Forschung aktuell Forschung aktuell Ast r onomie Diesen Artikel können Sie als Audiodatei beziehen, siehe: www.spektrum.de/audio Kosmische Kollision lüftet dunkles Geheimnis Schon seit siebzig Jahren wird vermutet, dass es sie gibt: die Dunkle Materie. Der Zusammenstoß zweier Galaxienhaufen hat nun den bisher besten Beleg für ihre Existenz geliefert. Von Robert Gast D Illustrationen: Nasa / CXC / M. Weiss er Kosmos neigt zur Gruppenbildung. Davon zeugen etwa die Kugelsternhaufen, in denen sich auf engstem Raum bis zu einige Millionen Sterne drängen. Doch gibt es noch weitaus größere Ansammlungen von Himmelskörpern. Galaxien zum Beispiel umfassen Abermilliarden von Sternen. Und auch diese schier unermesslichen Welteninseln bleiben nur selten für sich. Meist haben sich einige Dutzend bis mehrere Tausend zu gigantischen Haufen zusammengeschlossen, die im Verband durch den Weltraum fliegen. Unser Milchstraßensystem macht da keine Ausnahme. Es gehört zum so genannten Virgo-Superhaufen, der sich über 200 Millionen Lichtjahre erstreckt. Mehr als hundert Galaxien werden darin trotz der riesigen Distanz von ihrem gemeinsamen Schwerefeld zusammengehalten. Das verwundert Astronomen schon seit über siebzig Jahren. Die Masse der Einzelgalaxien ist nämlich zu gering, als dass sich ihr Zusammenhalt mit der Gravitation allein erklären ließe. Eigentlich sollte der Virgo-Haufen folglich auseinanderfliegen. Was also bindet die Galaxien anei­ nander? Astrophysiker haben verschiedene Lösungsvorschläge entwickelt. So postuliert die so genannte Mond-Theorie (»Modified Newtonian Dynamics«) eine Zunahme der Gravitationswirkung mit der Massendichte. Demnach fiele die Schwerkraft in den extrem massereichen Galaxienhaufen weniger stark mit der Entfernung ab als im Sonnensystem. Vielen Astronomen missfällt diese Theorie jedoch, weil sie rein phänomenologisch ist und nicht auf bekannte physikalische Gesetze zurückgeführt werden kann. Die Mehrheit der Himmelsforscher glaubt deshalb lieber an die Existenz einer Dunklen Materie, die nicht mit elektro- magnetischer Strahlung interagiert und somit unsichtbar bleibt. Obwohl niemand sicher weiß, aus welchen Teilchen sie eigentlich besteht, soll sie nach dem derzeit akzeptierten kosmologischen Modell immerhin 23 Prozent des Universums ausmachen. Auf die sichtbare Materie entfallen dagegen nur vier Prozent; die restlichen 73 Prozent bestehen aus einer ominösen Dunklen Energie, die für die vor einiger Zeit entdeckte beschleunigte Expansion des Universums sorgt. Bisher gibt es nur indirekte Hinweise auf das Vorhandensein der Dunklen Materie, da sie sich ausschließlich durch ihre Gravitationswechselwirkung mit sichtbaren Objekten verrät. Einer davon ist der erwähnte Zusammenhalt von Galaxienhaufen. Diese müssten Berechnungen zufolge zu etwa vier Fünfteln aus Dunkler Materie bestehen. Die Masse der Sterne würde gerade einmal fünf und die des intergalaktischen Gases etwa fünfzehn Prozent der Gesamtmasse ausmachen. Auch dass die Objekte in den Spiralarmen von Galaxien wie unserer Milchstraße fast genauso schnell rotieren wie zentrumsnahe Himmelskörper, lässt sich nur erklären, wenn außer der sichtbaren noch andere Masse vorhanden ist. Kollision zweier Galaxienhaufen Das bisher stärkste Indiz für die Existenz der Dunklen Materie haben nun Beobachtungen im vier Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxienhaufen 1E0657-56 geliefert. Er enthält eine superheiße Gaswolke, deren Form an die Stoßwelle eines Geschosses erinnert und ihm den Spitznamen »bullet cluster« (Gewehrkugelhaufen) eingetragen hat. Diese besondere Struktur rührt daher, dass hier vor nur 100 Millionen Jahren zwei Galaxienhaufen kollidiert sind. Nachdem sie sich gegenseitig durchdrungen haben, fliegen sie heute wieder auseinander. »Das ist das energiereichste kosmische Ereignis neben dem Urknall, von dem wir wissen«, begeistert sich Maxim Markevitch vom Harvard-Smithsonian Center Bei der Kollision zweier unterschiedlich großer Galaxienhaufen – hier eine Simulation – kam es zur Trennung von sichtbarer und Dunkler Materie. Dabei wurde das heiße Gas (rot) abgebremst, während Sterne und Dunkle Materie (blau) ungehindert weiterflogen. l 16 SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT q November 2006 Röntgen: Nasa / CXC / Cfa / Maxim Markevitch et al.; Optisch: Nasa / STScI; Linsen: Nasa / STScI / ESO WFI / Univ. of Arizona, Douglas Clowe et al. für Astrophysik in Cambridge (Massachusetts). Noch mehr erregt die Astronomen aber, dass beim Zusammenstoß der beiden Galaxienhaufen Dunkle und sichtbare Materie offenbar voneinander getrennt wurden (Bilder links unten). Das erkannte eine Forschergruppe an der Universität von Arizona in Tucson unlängst, als sie Aufnahmen des im All stationierten Röntgenteleskops Chandra mit solchen des Hubble-Weltraumobservatoriums sowie des VLT (Very Large Telescope) und des Magellan-Teleskops in Chile verglich. Chandra registrierte die intensive Strahlung im Röntgenbereich, die das heiße Gas in dem Galaxienhaufen aussendet. Damit lieferte es die Verteilung des Hauptbestandteils der sichtbaren Materie in 1E0657-56. Zu erkennen sind zwei dicht beieinanderliegende Wolken, von denen die kleinere die Geschossstruktur darstellt (Bild oben). Die drei anderen Teleskope dienten dazu, die Verteilung der Masse in dem Galaxienhaufen anhand ihres Gravitationslinseneffekts aufzuspüren. Nach Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie kann ein massereiches Objekt im Kosmos nämlich als Linse wirken, welche die Strahlung einer dahinter verborgenen Lichtquelle zur Erde umlenkt. Je nach den geometrischen Verhältnissen entstehen dabei oft Mehrfachbilder, die meist zu kurzen Bögen verzerrt sind. Dieser Effekt tritt auch bei 1E065756 auf. Mit den Teleskopen Hubble, VLT und Magellan waren dadurch Ga­ laxien zu erkennen, die von der Erde aus hinter dem »bullet cluster« liegen und SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT q November 2006 so eigentlich von ihm verdeckt werden sollten. Anhand dieser Beobachtungen konnten die US-Astronomen berechnen, wie stark verschiedene Regionen des Galaxienhaufens das Licht ablenken. Das wiederum erlaubte, die Gebiete größter Massekonzentration zu ermitteln. Erstaunlicherweise fallen diese Regionen, wie sich zeigte, nicht mit den beiden von Chandra lokalisierten Wolken aus superheißem Gas zusammen, sondern liegen links und rechts davon. Demnach kann 1E0657-56 nicht nur leuchtende Materie enthalten. Dann nämlich müsste der Linseneffekt dort am stärksten sein, wo sich die heißen Gaswolken befinden; schließlich machen sie den Löwenanteil der normalen Materie in dem Galaxienhaufen aus. Da die größten Massekonzentrationen aber außerhalb liegen, müssen sie von Dunkler Materie herrühren. Newtons Gesetz gilt überall Dass diese Dunkle Materie von dem heißen Gas räumlich getrennt ist, lässt sich gut mit der Kollision der beiden Galaxienhaufen erklären. Das intergalaktische Gas wurde beim Aufeinandertreffen durch eine dem Luftwiderstand ähnliche Kraft abgebremst und auf Grund der Wechselwirkung aufgeheizt. Dagegen flog die Dunkle Materie einfach weiter, weil außer der anziehenden Gravitation keine Kräfte auf sie wirken. »Diese Ergebnisse liefern den direkten Beweis, dass Dunkle Materie existiert«, resümiert Doug Clowe, der die Forschergruppe an der Universität von Arizona leitet. Mit der Mond-Theorie Auf dieser kolorierten Collage von Aufnahmen des Galaxienhaufens 1E0657-56 erscheinen Wolken aus heißem intergalaktischem Gas hellrot. Regionen höchster Massendichte, die anhand ihres Gravitationslinseneffekts ermittelt wurden, sind dagegen blau gezeichnet. Da das intergalaktische Gas den Hauptteil der sichtbaren Materie von 1E0657-56 bildet, müssen sie überwiegend aus Dunkler Materie bestehen. o wären die Beobachtungsdaten seiner Einschätzung nach nicht erklärbar. Die Physiker können also aufatmen: Newtons Gravitationsgesetze gelten offenbar uneingeschränkt und überall im Universum. »Wir haben dieses Schlupfloch in der Gravitationstheorie geschlossen und sind nun näher dran denn je, die unsichtbare Materie zu sehen«, schwärmt Clowe. Nach wie vor bleibt jedoch rätselhaft, weshalb in einem Umkreis von 500 Lichtjahren um die Erde anscheinend keine Dunkle Materie existiert. Dies lässt sich aus den Daten des Satelliten »Hipparcos« schließen, der Ende der 1990er Jahre die Positionen der Sterne in unserer kosmischen Nachbarschaft genauestens vermaß. Eigentlich müsste hier, am Rand der Milchstraße, die Dunkle Materie fünfzigmal so häufig sein wie die sichtbare. Es bleibt also auch nach der jüngsten Entdeckung noch genug Raum für Spekulationen. Robert Gast studiert in Heidelberg Physik. 17 Zwischenstand Für unsere Galaxie zeigt Microlensing, daß 80% der Dunklen Materie nicht baryonisch sind. Für das Universum folgt aus der pimordialen Nukleosynthese (Dichteabhängigkeit der Häufigkeiten der leichten Kerne!), daß Ωbaryonic ≈ 0.05 · Ωcrit . Aus 10a) folgte, daß ΩM aterie ≈ 0.25 · Ωcrit . Definitionen: Nicht baryonische Materie: nicht elektromagnetisch oder stark wechselwirkend. Ωcrit = 1: Die Kosmologie definiert ρcrit als diejenige Energiedichte (einschließlich Materie), bei der die Gravitation exakt die kin. Energie der Expansion ausgleicht. Ω := ρ/ρcrit Für Ω < 1 ewige Expansion Für Ω > 1 Umkehr der Expansion nach endlicher Zeit → Kollaps ρcrit (Friedmann Gl.) = 5.1. GeV/m3 ρbaryonic = 4.5 x 10−28 kg/m3 ρM aterie (dunkle + baryonische) = 3 x 10−27 kg/m3 Ωleuchtend < Ωbaryonisch < ΩM aterie 0.01 0.05 0.25 wobei Ωbaryonisch = Ωleuchtend + Ωmachos,kaltesGas ΩM aterie = Ωbaryonisch + ΩDunkleM aterie (ii) Neutrinos Leptonenzeitalter (t ≈ 0.1s): γ ↔ e+ + e− ↔ νi + ν̄i | {z } 2 σschwach ∼Ecm 1 ρ·σ −→ λ ∼ T15 ρ ∼ T3 → Bei T ≈3 MeV koppeln die Neutrinos ab (d.h. ihre Zahl liegt fest), weil λ ≈ RU niversum (≈ 1ly) → heute: Tν = 1.95 K Nνi ≈ 100/cm3 pro flavour (d.h. bei 3 flavours ist die Neturinodichte ≈ 43 der Dichte der Photonen der kosm. Mikrowellenstrahlung) 3 P Für ρν = ρDunkle M aterie (s.o.) wäre mνi · c2 = 47eV Freie Weglänge λ ≈ i=1 ←→ Widerspruch zu Exp.: mνe < 2eV , ∆m21,2 (..2,3 ) = 7 · 10−5 (2 · 10−3 )eV 2 ! Au”serdem wären ν’s als Dunkle Materie so schnell (“hot dark matter”), da”s sie die Dichteoszillationen, die zur Anisotropie der Mikrowellentemperaturen führten, weggedämpft hätten, und es schlie”slich auch keine Strukturen von Materie im Kosmos gegeben hätte! (iv) Weakly Interacting Massive Particles Standardmodell der Teilchenphysik: Fermionen (f), Spin 1/2 Quarks (q): u c t d s b und q̄’s Leptonen (`): e µ τ ¯ νe νµ ντ und `’s Bosonen γ (Spin 1, Austauschteilchen der e.m. Wechselw.) g (Spin 1, Austauschteilchen der starken Wechselw.) Z 0 , W +/− ( Spin 1, Austauschteilchen der schwachen Wechselw.) H (Spin 0, Wechselw. mit H-Feld verleiht den Teilchen Masse) Alle Wechselwirkungn können mithilfe folgender Vertices beschrieben werden: f (= l oder q) γ W Z g -q f f q f - - _ ν e _ u oder e d zusätzlich Vertices mit H(iggs). Daraus gewinnt man für alle Prozesse die Feynmangraphen, z.B. für e+ e− → uū: _ u e+ Z e- u Supersymmetrie (SUSY): Verbindet die o.g. Klassen der Fermionen und Bosonen durch die Forderung, daß die Natur (der Lagrangian) symmetrisch bei Austausch Fermion ↔ Boson ist. Demzufolge besitzt jedes Teilchen einen Superpartner mit gleichen Eigenschaften, aber mit einem um 12 Einheit unterschiedenen Spin. Gewöhnliche Teilchen haben gerade und ihre Superpartner ungerade R-Parität. (B, L, s bezeichnen Baryonzahl, Leptonzahl und Spin.) Teilchen 3B + L + 2s s R Superpartner 3B + L + 2s s R Quark (q) 2 1/2 +1 Squark (q̃) 1 0 -1 ˜ Lepton (`) 2 1/2 +1 Slepton (`) 1 0 -1 Photon (γ) 2 1 +1 Photino (γ̃) 1 1/2 -1 W ±, Z 0 2 1 +1 Wino, Zino 1 1/2 -1 Gluon 2 1 +1 Gluino 1 1/2 -1 Higgs 0 0 +1 Higgsino 1 1/2 -1 Graviton 4 2 +1 Gravitino 3 3/2 -1 (Die Superpartner werden durch eine Tilde ˜ symbolisiert.) Wechselwirkungen: Durch paarweisen Austausch gegen Superpartner erhält man aus den Vertices des Standardmodells gültige SUSY Vertices, die alle gleiche Kopplungsstärke haben. Mit dieser Symmetrie ist eine neue Erhaltungsgröße verbunden, die R-Parität (s.u.). Z. B. sind folgende Kopplungen der supersymmetrischen QED gleich stark: e _ ~_ e ~ γ γ e+ ~_ e γ + e ~+ e In supersymmetrischen Modellen gibt es eine neue Erhaltungsgröße, die R-Parität, die normale Teilchen von ihren Superpartnern unterscheidet. Die R-Parität eines Teilchens hängt mit dessen Baryon- und Leptonzahl sowie dessen Spin zusammen: R ist gleich +1, wenn 3 B + L + 2s gerade ist, sonst ist es gleich -1. Die R-Parität ist also eine Quantenzahl wie die Parität (Raumspiegelung). Sie ist gerade (R = +1 ) für alle normalen Teilchen, und ungerade (R = -1) für die Superpartner. Ist die R-Parität erhalten, ergeben sich unmittelbar zwei Schlußfolgerungen: (i) Superpartner können nicht einzeln, sondern nur paarweise erzeugt werden (der Anfangszustand hat gerade R-Parität, also muß der Endzustand ebenfalls gerade sein);(ii) ein Superpartner zerfällt in einen Zustand mit einer ungeraden Anzahl von Superpartnern (der Anfangszustand hat ungerade R-Parität, also muß der Endzustand ebenfalls ungerade sein). Erfolge am SUSY (u.a.) • Alle 3 Kopplungskonstanten streben für r → 10−31 m gegen den gleichen Wert, in Übereinstimmung mit der im Exp. angedeuteten Tendenz • sin θW einberg erklärt • Top-quark und Higgs: Masse im richtigen Bereich. (Viele Erweiterungen, auch mit Einschluß der Gravitation.) P Ereignisrate R = i Ni · nχ · σiχ Ni = Zahl der Targetkerne des Elements i nχ = Dichte der WIMPs Schätzung nχ = 103 /m3 für mW IM P =100 GeV σiχ = elastischer Wirkungsquerschnitt, typisch 10−40 cm2 (schwache Ww) (eventuell spinabhängig) → Rtypisch = 1/(kg · T ag) (Untergrundproblem!)