mit 3300 W Leistung nicht an einen
Stromkreis mit einer 10 A-Sicherung anschließen?
In gleicher Weise werden ermittelt: Energiebedarf für das Fernsehgerät, (die Schülerinnen und Schüler sollen jeweils die Einschaltdauer schätzen und den erforderlichen
Energiestrom am Gerät ablesen.), für die Flurbeleuchtung, für den Staubsauger usw.
Die ermittelten Werte sollen im Schülerheft festgehalten werden (evtl. Tabelle
anlegen). Auch ist es u. U. reizvoll, die individuell ermittelten Werte mit veröffentlichten Jahresstatistiken zu vergleichen. Für ökologische oder energiewirtschaftliche
Diskussionen ist es wichtig, auf Werte zurückgreifen zu können, die von den Schülerinnen und Schülern subjektiv als realistisch und relevant erfahren worden sind. (Vgl.
dazu auch Beispiel 8 und Abschnitt C.)
Beispiel 6:
Auf einer 12 V-Autobatterie steht „44 Ah“. Die Angabe bedeutet, daß die Batterie 44
Stunden lang einen Strom von 1 A erzeugen kann, bis sie erschöpft („leer“) ist. Folgende Probleme können z. B. behandelt werden:
• Wieviel Energie ist in der Batterie gespeichert?
(1 900 800 J = 1,9 MJ = 0,53 kWh)
• Die Scheinwerfer eines Autos sind jeder für sich (parallel) an die 12 V-Batterie
angeschlossen. Jede der beiden Lampen hat eine Leistung von 50 W. Wie groß ist
der Strom durch jede Lampe?
• Wie groß ist der Strom durch eine Haushaltslampe mit 100 W? Warum ist er
kleiner als der Strom durch die beiden Autoscheinwerferlampen zusammen?
• Wie lange können die Lampen des Autos in Betrieb sein, bis 1 kWh elektrische
Energie verbraucht ist? Wie lange würde es ungefähr dauern, bis eine Autobatterie mit 12 V und 44 Ah bei eingeschalteten Lichtern erschöpft wäre? (Scheinwerfer je 50 W, Rückleuchten je 6 W)? Warum sind trotzdem längere Nachtfahrten
möglich, ohne daß die Batterie Schaden leidet?
• Wie lange darf ein Startversuch insgesamt dauern, wenn das Auto einmal
schlecht anspringt? (Anlasserleistung z. B. 1,5 kW).
143
In ähnlicher Weise können Fragen der Batteriekapazität eines Walkman (z. B.
2 x 1,2 V-Mignon-Akkuzellen in Reihe, Kapazität je 0,5 Ah), eines Radiorecorders
usw. besprochen werden (Kostenvergleiche → Beispiel 8).
In dieser Beispielgruppe kann auch die Vervielfachung des Energieumsatzes in Reihen- und Parallelschaltungen behandelt werden (→ Abschnitt C). Folgende Aufgaben
sollen als Anregung dienen:
Beispiel 7, „Pro-Kopf-Energieströme“:
• Die Schülerinnen und Schüler sollen sich zu Hause die letzte Jahresabrechnung
der Elektrizitätswerke zeigen lassen. Daraus sollen sie den gesamten Jahresverbrauch des Haushaltes und die gesamten Kosten entnehmen. Ein realistischer
Preis für 1 kWh elektrische Energie wird über den Quotienten aus beiden Beträgen ermittelt.99 Man erhält z. Zt. (1996) Beträge von etwa 0,29 DM.
• Aus den Daten der „Stromrechnung“ sollen die Schülerinnen und Schüler berechnen, wie groß der durchschnittliche Energiestrom während des ganzen Jahres
ist, der in den Haushalt fließt (Größenordnung 200 W – 500 W bei einem 4Personenhaushalt). Sie sollen darüber hinaus den durchschnittlichen Energiestrom pro Kopf berechnen.
Die „pro-Kopf-Daten“ können auf den Bedarf der Klasse, der Stadtbewohner
usw. hochgerechnet werden (vgl. dazu die Einheit 3.4.11).
• In England führt die Elektrizitätsgesellschaft nach spannenden Fernsehsendungen
den sogenannten „Teekesseltest“ durch. Da nach dem Ende der Sendungen die
Briten ihre elektrischen Teekessel anschalten, steigt der Energiebedarf sprunghaft. Nach einem Interview mit Prinzessin Diana im Zusammenhang mit ihrem
ehelichen Konflikt stieg beispielweise der Energiebedarf um 1000 Megawatt. Bei
Prinz Charles waren es bei vergleichbarem Anlaß nur 700 Megawatt, nach der
Niederlage Englands im Halbfinale der Fußballweltmeisterschaft von 1990
2800 Megawatt. Wieviel Haushalte haben die Sendungen jeweils gesehen, wenn
die Teekessel einen Energiestrom von jeweils 1200 W benötigen?
• Als 1991 in Stuttgart das neue Kultur- und Kongreßzentrum in Betrieb genommen werden sollte, mußte zuvor die Klimaanlage getestet werden. Dazu wurden
an jedem der 1250 Sitzplätze zwei Glühlampen à 40 W installiert. Welchen Sinn
hatte dies?
Beispiel 8: Kostenvergleiche
In Beispiel 7 ermitteln die Schülerinnen und Schüler den Preis für 1 kWh elektrische
Energie zu ca. DM 0,29. Damit werden die Energiekosten für einzelne Verbraucher
berechnet, z. B.:
• Das Fersehgerät benötigt einen Energiestrom von 125 W und läuft täglich 4 h:
0,15 DM/d bzw. ca. DM 53/a. Die Energie ist also im Vergleich zur Information
(Fernsehgebühren!) sehr billig.
99
144
Die Schülerinnen und Schüler haben meist Schwierigkeiten, aus der vielspaltigen Abrechnung
den Energiepreis zu ermitteln. Das beschriebene Verfahren ist einfacher und führt zu einem realistischeren Energiepreis als es der reine Energiepreis ist.
•
•
•
Es ist naheliegend, die Energiekosten aus dem Versorgungsnetz mit denen von
Batterien und Akkuzellen zu vergleichen. Die zwei Mignonzellen eines Walkman
(Akkuzellen mit 1,2 V) haben je eine Kapazität von 0,5 Ah, speichern also eine
Energie pro Zelle von 0,6 Wh. Geht man von 500 Ladevorgängen aus, so liefert
jede Zelle im Verlauf ihrer Lebensdauer 0,3 kWh. Eine Akkuzelle kostet etwa
DM 8, der Energiepreis liegt somit bei ca. DM 26/kWh (+ DM 0,15 Netzenergie).
Die Diskussion derartiger Preisvergleiche führt direkt zu ökologischen Problemfeldern wie Rohstoffeinsatz, Produktions- und Recyclingverfahren, Verringerung
der Umweltbelastung durch Vermeidungsverhalten usw. (→ Abschnitt C).
Die besonders niedrigen Energiekosten für die elektrische Energie aus dem Netz
erhalten eine subjektive „Qualität“, wenn man sie – ausgehend von den physiologischen Erfahrungen beim Drehen des Generators – mit den Kosten für menschliche Arbeit vergleicht.100
Die Kosten für elektrische Energie werden sinnvollerweise auch mit denen verglichen, die bei anderen Energieträgern entstehen (Holz, Kohle, Heizöl, Benzin,
Schokolade, regenerative Energiequellen). Die Diskussion der Gründe für die
Preisunterschiede führt zu zentralen gesellschaftspolitischen Themen. (Z. B.:
Verursacherprinzip bei den Kosten für Umweltschäden bzw. deren Vermeidung,
Resourcenknappheit, Lenkungsmechanismen in Demokratien, Verantwortlichkeiten, usw.)
Zur unbestreitbaren Notwendigkeit, diesen Fragenkreis im Physikunterricht aufzugreifen und zu einigen zwangsläufigen Einschränkungen dieses Desiderats wird in
Abschnitt C Stellung genommen.
C
Didaktische, fachliche und technische Anmerkungen
Zur Spannungsdefinition
Der vorgeschlagene Weg zur Definitionsgleichung U = P/I hat sich trotz der relativ
hohen formalen Anforderungen sehr bewährt. Dies hängt vor allem davon ab, wie lebensnah und alltagsrelevant die Geräte sind, an denen die Messungen vorgenommen
werden.
In der ersten Auflage dieses Buches war noch einem anderen methodischen Weg
der Vorzug gegeben worden: Er knüpfte an die Erfahrungen an, die mit dem zum Motor umgebauten Generator in Bezug auf den Energiestrom gewonnen wurden. Die
Versuchsanordnung in Abbildung 39 lieferte die Erkenntnis, daß der Strom mit der
Hubleistung des Elektromotors steigt (P ~ I; → Meßwerten der Tabelle in Abbildung
40, S. 116). Außerdem konnte gezeigt werden, daß die Hubleistung proportional mit
der angelegten Spannung wächst (→ Einheit 6, S. 123). Unter der Voraussetzung, daß
die um den Leerlaufstrom korrigierten Werte für die Elektronenströme vollständig
dazu dienen, die Wägestücke zu heben, entspricht die Hubleistung dem elektrischen
Energiestrom. An einer entsprechenden Meßreihe mit verschiedenen Massen des Wä100 Siehe dazu das Berechnungsbeispiel auf S. 78.
145
gestücks und Spannungen von 1–8 V konnte gezeigt werden, daß der Quotient P/I
denselben Wert wie die am Motor liegende Spannung hat.
Leider trifft nun die genannte Voraussetzung auf die gegenwärtig lieferbaren Generatoren/Motoren nicht mehr zu. Auch andere in den Physiksammlungen verbreitete
Motoren liefern nur unbefriedigende Werte. Bei den Geräten reicht es zur Berücksichtigung des Wirkungsgrades nicht aus, den Leerlaufstrom von den Stromwerten unter
Belastung abzuziehen. Einerseits fällt zusätzlich der Widerstand der Ankerwicklung
ins Gewicht zum anderen ist die Reibung im Motor belastungsabhängig.
Ein weiterer Grund, von diesem methodischen Weg Abstand zu nehmen, liegt in
der zwischenzeitlich gewonnenen Erfahrung, daß die Durchführung der entsprechenden Versuchsreihe relativ viel Unterrichtszeit beansprucht und dabei die anfangs vorhandene Motivation in der Klasse sinkt. Sie ist jedenfalls nicht vergleichbar mit dem
hohen Interesse, das dem in Abschnitt B ausgeführten Vorgehen entgegengebracht
wird.
In der Schulbuchliteratur wird häufig der Quotient aus Energie (Arbeit) und Ladung
W/Q zur Spannungsdefinition genutzt. Solange man sich auf der Ebene des Stromkreises bewegt, ist dies nicht sonderlich zweckmäßig, weil in der Regel der Strom und
nicht die Ladung gemessen wird. U = W/Q hat als Definitionsgleichung im Kontext
der Bewegung meßbarer Ladungsmengen in statischen Feldern ihren Platz (→ S. 39).
Da die beiden Gleichungen äquivalent sind, läßt sich andererseits der Quotient W/Q
auch für Stromkreise deuten. Dies kann besonders dann sinnvoll sein, wenn man sich
gedanklich als Ladungseinheit die Elementarladung bzw. einzelne Elektronen vorstellt. Je größer der mit ein und demselben Elektronenstrom verknüpfte Energiestrom
ist, desto größer muß auch die Energie sein, die vermittels der Bewegung jedes Elektrons übertragen wird. Dies ist eine adäquate Interpretation der Beziehung U = W/Q im
Stromkreis.
Zum Wirkungsgrad
Man wird in dieser Unterrichtseinheit – evtl. auch schon in den vorangehenden –mehr
oder weniger zwangsläufig auf die Frage stoßen, ob die einem Wandler zugeführte
Energie vollständig in die gewünsche Energieform umgewandelt wird. Mit Ausnahme
thermischer Verbraucher ist dies bekanntlich nicht zu erreichen. Es ist natürlich besonders naheliegend, diesen Sachverhalt exemplarisch am handgetriebene Generator
zu untersuchen. Er wird dazu mit der Schnurwelle ausgerüstet und in die Versuchsanordnung gemäß Abbildung 55 eingebaut.
146
Generator
A
4 V/1 A
V
m = 2,4 kg
Abbildung 55: Versuchanordnung zur Bestimmung des Wirkungsgrades
Man läßt das Wägestück aus größerer
Höhe nach unten sinken. Nach einigen
Dezimetern stellt sich eine konstante
Sinkgeschwindigkeit ein, die gemessen
wird. Um die Betriebswerte des Lämpchens zu erhalten, ist bei den aktuellen
Geräten eine Belastung an der Schnurwelle von ca. 24 N erforderlich. Man erhält Sinkgeschwindigkeiten von ca.
0,4 m/s über eine Fallstrecke von 1 m.
Dies ergibt eine mechanische Leistung
von ca. 9,6 W. Der elektrische Energiestrom beträgt ca. 4 W. Der Wirkungsgrad des Generators liegt dann für diese
Belastung bei ca. 42 %.
Elektrische und andere Energieströme als Bausteine ökologischer
Bildung
Diese Unterrichtseinheit gehört mit zu den physikalischen Grundlagen, die im Rahmen jedes Konzepts einer Umwelterziehung unverzichtbar sind. Es wäre allerdings
vermessen, diese vielschichtige fachliche und pädagogische Problematik in die Beschreibung einer einzelnen Unterrichtseinheit aufnehmen zu wollen. Einige Stichworte und Hinweise sollen lediglich andeuten, wie künftige Curricula zum Thema Umwelterziehung vom Physikunterricht her gestützt und strukturiert werden könnten, und
welchen Baustein dazu der vorgeschlagene Elektrikunterricht liefert:
Von den rund 5 kW des Energiestroms, der pro Kopf einer Industrienation wie
der Bundesrepublik an Endenergie erzeugt wird, entfallen lediglich 700 W (17,3%)
auf elektrische Energie. (Nahezu der doppelte Betrag fällt in den Kraftwerken als
„Abwärme“ an; Primärenergieeinsatz pro Kopf ca. 2050 W.) Der weitaus größte Teil
des gesamten Endenergiestroms ist an fossile Energieträger gebunden (9% feste
Brennstoffe, 21,2% Gase, 22,5% Heizöl, 27,5% Kraftstoffe; Quelle: [9]). Schon an
diesen Relationen wird deutlich, daß die Elektrik der Energieübertragung nur ein einzelnes Element in einem komplexen inhaltlichen Zusammenhang sein kann. In knapper Form soll die Einbettung in den größeren Komplex skizziert werden.
Die im gesamten Unterrichtsgang vorgeschlagenen Experimente zum Energiebegriff
konstituieren eine erfahrungsmäßige Beziehung zu energetischen Größen, zumindest
wenn diese Experimente – wo immer möglich – von den Schülerinnen und Schülern
selbst gemacht werden. Von diesen Einsichten aus können weitere Zusammenhänge
erschlossen werden. Anknüpfungspunkte dafür gibt es unendlich viele: Energiesparen, Wirkungsgrade von Kraftwerken, Solarzellen, Windgeneratoren, begrenzte Recourcen, Klima- und Gewässerbelastung durch Energienutzung, Energetik der Verkehrsmittel usw. sind Beispiele für Themen, die ein moderner naturwissenschaftlicher
Unterricht nicht ausblenden darf. Es stellt sich natürlich die Frage, wie die „Anknüp147
fung“ vorgenommen werden soll, genauer, wie die einzelnen Problemfelder zu einem
bildungsrelevanten Netz an Kenntnissen, Fähigkeiten und Haltungen verknüpft werden können. Von der Fachdidaktik her ist bislang ungeklärt, welche Rolle der fachmonistische Unterricht – hier vor allem der Physikunterricht – innerhalb der so bedeutsamen wie komplexen ökologischen Bildung spielen kann.
Damit ist deutlich geworden, daß die Einbindung ökologischer Inhalte keine Angelegenheit der Elektrizitätslehre mehr ist. Vielmehr übergreift diese Aufgabe sowohl
die Teilgebiete der Physik, als auch die anderen Naturwissenschaften bis hin zu den
sozialkundlichen Fächern. Die Brücke zu den anderen Naturwissenschaften kann über
das Energiestromkonzept geschlagen werden. Alle Energieströme mit Ausnahme der
Strahlung sind von (teils zirkulierenden) Stoffströmen begleitet. Dieser Gedanke wurde in der Einheit 1 ausgeführt und in diesem Unterrichtsgang nur für den Kreislauf
der Elektrizität weiterverfolgt. Im Rahmen einer ökologischen Bildung ist es unerläßlich, diese Struktur auf andere Kreisläufe zu übertragen. Umweltprobleme treten vor
allem dort auf, wo die Stoffkreisläufe „Löcher“ haben, wo sie also nicht oder nicht
vollständig geschlossen sind. Sowohl die kontinuierliche Einspeisung von Stoffen in
Energieträgerkreisläufe, wie z. B. die fossilen Brennstoffe, als auch das Austreten von
Stoffen, wie z. B. CO2, führen zu komplexen Verschiebungen in der physikalischen,
chemischen und biologischen Beschaffenheit der Umwelt. Vollständig geschlossene
Stoffkreiskreisläufe sind dagegen weitaus weniger problematisch und implizieren ein
prinzipielles Systemgleichgewicht.
Elektrische Stromkreise gehören zu den vollständig geschlossenen Energieträgerkreisläufen. Sie sind daher für sich genommen relativ übersichtlich und durchschaubar. An ihren energetischen Nahtstellen – nämlich in den Energiewandlern –
sind die Stromkreise dann mit den anderen Stoff – und Energieströmen verwoben, von
denen Umweltprobleme ausgehen. Elektrische Anlagen zur Energieübertragung sind
deshalb nicht mehr aber auch nicht weniger als ein Strukturelement im Fundament einer Umwelterziehung.
Andere geschlossene Kreisläufe, die ebenfalls Energie transportieren, sind die
atmosphärischen Zirkulationen der Luft und des Wasserdampfes bzw. Wassers und
die großen Meeresströmungen. Diese Kreisläufe übernehmen den Energietransport
auf der Erdoberfläche, der die ungleiche Konzentration der einfallenden Sonnenenergie ausgleicht. Alle Wettererscheinungen können als Begleitumstände dieses Energietransportes gedeutet werden. Thermische Energieumsetzungen und der zweite Hauptsatz der Thermodynamik sind deshalb weitere physikalische Bausteine für das oben
genannte Fundament der ökologischen Bildung. Dies ist durchaus ein Plädoyer dafür,
innerhalb der Wärmelehre energietransportierende Stoffkreisläufe nicht nur an der
Warmwasserheizung und ähnlichen „kleinräumigen“ Systemen zu behandeln. Vielmehr sollte die Energieübertragung wesentlich umfassender auch unter den Aspekten
der Wetterkunde und globaler metereologisch-physikalischer Prozesse in physikalische Curricula aufgenommen werden. Dies schafft die Grundlage dafür, Eingriffe in
die Stoffströme und deren ökologische Auswirkungen zu behandeln.
148
Aus diesen Überlegungen heraus ergeben sich auch Empfehlungen für eine zweckmäßige Anordnung der Inhalte im Curriculum des Physikunterrichtes. Darauf wird im
Abschnitt 3.5 nochmals eingegangen. Der Physikunterricht hat hinsichtlich der ökologischen Bildung den einfacheren aber auch den grundlegenden Part zu übernehmen.
Denn die relativ unproblematischen geschlossenen Stoffkreisläufe bilden die Orientierung für die zweckmäßige Gestaltung des Energietransports. Sind die Schülerinnen
und Schüler mit dieser Struktur vertraut, können die chemischen und biologischen
Belastungen aus nicht-zirkulierenden Stoffströmen unterrichtlich behandelt werden.
Ebenso wie der Physikunterricht hinsichtlich der energetischen Vorgänge das Verständnis für den Energietransport und die Energieumwandlungen sukzessive aufbauen
muß, ist dies seitens der Chemie für die Stoffströme und die Stoffumwandlungen erforderlich. Ohne diese Grundlagen ist eine sachliche Durchdringung der Gründe für
ökologische Veränderungen unseres Lebensraums kaum vorstellbar.
3.4.10 Von Oerstedt zum Elektromotor
Zu dieser Einheit erfolgen hier nur einige Hinweise. Für die methodische Gestaltung
des Unterrichts stehen in der Schulbuch – und Fachliteratur aufgrund der langen Tradition dieser Unterrichtsinhalte vielfältige Vorschläge zur Verfügung. Das didaktische
Problem dieses Themenbereichs liegt in der zielorientierten Reduktion auf die wesentlichen Inhalte.
Unterrichtsziele
Der Elektromotor ist einer der wichtigsten Energiewandler in elektrischen Anlagen
zur Energieübertragung. Seine prinzipielle Funktionsweise zu durchschauen, ist das
wichtigste Ziel der Unterrichtseinheit. Daneben bzw. als Voraussetzung sollen die
Schülerinnen und Schüler die magnetische Wirkung elektrischer Ströme und die Wirkungsweise von Elektromagneten kennenlernen.
Hinweise zur Anordnung und Auswahl der Inhalte
Im Jahre 1820 beobachtete Oerstedt, daß eine Magnetnadel in der Nähe eines Leiters
ein Drehmoment erfährt, wenn durch diesen Elektrizität strömt. Diese Entdeckung
markiert den Beginn der physikalischen Theorie der Elektrodynamik. Von der Beobachtung des Phänomens der magnetischen Wirkung bis zur technischen Realisierung
leistungsfähiger Motoren vergingen noch einige Jahrzehnte. Die Technologie der Motoren war eng verknüpft mit der Entwicklung der prinzipiell gleichgebauten Generatoren. Der entscheidende Durchbruch für beide Energiewandler erfolgte in den letzten
beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Die Geschichte dieser Entwicklung steckt
voller Dynamik und bildet zahlreiche reizvolle Anknüpfungspunkte für den Unterricht. Hierbei ist vor allem auch an die gesellschaftlichen Veränderungen zu denken,
die mit dem Einzug von Elektromotoren in die Produktionstechnik und in die privaten
Haushalte verknüpft waren.
149
Die Einbettung der physikalischen Thematik in den technik – und sozialgeschichtlichen Kontext dient durchaus nicht nur der Auflockerung des Physikunterrichts, sondern liefert auch einen wesentlichen Sinnbezug für die Beschäftigung mit
diesen Inhalten. Der Einfluß naturwissenschaftlich technischer Erkenntnisfortschritte
auf die gesellschaftliche Entwicklung und natürlich auch umgekehrt: die Befruchtung
des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts durch die gesellschaftliche Bedürfnislage, sollte ohnehin ein ständiger Hintergrund des Unterrichtsganges sein (vgl.
auch Unterrichtseinheit 3.4.1).
Diese mögliche und pädagogisch sinnvolle Verankerung der Unterrichtseinheit
wird hier anempfohlen, weil die nachfolgende Auflistung der wichtigen physikalischen Inhalte den Eindruck erwecken könnte, es werde einer trockenen Aneinanderreihung physikalischer Inhalte das Wort geredet. Die Beschränkung auf die Aufzählung der wesentlichen physikalischen Inhalte geschieht hier vor allem aus Raumgründen. Der Besuch eines technikhistorischen Museums, der Bau eines funktionsfähigen
Gleichstrommotors im Unterricht101 oder ähnliche pädagogische Maßnahmen entsprechen voll der Zielsetzung der Unterrichtseinheit und sind sicher nicht weniger
wichtig als die rein physikalische Seite des Themas.
Ausgehend vom experimentellen Nachvollzug der oerstedtschen Anordnung wird die
Abhängigkeit der magnetischen Wirkung fließender Elektrizität von der Stromstärke
gezeigt. Führt man mehrere Leiter gleichsinnig an der Magnetnadel vorbei, addieren
sich die Wirkungen der einzelnen Ströme. Dies führt zur Idee, den Draht in einer Spule anzuordnen.102
Das Magnetfeld einer Spule, und die Möglichkeit, die magnetische Wirkung durch einen Eisenkern zu erhöhen liefert die Einsicht in Aufbau und Wirkungweise eines Elektromagneten.
Ein im Feld eines Dauermagneten drehbar gelagerter Elektromagnet richtet sich
je nach der Polung der Felder aus. Wird im geeigneten Augenblick umgepolt, so dreht
sich der Elektromagnet ständig. Der Dauermagnet kann selbstverständlich auch durch
einen Elektromagneten ersetzt werden, wodurch die Möglichkeit geschaffen wird,
entweder den Rotor oder den Stator im richtigen Zeitpunkt umzupolen.
Mit der Behandlung des automatischen Polwenders (Kommutator) ist von der
physikalisch-phänomenologischen Seite her das Funktionsprinzip der Umwandlung
elektrischer in mechanische Energie noch nicht vollständig behandelt. Es muß in der
folgenden Unterrichtseinheit (3.4.11, Induktion) noch um den Aspekt der belastungsabhängigen Energieaufnahme ergänzt werden.
Für das grundsätzliche Verständnis des Elektromotors als Energiewandler bedarf es
keiner inhaltlichen Ausweitung dieser Thematik. Hier legt die übergeordnete Zielsetzung des Unterrichtsganges eine starke Beschränkung gegenüber der üblichen Breite
101 Eine große Popularität hat der z. B. billige Bausatz des „Pappschachtel-Motors“ erreicht. Lieferadresse: Leopold Eschke, Schichtlstraße 6a, 8000 München 81.
102 Siehe dazu beispielsweise die Darstellungen in den Physikbüchern des Cornelsen-Verlages; z. B.
[33], S. 318 ff oder [30], S. 58 ff.
150
nahe, in der die Themen Elektromagnetismus und -motor sonst behandelt werden. Die
Unterscheidung von Gleich – und Wechselstrommotor, Zweipol- Dreipol- oder Mehrpolanker, Innen- und Außenpolmaschine u. a. erscheinen im Horizont der Frage nach
den allgemeinbildenden Grundlagen der Elektrik von untergeordneter Bedeutung. Das
schließt nicht aus, daß auch diese oder weitere Inhalte wie z. B. das Relais oder der
Schrittmotor im Unterricht behandelt werden. Voraussetzung ist aber dann eine pädagogische Situation, die eine Spezifizierung der Inhalte auch für die Schülerinnen und
Schüler als notwendig erscheinen läßt. Einige Beispiele:
• Ein Schüler will die Erfahrung, daß ein Generator auch als Elektromotor betrieben werden kann, an seinem Fahrraddynamo überprüfen. Er schließt den Dynamo
an eine 4,5 V-Batterie an und erlebt eine Enttäuschung. Bringt der Schüler sein
Erlebnis als Frage in den Unterricht ein, und gelingt es, dieses Problem auch für
den größten Teil der Klasse als interessant und einer Bearbeitung würdig erscheinen zu lassen, dann ist die Behandlung des Unterschieds zwischen Gleich – und
Wechselstrommotoren pädagogisch angezeigt.
• Das Relais kann im Elektronikunterricht (Informationsübertragung) als schaltungstechnisch dem Transistor ähnliches Bauteil dienen und damit dessen Wirkungsweise verdeutlichen.
• Die Frage, wie ein Roboterarm vom Computer gesteuert wird, könnte in einem
Informatik-Projekt erhebliche Bedeutung erlangen. Die Behandlung des Schrittmotors ist dann unter dem Aspekt eines „Informationswandlers“ sinnvoll.
Die zusammenfassende Empfehlung für diese Unterrichtseinheit lautet:
In elektrischen Anlagen zur Energieübertragung gehören Motoren zu den wichtigsten Energiewandlern. Die Grunderscheinungen des Elektromagnetismus liefern
erste Erklärungen für die Wirkungsweise dieser Verbraucher. Auf diese Funktion hin
sollte das Thema Elektromagnetismus innerhalb dieses Unterrichtsganges beschränkt
werden.
Ohne diese Beschränkung ist die Gefahr gegeben, daß sich der Unterricht in
technische Details und Spezialitäten verliert, die bei all jenen Schülern und vor allem
Schülerinnen einen Motivationsverlust bewirken, die mehr an grundsätzlichen naturwissenschaftlichen Fragen und deren gesellschaftlicher Relevanz interessiert sind und
weniger an technischen Problemstellungen.
3.4.11 Von Faraday zum Transformator
Diese Unterrichtseinheit umspannt einen inhaltlichen Rahmen, dem in den Lehrplänen unterschiedlich viel Raum gewidmet ist: Induktion, Selbstinduktion, Lorentzkraft,
Lenzsche Regel, Motor, Generator, Kraftwerke, Transformatoren, Bauteile im Wechselstromkreis, Drehstrom, Stromversorgungsnetz sind Inhalte, die hier eingeordnet
werden können.
Die Behandlung von Stromkreisen als Anlagen zur Energieübertragung wäre unvollständig, würde sie nicht durch die großtechnischen Systeme unserer elektrischen E-
151
nergieversorgung abgerundet. Es kann sich dabei schon aus Zeitgründen in der Sekundarstufe I nur um die Darstellung der Grundprinzipien und der wichtigsten Elemente unseres Verbundsystems handeln. Dazu gehören vor allem die Generatoren und
Kraftwerke, die verschiedenen Leitungssysteme und die Transformatoren, mit deren
Hilfe Leitungsnetze unterschiedlicher elektrischer Spannung verknüpft werden können, ohne daß die Energieströme unterbrochen werden.
Die Lehrpläne sehen eine Behandlung der einzelnen Inhalte in sehr verschiedener
Intensität, Akzentuierung und auch stofflicher Anordnung vor. Einen auf die verschiedenen Lehrplansituationen der Bundesländer, Schularten und Klassenstufen gleichermaßen passenden Unterrichtsgang vorzuschlagen, ist angesichts dieser Verschiedenheit nicht möglich. Auch geht aus den Lehrplänen oftmals nicht hervor, mit welcher übergeordneten Zielsetzung die Inhalte behandelt werden sollen.
Am Thema Transformator soll das kurz verdeutlicht werden:
Beispielsweise stehen die Themen Transformator und Wechselstromnetz im Realschullehrplan Baden-Württembergs vor den Themen „Elektrische Arbeit“ und „Elektrische Leistung“, so daß – falls man sich an die vom Lehrplan intendierte Reihenfolge hält – der Sinn und Zweck des Transformators im Energieübertragungsnetz verborgen bleiben muß. Im Lehrplan der Hauptschule desselben Bundeslandes ist die
Behandlung des Transformators überhaupt nicht vorgesehen. Für die Gymnasien Niedersachsens ist der Transformator unter dem Rahmenthema Induktion in Klasse 9 untergebracht, allerdings nur im unbelasteten Zustand und ohne Thematisierung der
Stromtransformation. Damit ist natürlich eine energetische Betrachtung nicht möglich. Die eigentliche Aufgabe des Transformators in Energieübertragungssystemen
steht im Unterricht laut diesem Lehrplan nicht zur Diskussion. Es bleibt unter diesen
Voraussetzungen nicht nur für die Schülerinnen und Schüler einigermaßen rätselhaft,
wozu der Transformator behandelt wird.
Das Beispiel steht für die Feststellung, daß der Physikunterricht in diesem Themenbereich vielfach noch nicht jenen wünschenwerten Stand erreicht hat, der für
Schülerinnen und Schüler nachvollziehbar macht, wozu sie sich mit dem jeweiligen
Thema oder Gerät auseinandersetzen sollen, und warum der Unterrichtweg gerade in
der jeweils erlebten Weise durch den Dschungel der Inhalte führt. Selbstverständlich
gibt es überall Physiklehrer und Physiklehrerinnen, die von sich aus zielstrebige methodische Wege und inhaltliche Abfolgen entwickeln, die auch Schülerinnen und
Schülern den Sinn des Unterrichtsinhaltes nahebringen. Nur lassen sich die Individuallösungen schwerlich als Orientierung für die nachfolgende Diskussion eines Unterrichtsweges verwerten.
Die beschriebene disparate unterrichtliche Situation dieses Themenbereichs läßt es
nicht zweckmäßig erscheinen, in differenzierter Form einen Unterrichtsvorschlag zu
unterbreiten. Er könnte ohnehin nur mehr oder weniger zufällig und in Auswahl umgesetzt werden. Deshalb beschränkt sich die Darstellung auf die Zielsetzung, die im
Rahmen dieses Unterrichtsganges den Themenkomplex strukturieren kann. Außerdem
werden Hinweise zur Anordnung und Auswahl jener Inhalte gegeben, die für ein Verständnis der elektrischen Energieübertragung von wesentlicher Bedeutung sind.
152
Unterrichtsziele
Die Schülerinnen und Schüler sollen erkennen, daß unser Wechselstromnetz gewaltige Energieströme über große Entfernungen leitet. Die technischen Voraussetzungen
für den Energietransport sind so gestaltet, daß sich die Größe der Energieströme „automatisch“ an die Bedürfnisse der Anwender elektrischer Energie anpaßt. Die nahezu
unbeschränkte und zeitlich spontane Verfügbarkeit elektrischer Energie wird durch
technische Maßnahmen und Geräte gewährleistet, denen relativ wenige elementare
physikalische Gesetze zugrundeliegen. Das übergeordnete Ziel der Unterrichtseinheit
ist erreicht, wenn die Schülerinnen und Schüler die Funktion der technischen Systeme
mit den zugrundeliegenden physikalischen Gesetzmäßigkeiten in den Grundzügen
durchschauen. Sie sollen darüber hinaus den Zusammenhang zwischen den Anforderungen und Bedürfnissen unserer Gesellschaft und der Gestaltung des Versorgungsnetzes erkennen.
Die folgenden Zielformulierungen berücksichtigen die Voraussetzungen, die durch
den bisherigen Unterrichtsgang geschaffen sind. Sie sind nur aus Gründen der Übersichtlichkeit auf die physikalischen Inhalte beschränkt. Keinesfalls darf die Einbettung der Physik in für die Schülerinnen und Schüler bedeutsame Kontexte bei der methodischen Gestaltung des Unterrichtsganges fehlen. In den Hinweisen zur Anordnung und Auswahl der Inhalte werden Möglichkeiten zur Verknüpfung der physikalischen Inhalte mit historischen und lebenspraktischen Kontexten skizziert:
Bezüglich der physikalischen Inhalte sollen die Schülerinnen und Schüler
• wissen, daß man den Vorgang der Spannungserzeugung, wie er z. B. in den handgetriebenen Generatoren vorkommt, als Induktion bezeichnet;
• im Experiment erfahren, daß es neben der relativen Bewegung von Spule und
Magnet auch dann zur Induktion in einer Spule kommt, wenn sich das Magnetfeld in der ruhenden Anordnung ändert;
• an Beispielen das Prinzip einsehen, daß die Induktionsspannung immer so gerichtet ist, daß sie ihrer Ursache entgegenwirkt (Lenzsche Regel);
• die Drosselwirkung einer Spule im Wechselstromkreis mit Hilfe der Selbstinduktion und der Lenzschen Regel erklären können;
• erkennen, daß die selbstinduzierte Spannung einer Drosselspule in jeder beliebigen Leiterwindung entsteht, die vom selben Magnetfeld durchsetzt ist wie die
Drosselspule, und daraus das Prinzip der Spannungstransformation ableiten können;
• erkennen, daß die Spannungstransformation die Möglichkeit einschließt, große
Energieströme bei relativ kleiner Stromstärke (und entsprechend geringer Verlustleistung) zu erzeugen;
• im Experiment feststellen, daß beim belasteten Transformator die Stromtransformation in der Weise „gegenläufig“ zur Spannungstransformation ist, daß das
Produkt U·I – und damit der Energiestrom auf der Primär- und Sekundärseite –
weitgehend gleich groß ist;
153
•
•
•
die Anpassung des Energiestroms auf der Primärseite eines Transformators an
den Energieumsatz des Sekundärkreises mit Hilfe dessen Rückwirkung auf die
Drosseleigenschaften des Primärkreises erklären können;
über die Spannungen in den verschiedenen „Maschen“ des Verbundnetzes in den
Grundzügen Bescheid wissen (Generatorspannung im Kraftwerk ca. 20 kV ,
Fernleitungen und überregionale Leitungen 400 kV bzw. 200 kV, regionale Netze
20 kV und Anwendernetze 230 V);
die physikalischen Gründe und technischen Maßnahmen dafür angeben können,
daß die Steuerung des Energiestroms von den Verbrauchern her über die „Maschen“ eines Versorgungsnetzes hinweg bis hin zum Kraftwerk funktioniert. Dazu gehören auch Grundkenntnisse über die verschiedenen Kraftwerkstypen, deren
Zusammenwirken sicherstellt, daß auch bei stark schwankendem Energiebedarf
keine merklichen Lücken in den Energieströmen auftreten.
Hinweise zur Anordnung und Auswahl der Inhalte
(Die Hinweise beschränken sich auf zentrale Unterrichtsabschnitte. Sie ergeben kein
vollständiges Bild der gesamten Einheit.)
Manche Aspekte dieser Thematik können schon wegen der fachlich-formalen Schwierigkeiten nur in vereinfachter Form in der Sekundarstufe I behandelt werden. Dazu
gehört insbesondere die Phasenlage von Strom und Spannung in Wechselstrombauteilen, deren Variation ein wesentlicher Mechanismus für die Steuerung des Energiestroms ist. Der vorgeschlagene Verzicht auf diesen Aspekt schließt ein, daß auch von
einer differenzierten Behandlung der Wechselstromwiderstände und deren Zusammenspiel mit ohmschen Widerständen abgesehen wird. Diese Zusammenhänge sollten
jenen Kursen der Sekundarstufe II vorbehalten bleiben, in denen ein die Allgemeinbildung übersteigendes physikalisches Interesse bei den Lernenden unterstellt werden
kann. Der Verzicht erfordert auf der anderen Seite Erklärungsmuster, mit denen einerseits in vereinfachter Weise die experimentellen Ergebnisse gedeutet werden können,
und die andererseits einer späteren Vertiefung und mathematischen Durchdringung
der Inhalte nicht entgegenstehen. Diese Erklärungsmuster gehen aus den nachfolgenden Hinweisen hervor.
Zur Orientierung der Schülerinnen und Schüler sollte diese Unterrichtseinheit mit
einer Darlegung der Zielsetzung verbunden sein. Dies könnte etwa in der Form geschehen, daß man anhand des reichlichen Bild- und Folienmaterials, das die EVU’s
zur Verfügung stellen, die Schülerinnen und Schüler mit den gigantischen Dimensionen der Kraftwerke, Hochspannungsnetze, Umspannstationen usw. konfrontiert. Dies
führt in aller Regel zu einer engagierten Diskussion mit überwiegend politischen und
ökologischen Aspekten, bei der zunächst viele Fragen offen bleiben. Den Schülerinnen und Schülern wird erklärt, daß die nachfolgenden Unterrichtsstunden zum Ziel
haben, die Aufgabe und Wirkungsweise der Elemente eines Versorgungsnetzes von
der Physik her durchschaubar zu machen. Dies soll sie zunehmend in die Lage versetzen, ihre jeweiligen Ansichten über den Sinn oder Unsinn verschiedener Energietech-
154
nologien von der physikalischen Seite her zu überprüfen. Selbstverständlich muß diese Zielsetzung im Unterricht auch immer „durchscheinen“.
Die bisherigen Unterrichtseinheiten schaffen vor allem durch den Einsatz des handgetriebenen Generators eine Reihe von Erfahrungen, auf die jetzt zurückgegriffen werden kann. Im Grunde genommen steuert der gesamte Unterrichtgang auf die Deutung
von Energieübertragungsmechanismen in komlexeren elektrischen Netzen zu. Deshalb fehlt es nicht an Möglichkeiten, auf den Inhalten vorangegangener Einheiten
aufzubauen. Verwiesen sei insbesondere auf die Einheiten 1 (S. 70 ff), 5 (S. 107 ff, besonders die Abschnitte Ba und Bb), 6 (S. 118 ff, Abschnitt Ba), und vor allem 9
(S. 136 ff).
Induktion
Die Schülerinnen und Schüler kennen den Induktionsvorgang vom Phänomen her bereits aus den bisherigen Unterrichtseinheiten.103 Der Schwerpunkt liegt daher in dieser Einheit auf dem Aspekt der Erzeugung von Wechselspannung. Anknüpfungspunkt
können FARADAYs Bemühungen sein, die „Verwandlung von Magnetismus in Elektrizität“ (Tagebucheintrag 1822: „convert magnetism into electricity“)104 zu erreichen.
Spule und Magnet führten ihn schließlich 9 Jahre später (!) zum Erfolg. Die entsprechende Versuchsanordnung ist den Schülerinnen und Schülern bereits bekannt
(Abbildung 27, S. 101).
Eine Erweiterung der Erkenntnisse zum Induktionsvorgang geht von der Überlegung
aus, daß der Dauermagnet durch einen Elektromagneten ersetzt werden kann. Dies
läßt sich leicht zeigen, indem man einen Elektromagneten als „Feldspule“ auf den Eisenkern (U-Kern) einer Induktionsspule aufsetzt und wegreißt. Statt den Magneten zu
bewegen, ist es naheliegend, ihn lediglich aus – und einzuschalten. Ständiges Aus –
und Einschalten führt zu Induktionsspannungen mit wechselnder Polung. (Im Prinzip
ist dies bereits die Anordnung für den Transformator.)
Die Frage, wie sich der Aus- und Einschaltvorgang an der Feldspule automatisieren läßt, kann provokativ durch den Anschluß der Feldspule an ein WechselstromNetzgerät aufgeworfen werden. Dies leitet zum Thema „Wechselstrom und seine Erzeugung“ über. Hier werden dann der Aufbau und die Wirkungsweise des Wechselstromgenerators als der technisch wichtigsten Energiequelle behandelt. Dazu stehen
in den Physiksammlungen in aller Regel Aufbaumodelle für Demonstrations – oder
Schülerversuche zur Verfügung. (Das Verständnis des im Unterricht verwendeten
Gleichstromgenerators bereitet keine größeren Probleme, wenn auf den Kommutator
analog zum Gleichstrommotor verwiesen wird.)
103 Die Erzeugung von Spannungen mit dem handgetriebenen Generator wurde bisher noch nicht mit
dem Begriff Induktion verknüpft, wohl aber wissen die Schülerinnen und Schüler, daß sich ein
Magnet in einer Spule bewegt (siehe vor allem Abschnitt 3.4.3, Abbildung 27).
104 Siehe dazu die Darstellung in den Physikbüchern des Cornelsen-Verlages, z. B. [33], S. 328 oder
[30], S. 78.
155
Zu ergänzen sind die bisherigen Kenntnisse zum Generator um die Einsicht, daß eine
rotierende Spule selbst zum Magneten wird, sobald der Spulendraht von der Elektrizität durchflossen wird. Die Polung und Stärke ist in jedem Augenblick so, daß die zwischen den Polen von Rotor und Stator herrschenden Kräfte beim Drehen schwerer zu
überwinden sind. Dies ist der Grund, warum beim Drehen umso mehr Energie zugeführt werden muß, je größer der Elektronenstrom durch die Spule ist. Entsprechend
nimmt die pro Sekunde umgewandelte Energie zu, solange man die Drehzahl des Generators konstant hält. (Dieser Mechanismus bildet zugleich ein Anwendungsbeispiel
für die Lenzsche Regel.)
Im Rahmen des Themas Induktion sollte auf
die Behandlung der Lenzschen Regel nicht
verzichtet werden. Abbildung 56 zeigt einen
einfachen Versuchsaufbau zur Demonstration
des Sachverhaltes.105 Schwingt der Magnet im
Spuleninnern vor und zurück, kommt es zur
Induktion einer Wechselspannung. Bei offenen
Spulenanschlüssen schwingt der Magnet ohne
nennenswerte Dämpfung. Sobald die Spulenenden verbunden werden fließt ein Strom, der
die Spule selbst zum Magneten werden läßt.
Die Polung ist in jedem Augenblick so, daß die
Abbildung 56: Eine einfache Anordnung
zur Demonstration der Lenzschen Regel Schwingung gedämpft wird.
Ohne äußere Energiezufuhr am Magneten kann also die Induktionsspule nicht zur Energiequelle werden.
Selbstinduktion (Drosselspule)
Die Lehrpläne für die Sekundarstufe I sehen das Thema Selbstinduktion oftmals nicht
vor. Will man jedoch den Transformator in seiner Funktionsweise für die Weiterleitung des Energiestroms von einer „Masche“ des Netzes zur nächsten erklären, so ist
dieser Verzicht nicht sinnvoll. Dies wird im Verlauf der weiteren Ausführungen noch
plausibel.
Das Thema Selbstinduktion braucht im Unterricht nicht isoliert und selbständig
behandelt zu werden. Es kann durchaus als erster Schritt für die Erklärung des Transformators eingebaut werden. An der Versuchsanordnung nach Abbildung 57 ist der
Sachverhalt zu demonstrieren:
Eine Spule mit 2–4 Ω Gleichstromwiderstand wird mit einer niederohmigen
Lampe (z. B. 6 V/5 A) in einen Gleichstromkreis geschaltet (Abbildung 57). Die
Spannung wird so gewählt, daß die Lampe leuchtet. Stellt man den Eisenkern in die
Spule, so hat dies keine merklichen Auswirkungen (geglättete Gleichspannung anlegen!).
105 Die Anordnung ist in [30], S. 82 und [33], S. 330 dargestellt.
156
A
U
Abbildung 58: Schaltbild zur VerAbbildung 57: Anordnung zur Demonstration der Selbst- anschaulichung der Drosselwirkung einer Selbstinduktionsspule
induktion in einer Drosselspule
Der Versuch wird mit einer Wechselspannung gleicher Höhe wiederholt. Beim Einführen des Eisenkerns erlischt die Lampe. Schaltet man einen Strommesser in den
Stromkreis, so zeigt dieser meist noch einige 100 mA an. Schließt man den Eisenkern
jedoch zum Ringkern, dann sinkt die Stromstärke auf einen Wert in der Größenordnung von 1% des Wertes ohne Eisenkern.
Die Erklärung des Versuchsergebnisses ist auf der Grundlage der bisherigen
Kenntnisse möglich: Durch die Spule fließt ein Wechselstrom. Dadurch wird sie zum
Elektromagneten, dessen Feld durch den (geschlossenen) Eisenkern sehr stark wird.
Da es sich um ein Wechselfeld handelt, kommt es in der Spule zur Induktion. Die Induktionsspannung wirkt nach der Lenzschen Regel ihrer Ursache – dem Spulenstrom – entgegen. Die Spule wird damit selbst zur Spannungsquelle. Deren Spannung
Uind ist in jedem Augenblick jener Spannung entgegengerichtet, die den Strom erzeugt
(Quellenspannung U0). Ersatzweise kann man den Stromkreis mit zwei Spannungsquellen darstellen, die einander entgegengerichtet sind. Mit gegeneinander geschalteten Batterien läßt sich noch verdeutlichen, daß kein Strom mehr fließt, wenn beide
Quellen die gleiche Spannung aufweisen (Abbildung 58).
Da der Strom in der Anordnung nach Abbildung 57 fast vollständig verschwindet, kann man annehmen, daß die Induktionspannung zwischen den Spulenenden annähernd so groß wie die Quellenspannung ist: Uind ≈ UQ.
Die Induktionsspannung in der Spule wird von einem Wechselfeld erzeugt, das
seinerseits von einem Strom hervorgerufen wird. Da dieser durch dieselbe Spule
fließt, in der auch die Induktionsspannung erzeugt wird, spricht man von Selbstinduktion. Die Folge der Selbstinduktion ist eine „Drosselwirkung“ der Spule.
Der Transformator
Vor der Behandlung des Transformators sollte man etwa folgenden Zusammenhang
darstellen:
Um in Deutschland die Bedürfnisse der Bürger zu befriedigen (Nahrungs- und
Güterproduktion, Wohnen, Verkehr usw.), werden gegenwärtig (1996) pro Sekunde
und Bürger durchschnittlich knapp 700 Joule elektrische Energie erzeugt (primärsei157
tiger Energiestrom: 2050 W). In Städten mit voll ausgebauter Infrastruktur liegt der
Pro-Kopf-Umsatz etwa bei 1 kW, auf dem Land entsprechend niedriger. In eine
Kleinstadt mit etwa 50 000 Einwohnern muß daher ein Energiestrom von ungefähr
50 Millionen Watt an elektrischer Energie hineinfließen. Dafür sind elektrische Leitungen erforderlich, die von den oft sehr weit entfernten Kraftwerken zur Stadt führen. Nun beträgt die Netzspannung bekanntlich 230 V. Man berechnet, wie groß der
elektrische Strom in den Drähten sein müßte, um die Energie in die Stadt zu transportieren: Aus Pstr = U·I folgt I = 50 MW/230 V ≈ 217400 A. Einen derartig riesigen
Strom hält keine elektrische Leitung aus. Auch der dickste Kupferdraht würde heiß
und sofort schmelzen.
Jede Erwärmung der Leitungsdrähte ist unerwünscht. Denn diese Energie ist
nicht nur verloren, sondern sie belastet zusätzlich die Umwelt durch die Erwärmung
und durch die Schadstoffe, die bei der Erzeugung der Energie im Kraftwerk entstehen.
Schon die Drähte im Generator eines Kraftwerkes würden schmelzen, wenn der
Generator die Energie bei einer Spannung von nur 230 Volt erzeugen würde. Generatoren mittlerer Kraftwerke erzeugen Energieströme von 500 MW. Deshalb ist schon
am Generator die Spannung fast tausendmal höher als an unseren Steckdosen. (Die
Generatorspannung liegt üblicherweise bei 21 kV.)
Um die Energie über weite Strecken zu transportieren sind sehr hohe Spannungen erforderlich. Andererseits wären diese Spannungen viel zu gefährlich und der Isolationsaufwand unendlich groß, wollte man die Verbraucher direkt an solche Quellen anschließen. Für die Verlegung von Kabeln in der Erde sind aus Gründen der Isolationstechnik ebenfalls keine zu hohen Spannungen möglich (20 kV).
In unseren elektrischen Energieversorgungsnetzen sind wir demnach auf unterschiedliche Spannungen angewiesen. Erforderlich sind Spannungswandler, die so beschaffen sind, daß sie für den Energiestrom kein wesentliches Hindernis darstellen.
Dies sind die Transformatoren.
Als methodischer Weg zum Verständnis des Transformators bietet sich an, am Vorgang der Selbstinduktion bei der Drosselspule anzuknüpfen:
Die Induktionsspannung Uind wird vom Wechselfeld im Eisenkern hervorgerufen.
Dieses Feld durchsetzt den gesamten Kern. Es erzeugt in jeder beliebigen Drahtwindung, die um den Kern gelegt wird eine Spannung (Abbildung 59). Die Größe dieser
Spannung wird zunächst mit dem Meßinstrument ermittelt. Es zeigt sich, daß die bei
einer einzigen Windung gemessene Spannung mit der Zahl der Windungen wächst.
Nennt man die pro Windung induzierte Spannung Windungsspannung UW so läßt sich
auch deren Betrag plausibel erklären:
158
V
In jeder Windung der Primärspule wird eine
bestimmte Spannung induziert. Da die einzelnen Windungen hintereinandergeschaltet
sind, addieren sich diese Spannungen bis zu
Wert von Uind auf. Die induzierte Spannung
ist aber – wie oben dargelegt – annähernd
gleich groß wie die Quellenspannung U1.
Abbildung 59: Anordnung zur Messung der
„Windungsspannung“
Daraus ergibt sich für die Windungsspannung UW = U1/n1 (n1: Windungszahl der Primärspule). Da sich auch die Sekundärspannung U2 mit der Windungszahl n2 erhöht
folgt:
U2 = n2·UW bzw. U2 = n2·(U1/n1); oder in der üblichen Darstellungsweise:
U2 n2
U1 = n1
Die Spannungen verhalten sich also wie die Windungszahlen der Spulen. Damit ist
eine Möglichkeit gefunden, die Spannungen in einem Wechselstromkreis im Prinzip
beliebig zu variieren.
Meist finden sich an dieser Stelle Schülerinnen und Schüler, die in der Möglichkeit,
die Spannung nahezu beliebig erhöhen zu können, eine Art „Perpetuum Mobile“ vermuten. Dies kann ein günstiger Anknüpfungspunkt sein, die Energieströme auf beiden
Seiten des Transformators zu untersuchen. Man muß dabei die Sekundärseite belasten. Die Berechnung von Pstr = U·I ergibt für beide Seiten einen ähnlichen Wert.
(Die Verluste sollten erklärt werden.) Die Ströme verhalten sich also gerade umgekehrt wie die Spannungen.
Das Erstaunliche bei der Betrachtung der Energie- und Elektronenströme ist die Tatsache, daß nicht die Primärseite bestimmt, wie groß der Energiestrom auf der Sekundärseite ist, sondern umgekehrt: Der primärseitige Energie – und Elektronenstrom
paßt sich der Belastung auf der Sekundärseite an. Um dies zu erklären, muß die Drosselwirkung der Primärspule betrachtet werden:
Im unbelasteten Zustand fließt wegen der Drosselwirkung (fast) kein Strom in der
Primärspule. Ein Strom in der Sekundärspule erzeugt aber wieder ein magnetisches
Wechselfeld, das zur Induktion führt. Diese Wechselfeld schwächt seine Ursache
(Lenzsche Regel), mithin also das ursprüngliche Feld, das für die Drosselwirkung auf
der Primärseite verantwortlich ist. Wegen der geringeren Drosselwirkung nimmt der
Elektronenstrom und damit auch der Energiestrom auf der Primärseite zu.
Kraftwerke und Verbundnetz
Bei der Diskussion der Rückwirkung des primärseitigen Energiestroms an den sekundärseitigen Bedarf kommen die Voraussetzungen ins Spiel, unter denen die Anpassung der Energieströme funktioniert. Natürlich kann sich in einem verketteten Netz
von Stromkreisen der Energiestrom nur solange dem Bedarf anpassen, als in der ers-
159
ten Masche – also beim Kraftwerk – der „Nachschub“ gesichert ist. Dazu müssen die
Energieversorgungsunternehmen in der Lage sein, bei der Erzeugung elektrischer Energie oft sehr rasch große Bedarfsschwankungen auszugleichen. Dazu kann ein Leitungsnetz von mehreren Kraftwerken gespeist werden. Nicht alle Kraftwerksarten
eignen sich gleichermaßen dazu, einerseits Energieströme von mehreren hundert Megawatt zu erzeugen und zusätzlich rasch deren Größe zu verändern. Es gibt daher unterschiedliche Kraftwerkstypen für die sogenannte „Grund“- „Mittel“- und „Spitzenlast“.
Man wird die unterrichtliche Behandlung der Kraftwerkstechnologien sinnvollerweise
mit der Exkursion in ein Kraftwerk verbinden. Dieser Exkursion sollte eine Besichtigung der schulinternen Übergabestation vorangehen. Größere Schulen werden über
eine 20 kV-Leitung versorgt und verfügen daher über eine eigene Trafostation. Außerdem ist im Zusammenhang mit der Behandlung des Transformators ein Lerngang
ins örtliche Umspannwerk sinnvoll. Dieses liegt meist in nicht allzugroßer Entfernung, so daß es mit örtlichen Verkehrsmitteln innerhalb der Unterrichtszeit erreicht
werden kann. Dort erfahren die Schülerinnen und Schüler den Energiebedarf ihrer
Stadt oder Region, was den Zahlenwerten, die im Unterricht genannt werden einen
lebensnahen Hintergrund verleiht.
Zum Themenkreis Krafwerke und Verbundnetz stellen die Energieversorgungsunternehmen reichhaltig Material für Lehrkräfte zur Verfügung, so daß hier weitere
Hinweise entbehrlich sind.
Mit dem Abschluß dieser Einheit sind zugleich Anknüpfungspunkte zu anderen Unterichtsgebieten der oberen Klassen der Sekundarstufe I geschaffen. So wird man bei
der Behandlung der Kernenergie, regenerativen Energiequellen, Heizwerten, Wirkungsgraden usw. immer wieder auf die im Elektrikunterricht erworbenen Kenntnisse
zurückgreifen können. Die Beziehungen zu anderen Unterrichtsgebieten sind Gegenstand des folgenden Abschnitts.
3.5
ANMERKUNGEN ZUR EINORDNUNG DER
ELEKTRIK INS CURRICULUM
Auf S. 60 wurde darauf hingewiesen, daß gegenwärtig kein Lehrplan in der Bundesrepublik existiert, der nach den Leitgedanken dieses Vorschlags zur Elektrik gestaltet
ist. Im allgemeinen ist das kein Hindernis, die hier explizierten didaktischen und methodischen Vorschläge innerhalb vorhandener Gestaltungsräume umzusetzten.
Die Beschreibung des Unterrichtsganges erfolgte notgedrungen auf einem unspezifischen Anforderungsniveau. Der gymnasiale Unterricht wird vielfach in formaler Hinsicht höhere Anforderungen an die Schülerinnen und Schüler stellen, als es der vorliegenden Darstellung entspricht. Auf der anderen Seite fehlt in der Hauptschule wohl
oft die Möglichkeit, die Inhalte in der dargestellten Breite zu unterrichten. Dies ergibt
sich schon aus den niedrigen Stundenzahlen, die einige Lehrpläne für die Elektrik
vorsehen. Bei allen möglichen und auch wünschenswerten Varianten, die dieser Vor160
schlag bei den „von Natur aus“ kritischen Lehrkräften für den Physikunterricht erfahren wird, sollte doch das pädagogische Anliegen, den Schülerinnen und Schülern den
Sinn unseres unterrichtlichen Tuns durchschaubar zu machen, nicht verloren gehen.
Relativ viele Lehrpläne verteilen die Elektrizitätslehre auf zwei oder mehr Schuljahre.
Erprobungen haben für diese Situation einen sinnvollen Weg gewiesen: Die Unterrichtseinheiten 1–8 ermöglichen eine ziemlich umfassende Begriffsbildung auf qualitativem Niveau. Voraussetzung ist lediglich ein Anfangsverständnis des Energiebegriffs. Auch dies kann qualitativer Art sein, wie es beispielsweise bei FALK/HERRMANN
[10] vorgeschlagen wird. Es gereicht den Schülerinnen und Schülern nicht zum Schaden, wenn sie über eine gewisse Zeit weg das rein qualitative Verständnis pflegen –
im Gegenteil: verfrühte Mathematisierungen und „exakte“ Definitionen verstellen
oftmals das Denken in Anschauungen, ohne dieses wirklich ersetzen zu können. Die
Einheiten 9–11 erweitern dann im späteren Schuljahr die Kenntnisse in stärker quantifizierender Art.
Mit einer mehr oder weniger gelungenen „Einpassung“ der didaktischen Vorschläge
in die Lehrpläne ist die Intention dieses Buches noch nicht vollständig realisiert. Die
Entscheidung, Stromkreise als Anlagen zur Energieübertragung zu behandeln, ist in
eine pädagogische Position zum Physikunterricht eingebettet, die nicht auf die Elektrik beschränkt ist.
Der Physikunterricht soll kommenden Generationen Grundkenntnisse, Einstellungen und Haltungen vermitteln, die in der alltäglichen Auseinandersetzung mit Fragen einer sinnvollen Lebensgestaltung ihren Wert erweisen müssen. Dies setzt zum
einen voraus, daß der Unterricht die Bereitschaft und das Interesse fördert, sich mit
naturwissenschaftlichen und technischen Problemen zu befassen. Dazu muß die Lebensbedeutsamkeit für den Lernenden stets erkennbar sein. Zum anderen erfordert die
Fähigkeit zur Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlichen und technischen Fragen Ordnungsstrukturen, die es dem Einzelnen noch ermöglichen, sich in der Vielfältigkeit unseres Wissensbestandes zurechtzufinden. Diese Ordnungsstrukturen können
sich nicht in den traditionellen Einteilungen der Physik in Fachgebiete erschöpfen,
denn diese strukturieren die Wissenschaft und nicht die Lebenswelt des naturwissenschaftlich gebildeten Laien.
Es wird eine der wichtigsten künftigen Aufgaben der Didaktik sein, für den Laien
fruchtbare Strukturen unseres Wissensbestandes herauszuarbeiten, die trotz ihrer Ausrichtung an der Lebensbedeutsamkeit auch eine fachlich-systematische Unterweisung
ermöglichen. Letztere ist – wie so manches Beispiel zum Projektunterricht zeigt –
nicht verzichtbar, wenn nicht ein oberflächliches Reproduktionswissen in Kauf genommen werden soll. Die wünschenswerten Strukturen weisen aber schon allein wegen des notwendigen Lebensbezugs über Fachgebiets- und auch Fächergrenzen hinaus. Die Energieübertragung ist als eine solche Struktur gedacht. Die Informationsübertragung wäre eine weitere. Beide sind nicht auf die Elektrik bzw. Elektronik be-
161
schränkt, sondern sie beziehen sich auch auf Inhalte, die traditionell anderen Fächern
zugeordnet werden.106
Bei der Unterrichtseinheit 9 wurden unter dem Aspekt einer ökologischen Bildung
(→ S. 147 ff) verschiedene Energieübertragungssysteme diskutiert. Mit Ausnahme der
elektromagnetischen Strahlung sind Energieströme an materielle „Transportmittel“
(chemische Stoffe, Riemen, Ketten, Wellen, Ladungsträger) geknüpft, in vielen Fällen
an Stoffströme. Die Stoffströme können geschlossen oder offen sein, mit oder ohne
chemische Stoffumwandlungen ablaufen.
Angesichts dieser Vielfalt ist zu fragen, in welcher Reihenfolge die verschiedenen Systeme zur Energieübertragung behandelt werden sollen. Hier dürfte lernpsychologisch von erheblicher Bedeutung sein, wie „sinnennah“ und damit anschaulich
ein Energieübertragungssystem ist. Die mechanischen Vorgänge stehen da sicher im
Vordergrund. Es ist daher naheliegend, die energetischen Begriffe und Größen (Energie und Energiestrom und Leistung) im Bereich der Mechanik einzuführen. Dieser
Teil der Mechanik sollte daher sehr früh im Stoffkanon angesiedelt sein.
Eine übersichtliche Gestalt weisen auch die geschlossenen Kreisläufe zum Transport thermischer Energie auf. Existentiell und daher auch pädagogisch bedeutsame
Energietransportsysteme sind die atmosphärischen Zirkulationen der Luft und des
Wasserdampfes bzw. Wassers und die großen Meeresströmungen. Diese wetter- und
klimakundlichen Themen fehlen bisher weithin in den Lehrplänen. Wie oben dargelegt (→ S. 147 ff), sollten diese Inhalte im Interesse einer ökologischen Bildung in das
Curriculum aufgenommen werden. Die Wärmelehre erhielte dadurch in ihrem energetischen Teil eine attraktive Aspektierung (vgl. MUCKENFUß [26], S. 268 ff).
Erst im Anschluß an die genannten geschlossenen Kreisläufe sind die elektrischen
Anlagen zur Energieübertragung anzusiedeln. Denn die Unanschaulichkeit der elektrischen Ströme verliert für die Schülerinnen und Schüler ihre „Schrecken“, wenn die
analogen Denkmuster aus anderen Bereichen zur Verfügung stehen.
Besonders die Quellen der großtechnischen elektrischen Anlagen, also die Kraftwerke, bilden eine Nahtstelle zu den Stoffströmen mit chemischen und kernphysikalischen Umsetzungen. Diese Prozesse sind besonders problemhaltig, denn die entsprechenden Stoffströme sind z. Zt. überwiegend keine geschlossenen Kreisläufe. Dies
bedeutet, daß es zu materiellen Verschiebungen und irreversiblen Änderungen in unserem Lebensraum kommt. Diese bilden eine wesentliche Ursache objektiver und
subjektiv auch von den Schülerinnen und Schülern empfundenen Bedrohungen für
das irdische Leben. Am Ende der Sekundarstufe I – wenn die Kenntnisse der Schülerinnen und Schüler eine rationale Durchdringung dieser Zusammenhänge ermöglichen – sollte der naturwissenschaftliche Unterricht diesen Problemkreis umfassend
aufarbeiten.
Mit dieser knappen Skizze eines Desiderates an künftige Lehrplanarbeit ist zugleich
Kritik an einem verfrühten Elektrikunterricht verbunden. Sicher muß zugestanden
106 Die grundsätzlichen Fragen der Verzahnung von Fachsystematik und Lebensbedeutsamkeit sind
bei MUCKENFUß [26] ausführlich behandelt.
162
werden, daß für die Lehrplangestaltung weit mehr als die genannten Kriterien berücksichtigt werden müssen. Jedoch sollte die Forderung nie aus dem Blickfeld schwinden, zeitökonomisch und mit klaren pädagogischen Zielen durchgängige Strukturen in
das Curriculum zu weben. Es ist kein Zufall, daß die Erkenntnisse der Elektrizitätslehre im wesentlichen eine Errungenschaft der letzten zweihundert Jahre darstellen,
während die Wurzeln der „sinnennahen“ Teilgebiete der klassischen Physik –
besonders der Optik und der Mechanik – weit in die Geschichte des Altertums zurückreichen. Die beschränkte Möglichkeit, elektrische Inhalte von der sinnlichen Erfahrung her zugänglich zu machen, erzwingt einen stark „theoriegeladenen“ Unterricht. Dies wird wohl überall dort nicht in ausreichender Klarheit gesehen, wo die
Lehrpläne die Elektrik sogar an den Beginn des Physikunterricht stellen. Die Rechtfertigung dafür – man wolle einen stark an den Phänomenen orientierten Elektrikunterricht ohne komplizierte Theorie – ignoriert den Tatbestand, daß alle Begriffe zur
Beschreibung von Vorgängen im „Stromkreis“ (!) schon Substrate der Theorie
sind.107
Wenn es mit der Darstellung in diesem Büchlein gelungen ist, einen Beitrag für
das Bemühen zu leisten, die Zweifel vieler Schüler und Schülerinnen an der Sinnhaftigkeit des Physiklernens zu zerstreuen, dann hat sich die Schreibarbeit gelohnt.
DANKWORTE
Der dargestellte Unterrichtsgang und seine fachlichen und fachdidaktischen Grundlagen wurden nicht in einsamer Schreibtischarbeit entwickelt, sondern sind das Ergebnis einer langjährigen Diskussions- und Erprobungsarbeit mit ungezählten Mitwirkenden. Schülerinnen und Schüler im Unterricht, Lehrerinnen und Lehrer in zahlreichen Fortbildungsveranstaltungen, Studentinnen und Studenten in Seminaren haben
durch die Artikulation ihrer Schwierigkeiten mit dem traditionellen Unterricht und
den vorgeschlagenen Neuerungen das Fundament für diese Arbeit gelegt.
Darüber hinaus gab es besonders intensive Diskussionen mit meinem Lehrer und
Kollegen Prof. Adolf Walz, dessen kritische und konstruktive Begleitung die Voraussetzung für das notwendige „Durchhaltevermögen“ war. Besonders geduldig und intensiv wurde die Erprobung im Unterricht von den Schülerinnen und Schülern mehrerer Klassen der Hauptschule Baindt und ihrem Physiklehrer Johannes Sies ertragen.
107 So wird beispielsweise im Lehrplan für die Realschulen Baden-Württembergs vorgeschlagen,
den Physikunterricht in Klasse 8 mit der Elektrizitätslehre zu beginnen. In vorangehenden Klassenstufen findet weder Physik- noch Chemieunterricht statt. Andere Bundesländer sehen einen
ersten Kontakt mit der Elektrizitätslehre in den Klassenstufen 5/6 und teilweise auch schon für
die Grundschule vor. Zwar steht dort die „Phänomenologie des Stromkreises“ im Vordergrund,
jedoch kann bezweifelt werden, daß eine solche Beschränkung sachlich und lernpsychologisch
überhaupt möglich ist. Schon der Begriff Stromkreis (!!) ist theoriegeladen, ebenso alle anderen
Fachbegriffe, die zu seiner Beschreibung dienen: Strom – was fließt?; Leiter – was wird wie geleitet?; Widerstand – wer widersteht wem? usw. Die Theorie wird fragmentarisch – beabsichtigt
oder nicht – durch die Hintertüre der Fachwörter in die Schülerköpfe transportiert, ohne realistische Chance für eine konsistente Zusammenfügung der Fragmente.
163
Das Gleiche gilt für die Realschule des Bildungszentrums St. Konrad in Ravensburg
und ihren Physiklehrern.
Beteiligt an der Diskussion und Erprobung waren auch die Autoren- und Beratergruppen sowie die Physikredaktion des Cornelsen-Verlages. Besonders das Team der
„Cornelsen-Physik für Gymnasien“ hat in ungezählten Diskussionen das Konzept geprüft, seine Entwicklung weiter getrieben und durch eigene Erprobungen am Gymnasium wertvolle Erfahrungen beigesteuert. Der Redaktion ist besonders für die Bereitschaft zu danken, einige innovative Ideen der Konzeption über die Schulbuchliteratur
zu unterstützen.
Schließlich waren für die Erprobung zahlreiche handgetriebene Generatoren erforderlich. Selbstgefertigte Prototypen reichten nur in der „Startphase“ aus. Die Verbreitung
der Ideen wurde durch die Firmen Gottschalk108 in Rottenburg und CornelsenExperimenta in Berlin mit der Produktion der notwendigen Lehrgeräte überhaupt erst
möglich.
In den Dank einzuschließen sind auch jene Kolleginnen und Kollegen, in deren
Klassen die Erprobung der weit weniger durchentwickelten Vorläufer dieser Unterrichtskonzeption oder von einzelnen Teilaspekten stattgefunden hat. Sie haben durch
Tests, Lernerfolgskontrollen und Erfahrungsberichte das Ausgangsmaterial für diese
Arbeit geliefert.
108 Diese Firma hat ihren Sitz ins Ausland verlegt und den Vertrieb der Lehrgeräte mittlerweile eingestellt.
164
4
Zur Physik elektrischer Stromkreise
Dieses Kapitel vertieft und ergänzt wesentliche Inhalte der Kapitel 2 und 3. Unter anderem wird auch der Bedeutungsinhalt des Spannungsbegriffs über die enge Anbindung an die Energieübertragung hinaus erweitert. Daraus ergeben sich didaktische
Perspektiven für den weiterführenden Elektrikunterricht, einschließlich der Elektronik.
Die in sich geschlossene Darstellung des Kapitels soll seine Lektüre auch ohne
das Studium der übrigen Buchteile ermöglichen. Aus diesem Grunde sind einige Gedanken aus vorangegangenen Abschnitten wiederholt. Auf bedeutsame komplementäre Ausführungen der vorstehenden Kapitel wird über die Fußnoten verwiesen.
4.1
ÜBERSICHT UND SPRACHREGELUNGEN
Der einfache elektrische
Stromkreis ist ein grundlegender Inhalt im elementaren
Physikunterricht aller Schularten. Man versteht darunter
„primitive“
Anordnungen,
Abbildung 60: Die funktionell wichtigen Teile der Anlagen
mit denen Energie auf elektzur Energieübertragung
rischem Weg übertragen
werden kann.
Solche Übertragungsanlagen bestehen entsprechend Abbildung 60 aus drei funktionell wichtigen Teilen.
Im Energiewandler 1 (EW1) wird verfügbare Energie in den elektrischen Teil der
Anlage eingespeist. Im Energiewandler 2 (EW2) wird Energie der Übertragungsanlage entnommen und dabei in die vom Benutzer gewünschte Form umgewandelt. Beide
Wandler sind durch die sogenannte Leitung verbunden, die im einfachsten Fall von
zwei Metalleitern gebildet wird. In einer solchen Anlage gibt es zwei Ströme (Strömungen), die man bereits im einführenden Unterricht unterscheiden lernen muß, sofern man schwerwiegende Begriffsverwirrungen vermeiden will.109,110
Der Energiestrom läuft vom Energiewandler 1 zum Energiewandler 2. Er wird
von elektrischen und magnetischen Feldern in der Umgebung der beiden Leiter getragen. Die Energieströmung in den Drähten längs der Drahtachse ist exakt null (→ Kapitel 4.5.4, S. 188 f). Die üblicherweise benutzten Begriffe für die Wandler (Quelle,
Erzeuger, Generator einerseits und Senke, Verbraucher andererseits) sind aus dem
109 Energieübertragung durch Gleichstrom-Mehrleiter-Systeme, Wechselstrom und Drehstrom, sowie über Hohlleiter und auf drahtlosem Weg betrachten wir (zunächst) nicht.
110 Hinsichtlich der Begriffe „Leiter“ und Leitung sei auf DIN 40 108 verwiesen: Leitung ist die Zusamenfassung der zu einer Energieleitung gehörenden (oberirdischen) Leiter. Leiter sind dementsprechend Einzeldrähte oder Einzelschienen.
165
Energieströmungsaspekt abgeleitet. Der „Strom“ in Veröffentlichungen und Verlautbarungen der Energiewirtschaft ist fast immer der soeben definierte Energiestrom.
Nur dieser ist ja für Anwender von Interesse.111
In der oben skizzierten Anlage ist der Energiestrom mit einem Elektrizitätsstrom (Ladungsstrom) in den Leitungsdrähten verknüpft. Er wird von diesem „getragen“. Der
Ladungsstrom ist realisiert durch die Driftbewegung von negativ geladenen, beweglichen Elektronen. In Metallen sind bewegliche Elektronen in sehr großer Zahl vorhanden, in Kupfer: ≈1023 pro cm3. Sie erfüllen das Metall wie Wasser einen starren
Schwamm. Die Elektronen bilden ein Kollektiv, das sich wie eine Flüssigkeit nur als
Ganzes bewegen kann. Dies wird später begründet (Kapitel 4.2). Wenn wir das bewegliche Kollektiv in den folgenden Ausführungen ansprechen, werden wir den Namen Elektronenfluid benützen. Er soll einer zu nahen Anlehnung an die AlltagsVorstellung „Flüssigkeit“ vorbeugen (→ Abschnitt 4.2.1, S. 170).
Wenn die Anlage eingeschaltet ist, strömt das Elektronenfluid kollektiv über beide Energiewandler und die beiden Leitungsdrähte im Kreis herum. Den Rundumlauf
nennt man sinngemäß Elektronenstrom und den „Kreis“, in dem er besteht, Stromkreis. Dies ist üblich. Der Elektronenstrom ist der Strom, von dem im traditionellen
Physikunterricht (fast ausschließlich) die Rede ist. Er kann auch als Elektrizitätsstrom
oder als Ladungsstrom aufgefaßt werden.112 Es strömen ja mit negativer Elektrizität
geladene Körper.113
In der Alltags- und Schülersprache hat das Wort „Strom“ noch weitere Bedeutungen.
Es wird bei energiewirtschaftlichen Diskussionen häufig benützt im Sinn von „elektrischer Energie“. Wortverbindungen wie Stromverbrauch, Stromzähler, Strompreis,
Strombereitstellung und „Energie Strom“ zeugen davon.114 Den Schülerinnen und
Schülern geraten häufig die zuvor genannten Begriffe durcheinander. Wenn sie von
Strom reden, wird oft Elektrizität (elektr. Ladung), oft elektrische Energie, manchmal
auch die Energie- oder die Elektrizitätsströmung (Elektronenströmung) und häufig eine ununterscheidbare Mischung aus diesen Vorstellungen angesprochen. Aussagen
wie „Strom ist drin“, „Strom kommt und geht“, „Stromschlag“ belegen dies. (Das
Wortungetüm „Stromfluß“ unterstellt eine strömende Menge, die selbst als Strom bezeichnet wird und entweder i. S. v. Elektrizität bzw. Ladung oder i. S. v. Energie verstanden werden kann. Solche Begriffe sollten in der Unterrichtssprache vermieden
und ggfs. in ihrer Unsinnigkeit transparent gemacht werden.)
Der den Schülerinnen und Schülern am wenigsten geläufige Begriffsinhalt ist
Strom i. S. v. Elektrizitätsstrom (Elektronenstrom). Da im Physikunterricht der
Schwerpunkt auf dieser Bedeutung liegt, sind Physiklehrkräfte verführt, sie den Schü111 Vergleiche auch Kapitel 2.2, S. 36.
112 Siehe dazu die Begriffsfestlegungen auf S. 34.
113 Die Begriffe Elektrizität, Elektrizitätsstrom und Ladungsstrom sind später leicht auf Ladungsträger wie Ionen, Protonen, Positronen und Defektelektronen zu übertragen. Wir sehen an dieser
Stelle von einer Diskussion ab, verweisen aber auf Kap. 2.1.1, S. 27 ff.
114 Vergleiche hierzu auch die Ausführungen und Beispiele in Kap. 2.1.2 auf S. 30 f.
166
lerinnen und Schülern ohne Abgrenzung gegen die anderen vorzusetzen. Begriffsinterferenzen und Verwirrungen aller Art sind die Folge. Sie führen zu Rückfällen in
vorgeprägte falsche Schemata, wenn nicht zur Ablehnung des aufoktroyierten Begriffsinhalts. Um dem gegenzusteuern, muß im Unterricht die Aussage „Strom“ permanent danach hinterfragt werden, was gerade gemeint ist: die elektrische Energie,
die Energieströmung, die Elektronenströmung oder gar die negative Ladung. Dies
geht nur, wenn man in sich homogene Vorstellungen von den Vorgängen und Zuständen im Stromkreis erzeugt und die Sprachregelungen von Physik und Technik in diesen Vorstellungen verankert.
Es ist Anliegen dieses Kapitels zu zeigen, welche Art Vorstellungen mit den Ergebnissen der physikalischen Forschung verträglich und für den Unterricht brauchbar
sind. Dabei kommen der Reihe nach ins Blickfeld:
• Elektronenfluide in Leitern,
• die Ursachen für die Elektronenbewegung,
• die Vorgänge in den Wandlern und
• das Potentialkonzept.
Beachten Sie, daß zunächst nur Gleichströme betrachtet werden, die bereits gestartet
worden sind. Einschaltvorgänge werden nur dort angesprochen, wo es unbedingt notwendig ist.
4.2
ELEKTRONENBEWEGUNG IN METALLEN
Die folgenden Betrachtungen sollen an einer besonders einfachen Anlage angestellt
werden, nämlich an einem System, das nur Metalldrähte enthält (Abbildung 61). Energiequelle ist der Abschnitt AB, in welchem die Ladungsträger durch Induktion in
Bewegung gesetzt werden. Als Energieverbraucher dient der dünne Leitungsdraht CD
(Widerstandsdraht). Die Leitungsteile BC (Hinleiter) und DA (Rückleiter) sollen länger als AB und CD sein, aber gegenüber CD so wenig Widerstand haben, daß der Energieumsatz darin vernachlässigt werden kann. Im Schulexperiment realisieren läßt
sich eine solche Anlage – abgesehen von den Längenverhältnissen – mit Induktionsspule und Lämpchen entsprechend Abbildung 62.
Wir haben nun zu überlegen, wie sich die Ladungsträger (Elektronen) in dieser Anlage bewegen, wie sie sich im Fall einer stationären Strömung anordnen und welche
Kräfte in den einzelnen Abschnitten des Kreises auf sie wirken. Da alle Abschnitte
aus Metall bestehen, ist also eine konsistente Vorstellung der metallischen Leitung zu
entwickeln.
167
B
C
D
C
B
A
D
A
Abbildung 61: Geschlossener Metallstromkreis Abbildung 62: Realisierung des Induktionsversuchs nach Abbildung 61
4.2.1 Das Elektronenfluid
Im Festkörper Metall (z. B. in Kupfer) haben sich die Atome so eng zusammengelagert, daß sie angenähert eine dichte Kugelpackung bilden, das sogenannte Metallgitter. Die Atomrümpfe – das sind die Atome ohne die leicht abspaltbaren Außenelektronen – berühren einander fast. Die Außenelektronen (bei Kupfer eines je Atom) haben sich selbständig gemacht und bilden ein Elektronenkollektiv, das den Zwischengitterraum bevölkert, also den Raum zwischen den Rümpfen. Im Mittel wird dabei die
negative Ladung (neg. Elektrizität) des Kollektivs durch die positive Ladung (pos. Elektrizität) des Rumpfgitters exakt kompensiert. Die Kräfte, die zwischen den beiden
Populationen wirken, halten den Kristall zusammen: Metall-Bindung.
Die Elektronen des Kollektivs sind ebenso wie die Gitteratome nicht in Ruhe. Beide
führen thermische Bewegungen aus. Die Gitteratome schwingen mit statistisch verteilter Amplitude um ihre festen Plätze. Die Elektronen bewegen sich wirr durcheinander, wobei Geschwindigkeiten bis ca. 1000 km/s vorkommen. Die mittlere Elektronendichte bleibt dabei konstant. Nur etwa 1% der Elektronen im Fluid bewegen sich
einigermaßen so frei, wie wir uns das bei den Atomen eines Gases vorstellen. Die
Bewegung der übrigen Elektronen ist wegen der positiven Gitterladung hochkorreliert: Das vom Kollektiv diktierte Verhalten überwiegt. Aus diesem Grund führt die
Gasvorstellung oft zu falschen Schlüssen. Die Vorstellung einer inkompressiblen
Flüssigkeit ist angemessener.
Die Elektrizitätskonzentration (Ladungsdichte) im Elektronenfluid ist sehr groß. Sie
beträgt bei Kupfer ungefähr 12 C/mm3 entsprechend 3/4·1020 Elektronen pro 1 mm3.
Nach außen tritt diese unvorstellbar große negative Ladung nicht in Erscheinung,
denn sie wird von der gleich großen positiven Ladung der im gleichen Volumen vor-
168
handenen Atomrümpfe ausbalanciert (neutralisiert).115 Jegliche Abweichung von der
Neutralität infolge von Dichteänderungen ruft außerordentlich große Rückholkräfte
hervor. Diese sorgen beispielsweise dafür, daß normalerweise Dichteschwankungen
auf Grund der thermischen Bewegung nicht beobachtet werden können.116
Infolge ihrer thermischen Bewegung können Elektronen die Oberfläche des Metalls vorübergehend verlassen. Wegen der zurückbleibenden Gitterladung lädt sich
dadurch die Oberfläche positiv auf. Das entstehende „rücktreibende“ Feld gestattet
allerdings nur relativ wenigen Teilnehmern des Kollektivs den gleichzeitigen Aufenthalt außerhalb. Man nimmt daher an, daß um das Metall eine auf „atomare“ Dicke
begrenzte Elektronenatmosphäre entsteht.117 Das elektrische Feld der Ladungsdoppelschicht schließt das übrige Kollektiv im Leiter ein. Ähnliche Verhältnisse liegen
vor, wenn der Leiter an einen Isolator grenzt. Die Elektronenatmosphäre besetzt dabei
eine extrem dünne Schicht am Rand des Isolators (Abbildung 63).
Abbildung 63: Die Elektronenatmosphäre am Abbildung 64: Die Elektronenatmosphäre
spannungsfreien Leiter
während der Influenz. Positive Ladung entsteht durch eine Verdünnung der Elektronenatmosphäre bis unterhalb der thermisch bedingten Konzentration.
Influenz: Bringt man ein Stück Metall isoliert in ein äußeres elektrisches Feld, so wirken sowohl auf die Rumpfatome des Gitters als auch auf das Elektronenkollektiv
Kräfte ein. Das Kollektiv wird als Gesamtes gegenüber dem Gitter verschoben. Auf
der Oberfläche des Metallkörpers, also in dessen Elektronenatmosphäre, bildet sich
ein Ladungsbelag entsprechend Abbildung 64 aus. Er hat die Dicke einiger Atomlagen. Der Ladungsbelag erzeugt ein Zusatzfeld. Dieses kompensiert im Metallinnern
115 Berechnung der Ladungsdichte: 1 mol Kupfer wiegt 64 g und enthält 6·1023 Atome und gleichviel
Fluid-Elektronen. In 8 g Kupfer (≈ 1 cm3) sind es 6/8·1023 ≈ 0,75·1023 Elektronen. Diese tragen
die Ladung 0,75·1023 · 1,6·10–19 C ≈ 12·103 C. Das entspricht 12 C/mm3.
116 Thermisches Rauschen: Die thermische Bewegung der Elektronen führt zu großräumigen Fluktuationen in der Ladungsdichte, die makroskopisch nachweisbar sind, z. B. als Spannungsschwankungen an den Enden des betreffenden Leiters. Diese Schwankungen liegen im µV-Bereich. Sie
werden als thermisches Rauschen bezeichnet, umfassen einen großen Frequenzbereich und sind
z. B. beim Bau von Breitbandverstärkern zu berücksichtigen.
117 Die Elektronenatmosphäre ist im thermischen Gleichgewicht mit dem Elektronenfluid im Metall:
Die Zahl der Elektronen, die das Metall entgegen der elektrischen Anziehung verlassen, ist im
Mittel gleich groß, wie die Zahl derer, die infolge der elektrischen Anziehung zurückkehren.
169
das „Fremdfeld“ exakt, so daß dort die ursprünglichen Verhältnisse wieder hergestellt
sind: Kein E-Feld, keine Raumladung, vollständige Ladungskompensation.
Quantenmechanische Rechnungen zeigen, daß das Elektronenkollektiv im Metall
kaum kompressibel ist: Würde man beispielsweise in einem 1 m langen Draht 1% der
Elektronen des Kollektivs von der linken in die rechte Drahthälfte verlagern, so müßte man hierfür Energie der Größenordnung 1012 Joule aufwenden, also die Energie, die
ein moderner Kraftwerksblock der Gigawatt-Klasse in einer Viertelstunde erzeugt.118
Die großen Rückstellkräfte, die bei Dichteänderungen auftreten, verleihen dem Kollektiv die Eigenschaft einer Flüssigkeit. Es ist daher unangemessen, sich das Elektronenkollektiv in einem Metallstück als eingeschlossenes verdünntes Gas vorzustellen.
Weit brauchbarer ist die Vorstellung einer Flüssigkeit, die den Behälter Draht voll118 Überschlagsrechnung: Nehmen wir an, wir entfernen aus der Mitte der linken Drahthälfte das
3
Elektronenfluid aus einem Bereich mit 1 mm Volumen und bringen dieses zusätzlich in der Mitte der rechten Hälfte unter. Dann haben wir zwei mit je 12 C geladene Bereiche im Abstand von
1 m.
Die für die Trennung nötige Energie ergibt sich mit einigen Vernachlässigungen (Annahme, die
sich zunächst durchdringenden Ladungen links im Bild seien 1 mm voneinander entfernt!) aus
der Gleichung:
r2
Q1 · Q2 ⌠dr Q1 · Q2  1 1 
·
⇒
·
–
zu etwa 1,3 · 1012 J .
W=
4πεo ⌡ r²
4πεo r2 r1
r1
170
ständig füllt. Ein starrer Schwamm aus Atomrümpfen, der sich mit Elektronenflüssigkeit vollgesogen hat, wäre eine einigermaßen zutreffende Vorstellung. Eingedenk der
Verschiedenheiten unseres Kollektivs zu den Flüssigkeiten unserer Erfahrung, reden
wir in diesem Buch nicht von der Elektronenflüssigkeit, sondern vom Elektronenfluid.
4.2.2 Die Driftbewegung der Elektronen
Sind Metalldrähte entsprechend Abbildung 61 zum Leiterkreis geschlossen, so kann
man das ganze Elektronenfluid darin mit bemerkenswert geringem Aufwand in Rundum-Bewegung zu versetzen. Man stellt fest, daß sich an dieser Driftbewegung alle Elektronen des Kollektivs in etwa der gleichen Weise beteiligen. An keiner Stelle im
Leiterkreis entstehen Raumladungen, die Gegenkräfte erzeugen. Nur die Wechselwirkung des Fluids mit dem Metallgitter hemmt die Driftbewegung. Wegen des hemmenden Einflusses des Metallgitters verliert ein einmalig in Bewegung gesetztes Fluid seine Driftbewegung fast momentan wieder, wenn nicht mehr angetrieben wird.
Stationäre Ströme kommen deshalb nur zustande, wenn auf das Fluid dauernd Kräfte
ausgeübt werden. Wie kann dies geschehen?119
Elektronen „sehen“ keine Kräfte außer elektrischen. Eine Oberfläche kann man ihnen
nicht zuschreiben. Deshalb gibt es auch kein gegenseitiges Schieben der Elektronen
durch Berührung. Da die Ladung der Fluid-Elektronen durch die entgegengesetzte
Ladung der Atomrümpfe in der unmittelbaren Umgebung neutralisiert wird, können
Elektronen in einem Bereich nicht mit denen in einem anderen Bereich in elektrische
Wechselwirkung treten. Ihr Feld reicht wegen der Kompensation nicht über atomare
Entfernungen hinaus.
Wenn wir eine Driftbewegung haben wollen, muß deshalb auf jedes Elektron eine
Kraft einwirken, durch die es in Richtung der Leiterachse geschoben wird. Das heißt
aber, daß im Leiter parallel zur Leiterachse ein elektrisches Feld bestehen muß. Ist der
Leiter überall gleich beschaffen und zylindrisch, so muß dieses Feld homogen sein,
also parallele Feldlinien aufweisen. Bei der Bewegung in einem solchen Feld nimmt
das Kollektiv Energie aus diesem auf. Es verliert sie wieder durch Wechselwirkung
einzelner seiner Mitglieder mit den Gitterrümpfen. Diese kommen dabei stärker ins
Schwingen. Makroskopisch beobachtet man Wärmeproduktion: Joulesche Wärme.120
4.2.3 Geschwindigkeit der Driftbewegung
Ehe wir uns nun mit der Entstehung der elektrischen Felder befassen, die die Elektronendrift erzeugen, sollen einige quantitative Angaben zur Elektronenbewegung gemacht werden. Damit lassen sich die Vorstellungen noch weiter präzisieren:
119 Supraleitung: In Supraleitern entfällt jegliche Hemmung. Wird das Elektronenfluid einmalig anstoßen, entsteht ein Dauerstrom. Ein solcher kann im Laboratorium jahrelang ohne Zufuhr elektrischer Energie aufrechterhalten werden.
120 Vergleiche dazu die Darstellung der entsprechenden Unterrichtseinheit 7 ab S. 128.
171
In einem Kupferdraht von 1 mm2 Querschnitt soll ein Strom von 10 A bestehen.121 Das heißt, daß jeder Querschnitt, den wir aussuchen, in der Sekunde von der
Ladung 10 C durchflutet wird, also von 6·1019 Elektronen (1 C entspricht der Ladung
von 6·1018 Elektronen). Da im mm3 Fluid etwa 12 C enthalten sind (→ S. 168), muß
dieses mit 10/12 mm/s ≈ 1 mm/s strömen. Die Driftgeschwindigkeit ist also minimal.
Zur Aufrechterhaltung der Driftbewegung braucht man wegen des spezifischen Widerstands von Kupfer (q = 0,017 V·mm2/A·m) die Feldstärke E = 170 mV/m. Bewegt
sich 1 mm3 Fluid 1 m weit, so nimmt es aus dem Feld die Energie 12 C · 0,17 V ≈ 2 J
auf und gibt sie auch wieder ab. Schieben wir das ganze Fluid um 1 m weiter, so ist
die Energieumsetzung natürlich 12000 C · 0,17 V = 2000 J. Das dauert aber wegen
vD ≈ 1 mm/s ungefähr 1000 Sekunden (≈ 16 Minuten).
Die Driftgeschwindigkeit hängt nicht nur von der Stromstärke ab, sondern auch
vom Leiterquerschnitt. Verringern wir diesen auf die Hälfte, so steigt vD bei gleicher
Stromstärke auf das Doppelte etc. Beachten Sie, daß Schülerinnen und Schüler leicht
geneigt sind, Driftgeschwindigkeit und Stromstärke zu verwechseln!
Im Vergleich mit der thermischen Geschwindigkeit der Elektronen ist die Driftgeschwindigkeit sehr klein. Das Verhältnis liegt in der Größenordnung
100 km/1 mm = 1:108. In einem Film, der vergrößert die Elektronenbewegung im Leiter zeigt, könnte man die Driftbewegung auch bei sehr großen Strömen nicht wahrnehmen.
4.3
FELDERZEUGUNG IM LEITER
Im Physikunterricht der Sekundarstufe I bespricht man üblicherweise elektrische Felder im Zusammenhang mit statischen Problemen. Eingegangen wird meist auch noch
darauf, wie es zu Bewegungen einzelner Ladungsträger (z. B. von Elektronen) in diesen Feldern kommt. Wie die Felder aussehen, die stationäre Ströme in Leitern verursachen, schneidet man allenfalls an. Vorstellungen werden dabei kaum entwickelt.
Der Frage, wie diese Felder zustande kommen, geht man ganz aus dem Wege. Selbst
in Hochschullehrbüchern und in der Spezialliteratur, wie z. B. im Handbuch der Physik, findet man fast nichts. Nur SOMMERFELD ist in seinem Buch ([38], S. 17) tiefer
auf diese Frage eingegangen. Teilaspekte sind in neuerer Zeit dargestellt worden von
C. A. COOMBES und H. LAUE ([2], S. 450–451) und von WALZ [41]. Dabei stellt gerade die Beschäftigung mit E-Feldern, die stationäre Ströme begleiten, die Basis dar für
die Ausbildung eines exakten und auch von der Vorstellung her interpretierbaren
Spannungsbegriffs. Fast jedes Interview mit Schülerinnen und Schülern über Spannung und Strom zeigt, wie verschoben und bizarr die Vorstellungen sind, und wie unbefriedigend das Wort „Spannung“ in der Schule oft interpretiert wird, die gymnasiale
Oberstufe eingeschlossen.
121 Das ist die technisch maximal zulässige Stromstärke für Dauerbetrieb.
172
4.3.1 Ursache der Elektronen-Drift
In einem Leiterkreis gibt es einen Elektronenstrom nur, wenn ein elektrisches Feld
innerhalb der Leitungsdrähte besteht, das die Elektronen an jeder Stelle in der Achsrichtung des Drahtes schiebt. Die Elektronen „driften“ dann in Feldrichtung.122 Die
kollektive Bewegung des Fluids nennen wir elektrischen Strom bzw. Elektronenstrom
oder Ladungsträgerstrom. Gelingt es, die Felder nach dem Anlaufvorgang konstant zu
halten, so ergibt sich ein stationärer Strom, der durch zeitlich konstante Geschwindigkeit des Fluids gekennzeichnet ist. Das „schiebende“ E-Feld ist nötig, weil die Bewegung des Fluids durch Kräfte gehemmt wird, die entgegen der Bewegungsrichtung
wirken. In Metallen entstehen diese Kräfte durch Wechselwirkung einzelner Elektronen des Fluids mit den Metallgitter-Ionen. Sie sind proportional zur Driftgeschwindigkeit vD. Deshalb führt die Verdopplung der Feldstärke auch zur Verdopplung der
Driftgeschwindigkeit und damit zur Verdopplung der Stromstärke. Die schulübliche
Form dieser von OHM gefundenen Gesetzmäßigkeit (I ~ U) folgt aus den Beziehungen
vdrift ~ E ;
j = n·e·vdrift ;
I = j·A und
U12 = 1∫²Eds
(j: Stromdichte; n: Anzahldichte der Elektronen; e: Elementarladung.)
Auf die Frage nach der Ursache der Felder gibt man bislang in der Schule zwei naheliegende Antworten:
1 Die Felder, die die Elektronen antreiben, werden durch Ladungsanhäufungen auf
den „Polen“ der Quelle verursacht. Dort herrschen Elektronenmangel (+) und Elektronenüberschuß (–). Als Ursache der Elektronenbewegung werden also Fernfelder angenommen.
Man sieht an Hand von Abbildung 65 leicht ein, daß diese Vorstellung nur in Sonderfällen zutreffen kann. Sie ist einigermaßen plausibel im Fall a), keinesfalls aber
zutreffend für Fall b) und c). Denn die Innenfelder müssen ja der Drahtachse „Zacken für Zacken und Windung für Windung“ folgen. Das heißt aber, daß wir die
Feldursache sehr nahe bei der gerade betrachteten Stelle des Drahts suchen müssen.
122 Die Feldrichtung ist als die Richtung definiert in der sich positive Ladungsträger bewegen. Um
Texte und Gedanken nicht zu komplizieren, ist hier und im folgenden die Bewegungsrichtung
negativer Ladungsträger als Feldrichtung angenommen.
173
a)
b)
c)
Abbildung 65: Zwischen den Polen einer Quelle besteht ein Dipolfeld. Es kann allenfalls
im Fall a) für den Strom im Leiterstück zwischen A und B verantwortlich gemacht werden
2 Wenn man Raumladungen im Draht für die Erzeugung der E-Felder verantwortlich
macht, entfällt diese Schwierigkeit. Ursache für die Fluidströmung wären dann
Dichteunterschiede im Elektronenfluid selbst, also Elektronenmangel – und Elektronenüberschußgebiete. Auch mit dieser Vorstellung kommt man in Schwierigkeiten:
Das elektrische Feld im Draht muß nämlich ein Strömungsfeld sein. Das heißt, daß
nirgends im Strömungskanal Feldlinien entspringen oder enden dürfen. (Man sagt
dann, das Feld sei divergenzfrei.) Nun sagt die Theorie, daß divergenzfreie Felder
nur an Orten bestehen können, an denen die Ladungsdichte verschwindet (3.
Maxwellsche Beziehung: div q = 0). Im Leiter dürfen sich also weder positive noch
negative Ladungsträger im Überschuß aufhalten. Denn nur, wenn sich alle Träger
exakt neutralisieren, ist die Ladungsdichte 0. Da die genannte Bedingung für das
Innere der Leiter im ganzen Stromkreis erfüllt sein muß, haben wir keine Chance,
eine simple Überschuß-Mangel-Vermutung aufrecht zu erhalten.
4.3.2 Erzeugung von „Strömungs“-Feldern
Daß es im Draht ein elektrisches Feld parallel zur Drahtachse gibt und daß dieses Feld
die Driftbewegung der Elektronen erhält, ist bereits begründet worden. Wo die Ladungsträger sitzen, die dieses Driftfeld machen, und wie sie verteilt sind, muß noch
genauer untersucht werden. Wir betrachten dabei (zunächst) vereinfachte Leiteranordnungen, die es gestatten, den Blick ohne Umschweife auf das Wesentliche zu lenken.
174
Abbildung 66: Draht im
Feld eines ausgedehnten
Plattenkondensators
•
•
Abbildung 67: Kurzschlußring Abbildung 68: Ausschnitt aus
Abbildung 67 in der Ringebene
um einen Trafokern
Der durchströmte Draht befindet sich entsprechend Abbildung 66 im homogenen
Feld eines Plattenkondensators, dessen Ladung durch eine Quelle konstant gehalten wird. Dieses Kondensatorfeld kann die Elektronenbewegung in einem geraden, feldparallel verlaufenden, Draht entgegen der ohmschen Hemmung aufrechterhalten. Man sieht leicht ein, daß man bei gebogenen Drähten Zusatzladungen in Drahtnähe zur Erzeugung der Driftfelder benötigt. Dies gilt für alle Leiterteile, die nicht feldparallel laufen.
In einem ringförmig gebogenen Draht kann man ein divergenzfreies Feld entsprechend Abbildung 67 herstellen, wenn man ihn als konzentrische Schleife um
den Kern eines Transformators legt; (von Streufeldern sehen wir ab.) Bei jeder
Änderung des Magnetfelds im Kern entsteht um diesen ein elektrisches Feld mit
konzentrischen Feldlinien, das exakt dem für die Elektronenbewegung im Draht
erforderlichen E-Feld entspricht (Abbildung 68).
In beiden Fällen werden die Elektronen durch „von außen“ erzeugte Felder in Bewegung gehalten. Man braucht keine zusätzlichen Annahmen etwa des Inhalts, daß im
oder am Draht Überschuß – oder Mangelladung auftritt.
Bei den Anordnungen b) und c) in Abbildung 65 (S. 173) haben wir größere
Schwierigkeiten. Hier reichen Fernfelder zum Aufrechterhalten der Ströme nicht hin.
Wir benötigen Nahfelder, die sich der Geometrie des Drahtes automatisch anpassen.
Um zu verstehen, wie diese zustande kommen, betrachten wir ein sehr langes, gerades
Drahtstück. Es soll in einem Stromkreis liegen, dessen Quelle weit entfernt und sehr
klein ist (Abbildung 69). So ein Drahtstück kann im nun sehr schwachen Fernfeld
ganz verschieden orientiert sein. Wenn wir es anders ausrichten, muß das Innen-EFeld die Richtungsänderung mitmachen. Das heißt aber, daß das Drahtstück selbst die
Feldrichtung bestimmt.
Da bei stationären Gleichströmen Induktion als E-Feld-Ursache ausscheidet, kann
das Driftfeld nur durch „freie“ Ladungen erzeugt werden. Der Ort, an dem diese sitzen, muß durch die Orientierung des Drahts mitbestimmt sein. Wegen der einschränkenden Divergenzbedingung kommen Raumladungen im Draht nicht in Frage. Einzig
und allein Oberflächenladungen können wir in Betracht ziehen. Diese sind aufzufassen als Anreicherung bzw. Abreicherung der Elektronenatmosphäre an der betreffenden Stelle (→ S. 169).
175
Wie müssen nun Oberflächenladungen verteilt sein, wenn sie im Draht ein homogenes Feld in Achsenrichtung erzeugen sollen? Rufen wir zunächst folgendes in unserem Gedächtnis auf:
• In einem auf der Oberfläche gleichmäßig mit Ladung belegten, langen Draht gibt
es kein elektrisches Feld.
• Die Ladungskonfiguration, die das Driftfeld erzeugt, muß von jeder Stelle des
Drahts gesehen gleich sein, denn sie erzeugt auch überall das gleiche Feld.
• Dementsprechend müssen wir eine Verteilung der Oberflächenladung suchen, die
hochsymmetrisch ist. Der Fall konstanter Flächenbedeckung muß dabei ausgeschlossen werden; (das Leiterinnere wäre feldfrei; → S. 169.)
a)
b)
c)
Abbildung 69: Stromkreis mit
homogenem zylindrischen
Drahtstück
Abbildung 70: Zum Feld im langen, zylindrischen, homogenen Draht. In a) ist die Variation der Oberflächenladung durch unterschiedlich gewichtete Ladungssymbole dargestellt
Es ist nicht schwierig, eine geeignete Bedeckung der Leiteroberfläche zu finden, denn
bereits die nächst „niedere“ Symmetrie führt zum Ziel: Alle ringförmigen Zonen der
Drahtoberfläche sind gleichmäßig geladen, allerdings nimmt die Dichte der Oberflächenladung linear zu, wenn man in Drahtrichtung fortschreitet, z. B. von links nach
rechts in Abbildung 70 a) und b) (Abnahme in Gegenrichtung!). Für die Bedeckung σ
mit Oberflächenladung gilt also:
σ = c·x
Diese variierende Flächenbedeckung ergibt an jeder Stelle im Drahtinnern ein
homogenes E-Feld gleicher Stärke in Richtung der Drahtachse. Die Feldstärke hängt
ab von c, also davon, wie stark sich die Ladungsbedeckung mit x ändert. Für Punkte
auf der Drahtachse läßt sich die Größe des Felds durch eine einfache Integralgleichung angeben. Aus dem Coulombgesetz angewandt auf Abbildung 70 b) folgt nämlich für den Aufpunkt P:
+x
c·R ⌠
x2
E=
·
2
2 3/2 dx
2ε o 
⌡ (R + x )
–x
176
(Bei dieser Überlegung wurden evtl. durch Influenz von außen erzeugte Oberflächenladungen nicht berücksichtigt, weil diese zusätzlichen Ladungen die Influenzfelder im
Innern exakt kompensieren.)
Abbildung 70 c) zeigt, wie groß die relativen Beiträge der einzelnen Ringe zum
Feld am gekennzeichneten Aufpunkt sind. Der Ring, dessen Ebene den Aufpunkt enthält, trägt fast nichts zum Feld bei. Großen Effekt haben Ringe, die in der Drahterstreckung vor und nach dem Aufpunkt liegen, bis zu einigen Drahtradien Entfernung. Ferne Ringe steuern noch etwas bei, aber nur wenig. Von 10 R bis 100 R errechnet man etwa den gleichen Beitrag wie von 100 R bis 1000 R usw. Wenn man nur
die Ladungsbeckung an der Oberfläche geeignet wählt, kann man also ein E-Feld in
einem Draht erzeugen, das dessen Windungen exakt folgt.
Die Änderung der Oberflächenladungsdichte ist sehr klein. In einem Kupferdraht mit
2
1,5 mm Querschnitt benötigt man für einen Strom von 10 A ein Feld mit
E = 100 mV/m. Man kann abschätzen, daß mit einem c der Größenordnung 10-16 C/m
ein Feld dieser Größe erzeugt wird. 10-16 C/m entsprechen einer Zu- bzw. Abnahme
von wenigen hundert Elektronen beim Fortschreiten von einem millimeterbreitem
Ring zum andern. So wenig Ladung macht so viel Effekt! Grund: Die „Riesen“konstante k = 1/4πεο = 9·109 Nm/C2 im Coulombgesetz.123
4.3.3 Felder bei Querschnittsänderungen, Krümmungen
und an Grenzschichten
Drahtkrümmungen
In Drahtkrümmungen haben wir kein homogenes Feld mehr, denn die Feldlinien sind
gebogen, z. B. kreisförmig. Auch ist die Feldstärke E am äußeren Drahtrand etwas geringer als am inneren. Es muß ja auf allen zu einem Segment gehörigen Feldlinienstücken 1∫²Eds = konstant gelten (Abbildung 71 b). Das Feld ist nach wie vor ein Strömungsfeld, also divergenzfrei. Die Krümmung der Feldlinien kann dementsprechend
nur durch „Zusatzladungen“ an der Drahtoberfläche hervorgerufen werden. Die Elektronenverteilung, ist nicht mehr so einfach, wie am geraden Draht: Wir haben am Außenrand eine etwas größere oder kleinere Bedeckungsdichte zu zeichnen als am inneren Rand. Raumladungen treten auch hier nicht auf.
Querschnittsänderungen
Wenn sich Drähte verengen oder erweitern, liegen die Verhältnisse ähnlich
(Abbildung 71 a). Die Ladungsverteilung an der Oberfläche bleibt axialsymmetrisch.
123 Feldstärke und Spannung:Das Integral in der Gleichung U = ∫E·ds bewertet sowohl die Stärke
des Feldes als auch seine Erstreckung. In der Vorstellung entspricht die Angabe einer Spannung
dementsprechend der Größe des Feldgefälles oder des Feldanstiegs zwischen den beiden Aufpunkten im Feld. Gleiches Gefälle kann sich ergeben auf kurzem Feldstück bei großer Feldstärke
und auf längerem Stück bei kleinerer Feldstärke, wenn nur das ∫E·ds zwischen den Aufpunkten
gleich ist. (Beispiele zu diesem Zusammenhang → Kapitel 2.3.4, S. 48.)
177
Ihre Veränderung in Richtung der Achse ist aber gemessen an den Verhältnissen beim
geraden zylindrischen Draht komplizierter; (c in σ = c·x ist nicht mehr konstant).
Materialinhomogenitäten
Wenn zwei Drähte aus verschiedenem Material aneinanderstoßen, bildet sich eine
Grenzschicht aus (Abbildung 71 c). Bei ihrer thermischen Bewegung können Elektronen das eine Material leichter verlassen als das andere. Das führt zu Elektronenüberschuß auf der einen und zu Elektronenmangel auf der anderen Seite der Grenzschicht.
Die Grenzschicht bildet einen Miniaturkondensator.
Der „Plattenabstand“ ist von der Größenordnung 1 µm, die Spannung über dem
„Kondensator“ von der Größenordnung 1 V. Die Feldstärke E in der Grenzschicht ist
deshalb sehr hoch und liegt im Bereich um 106 V/m. Am zweiten Ende der Inhomogenität befindet sich ein gleicher „Minikondensator“ mit entgegengesetztem Feld. Strömen Elektronen durch die Kondensatorkombination, so werden sie im ersten Kondensator gehemmt vom zweiten angetrieben, sodaß sich beide Einflüsse kompensieren.
Ein zusätzliches schwaches Feld, das – wie bereits besprochen – durch Oberflächenladungen erzeugt wird, kann die Elektronenbewegung über die Inhomogenität hinweg
aufrecht erhalten.124 Die vorstehenden Gedanken lassen sich ohne Mühe auch auf ionische Leiter und auf die Verhältnisse in Halbleitern übertragen.
124 Im Gegensatz zu Halbleitern gibt es in der Grenzschicht hier keine ladungsträgerfreie Zone. Ein
sehr schwaches Feld der Größenordnung 100 mV/m, das sich dem „Kondensator“feld überlagert,
kann deshalb die Elektronenströmung aufrechterhalten.
178
+ + ++
+ ++++
schwaches
E-Feld
starkes
a)
Zusatz-Ladungen
+
+
+
+
c)
-
+
+
+
+
b)
-
Raumladungen der
Grenzschicht
Abbildung 71: Feldverlauf bei Querschnittsänderungen, Krümmungen und Materialübergängen:
a) und b) An Querschnittsänderungen und Leiterkrümmungen bleiben die Felder divergenzfrei. Die erforderlichen Feldstärkeänderungen im Leiterinnern werden durch zusätzliche Oberflächenladungen erzeugt. Nur die Zusatzladungen sind im Bild angedeutet.
c) Materialinhomogenitäten führen zu geladenen Grenzschichten an den Übergängen
(Raumladungen)
4.3.4 Anlauf – und Abklingvorgänge
Wir haben gesehen, daß Ladungsträgerströmungen in Drähten und Halbleitern nur zustande kommen, wenn sich Ladungen auf deren Oberfläche so verteilen, daß sich die
richtigen Strömungsfelder in den Leitern ergeben. Diese Felder bauen sich in dem
Augenblick auf, in dem man den Ladungsträgerstrom einschaltet, z. B. durch Starten
eines magnetelektrischen Generators. Während des Anlaufvorgangs läuft als Folge
des Schubs auf das Elektronenfluid eine Dichtewelle in den Elektronenatmosphären
der Leiter um. Die Geschwindigkeit der Welle ist sehr hoch und entspricht etwa der
Lichtgeschwindigkeit im Medium, das die Drähte umgibt. Durch Kapazitäten und Induktivitäten im Stromkreis, also der Leiteranordnung, wird diese Geschwindigkeit
verringert. Nach dem Abklingen des Anlaufvorgangs (der Welle) bestehen die besprochenen stationären Verhältnisse.
Beim Ausschalten des Stroms, dem Abklingvorgang, entsteht eine ähnliche Welle, die die ursprünglichen Verhältnisse innerhalb kurzer Frist wieder herstellt.
Anlauf und Abklingvorgänge laufen auch ab, wenn man nur einen Schalter betätigt, weil das Fluid in der Quelle, z. B. einer Batterie, permanent geschoben wird. In
diesem Fall müssen sich die schon vorhandenen Felder umorganisieren. Die Zeit, die
dafür benötigt wird, ist von gleicher Größenordnung wie beim Starten der Quelle.
179
4.4
VORGÄNGE IN DEN WANDLERN
4.4.1 Verbraucher (Senken)
Heizelemente (ohmsche Verbraucher)
Heizelemente bestehen meist aus Drähten mit hohem spezifischen Widerstand, in denen beim Fließen von Elektronen elektrische Energie in Wärme übergeht.125 Was dabei im mikrophysikalischen Bereich vorgeht, ist teilweise schon besprochen. Auch
über die drifterzeugenden Felder wissen wir schon Bescheid: Oberflächenladungen,
die sich beim Einschalten des Stromes ausbilden, erzeugen im Draht Felder in Richtung der Fluidströmung. Die Felder im Drahtinnern, und somit auch die Änderungen
der Oberflächenbedeckung mit elektrischer Ladung, sind aber erheblich größer als in
der Anschlußleitung (statt 170 mV/m z. B. 50 V/m). In diesem Feld nimmt das Elektronenfluid relativ viel Energie auf, denn alle Elektronen des Kollektivs werden
beschleunigt. Durch Wechselwirkung der thermisch schnellsten Elektronen mit dem
Kristallgitter, z. B. durch Stöße mit den Atomrümpfen, wird die vom Fluid aufgenommene Energie sofort wieder abgegeben. Die Atome schwingen danach stärker,
Wärme ist produziert worden. Wenn Sie sich ein Auto vorstellen, das „stotterbremsend“ bergab fährt, haben Sie ein einigermaßen zutreffendes Bild für diesen Vorgang.
Wollen Sie es präzisieren, müssen Sie einen Eisenbahnzug (ein Wagenkollektiv)
bergabfahren lassen, dessen einzelne Wagen zu unterschiedlichen Zeiten „intervallgebremst“ werden. Fährt der Zug als Ganzes gleichförmig, so ist die bremsende Kraft
im Mittel gleich der antreibenden, die hier vom Gravitationsfeld erzeugt wird. Die
Mitglieder des Kollektivs (die Wagen) nehmen hier Energie aus dem Gravitationsfeld
auf und geben sie durch Wechselwirkung mit der Umgebung ab (Kühlung der Bremsen durch die Luft).126
125 Siehe dazu S. 128 ff.
126 Aus quantenmechanischen Gründen nimmt zwar das ganze Elektronenfluid aus dem Feld Energie
auf. Aber nur thermisch sehr schnelle Elektronen treten in Wechselwirkung mit dem Kristallgitter. Diese machen nur einige Prozent des gesamten Kollektivs aus. Die schnellen Elektronen geben allerdings bei Stößen fast ihre gesamte thermische Energie ab, die den Energiemittelwert eines Elektrons im Fluid erheblich übersteigt. Dadurch wird die Energiebilanz in jedem Moment
ausgeglichen. Der Grund für dieses „seltsame“ Verhalten liegt im Pauliprinzip, nach dem maximal zwei Elektronen in demselben Energiezustand sein können. Normalerweise sind alle Niveaus
bis zu einer bestimmten Energie (der Fermienergie) besetzt. Durch Energieaufnahme im Feld
werden die tiefsten Niveaus frei. Nur in diese können Elektronen aus den höchsten Niveaus unter
Energieabgabe zurückspringen. Genauere Angaben findet man bei KITTEL [21], S. 245 ff.
180
Induktive Wandler
Ähnlich wie im Widerstandsdraht wird
auch in induktiven Verbrauchern das Fluid in seiner Bewegung gehemmt, allerStrömungsrichtung
dings wesentlich durch magnetische
Kräfte. Bei Elektromotoren befindet sich
dabei der leitende Draht (die Wicklung)
+ + +
- - F
FE
in einem Magnetfeld. In den Drähten der
2
Wicklung werden – wie oben bespro- - + + +
chen – durch Oberflächenladungen elektF1
rische Felder erzeugt. Diese halten den
B-Feld
Elektronenstrom darin aufrecht. Hierbei Abbildung 72: Kräfte auf Elektronen und Leiter
erfahren die einzenen Elektronen magne- beim induktiven Verbraucher (z. B. Drahtstück
tische Kräfte quer zur Drahtrichtung der der Rotorspule eines Motors)
Größe
F1 = B·e·vdrift (Lorentzkraft).
Diese werden an den Draht als Ganzes weitergegeben127 (Abbildung 72). Wird dabei
der Draht gegen mechanische Widerstände bewegt, so wirkt auf das Elektronenkollektiv die hemmende Kraft F2 (Lorentzkraft B·e·vdraht). Gegen diese Kraft müssen die
Elektronen von der Quelle verschoben werden. Dabei geht elektrische Energie in mechanische über.128 Damit dies geschieht, muß sich die Ladungsbedeckung an der Oberfläche des Leiters richtig einstellen. Dies geschieht beim Anlaufvorgang, also beim
Start der Drahtbewegung. Danach ist die Konstante c in σ = c·x erheblich größer als
wenn der Draht ruht.129
---
++
+
+
Verbraucher (Senken, Empfänger) wirken also bei der dynamischen Betrachtung eines Stromkreises immer als hemmend auf das Elektronenfluid. Wir können sie daher
verallgemeinernd als Hemmaggregate oder Hemmer bezeichnen.
127 Die Elektronen verschieben sich quer zur Drahtachse und reichern die Elektronenatmospäre auf
einer S. an. Die zurückgebliebenen Atomrümpfe und damit der Draht als Ganzes werden dann
von den neu entstandenen Kräften in die gleiche Richtung wie die Elektronen gezogen.
128 Pmech = F1·vdraht
Pel = F2·vdrift. Dabei gilt: Pmech = Pel. Diese Gesetzmäßigkeit wurde in anderem
Zusammenhang bereits auf S. 45 diskutiert.
129 Wir haben hier bei der Diskussion konstante Stromstärke vorausgesetzt. Die Quelle muß deshalb
bei nichtbewegtem Draht die Elektronen nur relativ schwach antreiben, ihre Spannung ist klein.
Um den Strom bei bewegtem Draht in gleicher Größe zu halten, muß die Quellenspannung größer werden. Denn im Draht kommt jetzt zu der Feldkomponente, die die ohmsche Hemmung überwindet, die Komponente hinzu, die zur Kompensation der Lorentzkraft nötig ist. Bei Kupferdraht von 1 mm2 Querschnitt und 1 A Stromstärke ist der ohmsche Anteil 17 mV/m. Bewegt sich
der Draht mit 17 m/s in einem Feld mit B = 1 Tesla, so ist das hinzukommende Feld
E = B·v = 17 V/m, also das Tausendfache.
181
4.4.2 Erzeuger (Quellen)
Die Vorgänge in Quellen sollen zunächst an einer (linearen) Induktionsquelle diskutiert werden. Diese wird durch einen Draht gebildet, der in einem homogenen Magnetfeld bewegt wird. Auf jedes Elektron des Fluids im Draht wirkt dann die Kraft
F1 = B·e·vdraht (Lorentzkraft in Richtung Drahtachse).
Das Fluid verschiebt sich dadurch etwas in Drahtrichtung. Die eine Hälfte
des Drahts wird an der Oberfläche positiv, die andere Hälfte negativ geladen, mit jeweils von der Mitte aus an+ + +
- - steigender
Ladungsbedeckung
F
F
(Abbildung 73). Im Draht entsteht,
1
E
+
+
wie bereits diskutiert, durch diese La+
dungsbedeckung ein homogenes elektrisches Feld. Dieses übt auf jedes Elektron die rücktreibende Kraft
B-Feld
Abbildung 73: Kräfte auf die Elektronen in der un- FE = e·E aus. Bei konstantem vdraht
belasteten induktiven Quelle (kein Stromkreis)
herrscht Gleichgewicht: F1 = FE
Bewegungsrichtung
des Drahtes
---
++
++
Wenn der Stromkreis durch einen Hemmer, z. B. einen Heizdraht, geschlossen wird,
strömen Elektronen außerhalb der Quelle von Minus nach Plus. Im Heizdraht entsteht
infolge der ohmschen Hemmung eine zur Quelle analoge Ladungsbedeckung mit mit
dem entsprechenden Feld im Drahtinnern. Allerdings bleibt die Strömung nur dann
stationär, wenn im Induktionsdraht weiterhin das Fluid von „Plus“ nach „Minus“ geschoben wird, entgegen den rücktreibenden Kräften im Induktionsdraht. Dazu muß
dem Draht mechanische Energie bei der Verschiebung zugeführt werden. Der Energiebetrag ist dem Strom proportional, denn es gilt
Fmech = B·I·l und Pmech = B·I·l·vdraht
Dabei geht Energie in den Stromkreis.
Die Fluidströmung hört auf wenn man den Induktionsvorgang beendet, z. B. beim
Abbruch der Bewegung. Dann bauen sich die Felder ab, die Oberflächenladungen
verschwinden, weil Elektronen von den negativgeladenen Bereichen an den Leiteroberflächen zu den plusgeladenen fließen. Dieser Feldzerfall erfolgt außerordentlich
rasch.
Die hier an einem speziellen Objekt abgeleiteten Aussagen können verallgemeinert werden:
•
182
Im passiven Teil des Stromkreises (im Hemmer) haben wir ein E-Feld, das die
Elektronen gegen die ohmsche oder induktive Hemmung verschiebt. Dabei wird
Energie vom Stromkreis abgegeben.
•
•
•
•
Im aktiven Teil (in der Quelle) dagegen besteht ein Feld, das die Elektronenbewegung hemmt. Gegen dieses Feld muß das Fluid verschoben werden, wenn die
Strömung andauern soll. Dabei wird Energie in den Stromkreis eingespeist.
Im Erzeuger (der Quelle elektrischer Energie) wird somit das Elektronenfluid bei
seiner Strömung durch äußere Kräfte angetrieben. Im Verbraucher elektrischer
Energie wird es von außen gehemmt. Es daher vorteilhaft, immer dann, wenn
man Elektronenströme im Blick hat, den Energieerzeuger Treiber (Antriebsaggregat) und den Energieverbraucher Hemmer (Hemmaggregat) zu nennen.
Die Begriffe Erzeuger (Generator) und Verbraucher sind dagegen vorstellungskonform, wenn man die Energieströmung betrachtet.
Bitte beachten Sie, daß die Überschuß – und Mangelladungen, durch welche die
internen Felder erzeugt werden, beim Anlaufvorgang entstehen, und daß sie in
der Elektronen-Atmosphäre an der Drahtoberfläche sitzen.
Im folgenden betrachten wir weitere Quellen unter den soeben diskutierten Gesichtspunkten
Induktive Quellen
Die bereits diskutierte „kurzgeschlossene“ Induktionsschleife (→ Abbildung 67 auf
S. 174) ist gleichzeitig Generator (Quelle) und Verbraucher. Das durch Induktion entstehende Rotations-E-Feld ist identisch mit dem erforderlichen Strömungsfeld. Freie
Ladungen im Leiterinnern oder an dessen Oberfläche treten nicht auf.
Sägen wir nun in Gedanken einen sehr schmalen Schlitz in diesen gut leitenden
Ring (Abbildung 74 a). Beim „Start“ des Induktionsvorgangs verschiebt sich das Elektronenfluid im Kupfer etwas, so daß auf dem Mantel des Ringes die in Abbildung
74 a angedeuteten freien Ladungen auftreten. Diese erzeugen sowohl im Spalt als
auch im Kupferdraht zusätzliche elektrische Felder: Im Ringleiter muß das durch Induktion erzeugte Feld Eind nach dem Anlaufvorgang durch das neue Feld Elad kompensiert werden, denn es gibt keinen stationären Strom: Eind + Elad muß 0 sein. Das heißt
aber, daß sich die Ladung auf der Drahtoberfläche so verteilt, daß das kompensierende Gegenfeld erzeugt wird. Die Spannung über dieses Feld ist gleich der Ringspannung Uind = dΦ/dt, abzüglich des (vernachlässigbaren) Uind-Anteils im Spalt.
Im Spalt selbst erzeugen die Oberflächenladungen ein sehr starkes Feld. Die
Spannung U12 = 1∫²Eds, die über diesem liegt, ist ja gleich groß wie die Spannung, die
infolge der Ladungen längs des Rings entsteht. Sie hat aber entgegengesetztes Vorzeichen. Zu diesem statisch erzeugten Feld kommt noch das im Spalt durch Induktion
erzeugte (schwache, vernachlässigbare) Feld hinzu.
Fügen wir nun in den Spalt ein Stück Draht ein, mit hohem Widerstand im Vergleich zum übrigen Ring (einen „Heizdraht“). Dann ist der gut leitende Ring Treiber
für die Elektronenströmung im Heizdrahtstück (Abbildung 74 b). Die Elektronenbewegung im Heizdraht wird deshalb (fast) ausschließlich durch das Feld aufrechterhalten, das infolge von Oberflächenladungen an den Enden des Induktions-Rings entstanden ist.
183
Auf dem Weg durch den Ring laufen die
Elektronen gegen das Kompensationsfeld
an, das dieselben Ladungen erzeugt haben.
Daß sie das können, bewirkt der Induktionsvorgang. Wieder ist es die Verschiebung gegen ein automatisch entstehendes
Feld, die den Ring zum Treiber (Generator) macht.
Verlängern wir den Heizdraht, so ändert sich prinzipiell nichts. Nur entsteht im
Heizdraht ein Feld, als Folge von neu auftauchenden Ladungen auf dem Drahtmantel. Die „Feldsumme“ E·ds, also die Spannung über dem Schlitz bzw. dem Heizdraht, ändert sich dabei nicht.
Auch die Sekundärspule eines Transformators muß als Energiewandler (Quelle
elektrischer Energie) betrachtet werden.
Denn in ihr wird Energie, die vom MagAbbildung 74: a) Ladungs- und Feldverteilung am durchbrochenen Ring.
netfeld des Trafokerns kommt in elektrib) Im Draht entsteht ein dem ∫Eds entsprech- sche Energie umgewandelt.
endens Feld
Bei Magnetfeldänderungen (Zu – oder Abnahme von B im Kern) erfahren die Elektronen im Draht Kräfte und werden durch diese verschoben. Sofern ein Hemmer im
angeschlossenen Stromkreis liegt, entsteht augenblicklich die bekannte Ladungs- und
Feldverteilung. In der Induktionsspule werden die Elektronen danach gegen die Feldkräfte verschoben und Energie geht ins E-Feld. Im Verbraucher wird Energie dem
Feld entnommen und wie schon besprochen in Wärme verwandelt oder in mechanischer Form abgegeben. Bei Wechselstrombetrieb finden gleichzeitig zur Energieübertragung permanent Anlauf- und Abklingvorgänge statt, die einander abwechseln.
Quellen mit mechanischem Ladungstransport
Bandgenerator: Nachdem der Generator angelaufen ist, ist der Generatorkopf beispielsweise negativ, der Generatorfuß positiv geladen. Dort wo das Band läuft, besteht ein elektrisches Feld. Nun werden unten auf das Band Elektronen aufgesprüht.
Das Band trägt diese im Feld entgegen der wirkenden Kraft nach oben. Deshalb muß
den Elektronen beim Transport mechanische Energie zugeführt werden. Energie geht
ins Feld. Sie steht den Elektronen potentiell zur Verfügung.
Verbindet man Generatorkopf und Fuß über einen Verbraucher z. B. einen Hochohmwiderstand (Graphitstrich auf einer Folie aus Kunststoff), so strömen in diesem
die Elektronen, angetrieben von den Feldkräften, herunter. Sie nehmen Energie auf
und geben sie an den Verbraucher ab, wo sie beispielsweise in Wärme umgesetzt
wird.
184
Spaltquellen
In Thermoelementen, Solarelementen und galvanischen Zellen ist der aktive Teil im
Stromkreis sehr zusammengedrängt, meist auf Schichtdicken, die wesentlich kleiner
sind als 1 mm. Der Vorgang, der hier den Feldkräften entgegen wirkt, ist die einseitig
begünstigte Diffusion von Ladungsträgern.
Im Thermoelement wird in einen Leiterkreis aus Kupfer beispielsweise ein Stück
Antriebs+
Eisendraht eingefügt. Es gibt dann zwei
++
richtung der
Q Cu-Fe-Grenzschichten (Abbildung 75). In
Q + + + Thermodiffusion
+ ++
Tniedrig
Thoch beiden diffundieren Elektronen infolge ihrer thermischen Bewegung sowohl vom
Kupfer zum Eisen als auch vom Eisen zum
Fe
Kupfer. Die Diffussion vom Kupfer zum
Abbildung 75: Die Thermodiffusion verläuft
asymmetrisch, wenn die Kontaktstellen eines Eisen ist begünstigt. Das Eisen lädt sich
dementsprechend an der Oberfläche negaThermoelementes auf unterschiedlcher
Temperatur gehalten werden
tiv, das Kupfer positiv auf.
Cu
In den Grenzschichten entstehen elektrische Felder atomarer Abmessungen entsprechend unserem Bild. Die Felder sind so gerichtet, daß sie die Begünstigung der Diffussion aufheben. Wenn dies eintritt liegt am Grenzübergang eine Spannung im Voltbereich: In beiden Richtungen überschreiten dann in jedem Augenblick gleichviel Elektronen die Grenze. Wir haben ein dynamisches Gleichgewicht. Die GrenzschichtSpannungen im Leiterkreis kompensieren sich, da sie gegeneinander stehen. Es gibt
keinen Strom.
Nun erhitzt man eine der beiden Übergangsstellen. Die thermische Bewegung der
Elektronen nimmt zu. Wieder wird die vom Kupfer zum Eisen begünstigt, so daß die
Spannung am heißen Übergang ansteigt. Bei einigen 100 K erreicht man eine Spannungsänderung um ca. 50 mV. Das Gleichgewicht zwischen beiden Übergängen ist
gestört. Das Elektronenfluid kommt in Bewegung. Elektronen bewegen sich infolge
ihrer thermischen Energie am heißen Übergang im E-Feld „bergauf“. Dabei geht
thermische Energie ins Feld. Am anderen Übergang fallen die Elektronen im Feld
abwärts. Sie gewinnen Energie aus dem Feld. Der Gewinn ist geringer, weil hier der
Feldsprung, also die Spannung an der Grenzschicht, 50 mV kleiner ist. Der Differenzbetrag bleibt im Feld und steht für andere Verbraucher zur Verfügung.
185
In der galvanischen Zelle sind ebenfalls zwei
Grenzschichten hintereinandergeschaltet. Weil
Antriebsrichtung
der Chemodiffusion
aber zwei verschiedene Metalle (z. B. Kupfer
Cu und Zink) an den gleichen Elektrolyten (z. B.
Zn
CuSO4-Lösung) grenzen, ist die Anordnung von
anfang an unsymmetrisch: Auf der Zinkseite
gehen positive Zinkionen in Lösung und lassen
Elektrolyt
negative Elektronen im Metall zurück. Das Abwandern (Auflösen) von Zink läuft solange ab,
bis das elektrische Feld zwischen dem negativ
2+
gewordenen Zink und der Zn -Ionenwolke im
Abbildung 76: Asymmetrische Chemo- Wasser so groß geworden ist, daß die Diffusion
diffusionszonen an den Elektroden eivon Ionen in der Richtung Zink Wasser nicht
nes galvanischen Elementes
mehr begünstigt ist gegenüber der vom Wasser
zum Zink.
An der Grenzschicht liegt dann eine Spannung von einigen Volt. Auf der Kupferseite gehen analog Kupferionen in die Lösung. Im Gleichgewichtszustand stehen zwei
Grenzschichtspannungen gegeneinander. In unserem Beispiel gewinnt die Zinkseite.
Die Grenzschichtspannung dort ist ca. 1 V höher als auf der Kupferseite. Diese Spannung von 1 V steht für Verbrauchergeräte zur Verfügung, wenn man den Stromkreis
schließt (Volta 1798).
Solarzelle: Eine Solarzelle ist ein Bauelement das aus der Kombination MetallnHalbleiter-pHalbleiter-Metall besteht und dementsprechend 3 Grenzschichten hat.
Auch hier herrscht Diffussionsgleichgewicht. Wenn man aber die p-n-Schicht belichtet, wird die Elektronendiffussion einseitig begünstigt. An der Zelle entsteht eine
Spannung von ca. 0,5 V, die im Stromkreis verfügbar ist. Dabei geht Lichtenergie, also die Energie absorbierter Photonen, wie bei den anderen Grenzschichtquellen ins
elektrische Feld des Stromkreises und wird nutzbar.
Bitte beachten Sie: Bei den Diffusionsquellen bestehen sehr starke Felder
6
(10 V/m) über sehr kleinen Abständen (Mikrometerbereich). An der Grenzschicht
selbst bilden sich meist extrem dünne Raumladungs-Doppel-Schichten aus. Induktionsquellen arbeiten üblicherweise mit wesentlich kleineren Feldern (typisch 1 V/m),
aber mit langen Leitern (Meter-, Kilometerbereich).130
130 Siehe dazu auch das Kapitel 2.3.4 und die Hinweise in Abschnitt C zur Unterrichtseinheit 3,
S. 104.
186
4.5
PHYSIKALISCHE GRÖßEN IM ENERGIE – UND
ELEKTRONENSTROMKONZEPT
4.5.1 Quellenspannung (EMK), ohmsche Spannung
Der Begriff Spannung ist Bindeglied zwischen Kreislauf- und EnergieübertragungsVorstellung; denn ihm kann man ohne Verlust an Exaktheit zwei Bedeutungen unterlegen (→ DIN 1323 und DIN 1324, S. 38):
1 Im elektrischen Stromkreis sind elektrische Felder für das Zustandekommen der
Ladungsströmung verantwortlich. Diese Felder werden im Treiber (Quelle) mittelbar erzeugt. Dabei ist es gleichgültig, ob die Quelle ein starkes Feld auf kurzem
Weg oder ein schwaches Feld über einen entsprechend längeren Weg hervorbringt.
−−
Wie sehr das Fluid angetrieben wird, ist durch das Produkt E·ABzwischen Quelleneingang A und -ausgang B – bei variabler Feldstärke durch die Produktsumme
∫E·ds – zu beschreiben. Diese Summe nennt man Quellenspannung. Das Produkt ist
im Kreislaufkonzept als Maß dafür aufzufassen, wie sehr die Elektronen des Fluids
im Treiber angetrieben werden. „Halb“-quantitativ könnte man es durch einen
Pfeil geeigneter Länge in Antriebsrichtung darstellen (Abbildung 77). Die alte Bezeichnung dafür, EMK (für elektromotorische Kraft), spricht genau diesen Vorstellungshintergrund an.
Im Hemmaggregat schiebt das elektrische Feld die Elektronenen in Richtung
ihrer Driftbewegung an. Deren Geschwindigkeit bleibt nur deshalb konstant, weil auf das Kollektiv eine Hemmung einwirkt, realisiert z. B. durch die
Stöße mit den Metallgitteratomen im
ohmschen Leiter oder durch die Lorentzkraft bei magnetischer Hemmung. Der
Betrag dieser Hemmung kann durch ein
Abbildung 77: Spannungen im Stromkreis
zur Quellenspannung analoges Produkt
dargestellt werden:
−−
E·CD bzw. die Summe ∫E·ds charakterisiert werden. Im Fall von Widerstandsdrähten heißt es ohmsche Spannung im Fall magnetischer Hemmung induktive Gegenspannung. Der zugehörige Hemmungspfeil („Stotterbremsungspfeil“) muß der
Driftbewegung entgegenstehen.
Bei stationären Strömen hat die Summe aller Antriebspfeile über die einzelnen
Stromkreisabschnitte die gleiche Länge wie die Summe aller Hemmpfeile (2.
Kirchhoffsches Gesetz). Beachten Sie: Mit Hilfe der Pfeildarstellung kann man
den so schwierigen Begriff Spannung fast mühelos in den Vorstellungsbereich ein-
187
ordnen. Er verliert seine Unanschaulichkeit, die durch das unglücklich gewählte
Wort noch verstärkt wird.
2 Damit das geladene Fluid in Abbildung 77 die Quelle von A nach B entgegen der
Richtung der Feldkräfte durchfließt, muß ihm Energie zugeführt werden. Eine Analyse zeigt, daß die oben definierte Quellenspannung UQ = A∫B Eds mit
WAB/q = (F/q)·ds identisch ist, wobei WAB für die Energie steht, die man der Ladung
q zuführen muß (→ Grafik S. 39). Wegen dieser Identität läßt sich die Größe der
Quellenspannung vorstellungskonform auch interpretieren als Energie, die nötig
ist, um die Ladungseinheit (1 Coulomb) durch die Quelle zu schieben. Die zugeführte Energie geht dabei ins Feld. Analoges gilt für die ohmsche Spannung: Sie ist
ein Maß für die Energie, die 1 Coulomb beim Durchlaufen des Hemmers
(Verbrauchers) abgibt also aus dem Feld nimmt.
Im Unterricht wird heute allgemein eine Erweiterung des Begriffs Spannung in
diesem Sinn angestrebt (Ebenen III und IV in der Grafik auf S. 39) und es wird
auch diskutiert, ob man nicht auf dynamische Aspekte verzichten kann. (Den dynamischen Vorstellungen ordnen sich – wie in den Abschnitten 2.3.1 und 2.3.2
dargestellt wurde – die Gleichungen der Ebene II aus Abbildung 5 auf S. 39 zu.)
Dem hier vorgeschlagenen Unterrichtsgang vorausgegange Erfahrungen zeigen jedoch, daß man sich mit diesem Verzicht Rückfälle in selbst „gebastelte“ dynamische Vorstellungen einhandelt, die zu schwerwiegenden Begriffsverwirrungen führen. (Meist liegt diesen Vorstellungen ein alltagssprachlicher Kraftbegriff zugrunde, der den elektrischen Größen unsachgemäß zugeordnet wird.)
4.5.2 Ohmscher Widerstand
Die Spannung an einem Leiter, der dem Ohmschen Gesetz gehorcht, ist dem Strom I
proportional:
∫E·ds = I·R
In dieser Gleichung drückt R den Einfluß von Objekteigenschaften aus. Diese sind
nicht identisch mit der oben definierten Hemmung. R wäre zu interpretieren als
Hemmung je Stromstärkeeinheit. Die Hemmung hat ja die Einheit 1 Volt, der Widerstand R die Einheit 1 Volt/Ampere. Inwieweit diese Unterscheidung unterrichtsrelevant ist, muß von Fall zu Fall entschieden werden. Berücksichtigen Sie aber bei allen
Aussagen, daß das Wort Widerstand in vier Bedeutungen verwendet wird:
• Als Bezeichnung für hemmende Vorgänge ( ... bietet Widerstand),
• als Name für Bauteile (engl. resistor),
• als Eigenschaft von Bauteilen ( ... hat Widerstand) und
• als Name für die physikalische Größe R (engl. resistance).
Didaktische Probleme, die mit dieser Bedeutungsvarianz verbunden sind, wurden im
Abschnitt 2.3.6 auf S. 53 ff diskutiert.
188
4.5.3 Energiestrom, Leistung
Die Leistung eines Endgeräts (Energiewandlers) wird im allgemeinen angegeben
durch den Energieumsatz je Sekunde. Das ist die Energie, die zugeführt, umgewandelt und wieder abgeführt wird. Der Betrag der Leistung (der Umwandlungsrate) ist
identisch mit dem Betrag des Energiestroms, der vom Erzeuger kommt und in der
Leitung herrscht. Der Begriff Energiestrom liegt näher an der Vorstellung, als der
Begriff Leistung ( = Energieumwandlungsrate), denn er bezieht sich auf das ganze
Übertragungssystem. Der Begriff Leistung ist eine gerätespezifische Größe und charakterisiert nur Systemteile. Man sollte daher im Unterricht zunächst vom Energiestrom reden und als „natürliche“ Einheit dafür Joule/Sekunde ( = 1 Watt) benützen.
Erst zu einem späteren Zeitpunkt wäre dann der Begriff Leistung einzuführen und mit
dem Energiestromgedanken zu verknüpfen.
4.5.4 Energieströmung in den Feldern
Vorstellungen darüber, wie die Energie ins Feld geht, wie sie in diesem transportiert
wird, und wie sie wieder herauskommt, lassen sich nicht auf elementare Weise bilden.
Wir wollen sie entsprechend den Poyntingschen Gedanken an der einfachen elektrischen Anlage nach Abbildung 78 diskutieren. Dabei machen wir folgende Annahmen:
Die Ladungsdurchflutung ( = Stromstärke) jedes Querschnitts im Leiterkreis ist
gleich groß. Sie soll sich nicht mit der Zeit ändern (stationärer Strom). Außerdem setzen wir voraus, daß die Leitung von der Quelle zum Verbraucher widerstandslos ist.
Der Verbraucher dagegen sei rein „ohmsch“.
Die Vorgänge in dieser Anlage kennen wir weithin schon. Sie seien aber nocheinmal zusammengefaßt:
• Nach dem Anlaufvorgang besteht in der Quelle ein E-Feld, das die Elektronenbewegung hemmt, sozusagen ein Anti-Drift-Feld. Will man die Strömung trotzdem aufrechterhalten, so müssen Zusatzkräfte an den Elektronen angreifen und
diesen Energie zuführen, um so mehr, je größer die „Feldsumme“ ∫E·ds in der gesamten Quelle ist. Die Energie geht nicht in die Elektronen (die haben keine inneren Freiheitsgrade dafür), sie erscheint auch nicht als kinetische Energie, sondern
fließt ins Feld, also in den Raum um den Leiter.131
• Im Innern der Verbindungsdrähte zwischen Quelle und Verbraucher besteht kein
E-Feld (R = 0 bedingt E = 0). Die Ladungsträger bewegen sich antriebslos. Energetisch geschieht an ihnen nichts.
• Im ohmschen Verbraucher entstand beim Anlaufvorgang ein Driftfeld. Dieses
Feld durchfallen die Elektronen. Dabei nehmen sie Energie in kinetischer Form
aus dem Feld auf. Durch Wechselwirkung mit den Atomrümpfen des Metallgit-
131 Man kann statt „Elektronen können aus dem Feld Energie aufnehmen“ auch sagen „Elektronen
besitzen potentielle Energie (im Feld)“. Beide Aussagen sind gleichwertig. Die zweite ist üblich,
aber wesentlich abstrakter als die erste.
189
ters wird diese an den Draht abgegeben und erscheint in Form von „joulscher“
Wärme.
Die Energieströmungsvektoren in dieser Anlage sind den Poyntingschen Gedanken
entsprechend leicht zu finden. Sie stehen an jeder Stelle der Anlage jeweils senkrecht
zu den elektrischen und magnetischen Feldlinien (Abbildung 79).
Die Energiestromdichte, also der Energiestrom je Quadratmeter, ist laut Poynting
→ → → → →
S = E × H = E × B /µo
mit dem Betrag S = E·H·sin α. (α: Winkel zwischen dem E-Pfeil und dem B-Pfeil)
Abbildung 78: Verteilung der Ladungen auf
dem Leiter und der Felder im Leiter (in den
Ecken gibt es Raumladungen wegen des
Leitfähigkeitssprungs)
Abbildung 79: E-Felder außen und Energieströmungspfeile
Man kann den Energiestrom durch das Einzeichnen von Energiepfeilen veranschaulichen. In Abbildung 79 ist dies geschehen:
• Im Generator-Draht, also in der Quelle zeigen die Strömungspfeile senkrecht von
der Elektronenströmung weg nach außen.
• Im ohmschen Verbraucher weisen die Energiestrom-Pfeile umgekehrt vom äußeren Feld zur Elektronenströmung.132
• Im Innern der Drähte zwischen Quelle und Verbraucher gibt es überhaupt keinen
Energiestrom, denn dort ist wegen R = 0 auch E = 0.
Der Energiestrom läuft entlang der Leitung außerhalb des Metalls durch den Raum
und konzentriert sich dabei in der Nähe der Leiter. In Leiternähe ist ja sowohl das
ringförmige magnetische Feld als auch das elektrische Außenfeld133 am stärksten,
→ →
und dementsprechend ist das Produkt E × H groß. Der Faktor sin α beträgt nahezu 1,
weil die Felder fast senkrecht aufeinander stehen.
Die Felder an den Ecken der Rechteckschleife sind sehr komplex und deshalb im
Bild weggelassen. Will man sie einigermaßen exakt ermitteln, so ist man auf die Hilfe
132 Da die Stärke des Magnetfelds vom Rand des Leiters bis zur Achse kontinuierlich abnimmt, E
aber konstant ist, wird der Energiestrom umso kleiner, je näher man der Achse kommt. So erwartet man es auch.
133 Die Ladungsbedeckung an der Oberfläche der Verbindungsdrähte ist konstant. Die Feldlinien
laufen von dieser Ladungsbedeckung senkrecht weg in den Raum. Ihre Dichte und damit E
nimmt mit zunehmender Entfernung vom Draht ab.
190
eines Computers angewiesen. EBINGHAUS hat einen Überblick geliefert [8]. Weitere
Einzelheiten zur Energieströmung findet man bei RANG [34].
4.6
DIE POTENTIAL-VORSTELLUNG
(PEGELKONZEPT)
In stark verzweigten Stromkreisen gelten für jede mögliche Masche alle unsere bisherigen Aussagen unverändert. Die Diskussion wird aber wegen des hohen Komplexitätsgrades schwierig und umfangreich. Wenn jedoch die Schaltung von einer Quelle
versorgt wird, deren Spannung konstant ist, läßt sich durch modellmäßige Vereinfachung wieder Übersichtlichkeit herstellen. Wir sehen in diesem Fall von der Erzeugerseite ab, setzen sie sozusagen als bekannt voraus. Ihre beiden Anschlüsse werden
ersetzt durch eine „Plusschiene“ und eine „Minusschiene“, zwischen die man Bauteile
oder Bauteilgruppen schaltet. In der Vorstellung fallen dann die Elektronen von der
negativen Schiene zur positiven hinunter, und zwar längs der Leiter oder Leiterbahnen und durch die Bauteile.134 Dieses Potentialschienenmodell läßt sich konsequent
und konsistent mit physikalisch-quantitativen, meßtechnischen und schaltungstechnischen Überlegungen anreichern. Wir führen dies im folgenden aus:
4.6.1 Schwerkraft-Modell und Pegelkonzept
Bezüglich der Energieübertragung läßt sich ein elektrischer Gleichstromkreis mit einer Wasserkraftanlage vergleichen, denn beide arbeiten zwischen zwei Energieniveaus (Potentialen,Pegeln) entsprechend dem folgenden Bild (Abbildung 80):
Der Energiewandler links (Generator in der elektrischen Anlage, Verdunstungsvorgang bzw. Speicherwerkpumpe in der Wasserkraftanlage) hebt dabei unter Energieaufwand das energieübertragende Fluid (Elektrizität, Wasser) vom unteren ins obere Niveau. Der Energiewandler rechts (Elektromotor, Turbine) nimmt dem Fluid beim
Herabsinken vom oberen ins untere Niveau die zuvor zugeführte Energie wieder ab.
In beiden Fällen steckt die Energie nach dem Anheben und vor dem Herabfallen in
Feldern: im elektrischen Feld einerseits, im Gravitationsfeld andererseits.
134 Zur Orientierung „Oben“ und „Unten“ und zur Zuordnung der Bezeichnungen „High“ und
„Low“ für energetische Zustände der Elektronen sind auf S. 198 Ausführungen gemacht.
191
oberes Niveau (High)
Gefälle
g* h
Spannung
∫
U = Eds
Generator
oberes Niveau
(Oberwasser)
Motor
Pumpe
Turbine
unteres Niveau
(Unterwasser)
unteres Niveau (Low)
Abbildung 80: Zur Analogie von Gleichstromkreis und Wasserkraftanlage
Begriff
Felder
Feldstärke
Spannung,Pegel
Stromstärke
übertragene Energie
Energiestrom
Elektrische Anlage
E-Feld
F
E=
Q
U = E·s
Q
I=
t
W = U·Q
Q
P = U· = U·I
t
Gravitationsanlage
G-Feld
F
g* =
m
UG = g*·h
m
IW =
t
W = (g*·h)·m = UG·m
m
P = (g*·h)·
t
= UG·IW
Abbildung 81: Gegenüberstellung der Begriffe und Gleichungen im Gravitationsfeld bzw. EFeld
Natürlich gibt es auch Unterschiede: Bei der elektrischen Anlage wird das Feld durch
die Verschiebung des Fluids selbst erzeugt. Wir haben dies früher im Einzelnen besprochen. Im Fall der Wasserkraftanlage arbeiten wir im unveränderlichen Gravitationsfeld der Erde. Zwar wird dieses durch die Verschiebung von Wasser ebenfalls verändert. Jedoch sind die Veränderungen so minimal, daß man sie bei allen praktischen
Überlegungen vergessen kann.135
Im Gravitationsfall sind homogene Felder in beiden Energiewandlern von der Situation vorgegeben. Im Fall elektrischer Anlagen ist dies nicht unbedingt der Fall. Jedoch
bestehen solche Felder in den Drahtwicklungen magnetelektrischer Gleichstromgeneratoren einerseits und homogenen zylindrischen Widerstandsdrähten andererseits.
Deshalb ist die Analogie zwischen einer Wasserkraftanlage und einer elektrischen
Anlage aus den vorgenannten Komponenten sehr eng. Sie betrifft auch die physikali-
135 Der Grund für diesen Unterschied liegt in den verschiedenen Größenordnungen der Konstanten
N·m² Q·q
im Coulombschen Gesetz (k = 8,99·109 ·
·
) bzw. im Gravitationsgesetz
C²
r²
N·m² M·m
(f = 6,67·10-11 ·
·
). Verhältnis ≈ 1:1020 !
kg² r²
192
schen Größen und Gleichungen, die die Energieübertragung beschreiben (Abbildung
81). Die mathematische Strukturen sind sogar identisch. (Sie bleiben es auch, wenn
die Felder inhomogen sind. Jedoch werden dann aus vielen einfachen Gleichungen Integrale).136
Im Prinzip spielen bei beiden Anlagen nur Pegeldifferenzen eine Rolle. Die Absolutwerte der Pegel (die Potentiale) sind uninteressant. Das Pegelkonzept (Potentialkonzept) muß allerdings der Struktur nach erkannt und begriffen sein, wenn man
die Verhältnisse beurteilen will. Bei quantitativen Überlegungen kann man sich aber
(mindestens im einführenden Unterricht) auf die Analyse von Pegeldifferenzen beschränken.
Für Pegeldifferenzen in elektrischen Feldern gibt es einen eindeutigen Begriff:
Spannung. Leider hat das verwendete Wort im Alltagsgebrauch nie die Bedeutung
„Pegeldifferenz“ und ruft damit unpassende Vorstellungen ab. Wie man das vermeidet wurde prinzipiell bereits diskutiert (→ Kapitel 1.3, S. 18 ff und Kapitel 2.1.2,
S. 30 ff sowie die Begriffsbildung in den Unterrichtseinheiten 6 und 7).
Im Gravitationsfeld ist für die Pegeldifferenz, also das Produkt g* · h, kein eigener
Begriff üblich. Man behilft sich mit Gefälle: ein treffendes Wort, wenn man das Richtige darunter versteht, also nicht den Höhenunterschied allein, sondern den mit der
Gravitationsfeldstärke g* multiplizierten. (Auf dem Mond wäre bei einer Höhendifferenz von 10 m dieses „dynamische“ Gefälle nur 1/6 des Gefälles auf der Erde, denn
g*Mond ist nur 1/6 von g*Erde.)
Auf einen weiteren Unterschied zwischen beiden Bereichen ist hinzuweisen. Da das
Feld im Fall der Gravitation nicht verändert werden kann, sind die Pegel (Niveaus)
ortsfest (eigentlich höhenfest) und ebenso die Pegeldifferenzen. Wegen der leichten
Verschiebbarkeit der felderzeugenden Ladungen in elektrischen Stromkreisen ist dies
dort nicht mehr der Fall: Die Pegeldifferenz kann räumlich beliebig verlegt werden
durch (fast) widerstandslose Leiter. Man kann den Pegelsprung sogar auf Bruchteile
von Millimetern konzentrieren. Aus diesem Grund sind elektrische Energieübertragungssysteme sehr viel flexibler als Wasserkraftanlagen. Die Beispiele in Abbildung
82 mögen die Verlegung von Pegeldifferenzen erläutern.
Anhand der Beispiele sieht man leicht ein, daß Pegelüberlegungen für alle elektrischen und elektronischen Schaltungen überaus wichtig sind. Es ist sogar so, daß
man Schaltbilder überhaupt erst richtig lesen kann, wenn man verstanden hat, wie Pegelsprünge ( = Spannungen) zu bestimmten Schaltungskomponenten verschoben werden. Im folgenden Abschnitt wird das im einzelnen erläutert.
136 Wir unterscheiden hier zwischen der Schwerebeschleunigung g mit Einheit m/s2) und der Gravitationsfeldstärke g* mit Einheit N/kg. Die beiden Einheiten gehen ineinander über, wenn man die
Einheit 1 N durch die formal identische Einheit 1 kg·m/s2 ersetzt. In der Vorstellung rufen beide
Einheiten natürlich ganz verschiedene Sachverhalte ab, was schon die verschiedenen Namen für
die beiden Größen(klassen) ausdrücken. (→ FLEISCHMANN [11], Einführung in die Physik, [11]).
Auch Drehmoment und Energie haben die gleiche Einheit. Kein Mensch kommt auf die Idee, die
beiden Dinge mit dem gleichen Formelbuchstaben zu kennzeichnen.
193
a)
b)
c)
d)
Abbildung 82: Beispiele für die räumliche Verschiebbarkeit elektrischer Pegeldifferenzen:
a): Die Pegeldifferenz ist an der Steckdose ortsfest, im Elektrogerät jedoch mit dessen räumlicher Lage verknüpft.
b): Die Pegeldifferenz in der oberen Lampe wird in das Innere des Meßgerätes gelegt, z. B.
an die Sperrschicht zwischen Kanal und Gate eines Feldeffektransistors und kann deshalb
angezeigt werden.
c) und d): Wird der Schalter geöffnet, so verlagert sich die Pegeldifferenz vom Bauteil an die
Schalteranschlüsse, was die Spannungsmesser anzeigen.
4.6.2 Potentialschienenmodell für Schaltungstechnik
Komplizierte elektrische Schaltungen (Netzwerke) kann man leicht analysieren, wenn
sie mit konstanter Spannung betrieben werden. Es gibt dann sozusagen einen „Ober“leiter (üblicherweise die Plusschiene) und einen „Unter“leiter (üblicherweise die
Minus- oder Masseschiene). Beide Schienen werden von einer elektrischen Energiequelle auf ein bestimmtes Potential gebracht und dort gehalten. Die Potentialdifferenz
für alle im Betrieb auftretenden Fälle bleibt konstant.137 Deshalb braucht man sich
um die Quelle bei weiteren Überlegungen nicht mehr zu kümmern, man kann sie vergessen. Was einzig noch zählt, ist die Spannung (Pegeldifferenz) zwischen den Schienen. Sie sorgt dafür, daß die Elektronen von der Masseschiene zur Plusschiene hinunterfallen. Das „Fallen“ von Elektronen ist nicht wie gewohnt zu interpretieren. Es erfolgt ja nicht im Gravitationsfeld sondern im elektrischen Feld. Die Fallstrecke kann
daher räumlich beliebig orientiert sein.
137 Der für die Bauteile in einem solchen Netzwerk erforderliche Energiestrom muß, um diese Bedingung zu erfüllen, immer klein sein, bezogen auf die maximale Belastbarkeit der Quelle oder
bei geregelten Quellen unterhalb der Maximallast bleiben. Diese Bedingung ist bei elektronischen Schaltungen fast immer erfüllt.
194
Wie im Gravitationsfeld erfolgt jeder Übergang von einer Schiene zur anderen unabhängig von anderen Übergängen. Es geht sozusagen überall gleich weit bergab. Das
erleichtert den Durchblick, weil man jeden Übergang für sich betrachten, analysieren
und berechnen kann. Dabei sind folgende Gesichtspunkte zu beachten:
• Zwei Punkte, die durch (fast widerstandslose) Drähte oder Leiterbahnen verbunden werden, liegen auf gleichem Pegel. Dies gilt zuallererst für die Potentialschienen.
• Sämtliche Pegelsprünge in den Bauteilen, die eine Verbindung zwischen den Potentialschienen bilden, addieren sich zum Gesamtsprung zwischen den Schienen:
Addition der Spannungen an den Bauteilen (Kirchhoffsche Maschenregel).
• Wie sich die Bauteile verhalten, muß man den zugehörigen (eventuell idealisierten) Kennlinien entnehmen.
• Für Widerstandsbauteile gilt das Ohmsche Gesetz, wenigstens näherungsweise:
Der Ladungsstrom darin stellt sich so ein, daß der richtige Pegelsprung zustande
kommt.
• Pegelsprünge (Spannungen) bestehen immer zwischen zwei Punkten einer Schaltung. Diese beiden Punkte gehören mit zur Angabe, z. B.: U23 = 4,9 V. Man
kann auch von der Spannung an einem Bauteil reden, wenn man damit die Spannung zwischen seinen Anschlüssen meint, z. B.: UDiode = 0,6 V.
• Liegen mehrere Bauteile parallel, so sind die Spannungen daran gleich. Die Eingänge einerseits und Ausgänge andererseits haben die gleiche Pegellage. Es ist
oft praktisch, solche Parallelschaltungen in Gedanken durch ein Bauteil zu ersetzen, das die gleichen elektrischen Werte und Kennlinien hat (black box – Idee).
• Die Richtung des Feldgefälles ist im Potentialschienenmodell immer klar. Man
braucht daher Vorzeichen bei Spannungsangaben recht selten. Da Schülerinnen
und Schüler besser im Vorstellungsbereich als mit Formalismen arbeiten, sollte
man darauf verzichten.
4.6.3 Einfache Beispiele für das Pegelkonzept
Die folgenden Beispiele (Abbildung 83 und Abbildung 84) sollen die Tragfähigkeit
des Pegel-Konzepts (Potentialschienenmodells) erläutern und die Anwendung der
dargestellten Gesichtspunkte aufzeigen.
Vakuumröhre: Unter der Anahme, daß in der Röhre ein homogenes Feld besteht, fallen Elektronen gleichmäßig beschleunigt von Masse nach Plus. Sie nehmen dabei aus
dem Feld Energie auf, wie ein Stein beim freien Fall. Die Energie wird frei, wenn die
Elektronen auf das Ende der Röhre (Anode, Bildschirm) aufprallen. Bei inhomogenem Feld läuft der Vorgang im Prinzip gleich, allerdings ist die Beschleunigung nicht
mehr konstant. Durchlaufen die Elektronen aber das gleiche Feldgefälle (die gleiche
Spannung) wie im homogenen Feld, so ist auch ihre kinetische Energie am Bahnende
gleich.
195
Zylindrischer, materialhomogener Widerstandsdraht: Die frei beweglichen Elektronen im Draht werden im homogenen Feld beschleunigt. Sie stoßen bei ihrer Bewegung auf die Atomrümpfe des Metalls und verlieren dabei ihre Geschwindigkeit und
damit die aus dem Feld aufgenommene Energie praktisch vollständig: Stotterbremsung bei konstantem Geschwindigkeitsmittelwert der Driftbewegung. Die Spannung
längs des Drahts steigt vom Drahtfußpunkt (unten) bis zum Drahtkopf (oben) linear
an. Grund: das homogene Feld im Draht.138
Abbildung 83: Einfache Beispiele für die Lage von Potentialdifferenzen
Glühlampe: Im Glühdraht laufen die gleichen Vorgänge ab wie zuvor. Das Feld ist
aber jetzt ins Innere der Lampe verlegt. Verantwortlich dafür sind die (fast) widerstandslosen Zuleitungsdrähte. – Dies ist ein typisches Beispiel dafür, daß die widerstandsarmen Leiter zwischen Quelle und Bauteil oder Gerät der Verlegung des Potentialsprungs dienen, also des verfügbaren Feld-Gefälles an den gewünschten Ort. Der
Spannungsverlust (-abfall, -verbrauch) in den Leitungsdrähten wird dementsprechend
so klein wie möglich gehalten.
Kondensator: Nach dem Aufladen gibt es keine Elektronenbewegung mehr. Der Pegelsprung liegt vollständig im Dielektrikum des Kondensators. Über diesem liegt die
gleiche Spannung wie zwischen den Potentialschienen. Die Feldstärke ist entsprechend hoch: Bis zu 1 MV/m. Glühdraht im Vergleich: einige 100 mV/m (Verhältnis:
1:107!).
Schalter: In der AUS-Stellung liegt das ganze Feldgefälle in der Schalterlücke (Vergleich mit Kondensator!), für die Glühlampe bleibt nichts davon übrig (→ Abbildung
138 Die Elektronen erfahren im E-Feld eine Kraft, die der durch Konvention festgelegten Feldrichtung entgegengesetzt ist. Wir sehen von der Ausschärfung dieses Problems hier ab, lavieren
sprachlich sozusagen darum herum. Der Text bleibt dadurch verständlicher (→ auch S. 198).
196
82 c und d, S. 193). In der EIN-Stellung hat sich das Gefälle in die Glühlampe verlagert. Schalter und Zuleitungen sind weithin feldfrei.
Induktions-„drähte“, z. B. im Elektromotor mit Permanentmagnet (Abbildung 84,
links): Das E-Feld in den Drähten der Läuferwicklung ist nach dem Anlaufen des Motors homogen. Es schiebt die Elektronen mit konstanter Driftgeschwindigkeit gegen
die durch den Induktionsvorgang entstehenden (Lorentz-) Kräfte von Minus nach
Plus. Der Draht muß sich gleichförmig senkrecht zu einem konstanten Magnetfeld
bewegen, um diese Bedingung zu erfüllen. Die Elektronen geben die Energie, die sie
momentan aufnehmen, über magnetische Kräfte sofort an den Motorläufer ab.
Abbildung 84: Weitere Beispiele für die Lage von Potentialdifferenzen
Diode: Liegt die Diode in Sperrichtung, so wirkt sie wie ein Kondensator oder ein
Schalter in AUS-Stellung. Liegt sie in Durchlaßrichtung, kann man sie als Schalter in
EIN-Stellung betrachten. Allerdings ist die Spannung an der Diode nicht verschwindend gering, wie beim idealen Schalter, sondern 0,5 bis 1 Volt groß. Die Spannung an
der Glühlampe ist um diesen Betrag niedriger als die Quellenspannung.
Gekoppelte Schalter: Ist der obere Schalter (Abbildung 84, rechts) auf EIN und der
untere auf AUS, so liegt der Meßpunkt auf Plus-Pegel. Im umgekehrten Fall liegt er
auf Massepegel. Der Pegelsprung (die volle Spannung) ist immer am offenen Schalter. (Ausgänge logischer Bauelemente sind so aufgebaut. Als Schalter werden Transitoren eingesetzt, weil sie elektrisch stellbar sind.)
Widerstände in Reihe: Das Feldgefälle zwischen den Potentialschienen (Spannung
U0) verteilt sich auf die beiden Bauteile (Abbildung 85). Am Bauteil mit dem größeren Widerstandswert liegt der größere Teil davon. Man rechnet folgendermaßen:
U ·R
U ·R
UR1 = Q 1 ;
UR2 = Q 2
R1 + R2
R1 + R2
197
Potentiometer: An den Enden eines geradlinig ausgespannten Drahts liegt die volle
Spannung der Quelle. Ist dieser homogen und zylindrisch, so steigt der Pegel linear
an, wenn man vom Fußpunkt aus nach oben fortschreitet. Am Abgriff sind wir sozusagen inmitten der Gefällstrecke. Das Potential dort liegt zwischen den Pegelwerten
am Anfang und am Ende. Man greift eine Teilspannung ab, wie bei zwei in Reihe geschalteten Widerständen. Da man den Schleifer verschieben kann, ist die Teilspannung stellbar.139
Abbildung 85: Potentialdifferenzen an Netzwerken
Widerstandsnetzwerk I: Die miteinander verbundenen Anschlüsse parallel geschalteter Widerstände haben jeweils gleiche Pegellage (Abbildung 85). Man kann deshalb
die Schaltung im Kasten durch ein Widerstandsbauteil mit geeignetem Widerstandswert Rparallel ersetzen. Rparallel ist kleiner als R1 und R2. Hat man ihn errechnet, so kann
man das Netzwerk in Gedanken durch eine Reihenschaltung von Rparallel und R3 ersetzen. Danach ist man in der Lage, die Verteilung der Spannung (des Feldgefälles) auf
die beiden Widerstandsgruppen zu ermitteln.
Widerstandsnetzwerk II: In der Diode stellt sich ein Pegelsprung von 0,6 V ein.
Dieser ist weithin unabhängig vom Widerstandswert der anderen Bauteile. An R1 liegt
dementsprechend die Spannung U1 = U0 – 0,6 V, an R2 die Spannung U2 = 0,6 V. Der
Strom durch R2 ist konstant.
Wenn R1 zu groß ist, wird an R2 die Spannung 0,6 V nicht mehr erreicht. Die Diode sperrt dann und wirkt als Unterbrechung. Die Schaltung arbeitet dann so, wie wenn
die Diode nicht vorhanden wäre.
139 Beim belasteten Spannungsteiler wird die Quellenspannung aufgeteilt zwischen dem oberen
Teilwiderstand und der Parallelschaltung des unteren Teilwiderstands mit der Last. Nur wenn die
Last einen vielfach gößeren Widerstandswert hat als der untere Potentiometerteil, ist die Teilung
„linear“, kann also mit der Gleichung UAbgriff = UQ·Roben/Rgesamt berechnet werden.
198
Ähnliche Pegel-Überlegungen lassen sich auch mit komplexeren Schaltungen anstellen und soweit analysieren, daß man die Verhältnisse mit elementaren Vorstellungen
und Gesetzen in den Griff bekommt. Wir zeigen dies im folgenden, abschließenden
Abschnitt an einigen Beispielen aus der Digitalelektronik.
4.6.4 Digitale Schaltungen arbeiten mit zwei Pegeln
Digitale Bauelemente arbeiten fast immer mit festen Spannungen. In Personal – und
Heimcomputern beträgt sie 5 V und ist recht gut stabilisiert. Die digitalen Schaltelemente liegen dann mit einem Anschluß an der Plusschiene mit dem andern an der Minusschiene. Die Minusschiene wird als Schaltungsnullpunkt (Masse) angesehen und
dient als Bezugspunkt für alle Pegelangaben (Wert 0). Der Pegelwert 0 wird Low genannt und mit L bezeichnet. Ein Signal mit der Spannung 0 Volt gegen „Masse“ hat
dementsprechend L-Pegel, es ist Low. Den Pegel 5 V des positiven Versorgungsleiters bezeichnet man als High (H). Die Bezeichnungen High und Low bereiten insofern
didaktische Schwierigkeiten, als High für Elektronen „unten“ bedeutet, Low dagegen
„oben“. Es ist leider nicht möglich, die Zuordnung dieser Bezeichnungen zu den Pegeln zu vertauschen, weil sonst die Interpretation von Schaltungen im Bereich der Informationstechnologie die Schülerinnen und Schüler wiederum zum Umdenken zwingen würde. Außerdem wären beim Experimentieren Bauteile und ganze Geräte
(Computer) gefährdet, würde man irrtümlich mit vertauschten Pegeln arbeiten. Man
wird also nicht umhin können, mit den Schülerinnen und Schülern diesen semantischen Widerspruch bezüglich der „Fallbewegung“ der Elektronen zu bearbeiten. Es
ist möglich, die Bezeichnungen „High“ und „Low“ vorläufig durch „Plus-Pegel“ und
„Minus-Pegel“ zu ersetzen, bis sich bei den Schülerinnen und Schülern die Vorstellungen und die Fähigkeit zur Interpretation von Schaltungen entwickelt haben. Im
vorliegenden Text wird diese Problematik jedoch nicht weiter verfolgt.
In den Schaltelementen sind wegen der Bahnwiderstände des Halbleitermaterials
und wegen der Schwellenspannung von PN-Übergängen Spannungsverluste unvermeidlich. Man baut deshalb die Elemente z. B. so, daß sie am Eingang High erkennen,
wenn der Pegel dort zwischen 3 V und 5 V liegt. Low sollen sie mit Bestimmtheit erkennen, wenn der Pegelwert unterhalb von 1 V liegt. Am Ausgang wird (durch Puffer
oder Treiber, s. u.) dafür gesorgt, daß die Ausgangspegel möglichst nahe an 0 V und
5 V herankommen.140
Pegelschalter mit Relais, Relaisspeicherstufe: Die Diskussion dieser beiden Digital-Bausteine (Abbildung 86) dient der Vorbereitung der später folgenden Analyse
von Halbleiterschaltungen. An der elektromechanischen Anordnung lernt man erfahrungsgemäß leicht und schnell verstehen, welche Vorgänge ablaufen und was sie
prinzipiell bewirken.
140 Anmerkung: Die Relais – und Halbleiterschaltbilder dieses Abschnitts enthalten Angaben zur
Dimensionierung von Versuchsschaltungen. Die Digitalstufen lassen sich damit leicht aufbauen
und funktionieren sicher so, wie es hier besprochen wird.
199
Abbildung 86: Relaisschaltung einfacher Digital-Bausteine. – Verwendet werden Kleinrelais
für 6 V Steuerspannung
Puffer: Die dargestellte Relaisschaltstufe (Abbildung 86) hat einen Ein – und einen
Ausgang. Die beiden Schaltstellungen des Umschaltrelais sind eindeutigen Pegelwerten zugeordnet: Zunge oben: High, Zunge unten: Low. Das Eingangssignal muß einen
bestimmten Pegelwert ereichen, damit der Strom in der Relaiswicklung so groß wird,
daß der Relaisanker anzieht und die Zunge in der oberen Stellung hält. Wie groß er
sein muß, hängt von der Relais-Konstruktion ab. Bei 6 V-Kleinrelais liegt er in der
Größenordnung von 60 bis 120 mA (Rspule = 100 Ω bzw. 200 Ω). Ein H-Wert am Eingang ergibt einen H-Wert am Ausgang, ein L-Wert am Eingang einen L-Wert am
Ausgang. Wir haben im Sinne der Schaltalggebra ein Äquivalenzglied vor uns. In der
Digitalelektronik bezeichnet man die Schaltung als Treiber – oder Pufferstufe. Man
kann sie zur Signalregenerierung einsetzen.
Inverter: Vertauscht man an den Relaiskontakten die L- und H-Leiter, so entsteht eine Umkehrstufe (ein Inverter): Aus L am Eingang wird H am Ausgang und umgekehrt.
Speicher: Speicher werden durch einen einmaligen Impuls gestellt und halten dann
den eingestellten Pegelwert fest. Man bekommt ein Relais-Speicherelement, das diese
Bedingung erfüllt, wenn man in der Relais-Aquivalenzschaltung den Ausgang mit
dem Eingang über einen Rückkopplungswiderstand verbindet (Abbildung 86). Der
Pegel am Ausgang wird dadurch auch an den Eingang gelegt. Wenn ein SpannungsImpuls kurzzeitig den Eingang auf High legt, zieht das Relais an. Der Ausgang geht
auf High. Dieses High wird auf den Eingang zurückgekoppelt, so daß nach Abklingen
des Stellimpulses das Relais angezogen und der Ausgang auf H-Pegel bleibt. Dazu
muß der Widerstand so bemessen sein, daß er am Relais die Ansprechspannung beläßt. Der Pegel an ihm darf dabei etwa um 1 V abfallen. – Rückgestellt wird der Speicher durch einen L-Impuls am Eingang. Er legt das obere Ende der Magnetwicklung
auf L. Der Rückkopplungs-Widerstand liegt zu Beginn dieses Impulses direkt zwischen H und L und belastet die Quelle mit verhältnismäßig großem Strom. Der allerdings geht – wie auch der Spulenstrom – auf Null, wenn das Relais abgefallen ist und
stabil im L-Zustand bleibt. Im H-Zustand des Speicherelements wird dagegen der
Spannungsquelle Energie entnommen. Dies ist ein eindeutiger Nachteil.
200
Inverter und Speicher mit Transistoren: Beim Aufbau eines Inverters kommt man,
wie Abbildung 87 zeigt, mit wenig Bauteilen aus. Der Steuerstrom, der von Low über
die Basis-Emitter-Diode nach High fließt, wird mit Hilfe des Widerstands R1 so eingestellt, daß der Transistor in „Sättigung“ ist, also voll durchgeschaltet hat. Auf der
Ausgangsseite tritt dann Spannungsteilung ein zwischen R2 und der EmitterKollektor-Strecke des Transitors. Am Transistor verbleibt bei Sättigung eine Spannung von ca. 0,5 V, am Widerstand R2 steht die verbleibende Spannung von 4,5 V.
Der Ausgang liegt mit einem Pegel von 0,5 V eindeutig auf Low. Erkauft wurde dies
durch einen „Querstrom“ von 45 mA, der im Widerstand Wärme erzeugt, was unerwünscht ist.
Abbildung 87: Transistorschaltung für die Digital-Bausteine Inverter und Speicher
Bringt man den Eingang auf L-Pegel, so sperrt der Transistor praktisch vollständig.
Die gesamte Spannung fällt an ihm ab. Der Ausgang kommt deshalb auf 5 V (H). Er
liegt ja über R2 an Plus. Belastet man den Ausgang jetzt, so entsteht an R2 ein Spannungsabfall. Bei R2 = 100 Ω und 20 mA sinkt die Spannung zwischen A und L auf 3 V
ab. Wir haben gerade noch H-Pegel. Aus zwei solchen Inverter-Elementen läßt sich
ein Speicher wie in Abbildung 87 aufbauen. Dessen Nachteil ist der große Querstrom
von 45 mA in dem gerade leitenden Transistor.
Der störende „Querstrom“ dieses Signalinverters wird bei der Push-PullSchaltung (Gegentaktschaltung) in Abbildung 88 vermieden. Dort ist der Widerstand
R2 durch einen PNP-Transistor ersetzt. Wenn der Eingang H-Pegel hat, sperrt der obere Transistor, der untere leitet. Der Ausgang liegt 0,5 V über dem 0-Pegel, ist also
Low. Liegt der Eingang dagegen auf Low, so leitet der obere Transistor und der untere sperrt. Der Ausgang liegt 4,5 V über dem 0-Pegel, also auf High. Diese 4,5 V fallen
am gesperrten unteren Transistor ab. In jedem der beiden Zustände gibt es jeweils nur
einen sehr kleinen Steuerstrom über die Basis-Emitter-Strecke des gerade leitenden
Transistors. Abbildung 88 zeigt zusätzlich eine Speicherzelle aus 2 PP-Invertern.
201
Abbildung 88: Pushpull-Inverter und Pushpull-Speicher mit Transistoren
MOSFET-Transistoren: Der elekronische Pegelumschalter kann hinsichtlich der
Eingangsströme noch verbessert werden, wenn man komplementäre MOSFETTransistoren nimmt, wie in Abbildung 89 dargestellt. Liegt hier am Eingang HPotential, so leitet nur der untere MOSFET, ein N-Kanal-Typ. Er verbindet den Ausgang mit der L-Leitung. Halten wir den Eingang dagegen auf L-Pegel, so leitet der
obere MOSFET (ein P-Kanal-Typ) und der untere sperrt. Der Ausgang ist somit direkt mit der Plusleitung verbunden, also auf H-Pegel. Da die Gates der Transistoren
von den leitenden Kanälen isoliert sind, braucht man während des Haltens einer Einstellung keinen Strom.
Die Kanäle der MOSFETs enthalten keine Sperrschichten. Ihr Widerstand in niederintegrierten IC's liegt bei einigen hundert OHM. Bei diskreten Leistungs-MOSFETs
kommt man sogar unter 1 Ω. Damit sind MOSFET-Push-Pullstufen ideale Relais.
CMOS-Speicher-Element: Wie Abbildung 89, rechts, zeigt, läßt sich mit zwei PPInvertern aus je zwei komplementären MOSFETs eine ideale Speicherzelle bauen.
Liegt am Eingang E1 dieser Schaltung Low, so ist Ausgang A1 auf High. High am
Eingang des zweiten Inverters heißt aber Low am Ausgang A2. Wenn wir dieses LowSignal auf E1 rückkoppeln, bleibt die Stufe in der Einstellung stabil auch wenn wir E1
isolieren. Sie speichert den Wert L. Der H-Pegel am Eingang E1 setzt in gleicher Weise Ausgang A2 auf H. Wegen der Rückkopplung ist auch dieser Zustand stabil.
Beim Stellen des Speichers werden die Gates mit kleinen Strömen umgeladen.
Außerdem fließt kurzzeitig ein Strom durch den Koppelwiderstand. In beiden statischen Zuständen (L oder H am Ausgang) müssen nur noch Isolationsverluste ausgeglichen werden, die in der Größenordnung Picoampere liegen. Taschenrechner und
Laptop-Computer sind mit Speichern dieser Gattung ausgerüstet (sogenannten
CMOS-RAMs). Diese halten einen gespeicherten Schaltzustand monatelang mit einer
Batterieladung.
202
Abbildung 89: MOSFET-Inverter und MOSFET-Speicher
Bildquellen
Deckblatt: German Frank, Ravensburg; Abbildung 14 und Abbildung 15: Cornelsen-Verlag (), Berlin;
Abbildung 7 und Abbildung 31: Cornelsen-Experimenta (), Berlin; übrige: Muckenfuß
203
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S. 253–255
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